Herbst des Mittelalters?
I) Recherche, Miniaturen & Regeln
Disclaimer: Was ich hier beschreibe, ist mein Weg zu einer historischen Wargaming-Armee. Kein Goldstandard, keine Pflicht, vielleicht nicht mal ein besonders guter Weg. Ich habe natürlich eine Meinung, was „richtig“ ist, zwinge sie aber niemandem auf und will das auch nicht so verstanden wissen.
Spätmittelalter – das klingt nach Ende der Geschichte. Nach dem letzten Rest vom "dunklen Mittelalter", bevor endlich die Sonne der Neuzeit aufgeht. Auf jeden Fall nach nem wilden Mix aus Untergangsstimmung und ganz viel Noch-Nicht. Dabei stammt vieles, was als "typisch mittelalterlich" gilt, erst aus dieser Schlussphase. Ritter in glänzender Rüstung, die sich im Turnier vom Pferd schubsen, sind nur das bekannteste Beispiel. Gleichzeitig produziert die Zeit als Übergang – was Formen von Recht, Herrschaft oder auch bloß Steuerzahlungen angeht – zahllose Konflikte. Die werden in lokalen Fehden und regelrechten Kriegen gleichermaßen ausgetragen. Potential für jede Art Wargamer also.
Wie fängt man an?
Wer meine Threads kennt, kennt die Antwort. Übers Lesen geht mir nix. Weil ich mit dem Thema "Burgunderkriege" starte, nehme ich das auch als Beispiel.
Mehr als mein sonstiger Nischenkram hat das Spätmittelalter auch unter Wargamern schon ein gewisses Standing. Drum kann man ganz links auch gleich mit Themenheften einschlägiger Journale wie der
Wargames, Soldiers & Strategy einsteigen. Hier findet man Übersichten zu passenden FIguren, Szenarien und vielleicht auch Inspiration fürs Bemalen. Für mich schwankt das immer sehr zwischen oberflächlichem Teaser und Ergänzungskram für alte Hasen.
Zum Einlesen in die historischen Zusammenhänge eignet sich deutlich besser etwas wie das
Medieval Warfare Magazine (inzwischen umgewidmet zu
Medieval World). Da schreiben überwiegend Fachleute für ein allgemeines Publikum.
Gut ergänzen lässt sich das mit klassischer Militär- und Rüstungskunde à la
Osprey. Das Heft oben ist ziemlich alt, die Basics stimmen aber – auch weil Gerry Embleton zu den Gründervätern des modernen Geschichtstheaters (aka Reenactment/Living-History) für das Thema zählt.
Spezieller – und nach dem Brexit nur teuer zu bekommen – ist das maschinengetippte Heft der englischen
Lance & Longbow Society. Nirgends sonst gibt es aber eine Beschreibung der Personen, persönlichen Banner und sonstigen Kleidervorschriften in der burgundischen Armee unter Karl dem Kühnen.
Diese tragische Figur selbst war Gegenstand einer internationalen Ausstellung anno 2008, und natürlich gab's dazu einen standesgemäß dicken
Katalog. Der zeigt den burgundischen Hof in seinem ganzen Prunk und Protz, damals und auf lange Zeit Vorbild für ganz Europa. Dank der tollen Fotos kriegt man die Tür kaum zu.
Kein Glück für Lesefaule
In Film, Fernsehen und Videospielen hat's das späte 15. Jahrhundert erstaunlich schwer. Es wird eher mitverhandelt oder nur angeteasert. Wahrscheinlich schreckt Kostümbildner die schwierig zu fakende Zivil- und Rüstungsmode. Die Handvoll Bearbeitungen der Rosenkriege (z. B.
The White Queen oder
The Hollow Crown) kann man deshalb getrost vergessen. Ironischerweise fast am besten schneidet noch
The Black Adder ab.
Im Gamedesign dagegen stellt die Epochenschwelle um 1500 eine unüberbrückbare Hürde dar, ob für Tech Trees oder das Storytelling. Das frühere Jahrhundert kommt dagegen besser weg: mit Filmen wie "The King" (um
Henry V) und "The Messenger" (um
Jeanne d’Arc) oder Spielen wie "Kingdom Come: Deliverance" (Böhmen 1403) und "Manor Lords" (ähnliches Setting wie KCD). Auf der anderen Seite gibt es für die Zeit ab 1500 ebenfalls schlagartig mehr. Viel Spaß hatte ich hier zuletzt mit
"Pentiment".
Wer sich aber ein bisschen ernsthafter unterhalten lassen will, kann das seit ein paar Jahren auf diversen YouTube-Kanälen. Stellvertretend genannt sei hier das
Geschichtsfenster. Wenn man mit der Art der Präsentation klarkommt, werden hier sehr brauchbare Infos zur mittelalterlichen Geschichte und besonders zum späten 15. Jahrhundert geboten.
Und was ist jetzt so toll dran?
Nicht von ungefähr ist das späte auch als
"Herbst des Mittelalters" bezeichnet worden. Es ist vor allen Dingen eine sehr farbige Zeit, inhaltlich wie äußerlich. Fast jeder damals ist modebewusst, trägt bunte und figurbetonte Klamotten. Selbst die Rüstungen der Zeit werden wie Kleidungsstücke behandelt, und es gibt die tollsten "Schnitte". Als eine Art "Zeit zwischen den Epochen" bringt das späte 15. Jahrhundert außerdem schillernde Persönlichkeiten hervor – Leute wie Karl der Kühne und Richard III. sind "moderne" Machtmenschen und sterben doch im ritterlichen Schlachtgetümmel; Gutenberg bastelt um 1450 seine Druckerpresse und verlegt damit sehr erfolgreich "typisch mittelalterliche" Heiligenbildchen und Ablassbriefe. Die Zeit ist also im Wortsinn spannend.
Gleichzeitig erreicht für viele Fans das "Age of Armour" im späten 15. Jahrhundert seinen Höhepunkt. Veranschaulichung und so:
Bitte nicht an den Jahreszahlen festbeißen! Auch fehlt mir fürs frühe 16. Jahrhundert noch ein passender Stand-In. Fans der Alten Welt und Karl Franzens haben aber eine ganz gute Vorstellung, was in der Zeit so Rüstmode war. Erkennbar ist hoffentlich auch so, dass der Trend zu immer weiter geschlossenen Harnischen um 1460 erfüllt ist. Ab 1500 kehrt sich die Entwicklung um – aus verschiedenen Gründen, nicht bloß weil der Beschuss mit Schwarzpulverwaffen ständig zunimmt. Das ist dann aber eine andere Geschichte.
Wer hier noch überzeugt werden muss, dass fette Rüstungen nicht nur top aussehen, sondern auch wirklich funktionieren, mag sich zum Schluss noch dieses oder jedes andere Video von Daniel Jaquet ansehen.