Oh, ich hatte Unrecht, als ich früher ausgeführt hatte, dass östlich dieser Berge die Nehekhari-Städte zu Settras Zeit noch unentwickelt seien, weil im Armeebuch S. 65 lang und breit über König Phar von Mahrak berichtet wird, der sich als letzter König Settra widersetzte. Naja...
So, bei diesem Kapitel hab ich mich inspirieren lassen von Csernai Zoltán: "Az özönvíz balladája" (Deutsch: Ballade von der Sintflut). Ein ziemlich cooles Buch, aus dem ich im Wesentlichen meine Kenntnisse über mesopotamische Kampftechniken habe...
Papyrus IV
Der Skarabäus hatte sich noch nicht wiedergeboren, als fürchtete er sich vor dem, was an diesem Tage unter seinem Licht geschehen würde. Auch die Luft war erfüllt von Vorahnung, die der so zuversichtlichen Prophezeiung der Priester Hohn spottete, und die Farben, die die tägliche Ankunft des Lichtes verkündeten, waren dumpfer, blutiger als sonst, vertrieben langsam die samtene Dunkelheit, in die der Himmel noch gehüllt war.
Den Menschen, die sich in der Nacht vor Bhagar versammelt hatten, drückte etwas aufs Gemüt. Sie plauschten und gähnten zwar, doch verhaltener als sonst, formierten sich gemäß der Anweisungen ihrer Befehlshaber und erwarteten mit bangem Herzen den anbrechenden Morgen.
In Blöcken stand sie da, die Armee von Bhagar. Vorbei war die Stunde der Tränen, vorbei die Abschiede, die weinenden Frauen, die guten Ratschläge an die Söhne. Nun standen die Männer hier, geordnet nach Stand und Waffe.
Auf dem Übungsplatz mit seinem festgetretenen Boden, an einer Ecke eingerahmt von zwei Kasernengebäuden aus Lehmziegeln, waren die Streitwägen aufgereiht. Sie gehörten dem hohen Adel, den vornehmsten Kriegern, den Helden, den Streitern aus den Familien des Fürsten und der Ersten Krieger. Ordentlich, wie es sich für sie gehörte, hatten sie ihre kupferbeschlagenen, ziselierten Kriegsgefährte nach dem Vorbild des Wagens der Chnesmet aufgefahren und standen jetzt schon bereit. Sie selbst waren in bunte, teure, aber für den Kampf geeignete Tuche gekleidet und warteten auf den Fürsten, ließen sich von ihren Dienern Getränke und leichte Speisen bringen.
Auf der Schutthalde außerhalb der Stadt hingegen war die große Zahl der Fußtruppen versammelt. Sie standen noch durcheinander, tuschelten und plauschten gedämpft, wurden von ihren Offizieren umhergescheucht. Aus den Kammern des Palastes waren die Handwerker und Bauern mit Speeren und Klingen ausgestattet worden, die sie auch nach der Art von Handwerkern und Bauern hielten, mehrmals wurden sie von ihren Befehlshabern angefaucht und lauthals belehrt, wieder und wieder, wie sie die wertvollen Waffen zu halten hatten. So durcheinander sie auch standen, eine Trennung war sehr deutlich: die Ziegenhirten, die schlanken hellhäutigen mit ihren Bögen standen deutlich abseits, waren im Stillen mit sich selber beschäftigt, hatten nichts übrig für die lauten Bhagri. Sie hatten ihre eigenen Waffen, und nicht wenige von ihnen waren mit Hornbögen ausgestattet, mächtige Jagdwerkzeuge, deren Pfeile fürchterlich im Leib der Getroffenen wüteten, wenn sie trafen. Bereits gruppiert schienen sie nur auf einen geheimen Befehl zu warten.
Und zwischen den mächtigen fürstlichen Streitwägen und den Haufen von Fußsoldaten warteten die Krieger von niedrigem Adel aus den Familien der Wachen, die Söhne Des Djola, die Reiter von Bhagar auf ihren kräftigen, geschmückten Pferden, die Speere bereit, die Schulterkragen verziert mit Bildnissen von Djola Dem Reiter.
Sie alle warteten auf ihren Herrn, Netezhetekh, Sohn des Bhagra, der sie in den Sieg gegen den Goldenen führen sollte.
Inmitten der geschäftigen Stille, inmitten der lockeren Erwartung trafen zwei Männer zusammen.
„Warum so missmutig, Erster Krieger?“, fragte Soba mit der jugendlichen Frische, die er sich über all die Jahre bewahrt hatte, was schon einiges bedeutete, da er fast sein viertes Jahrzehnt beendet hatte. „Wir werden siegen, du wirst sehen.“
Ezek, der Erste Krieger, war dürr geworden, zäh wie ein Knochen, das Gesicht wie in Stein gehauen. Seine Augen verloren sich in einem Gewirr von Falten, sein Bart war vor Jahren schon ergraut, und eigentlich gehörte er schon längst in das Grab des Fürsten, um auf ihn zu warten. Fand Soba.
„Mh.“
„Ist es das, was du den jungen Soldaten sagst: 'mh'? Die werden sich freuen.“ Das Lächeln war von Sobas Gesicht verflogen, er war nicht mehr Schalk.
„So also tauchst du ihre Herzen in Mut, so wappnest du sie für die bevorstehende Schlacht? Erster Krieger, ich beuge mich vor deiner Ehre, aber wäre...“
Ezekh hob die Hand.
Wie sie so dastanden, der aufrechte Soba, der gebeugte Ezekh, im herandämmernden Morgen inmitten der Wartenden, man hätte sie für zwei Feinde halten können, die sich für das entscheidende Gefecht in der Mitte des Schlachtfeldes getroffen hatten.
„Geht es denn den fürstlichen Kriegern gut?“
Soba wartete kurz, bevor er darauf antwortete. Das hatte er sich in Gesprächen mit Ezekh über die Jahre angewöhnt.
„Ja. Sie freuen sich auf unseren Sieg.“
„Dann ist dein Platz bei den Männern, die deine Führung dringender brauchen.“
Ezekh sah dem davonstapfenden Soba hinterher.
Hathis war nicht gütig zum Fürsten gewesen. Sie hatte Bekthut nach dem Fürst-Sohn Nehem nur drei jüngere Töchter geschenkt, und der zweite Sohn war mit sechs Jahren verstorben.
Nehem hatte sich von seiner Mutter und seinen Schwestern verabschiedet und war nun auf dem Weg zu seinem Vater, als er auf den Gängen des Palastes plötzlich Kepherakhte traf. Sie schien auf ihn gewartet zu haben, denn sie stand unsicher an der Ecke einer Kreuzung und hielt die Arme vor der Brust verschränkt. Dennoch lächelte sie schwach, als sie ihn sah.
„Was tust du hier?”
„Ach, was tu ich hier; wie ein verliebtes Mädel wart ich hier auf dich, weil mir die Sorge das Herz zerreißt.”
Nehem wusste darauf nichts zu antworten.
„Ich mein”, fuhr sie mit abgewandtem Gesicht fort, „ich bin ja verheiratet, und es war nur ein dummer Kindertraum, aber...”
Er zog einen Faden unter dem Schulterkragen hervor und ließ lächelnd den Hundezahn vor ihrer Nase baumeln. Sie konnte die Tränen nicht mehr unterdrücken und drückte sich schluchzend an ihn.
„Und was... und was, wenn du nicht mehr wiederkommst? Wenn du als Fraß der Geier auf dem Schlachtfeld...” Der Rest ging in einem unartikulierten Heulen unter. Er hielt sie an beiden Oberarmen gefasst vor sich und meinte trocken: „Es wird schon alles gutgehn. Es bin ja nicht ich, der die Truppen anführt.”
Sie musste auflachen und kam von ihm frei, knuffte ihn in den Oberarm, bevor er weiter den Gang entlangging.
Am Palastfenster stand Netezhetekh und blickte auf seine Truppen, wie sie vor der Stadt auf ihn warteten. Nehem stand noch im kühlen Schatten und wartete auf seinen Vater.
„Zu selten ist dieser Anblick, erhebend zwar, und doch: ein Bote des Untergangs.“
Der Fürst seufzte und merkte, dass er wieder mit sich selber gesprochen hatte.
„Vater?“ Nehem, in der Dunkelheit.
„Es ist... nichts. Es ist nichts.“ Netezhetekh sah seinem Sohn in die Augen. „Ach, mein Sohn, mein einziger Sohn, die Ungenannten haben mir einen bösen Alptraum geschickt, und ich kann mich aus ihren Fängen nicht befreien. Aber siehe, Der Skarabäus, er soll die Ängste der Nacht vertreiben und uns Herz und Geist mit Mut und Zuversicht füllen.“
Nein, von der Weissagung des Priesters wollte der Fürst seinem Sohn nichts sagen.
„Komm. Eines, eines musst du verstehen, eines darfst du nicht vergessen.“ Seine Silhouette zeichnete sich gebieterisch vor dem Licht des Fensters ab, wie er sich vor Nehem stellte, ihm zärtlich die Hände auf die Schultern legte.
„Wir sind die Kinder Bhagras, in deinem Leib fließt sein Blut und in meinem, und die Götter haben es so gefügt, dass wir über Bhagar herrschen. Nie darf sich das ändern, denn zu Staub würden unsere Gräber verfallen, sollte je ein fremder Herrscher die Macht über unsere Stadt erlangen, und Bhagra selbst würde uns in die Hallen der Namenlosen stürzen, wenn wir so gegen ihn freveln! Wie dieser Tag auch ausgehen wird, egal, ob mit Sieg oder Blut und Tod, denke immer an dieses eine: was du auch immer tust, nichts ist wichtiger, als dass das Blut Bhagras in unserer Stadt herrscht! Und wenn die Häuser und Gräber zu Staub verfallen, wenn Seuchen Mensch und Vieh dahinraffen, selbst wenn der Herrscher von Bhagar nur ein Schatten früherer Herrscher, ein Knecht mächtiger Könige ist, wenn er krank auf seinem Thron sieht, wie das Land um ihn verfault, selbst dann darf er nicht den Göttern verkünden, dass er nicht mehr Herrscher von Bhagar sein will! Denn solange das Blut Bhagras auf dem Thron von Bhagar sitzt, wird es für die Stadt und die Menschen eine Zukunft geben! Und wenn dir die Ungeformten den Verstand rauben, dieses eine, dieses eine merke dir, mein Sohn: das Blut Bhagras muss immer in Bhagar herrschen!“
Der Fürst atmete aus. Er war ihn Wallung geraten, doch jetzt sollten sie vor die Truppen treten, und da stand ihm die Sorge nicht gut zu Gesicht. Nehem hatte stumm den Ausführungen seines Vaters gelauscht und hoffte, dass er das nie vergessen würde. Sie traten aus dem Palastturm auf den Innenhof, wo der fürstliche Streitwagen schon wartete, den beide erstiegen und dann Nehems Ross mitführend hinausritten.
„Der Götter Segen liegt auf Netezhetekh, Fürst Von Bhagar, Freund Von Numas, Er, Der Den Goldenen Bezwingen Wird, und Nehem, Fürst-Sohn, Meister Der Klinge, Hoffnung Von Bhagar! Wir grüßen sie! Wir grüßen sie! Wir grüßen sie!“
Aus aller Munde kam der Gruß, hallte durch die Gassen, verklang in der Ebene. Klingen wurden gehoben, Speere und Standarten, die ganze Macht der Stadt versammelt in glänzenden Rüstungen und wallenden Stoffen, stattlichen Tieren und entschlossenen Menschen.
Zu gerne hätte der Fürst das alles verschoben. Der Hohepriester hatte ihm mit sorgenvoller Miene vom Tod gesprochen, aber Netezhetekh hatte keine Wahl gehabt: Sekekh hatte ihm aus Numas einen Boten geschickt, dass der Goldene unterwegs war. Settra, der mit allen Traditionen der Altvorderen brach, sich einen blutigen Pfad in die Aufzeichnungen der Schreiber schnitt, Settra der Frevler war niemand, mit dem Netezhetekh sich auf die Alten Pfade einigen hätte können.
Selbstverständlich hatten die Priester dem Volk nur Gutes prophezeit. Stolz hatten sie die Geburt eines Zickleins mit flammend rotem Fell verkündet, wie es einst geschah, als Bhagra selbst vor dem Bitteren König der Khemiti fortgezogen und sich dort niedergelassen hatte, wo heute Bhagar stand. Der Fürst hatte neben dem Priester gestanden, der das Tierchen hochhob und dem Volk gezeigt hatte, und Netezhetekh hatte gesehen, dass die Arme des Priesters rot waren von Farbe wie das Fell...
Der Wille der Götter war etwas, wogegen Menschen nicht ankämpfen konnten. Nicht konnten, und aber auch nicht durften. So war er gezwungen, sich den Göttern zu beugen, weil der Goldenen ihnen trotzte. Settra der Frevler, der es versuchte, in allem wollte er der erste sein, so wusste Netezhetekh von Ezekh, der bei Verhören khemrischer Krieger am Hof von Numas dabei gewesen war. Größer, prächtiger, erster...
Die Gräber seiner Ahnen. Der Fürst fürchtete um sie, aber mehr noch fürchtete er den Gedanken, dass niemand mehr vom Blut Bhagras übrigbleiben könnte, um über die Stadt zu herrschen. Settra hatte in allen unterjochten Städten bewiesen, dass er vernichtete, was ihm nicht passte...
„Vater?“ Der Klang der Stimme seines Sohnes holte Netezhetekh zurück in die Gegenwart. Sie waren schon ganz nahe bei den Truppen angekommen, und er hatte sie noch nicht begrüßt. So hob er beide Arme und ließ sich umjubeln, so ritt er weiter, sich seine Armee anzuschaun. Inzwischen waren alle Soldaten ordentlich in Reih und Glied und eines Fürsten würdig.
„Vater?“
Netezhetekh wandte leicht den Kopf.
„Vater, ich sehe, die Männer sind in Blöcken von zehn mal sechs aufgestellt und hinter ihnen Schützen in Blöcken von drei mal sechs... ich werde herausfinden, wer sie so aufgestellt hat und das ändern lassen. Zehn Peitschenhiebe...“
„Warte.“ Der Fürst bedeutete seinem Sohn zu bleiben, und der sah ihn fragend an.
„Das hast du gut erkannt, mein Sohn, ich bin zufrieden mit dir. Das ist die Aufstellung von Ezekh. Erinnerst du dich, wer die Truppen das letzte Mal aufgestellt hat?“
Nehem überlegte. „Der Zweite Krieger.“
„Und warum?“
„Weil der Erste Krieger krank darniederlag.“
„Genau. Und sag: wessen Aufstellung traust du mehr?“
Nehem überlegte. Er mochte den schelmischen Soba mehr als den griesgrämigen Ezekh, aber es hatte bestimmt seinen Grund, warum der Fürst den Alten zum Ersten Krieger gemacht hatte und nicht Soba.
„Der Aufstellung des Ersten Kriegers.“
„Warum?“
Nehem schwieg betreten.
„Dann lass mich das sagen, mein Sohn: jeder zu seiner Zeit. Gegen die Wilden Menschen vor zwei Jahren war die ungestüme Art von Soba recht, aber hier... hier brauchen wir Umsicht und Erfahrung, wenn das Blut Bhagras auf dem Thron bleiben soll. Merk dir für die Zeit, wenn du Fürst bist: wähle deine Krieger immer so, dass sie sich ausgleichen. Denken UND stürmen. Zwei Männer, die sich gegenseitig im Zaum halten. Verstehst du?“
Nehem nickt, verstand aber nicht. Vielmehr wunderte er sich, wie sich Erster und Zweiter Krieger des Fürsten so lange NICHT umgebracht hatten.
Mächtiger Hörner Schall erklang, und die Armee Netezhetekhs, die Armee von Bhagar setzte sich in Bewegung.
Zu beiden Seiten der ebene verlor sich die Armee des Goldenen im Staub. Türkisbesetzte Rüstungen, mit Bronze verzierte Waffen aus Numas, Quarz- und Rosenquarz aus Quatar, Aquamarin und ein Hauch salziger Brise aus Zandri, und natürlich die prächtigsten golddurchwirkten Stoffe aus Khemri... Wie winzig erschien demgegenüber die kupferne Streitmacht aus Bhagar...
Stumm standen sich die beiden ungleichen Blöcke gegenüber. Sie warteten in der Hitze des Skarabäus Am Gipfel.
Netezhetekh lehnte am Geländer des fürstlichen Streitwagens und hielt die Augen nach Veränderungen in den Reihen des Feindes offen. Die Priester hatten ihm das Zicklein mit dem flammenden Fell mitgegeben, mit ihm sollte es als Glücksbringer in die Schlacht reiten. Der Fürst wusste zwar, wie wichtig das Tierchen für die Männer war, aber inzwischen waren seine Beine rot von der Farbe, das Tierchen stank und winselte gelegentlich, nach seiner Mutter, dachte Netezhetekh sich, wenn das Geräusch ihm zu Bewusstsein kam. Beim Feind rührte sich nichts, den Goldenen sah er nicht, nur das Wort des Settra mit der goldenen Standarte hoch über den Köpfen.
Ähnlich düster stand der Erste Krieger bei seinem Fürst, die Stirn in ein Gebirge von Falten gelegt, ansonsten... steinern. Die Männer mieden ihn.
Wie anders hingegen der Zweite Krieger und der Fürst-Sohn! Soba und Nehem streiften durch die Truppen, sprachen aufmunternde Worte, gaben Rat, versprachen Sieg und Ruhm. Soba war voll freudiger Erregung, sich gegen diesen übermächtigen Gegner zu behaupten, und Nehem, dessen erste Schlacht das war, breitete all sein erlerntes Wissen um die Kriegsführung aus. Die Soldaten aber, die die Armee des Goldenen gesehen hatten, wollten sich von dem übereifrigen Jüngling kaum mehr überzeugen lassen, dass das Flammende Zicklein und der Fürst den mächtigen Vernichter Von Feinden würden bezwingen können und standen in Schweiß vor Hitze und Angst.
Ein Zeichen.
Es begann.
So, bei diesem Kapitel hab ich mich inspirieren lassen von Csernai Zoltán: "Az özönvíz balladája" (Deutsch: Ballade von der Sintflut). Ein ziemlich cooles Buch, aus dem ich im Wesentlichen meine Kenntnisse über mesopotamische Kampftechniken habe...
Papyrus IV
Der Skarabäus hatte sich noch nicht wiedergeboren, als fürchtete er sich vor dem, was an diesem Tage unter seinem Licht geschehen würde. Auch die Luft war erfüllt von Vorahnung, die der so zuversichtlichen Prophezeiung der Priester Hohn spottete, und die Farben, die die tägliche Ankunft des Lichtes verkündeten, waren dumpfer, blutiger als sonst, vertrieben langsam die samtene Dunkelheit, in die der Himmel noch gehüllt war.
Den Menschen, die sich in der Nacht vor Bhagar versammelt hatten, drückte etwas aufs Gemüt. Sie plauschten und gähnten zwar, doch verhaltener als sonst, formierten sich gemäß der Anweisungen ihrer Befehlshaber und erwarteten mit bangem Herzen den anbrechenden Morgen.
In Blöcken stand sie da, die Armee von Bhagar. Vorbei war die Stunde der Tränen, vorbei die Abschiede, die weinenden Frauen, die guten Ratschläge an die Söhne. Nun standen die Männer hier, geordnet nach Stand und Waffe.
Auf dem Übungsplatz mit seinem festgetretenen Boden, an einer Ecke eingerahmt von zwei Kasernengebäuden aus Lehmziegeln, waren die Streitwägen aufgereiht. Sie gehörten dem hohen Adel, den vornehmsten Kriegern, den Helden, den Streitern aus den Familien des Fürsten und der Ersten Krieger. Ordentlich, wie es sich für sie gehörte, hatten sie ihre kupferbeschlagenen, ziselierten Kriegsgefährte nach dem Vorbild des Wagens der Chnesmet aufgefahren und standen jetzt schon bereit. Sie selbst waren in bunte, teure, aber für den Kampf geeignete Tuche gekleidet und warteten auf den Fürsten, ließen sich von ihren Dienern Getränke und leichte Speisen bringen.
Auf der Schutthalde außerhalb der Stadt hingegen war die große Zahl der Fußtruppen versammelt. Sie standen noch durcheinander, tuschelten und plauschten gedämpft, wurden von ihren Offizieren umhergescheucht. Aus den Kammern des Palastes waren die Handwerker und Bauern mit Speeren und Klingen ausgestattet worden, die sie auch nach der Art von Handwerkern und Bauern hielten, mehrmals wurden sie von ihren Befehlshabern angefaucht und lauthals belehrt, wieder und wieder, wie sie die wertvollen Waffen zu halten hatten. So durcheinander sie auch standen, eine Trennung war sehr deutlich: die Ziegenhirten, die schlanken hellhäutigen mit ihren Bögen standen deutlich abseits, waren im Stillen mit sich selber beschäftigt, hatten nichts übrig für die lauten Bhagri. Sie hatten ihre eigenen Waffen, und nicht wenige von ihnen waren mit Hornbögen ausgestattet, mächtige Jagdwerkzeuge, deren Pfeile fürchterlich im Leib der Getroffenen wüteten, wenn sie trafen. Bereits gruppiert schienen sie nur auf einen geheimen Befehl zu warten.
Und zwischen den mächtigen fürstlichen Streitwägen und den Haufen von Fußsoldaten warteten die Krieger von niedrigem Adel aus den Familien der Wachen, die Söhne Des Djola, die Reiter von Bhagar auf ihren kräftigen, geschmückten Pferden, die Speere bereit, die Schulterkragen verziert mit Bildnissen von Djola Dem Reiter.
Sie alle warteten auf ihren Herrn, Netezhetekh, Sohn des Bhagra, der sie in den Sieg gegen den Goldenen führen sollte.
Inmitten der geschäftigen Stille, inmitten der lockeren Erwartung trafen zwei Männer zusammen.
„Warum so missmutig, Erster Krieger?“, fragte Soba mit der jugendlichen Frische, die er sich über all die Jahre bewahrt hatte, was schon einiges bedeutete, da er fast sein viertes Jahrzehnt beendet hatte. „Wir werden siegen, du wirst sehen.“
Ezek, der Erste Krieger, war dürr geworden, zäh wie ein Knochen, das Gesicht wie in Stein gehauen. Seine Augen verloren sich in einem Gewirr von Falten, sein Bart war vor Jahren schon ergraut, und eigentlich gehörte er schon längst in das Grab des Fürsten, um auf ihn zu warten. Fand Soba.
„Mh.“
„Ist es das, was du den jungen Soldaten sagst: 'mh'? Die werden sich freuen.“ Das Lächeln war von Sobas Gesicht verflogen, er war nicht mehr Schalk.
„So also tauchst du ihre Herzen in Mut, so wappnest du sie für die bevorstehende Schlacht? Erster Krieger, ich beuge mich vor deiner Ehre, aber wäre...“
Ezekh hob die Hand.
Wie sie so dastanden, der aufrechte Soba, der gebeugte Ezekh, im herandämmernden Morgen inmitten der Wartenden, man hätte sie für zwei Feinde halten können, die sich für das entscheidende Gefecht in der Mitte des Schlachtfeldes getroffen hatten.
„Geht es denn den fürstlichen Kriegern gut?“
Soba wartete kurz, bevor er darauf antwortete. Das hatte er sich in Gesprächen mit Ezekh über die Jahre angewöhnt.
„Ja. Sie freuen sich auf unseren Sieg.“
„Dann ist dein Platz bei den Männern, die deine Führung dringender brauchen.“
Ezekh sah dem davonstapfenden Soba hinterher.
Hathis war nicht gütig zum Fürsten gewesen. Sie hatte Bekthut nach dem Fürst-Sohn Nehem nur drei jüngere Töchter geschenkt, und der zweite Sohn war mit sechs Jahren verstorben.
Nehem hatte sich von seiner Mutter und seinen Schwestern verabschiedet und war nun auf dem Weg zu seinem Vater, als er auf den Gängen des Palastes plötzlich Kepherakhte traf. Sie schien auf ihn gewartet zu haben, denn sie stand unsicher an der Ecke einer Kreuzung und hielt die Arme vor der Brust verschränkt. Dennoch lächelte sie schwach, als sie ihn sah.
„Was tust du hier?”
„Ach, was tu ich hier; wie ein verliebtes Mädel wart ich hier auf dich, weil mir die Sorge das Herz zerreißt.”
Nehem wusste darauf nichts zu antworten.
„Ich mein”, fuhr sie mit abgewandtem Gesicht fort, „ich bin ja verheiratet, und es war nur ein dummer Kindertraum, aber...”
Er zog einen Faden unter dem Schulterkragen hervor und ließ lächelnd den Hundezahn vor ihrer Nase baumeln. Sie konnte die Tränen nicht mehr unterdrücken und drückte sich schluchzend an ihn.
„Und was... und was, wenn du nicht mehr wiederkommst? Wenn du als Fraß der Geier auf dem Schlachtfeld...” Der Rest ging in einem unartikulierten Heulen unter. Er hielt sie an beiden Oberarmen gefasst vor sich und meinte trocken: „Es wird schon alles gutgehn. Es bin ja nicht ich, der die Truppen anführt.”
Sie musste auflachen und kam von ihm frei, knuffte ihn in den Oberarm, bevor er weiter den Gang entlangging.
Am Palastfenster stand Netezhetekh und blickte auf seine Truppen, wie sie vor der Stadt auf ihn warteten. Nehem stand noch im kühlen Schatten und wartete auf seinen Vater.
„Zu selten ist dieser Anblick, erhebend zwar, und doch: ein Bote des Untergangs.“
Der Fürst seufzte und merkte, dass er wieder mit sich selber gesprochen hatte.
„Vater?“ Nehem, in der Dunkelheit.
„Es ist... nichts. Es ist nichts.“ Netezhetekh sah seinem Sohn in die Augen. „Ach, mein Sohn, mein einziger Sohn, die Ungenannten haben mir einen bösen Alptraum geschickt, und ich kann mich aus ihren Fängen nicht befreien. Aber siehe, Der Skarabäus, er soll die Ängste der Nacht vertreiben und uns Herz und Geist mit Mut und Zuversicht füllen.“
Nein, von der Weissagung des Priesters wollte der Fürst seinem Sohn nichts sagen.
„Komm. Eines, eines musst du verstehen, eines darfst du nicht vergessen.“ Seine Silhouette zeichnete sich gebieterisch vor dem Licht des Fensters ab, wie er sich vor Nehem stellte, ihm zärtlich die Hände auf die Schultern legte.
„Wir sind die Kinder Bhagras, in deinem Leib fließt sein Blut und in meinem, und die Götter haben es so gefügt, dass wir über Bhagar herrschen. Nie darf sich das ändern, denn zu Staub würden unsere Gräber verfallen, sollte je ein fremder Herrscher die Macht über unsere Stadt erlangen, und Bhagra selbst würde uns in die Hallen der Namenlosen stürzen, wenn wir so gegen ihn freveln! Wie dieser Tag auch ausgehen wird, egal, ob mit Sieg oder Blut und Tod, denke immer an dieses eine: was du auch immer tust, nichts ist wichtiger, als dass das Blut Bhagras in unserer Stadt herrscht! Und wenn die Häuser und Gräber zu Staub verfallen, wenn Seuchen Mensch und Vieh dahinraffen, selbst wenn der Herrscher von Bhagar nur ein Schatten früherer Herrscher, ein Knecht mächtiger Könige ist, wenn er krank auf seinem Thron sieht, wie das Land um ihn verfault, selbst dann darf er nicht den Göttern verkünden, dass er nicht mehr Herrscher von Bhagar sein will! Denn solange das Blut Bhagras auf dem Thron von Bhagar sitzt, wird es für die Stadt und die Menschen eine Zukunft geben! Und wenn dir die Ungeformten den Verstand rauben, dieses eine, dieses eine merke dir, mein Sohn: das Blut Bhagras muss immer in Bhagar herrschen!“
Der Fürst atmete aus. Er war ihn Wallung geraten, doch jetzt sollten sie vor die Truppen treten, und da stand ihm die Sorge nicht gut zu Gesicht. Nehem hatte stumm den Ausführungen seines Vaters gelauscht und hoffte, dass er das nie vergessen würde. Sie traten aus dem Palastturm auf den Innenhof, wo der fürstliche Streitwagen schon wartete, den beide erstiegen und dann Nehems Ross mitführend hinausritten.
„Der Götter Segen liegt auf Netezhetekh, Fürst Von Bhagar, Freund Von Numas, Er, Der Den Goldenen Bezwingen Wird, und Nehem, Fürst-Sohn, Meister Der Klinge, Hoffnung Von Bhagar! Wir grüßen sie! Wir grüßen sie! Wir grüßen sie!“
Aus aller Munde kam der Gruß, hallte durch die Gassen, verklang in der Ebene. Klingen wurden gehoben, Speere und Standarten, die ganze Macht der Stadt versammelt in glänzenden Rüstungen und wallenden Stoffen, stattlichen Tieren und entschlossenen Menschen.
Zu gerne hätte der Fürst das alles verschoben. Der Hohepriester hatte ihm mit sorgenvoller Miene vom Tod gesprochen, aber Netezhetekh hatte keine Wahl gehabt: Sekekh hatte ihm aus Numas einen Boten geschickt, dass der Goldene unterwegs war. Settra, der mit allen Traditionen der Altvorderen brach, sich einen blutigen Pfad in die Aufzeichnungen der Schreiber schnitt, Settra der Frevler war niemand, mit dem Netezhetekh sich auf die Alten Pfade einigen hätte können.
Selbstverständlich hatten die Priester dem Volk nur Gutes prophezeit. Stolz hatten sie die Geburt eines Zickleins mit flammend rotem Fell verkündet, wie es einst geschah, als Bhagra selbst vor dem Bitteren König der Khemiti fortgezogen und sich dort niedergelassen hatte, wo heute Bhagar stand. Der Fürst hatte neben dem Priester gestanden, der das Tierchen hochhob und dem Volk gezeigt hatte, und Netezhetekh hatte gesehen, dass die Arme des Priesters rot waren von Farbe wie das Fell...
Der Wille der Götter war etwas, wogegen Menschen nicht ankämpfen konnten. Nicht konnten, und aber auch nicht durften. So war er gezwungen, sich den Göttern zu beugen, weil der Goldenen ihnen trotzte. Settra der Frevler, der es versuchte, in allem wollte er der erste sein, so wusste Netezhetekh von Ezekh, der bei Verhören khemrischer Krieger am Hof von Numas dabei gewesen war. Größer, prächtiger, erster...
Die Gräber seiner Ahnen. Der Fürst fürchtete um sie, aber mehr noch fürchtete er den Gedanken, dass niemand mehr vom Blut Bhagras übrigbleiben könnte, um über die Stadt zu herrschen. Settra hatte in allen unterjochten Städten bewiesen, dass er vernichtete, was ihm nicht passte...
„Vater?“ Der Klang der Stimme seines Sohnes holte Netezhetekh zurück in die Gegenwart. Sie waren schon ganz nahe bei den Truppen angekommen, und er hatte sie noch nicht begrüßt. So hob er beide Arme und ließ sich umjubeln, so ritt er weiter, sich seine Armee anzuschaun. Inzwischen waren alle Soldaten ordentlich in Reih und Glied und eines Fürsten würdig.
„Vater?“
Netezhetekh wandte leicht den Kopf.
„Vater, ich sehe, die Männer sind in Blöcken von zehn mal sechs aufgestellt und hinter ihnen Schützen in Blöcken von drei mal sechs... ich werde herausfinden, wer sie so aufgestellt hat und das ändern lassen. Zehn Peitschenhiebe...“
„Warte.“ Der Fürst bedeutete seinem Sohn zu bleiben, und der sah ihn fragend an.
„Das hast du gut erkannt, mein Sohn, ich bin zufrieden mit dir. Das ist die Aufstellung von Ezekh. Erinnerst du dich, wer die Truppen das letzte Mal aufgestellt hat?“
Nehem überlegte. „Der Zweite Krieger.“
„Und warum?“
„Weil der Erste Krieger krank darniederlag.“
„Genau. Und sag: wessen Aufstellung traust du mehr?“
Nehem überlegte. Er mochte den schelmischen Soba mehr als den griesgrämigen Ezekh, aber es hatte bestimmt seinen Grund, warum der Fürst den Alten zum Ersten Krieger gemacht hatte und nicht Soba.
„Der Aufstellung des Ersten Kriegers.“
„Warum?“
Nehem schwieg betreten.
„Dann lass mich das sagen, mein Sohn: jeder zu seiner Zeit. Gegen die Wilden Menschen vor zwei Jahren war die ungestüme Art von Soba recht, aber hier... hier brauchen wir Umsicht und Erfahrung, wenn das Blut Bhagras auf dem Thron bleiben soll. Merk dir für die Zeit, wenn du Fürst bist: wähle deine Krieger immer so, dass sie sich ausgleichen. Denken UND stürmen. Zwei Männer, die sich gegenseitig im Zaum halten. Verstehst du?“
Nehem nickt, verstand aber nicht. Vielmehr wunderte er sich, wie sich Erster und Zweiter Krieger des Fürsten so lange NICHT umgebracht hatten.
Mächtiger Hörner Schall erklang, und die Armee Netezhetekhs, die Armee von Bhagar setzte sich in Bewegung.
Zu beiden Seiten der ebene verlor sich die Armee des Goldenen im Staub. Türkisbesetzte Rüstungen, mit Bronze verzierte Waffen aus Numas, Quarz- und Rosenquarz aus Quatar, Aquamarin und ein Hauch salziger Brise aus Zandri, und natürlich die prächtigsten golddurchwirkten Stoffe aus Khemri... Wie winzig erschien demgegenüber die kupferne Streitmacht aus Bhagar...
Stumm standen sich die beiden ungleichen Blöcke gegenüber. Sie warteten in der Hitze des Skarabäus Am Gipfel.
Netezhetekh lehnte am Geländer des fürstlichen Streitwagens und hielt die Augen nach Veränderungen in den Reihen des Feindes offen. Die Priester hatten ihm das Zicklein mit dem flammenden Fell mitgegeben, mit ihm sollte es als Glücksbringer in die Schlacht reiten. Der Fürst wusste zwar, wie wichtig das Tierchen für die Männer war, aber inzwischen waren seine Beine rot von der Farbe, das Tierchen stank und winselte gelegentlich, nach seiner Mutter, dachte Netezhetekh sich, wenn das Geräusch ihm zu Bewusstsein kam. Beim Feind rührte sich nichts, den Goldenen sah er nicht, nur das Wort des Settra mit der goldenen Standarte hoch über den Köpfen.
Ähnlich düster stand der Erste Krieger bei seinem Fürst, die Stirn in ein Gebirge von Falten gelegt, ansonsten... steinern. Die Männer mieden ihn.
Wie anders hingegen der Zweite Krieger und der Fürst-Sohn! Soba und Nehem streiften durch die Truppen, sprachen aufmunternde Worte, gaben Rat, versprachen Sieg und Ruhm. Soba war voll freudiger Erregung, sich gegen diesen übermächtigen Gegner zu behaupten, und Nehem, dessen erste Schlacht das war, breitete all sein erlerntes Wissen um die Kriegsführung aus. Die Soldaten aber, die die Armee des Goldenen gesehen hatten, wollten sich von dem übereifrigen Jüngling kaum mehr überzeugen lassen, dass das Flammende Zicklein und der Fürst den mächtigen Vernichter Von Feinden würden bezwingen können und standen in Schweiß vor Hitze und Angst.
Ein Zeichen.
Es begann.
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