Die Schneise der Zerstörung
So langsam kehrte wieder Ruhe ein oder sollte man besser sagen, dass auf eine besondere Art und Weise das Leben zurückkehrte?
Man weiß es nicht. Wer soll es auch wissen? Es war ja wohl niemand mehr übrig, der noch unter den Lebenden weilte, um über die zurück liegenden Stunden zu berichten.
Langsam strichen graue Rauchfahnen durch die Äste der Bäume und mit einem ganz leisen Rauschen rieselten hier und dort feine Aschepartikel zwischen ihnen hindurch zu Boden. Dort bildeten sie eine ganz feine Schicht auf den Blättern und Gräsern.
Der grüne Wald wirkte schnell nicht mehr so hoffnungsfroh, so wie er sonst aussah. Obwohl der Wald wohl noch nie für alle besonders hoffnungsfroh gewirkt hatte. Den meisten kam er eigentlich eher bedrohlich vor, so mit seiner tiefen, dunkelgrünen Undurchdringlichkeit. Schon lange hatten die ewigen Schwarzmaler vor den Gefahren aus den Tiefen des Waldes gewarnt. Man solle sich vorsehen, denn irgendetwas befände sich dort verborgen, irgendetwas Böses, das den Menschen, die sich am Waldrand vor so langer Zeit niedergelassen hatten, nicht wirklich wohlgesonnen sei.
Geglaubt hatte man den Mahnern und den Unkenrufern lange Zeit nicht, denn man hatte sie einfach nur für armselige Gestalten gehalten, die sich wichtigmachen wollten, weil sie ja sonst nichts mehr in ihrem Leben hatten.
Hätte man besser auf sie gehört, man könnte vielleicht noch am Leben sein!
Begonnen hatte es auf ganz seltsame Weise: Zuerst verstummten langsam, nacheinander die vielfältigen Stimmen der Tiere, die sonst ein dauerhafter Begleiter der Menschen am Waldrand waren. Es dauerte eine Zeit, bis es den ersten auffiel und diese dann die anderen darauf aufmerksam machten. Seltsam, so etwas war noch nie vorgekommen, zumindest konnte sich niemand daran erinnern.
Das nächste Zeichen war schon etwas auffälliger: Ein seltsames, verstörendes Heulen und Brüllen schlug ihnen aus der Ferne des tiefen Waldes entgegen. Es waren schreckliche Töne und Laute, die man so auch noch nicht gehört hatte. Nur die Alten hatten eine Ahnung, was das sein könnte. Sie warnten die anderen, in dem sie von den alten Erzählungen berichteten, die von grausamen Wesen handelten. Menschenähnliche Wesen, die mit Mutationen verunstaltet waren. Ziegenköpfe mit großen Hörnern, Fell an den entblößten Stellen der Körper, Beine die in Hufen ausliefen und begleitet wurden sie von noch schrecklicheren Bestien. So hatte man ihnen von den Tiermenschen erzählt, die schon in manchen Wäldern des Imperiums ihr Unwesen getrieben haben sollen.
Erstaunte Gesichter wandten sich den Alten zu, als sie von diesen Schrecknissen des finsteren Waldes berichteten. Sollte das jetzt ihr Schicksal sein? Nachdem sie so viel Arbeit in den Aufbau ihrer kleinen Siedlung gesteckt hatten? Das konnte nicht wahr sein, denn endlich hatten sie hier einen Flecken Land gefunden, der sie ernähren konnte, von dem sie nicht weggejagt worden waren.
Sie waren nicht viele, doch seit ihrer Flucht aus Sylvania vor sieben Jahren, hatte man sie überall wieder vertrieben, wo immer sie sich auch niedergelassen hatten. Nur hier nicht, hier war alles anders. Anfangs beäugte man sie äußerst skeptisch aus dem benachbarten Dorf. Doch mit dem Ablauf von einigen Wochen, erkannten ihre Nachbarn, dass sie nichts Böses im Sinn hatten. Man besuchte sich sogar gegenseitig, tauschte und handelte mit Saatgut, Lebensmitteln und Werkzeugen.
Doch in einem Punkt konnte man sich nicht einig werden: Die Bewohner des benachbarten Dorfes ermahnten die Neuankömmlinge eindringlich, ihre Siedlung mit einer Wehranlage zu versehen, einer hölzernen Palisade, die man gut gegen Angreifer verteidigen könnte. Wozu sollte so etwas in dieser friedlichen Gegend wie dieser hier denn nützlich sein? Im Gegenteil, es würde nur Arbeitskraft unnütz verschwenden, denn die Bestellung des Bodens, der Bau von Häusern, Scheunen und Ställen war doch viel wichtiger. Und über die Zeit vergaß man die Warnungen der Nachbarn einfach.
Hätte man doch besser auf sie hören sollen?
Das Heulen und Brüllen wurde immer lauter. Dann begann der Boden ganz leicht zu vibrieren. Ein dumpfes Grollen und Donnern wurde immer lauter.
Nun bekamen sie es mit der Angst zu tun. Mütter rissen ihre Kinder mit sich, Männer ihre Frauen, Junge die Alten und alle liefen sie, so gut sie konnten, zurück zur Siedlung, um sich in ihren armseligen Holzhütten zu verstecken oder zu verschanzen. Die Männer bewaffneten sich mit allem möglichen, was sie in die Finger bekamen. Mistgabeln, Schaufeln, Sensen, Äxte und Knüppel, einfach alles, an dem man sich festhalten konnte und meinte, dass man sich damit verteidigen könne.
Dann kamen sie über sie. Zuerst flogen Pfeile, brennend, schwarz gefiedert, auf die Dächer herab und entzündeten die ersten Hütten. Manch einer der Siedler rannte noch zum Brunnen in der Mitte der Siedlung, um Wasser zum Löschen zu holen. Doch dort wurden die meisten von ihnen von schrecklichen Hunden oder auch Wolfswesen angefallen und buchstäblich zerrissen. Die Überlebenden konnten nur entsetzt zuschauen und bevor sie sich zu irgendeiner Handlung durchringen konnten, kam auch ihre Verdammnis. Aus dem Waldrand brachen aberhunderte von tierartigen Menschenwesen, mit einem ohrenbetäubenden Gebrüll, hervor.
Sie drangen einfach in die Hütten ein, ohne auf großen Widerstand zu stoßen. Die Holztüren wurden einfach aus ihren Angeln gerissen oder in Windeseile zerhackt.
Das mussten diese Tiermenschen sein, von denen die Alten kurz vorher berichtet hatten. Doch dieses Wissen nutzt einem im Angesicht des sicheren Todes gar nichts. Wie in einem Blutrausch löschten diese Bestien jegliches Leben in der Siedlung aus. Sie machten nicht Halt vor Frauen und Kindern, niemand konnte von ihnen Gnade erfahren.
Nachdem jeder Widerstand ausgelöscht war, machten sich die Tiermenschen ans Plündern. Und als da nichts mehr zu holen war, zündeten sie alle Hütten, Scheune und Ställe an. Was nicht brennen wollte wurde kaputt geschlagen, kein Stein blieb auf dem anderen. Sämtliches Vieh, egal ob Schweine, Rinder oder Pferde, nahmen sie mit sich. Dann verließen sie die Siedlung in Richtung Nordstraße und brannten als letztes dann auch noch die Felder nieder.
Als ihr Brüllen nicht mehr zu hören war, die Erde nicht mehr von ihren Hufen erbebte, legte sich eine gespenstische Ruhe über das, was von der Siedlung noch übrig geblieben war. Schwelende Balken, rauchende Trümmer, knisternde Glut, das Knacken brennenden Holzes war alles, was noch zu hören war.
Langsam, ganz langsam kämpfte sich das Licht durch den dichten Rauch und es würde noch lange dauern, bis der Qualm sich gänzlich verziehen würde.
Blutlachen konnte man überall auf dem Boden sehen, doch nur selten einen Leichnam. Und wenn da doch einer war, sah man nur furchtbare Verstümmelungen.
Dieses Massaker hatte niemand überlebt, dieser grausame Überfall hatte die gesamte Siedlung vernichtet.
Und doch regte sich dort im Dornengebüsch am Waldrand etwas. Die Blätter erzitterten, die Äste bewegten sich ganz leicht. Wäre jemand dort gewesen, hätte er das leise Schluchzen und Weinen hören können, das diese verlorene, hier mutterseelenallein gelassene, kleine Gestalt von sich gab.
Sie war doch nur kurz im Wald gewesen, um ein paar Beeren zu sammeln und hatte sich versteckt als sie die ersten Geräusche gehört hatte. Als sie sich dann aus ihrem Versteck heraus geschlichen hatte, sah sie diesen Anblick und konnte es nicht fassen. Was sollte sie nun tun? Ohne ihre Eltern, ohne ihre Freunde, ohne die Nachbarn, ohne auch nur irgendjemandem, der sich um sie kümmern konnte?
Wo sollte sie hin und was sollte sie machen, wenn diese Bestien wieder zurückkommen sollten?
An wen sollte sie sich jetzt wenden? Sie war doch erst zehn Jahre alt und so ängstlich. Doch dann reifte ein Entschluss in ihr: Nur weg hier, nur weg von diesem Ort des Grauens! – Sie musste sie warnen, die netten Leute aus dem Nachbardorf … falls sie es noch rechtzeitig schaffen sollte!