WHFB Questritter- Das Leben des Jerome de Montfort

Es ist lange her, seitdem ich mich hier gemeldet habe. Der Grund ist ein einfacher, der Mangel an Zeit.

Die Geschichte ist noch nicht zu Ende, tatsächlich fehlen einige Kapitel, aber ich komme einfach nicht so vorwärts, wie ich es mir gedacht habe.

An dieser Stelle ein Dank an Alle, die sich bei mir mit Anregungen, Kritik und Lob gemeldet haben. Ich bin daran, die nächsten Seiten zu schreiben. Versprechungen, wann sie erscheinen werden, möchte ich nicht abgeben, das erscheint mir zu spekulativ.

ABER es geht defintiv weiter. Noch 2,3 Kapitel, dann werde ich diesen Teil abschließen. Die Ideen für den nächsten Teil habe ich schon im Kopf 🙄
 
Ich habe jetzt alles verschlungen was Jerome de Montfort so erlebt hat. Wau Welch geniale Rittergeschichte. Ich mag Betrand der in allem den Aspekt des gesunden Menschenverstandes darstellt und außerdem noch bessere Manieren hat als so mancher Ritter. 😎
Fand den Kommentar von Morgiana einfach köstlich. 😀

Ich hoffe das du demnächst wieder mehr zeit hast um diese wundervolle Geschichte weiter zu erzählen.

Bitte Bitte schreib weiter ich muss unbedingt gucken, wie´s weitergeht...

FÜR DIE HERRIN :horse:
 
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4.13 Der gemeine Spitzdorn

Der Wind blies heftig und zeigte keinerlei Mitleid mit seinen müden, alten Knochen. Volker Rainheim seufzte, ein sinnloses Unterfangen, da niemand ihn hier hören konnte. Die Tannen ächzten unter der sich ankündigenden Sturmfront und die zuvor große Schneelast ihrer Äste wirbelte durch die Luft, bis sie in abertausend im Mondlicht blinzelnden Schneeflocken zu Boden sackte. Trotz all der Mühsal war es wichtig, dass er hierher gekommen war. Zwar war damit ein gewisses Risiko verbunden, sich in so unsicheren Zeiten so weit von Burg Montfort zu entfernen, aber ein Zauberer hatte nun einmal gewisse Pflichten, die solch ein Wagnis erforderlich machten. Gewisse Pflanzen entfalteten ihre höchste Kraft nur zu bestimmten Mondphasen. Und so skurril es sich auch anhörte, eine ganz besondere Gattung war nur um diese Jahreszeit zur Ernte reif. Die Bretonier hielten diese Pflanze für ein wucherndes Unkraut, das ihre Felder und Viehweiden heimsuchte.

Rainheim schüttelte den Kopf, angesichts solchen Unwissens. Wie barbarisch dieses Land doch war! Doch Rainheim musste ehrlicherweise eingestehen, dass auch in seinem Heimatland, dem Imperium, nur wenige Eingeweihte von den Kräften des gemeinen Spitzdorns wussten. Im Frühling, Sommer und Herbst waren ihre spitzen, scharfkantigen Blätter giftig. Vieh starb mit schrecklich aufgeblähten Bäuchen, wenn es davon gefressen hatte. Doch die Kälte, der Winterschlaf, oder irgendeine andere Ursache, darüber stritten sich namhafte Gelehrte schon seit Jahren, veränderte den gemeinen Spitzdorn und aus ihm konnte ein wichtiger Heilextrakt gewonnen werden.

Und deshalb war Volker Rainheim hier. Als Zauberer war er auch in Alchemie und Heilkunde unterrichtet worden. Seine geheimen, mächtigen Lehrmeister an der Imperialen Magierakademie des Grauen Ordens in Altdorf hatten darauf bestanden, dass ihre Zöglinge ein möglichst umfangreiches Wissen erlangten. Die Grauen Wächter hatten sich einem Leben im Dienst des Imperiums verschrieben, stets auf der Wacht gegen die zahlreichen Bedrohungen, und legten deshalb eine strenge Ausbildung an den Tag. Tatsächlich waren einige von Rainheims längsten Narben nicht einer Konfrontation mit entschlossenen Gegnern, sondern seinem Training an der Akademie geschuldet. Doch dies war der Preis, den ein Zauberer des Grauen Ordens, den jeder imperialer Zauberer zahlen musste. Die gemeine Bevölkerung begegnete ihnen mit Misstrauen weil sie unwissend waren, was einen Zauberer ausmachte. Doch Rainheim musste sich selbst eingestehen, dass ihre Angst vor Seinesgleichen mehr als berechtigt wäre, wenn die Menschen wüssten, wie nah man durch den Gebrauch der Magie am Abgrund entlang wandelte. Die acht Winde der Magie, die den Aspiranten der imperialen Magierakademien gestattet waren, hatten alle einen Ursprung. Beim Gedanken daran, erschauderte Rainheim unwillkürlich. Ihre Quelle lag im Chaos, im stoffgewordenen Bösen selbst, dessen Portal in der weit im Norden unwirtlichen Chaoswüste lag.

Auch dies war ein Wissen, das nur wenigen Eingeweihten bekannt war. Zu ihrem eigenen Schutz, wie Volker Rainheim zustimmte. Er konnte sich nur an den alles verändernden Moment erinnern, als ihm die geheimen Meister seines Ordens Zugang zu den streng bewachten Büchern gewährt hatten, die tief verschlossen in den düsteren Eingeweiden ihrer Akademie aufbewahrt wurden. Mehrere mächtige Magier hatten ihn damals umringt, er hatte sie zwar nicht gesehen, aber ihre Präsenz gefühlt. Und er hatte sich keiner Illusion hingegeben. Sein Orden sah Potential in ihm, dies war der letzte Schritt seiner Initiation zu einem Magier. Doch zugleich waren sie auch bereit, ihm beim geringsten Zeichen von Makel zu beseitigen. Volker Rainheim war damals, während er die schreckliche Wahrheit gelesen hatte, an die Grenzen seines Verstandes gekommen, doch er hatte diese Linie, von der es kein Zurück mehr gab, nicht überschritten. Er war ein Grauer Wächter, ein einsamer Kämpfer gegen die Finsternis, ein Krieger an Fronten, von denen ein Normalsterblicher zu seinem eigenen Seelenheil niemals erfahren würde.

Es war diese Ausbildung, die ihn unvermittelt aus seinen tiefgründigen Gedanken riss. Lag es an dem kalten, pfeifenden Wind, der den eisigen Schnee unerbittlich in sein gerötetes Gesicht trieb und ihn aufmerken ließ. Noch während er darüber nachdachte registrierte sein feines, gründlich trainiertes Gehör ein Geräusch, über den pfeifenden Wind und das Knirschen seiner Schritte auf dem eisverkrusteten Boden hinweg. Schneller als man es einem so alten Mann zutrauen würde, reagierte Volker Rainheim. Ein Pfeil sauste durch das Dickicht, ließ die Zweige erbeben, zog auf seiner Flugbahn eine wirbelnden Schneespur hinter sich her. Er traf sein Ziel jedoch nicht, da sich der Zauberer urplötzlich in Luft aufgelöst zu haben schien. Zitternd blieb er im Stamm einer Tanne stecken und löste eine kleine Lawine aus Schnee aus.
Eine Zeit lang blieb es still.

Nur der Wind heulte vor sich her, der Schnee fiel, als wäre es nicht wenige Augenblick zuvor zu solch einer dramatischen Situation gekommen. Eine gefühlte halbe Ewigkeit später erschien eine Person auf der Bildfläche. Langsam und zaghaft, als wäre sie sich ihrer Lage nicht sicher, setzte sie einen Fuß vor den anderen und löste sich aus dem Dickicht. Eine Hand hielt den Bogen fest umklammert, die andere hatte bereits einen weiteren Pfeil für einen erneuten Schuss angelegt. Sie war klein, selbst für bretonische Verhältnisse. In Leder und Pelz gekleidet, wie ein fremdländischer Söldner. Das Gesicht erinnerte an einen Wiesel, hatte etwas Verschlagenes. Und es zeigte Verärgerung, aber keinerlei Reue darüber, dass der Schütze mit seinem Hinterhalt gescheitert war. Der Attentäter sondierte mit stechenden Augen die Umgebung nach seinem Opfer, doch erfolglos. Er drehte sich um, und rief etwas in das Dickicht, aus dem er gekommen war. Zwei weitere Gestalten kamen hervor. Zwei Hünen, ebenfalls in Pelz und Leder gekleidet mit breiten Schultern, ihren Proportionen nach zu urteilen. Der eine Hüne hielt einen Speer, der zweite eine furchterregende, zweischneidige Axt in seinen Händen.
Alle drei hatten eine dunklere Hautfarbe, die eindeutig bewies, dass sie aus einer Region stammten, die weitaus südlicher gelegen war, als Montfort. Und in der es auch deutlich wärmer war, wie Rainheim in seinem Versteck bitter bemerkte, da er zitterte. Er war sich sicher, dass es die Kälte war, die ihn frösteln ließ, und nicht das Adrenalin aufgrund der unerwarteten Vorkommnisse. Seine Meuchelmörder, den etwas anderes konnten sie gar nicht sein, wirkten ratlos und verärgert. Lauthals machten sie ihrem Ärger Luft in ihrer Sprache.

Tileanisch
, erkannte Rainheim nicht ohne ein gewisses Erstaunen. Die drei Attentäter begannen, die Umgebung genauer zu sondieren. Der Axtträger beugte sich hinab in den Schnee, um Rainheims Spur suchen. Der Schütze hielt seinen Bogen griffbereit und sah sich im Kreis um, bereit beim geringsten Anzeichen den tödlichen Schuss abzufeuern.

In seinem Versteck perfekt mit den Schatten verschmolzen wartend, beschloss Rainheim, dass es Zeit war zu handeln. Wie ein Wirbelwind kam er hervor, Schnee und Eis zur Seite wirbelnd. Lautlos, wie ein Schatten war er plötzlich unter seinen Gegner. Seine Fingerspitzen kribbelten, als er begann, die magischen Winde zu fokussieren. Ein Teil seines Bewusstseins , wie überraschend stark die magischen Winde in dieser Gegend waren. In der Ferne, nicht identifizierbar und dennoch zu spüren, befand sich ein Sammelpunkt. Doch im Moment musste sich Rainheim um andere Dinge kümmern, die weitaus wichtiger waren. Der Axtträger reagierte als Erster und schwang seine Waffe in einem vernichtenden Hieb gen Rainheim. Blitzender Stahl fuhr durch die Luft und enthauptete den Zauberer, dessen Schädel über den Boden kullerte. Doch dort löste er sich plötzlich in Rauchschwaden auf, genauso wie der übrige Torso. Rainheims höhnisches Gelächter verbreitete sich, ohne dass die drei Attentäter ihren Ursprung ausfindig machen konnten.
Eine Illusion, eine seiner leichtesten Übungen, die er bereits als Aspirant im zarten Knabenalter gemeistert hatte. Es wäre ein Leichtes gewesen, die ahnungslosen Narren abzuhängen, doch dafür war Rainheim eindeutig nicht in Stimmung. Unglaubliche Macht begann in ihm zu pulsieren, als er einen mächtigen Zauber zu weben begann. Mit geübten Fingern vollführte er die Gesten, während er leise die Beschwörungen vor sich hin murmelte. Die Schatten der Bäume schienen zu wachsen, der Wind begann stärker zu werden. Unsicher blickten die Attentäter um sich, als sie die Veränderung bemerkten. Der Speerträger machte einen Schritt zurück, doch Rainheim lächelte bitter.
Das würde ihn nun nicht mehr retten.

Wie ein Sturm kam Rainheim unter sein, mit wallendem Haar während ihn grüne Flammenzungen umgaben, die ihn jedoch nicht versengten, sondern ihn im Gegenteil noch bedrohlicher wirken ließen. Seine Stimme schwoll an, genauso wie die Energie, die sich in seiner rechten Hand bündelte. Sein Blut pochte in den Schläfen, so stark, dass er fast befürchtete, es würde seine Blutbahnen platzen lassen. Der Speerträger ließ vor Schreck seinen Speer fallen und wandte sich zur Flucht. Er war genau fünf Schritte weit gekommen, als ihn Rainheims Zauber von den Beinen holte. Fünf Splitter, Schatten und härter als Zwergenstahl durchbohrten seinen Rücken. Der Bogenschütze löste sich aus seiner Starre und feuerte einen Pfeil auf den Zauberer ab. Rainheim beschwor einen Abwehrzauber und das Geschoss löste sich in Nichts auf. Der Axtträger brüllte einen markerschütternden Kriegsschrei, der sogar das Tosen des Windes übertönte und warf sich auf Rainheim. Volker Rainheim wich den Hieben des Attentäters behände aus, indem er sich trotz seines Alters blitzschnell und spielerisch unter den zahlreichen Hieben und Schlägen der Axt wegduckte. Den Handrückenschlag sah er jedoch nicht kommen.
Volker Rainheims Welt drehte sich mehrmals.
Und er hatte plötzlich den metallischen Geschmack von Blut in seinem Mund. Ein Schatten fiel auf sein Gesicht. Der Axtträger beugte sich über ihn mit einem Grinsen im Gesicht, das wenig Gutes verhieß.

Rainheim lächelte trotz seiner gespaltenen Lippe und des schmerzenden Kiefers. Schatten waren genau sein Metier. Er sprach ein Wort aus. Seine alten Meister hatten es ihm in seiner jahrelangen, komplizierten Ausbildung beigebracht. Aber es verfehlte seine Wirkung nicht. Der Axtträger wurde in einem hohen Bogen zur Seite geschleudert und flog gegen eine Gruppe Fichten, wo er mit einem fürchterlichen anzuhörenden Krachen zu Boden ging, als ihm sein Rückgrat gebrochen wurde. Rainheim erhob sich und sah den Bogenschützen. Dieser war gerade dabei, einen weiteren Pfeil an seinen Bogen zu legen. Rainheim hob seine Hände wie ein Dirigent und sprach eine weitere Beschwörung aus. Ranken erhoben sich aus dem Boden und umwickelten den Attentäter wie einer der riesigen Würgeschlangen aus den Dschungeln der Südlande. Rainheim riss seine Arme auseinander, und die Ranken taten es ihm gleich. Ein Blutnebel erfüllte die Luft, färbte den Schnee widerlich rot.

So schnell wie der Zorn in ihm aufgestiegen war, so schnell verblasste dieser in Rainheim, als er das Gemetzel sah, dass seine Wut angerichtet hatte. Er wischte sich die schweißnassen Haarsträhnen und die Blutspritzer aus dem Gesicht und schalt sich innerlich einen Narren. Wie ein Anfänger hatte er es zugelassen, dass die Winde der Magie die Kontrolle über ihn übernommen hatten. Und diese Schweinerei war nun das Ergebnis! Ein erfahrener Zauberer wie er, hätte die Kräfte sinnvoll genutzt, die Feinde ausgeschaltet und einen aufgespart, um die Hintergründe des Attentats zu erfahren.
Als er den entzweigerissenen Leichnam des Bogenschützen sah, musste Rainheim gegen die aufsteigende Übelkeit ankämpfen, um sich nicht an Ort und Stelle zu übergeben. Er ging einige Schritt weiter um sich diesen Anblick zu ersparen und frische Luft zu schnappen. Es reichte allerdings nicht. Auch der Speerträger zweifellos tot. Die Schattensplitter waren bereits verschwunden, die furchtbaren Wunde, die sie geschlagen hatten, jedoch nicht. Aus diesem Mann könnte nicht einmal ein Morrspriester noch brauchbare Auskünfte erlangen. Dann hörte er es. Es war leiser als sein eigener Atem, und das Seufzen des Windes, als würde die Natur selbst über diesen Anblick klagen.

Doch Rainheim hörte das Wimmern und ging ihm auf den Grund. Er eilte zu dem Ursprung des Geräusches und hielt inne, als er es sah. Der dritte Attentäter, der Axtträger, lag unter den Tannenbäumen in einer widerlich verdrehten Körperhaltung. Er röchelte leise vor sich hin, offenbar ging es mit ihm zu Ende. Rainheim beugte sich über den Sterbenden und war sich der Ironie bewusst, dass noch vor wenigen Augenblicken die Positionen vertauscht waren.
Der Schattenmagier packte den Attentäter am Kragen. Unsanft, wie er selbst bemerkte. Offenbar war sein Zorn noch nicht vollständig verflogen. Ein Stöhnen verriet, dass diese Behandlung für den Verletzten alles andere als angenehm war. Rainheim ließ in seinem Druck nach und erhöhte ihn auf andere Art.
„Wer hat euch gesandt?“, fragte er auf Tileanisch. Obwohl schmerzverzerrt, zeigte sich doch ein Anflug von Überraschung auf dem wettergegerbten Gesicht, das so oft das gewaltsame Ende von Menschen gesehen hatte.
„Wer hat euch gesandt?“, wiederholte Volker Rainheim seine Frage. In seinem Gehirn rotierten die Vermutungen. Claude de Sanguine und seine Anhänger, jemand vom Hofe des –Herzogs, der ihm seine Stellung neidig war? Oder jemand mit einer Abneigung gegen Zauberer generell? Doch seine schlimmste Befürchtung war, dass es jemand gelungen war herauszufinden, weshalb er in diese rückständige Bretonia gekommen war. Seine geheimen Meister, denen er Eide der Loyalität geschworen hatte, waren es gewesen. Über Kanäle, die selbst er nicht ergründet hatte, durch mysteriöse Riten, die einem Magier seiner Stufe aus guten Gründen verwehrt blieben.
Sie hatten nur ihre Erkenntnisse mit ihm geteilt.

Eine bösartige Quelle würde sich im Herzogtum offenbaren. So abgrundtief und verdorben, dass sie das Ende des Herzogtums, ja sogar der angrenzenden imperialen Provinzen in den einem Strudel aus Leid und Dunkelheit hinabreißen würde. Das Chaos würde sich dort auf eine Art offenbaren, wie es das seit den großen Kriegen unter Magnus dem Frommen nicht mehr getan hatte. Rainheim schauderte immer noch bei der Erinnerung an einige der Visionen, die ihm seine Meister mitgeteilt hatten.
„Wer!“ Es war keine Frage mehr, vielmehr ein Befehl, den er mit seinem eisernen Willen unterstrich.
Der Attentäter wollte antworten, sein Mund war bereits geöffnet. Doch Rainheim sah etwas in dessen Augen, dass ihn zögern ließ. Es war wie die ansteigende Flut, die nach der Ebbe den Strand wieder für sich in Besitz nahm. Rainheim ließ den Attentäter los und hechtete zur Seite. Der Attentäter richtete sich auf und streckte seinen geöffneten Mund zum wolkenverhangenen Himmel. Doch statt einer Antwort löste sich ein Schrei von seinen Lippen. Dann begann sich sein Körper aufzublähen. Immer weiter, bis das Unausweichliche geschah. Es passierte so schnell, dass Rainheim noch nicht aus der Reichweite war. Der Attentäter explodierte förmlich von innen in einem Schwall aus Blut und Gedärmen, denen ein Feuerball folgte. Die Tannen wurden entwurzelt, Stämme wurden wie Streichhölzer geknickt.

Rainheim wirbelte mehrmals herum, Himmel und Erde drehten sich mehrfach. Schmerzen durchfuhren seinen Körper, der Geruch nach verbranntem Fleisch und Blut war überall. Zu seinem Entsetzen stellte er fest, dass es sein eigenes Fleisch und Blut war.
„Ver-, verdammtes Bretonia“, stammelte er mit gesprungen Lippen. Sein Gesicht war ein einziges Schlachtfeld, er blutete sich förmlich im Schnee aus. Die Schmerzen waren unerträglich. Als die Ohnmacht kam, begrüßte Volker Rainheim sie beinahe. Nur ein schwacher Rest seines Verstandes warnte ihn, dass er hier in der Wildnis unweigerlich zugrunde gehen würde, so ohne Hilfe, die ihm seinen schweren Wunden verband. Dann kam die Dunkelheit, vor die ihm seine Meister gewarnt hatten.
 
4.14 Im Namen des Königs

Das Rumpeln der Karrenräder war Musik in seinen Ohren. Galien de Monteux lachte still in sich hinein, als er das unverkennbare Klimpern der Münzen hörte, selbst durch die schwere Eisentruhe hindurch und über das Hufgeräusch der Zugochsen konnte er es hören. Schließlich war sein Ohr dafür geschult. Vorsichtig verlagerte er sein Gewicht, um nur ja nicht auf sich aufmerksam zu machen. In weniger als fünfzig Fuß Entfernung sah er sie. Die Kolonne bestand aus einigen Speerträgern, ein weitere Hinweis auf kostbare Fracht, die müde und geschlaucht aussahen, sowie dem Ochsenkarren samt Fuhrknecht.
Die Männer würden bald noch viel unglücklicher aussehen, dachte Galien grinsend. Er machte sich einen Vermerk, Ranald, dem Gott der Diebe ausgiebig für diesen Glücksfall zu danken. Schließlich galt Ranald als launiger Gott, der mit der einen Hand gab, und gleichzeitig mit der anderen nahm. Und diese Gruppe war wahrlich ein Glücksgriff, wie er nur selten vorkam. Mit dieser Beute war er fein aus dem Schneider.

Die ersten Wachen passierten sein Versteck, ihre Speerspitzen ragten bedrohlich in seine Richtung. Nur eine falsche Bewegung, und er würde aufgespießt werden. Ein Tritt zu viel, auf dem noch mit einem Rest von Schnee Ast, und er würde hinunter fallen, mitten unter die verdutzten Bewaffneten. Ein weiterer Grund, Ranald zu danken. Die Eiche, sein Versteck, war nun, mitten im Winter ihres sonst so prächtigen Laubwerks beraubt. Einzig die Disteln waren geblieben, Parasiten, die auf Kosten ihres Wirts lebten. Es war nur Recht und billig, für einen Mann seiner Profession, dass er hier Deckung suchte. Wären die Wachen nur ein wenig mehr aufmerksam gewesen, dann hätten sie Galien ohne jeden Zweifel entdeckt. Doch nun lag es an ihm, ihnen dafür eine Lektion zu erteilen. Selbst in Bretonia würde eine solche Sorglosigkeit nicht ungeschehen bleiben. Dies waren gefährliche Zeiten, und Galien war ein Grund, warum dem so war.

Mit flinker Behändigkeit schwang sich Galien aus seinem Versteck und landete auf der Ladefläche des Ochsenkarrens. Dies geschah so schnell und unvermutet, dass die Kolonne noch einige Fuß sich fortbewegte, bevor auch nur eine Reaktion einsetzte. Doch auch dieses Mal erwies sich Galien als reaktionsfreudiger. Noch bevor der Fuhrknecht sein Gespann zügeln konnte, war Galiens spitzte Klinge an seiner Kehle. Die Speerträger, Sechs an der Zahl, wirbelten herum und sahen zu ihrer Überraschung ein Mann in ihrer Mitte, der ihren Fahrer mit einer Waffe bedrohte. Dieser Mann, Galien war in schwarz gefärbtes Leder gekleidet. Schwarz war sein Mantel, mit einer weißen Borte und gold schimmernden Spange, die einen Fuchs darstellte. Schwarz war Rock mit weißem Hemd, schwarz die Hosen, allesamt von weißen Schnüren zusammengehalten. Eine, wie konnte es anders sein, keck ins spitzbübische Gesicht geschobene Kappe mit einer schwarz-weiß gestreiften Feder krönte die Erscheinung.

Langsam näherten sich die Waffenknechte, umzingelten den Ochsenkarren. Ihre Speere ragten bedrohlich in Galiens Richtung.
„Das ist nah genug!“, donnerte Galien und zwang den Fuhrknecht durch eine Bewegung des Dolchs, seinen Hals zu strecken. Die Drohung zeigte Wirkung, die Wachen blieben mit einem Schlag stehen, doch ihre Speere blieben in Angriffshaltung. Ein Patt, doch damit hatte Galien bereits gerechnet, als er sich aus seinem Versteck geschwungen hatte. Nun galt es abzuwarten, wer den ersten Zug machte.

„Was wollt Ihr?“, fragte schließlich ein Soldat mit einem Eisenhut, der sein pockennarbiges Gesicht mehr schlecht als recht verdeckte.
Galien lächelte und zeigte es seinen Gegner auch. Es würde ihre Unsicherheit nur mehr erhöhen. Wer den ersten Zug machte, der zeigte, wie unsicher seine eigene Position war und begab sich meist auf unbekanntes Terrain.
„Euer Gold“, antwortete er schlicht und freundlich, als wäre es das Natürlichste auf der Welt. Er konnte mit Genugtuung die Empörung auf ihren Gesichtern sehen.
„Welches Gold?“, fragte der Eisenhut mit schlecht gespielter Unschuld.
„Wenn ihr kein Gold habt, dann begnüge ich mich mit eurem Gepäck“, sagte Galien und stampfte mit seinem Stiefel auf der Truhe auf, dass die Münzen darin erneut klimperten. „Ein kleiner Wegzoll für die Benützung meiner Straße, versteht sich.“
„Wegzoll!“, platzte es ungläubig aus einer jungen Wache heraus, die direkt neben dem Eisenhut stand. „Dies ist die Straße unseres Herren, des Barons Mortimer le Aubertin. Ihr habt kein Recht, Wegzoll zu verlangen!“
In einer theatralischen Geste blickte sich Galien um, sicherstellend, dass seine Geisel durch die Klinge sicher in seinem Gewahrsam blieb. „Ich sehe euren Herrn nicht. Doch ich bin hier, und verlange Wegzoll, für das Leben eures Kameraden. Wie gesagt, begnüge ich mich auch mit einem einzelnen Gepäckstück.“
Und dabei trat er erneut auf die Truhe. Die Münzen darin klangen erfreut über die Aussicht, den Besitzer zu wechseln, fand Galien.
„Warum sollten wir auf Euch hören?“ Der junge Soldat wandte sich beschwörend an ihren Anführer. „Wir sind zu fünft, und er alleine. Was schert uns das Leben eines Fuhrknechts? Lasst uns diesen dreckigen Hals an einem Strick baumeln sehen!“

Das zustimmende Geraune der übrigen Wachen zeigte, dass sie durchaus dazu bereit waren, den Worten Taten folgen zu lassen. Galien hatte keine Wahl. Er gab den Fuhrknecht frei. Der Mann fuhr sich mit beiden Händen an den Hals, als könnte er nicht glauben, dass sein Kopf noch heil auf seinem Körper ruhte.
„Wen dem so ist, edle Herren“, Galien hoffte, dass sie den Sarkasmus in seinem Tonfall bemerkten, „dann lasst ihr mir keine Wahl. In dem Fall nehme ich Alles!“
Raues Gelächter folgte seiner Aussage. Sogar der Fuhrknecht, der sich in sicheren Abstand gebracht hatte, fiel mit ein.
„Wir werden Euch wie der gemeinde Dieb hängen, der Ihr seid“, sagte Eisenhut, der offensichtlich seine Courage wieder gefunden hatte. „Doch bevor dies geschieht, werden wir eurer Zunge noch euren Namen entlocken, damit wir unserem Herrn den Namen des Strauchdiebs überbringen können.“
„Mein Name ist Galien de Monteux! Doch dies wird euch nicht mehr von Nutzen sein“, erwiderte Galien. Pfeilgeräusche begleiteten seine Worte, dann kam das Röcheln der zu Boden sackenden Männer. Männer tauchten aus ihrer Deckung auf, mit Langbögen bewaffnet, die sich als weitaus effektiver erwiesen hatten, als die Speere der Wachen.

Galien de Monteux lachte seinen Gefährten zu. Vagabunden, Diebe, Halsabschneider wurden sie von den Herren dieser Ländereien genannt. Doch Galien wusste es besser. Mit Ranalds wechselhafter Gunst auf ihrer Seite war Galien de Monteux der wahre Herrscher dieses Landstrichs. Und er würde alles dafür tun, dass es so blieb.

***

Es war kalt um diese Jahreszeit, der Winter hielt das Land in seinen eisigen Klauen und zeigte keinerlei Anstalten, seinen Würgegriff auch nur einen Fingerbreit zu lockern. Die windschiefen Hütten der Dörfer und kleinen Weiler ächzten unter dem eisigen Wind und den Schnee- und Eismassen. Frierende Leibeigene scharrten sich mit ihren Angehörigen und dem wenigen eigenen Vieh in ihren Hütten um die kümmerlichen Feuer. Da es ihnen verboten war, selbst Holz zu schlagen, war es in diesen zudem zugigen Hütten nie wirklich warm und angenehm. Bertrand kannte dies noch aus seiner Zeit als Bauer, in einem kleinen Dorf namens Villaux. An die bitterkalten Nächte in einer windschiefen Hütte, er und seine Mutter, die sich rund um ein kaum flackerndes Feuer gekauert hatten. Wie lange war es her, seit er an seine Mutter gedacht hatte? Auf jeden Fall zu lange. Bertrand fragte sich, wie es ihr gerade ging. Und er hoffte inständig, dass es ihr, die mehrere hundert Meilen entfernt war, gut ging. Sein Onkel Pierre hatte ihm das Versprechen gegeben, dass er sich um sie kümmern würde, und er war immer ein Mann gewesen, der zu seinem Wort stand. Und dennoch, der kalte Atem dieses Winters war es, der Bertrand ein Gebet zu Herrin des Sees senden ließ, auf dass sie seine Mutter davor bewahren würde, jemals wieder zu frieren.

Um sich selbst musste er sich diese Nacht keine Sorgen machen. Sie würden nicht in einem selbsterrichteten Unterschlag, oder in der zugigen Stube einer Bauernkate übernachten müssen. Sie waren Gäste des örtlichen Barons, ohne jeden Zweifel war es ein Vorteil, dass er in Begleitung von Menschen edler Abstammung reiste. Auch wenn er selbst keines der Zimmer im Wohntrakt der Burg bekommen würde. Doch selbst ein Lager beim Burgpersonal war einer Unterkunft im Freien oder bei den in ärmsten Verhältnissen lebenden Leibeigenen vorzuziehen. Und dies war eine mächtige Feste, die es beinahe mit Burg Montfort aufnehmen konnte. Der Wohnturm war mehr als sechsundsechzig Schritte lang und immerhin noch dreizehn Schritte breit, dazu vier Stockwerke hoch und von einem Giebeldach gekrönt. Überragt wurde er nur von den zahlreichen Türmen, die asymmetrisch in der gesamten Festung verteilt waren und in einem Wettstreit gen Himmel strebten. Wo diese Verteidigungsanlagen in Montfort eckig und massiv waren, so sah Bertrand hier eher filigrane, runde Türme mit Spitzdächern, die jedoch deshalb nicht minder eindrucksvoll waren. Beinahe glaubte er, dass sie die Wolken mit ihren Spitzen und Fahnen berührten. Sie wirkten nicht bretonisch, fast konnte Bertrand glauben, dass sie nicht von Menschenhand, sondern von den geheimnisvollen Elfen gebaut worden waren.

Die Mauern hingegen waren massiv und standen damit im Widerspruch zu den Türmen, die aus ihnen empor wuchsen, in regelmäßigen Abständen mit Gusserkern versehen und von Zinnen bedeckt, die jedem Verteidiger ausreichend Schutz boten. Sie waren wuchtig gebaut, wie das Torhaus, das von massiven Rundtürmen mit steinernen Hurden flankiert wurde, und ein Fallgitter, gepanzertes Tor und zum Abschluss noch eine Zugbrücke aufwies. Doch es war zu bezweifeln, dass ein etwaiger Feind überhaupt so weit gekommen wäre. Ein einzelner Steg führte zur Burg, über den breiten, obligatorischen Wassergraben, den Bertrand bei anderen Burgen des Flachlands schon oft gesehen hatte. Der Steg begann am Ende der Barbakane, auch. Im Grunde war es ein runder Turm mit der Höhe eines Stockwerks, gekrönt von einem hölzernen Wehrgang, der selbst nur über eine Zugbrücke und Steg erreichbar war, da er selbst vom Burggraben umspült wurde. Doch als ob das nicht reichen würde, gab es noch das Vorwerk, den hölzernen Palisadenzaun, der die erste Passierstelle für jeden bildete, der in die Burg gelangen wollte.

Perrache war eine gewaltige Festung, fast so beeindruckend wie Montfort, die Wächterin des Axtschartenpasses. Es machte den Anblick des kümmerlichen Dorf, welches sich so weit an die Burg annäherte, wie es der Burgherr gestattete (einen Bogenschussweite
Abstand versteht sich) umso schäbiger. Obwohl sie schon andere Siedlungen besucht hatten, die kaum mehr als ein Viehstall waren. Doch in Gegenwart eines Königs wirkte selbst ein gut genährter Bettler jämmerlich. Und Perrache war atemberaubend, vor allem dann, wenn man zwei Tagesreisen in der Wildnis hinter sich gebracht hatte. Bertrand drehte sich im Kreis, um den Anblick der Mauern, Anbauten und Türme in sich aufzunehmen.

Er hörte ein Kichern hinter sich und sah zwei junge Dienstmägde, die ihr Lachen hinter ihren Händen zu verstecken suchten. Bertrand lächelte zurück und sah nicht ohne einen Anflug von Stolz, dass sie darauf erröteten. Dann eilten sie davon, nicht ohne ihn mit Wimpernschlag und vielsagenden Blicken zu verabschieden. Doch sie verfehlten ihre Wirkung, denn Bertrands Herz war bereits vergeben und er fuhr sich dabei an sein Herz, wo sich Melisandes Tuch immer noch befand. Dann schulterte er das Gepäck, inklusiver seiner eigenen wenigen Habseligkeiten. Reynald hatte ihn förmlich angeschnauzt, dass er nach seiner Audienz bei dem Baron seine Sachen bereits in seinem Gemach vorfinden wollte. Doch Bertrand fand, dass er nicht Reynalds Leibdiener war. Wenn er sein Gepäck in seiner Kammer haben wollte, dann müsste er sie selbst aus dem Stall holen. Bertrand war Jerome de Montforts Knappe, und der hünenhafte Ritter reiste mit geringer Habe. Er musste nur schnell dessen Bündel in den zugewiesenen Raum bringen, und dann stand einer warmen Mahlzeit nichts mehr im Wege. Und aus seiner Erfahrung wusste er, dass die Vorsteherinnen der Küchen an ihm einen Narren gefressen hatten. Ihm lief förmlich das Mund im Wasser zusammen, als er sich die warmen Suppen, das frisch gebackene Brot und vielleicht sogar ein Stück Fleisch vorstellte, dass in der warmen Küche samt prasselnden Herdfeuer genießen konnte.

Ein einzelner Karren fuhr in den Innenhof. Mit einem Schlag strömten Männer und Frauen herbei. Ein Mann wurde von starken Armen hochgehoben und aus der Kälte getragen, eine Traube von besorgten Menschen, darunter die beiden Dienstmägde, folgte wie ein Gänseschwarm. Bertrand erhaschte einen Blick und wusste sofort, dass die warme Zeit in der Küche wahrscheinlich noch länger auf sich warten lassen würde.

„Es sind Diebe, gemeine Halsabschneider und Raubmörder“, sagte Baron Mortimer le Aubertin ruhig, der Herr von Perrache und sämtlicher Ländereien um sie herum. Er war einer der engsten Gefolgsleute des Herzogs von Quenelles, und Perrache war nicht seine einzige Burg, wenngleich sein Hauptsitz. Zahlreiche Gefolgsleute des Barons standen im großen Saal, Ritter in funkelnden Rüstungen und farbenprächtigen Wappenröcken, liebliche Edelfrauen in kostbaren Gewändern und hohen, spitz zulaufenden Hüten, wie sie neuerdings in Mode waren. Bertrand stand in einer der hinteren Reihen, mit den Gemeinen und Dienstpersonal, das zurzeit offenbar nichts zu tun hatte.

„Es sind Diebe, Räuber und Mörder. Sie müssen zu Strecke gebracht werden. Im Namen des Herzogs von Quenelles und im Namen unseres Königs.“ Baron Mortimer le Aubertin war ein Mitglied des Rates von Herzog Tancred II. Er war ein Mann der mit der Macht vertraut war, und strahlte mit jeder Faser seines Seins Autorität aus. Da lag keinerlei Verbitterung in seinen Worten, kein Anflug von ungezügelten Emotionen. Er hatte sich den Bericht des verwundeten Waffenknechtes angehört, ein Mann mit pockennarbigem Gesicht, das zu allem Übel noch durch eine tiefklaffende Wunde zusätzlich entstellt wurde. Noch bevor es ausgesprochen wurde, wusste es Bertrand bereits. War es die Gabe, die ihm die Herrin des Sees geschenkt hatte, oder das er seinen Herrn kannte, oder bloße Intuition.

Jerome de Montfort trat aus den Reihen hervor, Reynald folgte ihm, mit jugendlichem Eifer auf seinem Gesicht.
„Und die Gerechtigkeit des Königs wird über sie kommen“, sagte der hünenhafte Ritter.
Bertrand seufzte, kaum hörbar. Das Essen würde warten müssen.
Durendal wurde geölt, Oriflammè, das gesegnete Schwert der Herrin vom See gezogen, Durak Agril geschärft, bis die silberne Klinge erneut glänzte. Tourbillon, Bèlemnite und Hirondelle wurden gesattelt. Kettenhemden und Helme angelegt. Bertrand überprüfte jeden einzelnen seiner Pfeile, so wie es ihm sein Onkel beigebracht hatte. Im Hof warteten zwanzig weitere gerüstete Reiter, Fahnenwimpel flatterten im Wind auf Lanzenspitzen. Knappen und Landsknechte saßen mehr schlecht als recht, auf ihren struppigen Reittieren. Drei weitere Ritter saßen auf ihren imposanten Streitrössern auf. Das Fallgitter hob sich, die Zugbrücke rasselte runter. Jerome de Montfort gab Tourbillon die Sporen und vierundzwanzig Reiter donnerten über den Steg, der unter den Hufen erzitterte. Die Jagd hatte begonnen.
 
4.15 Anführer

Galien saß seelenruhig da und lauschte. Er lauschte dem Wirrwarr der Gesprächsfetzen, da seine Bande allesamt durcheinander redete.
„… es ist ausgemacht, dass das hier MIR gehört!“, ereiferte sich Fragan.
„Niemals! Du hast schon beim letzten Mal…“, erwiderte der dicke Dunvel, der jedoch selbst von einem der Zwillinge unterbrochen wurde.
„Genau wie Du, deshalb sage ich …“, es war Argan, der Blonde. Goustan, der dunkles Haar hatte, trat an die Seite seines Bruders. Seine Augen hatten bereits diesen mörderischen Glanz angenommen.

Einzig der stämmige, muskulöse Brendan schwieg. Er war Galiens Versicherung. So lange der starke Brendand loyal zu ihm stand, war er sicher. Doch es gab noch einen, der sich nicht in den Disput einmischte. Er stand auf der anderen Seite und hielt sich ebenso davon ab, Partei zu ergreifen wie Galien selbst. Eustache musterte die Szene. Er war in seinem Äußeren das genaue Gegenteil von Galien. Was so viel hieß, das er grob statt elegant, und insgesamt wenig gutaussehend war. Dabei lag es nicht daran, dass er Eustache von Natur aus hässlich war, fand Galien. Es lag eher an der hässlichen, gezackten weißen Narbe, die seine Nase spaltete. Wo Galien volles, lockiges Haar hatte, da krönte Eustaches unansehnliches Haupt ein hellbrauner Haarschopf, der in seiner Fülle und Farbe halbverblichenem Stroh ähnelte.

Doch all diese offensichtlichen Nachteile hielten Eustache nicht von seinem brennenden Ehrgeiz ab. Galien hatte Charme, er war der geborene Anführer, um den sich Menschen scheinbar von alleine sammelten. Männer wollten wie er sein, Frauen bewunderten, weshalb er jetzt mit einem vielsagenden Lächeln in Erinnerungen schwelgte. Diese Dinge fielen ihm spielend zu, wodurch sein ohnehin nicht unerhebliches Selbstvertrauen in unbekannte Höhen geführt hatte. Er war ein Schlitzohr, dem man seine Streiche jedoch nachsah. Eustache war das Gegenteil. Es war sein Aussehen, doch vielmehr sein brennender Ehrgeiz. Eustache ging davon aus, dass ihm sein Aussehen keinerlei Sympathie einbringen würde. Deshalb nahm er sich alles nur durch Brutalität. Nur mit dem Ergebnis, dass ihn die Menschen wirklich verabscheuten. Das hielt ihn jedoch nicht ab nach Höherem zu streben.
Ihre Blicke begegneten sich. Galien musterte seinen Herausforderer, der ihn bohrend anblickte. Galien lächelte, überlegen, Eustache grinste ebenfalls. Aber es war eisig und enthielt einen Anflug von Verachtung. Er würde bald seinen Zug setzen. Er war sicher wohlüberlegt und genau geplant. Doch Galien blieb ruhig. Wie bei ihrem letzten Raub, würde sein Gegner den ersten Schritt machen müssen. Wichtig war nun, dass Galien den finalen Zug setzte.
Der Streit der restlichen Bande hatte inzwischen fast ohrenbetäubende Maßstäbe angenommen. Die Spannung lag in der Luft, nur noch wenige Momente, und seine Bandenmitglieder würden sich gegenseitig an die Kehle gehen. Eustache lauerte. Er wartete geduldig, dass Galien einen Fehler machte.
Doch darüber konnte Galien nur lachen.
Es war so offensichtlich!

Eustache hoffte, dass sich die aufgestaute Erregung auf Galiens Haupt entladen würde. Die beste Gelegenheit, um Anführer anstelle des Anführers zu werden. Doch so leicht würde er es ihm nicht machen!
„Genug!“, befahl Galien in gebieterischem Tonfall, und alle Blicke konzentrierten augenblicklich auf ihn. Es waren auch aggressive, ja sogar mörderische darunter, doch davon ließ er sich auf keinen Fall einschüchtern. Hinter ihm verschränkte Brendan seine Arme, die gewaltigen Muskeln spannten an. Galien konnte die Aura spüren und war sich seiner Rückseite nun sicher. Keine Gefahr würde ihm von dort drohen, solange Brendan dort stand. Es war ohne jeden Zweifel ein einschüchternder Anblick. Er konnte es an ihren Blicken ablesen. Brendan trug eine ärmellose Weste, sodass seine muskulösen Arme besser zur Geltung kamen. Fragan, der dicke Dunvel und sogar die vor kurzem noch so streitlustigen Zwillinge Argan und Goustan schwiegen.
Galien nutzte diesen Moment. „Verteilt meinen Anteil an der Beute“, sagte er.
Sie sahen ihn überrascht an, sogar Eustache. Es war ein Zug, mit dem niemand gerechnet hatte. Galien hatte sich als Anführer die besten Stücke gesichert. In jeder Bande war dies so, und das war vielleicht der ausschlaggebendste Punkt, weshalb der ehrgeizige Eustache nach diesem Posten strebte. Galien gestatte sich wiederum nur ein inneres Lächeln. Er stand auf, wohl wissend, dass Brendan auf ihn aufpassen würde, wie eine Bärenmutter auf ihr Junges. Galien stand auf und nahm den Pokal, mit dem er die ganze Zeit über gespielt hatte. Er ging auf Fragan zu, der unwillkürlich einen Schritt zurück wich und es kaum wagte, Galien anzusehen. Eine Reaktion, die Galien innerlich befriedigte, weil sie seine Autorität über seine Bande nur noch mehr unterstrich.
Galien drückte dem verdutzten Fragan den Pokal in die Hände, der ihn mit weit geöffneten Augen anstarrte, als hätte er ihm sämtliche Schätze der Zwerge übergeben. Galien schloss Fragans Finger um den Pokal und wandte sich ab, den Anderen zu. Er wies mit einer Hand auf den kleinen Haufen von Gegenständen, die seinen Anteil der Beute ausmachten.

„Nehmt es!“, sagte er einladend. Erst stutzten sie, dann stürzten sie sich wie gierige Geier darauf. Innerhalb weniger Augenblicke waren sämtliche Gegenstände in die Taschen seiner Helfershelfer gewandert.
Galien hatte sich derweil wieder hingesetzt und lächelte, dieses Mal war es sichtbar.
„Und nun, Boss?“, fragte der dicke Gunvel. Mit seinen herabhängenden feisten Hängebacken wirkte er wie einer diese Doggen, die sich Adelige zur Unterhaltung hielten. In seinen Augen und denen der Anderen sah Galien den Grund, warum sie ihm folgten. Nicht aus Angst, oder weil er einen treuen, furchteinflößenden Wächter namens Brendan hatte. Es gab nur einen Grund, warum sie so loyal waren, wie es eine Gruppe heruntergekommener Strauchdiebe, -Mörder und Halsabschneider nur sein konnte. Es war die Gier, und das Versprechen, mit ihm mehr Beute zu machen, als mit irgendjemand anderen.
Galien sah zu Eustache hinüber, dem das Lachen vergangen war. Er nickte ihm zu, was diesen offensichtlich verärgerte, aber dieses Spiel war gewonnen und er konnte es sich ruhig leisten, dies auch zu zeigen.

Galien blickte nun die restliche Bande an und lächelte erneut, doch es lag eine Entschlossenheit darin, die seine Leute frösteln ließ.
„Du fragst, was wir nun machen, Gunvel?“ Er wartete eine daramtische Pause ab. „Nun holen wir uns mehr! Dieses Land gehört uns!“
Seine Bande jubelte. In der Ferne hörte es sich an, als würde ein Rudel Wölfe zur Jagd heulen.

***

Der Strauch unterschied sich angenehm von seiner Umgebung, ein wärmerer Wind wehte aus den tiefen Ebenen des Westen Bretonias aus der Gegend um Brusse und Laguiller, wo der berühmte, prickelnde Weißwein von Quenelles hergestellt wurde, den die noblen Damen und Herren Bretonias so schätzten. Bald würden auch dort die Reben wieder zu wachsen beginnnen, aufgeweckt durch den Föhn, der sie aus ihrem langen Winterschlaf so sanft wie eine Geliebte ihren Liebsten weckte. Die Finken begannen zu singen, als wüssten sie es bereits. Der Winter war am Gehen, nun kam der Frühling und die harte Zeit schien vorüber. Das alles überdeckende Weiß begann aus dem Blickfeld zu verschwinden und an manchen Stellen erschienen grüne Flecken. Noch waren sie vereinzelt und schmutzig braun untersetzt, doch bald würden die warmen Sonnenstrahlen ihren endgültigen Sieg erlangen.

„Es ist eine Eberesche“, sagte eine Stimme hinter ihm und Bertrand drehte sich um. Es kam ihm ein Ritter entgegen, hoch gewachsen überragte er Bertrand um eine Handbreit. Buschige Augenbrauen und blondes, wallendes Haar rahmten eine kühne Stirn und ein entschlossenes Gesicht ein, deren Augen dennoch anzeigten, dass ihnen bei aller Entschlossenheit, Mitleid und Anteilnahme nicht völlig fremd waren. Sir Anselm zählte vierzig Jahre, doch sein muskulöser Körper, der in Kettenhemd und Rüstung steckte, war immer noch in gleicher Verfassung, als wäre er ein Jüngling im besten Alter.
„Eberesche?“, fragte Bertrand. „Ich kenne sie nur unter dem Namen Vogelbeere.“
Anselm lachte, es klang angenehm und freundlich. Er legte Bertrand die Hand auf die Schulter und griff mit der anderen in den Strauch, wo die farnartigen Blätter bereits kräftig wuchsen und zog eine Handvoll der runden, orangenen Früchte hervor. Anselm hielt sie Bertrand vor die Nase und grinste.
„Man kann beides sagen“, sagte der Ritter.

Bertrand war erstaunt. „Verzeiht Herr, aber ein Ritter der sich mit solchen Dingen auskennt, war mir bisher nicht bekannt.“
„Wir sind auf der Jagd, Knappe Bertrand“, so nannte Sir Anselm, der Schwertführer des Barons Mortimer Bertrand seit ihrem ersten Treffen, doch lag darin keinerlei Geringschätzung seiner niedrigen Geburt. „Und auf der Jagd muss man auf jedes kleine Zeichen achten.“
Ein Reiter kam herbei galoppiert.
Sein Pferd schnaubte und hatte Schaum vor dem Maul, ein untrügliches Zeichen dafür, wie hart der Ritt gewesen war. Der Landsknecht, ein junger Bursche sprang aus dem Sattel und eilte zu Sir Anselm.
„Milord“, stammelte er atemlos.
„Nur mit der Ruhe Pepin“, sagte der Ritter zu dem Landsknecht, der vielleicht nur einen Sommer mehr als Bertrand erlebt hatte. Doch das Gesicht war bereits wettergegerbt und aufgrund der Mühen, wie sie nur ein Leibeigener Bretonias kannte, zerfurcht. Mühen, die Bertrand aus eigener Haut erfahren hatte. Die anderen Männer kamen herbei und umringten den Boten. Sie alle sahen ihn mit großem Interesse an, während der junge Waffenträger sich kurz erholte und sein Atem sich sichtbar wieder normalisierte.
„Sir Gervaise hat die Fährte wieder gefunden, eine Viertelmeile nordwestlich von hier.“
„Ah“, erwiderte Sir Anselm, der sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen ließ. „Hat Sir Gervaise dir nocht etwas mitgeteilt?“
„Nur das Eine, Milord. Die Fährte ist keinen Tag alt. Er bittet Euch, sofort aufzubrechen.“
Anselm nickte, die Entschlossenheit hatte wieder die Oberherrschaft über seine edlen Züge genommen. „Sammelt die Männer, wir reiten los!“
Der Ritter blickte in Richtung von Sir Jerome de Montfort, der still seine Zustimmung durch ein unmerkliches Nicken gab, das nur Bertrand auffiel, weil sämtliche anderen Anwesenden davoneilten, um ihr provisorisches Lager abzubrechen.

Binnen weniger Minuten war das Lagerfeuer verlöscht und ihre Reittiere, sowie die Packpferde gesattelt. Baron Mortimer le Aubertin war ein umsichtiger Herr, der sie sogar mit einigen leichten Zelten ausgestattet hatte. War es doch nicht sicher, dass wie lange ihre Jagd dauern würde, und ob sich die Gesuchten nicht in unzulänglichere Gegenden zurückziehen würden, wo keine angenehme Stube am Einbruch der Nacht auf sie warten würde.
Seit mehreren Tagen waren sie bereits der Verbrecherbande auf der Spur, welche die Ländereien des Barons heimsuchte. Die Götter hatten sich gegen sie verschworen, denn jedes Mal, wenn sie aufschlossen, verschwand die Fährte. Es war, als würden diese Gauner es ahnen, dass sie hinter ihnen her waren, und Katz und Maus mit ihnen spielen. Nur das man sich Bertrand nicht mehr sicher war, wer hier wer war. Ein Blick auf Sir Jerome, der soeben sein prächtiges Streitross Tourbillon stieg, welches erfreut über den Aufbruch wieherte, ließ seine Zweifel verfliegen. Mit solchen Kämpen wie Jerome de Montfort und Sir Anselm auf ihrer Seite bedauerte Bertrand die Unglückseligen, welche sie bald einholen würden. Sir Anselm führte den Zug an. Neben ihm befanden sich Sir Waleran, der dritte Ritter und Bannerträger, sowie Pepin, der Kundschafter und Sir Jerome. Dann formierten sich die restlichen Männer, Reynald le Durie war sehr darauf bedacht, gleich hinter der Spitze zu reiten. Bertrand musste sich weiter hinten eingliedern, da er auch ihr eigenes Packpferd zu führen hatte. Doch auf einen kurzen Befehl von Sir Anselm übernahm ein Berittener diese Aufgabe und Bertrand eilte nach vorne, an die Seite seines Herrn Jerome.

Dann ritt der gesamte Trupp los. Die Pferde griffen weit aus und eilten zügig in die Richtung, die ihnen Pepin wies. Es ging querfeldein, ihre Hufe mochten die geringe Schneedecke aufbrechen und den Boden samt der kostbaren Frühlingssaat aufwühlen, doch Sir Anselm achtete nicht darauf, da die schwache Sonne bereits ihren Zenit erreicht hatte. Mehr als eine Viertelstunde war vergangenen, eine Wegstrecke lag hinter ihnen, die ein normaler Reisender in der doppelten Zeit kaum bewältigt hätte. Es ging wortwörtlich über Stock und Stein. Einen kleinen Bach passierten sie in scharfem Trab, sodass das Wasser zu beiden Seiten hoch aufspritzte. Die Route, der sie folgten, war ein kaum benützter Wald-und Wiesenweg, der sich den Weilern und sich den Dörfern und Weilern der Gegend kaum auf Sichtweite näherte. Obwohl der Wind an sich warm war, zog Bertrand bei ihrem scharfen Tempo doch den Mantel enger um sich, um nicht zu frieren. Ihr Pfad mündete schließlich nach einer guten halben Stunde in einen größeren Weg, der von Nord nach Süd verlief. Wenig überraschend schlug Pepin die Route nach Süden ein, und auf der festen Straße kamen sie noch schneller voran, als vorher.

Das Terrain stieg leicht an, links und rechts wurde ihre Straße von niedrigen Steinmauern umsäumt, die sie von den Feldern der Leibeigenen trennten. Schmale Baumreihen umrahmten diese, als Windschutz und Abgrenzung gegen andere Felder. Sie hatten schließlich die Hügelkuppe erreicht. Bertrand konnte zwei Reiter am Fuß des Hügels erkennen. Sir Anselm hielt nicht inne, sondern führte sie zielstrebig hinab, wo sie auf die Wartenden trafen. Einer der Männer trug einen farbenprächtigen Waffenrock und eine Rüstung, die ihn eindeutig als Ritter auswies. Sein Helm, den er in der Armbeuge hielt, wurde von einem stilisierten Rehbockgeweih gekrönt. Dies war Sir Gervaise, ein noch junger Ritter, der sich erst vor kurzer Zeit seine Sporen verdient hatte. Er war, wie alle jungen Männer noch darauf bedacht, sich einen möglichst ruhmvollen Namen zu machen. Sir Anselm hatte ihm mit einem wissenden Lächeln gestattet, die Suche nach der Fährte aufzunehmen.

„Seid gegrüßt, Sir Gervaise. Habt Ihr gefunden, was wir so lange gesucht haben?“, fragte Sir Anselm ohne jede Umschweife, nachdem er sein Pferd gezügelt und der Reitertrupp zum Stehen gekommen war.
Sir Gervaise nickte, und Bertrand konnte das Feuer in seinen Augen sehen, die Wangen waren vor Eifer gerötet und erinnerten Bertrand an einen gewissen anderen jungen Ritter, der sich direkt hinter ihm befand.
„Die Herrin war uns hold!“, rief der Gefragte erfreut aus. „Die Fährte führt von hier südlich in ein kleines Wäldchen hinein. Wir sind ihm ein Stück lang gefolgt, und sie ist nicht von dem Pfad abgewichen.“
„Seid Ihr euch gewiss, dass die Spur von den Gesuchten stammt, und nicht von einer Gruppe Leibeigener?“, wollte Sir Anselm sicher gehen.
Gervaise schüttelte den Kopf. Er zeigt auf den Landsknecht neben ihm. „Godefroi ist in dieser Gegend aufgewachsen und kennt sie wie seine Westentasche. Es ist noch Winterzeit und die Leibeigenen verlassen ihre Dörfer kaum, und wenn, dann nicht in großer Zahl.“

Anselm gab sich mit dieser Antwort zufrieden, und zeigte dies mit einem Nicken, worüber sich Sir Gervaise sichtlich freute, da seine Augen zu strahlen begannen.
„Dann wollen wir keine Zeit mehr verlieren.“
Er erhob sich im Sattel, so dass in jedermann hören konnte. „Männer! Ihr habt in den letzten Tagen manche Entbehrung erdulden müssen. Doch nun sind wir den Verbrechern ein Stück näher gekommen. Lasst diesen Verbrechern, die unsere geliebte Heimat heimsuchen, des Königs Gerechtigkeit zuteilwerden. Für den König, Quenelles und Baron Mortimer!“
„Für den König, Quenelles und Baron Mortimer!“, erklang es aus mehr als zwanzig Kehlen.

Anselm gab seinem Pferd die Sporen, und die Anderem folgten ihm in zügigen Galopp. Schon waren sie im Schatten der Bäumer, während Licht und Schatten abwechselnd ein Muster auf ihren entschlossenen Gesichtern hinterließen. Bertrand sah die Spur nun auch, in dem weicheren Waldboden war sie besser zu erkennen. Und selbst ein kaum erfahrener Fährtenleser hätte erkannt, dass diese Abdrücke von mehr als einer Person stammten. Doch auch hier hatte der Winter seinen Tribut gefordert, und sie sahen nur an bestimmten Stellen mehrere Fußabdrücke, jedoch niemals Ganze, sondern Teilabdrücke. Doch Sir Gervaises Annahme stimmte, hier waren vor kurzem eine größere Gruppe von Personen vorbei gekommen.
Schon war der kleine Wald hinter ihnen, und mit ihm auch jegliches Anzeichen einer Fährte. Sir Anselm hob seine Hand und der Trupp kam wieder zum Stehen.
„Nein!“, rief Sir Gervaise frustriert aus, und gab damit zum Ausdruck, was alle dachten. Sir Anselm achtete jedoch nicht darauf sondern konzentrierte sich auf einen Punkt am Horizont, der gegen die tiefstehende Sonne kaum zu sehen war.
„Dort, was liegt in dieser Richtung?“, fragte er, wobei sein Arm so gerade wie eine Lanze auf die besagte Stelle zeigte. Sir Gervaise und Sir Waleran zuckten nur mit den Schultern.

Godefroi jedoch, der zuvor genannte Landsknecht trieb sein Pferd nach vorne. „Mein Heimatdorf, Farney, Milord.“
Sir Anselm blickte den Waffenknecht für einen Moment an, dann verengten sich seine Augen und die Entschlossenheit bildete wieder eine Maske.
„Vorwärts“, sagte er knapp und eilte davon, so dass seine Männer zuerst kaum Anschluss fanden. Bertrand wunderte sich zuerst über dieses seltsame Verhalten, doch je näher sie dem Dorf kamen, umso mehr erkannte er, zu seinem Entsetzen.
Sir Anselm zog sein Schwert, auf das es in der Sonne leuchtete.
„Ausschwärmen!“, befahl er und die Männer formierten sich zu beiden Seiten des Ritters, so sehr es die Straße erlaubte. Schwerter wurden gezogen, Lanzen angelegt, das Tempo verschärft.

Nun sah es jedermann, eine fahle Rauchsäule stieg von Faraney auf. Bertrand wappnete sich für das, was da kommen sollte.
Doch auf das, was sie sahen, war niemand vorbereitet. Ihr dicht geschlossener Trupp erreichte Farney unbehelligt. Keine Pfeile schwirrten ihnen entgegen, keine feindlichen Kämpfer stellten sich ihnen brüllend entgegen. Dies lag darin begründet, dass in Farney keine Menschenseele mehr lebte. Die Hütten der Dorfbewohner waren vollständig niedergebrannt. Einzig rauchende, kohlende Stämme zeigten, dass hier einst Leben geherrscht hatte. Scharen von Krähen erhoben sich in den Himmel, krächzend, weil sie in ihrer schaurigen Tätigkeit gestört wurden. Während sie am Horizont verschwanden, erstarben die Geräusche, die sie machten. Dann lag eine Totenstille über den Ort und die Umgebung, selbst ihre Pferde schwiegen, als wüssten sie, dass dies nicht Platz der Lebenden, sondern der Toten sei. Auf der Straße lagen abgeschlachtete Tiere. Schafe, Ziegen, Rinder und Ochsen waren einfach aufgeschlitzt und zum verenden auf der Straße durch das Dorf liegen gelassen worden. Im Zentrum hatte jemand die Eingeweide aufgestapelt, der Gestank nach Blut und Exkrementen war unbeschreiblich und Bertrand rang mit seiner Fassung, um sich nicht an Ort und Stelle zu übergeben.
Godefroi war abgestiegen und kauerte wimmernd vor den Überresten eines Hauses, das nahezu vollständig niedergebrannt war. Sir Anselm trat zu ihm und legte ihm tröstend eine Hand auf die Schulter, doch der Mann registrierte dies in seinem Schmerz nicht.

Sir Jerome stand in der Mitte des Dorfes, sein Gesicht eine unbewegliche Miene. Reynald und Bertrand gingen bedrückt zu ihm.
„Es ist ein Alptraum, selbst das Schlachtfeld im Grauen Gebirge mutet dagegen harmlos an“, stammelte ein sichtlich gezeichneter Reynald. Bertrand nickte, unfähig ein Wort zu sprechen.
„Die Dorfbewohner“, sagte Jerome de Montfort schlicht.
„Wie meint Ihr, Sir?“, fragte Reynald verwirrt.
„Seht auf die Kadaver. Nur Tiere, wo sind die Dorfbewohner“, erklärte Jerome de Montfort unerschütterlich. In Momenten wie diesen, wusste Bertrand nicht, ob er seinen Herrn bewundern, oder hassen sollte.
Reynalds Augen weiteten sich jedoch vor Entsetzen, als er die Tragweite des Gesagten erkannte. Er eilte zu Sir Anselm, an der Gruppe von Männern vorbei, die noch im eng beisammen standen, als könnte sie dies vor dem grauenhaften Anblick schützen. Leise unterhielten sich die beiden Ritter, dann eilte Reynald mit einer Anweisung zu der Gruppe, die darauf aus ihrer Lethargie gerissen wurde, und ausschwärmte. Die Männer eilten in die Überreste der Häuser und ihre gedämpften Schreie und bleichen Gesichter verrieten, welch grausame Erkenntnis sie dort erlangt hatten.
Bertrand war dazu nicht in der Lage. Er konnte seinen Anblick nicht von den geschlachteten Tieren abwenden, sein Magen verkrampfte sich immer mehr. Er fühlte, wie sich die toten Augen der Kadaver in die seinen bohrten.
Er spürte die stumme Anklage.
Ihr habt geschworen uns zu beschützen, doch ihr wart nicht zur Stelle und nun liegen wir in unserem eigenen Blut.
Er brauchte frische Luft!

Taumelnd ging er einige Schritt weit, während sich seine Kehle zuschnürte und ihm die Galle hoch stieg.
Und da hörte er das Geräusch. Zuerst wollte er es als eine Einbildung seiner so strapazierten Sinne abtun. Doch dann vernahm Bertrand es erneut. Es war leise, kaum zu hören, doch nun kam es wieder. Seine Hand fuhr unwillkürlich nach dem Griff seines Dolchs, Durak Agril, der ihm von den Zwergen von Karak Norn überreicht worden war. Das Geräusch kam von seiner rechten. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, während er die Umgebung nach verdächtigen Anzeichen absuchte. Was, wenn der Feind nicht wirklich verschwunden war, sondern nur auf der Lauer lag. Dass mit ihm nicht zu spaßen war, bezeugte dieses unglücksselige Dorf, das nun eher die Bezeichnung Friedhof verdiente.

Das Geräusch führte ihm zur Ecke eines Gebäudes, welches bis auf die Grundmauern niedergebrannt war, und aus dessen Innerem der Geruch von verbranntem Fleisch aufstieg. Bertrand mochte gar nicht daran denken, was dessen Ursprung war. Mit einem Hauch von Erleichterung stellte fest, dass ihn das Geräusch nicht in das Innere, sondern an die Unterseite des Gebäudes führte. An der rechten, unteren Kante befand sich ein Kanal auf festgetretener Erde, dessen Dunkel sich vor seinem Blick vorerst verbarg. Doch das Geräusch kam eindeutig daraus hervor. Bertrand bückte sich, um hineinzublicken, wobei seine Schwerthand jedoch nicht vom Dolchgriff wich.
Da! Da war es wieder! Nun hörte Bertrand es deutlicher. Es klang wie ein leises Wimmern. Vielleicht war es ein verletztes Tier. Ein Schatten fiel auf ihn. Blitzschnell wirbelte Bertrand herum, voller Anspannung. Jerome de Montfort stand hinter ihm, keinerlei Regung lag auf seinem Gesicht, als sich Bertrand entspannte.

Bertrand wandte sich wieder dem Kanal zu und hörte das Wimmern erneut. Er griff in das Unbekannte, bis er auf Widerstand stieß. Mit einem Mal erklang ein schrilles Kreischen, das die Stille durchbrach. Derart alarmiert, fanden sich sämtliche Männer in Windeseile ein, während Bertrand immer noch damit kämpfte, das unbekannte Lebewesen aus dem Kanal zu ziehen. Etwas biss, kratzte und trat nach seiner Hand, doch Bertrand ließ nicht locker. Schließlich förderte er es zutage. Es war verschmutzt, blutete und war sowohl gleichermaßen verstört, wie verdreckt.
Vor allem aber war es ein kreischendes Mädchen von vielleicht vier Jahren, das sich selbst beim Anblick der Männer nicht beruhigen wollte.
„Gebt Raum“, befahl Jerome de Montfort mit seiner mächtigen Stimme und die nah stehende Menge wich einige Schritte zurück.
„Was ist hier los?“, wollte auch Sir Anselm wissen, der soeben mit Godefroi erschienen war.
„Ein Kind“, sagte Bertrand, der versuchte das strampelnde Bündel zu beruhigen, was leichter aussah, als es sich herausstellte. Das Mädchen kreischte immer noch und wehrte sich nach Leibeskräften.
„Aude!“, rief Godefroi plötzlich und schob alle anderen zur Seite. „Kleine Aude!“

Das Mädchen blickte auf und sah dem Landsknecht in das von Tränen gerötete Gesicht, der sich dem Helm vom Kopf nahm und einen Schritt auf Bertrand und das Mädchen zuging. Bertrand spürte, wie der Widerstand des Mädchens nachließ. Er ließ sie los, und das Mädchen stürzte auf den Soldaten zu, der in die Knie ging, und sie in seine Arme schloss, wo sie bitterlich weinend ihre Ruhe fand. Es war eine herzergreifende Szene, die manche der hartgesottenen Landsknechte zu Tränen rührte, und sogar bei den vornehmen Rittern ihre Wirkung nicht verfehlte.
Sir Anselm fragte Godefroi. „Du kennst das Mädchen?“
Der Gefragte blickte auf, während sich das Mädchen immer noch an seiner Brust ausweinte.
„Sie ist die Tochter des Dorfvorstehers. Sie war zwei Jahre alt, als ich in den Dienst unserer Barons eintrat. Aber sie war mir wie eine Schwester.“ Tränen traten ihm dabei in die Augen.
„Sie ist verletzt- holt Verbandszeug und Scharfgarbe, um die Blutung zu stillen!“, befahl Anselm, worauf einige Männer davon eilten, um das Genannte zu holen.
„Bei der Herrin, das werden uns dieses Meuchelmördern büßen!“, zischte Sir Gervaise, die Hand am Heft seines Schwertes. Mehrere Männer murmelten zustimmend.
„Was hat sie gesagt?“, fragte Jerome de Montfort plötzlich.
Godefroi blickte kurz auf, dann flüsterte er leise mit der kleinen Aude, deren Weinen in ein beständiges Wimmern übergegangen war.
Er hob seinen Kopf wieder. „Monster- sie sagt Monster.“
„Man kann beides sagen“, sagte Sir Anselm grimmig, und sein Gesicht war wieder die Maske aus unerbittlicher Entschlossenheit, die weder Rast noch Vergebung kannte.
 
So, endlich geht es weiter!

Ein große Entschuldigung an Alle, die so lange gewartet haben, aber das Leben ist nicht kalkulierbar und nachdem ich nicht hauptberuflicher Autor bin (wie man an meinen unkorrigierten Fehlern sehen kann)

Also jetzt geht es weiter: Noch ein paar Abschnitte, und dann ist dieser Roman zu Ende. Wer weiß, was die Zukunft bringt? ;-)
 
4.16 Farney und die Folgen

Sie begruben die Toten. Verscharrten ihre verkohlten Überreste in den Löchern, die die Soldaten in dem Boden ausgehoben hatten. Es würde lange Zeit vergehen, bis wieder das fröhliche Lachen heller Kinderstimmen in Farney erklingen würde.
Falls es jemals dazu kommt, dachte Bertrand verbittert.
Er stand am Rand des verkohlten Dorfs und sah dem riesigen Feuer zu. Dies war der zweite Teil ihrer schaurigen Arbeit gewesen. Die Kadaver der Tiere waren aufgetürmt worden, wobei sich die Männer Tücher vor ihr Gesicht gebunden hatten, um den fürchterlichen Gestank zu ertragen. Nicht, das es geholfen hatte, wie sich Bertrand mit einem Schaudern erinnerte. Das Feuer brannte schwer, eine dicke, hässliche und stinkende Rauchsäule erhob sich wie ein schwarzer Zeigefinger in den Himmel. Es war meilenweit sichtbar, und bereits jetzt trafen die ersten Neugierigen aus den Dörfern und Weilern ein. Sie kamen aber auch, weil Sir Anselm Boten in jede Richtung geschickt hatte. Die Bauern und Leibeigene, kamen, eingeschüchtert durch die Anwesenheit eines bewaffneten Trupps und der Ritter. Aber noch vielmehr durch den Anblick des Grauens der sich ihnen bot. Sie zerknüllten ihre Schafsfellmützen in ihren groben, verdreckten Händen und wagten es kaum, die Ritter anzublicken, konnten aber auch nicht auf das brennende Feuer blicken. Demütig senkten sie ihre Köpfe auf die Erde, die so viele ihre Standesgenossen aufgenommen hatte.

Die Antworten, die sie gaben, waren auch wenig befriedigend. Nein, sie hatten keine Gruppe gesehen, die in den letzten Tagen nach Farney gekommen oder es verlassen hatte. Erst die ausgesendeten Boten hatten ihnen Kunde von dem furchtbaren Schicksal von Dorf Farney gebracht. Die Kundschafter hatten zwar die Fährte wieder gefunden, allerdings war sie nach einigen Meilen auf felsigem Untergrund wieder einmal verschwunden.
Anselm entließ die Leibeigenen mit einigen freundlichen Worten, die sichtlich erleichtert waren, diesen Ort zu schnellstmöglich zu verlassen und sich scheu entfernten.

„Und jetzt?“, fragte Sir Gervaise ungeduldig.
„Wir warten“, sagte Anselm ruhig und blickte in die Ferne, wo die Sonne sich bereits dem Horizont zuneigte.
„Warten?!“, fragte Gervaise ungläubig.
Anselm legte ihm die Hand auf die Schulter. Der junge Ritter verstummte bei dieser Berührung mit seinem Protest.
„Wir müssen auf unsere Boten warten. Selbst wenn sie binnen einer Stunde zurückkehren würden, bliebe uns nicht mehr genug Tageslicht, um die Spur aufzunehmen.“
„So warten wir hier?“, fragte Reynald le Durie, da Sir Gervaise nicht antworten wollte.
„Wir warten, bis die Boten zurückgekommen sind. Seid so gut, Sir Reynald, und seht nach unseren Pferden“, sagte Jerome de Montfort anstelle von Sir Anselm.

Bertrand konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, da ihm Reynald le Durie einen Blick zuwarf, dass dies eigentlich unter der Würde eines Adeligen sei. Aber da der Vorschlag, eigentlich mehr ein Befehl, von Sir Jerome gekommen war, wagte der junge Ritter keinen Widerspruch, sondern trollte sich von dannen. Sir Gervaise, der offensichtlich nichts besseres zu tun hatte, schloss sich ihm an und beide gingen schnellen Schrittes zu den Pferden, als würde ihr eigenes Tempo die Rückkehr der Boten beschleunigen können.
Sir Anselm blickte den Beiden nach.
„Wo ist meine stürmische Jugend geblieben?“, fragte er sich mehr selbst, denn die beiden Verbliebenen. „Die Zeit, in der man noch glaubte, die Welt mit seinen Ruhmestaten aus den Angel heben zu können.“
„Sie geht mit den Jahren, und mit ihr kommt die Erkenntnis, dass manche Dinge nicht in unserer Hand liegen“, erwiderte der sonst eher zurückhaltende Jerome de Montfort. Und Bertrand glaubte, bei diesen Worten sogar ein nachsichtiges Schmunzeln auf dessen Lippen zu sehen. Doch der Augenblick war vorbei, und das edle Antlitz hatte wieder seine entschlossene, strenge Miene übernommen.

Bertrand ließ die beiden Ritter alleine und entfernte sich mit einer halblaut gemurmelten Entschuldigung, welche jedoch ohnehin kaum wahrgenommen wurde, da die beiden erfahrenen Recken in ihren Erinnerungen schwelgten und sich darüber austauschten. Vor ihm war der Rest des Trupps damit beschäftigt, ein vorläufiges Lager aufzuschlagen, Reynald und Gervaise hatten sich ihrem Verständnis nach um die Pferde gekümmert, und beaufsichtigten mit strenger Miene einige Landsknechte, die sie dafür abkommandiert hatten. Das Feuer brannte immer noch, zäh und eine hässliche Rauchsäule produzierend, dazu der unverkennbare und auf ewig im Gedächtnis bleibenden Geruch von verbranntem Menschenfleisch.
Der junge Knappe wandte sich von diesem trostlosen Anblick ab und ging gen Osten, der Sonne entgegen. Er passierte eine Ansammlung von Sträuchern und eine Gruppe schlanker Birken, auf den langsam wieder Knospen erblühten, die ersten Vorboten des kommenden Frühlings. Gedankenverloren betrachtete er diese kleinen Gewächse, die ihm in Angesicht der vergangenen Stunden so völlig deplatziert vorkamen. Hier begann das Leben erneut, während es nur wenige Schritte entfernt so gewaltsam geendet hatte. Doch dies war der Kreislauf des Lebens, das Leben und Tod, Anfang und Ende, Schönheit und Hässlichkeit nebeneinander gediehen und einander stets aufs Neue ablösten.

Bertrand dachte an all die Abenteuer, die er unter seinem Herrn erlebt hatte. Zuerst widerwillig, wie er sich erinnerte. Ein junger Leibeigener, den die harten Gesetze Bretonias als Bogenschütze in das Heer des Herzogs eingezogen hatten, und der mit klopfendem Herzen seine erste Schlacht erwartete. Dann sein Dienst als Knappe auf Schloss Montfort, wider Willen aus seiner gewohnten Umgebung gerissen und schließlich auf eine abenteuerliche Fahrt mit einem Herrn geschickt, dessen Motive ihm so lange ein Rätsel geblieben war. Er hatte viel gesehen und erlebt in diesen Tagen und Wochen. Gelacht, geliebt, geweint und gelitten. Er hatte Abenteuer erlebt und Menschen und Orte gesehen, von denen die Menschen seines Heimatdorfes nur träumen konnten. Und doch, hier an diesem Ort im Süden Bretonias überkam ihn unwiderstehlich das Heimweh, dieses Gefühl im Herzen, dass einen mit jeder Faser ergreift und den Blick sehnsuchtsvoll in die Richtung schweifen lässt, die man Heimat nennt.

Ein Vogel zwitscherte seine Melodie der im sinken befindenden Sonne entgegen. Bertrand fragte sich, ob die Vögel auch in seinem Dorf bereits wieder aus den südlichen Gefilden zurückgekehrt waren. Und er fragte sich, wie es seinem Onkel und seiner Mutter erging, ob sie den Winter gut überstanden hatten. Und er wünschte sich, dort zu sein. Einfach auf sein Pferd zu steigen, und ihm die Sporen zu geben, bis er die vertrauten Hütten und Dächer Villauxs wiedersehen würde. Und seine Mutter, die an der Seite seines Onkels stand und ihm zuwinken würde, während er den leichten Hügel hinab auf sie zuritt.
Er hörte das charakteristische Hufgetrappel von Pferden, ein Wiehern, und sofort wachte Bertrand aus seinen Tagträumen auf. Eine Gruppe Reiter näherte sich ihnen, an den Wimpeln der Lanzen und den Wappen der Schilder erkannte Bertrand, dass es sich um ihre Leute handelte. Der vorderste Reiter steckte in einer Plattenrüstung mit einem hohen, bebuschten Helm. Schild und Waffenrock trugen die Zeichen Sir Walerans, und es war dieser Ritter, der offensichtlich von seinem Auftrag zurückgekehrt war.
Bertrand seufzte, seine Wünsche würden warten müssen. Er drehte sich um, zu den kohlenden Überresten Farneys und dem gewaltigen Feuer, auf dem die Toten verbrannten. Ihr Aufbruch würde wahrscheinlich bald erfolgen, uns so Reynalds und Gervaises Ungeduld stillen, die auf Rache und der Erfüllung von Heldentaten sannen. Die bittere Realität hatte ihn eingeholt.

***

Im wahrsten Sinne des Wortes befriedigt wälzte sich Galien de Monteux zur Seite und griff nach dem Becher mit Wein. Er nahm einen Schluck und reichte den Becher dann weiter. Sie dankte es ihm mit einem Lächeln, dass wohl Sinnlichkeit und Dankbarkeit zugleich ausdrücken sollte und trank dann hastig, womit ihre Bemühungen erfolgreich konterkariert wurden. Galien erwiderte hohl die Geste. Er hatte ihren Namen vergessen, aber er war ihr auch egal, so wie ihr Name. Sie war ein Zeitvertreib, ein kurzfristiger Vertrag mit beiderseitigem Einverständnis, aus dem jeder seinen eigenen Nutzen zog. Es war nicht die erste Liaison dieser Art, die Galien in seiner umtriebigen Karriere eingegangen war. Und er wusste, was von ihm erwartet wurde. Er war ein Abenteuer, eine Erfüllung der Phantasie, die mit diesen ihn ihrem Alltagstrott gefangenen Frauen durchgegangen war. Hier musste er sich nicht verstellen, sie schätzten an ihm die Gefahr, seine durchtriebene Aura. Es war genau das, was sie anziehend fand und ihn in ihren Augen so unwiderstehlich machte.

Sie waren beide von Schweiß durchnässt, was kein Wunder war, nach der körperlichen Anstrengung, der sie sich beide unterzogen hatten. Langsam kamen sie wieder zu Atem und es gab nun diese Stille, die immer dann folgte, wenn man sich einander einfach nichts zu sagen hatte. Und für eine neue Runde, die diese peinliche Stille überbrücken könnte, fehlte ihm die Kraft. Wenn er schon die Frau an seiner Seite belog, so ehrlich musste er sich selbst gegenüber sein, um zu wissen, was er auf diesem Gebiet leisten konnte. Sie war nur eine Ablenkung, er musste ihr nichts beweisen, nur ein warmer Körper an seiner Seite, ein Zeitvertreib, dessen Name ihm egal war, auch wenn sie ihm diesen zärtlich ins Ohr geflüstert hatte.

„Was war das?“, fragte sie unvermittelt, indem sie sich aufrichtete und ihn aus seinen Gedanken riss.
„Nur der Wind meine Liebe“, erwiderte er, indem er es vermied, sie bei ihrem Namen zu nennen, der partout nicht in den Sinn kommen wollte. Er streckte die Hand nach ihr aus, und sie ließ sich so plump zurückfallen, dass er am Liebsten sofort Hals über Kopf aus dem Bett geflohen wäre. Doch er konnte es nicht, und wusste es auch. Sie umschlang ihn mit ihren beiden Armen und ihr Mund näherte sich bedenklich. Galien gab sich seiner Rolle und dem Unvermeidlichen hin, und nach dem ersten Kuss schwand auch sein Widerwille. Er hatte es natürlich auch gehört. Nur ein eingebildeter Trampel, wie die Frau, die gerade mit ihren Lippen die seinen erforschte, konnte sich mit so einer Antwort zufrieden geben. Eine Frau, die sich selbst zu gut war, ihre Hände durch eine so schnöde Tätigkeit wie Arbeit, schmutzig zu machen. Sie war zwar nicht hochwohlgeboren, gehörte aber zu der seltenen Klasse von Frauen, die sich trotzdem durch die Profession ihres Mannes von der endlosen Masse der besitzlosen Leibeigenen abhob. Den Mann, welchen sie nun mit Galien betrogen hatte. Galien fragte sich, ob es aufgrund von launischer Langweile war, wie er vermutete, und fand die Ironie der Sache, so wie es sein scharfer Verstand immer auf den Punkt brachte. Es war diese Arbeit ihres Mannes, der dieser Frau einen gewissen Wohlstand eingebracht, und durch seine zeitaufwändige Tätigkeit zugleich in seine eigenen Arme getrieben hatte. Sie fand sich einsam und vernachlässigt, und Galien gaukelte ihr Nähe und Interesse vor.

Tatsächlich gab es eine andere Sache, die ihn vielmehr interessierte.
Sie war ein verzogenes Weibsbild, wofür Galien sie verachtete. So verzogen, dass sie das Wiehern ihrer preisgekrönten Pferde für das Seufzen des Windes gehalten hatte. Galien wusste es besser. Doch Galien hörte noch etwas, dass seine Aufmerksamkeit in Beschlag nahm. Ein Geräusch von der Ferne, doch schnell näher kommend.
Er löste sich wenig mitfühlend aus ihrer Umarmung und sammelte rasch seine Kleider ein.
„Was ist?“, fragte sie verwirrt, während sie noch im warmen Bett blieb und sich halb aufrichtete. Ihre Augen sahen in erstaunt an. Galien hatte bereits seine Unterkleider und das weiße Leinenhemd angezogen und war nun dabei, seine schwarz gefärbte Hose zu suchen, die sich hier irgendwo befinden musste. Er ignorierte sie, weil er das Geräusch wieder gehört hatte, nun deutlicher und eindeutig aus geringerer Entfernung.
„Komm zurück ins Bett“, flehte sie ihn an und streckte den Arm nach ihm aus.
Galien warf ihr einen kurzen Blick zu, und ging dann an ihre Seite des Betts, worauf sie zu lächeln begann, in freudiger Erwartung. Doch das Lächeln erstarb, als Galien ihre Hand zur Seite bewegte und das nahm, was er so lange gesucht hatte.
Seine Hose, die er sich rasch anzog.
Im Hintergrund hörte er eine Eule schreien.
Das Zeichen für den Aufbruch.

Galien war bereit und zog sich schnell seine beiden Stiefel an. Er drehte sich zu der sichtlich verwirrten Gefährtin der vergangenen Nacht.
„Habt Dank für die vergangenen Stunden“, sagte er mit einer leichten Verbeugung. „Doch ich muss Euch nun leider verlassen. Auch wenn ich gestehen muss, dass sie mir weniger angenehm ausgefallen sind, als ich erwartet hatte, meine Teuerste.“
An dem zornigen Aufflackern ihrer Augen erkannte er, dass er sich schleunigst zurückziehen sollte. Keinen Zeitpunkt zu spät, da bereits ein schwerer Pokal in seine Richtung flog, und laut scheppernd gegen den Türbalken krachte, wobei der letzte Rest seines Inhalts sich auf Galiens Gesicht verteilte. Bevor weitere Geschosse folgen konnten, war Galien bereits aus dem Gemach verschwunden. Hinter sich hörte er die Frau zetern und schreien.
„Was man nicht Alles für ein warmes Lager erdulden muss“, murmelte er und wischte sich mit dem Handrücken die Spritzer der Flüssigkeit aus dem Gesicht. Dabei berührte er schmunzelnd den prall gefüllten Beutel mit klingenden Münzen, den er ihr zudem entwendet hatte.
Sämtliche anderen Räume, die er durchquerte, waren leer, da die Frau allen Bediensteten frei gegeben hatte, damit sie ungestört sein konnten. Ein schwer wiegender Fehler.

Die Eule schrie erneut.
Galien trat die Türe auf und wurde von kalter Nachtluft empfangen. Fackeln beleuchteten spärlich den Innenhof. Sie alle waren beritten und führten weitere ledige Pferde an ihren Zügeln. Brendan und Dunvel trugen zudem noch Fackeln, die das besagte Licht spendeten. Während Galien die Herrin des Hauses, denn sie als Dame zu bezeichnen kam ihm nicht in den Sinn, beschäftigt hatte, konnte sich seine Bande in aller Seelenruhe die besten Pferde dieses weithin bekannten Gestüts unter den Nagel reißen. Wenn man verfolgt wurde, war es immer gut, wenn man beritten war. Noch dazu konnten sie die Tiere später noch verkaufen. Und sei es nur an den Metzger, nachdem sie sie zuschanden geritten hatten.
„Was ist?“, fragte er.
„Dort!“, sagte Eustache und zeigte auf den Hügel, von wo Galien eine Reihe von sich bewegenden Lichtpunkten erkennen konnte.
Galien sprang auf das bereit gehaltene Pferd und gab ihm die Sporen, seine Männer folgten ihm. Offenbar kam der gehörnte Ehemann früher zurück, als gedacht. Galien lachte, als sie davon eilten, während sich hinter ihnen zornige Stimmen in das Dunkel der Nacht erhoben. Der Mann würde nur eine geläuterte Frau und einen leeren Stall vorfinden. Galien war es egal, er hatte sich seit dem Beginn seiner Karriere als Dieb geschworen, niemals zurück zu blicken.
Und so lange der ewig launische Ranald ihm Hold war, war dies auch nicht notwendig.