Kapitel II: König und Kaiser, Loyalist und Verräter
Nervös schritt Rawke im Haupthangar auf und ab. Er war das Warten durchaus gewöhnt, und gerade im Orbit über Nova Britia mussten Zivilisten mit einer Wartezeit von bis zu fünfzehn Stunden rechnen. Militär und Regierung gaben sich mit immerhin noch fünf Stunden zufrieden. Und selbst die königliche Familie musste nicht selten bis zu zwei Stunden auf den Transit warten. Rawke und seine Männer warteten jetzt eine halbe Stunde im Hangar, und als Rawke zum hundertsten Mal Kehrt machte, kündigte eine automatische Stimme die Erlösung an. Rawke war angenehm überrascht. Er machte sich klar, dass der Titel eines Großinquisitors
anscheinend genügend Autorität mit sich brachte, sieben Luxusfähren, denn Luxusfähren waren es, die gerade mit einem Zischen aufsetzten, innerhalb einer halben Stunde dazu zu bewegen, eine Haufen Soldaten zu einem Marinestützpunkt an der Südgrenze zum Bezirk Scotia zu transportieren. Die Hydraulik der Einstiegsrampen zischte. „Auf geht’s! Ein bisschen Bewegung, meine Herren!“, befahl Rawke ins Kasernenhoflautstärke. Rawke schulterte seinen Rucksack und stieg über die Luke in die Fähre. Die Fähre war mit teuren Sitzgarnituren aus rotem Samt ausgestattet, die Lehen waren vergoldet. In groteskem Gegensatz dazu standen die Sicherheitsgurte, die aus den Rückenlehnen ragten. Rawke nahm Platz und legte den Gurt an. Er war die harten Metallbänke und Sicherheitsbügel der Landungsboote der Flotte gewöhnt. Auf gepolsterten Garnituren sitzend und von angenehmen Gurten angeschnallt zu reisen, war zumindest in seiner Militärkarriere eine neue Erfahrung. Früher, als Kind, war er diesen Luxus gewöhnt gewesen, denn die Handelsgilde seines Vaters war schon damals unumstrittener Marktführer im Vertrieb von Luxusartikeln und Agrarerzeugnissen gewesen und so hatte er eine dementsprechend unbeschwerte Kindheit genießen können. Doch dann war er, zum einen, um der Tradition willen, zum anderen, weil er es selbst wollte, zur Marine und später zu den Commandos gegangen. Als man ihn nach der Offiziersausbildung vor die Wahl gestellt hatte, Garnisonsdienst zu leisten oder der Imperialen Armee beizutreten, um seine Heimat im ganzen Sektor zu verteidigen, war er kurz entschlossen eingetreten und den 1st Commandos zugeteilt worden. Während seine Gedanken in Richtung seiner Familie schweiften, beschleunigten die Fähren und traten in die Atmosphäre ein. Rawke wurde tief in die Samtpolster gepresst. Die Kälte und Weite des Alls wich dem blauen Himmel über Nova Britia. Die Fähren bremsten leicht ab, und langsam entspannte sich Rawke. Die Gurte lösten sich automatisch. Plötzlich wurden, ebenfalls automatisch, wie es schien, Jalousien zu beiden Seiten des Passagierabteils und Sonnenlicht flutete herein. Die Sonne ging grade unter, und Rawke konnte nun die Landschaft, die er zuvor nur auf eine Bildtafel in seiner Armlehne hatte beobachten können, genauer betrachten. Unter ihm lag das Hochland, das praktisch unbewohnt schien. Rawke jedoch erkannte eine Fluss und mehrere Ruinen und wusste, dass sie nun über einem Nachbargut seines Vaters waren. In der Ferne konnte er nun das Meer glitzern sehen, und die Fähre sank noch etwas tiefer. Die Fähre beschleunigte wieder etwas, und nach wenigen Augenblicken rauschten sie über die Klippen hinweg. Die Fähre legte sich in die Kurve und rauschte nun auf den Marinestützpunkt Lympston zu. Er lag, von Klippen flankiert und gut Geschützt in einer Bucht. Die Außenanlagen auf Meeresniveau bestanden aus ein paar Piers, an denen kleine Patrouillenboote vertäut waren. Zur Rechten und Linken waren mehrere Plastahltore, deren Höhe und Breite jeweils etwa fünfzehn Meter betrug, und hinter denen die leichten Angriffsschiffe lagen. Offiziell war Lympston natürlich ein Marinestützpunkt, diente aber auch als inoffizielles Trainingszentrum für die Spezialeinheiten der PVS und der Commandoregimenter, die der Imperialen Armee zu geteilt wurden. Die Fähren bremsten ab und glitten über die Piers hinweg auf eine Hangar zu, der etwa in 100 Metern Höhe in den Fels gegraben war. Die Fähren bremsten weiter ab und glitten in den Hangar, stoppten dann in der Luft und setzten dann mit einem sanften Ruck auf. Rawke erhob sich und folgte seinem Stab aus der Fähre. Ein Offizier, den Rangabzeichen nach ein Major, erwartete sie bereits. Er salutierte. Rawke erwiderte den Salut und sah den jungen Mann dann fragend an. „Willkommen in Lympston, Sir. Ich bin Major Williamson und gehöre demnächst zu ihrem Regiment. Außerdem wurde ich eingeteilt, sie einzuweisen. Ich werde jemanden abstellen, um ihren Männern die Quartiere zu zeigen. Ich werde ihnen und den anderen Offizieren ihre Räume zeigen. Dann sollten sie ihre Paradeuniform anlegen. Commodore Wessex, der Stützpunktkommandant, hat für heute Abend ein Stabsessen angesetzt, um sie zu begrüßen und mit ihrem Offizierskorps vertraut zu machen.“
„Vielen Dank…Major…“, sagte Rawke langsam.
„Wenn sie mir dann folgen mögen.“, sagte Williamson.
Rawke wandte sich um und winkte Sykes und MacMillan zu sich. Mehr Offiziere waren nicht übrig. Sie folgten Williamson aus dem Hangar hinaus auf einen belebten Korridor. Angehörige der Marine und des JSOC, des Joint Special Operations Command liefen eilig über die Gänge und grüßten die Gruppe von Offizieren im Vorbeigehen knapp. Sie bogen in einen Seitengang ab und stiegen in einen Fahrstuhl. Williamson drückte auf einen Knopf und der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung. Während sie nach unten ratterten, dachte Rawke mit Unwillen an das bevorstehende Stabsessen. Er hasste solche Angelegenheiten, weil sie seiner Auffassung nach ausschließlich dafür gemacht waren, Orden spazieren zu tragen. Es war nicht so, dass Rawke keine Orden hatte. Er war mit dem Machariuskreuz und, nach seiner Verwundung auf Trevia, mit dem Roten Ehrenkreuz ausgezeichnet worden. Letzteres hatte er natürlich noch nicht erhalten. Wahrscheinlich würde sich der Commodore die Gelegenheit nicht nehmen lassen, ihm den Orden persönlich anzustecken. Bei dem Gedanken an die Paradeuniform schauderte er. Er hatte nichts gegen Paradeuniformen, aber sie waren einfach zu steif und unbequem, um sie zum Essen tragen zu können. Zumindest musste er nicht den Tropenhelm, den normale Soldaten zu diesen Gelegenheiten zu tragen hatte, aufziehen, sondern konnte sich mit einer Schirmmütze schmücken. Ansonsten bevorzugte er seinen Kampfanzug und sein Barett.
Der Fahrstuhl hielt, die Tür öffnete sich scheppernd und sie verließen den Fahrstuhl. Williamson führte sie um eine Ecke und wies auf die ersten drei Zimmer auf dem Gang. Rawke öffnete seine Tür und betrat eine luxuriöses Quartier, dass ohne jede Übertreibung das Prädikat „Suite“ verdient hätte. Er musste unwillkürlich die Augen verdrehen. Luxus für Offiziere war auf Nova Britia Tradition, allerdings war er selbst als Colonel noch nie in einer solchen Suite untergebracht gewesen. Williamson trat in den Türrahmen. „Ist alles soweit zu ihrer Zufriedenheit, Sir?“
„Ja, vielen Dank Williamson. Ich werde jetzt meine Paradeuniform anlegen.“
„Ich werde mich dann ebenfalls umziehen und auf dem Flur warten, Colonel.“
„Gut, danke.“
Williamson salutierte, verließ den Raum und schloss die Tür hinter sich. Rawke setzte den Seesack ab und erinnerte sich daran, dass er ja gar keine Paradeuniform hatte. Einem Impuls folgend, öffnete er den Kleiderschrank und fand vor, was er erwartet hatte. Eine Paradeuniform.
Eine Viertelstunde später eilten Rawke, Sykes und MacMillan, alle in Paradeuniform dem jungen Major hinterher. Sie kamen an eine Doppeltür aus dunklem Holz. Williamson öffnete die Tür und gab damit den Blick auf einen luxuriös ausstaffierten Speisesaal frei. Rawke trat ein. Ein Offizier in der weißen Paradeuniform der Marine wandte sich um. Er schien etwa fünfzig Jahre alt zu sein, trug einen imposanten Schnauzer und eilte ihm entgegen. Rawke salutierte und schüttelte dann die dargebotene Hand.
„Commodore Wessex…?“, fragte Rawke zögernd.
„Allerdings! Willkommen in Lympston!“, dröhnte es ihm aus dem freundlichen, aber erfahrenen Gesicht entgegen. „Kommen wir gleich zur Sache. Ich möchte das hier hinter mich bringen, damit wir mit dem Essen beginnen können.“, sagte er und zog das Rote Ehrenkreuz aus seiner Tasche, pinnte es Rawke neben dessen Machariuskreuz an die Brust.
„Sehr gut!“, sagte Wessex zufrieden. „Dann kann das Essen ja beginnen. Nach der Vorspeise stelle ich ihnen alle vor.“
Na wunderbar...Rawke konnte es kaum erwarten.