Beim Lesen der ganzen apologetischen, ja regelrecht empörten Beiträge ist mir wieder schlagartig klar geworden, warum Eltern bisweilen in dieser Angelegenheit überreagieren. Dieses reflexartige Aufbauen von vermeintlichen Feindbildern und Vorwürfen, die lediglich eine zu vernachlässigende Minderheit aufstellt (nämlich, dass Gewaltspiele per se zu gewalttätigerem Verhalten führen), mit gleichzeitigem Entfesseln der angestauten Wut darüber in einem Rundumschlag führt eben nicht dazu, dass eine differenzierte Diskussion nur im Ansatz entstehen kann.
Besonders erschreckend finde ich in dem Zusammenhang, dass Benutzer, die sonst einen reflektierteren Umgang mit Kausalitäten zu pflegen geruhen, ebenfalls dieses dumme Analogon ziehen (d.i. dasjenige, was besagt, dass Amokläufer nicht nur Gewaltspiele spielten, sondern auch Brot äßen und Wasser tränken, was nunmehr auch in die Relation bezogen werden müsse), das zwar objektiv freilich stimmt, von dem aber doch der Allerletzte wissen sollte, wie wenig hieb- und stichfest es ist.
Tatsache ist: die Studien zu der Influenz von Computerspielen in Bezug auf die Psyche (oder sogar noch spezifischer: auf das Gewaltverhalten) ergeben kein einheitliches Bild. Es gibt um Objektivität bemühte Langzeitstudien, die sehr vorsichtig die einzelnen Testergebnisse präsentieren, es gibt zahlreiche offensichtlich von präjudizierten Auftraggebern erstellte Studien, die marktschreierisch das eine oder andere Ergebnis in die Welt zu tragen versuchen, es gibt - wie so oft - auch viele Studien, die in Wirklichkeit keine sind, sondern mit dubiosen und suggestiven Fragebögen den Anschein erwecken. Wir haben es mit einer Palästra zu tun, mit einem ungeordneten Mosaikfeld.
Hinlänglich erforscht ist die Wirkung auf den Locus caeruleus: die Hirnchemie und die fortwährende Reorganisation von Synapsenschnittstellen und Dendriten erhält durch das Computerspielen besondere Stimuli, die insbesondere bei dauerndem Nützen der Spiele zuhöchst nachteilig wirken. Die Vigilanz lässt bei sehr vielen Benutzern wenig bis signifikant hoch (abhängig vom Individuum, Spiel und -verhalten) nach, die Konzentrationsdefizite wieder auszugleichen kann ein mühsamer Prozess werden. Ich betone sehr prononciert: diese Veränderungen können
auch unmerklich klein sein, selbst bei exzessivem Nachgehen in der Computerwelt. Es tun sich andererseits auch erschreckende Kluften auf.
Der Schluss aus dieser neuen Aufmerksamkeitsspanne ist eben auch, dass die
Amygdala (zumindest nach vorläufigen, mir bekannten Untersuchungen; wir können es aber auch gerne auf das Limbische System im Allgemeinen ausdehnen) anderweitig die Emotionen reguliert, das Aggressionspotential kann bei verkürzter Aufmerksamkeitsspanne steigen, auch hier ist es ein sehr gradueller, von Mensch zu Mensch verschiedener Prozess, inwieweit das geschieht. Die besondere Violenz mancher Spiele stimuliert die
Amygdala (direkt wie indirekt [für Zweiteres s.o.]) denn auch in einem wesentlich höheren Maße als z.B. Tetris oder Computerschach, es ist also evident, dass es einen Einfluss hat. Der kann lächerlich gering sein, er kann aber auch zu erhöhtem Aggressionspotential führen, der nicht mehr geringfügig ist.
Ein weiterer Gesichtspunkt ist die Immersion: das Nachahmen der violenten Persönlichkeit, das Konvergieren der Persönlichkeiten (fiktiv wie real) - in Zeiten immer erstaunlicher werdender Graphikleistungen und Langzeitmotivation wird es auch immer leichter, einen buchstäblichen Rollentausch mit Merkmalsaustausch und -ergänzung zu begehen.
Nun ahne ich an dieser Stelle, dass argumentiert wird, eine "schwache" Persönlichkeit verschlimmere hier lediglich die Symptome, wo doch das ursächliche Leiden so oder so da gewesen sei. Auf diese Thesis kann wohl niemand eine vernünftige Antwort geben, ich für meinen Teil kann mir gut vorstellen, dass das gelegentlich zutrifft. Andererseits: wenn die Spielewelt diese Latenz, die sonst in dieser Intensität
nie aufgetreten wäre, "sublimiert" hat, liegt indes eine Ätiologie zugrunde. Bisweilen ist aus pragmatischer Sicht nur die tatsächliche Intensität von Bedeutung und nicht das Grundleiden, wenn es nicht aufflammt. Nolens volens erhalten die Spiele ein Bedeutung in dem Zusammenhang. Und wenn es womöglich nicht nur "schwache" Persönlichkeiten trifft (wovon wir sicherlich auch ausgehen dürfen, alleine aufgrund der Wahrscheinlichkeit), besteht ohnehin eine Ursächlichkeit.
Ich bin sehr dafür, dass man, wie ihr es tut, darauf hinweist, dass die Stigmata, die die bekennenden Computerspielverächter den Spielern zufügen sollen, nicht nachzuweisen sind. Aber trotz der eigenen Betroffenheit ist es nicht immer verkehrt, grundlegende Fakten aufzugreifen, die tendentiell eher gegen die eigene Position ausschlagen - ganz so einfach ist es ja bekanntlich nie.