Möglicher Ursprung der Tyraniden
Es ist klar, dass die Tyraniden ursprünglich eine planetarische Lebensform waren, also eine Heimatwelt hatten. Wenn wir voraussetzen, dass wesentliche Elemente ihrer Physiognomie (Kiefermaul, Klauen) schon von Anfang an vorhanden waren, ist außerdem klar, dass sie als Raubtiere lebten. Dies lässt schon einige Schlüsse auf ihre Heimatwelt zu, denn sie muss sehr fruchtbar gewesen sein, um ein komplexes System aus Jäger- und Beutepopulationen hervorbringen zu können, dessen Grundlage Pflanzen oder andere Primärproduzenten gewesen sein müssen. Um eine Dschungelwelt dürfte es sich aber nicht gehandelt haben, denn dagegen sprechen die Hufe an den hinteren (Lauf-)Beinen der Tyraniden. Eine solche Ausstattung macht nur Sinn bei festem Boden, nicht im Milieu eines tropischen Feuchtwaldes. Am ehesten wäre an eine Art Steppen- oder Savannenlandschaft zu denken.
Der „Ur-Tyranide“ dürfte wahrscheinlich etwa so ausgesehen haben wie ein Gant, speziell Hormagant. Dieser Typus vereint alle wesentlichen Grundlinien des tyranidischen Körperbaus (Laufbeine, Klauenarme, Rückenpanzer, Kiefermaul und Schwanz) bei größter Einfachheit und maximaler Beweglichkeit, die ihn zum Fang vergleichbar schneller Beutetiere befähigte. Lediglich die Sensenklauen waren vielleicht noch nicht so ausgeprägt wie später. Der Ur-Tyranide bewegte sich vermutlich je nach Situation mal laufend auf beiden hinteren Beinpaaren, im Ansprung auf Beute vielleicht nur auf dem hintersten Beinpaar. Deshalb trug nur das hintere Beinpaar Hufe; das mittlere war multifunktional und konnte entweder beim Laufen mitbenutzt oder wie das vorderste beim Angriff verwendet werden. Man kann daraus schließen, dass auch die bevorzugten Beutetiere sich sehr schnell bewegten und mindestens mit einem kurzen Sprint, möglicherweise sogar über längere Strecken gejagt werden mussten. Zudem lässt die Kollektivnatur der Tyraniden darauf schließen, dass sie in Rudeln oder Schwärmen jagten, wodurch sie wahrscheinlich auch Beutetiere überwältigen konnten, die erheblich größer waren als sie selbst. Falls sie schon damals über einen ausgeprägten Exoskelett-Panzer verfügten, wäre dies ein Hinweis darauf, dass sie in ihrem Ökosystem keineswegs Spitzenprädatoren waren, sondern selbst noch größere Raubtiere zu fürchten hatten. Sie hätten dann eine ähnliche Stellung im Ökosystem eingenommen wie z.B. Velociraptoren in der irdischen Kreidezeit, die zwar sehr erfolgreiche Jäger waren, aber immer noch unter einem Tyrannosaurus Rex standen.
Die soziale Organisation dürfte schon bei den Ur-Tyraniden schwarmartig gewesen sein, da dies eins der beständigsten Merkmale ihrer Gattung ist. Eine Tyraniden-Kolonie könnte einem irdischen Ameisen- oder Bienenstaat geähnelt haben, mit Fortpflanzung durch Eiablage und eventuell morphologisch leicht veränderten Stammformen für Jäger, Arbeiter und Brutpfleger. Da eine solche Organisationsform eine gewisse Sicherheit erfordert, waren vermutlich Rückzugsräume nötig, analog zu Bienenstöcken oder Ameisenhaufen. Vielleicht stellte die natürliche Geografie ihres Heimatplaneten den Tyraniden solche Schutzräume zur Verfügung; vielleicht schufen sie sie aber auch selbst, zum Beispiel, indem sie Erdbauten gruben. Tatsächlich scheint es mir gut denkbar, dass ihre Brutkammern oder „Nester“ unter der Oberfläche lagen, sodass die Jagdschwärme durch Öffnungen im Boden nach draußen gelangten, um später mit der Beute zurückzukehren. Dabei müssen nicht unbedingt nur oberirdisch lebende Tiere zur Beute gezählt haben. Ich vermute, dass auch die Ripper bereits auf dem Speiseplan standen und im Ökosystem der Tyraniden ungefähr das waren, was auf der Erde die Ratten sind: Kleine, aber zahllose und überall verbreitete, scharrende und wühlende Tiere, die wahrscheinlich ihrerseits in Erdbauten lebten (worauf ihr Körperbau hinweist: keine Laufbeine, aber gut zum Graben geeignete Klauenfüße).
Die Ripper waren vielleicht die erste Spezies, die von den Tyraniden nicht nur als Beute benutzt, sondern irgendwann regelrecht gezüchtet und schließlich – als Magen-Ersatz – in ihr eigenes Genom integriert wurde. Ganz spekulativ möchte ich dies die „erste Revolution“ in der Entwicklung der Tyraniden nennen. Indem sie Ripper als Zuchttiere hielten und in Massen mästeten, hatten sie eine verlässliche Nahrungsquelle und wurden von der Jagd auf größere Beute zunehmend unabhängig. Gleichzeitig stellte sich vermutlich ihr Stoffwechsel um, denn durch das Fressen von Rippern nahmen sie deren Mageninhalt, also vorverdaute Nahrung auf. Die Ripper wurden damit quasi die „Vorkauer“ der Tyraniden und zerlegten mit ihren starken gastrischen Kauplatten alles, was sie fressen konnten, in einen nährstoffreichen Brei für ihre Herren. Dies könnte zu einem starken Wachstum der Tyranidenpopulation beigetragen haben.
Schon immer scheinen Tyraniden in der Lage gewesen zu sein, Gene aus ihrer Beute zu extrahieren und diese in ihr eigenes Erbgut einzubauen, auch wenn dies wohl eine mehr unbewusste und instinktive Fähigkeit war. Wenn nun Ripper zum ständigen Routine-Futter gehörten und von tausenden Generationen verspeist wurden, ist leicht erklärlich, dass es gerade ihre Gene waren, die von den Tyraniden eines Tages reproduziert wurden. Mit der Entwicklung eines Ripper-förmigen Magens wurden die Verdauungskapazitäten der Tyraniden optimiert, und wahrscheinlich wurden frühere Organe, die der Verdauung dienten, entsprechend zurückgebildet oder sogar verloren. Diese Einsparung schuf Platz für andere Organe und für eine massivere Ausbildung der Muskel- und Knochenstrukturen.
Dann, irgendwann, folgte eine „zweite Revolution“. Natürlich ist auch das spekulativ, aber es würde den Aufstieg der Tyraniden zu einer raumfahrenden Spezies erklären.
Stellen wir uns vor, dass ihr Planet eines Tages Besuch aus dem Weltraum bekam – jedoch nicht von Forschern oder Entdeckern, sondern von einer Spezies flugfähiger Cephalopoden. So nenne ich sie erst einmal, um überhaupt einen Namen für sie zu haben. Diese nur mit rudimentärer Intelligenz ausgestatteten Wesen ähnelten einer Mischung aus Kraken, Quallen und Schwämmen und waren große, friedliche, gemächlich in der Luft gleitende Pflanzenfresser. Am ehesten könnte man sie den Hohltieren zurechnen, wobei sie in ihrem Innern eine große Gasblase umschlossen, die sie zum Schweben befähigte wie lebende Fesselballons. Diese Kreaturen hatten einst ihren Heimatplaneten vollständig abgeweidet und sich, von der Not getrieben, in immer höhere Luftschichten begeben, bis sie schließlich in den Weltraum gelangt waren. Wie sie sich dort fortbewegten, bleibt geheimnisvoll, doch ihre simple und robuste Physis erlaubte es ihnen, der kosmischen Kälte und Strahlung zu trotzen. So wurden sie zu Nomaden, die in Schwärmen durchs All zogen und sich auf belebten Planeten niederließen, um dort die einheimische Vegetation abzuweiden. Gelegentlich geriet auch einmal ein Tier in ihre träge dahingleitenden Fänge und wurde langsam zur Mundöffnung nach oben gezogen. Im Wesentlichen aber waren sie Vegetarier und ihre quallenartigen Körper nicht für Jagd oder Kampf ausgerüstet. Wenn es nichts mehr zu fressen gab, zogen sie weiter und suchten sich einen neuen Planeten. Dazu befähigte sie vor allem ihre Langlebigkeit. (Nicht unrealistisch: Einfach aufgebaute irdische Tiere wie z.B. Schwämme können ein Alter von mindestens 10.000 Jahren erreichen, vgl. Anoxycalyx joubini.)
Diese seltsamen Wesen hatten nun den Heimatplaneten der Tyraniden entdeckt und schwebten zur Oberfläche herab, um ihre Tentakel auszubreiten und sich an den Pflanzen der Welt gütlich zu tun. Dabei wurden sie von den Tyraniden entdeckt, und nachdem diese begriffen hatten, dass die riesigen, gallertartigen Wesen für sie nicht essbar waren, reifte in ihrem kollektiven Verstand eine revolutionäre Vision. Sie begannen, die schwebenden Cephalopoden zu füttern, indem sie ihnen Jagdbeute unter die Fänge legten. Die minimale Intelligenz der Besucher aus dem All reichte immerhin zu der Erkenntnis, dass sie hier gutes Essen fanden, und so blieben sie in der Nähe der Tyraniden. Wie es dann zu der folgenreichen Symbiose kam, können wir nur vermuten. Vielleicht wurden einige Tyraniden bei den Fütterungen versehentlich mit emporgehoben und von den Cephalopoden verschlungen, überlebten aber, weil diese keinerlei scharfe Säuren für die Zersetzung von Fleisch und Knochen besaßen. Stattdessen saßen die Tyraniden nun im inneren Hohlraum der Riesenqualle, schwebten zusammen mit dieser durch die Gegend und bahnten sich wahrscheinlich beim nächsten Öffnen des Mauls wieder ihren Weg ins Freie – unbeschadet und um eine wichtige Erfahrung reicher. Jedenfalls kam es auf diese oder eine andere Art zur wichtigsten Symbiose in der Geschichte der Tyraniden: Sie wurden Partner-Organismen der Cephalopoden. Ganze Schwärme ließen sich ins Innere der riesigen Körper aufnehmen, durch die Luft transportieren und an anderer Stelle wieder ausspeien, wo sie am Boden Beute jagten und diese ihren organischen Transportern in Form von vorverdauter Biomasse darbrachten. Auf längere Sicht entstand so eine Co-Evolution, die den Cephalopoden reichhaltiges Futter, daraus resultierendes Riesenwachstum und den Tyraniden die unverhoffte Möglichkeit einbrachte, ihre heimischen Jagdgründe zu verlassen.
Als die Cephalopoden sich schließlich wieder auf den Weg durchs All machten, um einen neuen Weideplaneten zu suchen, waren die Hohlräume in ihrem Inneren mit Tyraniden gefüllt. Diese mochten zunächst nur die Funktion hilfreicher Endosymbionten haben – etwa wie Darmbakterien für uns – doch auf Dauer war klar, dass die intelligentere Spezies die Kontrolle übernehmen würde. Schon bald waren die Cephalopoden kaum mehr als lebendige Transporter, deren Gene von den Tyraniden allmählich verändert wurden, bis sie sich nach Ewigkeiten in die mächtigen Schwarmschiffe verwandelt hatten. Den Instinkt der riesigen Quallen-Kraken, sich auf fremden Planeten wie auf Weidegründen niederzulassen, veränderten die Tyraniden aber nicht, sondern nutzten ihn für ihre eigenen Zwecke: Sie wurden selbst zu Planeten-Erntern. Bald war es nicht einmal mehr nötig, dass die Cephalopoden sich überhaupt auf die Planetenoberfläche begeben mussten; stattdessen entwickelten sie überlange Tentakelorgane, die mit Kapillartürmen auf der jeweiligen Beutewelt verbunden wurden und das Riesengeschöpf ernährten, indem es vorverdaute Nährstoffsuppe direkt in den Orbit hinaufsaugen konnte. So „belohnten“ die Tyraniden ihre Transporter mit einer besonders reichlichen und bequemen Ernährung. Zugleich züchteten sie ihre Schwarmschiffe immer größer und mit immer mehr eingeschleusten Genen, sodass diese tyranidische Biomorphe wie Chitinpanzer, Krallen oder Rammtentakel entwickelten. Das Ergebnis waren mächtige, lebendige Raumschiffe, deren Bewusstsein kaum mit dem einer Fliege zu vergleichen war, die aber hervorragende Dienste leisteten.
Weitere Ergebnisse gezielter Züchtung aus dem Cephalopoden-Stamm dürften die sogenannten Landungssporen und wahrscheinlich auch die Sporenminen sein. Wie die Schwarmschiffe haben sie innere Hohlräume und Tentakel, wobei der Innenraum nicht mit einer Gasblase, sondern mit Säure oder explosiver Flüssigkeit gefüllt ist.
Natürlich ist das alles reine Spekulation 🙂 Aber doch ein mögliches Szenario.