WHFB Questritter- Das Leben des Jerome de Montfort

4.4 Die lachende Lillie

Bei diesem Anblick wurde Bertrand klar, warum die Straßen der Stadt so leer waren. Offensichtlich war die gesamte Einwohnerschaft von Montlac hier versammelt. Es gab Fahnen und die Menschen erzeugten Geräusche, wie es jede Menge tat, doch Bertrand hörte den Unterschied. Dies war nicht die lärmende Betriebsamkeit eines Marktes oder eines Turniers, bei dem man den stolzen Rittern in ihren blank polierten Rüstungen zujubelte. Nein, dem Raunen der Menge fehlte jegliche Form von ausgelassener Heiterkeit. Zwei Reihen grimmiger Hellebardenträger bildeten eine breite Gasse im dem Meer von ungewaschener Leiber, die in ihren ärmlichen Kleidern steckten. Doch das, was die Menschenansammlung von sich gab, war mehr ein unterdrücktes Raunen, denn ausgelassene Feierstimmung. Bertrand und der Rest der Gruppe fanden sich nun in dieser Szenerie wider und steckten förmlich am hinteren Ende der Ansammlung fest.

„Ich habe kein gutes Gefühl dabei“, raunte der Zwerg Gurni Haarikson. Vielleicht fühlte er sich auch unwohl, weil er nicht in seiner Rüstung, sondern in einfacher Kleidung steckte, dachte sich Bertrand. Doch auch ihm wurde beim Anblick der rauen Soldaten zunehmend unwohl. Am Ende der Straße kam Bewegung in die Sache. Vier Reiter kamen, die am Ende der langen Speere Banner gehisst hatten. Widerwillig begann die Menge zu jubeln, allerdings zeigte sie dabei nur wenig Begeisterung.** Die Wächter blickten noch grimmiger und die Menschen steigerten ihre Bemühungen, so dass es am Ende fast aufrichtig klang. Ein einzelner Reiter erschien, er trug feine Kleidung, die stark in Kontrast zu der dürftigen Bekleidung der Stadtbewohner stand, und einen goldbestickten Pelzmantel. Ein feines Barrett nach imperialer Mode mit geschlitzter Krempe aus rotem und schwarzem Brokat, geschmückt mit Pfauenfedern vervollständigte die Ausstattung. Der Mann ritt auf einem edlen, weißen Zelter, das Zaumzeug war mit Gold bestickt. Für Bertrand bestand kein Zweifel, wen er vor sich hatte. Es war niemand Geringerer als Leofric, der selbsternannte Herzog von Montlac. Leofric schien die Aufmerksamkeit zu genießen. Dass der Jubel erzwungen war, machte ihm offensichtlich nichts aus. Ein Blick in die kalten Augen bewies Bertrand, dass dieser Usurpator auch keinerlei Mitleid kannte.

„Eigenartig, nicht wahr?“, sagte eine Stimme neben Bertrand. Bertrand blickte überrascht auf und sah einen Mann neben sich. Dieser Mann war Mitte vierzig und erinnerte ihn mit seinem kurzen grauen Haar und dem stoppeligen Dreitagesbart in frappierender Art und Weise an seinen Onkel Jean. Der Mann trug ein ledernes Wams und ebensolche Hosen, die an ihren Enden schon Spuren von Abnützung zeigten. Dennoch war die Kleidung hochwertig verarbeitet und war, trotz ihres offensichtlichen Alters, sauber gepflegt. Kurzum, dieser Fremde schien in allen seiner Erscheinung das genaue Gegenteil von Leofric, der gerade auf seinem Pferd vorbeitrabte. Eine weitere Gruppe von schwerbewaffneten Reitern folgte ihrem Herrscher. Die Menge löste sich langsam auf, schweigend ging jedermann seines Weges. Nur der Unbekannte blieb bei Bertrand stehen.

„Verzeiht, was meint Ihr?“, antwortete Bertrand mit einer Gegenfrage. Der Mann begann zu lachen und zeigte dabei zwei Reihen weißer Zähne. Ein weiterer Beweis für einen gewissen Wohlstand, erkannte Bertrand. Nur Menschen, die sich eine ausgewogene Ernährung leisten konnten, hatten in diesem Alter noch alle Zähne.
„Ich meine, dass ihr nicht von hier seid“, sagte der Fremde. „Und dass euch der Anblick unserer Herrschers ungewohnt vorkam. Aber vor allem, mein junger Freund, solltet Ihr besser Eure Gefühle verbergen. Eure Miene hat gezeigt, was Ihr von Leofric haltet.“
Bertrand zog den Mann zur Seite, weg von möglicher Aufmerksamkeit. „Guter Mann wie kommt Ihr auf solch abstruse Gedanken? Ich bin nur ein einfacher Bauernsohn, diese Dinge, von denen Ihr sprecht, überlasse ich den hohen Herrschaften.“

Der Mann lachte und Bertrand wurde langsam wütend. Noch schlimmer, was war, wenn er ein Spion Leofrics war? Dann wären sie alle in höchster Gefahr. Er fasste sein Gegenüber fester am Arm. Doch plötzlich verspürte Bertrand ein stechendes Gefühl an seinen Rippen. Er sah hinab und erblickte zu seiner Überraschung einen Dolch, der an seinem Leib platziert war.
Das Gesicht des Mannes war todernst. „Ihr solltet wirklich vorsichtiger sein. Was kann mich nun daran hindern, Euch den Dolch zwischen die Rippen zu stoßen? Bevor Ihr daran denkt, eure Freunde um Hilfe zu rufen, der Stahl ist allemal schneller, als Eure Stimme.“
Doch dann wirbelte der Mann den Dolch in seiner Hand herum, so dass das Heft auf Bertrand zeigte. „Doch glücklicherweise bin will ich Euch kein Übel. Mein Name ist Jacques, der Weinhändler. Ich bin Euer Kontakt hier in Montlac.“

Bertrand nahm den Dolch, unsicher wie er reagieren sollte. „Ihr habt eine merkwürdige Art Euch vorzustellen, Meister Jacques. Und sollten uns nicht im Goldenen Hirschen treffen?“ Der Weinhändler lachte, nahm den Dolch von Bertrand zurück und steckte ihn weg.
„Es schien mir besser euch vorher abzupassen, der Goldene Hirsch steht unter der Beobachtung von Leofrics Schergen. Und ich gebe Euch erneut den Rat, Eure Gesinnung besser zu verbergen. In ganz Montlac haben die Mauern oft unliebsame Ohren. Und nun kommt.“ Jacques wandte sich zum Gehen ab. Bertrand hielt ihn zurück.
„Kommt mit, dies ist wahrlich kein Ort für solch ein vertrauliches Gespräch. Noch dazu wo eure Tarnung bald auffliegen wird, da ich nicht davon ausgehe, dass ihr daran denkt diese Pferde wirklich zu verkaufen.“ Der Weinhändler lächelte erneut. „Vertraut mir, ich kenne einen Ort wo wir besser reden können.“

Die lachende Lilie war ein unscheinbar wirkendes, zweistöckiges Gebäude. An der einfachen Fassade konnte man nicht erahnen, was sich dahinter verbarg. Doch die Ströme, die sich Richtung Eingang bewegten, bezeugten, dass sich dieses Etablissement großer Beliebtheit erfreute. Denn die lachende Lilie war kein gewöhnliches Gasthaus. Ein weiteres Hinweis darauf waren die beiden muskulösen Torwächter, die beiderseits vor dem Eingang Position bezogen hatten, und deren gestrenger, prüfender Blick jedem Eintretenden einschärfte, dass sie sich besser benehmen sollten.

Als Bertrand das Innere der lachenden Lilie erblickte, wurde ihm klar, dass die beiden Wachen am Tor durchaus angebracht waren. Es lag nicht an dem Mobiliar, obwohl jedes der kostbar verzierten Stücke aus Rosenholz dem Wert eines Jahreseinkommens eines Bauern entsprach. Nein, der Wert der lachenden Lilie lag vielmehr in ihrem beweglichen Hab und Gut. Zahlreiche Frauen in tief ausgeschnittenen, äußerst knappen Kleidern bewegten sich anmutig durch die gaffende Menge der Männer. Die Glücklicheren, vor allem solche mit klingendem Geldbeutel, fanden sich bereits in der Gesellschaft einer der liebreizenden Schönheiten. Bertrand sah hochgewachsene Blondinen, kurvige Brünette und Frauen, mit einer exotischen, dunkleren Hautfarbe, als dies bei Bretonen üblich war. So unterschiedlich diese Frauen auch waren, sie hatten eines gemeinsam, ihre unglaubliche Schönheit und ihre explizit und eindeutige Ausstrahlung. Bertrand musste die Augen schließen und sich Melisandes Bild vor Augen führen, um bei diesem Anblick nicht schwach zu werden.

Eine Person ließen die Schönheiten der lachenden Lillie jedoch völlig kalt. Der Zwerg saß völlig ungerührt am Tresen der Bar auf einem Hocker, der für seine Statur viel zu hoch war. Bertrand wunderte sich, wie Gurni Haarikson angesichts seiner Körperfülle auf diesen gelangt war. Die Bretonen mieden den mürrisch dreinblickenden Zwerg, doch Haarikson schien dies nicht im Geringsten zu stören, der mit seinen beiden Händen einen Humpen bretonischen Ale in den kräftigen Händen hielt. Selbst ohne seine verzierte Rüstung sah die Gestalt des Zwerges immer noch imposant aus. Obwohl imposant vielleicht das falsche Wort war, überlegte Bertrand. Einschüchternd traf es viel eher. Gurni schüttete das Ale mit einem Zug in sich hinein und knallte den Becher auf den Tresen.

„Noch ein Spülwasser, Wirt!“, donnerte er. Mehrere Bretonen warfen dem Zwerg feindselige Blicke zu, doch diesen schien das kalt zu lassen. Bertrand legte dem Zwerg beschwichtigend die Hand auf den muskulösen Oberarm. Seltsamerweise schien es zu wirken. Gurni Haarikson nahm einen weiteren Becher von dem verängstigt blickenden Wirt, ohne zu grollen. Bertrand setzte sich neben den Zwerg und prostete ihm zu. Gurni hob seinen Becher und erwiderte den Gruß. Bertrand nahm einen tiefen Schluck und spürte, wie der Alkohol perlend seine Kehle hinunter rann. Es war ein gutes Gefühl. Ein Blick in Haariksons Gesicht jedoch ließ vermuten, dass es sich bei dem Getränk eher um Katzenpisse, denn bestes bretonischen Ales handelte. Wie zu Bestätigung schnaubte der Zwerg verächtlich durch die Nase und setzte seinen Becher ab.

„Mundet es Euch nicht, Herr Haarikson?“, erkundigte sich Bertrand.
Angewidert schüttelte der Zwerg den Kopf. „Dieses Gesöff!“, grollte er so laut, dass Bertrand die Blicke der näheren und weiteren Umgebung förmlich spürte. „Mein Junge, was gebe ich nur für einen Becher Bugman’s XXX oder Trollbock.“ Gurni Haarikson schmatzte dabei genüsslich mit der Zunge und seine Augen leuchteten, als er in der Erinnerung schwelgte. Bertrand wusste damit weniger anzufangen, beide Bezeichnungen waren ihm nicht bekannt. Aber, was wusste er als junger bretonischer Bauernsohn schon von der Alten Welt? Doch seine Neugier war geweckt, Haarikson entstammten einem anderen Teil der Welt, war noch dazu Angehörigerer einer fremden Rasse, über die Bertrand so gut wie gar nichts wusste.
„Verzeiht, Herr Haarikson. Aber diese Namen sagen mir nichts“, sagte Bertrand in der Hoffnung, dass der Zwerg dadurch mitteilsamer wurde. Seine Hoffnung wurde nicht enttäuscht.
Haarikson sah Bertrand an, zuerst verwundert, dann schien ihm ein Licht aufzugehen. „Ich verstehe, mein Junge, bist wohl nicht viel in der Welt herumgekommen?“

Bertrand schüttelte bloß bedauernd den Kopf. Haarikson lachte und nahm einen tiefen Schluck. „Dann hast du etwas verpasst, das kann ich dir sagen, mein Junge. Solltest du einmal in einer Taverne einkehren, die diese Bezeichnung auch verdient-“, der Wirt zog ein empörtes Gesicht, wagte es aber nicht, lautstarken Protest einzulegen, „-dann bestelle eines von Bugmans Bieren. Doch bedenken, dass du dafür mit klingender Münze wirst zahlen müssen. Doch bei den Ahnengöttern, es ist den Preis wert.“
Gurni Haariksons Augen leuchteten erneut und Bertrand schwor sich, sollte sich ihm diese Gelegenheit bieten, er würde sie beim Schopf packen. Doch eine Frage lag ihm auf der Zunge, und er nahm allen Mut zusammen, um sie zu stellen.
„Wenn Ihr mir die Frage gestattet, -warum seid Ihr hier?“ Der Zwerg maß Bertrand vom Scheitel bis zur Sohle und Bertrand fürchtete bereits, zu weit gegangen zu sein.
„Es ist eine Rechnung, die im Buch des Grolls getilgt werden muss. Und ich bin hier, um sie zu begleichen.“ Auch dies war ein Begriff, den Bertrand nicht kannte. Vielleicht hatte Meister Rainheim ihn einmal während einer Unterrichtsstunde erwähnt, aber er hatte ihm so viele verschiedene Dinge gelehrt. Haarikson fuhr fort. „Meine Heimat, Karak Norn im Grauen Gebirge hat Eisen nach Montlac geliefert. Doch im letzten Monat kehrten unsere Händler nicht zurück. Unsere Nachforschungen ergaben, dass sie nicht auf der Heimreise überfallen wurden, sondern dass der Herrscher von Montlac, Leofric, sie eingekerkert hat. Kein Zwerg kann dieses Verbrechen ungesühnt lassen.“
„Ihr sagtet, ihr hättet Eisen geliefert? Ich dachte Zwerge wären berühmt dafür Gold und Edelsteine zu schürfen.“
„Ha! Es gibt kein Gold im Grauen Gebirge. Aber glaub mir mein Junge, unser Eisen ist mit Gold nicht aufzuwiegen. Zumindest dachten wir es und der Handel mit Montlac versprach hohe Gewinne. Leofric versprach uns einen guten Preis, aber stattdessen warf er meine Brüder in die Tiefen seines Gefängnisses. Leofric ist ein Unbaraki, mögen ihn die Ahngötter zerschmettern!“ Der Zwerg hatte sich in Rage geredet, sein Bart war feucht vom Schaum des Ale. Offensichtlich zeigte das Bier bei Haarikson doch mehr Wirkung, als sich der Zwerg eingestehen wollte. Vor allem, wenn man bedachte, wie schnell er dieses in sich hineinkippte, bemerkte Bertrand.

Ein Schatten fiel auf ihn. Zuerst befürchtete Bertrand, es wäre einer von Leofrics Schergen.
„Wir gehen jetzt“, sagte Reynald le Durie. Bertrand erhob sich, er zeigte mit einem leichten Nicken auf den Zwerg, der bereits das nächste Bier hinunterspülte.
Reynald schüttelte den Kopf. „Alleine. Er ist hier sicher in bester Gesellschaft.“
Bertrand zog skeptisch eine Augenbraue hoch, behielt seine Meinung aber lieber für sich. Sie verließen den lärmenden, großen Hauptsaal über eine breite Treppe und erreichten das erste Stockwerk. Am oberen Ende stand ein weiterer, muskelbepackter Wächter, der sie mit einem grimmigen Nicken passieren ließ. Reynald und Bertrand durchschritten einen langen Gang, der mit kostbar verarbeiteten Tischchen möbliert war, auf denen stimulierende Duftkerzen brannten. Teuer aussehende Wandteppiche und Gemälde hingen alle paar Schritte an den Wänden. Zahlreiche verschlossene Türen befanden sich auf beiden Seiten des Ganges. Doch die Geräusche, die aus den Zimmern kamen waren so eindeutig, dass man sich leicht vorstellen konnte, was genau hinter diesen Türen vor sich ging. Bertrand sah, dass Reynald errötete und stellte nicht sonderlich überrascht fest, dass es ihm genauso erging. Schließlich, nach einer halben Ewigkeit, blieb Reynald vor einer Türe stehen, die sich am Kopfende des Ganges befand. Dahinter war kein Geräusch zu hören, als Reynald sie öffnete. Das Gemach war erstaunlich weiträumig. Bertrand sah einen großen Schrank aus dunklem Holz, einen Tisch mit mehreren Stühlen vor. Ein mit Brokatvorhängen versehenes Doppelbett war ebenso Teil des Mobiliars. Jacques der Weinhändler und Jerome de Montfort waren bereits in dem Raum. Doch sie waren nicht alleine. Die Frau war jung, vielleicht nur ein oder zwei Jahre älter als Bertrand selbst. Sie trug einfache Kleider, wie eine Magd, doch ihre angespannte Körperhaltung verriet, dass sie sich darin unwohl fühlte.

„Dies ist Lady Sandrille“, sagte Jacques, wobei er sich in Richtung der jungen Dame verbeugte.
„Woher wissen wir, dass sie zur Herrscherfamilie gehört?“, murmelte Reynald leise.
„Wer sind diese Männer? Ich habe sie nicht zu mir befohlen“, sagte Sandrille. Ihre Stimme klang jung, doch der Ton machte offensichtlich, dass sie das Erteilen von Befehlen gewohnt war, und deren sofortige Ausfüllung erwartete.
„Ich glaube, wir haben die richtige Person gefunden“, erwiderte Bertrand ebenso leise wie schnippisch.
Jerome de Montfort hob eine Hand und sah den hochgewachsenen Ritter an. Obwohl er nur einfache Kleider und keine Rüstung trug, war seine Gestalt doch ehrfurchtgebietend. „Verzeiht Mademoiselle“, Bertrand registrierte, dass Jerome Sandrille nicht mit dem Titel Lady ansprach, sondern diesen Begriff verwendete, der in der Regel für Mädchen benutzt wurde. „Doch welchen Zweck dient dieses Treffen?“
Lady Sandrille machte einen empörten Gesichtsausdruck, als hätte Jerome sie auf das Tödlichste beleidigt und sog tief Luft ein. Jacques trat vor und begann zu sprechen bevor, so war sich Bertrand sicher, Lady Sandrille mit schriller Stimme eine Szene machen würde.
„Ihr seid hier, um die Lady in Sicherheit zu bringen“, in Jacques Stimme war der Zweifel deutlich zu hören. Bertrand erkannte, dass es offensichtlich ein verhängnisvolles Missverständnis gab. Offenbar war die Kontaktaufnahme der bretonischen Armee mit den loyalen Bürgern der Stadt nicht so reibungslos gewesen, wie es den Anschein hatte. Die Loyalisten waren der falschen Annahme erlegen, ihre Mission gelte der Rettung der herrschenden Familie. Wenn dem so war, standen ihnen nun ernüchternden Momente bevor.

Jerome schüttelte bedauernd den Kopf. „Es tut mir leid, Euch so zu enttäuschen Meister Jacques. Aber Sir Aloys de Montjoie hat uns beauftragt die Ikone zu bergen, nicht mit der Rettung von Personen.“
„Eine Ikone?“ Lady Sandrille hatte offensichtlich ihre Stimme wiedergefunden, und ihre Empörung klang so schrill, wie sie Bertrand erwartet hatte. „Wie könnt ihr es wagen, eine Ikone über mein Wohlbefinden zu stellen? Wisst ihr denn nicht, wen ihr vor euch habt?“
Jacques trat zu der jungen Dame und legte ihr beruhigend eine Hand auf den Arm, aber die junge Adelige war zu aufgebracht, um sich abhalten zu lassen. Ihr Redeschwall, der unvermeidlich schien wurde jedoch durch ein lautes Klopfen verhindert, das beinahe die Türe aus den Angeln gehoben hätte. Gurni Haarikson trat ein.
„Ein Gnom? Was macht der hier?“ Offenbar gab es Dinge, die Lady Sandrilles Empörung noch steigern konnten. Gurni Haarikson warf der jungen Dame einen giftigen Blick zu, der diese ängstlich zwei Schritte zurückweichen ließ, als könnte sie der Zwerg mit einem Satz verschlingen. Ein Gedanke, der Bertrand belustigte, doch die Neuigkeit des Zwerges war gar nicht zum Lachen.

„Es sind Wachen unten. Sie untersuchen jeden der Gäste“, sagte Haarikson. Die niederschmetternde Nachricht ließ sogar Sandrille verstummen.
„Gibt es einen anderen Weg nach draußen, als durch den Haupteingang?“, fragte Jerome. Sie waren alle ohne ihre Waffen gekommen, nur mit einfachen Dolchen. Außerdem widersprach es ihrer Mission, sich den Weg freizukämpfen. Dennoch sah Reynald aus, als wäre er enttäuscht darüber, einem vielleicht ruhmvollen Kampf aus dem Weg zu gehen. Jacques trat zu dem Schrank und öffnete ihn. Er schob die Kleider beiseite und nahm die hintere Wand ab.
„Hier entlang, schnell!“, sagte er und zeigte auf die dunkle Öffnung. Haarikson ging furchtlos als Erster hindurch. Sandrille schien sich zu weigern, doch Jacques nahm sie an der Hand und führte sie in den Geheimgang. Reynald und Bertrand folgten. Den Abschluss machte Jerome. Als die Dunkelheit Bertrand verschluckte, hoffte er, dass sie nicht in die nächste Falle tappen würden. Denn ein Teil fragte sich, wie Leofrics Schergen sie so schnell hatten finden können. Konnte es möglich sein, dass es einen Verräter unter ihnen gab?
 
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4.5 Undgrin Ankor

Die Sonne war in Montlac bereits seit einigen Stunden untergegangen. Auf den einsamen Straßen hallten lediglich die Schritte der Wachpatrouillen wieder. Bertrand fragte sich, ob dies einer Suchaktion geschuldet war, oder ob es seit Leofrics Machtergreifung ein solches Aufgebot üblich war.Bertrand trat von dem niedrigen Kellerfenster zurück, bevor ein weiteres Dutzend schwerer Stiefel an seinem Gesicht vorbeimarschierte. Der Raum war dunkel, nur eine kleine Kerze brannte am anderen Ende, als würde ihr Licht die Insassen verraten. Die riesigen Weinfässer aus Eichenholz waren an beiden Seiten des Raumes gestapelt und warfen dunkle Schatten. Außer Bertrand war noch der Rest der Gruppe anwesend, denen zuvor die Flucht aus der lachenden Lilie gelungen war. Einige Male waren sie einer drohenden Entdeckung nur dank Jacques Ortkenntnissen entgangen. Doch ihnen allen war klar, dass dieser Ort hier auf die Dauer auch nicht sicher war. Umso mehr, da sie noch eine Mission zu erfüllen hatten. Zumindest waren sie wieder in Besitz ihrer Waffen und ihre Pferde, samt Haariksons Karren, war in Jacques Innenhof und Stallung vor neugierigen Blicken verborgen.

„Und jetzt?“, fragte Reynald, während er sich sein Schwert umgürtete und als erster die Stille brach, nachdem die Patrouille sich entfernt hatte. Gurni Haarikson war damit beschäftigt, seine Rüstung wieder anzulegen und hielt nur kurz inne, um Jerome de Montfort anzublicken. Bertrand ging auf, dass dies jeder im Raum tat. Jerome nahm sein Schwert und prüfte die Schneide im schwachen Licht. Oriflammè strahlte dennoch, als würde es die Mittagssonne eines Sommertages in der arabianischen Wüste widerspiegeln. Allein der Anblick der konkaven Schneiden auf die fremdartige Symbole eingraviert waren, gab Bertrand wieder Mut und Zuversicht. Er fragte sich, ob dies bei den Anderen auch der Fall war.

Er hoffte inständig, dass dies so war. Sie konnte jede Art von Aufmunterung gebrauchen.
„Wir müssen die Ikone von Quenelles aus den Händen Leofrics retten“, sagte Jerome de Montfort mit Nachdruck.
„Und was ist mit Lady Sandrille?“, fragte Reynald.

Jerome sah die junge Adelige an. In seinem Blick lag Bedauern und Mitgefühl. Sandrille hatte sich von ihrem hysterischen Anfall insoweit erholt, als das sie seit ihrer Flucht und stumm geblieben war. Ihr blasses Gesicht ließ sogar vermuten, dass sie unter Schock stand. Ein Umstand, den ihr niemand verdenken konnte und wollte. „Verzeiht, Lady Sandrille, aber diese Mission ist zu gefährlich um Euch mitzunehmen.“ Der Ritter wandte sich an Jacques. „Gibt es einen Ort, wo die Lady für die nächste Zeit in Sicherheit wäre?“
Jacques überlegte kurz. „Ich könnte Lady Sandrille hier verstecken. Natürlich besitzen meine Gemächer nicht den Komfort, den Lady Sandrille aus dem Schloss gewohnt ist.“
„Ich denke, es wird für die kurze Zeit vollends genügen“, antwortete Jerome mit Nachdruck und in Sandrilles Richtung. Diese blickte ihn mit großen Rehaugen an und nickte, wie eine Tochter, wenn ihr Vater ihr eine Anweisung gab. Vielleicht lag es an dem Altersunterschied, aber Bertrand dachte, dass Jerome mit seinem Schwert mehr der geborene Anführer aussah, der er war.
„Aye, das wäre geklärt, aber wir müssen immer noch in das Schloss gelangen“, warf Gurni Haarikson ein. Der Zwerg hatte seine Rüstung angelegt, was länger gebraucht hatte, als bei den drei Bretonen. Er stülpte sich gerade seinen Flügelhelm über und wartete immer noch darauf, dass jemand auf seinen Einwand antwortete.
Jacques lächelte. „Ich glaube, ich habe dafür eine Lösung.“
„Und die wäre?“, fragte der Zwerg.

Der Weinhändler antwortete nicht, sondern ging vielmehr zu einem der hohen Weinfässer, das so hoch war, dass ein Mensch bequem darin stehen konnte. Mit einigen schnellen Handgriffen öffnete Jacques die Vorderseite, die sich zu jedermanns Überraschung öffnen ließ. Bertrand hörte, wie der vordere Teil des Eichenfasses an quietschenden Scharnieren zur Seite schwang und eine dunkle Öffnung dahinter präsentierte.
„Voilà!“, sagte Jacques und zeigte dabei auf den Geheimgang wie ein Schausteller auf einen tanzenden Bären.

Gurni Haarikson grummelte etwas Unverständliches in seinen Bart und ging auf den Geheimgang zu. Jacques entzündete Fackeln und bot eine dem Zwerg an.
Gurni Haarikson schüttelte den Kopf. „Ein echter Sohn der Dawi benötigt solche Hilfsmittel nicht.“ Dann schritt er durch die dunkle Öffnung und war verschwunden.
„Ich denke, da wir keine Zwerge sind, nehmen wir doch eine Fackel“, sagte Jerome de Montfort und Bertrand lachte über einen der seltenen Witze des Ritters.
„Der Gang führt immer geradeaus. Nach vierhundert Schritten nehmt den rechten Pfad. Dann seid ihr im Schloss. Aber denkt daran, es ist der rechte Tunnel, da unten gibt es ganzes Labyrinth aus Gängen“, riet ihnen Jacques.
„Ein echter Zwerg verläuft sich nicht“, hallte es aus der Dunkelheit. Gurnis Stimme klang beinnahe beleidigt, obwohl es Jacques nur gut gemeint hatte. Bertrand schluckte sein Unbehagen hinunter und folgte dem Ritter in den Geheimgang. Sowohl Jerome, als auch Reynald hielten eine Fackel in ihren Händen. Bertrand erkannte, dass sie beide dafür ihre linke Hand verwendeten. Natürlich war es unwahrscheinlich hier unter der Erde auf Feinde zu treffen. Aber besser man war gewappnet. Und außerdem fielen Bertrand wider Willen all die schauderhaften Gerüchte von menschengroßen Rattenwesen ein, die angeblich unter der Erde hausten. Zwar hatte niemand den er kannte, solch grauenhafte Geschöpfe jemals mit eigenen Augen gesehen, aber die Vorstellung allein war schon furchterregend. Er war so vertieft in seine Schaudermärchen, dass er beinnahe erschrak und seine Hand zum Schwertgriff fuhr, als ihre Gruppe den wartenden Zwerg erreichte. Gurni sah nur auf seine Hand und dann in Bertrands errötendes Gesicht und ein belustigter Ausdruck huschte über das zerfurchte Gesicht des Zwerges.

„Folgt mir, Menschen“, sagte er und setzte den Marsch fort. Ohne Widerspruch leisteten sie der Aufforderung Gehorsam. Gurni Haarikson schien in dieser dunklen, klaustrophobischen Umgebung regelrecht aufzublühen. Außerdem schien es, als hätte er einen nahezu übernatürlichen Orientierungssinn. Mühelos fand er die von Jacques erwähnte Wegscheide und ging selbstsicher voran. Bertrand blieb an Reynalds Seite um möglichst im flackernden, spärlichen Licht der Fackel zu bleiben. Obwohl er keine Ahnung hatte, bemerkte Bertrand, dass sich der Gang leicht absenkte. Ein Gedanke, der bei ihm noch mehr Unwohlsein hervorrief. Es half auch nicht, als sie eine Stelle erreichten, wo ihr Weg über eine steinerne Brücke führte. Unter ihnen hörte Bertrand das charakteristische Geräusch von fließendem Wasser. Der stechende Geruch in seiner Nase verriet ihm, dass es sich dabei jedoch nicht um reines Quellwasser handelte, im Gegenteil! Auch Reynald stöhnte gequält auf. Nur der offenbar unverwüstliche Zwerg und Jerome de Montfort zeigten keinerlei Reaktionen auf die neue Geruchserfahrung. Ihr Weg führte die Gruppe immer weiter, und Bertrand hatte schon lange jegliches Zeitgefühl verloren. Seiner Schätzung nach waren sie vielleicht eine halbe Stunde unterwegs, es konnte aber genauso eine, oder sogar zwei Stunden sein. Wieder und wieder erreichten sie Abwässerkanäle und sogar Abzweigungen, aber Gurni Haarikson wählte so zielstrebig seinen Weg, als wäre er hier unten geboren worden. Er führte sie weiter und langsam fand Bertrand sogar Bewunderung für die Leistung, die Arbeiter und Ingenieure so tief und unbeachtet vor den Augen der Bevölkerung, geleistet hatten. Er erwähnte dies sogar gegenüber dem Zwerg.

Gurni Haarikson schnaubte belustigt. „Mein Junge, du solltest einmal die Minen von Karak Norn oder sogar die Hallen von Karaz Ankor sehen. Dagegen ist dies hier eine Räuberhöhle.“
Sie passierten gerade eine Reihe von Wasseröffnungen, die allesamt mit Wasserspeiern verziert waren und ihren Inhalt in einen Kanal ergossen, der parallel zu ihrem eigenen Weg verlief.. Angesichts dieses Anblicks zog Bertrand zweifelnd die Stirn. Sagte der Zwerg die Wahrheit oder übertrieb er nur? Wieder einmal musste er feststellen, wie wenig er über die Alte Welt Bescheid wusste. Er wünschte sich, Meister Rainheim hätte ihm über all die fremden Kulturen erzählen können. Auf der anderen Seite konnte er jetzt seine eigenen Erfahrungen machen. Wer weiß, vielleicht würde er sogar einige der legendären Orte selbst besuchen; Tilea, das ferne, exotische Arabia, oder eine Wehrstadt der Zwerge. Bertrand lachte leise ob der obskuren Vorstellung und bemerkte, wie Reynald ihn ansah, als hätte er den Verstand verloren.
„Wir sind da“, sagte der Zwerg und unterbrach damit Bertrands Gedanken. Sie befanden sich nun in einem weiträumigen Raum. Tief unter ihnen, weit außerhalb des Lichtscheins ihrer Fackeln rauschte ein gewaltiger Wasserstrom. Sie mussten eine weitere Brücke passieren und Bertrand fragte sich angesichts des zurückgelegten Weges, wie man es geschafft hatte eine so hochgeborene und dementsprechend verwöhnte Person wie Lady Sandrille über diese Route zu transportieren. Sogar ihm, als Sohn einfacher bretonischer Bauern, der das Ausmisten von Ställen seit Kindesbeinen gewöhnt war, war der Gestank des Abwassers zu viel. Doch in der Not fraß der Teufel offensichtlich Fliegen, und eine Adelige war bereit durch einen Abwasserkanal zu fliehen.

Gurni Haarikson führte sie zu einer Steintreppe, die Bertrand trotz der Fackeln nicht gesehen hatte. Er erklomm die ersten Stufen mit einer Geschwindigkeit, die man einer Peron mit einer solchen Statur nicht zugetraut hätte. Reynald und Bertrand hatten Mühe, dem Zwerg zu folgen, umso mehr, da es kein Geländer gab, an dem man sich anhalten konnte. Der Aufstieg erwies sich als Wendeltreppe, der um einen runden Turm gemauert war. Bertrand fand es schwierig sein Gleichgewicht zu halten, vor allem, da auf seiner linken Seite nichts als Dunkelheit war. Seltsamerweise war dies furchterregender, als wenn er die gähnende Leere gesehen hätte und es kostete ihn immer mehr Überwindung die Stufen hinaufzusteigen. Der Schweiß floss von seiner Stirn, eine Zusammenarbeit seiner Angst und der körperlichen Anstrengung. Völlig außer Atem erreichte er schließlich das obere Ende. Sehr zu seiner Befriedigung sah er, dass es Reynald nicht besser erging, der sich sogar mit seiner Hand auf dem Knie abstützte. Gurni musterte die beiden keuchenden jungen Männer.

„Bei den Ahnengöttern, ihr macht so viel Lärm, dass alle Feinde des Undgrin Ankors euch hören könnten.“
Inzwischen war auch Jerome de Montfort bei ihnen angelangt, Im Gegensatz zu seinen jungen Mitstreitern zeigte der Ritter jedoch keine sichtbaren Zeichen von Erschöpfung. Bertrand wunderte sich, wie sie weiterkommen sollten. Die Treppe endete in einer solide aussehenden Steinmauer, von denen jeder einzelne Stein so aussah, als würde er mindesten einen Zentner wiegen. Gurni Haarikson sondierte die Mauer sorgfältig und mit geübtem Blick. Dann drückte er auf einen unscheinbaren Stein und zu Bertrands Überraschung gab dieser nach. Bertrand hörte ein Geräusch, als würden Hebel und Zahnräder in einem unsichtbaren Mechanismus in Gang gesetzt. Nur wenig später schob sich die Mauer wie von Geisterhand bewegt zur Seite und öffnete damit einen Durchgang.

Sie schritten hindurch und fanden sich in einem Gang wieder. Obwohl das Material das Gleich war, wie in den Tunneln, spürte Bertrand doch, dass sie hier nicht mehr in einem unterirdischen Netzwerk waren, sondern dass es irgendwo einen Zugang zu frischer Luft gab. Der Gestank war zwar wesentlich besser, aber das machte es nicht einfacher, ihn zu ertragen. Hier roch es weniger nach Fäkalien als nach einer Mischung aus verrottetem Heu, Exkrementen und Schweiß.
Angstschweiß, ging Bertrand auf.
„Wird sind hier“, sagte Gurni Haarikson.
„Wo genau ist hier?“, stellte Reynald die Frage, die auch Bertrand auf der Zunge gelegen hatte.
„In den Verliesen von Montlac“, gab der Zwerg zur Auskunft. Obwohl er jetzt auf seine Lautstärke achtete, hallte seine Stimme dennoch durch den Gang.

Bertrand betete zur Herrin, dass keine Wache in der Nähe war, die Alarm schlagen würde. Offenbar kam der Zwerg zu demselben Entschluss, denn er führte die Gruppe von dem Eingang weg und tiefer in den Gang hinein. Einige Minuten folgten sie dem Zwerg, der wieder wie von einem inneren Instinkt geleitet, sie durch die Gänge führte. An mehreren Abzweigen schritt Gurni Haarikson inne, ohne anscheinend auch nur einmal kurz zu zögern. In völliger Stille passierten sie zahlreiche schwere, verschlossene Türen, deren vergitterte Öffnungen Einblick in schwarze, dunkle Kammern gaben. Aus manchen drangen leise Laute, das Rascheln von Stroh und ein schwaches Wimmern, wie Bertrand glaubte zu hören. Unweigerlich musste er an seine eigene Inhaftierung in den Verliesen denken, die noch gar nicht so weit zurück lagen. Die Beule an seinem Hinterkopf war immer noch ein Beweis für die Gastfreundschaft des Herrschers von Vingtiennes. Bertrand überkam bei dieser Erinnerung ein mulmiges Gefühl und er sah rasch nach dem Rest der Gruppe. Dennoch war dieses Verlies anders. In Kerker von Vingtiennes waren die Schreie der Gefangenen über die Gänge und in die Zellen gehallt. Damals hatte es an seinen Nerven gezerrt. Doch diese Stille war weitaus zermürbender und die subtile Botschaft die darin lag umso erschreckender. Leofric, der Tyrann von Montlac, hatten seinen Gefangenen die Hoffnung geraubt. Stille war ein weitaus einschüchterndes Mittel der Unterdrückung.

Trotz seiner vorher deutlich zum Ausdruck gebrachten Herabschätzung, einer zur Grundtugend gesteigerten Einstellung des bretonischen Adels gegenüber anderen Klassen und Rassen, sah Bertrand dennoch etwas wie Respekt in Reynalds Augen aufleuchten. Sogar Jerome de Montfort blickte mit Bewunderung auf die Zielstrebigkeit des so viel kleineren Zwerges. Bertrand registrierte ebenfalls, dass der Ritter sein magisches Schwert Oriflammè gezogen hatte und beeilte sich dem Vorbild seines Herrn Folge zu leisten. Hinter jeder Biegung konnten sie jetzt auf Feinde treffen und jeder noch so kleine Zeitvorsprung konnte nun über Leben und Tod entscheiden. Es war ein Gedanke, der Bertrand ein wenig Furcht einflösste und er empfand dieses merkwürdige Gefühl von innerer Erregung, wie damals vor dem Beginn der Schlacht.
 
4.6 Ein jeder auf seinem Platz

Bertrands Vorstellung von einem Handgemenge in einem engen Steingang sollte jedoch bald der Realität weichen. Seinem Schreckensbild zum Trotz, hörten sie den Feind lange, bevor sie ihn sahen. Zuerst war es ein schwaches Echo, doch Gurni Haarikson reagierte darauf wie ein Wolf, der die Fährte seiner Beute aufgenommen hatte. Er beschleunigte seine Schritte, schaffte es dabei doch auf wundersame Art und Weise, nicht mehr Geräusch zu verursachen. Zuerst dachte Bertrand, es waren die gemarterten Schreies eines der Unglückseligen, der in den Kerkern des Tyrannen Leofric sein Dasein fristete. Doch je näher sie der Quelle kamen, desto mehr erkannte er, dass es sich dabei um raues Gelächter handelte. Bertrand fand es seltsam, eine Analogie auf das Leben, hätte der gelehrte Meister Rainheim es sicher genannt, wie nah Freud und Leid beieinander lagen, dass man sie sogar verwechseln konnte. Bertrand kam jedoch nicht zu weiteren Überlegungen in diesem Punkt, da er nun sogar einen schwachen Lichtschein vor ihnen ausmachen konnte. Zwar waren ihnen schon zuvor in den Gängen hin und wieder Fackeln begegnet, die an Halterungen angebracht gewesen waren. Doch hier verriet der immer heller werdende Schein, dass sie sich einem Ort näherten, wo Menschen häufiger anzutreffen waren. Was auch gleichbedeutend damit war auf feindliche Wachen zu treffen.

Die Geräusche wurden deutlicher, je näher sie sich ihrem Ursprung näherten. Jerome und Reynald verlöschten die Fackeln, damit sie sie nicht verrieten. Bertrand hörte inzwischen die ersten Wortfetzen.
„… und dann hab meinen Stiefel in der Magengrube des Gnoms vergraben. Der ist daraufhin noch ein gutes Stück kleiner geworden.“
Raues Gelächter folgte der Beschreibung dieser Misshandlung. Bertrand sah unwillkürlich zu Gurni Haarikson, der leise seinen mächtigen Streithammer vom Rückengeschirr löste. Sein Blick wanderte zu Reynald, der den Kampf offensichtlich ebenfalls nicht erwarten konnte. Jerome de Montfort nickte mit seinem Kopf, das war das Zeichen. Die vier Krieger fielen in die Kammer, wie ein Wintersturm ein Schiff überrascht, das sich in die umtoste Krallensee gewagt hat. Die Gewalt explodierte in der Kammer förmlich und Bertrand sah sich damit beschäftigt, seinen Gegner mit hektischen Hieben vom Leib zu halten. Gurni Haarikson teilte gewaltige Hiebe mit seinem Streithammer aus und schrie Worte in Khazalid, der Sprache der Zwerge, in das Gesicht seiner Gegner. Es klang so, als würde sich eine Bergflanke in einer Steinlawine verwandeln, die sich tosend ins Tal erbricht. In der Kammer war der Kriegschrei des Zwerges ohrenbetäubend.

Bertrand hatte jedoch andere Sorgen. Sein Gegner, in verdreckte Kleidung gehüllt, hatte ein pockennarbiges Gesicht und die Attitüde eines Wiesels. Unglücklicherweise für Bertrand war er mit seinem ellenlangen, gezackten Dolch auch so flink wie besagtes Nagetier. Bertrand wich immer weiter zurück, während er nur versuchte, die Klinge des Gegners davon abzuhalten, ihn zu treffen. So lange, bis er mit dem Rücken zur Mauer stand. Eine Position, die seine Verteidigung erschwerte. Gervaise Haughey hatte die Knappen in seinen Lektionen davor gewarnt.
„Mit dem Rücken zu einer Wand zu stehen bedeutet zwar, dass einem von hinten keine Gefahr drohen kann“, hatte der Waffenmeister gesagt und dann seine behandschuhte Hand gehoben, den Zeigefinger warnend ausgestreckt. „Gleichzeitig geht dadurch die Bewegungsfreiheit verloren, es ist damit weitaus schwieriger, wieder die Initiative zu ergreifen. Schließlich will man in einem Kampf nicht nur überleben, sondern auch seinen Feind besiegen.“

In diesem Moment wollte Bertrand nur Überleben, es füllte seinen Verstand vollständig aus. Doch sehr bald würde er auf die bittere Tour lernen, dass der alte Waffenmeister mit der Erfahrung eines Jahrzehnte alten Kriegers gesprochen hatte. Erfahrung, die den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachte. Es war dieser Umstand, dass die solide Steinmauer seine Bewegung einschränkte, die Bertrand zum Verhängnis werden sollte. Bertrand zögerte nur einen Augenblick, aber sein wieselflinker Gegner nützte dies aus. Bertrand sah nur noch die gezackte Klinge im Fackelschein aufblicken, die unweigerlich näher kam. Verzweifelt hob er sein Schwert, doch der Hieb war zu stark und schnell. Sein Arm wurde zur Seite geschleudert, sodass seine Muskeln schmerzhaft protestierten, als würde er ihm abgerissen werden. Doch der wahre Schmerz durchfuhr Bertrand erst, als ihm sein Gegner mit der anderen Hand an den Kopf schlug.

Zwar hatte Bertrand, wie die beiden Ritter, sein Kettenhemd samt Kettenhaube an, aber der Schlag traf genau die Stelle, die auch der verräterische Gaston de Foix hinterrücks bewusstlos geschlagen hatte. Die ineinander verhakten Kettenglieder aus Stahl fingen die Wucht des Schlages zum Großteil ab. Aber der Umstand, dass es genau seine alte Beule traf, bewirkte, dass Bertrand das Bewusstsein verlor. Ihm wurde schwarz vor Augen, die Geräusche wurden leise, als kämen sie von weiter Entfernung. Eine Ewigkeit schien zu vergehen und als Bertrand die Augen wieder aufschlug, fand er sich am Boden der Kammer wieder. Er war die Mauer hinunter gesackt, die Beine von sich gestreckt. Sein Schwert lag außer Reichweite. Vor ihm baute sich sein Gegner auf und grinste, wobei er mehr Zahnlücken, denn Zähne zeigte. Sein langes Messer versprach Tod und Verderben und zog unwillkürlich Bertrands blicke auf sich.
Der finale Todesstoß kam nicht.
Das grausame Lächeln samt Kopf verschwand in einer Fontäne aus Blut und Gehirnmasse. Derart geköpft kippte der restliche Torso zur Seite. Dahinter stand Gurni Haarikson und grinste auf Bertrand herab, jedoch weitaus weniger feindselig.
„Du kannst den Ahnengöttern danken, mein Junge, das ich auf deiner Seite bin. Wisch dir das Blut vom Gesicht.“

Immer noch perplex folgte Bertrand der Aufforderung automatisch und wischte sich die Spritzer fremder Körperflüssigkeiten aus seinem Gesicht. So schnell wie sich der Kampf in der Kammer entwickelt hatte, war er nun wieder verebbt. Eine vielsagende Stille lag über diesen Ort. Fünf Kerkerwachen lagen verdreht am Boden. Diejenigen die das Pech gehabt hatten, dem Zwerg im Weg gestanden zu sein, waren nicht mehr als zerbrochene Hüllen. Bertrand sah nicht genau hin, aber was er erblickte reichte aus um zu erkennen, was für eine furchtbare, verheerende Waffe ein Kriegshammer in geübten Händen war. Eine solche Hand streckte sich gerade aus und zog ihn auf die Beine. Die Kraft die der kleine Zwerg dabei zutage legte, ließ Bertrand wirklich ein Dankgebet darüber sprechen, dass sie auf der gleichen Seite waren.

„Und wie gehen wir jetzt weiter vor?“, fragte schließlich Reynald le Durie, der seine blutbesudelte Schwertspitze ungerührt an der Kleidung eines Toten abwischte.
„Wir finden die Ikone“, sagte Jerome de Montfort, der sein Schwert Oriflammè wieder in die Scheide steckte. Als die kostbare Klinge verdeckt war, kam es Bertrand so vor, als wäre es in der Kammer ein wenig dunkler geworden.
„Ich werde meine Klanbrüder suchen. Dieser Dok hier“, der Zwerg zeigte dabei mit dem Stiel auf eine der Wachen,“ hat meine Klanbrüder erwähnt.“
Die Spannung war zum Greifen nahe. Es war offensichtlich, dass weder Jerome de Montfort, noch der Zwerg gewillt waren, auf ihren Standpunkt zu verzichten. Schließlich nickte der hünenhafte Ritter mit dem Kopf.
„Gut, so sei es! Dann sucht Ihr eure Brüder, und wir werden die Ikone von Quenelles bergen.“

Der Ritter wandte sich an Bertrand und Reynald. „Wer von euch beiden geht mit Herrn Gurni Haarikson?“
Bertrand hätte es vorgezogen bei seinem Herrn Jerome zu bleiben. Doch ein Blick auf Reynald zeigte ihm, dass Reynald genauso dachte. Wenn er sich noch dazu Reynalds herablassendes Verhalten anderen gegenüber, die dieser als niedriger gestellt betrachtete, ausmalte, dann konnte er sich denken, dass das Gespann Reynald und Gurni wenig vielversprechend war. Gurni Haarikson wirkte zunehmend gereizter, wie an dem Wortgefecht mit Jerome zu bemerken war. Bertrand mochte sich nicht vorstellen, was passieren würde, wenn Reynald mit einer seiner typischen arroganten Art den Zwerg herausfordern würde. Auf jeden Fall würde eine solche Konfrontation für den jungen Ritter alles andere als angenehm enden. Nein, Bertrand entschied, dass es allemal besser war, wenn er den Zwerg begleiten würde. Noch dazu, wo Gurni Haarikson zumindest einen Hauch von Sympathie ihm gegenüber durchblicken ließ. Außerdem war da noch der Funke von Neugier ob alle Zwerge so waren, wie Gurni Haarikson.

Schweren Herzens hob er seine Hand. Im Augenwinkel konnte er nicht umhin zu bemerken, dass Reynalds Lippen ein Lächeln erschein. Sollte er doch diese Genugtuung bekommen, fand Bertrand. Mit einem Anflug von Stolz registrierte der junge Knappe, dass Jerome zufrieden nickte. Offenbar erkannte der Ritter, dass sich Bertrand aufopferte und es gut hieß. Sein Selbstbewusstsein wurde noch gestärkt, als ihm Jerome de Montfort die mächtige Hand auf die Schulter legte. „Wir werden uns beeilen und treffen uns binnen einer Stunde wieder an diesem Ort“, sagte Jerome zu Bertrand.
„Dieses Tor wird euch zu einer Stiege führen. Nach der Stiege seid ihr im Palast. Die Ikone wird sich in Leofrics Gemächern befinden. Leofric bewohnt die ehemaligen Räume der Herrscherfamilie im obersten Stockwerk. Passt auf, sie sind sicher gut bewacht“, sagte Gurni Haarikson zum Abschied.
Jerome de Montfort nickte dankbar und nahm sich eine Fackel. Reynald le Durie folgte dem älteren Ritter und beide verschwanden durch besagte Öffnung. Bertrand sah ihnen mit einem mulmigen Bauchgefühl hinterher.
„Dann bleiben nur du und ich, mein Junge. Lass uns meine Klanbrüder befreien“, sagte Gurni Haarikson und riss Bertrand aus seinen Gedanken. Er entnahm einem der toten Wachen einen eisernen Schlüsselbund, der bei der Bewegung klirrte. Bertrand wusste, dass der Zwerg recht hatte. Ein Teil seines Herzens wünschte sich dennoch, dass er an der Seite seines Herrn Jerome de Montfort geblieben wäre. Aber niemand hatte gesagt, dass es einfach war, großmütig zu sein. Es erforderte immer auch die Aufgabe von etwas, das man liebte.


Offensichtlich hatte der Gnom Recht gehabt, stellte Reynald le Durie fest. Seine Aussage, dass Leofric seine Privatgemächer bewachen würde, stellte sich in Form von vier Hellebardenträgern als durchaus wahr heraus. Bis jetzt war alles gut verlaufen. Nach der Stiege, die der Gnom erwähnt hatte, waren sie tatsächlich im Palast gelandet. Die ehemals so üppig dekorierten Gänge wiesen bereits Zeichen von Plünderung und Nachlässigkeit, Beweise für Leofrics plündernde Soldateska, auf. Reynald selbst war zwar als Angehöriger der höchsten Kaste geboren worden, doch bei weitem nicht in überbordendem Reichtum. Der Wachturm seines Vaters war genau so bescheiden, wie die Abgaben, die die Leibeigenen ablieferten. Es hatte gerade ausgereicht, um sein Pferd und seine Rüstung zu bezahlen, geschweige denn einen Knappen. Ein solch großartiges Lehen wie Montlac samt einen solch prächtigen Palast, in dem das Heim seines Vaters mehrfach hineinpasste, so heruntergekommen zu sehen, war eine Schande. Und ein Beweis für Reynald, dass die niederen Klassen Bretonias nicht zum Herrschen und Verwalten befähigt waren. Leofric war ein Ursurpator der die Gemeinen gegen ihre rechtmäßigen Herren aufwiegelte und in Reynalds Augen war der Galgen das Einzige, das solch ein Verbrechen verdiente. Seine Finger pressten sich stärker um das Heft des Schwertes, als er sich ausmalte, wie Leofric am Galgen baumelte. Doch zuerst mussten sie an den Wachen vorbei kommen. Auch wenn Reynald nicht viel von der Kampfkraft der Gemeinen hielt, so waren vier Wachen doch auch kein Pappenstiel. Auf dem freien Feld, wäre er ihnen mit Lanze und Schwert hoch zu Ross, weitaus überlegen gewesen, doch in einem beengten Korridor zu Fuß sah die Sache ganz anders aus.

Jerome de Montfort schien sich von diesem Umstand nicht weiter beeindrucken zu lassen. Der hünenhafte Ritter ging an Reynald vorbei und um die Ecke auf die verdutzten Wachen zu. Er tat dies so selbstverständlich und jedwede Anflug von Furcht, dass sogar Reynald ihn angaffte. Orilammè, das geweihte Schwert, fand sich im festen Griff von Jeromes gewaltiger, gepanzerter Faust wider. Die konkav, geschmiedete Klinge mit den rätselhaften Runen schien plötzlich zu leuchten, als hätte es ein Eigenleben und spürte, dass eine Konfrontation bevorstand. Eine der Wachen löste sich aus der Starre und senkte bedrohlich seine Stangenwaffe, wobei das spitze Ende direkt auf Jerome de Montforts Brust zeigte.
„Halt, gebt Euch zu erkennen!“
Jerome de Montfort schien von dieser Aufforderung völlig ungerührt. Auch von der Tatsache, dass ihn die restlichen drei Wachen zu umzingeln begannen. Stattdessen antwortete er: „Ergebt euch und händigt mir die Ikone von Quenelles aus. Dann garantiere ich bei meiner Ehre als Ritter, dass ich vor den Richtern des Herzogs ein gutes Wort für euch einlegen werde.“
„Wir kennen nur einen Herzog“, knurrte die erste Wache, wobei sein Mund an das Fletschen eines Wolfes erinnerte. „Und dieser hört auf den Namen Leofric. Auf ihn Jungs!“

Mit einem bestialischen Brüllen, dass mehr an plündernde Orks, denn an Menschen, erinnerte, stürzten sich die Hellebardenträger auf den einzelnen Ritter. Oriflammè sang, als es durch die Luft wirbelte. Mit einem lauten Klirren parierte Jerome de Montfort den Stoß des ersten Gegners, der direkt auf sein Herz gezielt war. Ein zweiter Söldner attackierte ihn, der seine Hellebarde wie eine Axt verwendete, und mit der Stangenwaffe einen Hieb von oben herab ansetzte. Behänder, als man es einer so großen und gerüsteten Person zutraute, sprang Jerome de Montfort zur Seite. Mit einem lauten Krachen donnerte die Hellebarde auf den Steinboden, wo einen Augenblick zuvor noch der Ritter gestanden war. Jerome de Montfort nutzte die Gelegenheit aus, und rammte mit seinem gesamten Körper einen der Angreifer, wobei seine gepanzerte Faust dessen Kinn traf. Der Mann verlor zwei seiner ohnehin noch wenigen vorhandenen Zähne und spuckte diese samt einen großen Menge Blut aus, während er zu Boden sank. Jerome de Montfort wechselte in einen Zweihandgriff und schwang Oriflammè in einem weiten Bogen. Holz splitterte, und das gefährliche obere Ende einer Hellebarde flog davon. Der nun ohne Waffe dastehende Söldner blickte Jerome für einen Moment verdutzt an. Die dämliche Grimasse seines hässlichen Gesichts stand im Kontrast zu seinen Augen, die sein Schicksal wohl erahnten, als Oriflammè auf seinen Schädel heranbrauste. Im letzten Moment veränderte Jerome de Montfort den Griff und sein Schwert schlug mit dem flachen Ende auf den Kopf des Gegners. Wie ein nasser Sack sank der Söldner bewusstlos zu Boden.

Die letzten beiden Wachen erkannten, dass sie ihre Taktik ändern mussten, wenn sie nicht das Schicksal ihrer bedauernswerten Gefährten ereilen wollten. Sie koordinierten ihre Attacken nun, während sie von zwei Seiten zugleich auf Jerome de Montfort losgingen. Der Ritter sah sich nun zahlreichen Finten und Angriffen ausgesetzt und wirbelte Oriflammè hektisch hin und her, um den tödlichen Schwall an Hieben auf seinen Körper abzuwehren. Schritt für Schritt wich Jerome de Montfort zurück, während seine Gegner ihm weiter zusetzten, wie ein Rudel Wölfe, dass ihre Beute gestellt hatte. Der hünenhafte Ritter wehrte gerade einen Hieb ab, der seinen Kopf von seinem Hals getrennt hätte, als ein brennender Schmerz seinen linken Arm durchfuhr. Die Spitze einer Hellebarde steckte einen Fingerbreit im Bizeps seines Oberarms, und sein Gegner drehte genüsslich seine Waffe, wodurch neue Wellen von Schmerzen Jeromes Körper durchströmten. Mit einem Brüllen, das sowohl Schmerz, als auch Frustration enthielt, riss Jerome de Montfort seinen Arm zurück. Ein dunkelroter Blutschwall floss aus der Wunde, wo die Spitze der Hellebarde Waffenrock und Kettenhemd durchdrungen hatte. Sein Arm pochte wie wahnsinnig und hing nun leblos an seiner Seite. Jerome de Montfort veränderte seine Lage, sodass er seinem nächsten Gegner nun schräg gegenüber stand. Dadurch bot er weniger Angriffsfläche, eine Stellung, die nun, da ihm sein linker Arm nicht mehr zur Verfügung stand, besser zu Gebote stand.

Auch seine Feinde registrierten die Veränderung und lachten hämisch. Die Wache, die den Treffer erzielt hatte, zog das Blatt ihre Hellebarde näher an ihr Gesicht und strich prüfend darüber. Er zeigte seine behandschuhte Hand seinem Gefährten, die von Jerome de Montforts Blut rot getränkt war. Jerome de Montfort hob Oriflammè, sodass die Klinge in einem schrägen Winkel nach oben zeigte. Mit großer Mühe hob er seinen linken Arm, wobei er nicht auf dessen schmerzenden Protest achtete. „Los, kommt her!“, rief er und unterstützte dies mit einer Geste seiner Hand.

Derart angestachelt vergaßen die beiden Hellebardenträger ihre bisher so erfolgreiche Taktik und griffen den Ritter wie wilde Berserker an. Jerome de Montfort wartete jedoch nicht ab, sondern stürmte ebenfalls vorwärts. Er fing die Attacke des ersten Söldners ab, Oriflammè parierte die Hellebarde weit über ihren Köpfen. Auge in Auge standen sie sich gegenüber, wobei Jerome aufgrund seiner Größe auf den Gegner herab blickte. Der zweite Söldner sah das Patt und machte sich für den tödlichen Stoß bereit. Wie einen Speer hielt die Wache ihre Stangenwaffe und machte sich bereit, in die ungeschützte Seite des Ritters zu stoßen.

Reynald le Durie rammte den Söldner mit voller Wucht und schleuderte ihn mehrere Fuß zur Seite, wo er krachend gegen die Korridorwand geschmettert wurde und zu Boden sackte. Das dabei entstehende Geräusch verriet, dass mindestens einige Knochen gebrochen waren. Blut rann aus den Mundwinkeln des Hellebardenträgers, dessen Körper verdreht am Boden lag. Reynald le Durie drehte sich um und hob sein Schwert hoch, sodass es direkt auf den Hals der letzten verbleibenden Wache zeigte. Das Blatt hatte sich nun gewendet, und die tödliche Entschlossenheit in Reynalds Augen machte unmissverständlich klar, wie es enden würde. Der Söldner gab sich keinen Illusionen hin und ließ seine Waffe los. Er sank in die Knie und hob flehentlich seine Hände.

„Habt Erbarmen, Mylords“, winselte er, wobei er versuchte möglichst mitleiderregend auszusehen. Ein Versuch, welcher bei einem Gesicht, das ein Leben lang nur Grausamkeit und Häme gekannt hatte, vollends misslang. Reynald le Durie trat mit erhobenem Schwert hinzu, um das Urteil zu vollstrecken. Der Söldner sah es, und spuckte vor ihnen auf den Boden. Eine Aktion, die Reynald le Durie nur noch mehr bestärkte, diesen Wurm zu richten. Er hob sein Schwert noch ein Stück höher, damit er sicher nur einen Hieb benötigte.
„Genug!“, unterbrach ihn Jerome de Montfort.

Reyald sah ihn an, eine Augenbraue hochgezogen, um seine ablehnende Haltung zu unterstreichen. Jerome jedoch lies keinen Protest zu. Warum zögerte der Ritter, fragte sich der junge Adelige Reynald. Immerhin war es nur ein Gemeiner, ja sogar Söldnerabschaum? Was war ein solches Leben schon wert? Reynald legte seine gesamte Kraft in den Hieb und schmetterte so den Söldner mit einem gebrochenen Kiefer zu Boden. Der Getroffene sank glücklicherweise in die Bewusstlosigkeit.
„Ihr seid verletzt“, registrierte Reynald und zeigte dabei auf Jeromes Wunde.
„Es ist nichts, nur eine Fleischwunde“, wiegelte der Ritter ab.
„Aber Ihr könnt euren Arm nicht mehr bewegen“, entgegnete Reynald. Er ging zu einem Vorhang und schnitt ein längliches Stück heraus. Jerome de Montfort verzog keine Miene, als der jüngere Ritter damit einen Druckverband an seinem Arm anlegte, der mehr die Blutzufuhr unterband, denn die Wunde selbst bedeckte.
„Ihr benötigt einen Wundarzt“, sagte Reynald.
„Zuerst müssen wir die Ikone bergen“, antwortete Jerome de Montfort. Reynald zuckte mit den Schultern, er wusste, dass Jerome de Montfort sein Ehrenwort gegeben hatte, und der Auftrag damit Vorrang hatte. Wie zur Bestätigung hörte der das Geräusch schwerer Schritte, die sich rasch näherte. Und offenbar handelte es sich dabei um viele. Reynald seufzte. So wie es aussah, würden sie sich den Weg zur Ikone freikämpfen müssen. Doch er kannte keine Angst, schließlich handelte es sich um einfaches Volk. Und welcher Gemeine konnte schon gegen einen Ritter Bretonias bestehen?
 
Zuletzt bearbeitet:
Endlich wird mal ein kriegshammer geschwungen! Zwar nur gegen betronische Leibeigene, aber trotzdem schön! Der teil ist gut und flüssig erzählt und die kurzen einblicke die Bertrand bei Grungni bemerkt sind wirklich gut. Die Kampfszenen sind flüssig und ich mag es persönlich wenn die Hauptfiguren selbst mal einstecken müssen. Jeromes verhalten gegenüber Landesverätern (In den Augen von Rittern) hat sicherlich sein gründe. Und ich hoffe sie schnell zu erfahren.
Zu dem part den Rainald erzählt, nun, es ist ein schweres vergehen einen Zwerg als Gnom zu vergleichen (auch wenn sie verwandt sind). Das könnte glatt in eine wunderschöne keilerei enden.

Ich freue mich schon richtig auf den nächsten teil und hoffe du lästr deine Leserschaft nicht zu lange warten.
 
4.7 Klanbrüder

Ein weiterer Ruf hallte durch die dunklen Gänge. Worte, so hart wie ein Gebirge brachen sich ein Echo von den stummen Mauern, bis es wie ein Chor klang. Bertrand verstand diese Sprache nicht, auch weil das Echo sie durcheinander warf. Nur das Wort „Dawi“ konnte er heraushören.
„Ich bitte Euch, Herr Haarikson, so seid doch still“, bat Bertrand erneut, obwohl es ein sinnloser Versuch zu sein schien, da der Zwerg auch zuvor nicht auf ihn gehört hatte.
„Ha, mein Junge! Warum sollte ich still sein?“, antwortete der Zwerg wie zur Bestätigung. Er schloss mit dem erbeuteten Schlüsselbund eine Türe auf und trat sie donnernd mit seinem eisenbewehrten Stiefel auf. Bertrand zuckte beim Krachen der Türe gegen die Wand unwillkürlich zusammen.

„Leer“, stellte Gurni Haarikson grollend fest. Bertrand trat hinzu und leuchtete mit der Fackel in die trostlose, leere Zelle hinein. Er bewunderte erneut die Seefähigkeit des Zwerges, die selbst durch solche Dunkelheit nicht beeinträchtigt zu sein schien. Doch Haarikson ließ sich davon nicht abschrecken und eilte, so schnell ihn seine kurzen Beine tragen konnte, den Gang entlang. Er rief wieder etwas in seiner Sprache, dass Bertrand glaubte, der Gang müsste jeden Moment über ihnen zusammenbrechen. Bertrand rannte dem Zwerg hinterher und erkannte, dass sich sein Gefährte nicht von seiner Mission abbringen lassen würde. Selbst drei weitere Zellen schienen ihn nicht zu entmutigen. Schließlich erreichten sie eine Weggabelung. Haarikson rief erneut etwas auf Khazalid, es klang wie Donnergrollen und beinhaltete wieder das Wort „Dawi“.

„Herr Haarikson“, sagte Bertrand, als er den Zwerg erreichte. „So bringt das doch nichts.“
Doch Gurni Haarikson hob unvermittelt seine Hand. „Still mein Junge! Hast du das gehört?“
Bertrand runzelte die Stirn. „Das ist doch nur das Echo“, sagte er beschwichtigend.
Der Zwerg hingegen schüttelte energisch den Kopf. „Die Ohren der Menschen sind wahrlich nicht zu gebrauchen. Können eine Antwort von einem Echo nicht unterscheiden.“ Seine Augen leuchteten plötzlich vor Freude auf, und er rannte zielstrebig in einen Gang hinein. Erneut rief er etwas auf Khazalid, und wenn es möglich war, so erschien es Bertrand noch stärker und intensiver, als zuvor. Doch Bertrand schien es, dass der Zwerg Recht gehabt hatte. Ein Ruf kam aus dem Gang zurück, und es war offensichtlich nicht Haariksons Echo. Mit jedem Schritt hörten sie von Neuem einen Ruf, drängend und in der exotischen Sprache der Zwerge. Haarikson wurde dadurch regelrecht beflügelt und der Abstand zu Bertrand vergrößerte sich, obwohl der junge Bretone aus vollen Kräften rannte. Bertrand verlor den Zwerg in einer Biegung aus den Augen. Als er den Zwerg schließlich erreicht hatte, stand dieser vor einer eisengepanzerten Türe und mühte sich ab, diese aufzuschließen. Offenbar erfolglos.

Fluchend warf der Zwerg den Schlüsselbund klirrend zur Seite. Er rief etwas durch die Türe hindurch, dass offenbar wie eine Aufforderung klang, und mit einem kurzen „Ai“ beantwortet wurde.
Mit mächtigen Donnerschlägen drosch Haarikson auf die Türe ein. Bertrand drehte sich um, um dem beschäftigten Zwerg den Rücken zu decken. Doch seine Besorgnis, dass der infernalische Lärm Wachen herbeilocken würde, erwies sich als unbegründet. Mit dem Ächzen von gequältem Metall gab die Türe schließlich nach und fiel aus den Angeln. Mehrere Gestalten lösten sich auf dem Dunkeln der Zelle. Auf den ersten Blick glaubte Bertrand, dass es sich dabei um Kopien von Haarikson handelte. Doch die Zwerge waren weitaus schäbiger in ihrem Habitus, eine Folge der ihrer Inhaftierung. Sie umringten Haarikson und begrüßten sich, indem sie einander an den Schultern umfassten und ihre Nasen aneinander rieben. Es wirkte auf Bertrand zugleich befremdend und erleichternd. Anhand ihrer Sprache war er sich nicht sicher, ob sie wütend oder erfreut waren. Am Auffälligsten war jedoch ein steinalt aussehender Zwerg mit wettergegerbten Gesicht und fahlweißem, ellenlangen Bart. Er redete eindringlich auf Haarikson ein, und Bertrand hörte Worte wie „Skazi“ und „Thagi“, dazu noch den Namen Leofric.

Haarikson wandte sich Bertrand zu und sagte etwas zu seinen Klanbrüdern. Diese musterten den jungen Bretonen anerkennend und nickten. Der alte Zwerg sagte etwas, während ihm der Rest andächtig lauschte.
„Wir müssen zu Leofrics Schatzkammer“, übersetzte Haarikson.
Bertrand seufzte, er hatte so etwas in der Art erwartet. „Warum?“, fragte er, es war ein schwacher, formaler Protest, doch zu mehr war er nicht in der Lage.
„Er ist ein Eidbrecher und Dieb. Er hat die Waffen meiner Klanbrüder in seiner Kammer gehortet“, spie Haarikson voller Abscheu aus, als wäre es das Schlimmste aller Verbrechen, die Leofric begangen hatte. Wahrscheinlich war es das für einen Zwerg auch, erkannte Bertrand.
Die Zwerge setzten sich in Bewegung, ohne nach Bertrand zu sehen. Dieser zuckte mit den Schultern. Alleine standen seine Chancen ohnehin nicht sehr gut. Noch dazu war es unwahrscheinlich, dass er ohne Hilfe aus diesem Labyrinth wieder herausfinden würde. Er folgte der Gruppe von Zwergen und hoffte, dass sie irgendwo wieder auf Jerome de Montfort und Reynald treffen würden.

***

Reynald hatte gerade das oberste Stockwerk verlassen, mit Jerome im Schlepptau. Der hünenhafte Ritter wirkte ein wenig angeschlagen. Doch sie hatten die Ikone von Quenelles geborgen, bevor ein weiterer Trupp feindlicher Wachen eingetroffen war. Mit dem Segen der Herrin und ein wenig Glück war es ihnen gelungen, die feindliche Schar abzuhängen. Reynald hatte gerade die letzte Stufe verlassen, als eine gedrungene Gestalt an ihm vorbeieilte. Der junge Ritter traute seinen Augen nicht und blinzelte ungläubig. Zweit weitere Zwerge passierten ihn, dann noch weitere, die alle die Stufen hinauf liefen. Am Ende kam Bertrand, der versuchte an den Zwergen dran zu bleiben.

„Was macht ihr denn? Wir sollen doch zum Tor?“, rief Reynald. Als Antwort zuckte Bertrand lediglich mit der Schulter und eilte die Treppe hinauf. Reynald sah verzweifelt zu Jerome hinüber. Doch dieser hatte ebenfalls die Richtung geändert. Es war zum Haare raufen! Da hatten sie ihren
Auftrag erfüllt, und der dumme Bauernjunge und dieser Haufen Gnome würden noch alles gefährden! Mit riesiger Wut im Bauch rannte der junge Reynald hinterher. Irgendwer würde dafür bezahlen. Von vorne hörte er Kampfgeräusche, als seine Gefährten auf die Verfolger trafen, die sich unvermittelt mit mehr Gegnern konfrontiert sahen, als ihnen lieb war. Reynald zückte sein Schwert und warf sich in die Schlacht. Er würde sein Versprechen sofort in die Tat umsetzen.
 
4.8 Der Segen der Herrin

Sie erreichten das Tor. Die Wachmannschaft rief laut nach Hilfe, doch sie würde für sie nicht mehr rechtzeitig eintreffen. Die Zwerge von Karak Norn waren nicht in der Stimmung, Pardon zu gewähren. Mit ihren wieder gewonnenen Waffen und Rüstungen bahnten sie sich eine blutige Schneise. Gurni Haarikson spaltete mit seinem mächtigen Streithammer eben jenem Sergeanten den Schädel, der sie beim Einlass in Montlac noch verspottet hatte. Mit seiner gepanzerten Rückhand wischte er sich die Blutspritzer seines Gegners aus dem Gesicht.

„Ai, es geht doch nichts über einen guten Kampf“, meinte der Zwerg sichtlich zufrieden.
„Mag sein“, erwiderte Reynald le Durie. “Aber wir haben immer noch einen Auftrag zu erfüllen.“
Der Zwerg maß den jungen Ritter von oben bis unten, als würde er ihn mit einem Satz verschlingen wollen. Doch schließlich nickte er, wobei Bertrand sogar einen Anflug von Anerkennung in Gurnis Augen zu erblicken glaubte.
„Gebt das Zeichen“, befahl Jerome de Montfort und Reynald trat in das Torhaus, um an die Spitze des Wachturms zu gelangen. Mit einer Fackel würde er das Zeichen für die wartende Armee geben.
Doch noch gab es dafür ein Hindernis, und zwar in Form eines tonnenschweren, eisenbeschlagenen Tores. Gemeinsam stemmten sich die Menschen und Zwerge gegen den Riegel und hievten ihn aus der Halterung. Krachend fiel der Balken zur Seite. Sie wollten sich gerade daran machen, die Türflügel zu öffnen, als eine Stimme sie unterbrach.

„Genug!“, befahl sie. Doch der Tonfall war weniger gebieterisch, denn verzweifelt. Jacques, der Weinhändler hielt einen Dolch fest an Lady Sandrilles Kehle gepresst und ein dünner Blutfaden rann über ihre alabasterweiße Haut.
„Kommt nicht näher“, warnte Jacques sie, als sich mehrere Zwerge mit erhobenen Waffen auf ihn zugingen. Er drückte seine Waffe noch stärker gegen die Kehle der jungen Adeligen, aber die Zwerge ließen sich davon nicht abbringen.
„Haltet ein“, rief sie Jerome de Montfort zurück, und darauf gehorchten die Zwerge, sie blieben jedoch in bedrohlicher Nähe zu Jacques und seiner Geisel. Ihre scharfen Waffen waren eine sehr deutliche Warnung für den Verräter.
„Warum?“, fragte Jerome. Es lag weder eine Drohung, noch ein Urteil in der Frage, nur schlichte Neugier.
„Warum?“, wiederholte Jacques, und wich mit Sandrille einen Schritt zurück. Tränen flossen über sein Gesicht. „Sie haben meine Tochter! Ihr habt den Kerker gesehen. Ich kann sie nicht dort lassen. Ich musste es tun, andernfalls hätten sie meine Tochter …“
„Sie Narr!“, unterbrach ihn Bertrand, der sich nicht mehr beherrsche konnte. Auf der Spitze des Turms tauchte ein Lichtpunkt auf, der hin und her flackerte. „Sehen Sie! Reynald hat das Entsatzheer informiert. Binnen einer Stunde ist Montlac gefallen.“

Ein wildes Gelächter unterbrach den jungen Bretonen. Aus dem Dunkel der Nacht trat ein fein gekleideter Mann heraus, den Bertrand sofort wieder erkannte. Es war niemand Geringerer als Leofric, der selbsternannte Herrscher von Montlac. Doch der Usurpator war nicht allein, mehr als zwei Dutzend Hellenbardenträger, die mit einem Halbkreis die Gruppe von Zwergen und Bretonen zu umzingeln. In gewisser Weise erleichtert zog sich Jacques auf diese Linie zurück, bis er neben Leofric anhielt. Der tätschelte Jacques auf die Schulter, worauf dieser dankbar blickend den Kopf hob, wie ein Hund, der von seinem Herrn ausnahmsweise mal nicht geschlagen, sondern gestreichelt, wurde.
„Ich habe Euch die Spione wie versprochen ausgeliefert, Milord Leofric“, sagte Jacques und pflichteifrig.
„Das habt Ihr gut gemacht, mein treuer Diener“, antwortete Leofric hochnäsig und selbstgerecht. Seine Hand war schon wieder von Jacques Schulter und er hielt sich ein parfümiertes Tuch vor die Nase, als wäre die bloße Anwesenheit des Weinhändlers schon eine Beleidigung seiner Geruchsnerven.
„Ihr werdet doch euer Versprechen einhalten, Milord?“, fragte dieser unterwürfig und angstvoll, wobei er kaum seinen Blick sich zu erheben traute, um Leofric in die Augen zu blicken.

Der Usurpator blickte verwirrt zurück, bis er sich offensichtlich wieder erinnerte. „Mein Versprechen? Ach ja! Ich habe Euch doch zugesichert, dass Ihr eure Tochter wiedersehen werdet.“
Seine Augen blitzten kalt und grausam auf, als er zwei seiner Männer herbei winkte. „Sorgt dafür, dass dieser Narr wieder mit seiner Tochter vereint ist.“
Harte Hände entrissen dem verdutzten Weinhändler Lady Sandrille und nahmen Jacques in Gewahrsam. Lady Sandrille blickte Leofric verwirrt an, unschlüssig, was mit ihr nun geschehen sollte.
„Los“, ermutigte sie Leofric. „Geh zu deinen kleinen Freunden. Husch, Husch!“
Zuerst zaghaft, doch dann eilig, ging Sandrille zu der wartenden Gruppe, als könnte sie dort endlich Sicherheit finden.

Leofric blickte nun in die Runde seiner Gegner. Dann lächelte er, so eiskalt, wie es nur der Tyrann von Montlac konnte.
„Ihr wundert euch sicher, warum ich sie gehen ließ?“, fragte er. In der Gewissheit seiner bewaffneten Männer machte Leofric einen Schritt nach vorne. Jerome de Montfort trat ebenfalls vorwärts und zeigte dabei auf den Turm, wo der helle Schein einer Fackel immer noch zu sehen war.
„Ergebt Euch, Leofric! Aloys de Montjoie und seine Männer werden jeden Augenblick hier eintreffen.“
Sollte diese Nachricht Wirkung auf Leofric zeigen, so ließ er sich dies nicht anmerken. Im Gegenteil, Leofric warf seinen Kopf in den Nacken und brach in schallendes Gelächter aus.
„Ihr Narren! Glaubt ihr wirklich, ich hätte nicht damit gerechnet!“

Bertrand hörte weitere Schritte und zwar viele. Es klang wie eine kleine Armee und tatsächlich war dem so. Unzählige Bogenschützen tauchten auf den Mauern auf, genau so wie Landsknechte mit aller Hieb- und Stichwaffen. In diesem Moment erkannte Bertrand, dass die bretonische Entsatzstreitmacht geradewegs in eine Falle laufen würde. Selbst die schwer gerüsteten Ritter würden keine Überlebenschance gegen durch eine Mauer und Zinnen geschützte Bogenschützen haben, die einen Pfeilhagel um den anderen auf sie herabregnen lassen konnten. Sie konnten alleine ihr Leben so teuer wie möglich verkaufen, und versuchen das Tor zu halten, um noch den Hauch einer Chance zu wahren, Montlac von seinem Tyrannen zu befreien.
Offenbar war der Langbart der Zwerge zu derselben Schlussfolgerung gekommen, denn er warf sich mit einem lauten Kriegsruf auf Khazalid in die Schlacht. Er hob seine mächtige Streitaxt, um damit Leofric, mit einem einzigen, mächtigen Schlag, zu enthaupten.

Blitze zuckten, violett leuchtende Ranken erschienen, und Bertrands Haut kribbelte, da sich seine Haar aufstellten, als Leofric seine Hände gegen den angreifenden Zwerg ausstreckte. Es gab einen lauten Knall, und plötzlich roch es nach verkohltem Fleisch, als eine Ranke den Langbart traf.
Die Wirkung war verheerend.
Wie von unsichtbaren Händen wurde der heranstürmende Zwerge, der kurz zuvor noch so unaufhaltsam schien, gestoppt und mehrere Schritte weit nach hinten geschleudert. Er flog gegen die Ecke des Torhauses und sackte dort mit einem Krachen regungslos zu Boden. Gurni und die anderen Zwerge gaben Rufe der Bestürzung von sich und eilten zu ihrem leblosen Angehörigen. Leofric lachte immer noch hämisch, als er das Ergebnis seines Wirkens sah. Bertrand war schockiert, offenbar verfügte Leofric über Fähigkeiten, die schon alleine ausreichten, ihren Plan zu vereiteln!
Jerome de Montfort zückte hingegen seine Klinge Oriflammè und machte sich kampfbereit. Leofric sah es, und seine Augen verengten sich zu Schlitzen, die förmlich vor Hass funkelten.

„Lasst sie mir!“, befahl er seinen Männern. „Sie gehören mir!“
Diese Worte rissen Bertrand aus seinem Schockzustand. Er wandte sich an die Zwerge, die in einer Gruppe rund um ihren leblosen Artgenossen standen.
„So greift doch ein, unterstützt meinen Herrn!“, rief er flehentlich. Mit rotgeränderten Augen starrte ihn Gurni Haarikson an. Zuerst dachte Bertrand, dass nichts den Zwerg aus seiner Lethargie reißen würde. Doch irgendwie schien er den Zwerg erreicht zu haben. Denn Gurni warf sich mit einem wutentbrannten Schlachtruf in den Kampf, und seine Klanbrüder folgten in seinem Kielwasser.
Auch Bertrand zog sein Schwert, während er in der anderen Hand immer noch den Ikonenschrein hielt. So sehr er es wünschte, er würde auf die Ikone und auch Lady Sandrille aufpassen müssen, während sich der Rest in das Gefecht warf. Sein Blick glitt zu dem Turm. Mehre feindliche Waffenträger drangen durch eine Pforte aus der Mauer in ihn hinein. Auch Reynald le Durie, der sich noch immer auf der Spitze des Turmes befand, würde bald unliebsame Gesellschaft bekommen.

Öffne den Schrein!

„Was habt Ihr eben gesagt, Milady?“, fragte Bertrand in Sandrilles Richtung. Doch die junge Adelige war noch blasser als sonst und wirkte total apathisch. Offensichtlich war es nicht si gewesen, erkannte Bertrand.
Doch wer sonst?
Er richtete seinen Blick erneut auf den Kampf vor ihm. Leofrics Männer hielten sich an seine Anweisungen. Keiner von ihnen machte Anstalten, in die Auseinandersetzung einzugreifen. Doch das war auch nicht Notwendig. Mit seinen magischen Fähigkeiten war Leofric dem angreifenden Dutzend Krieger mehr als gewachsen. Unzählige der violett leuchtenden Ranken peitschten durch die Luft und schlugen wild um sich. Doch was zuerst rein zufällig wirkte, bewies auf den zweiten Blick System. Fast beiläufig hielt sich Leofric seine Gegner vom Leib, und wo seine Ranken einen Gegner trafen, da war es bei weitem nicht so verheerend, wie beim Langbart zuvor. Offenbar wollte sich Leofric mit seinen Feind ein grausames Spiel gönnen, bevor er sie vernichtete.
„Ihr Würmer, glaubt ihr wirklich, dass ihr mir ebenbürtig seid?“, brüllte der Zauberer mit einer Fratze, die wie das Abbild eines Dämons wirkte. Auch seine Stimme hatte kaum mehr Menschliches mehr an sich, erkannte Bertrand.

Auf den Turm und den Mauern erhob sich Geschrei, und Bertrand glaubte das Brausen einer sich nähernden Streitmacht zu hören. Aloys de Montjoie und seine Mannen waren eingetroffen, doch derzeit konnte Bertrand ihnen nicht helfen. Von Reynald le Duries luftiger Position hörte er ebenfalls Schreie und das Klirren von aufeinanderprallenden Waffen! Damit waren sie alle in Kämpfe verwickelt und ihre Situation wurde immer aussichtloser!

Öffne den Schrein!

Wieder blickte Bertrand in Sandrilles Richtung, doch schien es nicht die junge Adelige gewesen zu sein, die da zu ihm gesprochen hatte. Aber dieses Mal überkam ihm eine Ahnung, da er sich an die Stimme erinnerte.
Gehorsam kniete ich Bertrand nieder und stellte den Schrein ab.
„Was macht Ihr denn da?“, fragte Sandrille schrill. Offenbar hatte sie ihre Sprache wiedergefunden, doch Bertrand beachtete sie nicht.

Öffne den Schrein!

Leicht quietschend öffneten sich die verzierten Torflügel.
Ein heller Schein leuchtete heraus, als Bertrand in das Innere der Ikone von Quenelles blickte. Trotz des ihn umgebenden Kampflärms glaubte Bertrand einen Chor lieblicher Frauenstimmen zu hören, die eine Hymne zu Ehren der Herrin vom See sangen. Sein Haut kribbelte erneute, doch dieses Mal nicht aufgrund bösartiger Zaubererei, sondern weil der Segen der Herrin ihn durchdrang. Wie in Trance nahm er die Ikone auf, als würde er instinktiv wissen, was zu tun sei.
Sein Schwert hing an seinem Gürtel, als Bertrand die geöffnete Ikone vor seine Brust hielt, wie ein Sturmlampe in tiefer Nacht. Ihr heller, goldener Schein beleuchtete den Weg vor ihm. Zielstrebig hielt er auf Leofric zu, der im Epizentrum eines wilden Kampfes war, der ihn jedoch nicht erreichte. Der Tyrann und Zauberer erblickte Bertrand und über seine Fratze huschte ein Anblick von Besorgnis, der sich jedoch sofort in abgrundtiefen Hass verwandelte.

Mehrere grell leuchtende Energieranken schossen auf Bertrand zu. Oriflammè blitzte auf und trennte die Ranken mühelos durch. Jerome de Montfort trat neben seinen Knappen, wobei sein gesegnetes Schwert das goldene Licht der Ikone reflektierte und vielleicht sogar verstärkte. Leofric verstärkte sein Bemühen und warf weitere Ranken auf die beiden Bretonen, die unbeirrt weiter auf ihn zu schritten. Jerome de Montforts Klinge blitze in weiten Schlägen auf und nieder. Jede Ranke, die ihnen der Zauberer entgegen schleudert, wurde so in entzwei gehauen.

Bertrand hörte eine Männerstimme, die in den Frauenchor einstimmte. Zu seiner Überraschung erkannte er, dass es seine eigene war. Die Erde bebte, Blitze zuckten über den Himmel und schlugen in den Dächern der Häuser ein, die Feuer fingen. Leofric skandierte Zaubersprüche in einer Sprache, bei deren Klang sich Bertrand der Magen umdrehte. Doch die Ikone von Quenelles und der Segen der Herrin schützten ihn und Jerome de Montfort. In einem Akt der Verzweifelung wob der Zauberer einen Ring von Energieranken die ihn umgaben, wie eine Python aus Lustria ihre Beute. Jerome de Monfort hob sein Schwert. Oriflammè blitzte in einem hohen Bogen auf und zerteilte den Ring.

Es folgte ein enorme Knall, als würde sich Luft aus einem Druckkochtopf befreien dun Bertrand wurde zur Seite geschleudert. Er schaffte es gerade noch, die wertvolle Ikone festzuhalten. Als er sich aufrichtete sah er Jerome de Montfort, wie er auf den am Boden liegenden Leofric zuschritt. Mühsam richtete sich Bertrand auf und eilte zu seinem Ritter.

Leofric stöhnte, als leide er Höllenqualen. Als er zu Jerome de Montfort aufsah, durchfuhr Bertrand ein gewaltiger Schreck. Wo Leofrics Gesicht zuvor makellos und ohne Falten gewesen war, da war es nun runzelig und eingefallen. Die Wangenknochen traten hervor, als würde ein alter Greis mit ihnen reden, und nicht ein Mann in der Blüte seiner Jahre.
„Ihr Narren!“, keuchte Leofric mit brüchiger Stimme. „Glaubt ihr, das wird uns aufhalten? Mein Herr kann nicht besiegt werden. Werft alle Hoffnung fort, kniet nieder vor dem Herrscher des Wandels. Verbeugt euch vor dem allmächtigen Tzeen…“
Ein gewaltiger Streithammer fuhr knirschend auf Leofrics ehemals so stolzes Haupt und zertrümmerte es vollständig.
„Das ist für meinen Klanbruder, verlogener Eidbrecher“, sagte Gurni Haarikson grimmig.
Bertrand wischte sich Blut und Gehirnmasse aus dem Gesicht. Er hielt die Ikone fest umklammert, nachdem er sie geschlossen hatte, und zog sein Schwert.

Leofrics Männer waren inzwischen zu dem Entschluss gekommen, Rache für den Tod ihres Herrn zu fordern. Mit gesenkten Waffen rückten sie bedrohlich näher. Bertrand, Gurni und Jerome zogen sich in die vorläufige Sicherheit ihrer restlichen zwergischen Verbündeten zurück. Doch die Feinde kamen immer näher und es war auszurechnen, wie ihre Chancen gegen eine derartige zahlenmäßige Übermacht standen. Noch dazu, da sie vom vorhergegangen Kampf ermattet waren. Höhnisch grinsten ihre Feinde. Nicht so einschüchternd wie ihr Herr Leofric, aber viele Schakale konnten genauso bedrohlich sein, wie ein Wolf. Bertrand sandte ein Stoßgebet zur Herrin, da seine Seele offensichtlich bald in ihre Obhut übergehen würde.

Mit einem lauten Krachen wurde das Stadttor aufgestoßen. Aloys de Montjoie ritt an der Spitze der Entsatzarmee hinein, das Schwert zur Vergeltung erhoben. An seiner Seite waren Arnaud de Borron, der die Standarte von Quenelles in seiner gepanzerten Faust hielt und Gaufrey de Quercy mit einem bedrohlichen Morgenstern.
„Für Quenelles und die Herrin vom See!“, rief Aloys de Montjoie.
„Für Quenelles und die Herrin vom See!“, wiederholten dutzende von Kehlen den Schlachtruf, als sie die ersten Feinde niedermähten.
Der von Blitzen aufgewühlte Himmel entlud sich in strömenden Regen und löschte die Feuer der brennenden Strohdächer. Wie das Wasser ergoss sich die Armee der Bretonen in die Stadt Montlac. Der Kampf verlagerte sich weiter in das Stadtinnere, als die Bretonen die feindlichen Söldner vor sich hertrieben.
Bertrand tropfte das Wasser von der Stirn, als er Sandrille und die Ikone in die Obhut eines Trupps von Landsknechten übergab. Die junge Adelige wirkte entsetzt ob des Blutvergießens und der erlebten Ereignisse. Soll sie es sein, dachte er. Vielleicht würde es sie von ihrer angeborenen Hochnäsigkeit kurieren, obwohl er es bezweifelte. Reynald le Durie kam aus dem Turm, er wirkte ramponiert und hatte eine leichte, blutende Stirnwunde. Aus einiger Entfernung drangen Schreie und das Klirren von Stahl an Bertrands Ohr. Er sah den jungen Ritter an, der nur grimmig nickte. Gemeinsam eilten sie zu der Quelle der Geräusche. Dort würden sie auf Jerome de Montfort treffen, inmitten des dichtesten Kampfgetümmels. Denn die Schlacht war noch keinesfalls vorbei. Es gab noch genug blutiges Handwerk zu erledigen. Und Bertrand war dafür genau in der richtigen Stimmung.
 
Yeahhr, es wird zum Moschen^^.
Leider sind mir da einige dinge ziehmlich ungereihmt. Wenn ein herr ja mal auftaucht, müssten es die Bogenschützen ja auch gleich sehen oder? Das heißt sie müssten sowohl bemerkt als auch schon unter beschuss genommen werden und das alles noch bevor Leofric draufgeht. Aber ich schätze das dass an den Magischen Duell liegt. Auch ist mir in einer stunde sehr wenig geredet worden. Und ich hatte mich schhon richtig auf ein kleines Wortgefecht gefreut.😉
Anosnten ein guter teil, freu mich schon auf den nächsten
 
4.9 Gefangen

Khentauron blickte sich um, sein Atem ging schwer. Er lächelte zufrieden, obwohl sein gesamter Körper schmerzte, und er aus mehr als einer Wunde blutete. Doch dies waren seine Gunstbeweise seinen dunklen Herren gegenüber. Blut tropfte von seiner Axt, Blutspritzer befleckten seine Rüstung, Blut war überall, doch es war das Blut seiner Feinde. Es war grüner Seim, nichtmenschlich. Sein Gegner kreischte schrill und wandte sich zur Flucht. Aus Furch aufgrund seines Anblicks, oder weil er erkannte, das er gegen Khentauron nicht bestehen konnte, war dem Chaoskrieger herzlich egal.

Khentauron schleuderte seine Axt in einem hohen Bogen, die immer schneller rotierte, und schließlich den fliehenden Gegner in dessen Rückgrat traf. Die Wucht des Aufpralls schleuderte dessen gebrochenen Körper noch einige Schritte weiter, wo er schließlich gebrochen liegen blieb. Seelenruhig, wenn man dies bei einem Anhänger der finsteren Mächte sagen konnte, ging Khentauron zu dem Leichnam. Er achtete nicht auf die Kämpfe rings um ihn, er lachte der Gefahr, der er sich unbewaffnet aussetzte, förmlich ins Gesicht. Seine Männer schlachteten ihre Feinde zu Dutzenden ab, ihr Kampfwille war sichtlich gebrochen. Mit einem Knirschen zog er seine zweischneidige Axt aus seinem Gegner und betrachtete dessen spitze Nase, sowie die kleinen Augen, deren hinterhältiges Leuchten schon verloschen war.

Khentauron packte seine Waffe, ein Geschenk seiner Götter, in einem festen Griff und sah sich nach neuer Beute um. Zwanzig Schritte entfernt pflügten Schlächter durch die fliehende Schar der Goblins, wie ein Unwetter, das achtlose Fischer auf dem offenen Meer überrascht. Niemand entkam seiner blitzenden Klinge und der Champion des Slaanesh schwelgte in seiner Kampfekstase. Das Dämonenschwert Schlächters troff ebenso vor Blut, wie Khentaurons eigene Axt aus dunklem Eisen. Offenbar hatte sich der Champion wieder erholte, was seine Gegner nur beklagen konnten. Auch die restlichen Chaoskrieger wüteten unter den letzten verbliebenen Goblins, deren Zahl rapide sank.

Inzwischen waren es mehr als vier Dutzend Krieger und nahezu täglich kamen neue Chaoskrieger hinzu. Etwas zog sie magisch an, führte sie auf geheimen Pfaden durch das Imperium und Bretonias zu ihrem Lager im Grauen Gebirge. Ihr Versteck, die Schlucht quoll inzwischen fast über, vor der ständig wachsenden Kriegsbande. Als Anführer war es Khentaurons Pflicht, diese Schar, die nur für Mord und Totschlag lebte, bei Laune zu halten. Andernfalls wären sie schon vor Tagen übereinander hergefallen.

Doch die Anweisungen ihres Meisters waren klar und deutlich gewesen. Die Bretonen durften auf keinen Fall mitbekommen, dass im Herzen eines ihrer Herzogtümer sich eine Chaosstreitmacht sammelte. Khentauron lachte hämisch, die Bretonen hatten derzeit ohnehin andere Sorgen. Durch ihren lächerlichen Bürgerkrieg geschwächt, würde Montfort sich selbst seiner besten Streiter entblößen, während ihre Zahl kontinuierlich wachsen würde. Bald, sehr bald, würde seine Horde über die wehrlosen Dörfer und Festungen der Bretonen herfallen, zum Ruhm der dunklen Götter.

Und bis dahin gab es genug Goblinstämme im Grauen Gebirge, mit denen seine Männer ihren Spaß haben konnten. Mehrere seiner Krieger trieben die Verwundeten und überlebenden Goblins zusammen. Die kleinen Gestalten quiekten wie Schweine, die zum Schlachthof geführt wurden. Und genau das würde auch mit den kleinen Grünhäuten geschehen. Khentauron würde sie seinen dunklen Göttern opfern, als Dank für ihre Gunst und als Signal. Denn es waren diese Opfer, die weitere Anhänger des Chaos zu ihm führten. Damit ihre Bande wuchs, und das Chaos seine rechtmäßige Herrschaft über diese Länder errichten könnte.
Er hob seine Axt hoch über den Kopf und brüllte den Siegesruf. Mehr als vierzig Kehlen antworteten. Ein dunkler, übler Fluch in der finsteren Sprache des Chaos brach sich an den Wänden des Tals und breitete sich aus. Hätte ihn ein Bretone gehört, wäre er sofort nach Montfort geeilt, um seinen Herzog über diese dunkle Bedrohung zu unterrichten. Und der Bürgerkrieg wäre sofort geendet gewesen, da die vereinigten Streitkräfte der Montforts und Sanguines an der Spitze der Blüte des Adels das Graue Gebirge von der Verunreinigung durch die Mächte des Chaos getilgt hätte. Doch da war niemand, der diesen Ruf hörte.


***

Marie Levaliere saß am Webstuhl und bemühte sich, auf die vor ihr liegende Arbeit zu konzentrieren. Das Spinnenetz von leuchtend bunten Wollfäden sollte am Ende zu einem kunstvoll bestickten Wandteppich werden. Doch ihre Gedanken waren, wie so oft in letzter Zeit bei so vielen anderen Dingen. Und es kam ihr wirklich sinnlos vor, ihre Zeit mit Handarbeit zu verbringen, auch wenn es von jungen adeligen Damen gefordert wurde, während sich das Herzogtum in einer wahren Zerreißprobe befand. Yves Leguerrand war zurückgekehrt, mit einer Reihe von Gefangenen im Schlepptau. Sie hatten Dörfer aus Lehen gebrandschatzt, die treu zur Familie Montfort standen. Der Gedanke, dass Ritter, die geschworen hatten die Bevölkerung des Königreichs zu beschützen, zu solchen Taten fähig waren, entsetzte Marie Levaliere zutiefst. Aber es sprach Bände darüber, wie tief und unversöhnlich der Graben war, der inzwischen durch das Herzogtum ging. Marie waren in den letzten Tagen immer mehr solcher niederschmetternder Nachrichten zu Ohren gekommen. Alte Fehden waren wieder ausgegraben und erneuert worden, wobei der Konflikt zwischen den Montforts und den de Sanguines als willkommener Anlass genommen wurde. Erklärte sich eine Familie loyal zu einer Konfliktpartei, dann trat ein verfehdetes Geschlecht auf die Seiten deren Gegners, selbst wenn es ihnen nicht wirklich um deren Sache ging.

Und bis jetzt, in all den Wochen, hatte sie auch keinerlei Nachricht von ihrem Jerome erfahren. Dies, ihre eigenen Erlebnisse im Axtschartenpass und die Ereignisse im Herzogtum ließen ihr keine Ruhe. Dementsprechend gering war auch ihre Motivation, den Wandteppich fertig zu stellen, der vorwurfsvoll seit mehreren Wochen im Webstuhl halb fertig ein kümmerliches Dasein fristete.
„Sie mich nicht so an“, sagte sie in Richtung des Webstuhls und zog einen Schmollmund, während sie ihre widerspenstige Haarlocke bändigte.
„Wie soll ich den sonst ansehen?“, antwortete eine Stimme hinter ihr.
Marie drehte sich um, und jauchzte vor Freude. Im Eingang zu ihrer Kemenate stand Sir Berrick de Ursins. Zwar war er im Gesicht immer noch blass, und eine aus Holz gefertigte Krücke bewies, dass er immer noch an seiner Beinverletzung laborierte, doch er war es in Fleisch und Blut und stand auf seinen eigenen zwei Beinen.
„Berrick“, jubelte Marie und eilte auf den jungen Ritter zu. Es tat gut, einen treuen Freund wieder zu sehen, den sie zuletzt auf seinem Krankenbett erblickt hatte.
Berrick de Ursins erwiderte die Umarmung und löste sich dann sanft daraus. Maries jungendliches Gesicht blickte zu ihm auf und er strich ihr die eine Haarlocke aus dem Gesicht, während er sie anlächelte.
Marie nahm seine Hand und geleitete ihn zu einem Erker, wo eine Holzbank mit hoher Rückenlehne, ein Tischlein aus Rosenholz und ein Stuhl stand. Mit einen leichten, trotzdem nicht zu überhörenden Grunzen, ließ sich Berrick de Ursins auf der Bank nieder, während Marie auf dem Stuhl gegenüber Platz nahm. Marie goss einen kräftigen Rotwein aus Carcassonne, der sanft erwärmt und mit Gewürzen gestärkt worden war.

„Ein guter Tropfen“, sagte Berrick anerkennend nach dem ersten Schluck.
Marie lachte. „Aus deiner Heimat.“
Berrick zog überrascht eine Augenbraue hoch. „Wirklich? Er hat eine Note, die ich nicht erraten kann.“
Marie beugte sich leicht vor und lächelte schelmisch. „Ha, versuch es doch“, forderte sie ihn auf.
Sir Berrick erwiderte das Lachen und nickte. „Anis?“
Marie schüttelte belustigt den Kopf.
„Dann vielleicht Zimt? Oder doch Muskat?“, schlug er in gespielter Verzweiflung vor.
Marie lachte erneut. „Der Herrin sei Dank, dass du kein Koch bist. Wein und Muskat zusammen kombiniert würde uns alle vergiften. Es sind Nelken, einfache Nelken.“

Sie nahm seine leeren Becher und goss erneut ein. Als sie den Becher zu Berrick zurückschob, berührten sich ihre Hände für einen Augenblick. Es war elektrisierend ein wohltuendes Gefühl. Doch zugleich fuhr Marie zusammen, da sie an ihr Versprechen Jerome de Montfort gegenüber dachte. Erschrocken erhob sie sich und wich zurück, voller Scham.
„Marie!“, rief ihr Berrick hinterher, aber sie war bereits zur Türe hinaus. Aufgelöst rannte sie durch die Gänge. Sie achtete nicht auf die ihr begegnenden Personen und was sie zu ihr sagten. In einem Schleier von Tränen versuchte sie ihren widerstreitenden Gefühlen Herr zu werden. Scham, Verwirrung und andere Emotionen stritten in ihrer Brust und trieben sie vor sich her.
Berrick de Ursins fand sie schließlich im Rosengarten. Auf seine Krücke gestützt war er nicht in der Lage gewesen, ihr unverzüglich zu folgen. Aber er hatte schon geahnt, wo er sie finden würde. Aus dem inneren des Pavillons kam ein unterdrücktes Schluchzen.
„Marie?“, fragte er.

Das Schluchzen hörte auf, eine Bewegung innerhalb des Pavillons war zu sehen. Dann stürmte Marie mit einem verquollenen, tränenbenetzten Gesicht hinaus. Berrick stellte sich ihr in den Weg und hielt sie sanft auf.
„Marie“, sagte er erneut. Doch in Maries Gesicht sah er nur Widerwillen und Schuld. Sie löste sich energisch aus seiner Umarmung.
„Marie, ich wollte dir nie zu nahe treten“, versuchte Berrick sich zu entschuldigen.
Marie Levaliere erwiderte nichts, aber dass sie zwei Schritte von ihm zurückwich, sagte mehr als tausend Worte.

Berrick de Ursins war niedergeschlagen. Mit einer unbedarften Handlung schien er gleich zwei seiner engsten Freundschaften beendet zu haben. Wie konnte er jemals wieder Marie Levaliere vor die Augen treten? Oder noch schlimmer, seinen alte Freund und Waffenbruder Jerome de Montfort? Er hatte gegen seine ritterliche Ehre verstoßen, gegen den Codex, der dieses Land zusammen hielt. Ein Ritter musste stets redlich handeln, und Berrick war sich in seinem Innersten bewusst, dass er dagegen verstoßen hatte.

Doch bevor er sich mit seinem inneren Zwist weiter beschäftigen konnte, tragen laute Rufe an sein Ohr.
„Was ist das?“, fragte er mehr zu sich selbst, denn Marie war offensichtlich nicht gewillt, mit ihm zu reden.
Berrick ging zur Mauer und sah in den Innenhof der Burg. Eine Gruppe von Reitern traf gerade ein und löste eine große Geschäftigkeit aus. Es war mindestens ein Dutzend Ritter und dreißig berittene Landsknechte. Etliche Stallknechte und Pagen eilten herbei, um Ausrüstung und Pferde in Gewahrsam zu nehmen. Berrick erkannte einige der Wappen, sie gehörten stattlichen Rittern, deren Taten sich junge, adelige Knaben bereits zum Vorbild nahmen, und die die Herzen junger Damen höher schlagen ließ. Doch Berrick sah keine Männer in glänzenden Rüstungen, sondern müde, abgekämpfte Recken mit verbeulten Schildern und schartigen Schwerten. Die Waffenröcke waren zerschlissen, die Kettenhemden ramponiert und rot getränkte Verbände verkündeten von den erlittenen Kämpfen. Doch die müden, verschwitzten Gesichter der Krieger hatten eine Ausdruck, der nicht nur durch erlebte Gefechte zu erklären war.

Der Grund dafür offenbarte sich Berrick rasch, als er sah, wie mehrere Dienstboten zu einem Verwundeten eilten, der regungslos auf einer Trage lag. Der Verwundete war mit seinem Umhang bedeckt, es war ein schwarz-weißes Torhaus auf schwarz-weißem Hintergrund, der jeweils den Kontrast dazu bildete. Sir Berrick erkannte das Wappen und sein Herz tat einen Stich vor Schmerz. Es war Sir Beldane, Sohn und Erbe des Hauses Montfort. Dazu hörte er einen Ruf, der sich immer weiter ausbreitete.
„Sie haben Sir Wilguric, sie haben Wilguric gefangen genommen!“
Jetzt wo Beldane schwer verwundet war und Wilguric, der andere Sohn des Herzog von den Mannen Claude de Sanguines gefangen worden war, war das Herzogtum damit ohne einen Nachfolger.
„Große Herrin, nein!“, sagte Marie Levalier, die neben ihn an die Brüstung getreten war. Sie zitterte am ganzen Körper, vielleicht wegen der Kälte, weil sie ohne Mantel an der frischen Luft war. Berrick vermutete aber, dass es an dem niederschmetternden Anblick lag. Sie blickte ihn an, in ihrem Gesicht stand dieselbe Sorge, wie in seinem. Zaghaft berührte sie seine Hand, und er erwiderte es. Langsam nahm er sie in den Arm um sie zu trösten. Und trotz der vorangegangenen Ereignisse ließ sie es geschehen. Er wollte ihr sagen, dass alles gut werden würde. Doch tief in seinem Herzen wusste Berrick de Ursins, dass dem nicht so war.
 
4.10 Parlay

„Wir sollten umkehren“, sagte Reynald le Durie.
Bertrand antwortete, sondern sah aus ihrem Verschlag auf das Schneetreiben hinaus. Ihre drei Reitpferde und das Packpferd standen an ihren Fesseln locker angebunden in wenigen Schritt Entfernung und suchten, so gut es ging, Schutz unter den Zweigen einer mächtigen Eiche. Trotz der kurzen Distanz konnte Bertrand nur Schemen und grobe Umrisse erkennen. Auch das Feuer, und der Verschlag, den sie notdürftig mit Decken und Umhängen zwischen zwei größeren Steinen gebildet hatten, vermochte die Kälte nicht zu verdrängen. Es war Winter, selbst so weit im Süden Bretonias, und dessen eisigem Griff konnte niemand entkommen.

„Wir sollten umkehren“, beharrte Reynald, der junge Ritter.
Bertrand seufzte. Offenbar brachte es nichts, den hochnäsigen Adeligen zu ignorieren, da er offenbar seine Forderung beständig wiederholen würde.
„Wie meinst du?“, fragte er, weil er wusste, dass die persönliche, unverbindliche Art den jungen Adeligen in seinem Standesdünkel kränken würde.

Doch zu seinem Bedauern war Reynald offenbar nicht bereit, auf so eine Kleinigkeit einzugehen. „Wir sollten nach Montfort zurück reiten. Es ist keine Woche her, dass wir eine Stadt von einem Zauberer befreit haben. Der Ehre unseres Herrn Jerome de Montfort ist Genüge getan worden. Wir sollten wieder in unsere Heimat reisen und nicht weiter gen Süden, wo uns nur Kälte und Ungewissheit erwarten.“
Bertrand erinnerte sich mit einem Schaudern an die Erlebnisse von Montlac. Der selbst ernannte Herrscher von Montlac, Leofric, hatte sich als übler Zauberer entpuppt, der nur durch den Segen der Herrin zur Strecke gebracht werden konnte. Und selbst danach war es noch ein hartes Stück Arbeit mit dem Schwert gebraucht, um die Stadt von Leofrics Gesellen zu befreien. Einige der Blessuren und Schnitte waren noch immer nicht vollständig verheilt.

Sie hatten Montlac am nächsten Morgen verlassen, während die siegreichen Truppen des Entsatzheeres unter dem Kommando von Aloys de Montjoie noch ihren Sieg feierten. Beinahe widerstrebend überreichte Bertrand dem Ritter die Ikone von Quenelles. Die Erinnerung an die Gefühle, als der Segen der Herrin durch die geöffnete Ikone geströmt war, war in Bertrand noch lebendig und bewirkte eine wehmütige Sehnsucht danach.

Seine Finger strichen gedankenverloren über die kunstvoll verzierte Scheide des Dolchs aus bestem Zwergenstahl, die ihm Gurni Haarikson bei ihrem Abschied geschenkt hatte. Die Zwerge aus Karak Norn waren niedergeschlagen gewesen, da ihr geliebter, ehrwürdiger Langbart bei der Konfrontation mit Leofric sein Leben gelassen hatte. Und sie hatten ihren Groll bereits in der darauf folgenden Schlacht getilgt, als sie unter den Männern Leofrics einen hohen Blutzoll eingefordert hatten. Bertrand erinnerte sich an die Abschiedsworte Gurnis.

„Ai, du hast gut gekämpft, mein Junge.“ Bertrand hatte bloß genickt, da ihm die Worte fehlten, als ein Kloß seine Kehl zuschnürte. Im Hintergrund bahnte sich eine aufgehende Sonne ihren Weg und ließ den Himmel in sämtlichen Rottönen erleuchten. Haarikson sah ihn auf diese spezielle Art an, diese Mischung aus Belustigung und Anerkennung. Dann nahm der Zwerg ein Messer mit silbern verzierter Blechscheide von seinem Gürtel und reichte es Bertrand.
„Das ist Durak Agril“, sagte der Zwerg.
„Ist das sein Name?“, fragte Bertrand, während er seine Augen nicht von der kunstvollen Arbeit lassen konnte. Die Verzierung bestand aus fremden Runen, offenbar in der Zwergensprache, und Darstellungen von Zwergen als Krieger, Bierbrauer und Bergleute.
„Ha, mein junger Menschling! Du verstehst wohl kein Wort Khazalid?“ Bei diesen Worten sah ihn Gurni Haarikson an. Bertrand konnte nur mit der Schulter zucken.
Der Zwerg reagierte verwirrt, als wäre Khazalid die Umgangssprache in der Alten Welt, und nicht Reikspiel, die Sprache des Imperiums.
„Dieser Dolch heißt festes Silber in eurer Sprache, junger Mensch. Diese Waffe ist seit Jahrhunderten im Besitz meines Klans.“
Dieser Gedanke raubte Bertrand schier den Atem. Eine solche Zeitspanne, dagegen war ein menschliches Leben geradezu kurz zu nennen.
„Solch ein kostbares Geschenk kann ich nicht annehmen“, murmelte Bertrand verlegen und reichte den Dolch zurück.
„Was!?“, brauste Gurni auf. Seine Stimme wurde ruhiger, eindringlicher. „Willst du etwa meine Ehre kränken, und die meines Clans? Du hast an der Seite meines Klans gekämpft und deine Taten werden in unserem großen Buch des Klans Kamaraz verzeichnet. Dein Name wird auf ewig als Freund und Verbündeter gedacht werden. Ich wünsche dir ein langes und ruhmreiches Leben junger Mensch.“ Mit diesen Worten drehte Gurni Haarikson um und stampfte zu dem Karren, wo der Langbart aufgebahrt lag und seine restlichen Klanbrüder warteten. Gerührt blickte ihm Bertrand nach und wischte sich eine Träne aus den Augen. Erst da registrierte er, dass er den Dolch noch immer in den Händen hielt.

„Ein langes und ruhmreiches Leben“, sagte Bertrand gedankenverloren, als ihn die Gegenwart wieder einfing.
Reynald hockte sich vor das kleine, prasselnde Feuer und rieb sich seine kalten Hände.
„Der Ehre ist genug getan. Wir haben unsere Aufgabe erfüllt, wir haben im Süden nichts verloren.“
Bertrand drehte sich um, einerseits um Reynald von Angesicht zu Angesicht zu begegnen, und andererseits, um auch selbst sich am Feuer zu erwärmen.
„Wenn es dir nicht reicht, dann kehre doch um“, schlug er keck vor.
Reynald funkelte ihn an. „Ich habe einen Eid geschworen an den ich mich halten muss, Knappe!“
Bertrand grinste. Immerhin war er nun nicht mehr nur Bauer, sondern schon Knappe. Vielleicht wäre er eines Tages für Reynald sogar ein Mensch mit Würde.

„Und ich bin meinem Schwur verpflichtet“, sagte eine Stimme hinter ihnen. Jerome de Montfort trat ein. In der Armbeuge hielt er einen Stapel mit neuem Holz. Er legte einen Scheit Holz in das Feuer, wodurch Funken aufstoben und es knisterte. Wohlige Wärme machte sich breit in ihrer selbstgefertigten Unterkunft. Jerome de Montfort legte sich auf seinem Lager nieder, und wickelte sich einen Umhang um zu schlafen.
Bertrand und Reynald wechselten vielsagende Blicke. Eine weitere Diskussion war unnötig. Jerome de Montfort hatte entschieden. Ihre Quest war noch lange nicht zu Ende. Nur der Ritter und die Herrin vom See wussten, wann ihre Reise enden würde. Doch in dem stärker werdenden Schneegestöber waren beide offensichtlich nicht gewillt, Bertrand und Reynald dies mitzuteilen.


***

Die Morgensonne spiegelte sich auf den blank geputzten Waffen, Rüstungen und Helmen. Der vorderste Reiter hielt klar sichtbar seinen weiß bemalten Schild vor sich, das Zeichen friedlicher Absicht.
Marie Levaliere stand auf einen der hohen Türme von Burg Montfort, und zitterte. Sie zitterte nicht wegen des aufkommenden Windes, sondern aus anderen Gründen. Ihr mit Hermelin gefütterter Pelzmantel hielt sie warm. Und der neue, spitz zu laufende, hohe Hut, an dessen Ende ein Seidentuch befestigt war, dass nun im Wind flackerte, hielt ihren Kopf war. Nein, der Grund warum sie zitterte, lag in einem ganz anderen Grund. Er war dort unten, dessen war sie sich sicher. So sicher, wie man sich nur sein konnte. Selbst, dass sie die Reiter nicht erkennen konnte, weil die Entfernung und die verschlossenen Helme sie daran hinderte, änderte nichts daran. Es reicht der Blick auf die Fahnen, die auf der Spitze der Lanzen im Wind flackerten. Sie alle trugen das Wappen der Sanguines, des Mannes, den sie in ganz Bretonia am Meisten verabscheute.

Sie hatte sich immer vor ihm gefürchtet ohne genau sagen zu können, warum dem so war. Doch seit Claude de Saguine schuld daran war, dass Jerome de Montfort zu seiner Queste aufgebrochen war, war zu der Furcht noch eine nagende Ungewissheit gekommen. Dies hatte dazu geführt, dass sie Fragen gestellt hatten, die zu stellen niemand anderer offenbar gewillt war. All ihre Suche nach Antworten, hatte nur in neuen Abgründen geendet. Zuvor hatte sie Claude de Sanguine für einen nach Macht strebenden Ehrgeizling gehalten. Nun, nachdem sie auf eine Mauer aus Schweigen und unsagbarer Furcht getroffen war, hielt sie ich für etwas völlig anderes.
Ein Monster.
Noch immer wachte sie in manchen Nächten auf, schweißgebadet von der Erinnerungen an dieses wunderschöne, zu tödlicher Exzesse verzerrte Gesicht mit den seelenlosen Augen des Kriegers, der sie am Axtschartenpasse beinahe getötet hatte. Oder vielleicht Schlimmeres, wobei dies ein Gedanke war, den Marie am Liebsten vergessen hätte, doch sie konnte es einfach nicht, da er sich beständig in ihrem Bewusstsein hielt und einfach nicht verschwinden wollte. Selbst stundenlange Gebete an die Herrin des Sees in der Burgkapelle gaben ihre nur für einige Tage Frieden. Und dann war dieses in wilden Leidenschaften verzerrte Gesicht wieder da, so nah, dass sie fast glaubte, es mit ihren Fingerspitzen berühren zu können.

Der Grund, warum sie keinen Frieden konnte, dass hatte Marie Levaliere erkannt, lag darin, genau in diesem Gesicht begraben. Wie abgrundtief musste Claude de Sanguines Vergangenheit sein, wenn bei der Suche danach solche Abscheulichkeiten zutage traten? Marie betete, dass ihre Erkenntnisse nicht zu spät erlangt worden waren. Jerome de Montfort war fort, und das Herzogtum befand sich in einer Fehde. Tief in sich musste sie sich jedoch eingestehen, dass ihre Hoffnungen nicht mehr als Trugschlüsse waren. Die Gräben in Montfort waren tief. Und wer auf der Gegenseite würde ihr schon Glauben schenken? Ihr Vater und die gesamte Familie waren treue Gefolgsleute des Herzogs Folcard. Wenn würde es wirklich überzeugen, wenn dessen Tochter Claude de Sanguine mit nicht bewiesenen Vorwürfen beschuldigen würde?
Niemand, musste sie sich schweren Herzens eingestehen.
Der Reiter mit dem weißen Schild ritt einige Ellen nach vorne, die anderen im Kielwasser hinter sich lassend. Der weiße Schild war ein in ganz Bretonia bekannter Brauch, dass dessen Träger in friedlicher Absicht gekommen war und er stand damit nach geheiligtem Recht unter dem Schutz der Herrin vom See. Doch beim Anblick der Banner Claude de Sanguines wusste Marie, dass sie erst dann Frieden finden würde, wenn Claude de Sanguine nicht mehr auf dieser Welt seinen letzten Atemzug getan hatte. Sie erschrak über die Intensität des brodelnden Hasses in ihrer Brust.

„Na, mein Kind“, sagte eine freundliche Stimme hinter ihr, und riss sie dankbarer Weise aus ihren Gedanken. Meister Volker Rainheim betrat die Aussichtsplattform des Turmes und zwinkerte ihr auf diese Art zu, wie es ihr Vater getan hätte. Sein Gesicht war gerötet, wahrscheinlich eine Folge der Anstrengung durch die vielen Stufen des Turms.
Marie lächelte zurück. „Meister Rainheim, ich bin erfreut, Euch zu sehen.“
Und dies war nicht nur eine höfliche Floskel. Gesellschaft war das beste Gegenmittel, gegen ihre trübsinnigen Gedanken.
„Ich danke Euch, mein Kind, für solch aufmunternden Worte, die einem alten Mann wie mir, das alte Herz erwärmen. Ich muss gestehen, unsere Hüte mögen zwar eine ähnliche Form haben, doch eure Erscheinung ist um weites lieblicher, als mein Spiegelbild, dass ich erste heute zum meinem Entsetzen wieder gesehen habe.“

Marie lachte über diese treffende satirische Bemerkung und musste dem alten Zauberer recht geben. Rainheims Hut ähnelte in seiner spitz zulaufenden Form, abgesehen von seiner breiten Krempe, dem ihrigen. Doch seine Kopfbedeckung war verbeult, mit Flecken von Substanzen bedeckt, die wohl nie mehr verblassen würden, und an einigen Stellen sogar verbrannt, als Folge schief gelaufener Experimente. Der Hut war, wie sein Träger, ein Beweis für ein langes, ereignisreiches Leben. Und Marie konnte sich nur glücklich schätzen, dass sie eine solchen Freund und Stütze in dem Zauberer gefunden habe.
Rainheim trat an die Brüstung und der Wind wallte seinen Bart auf. „Komme ich rechtzeitig?“
Marie trat neben den Berater des Herzogs. „Genau richtig“, sagte sie.
„Man sagt uns Zauberern nach, dass wir immer zum rechten Zeitpunkt eintreffen. Nie zu früh, oder zu spät, aber immer richtig.“ Und bei diesen Worten zwinkerte er ihr erneut zu.
„Ah, es geht offenbar los!“ Der Zauberer zeigte in eine Richtung und Marie folgte der ausgestreckten Hand.

Die Stadttore von Jouinard öffneten sich, und eine Gruppe von Reitern kam heraus. An der Spitze ritt ein Mann, dessen Wappen Marie als Sir Ramperts erkannte, den Vater von Jerome de Montfort. Die Gruppe hielt geschwind auf die wartenden Boten zu und traf schließlich auf sie. Marie konnte aufgrund der Entfernung nichts hören, aber an den Gesten erkannte sie, dass sich beide Parteien angeregt unterhielten. Nach einer Weile drehte sich Sir Rampert um und gab ein Zeichen. Ein Reiter aus der anderen Gruppe ritt in gestrecktem Galopp zum Waldrand, wo er verschwand. Nach einiger Zeit tauchte er in Begleitung auf. Es waren mehrere Reiter, schwer bewaffnet, die eine Gruppe von Männern mit sich führten, deren Hände offenbar gefesselt waren.

Aus Jouinard kam ebenfalls eine Schar Reiter, in einer ähnlichen Zusammensetzung. Beide Seiten erreichten schließlich den Treffpunkt. Der Gefangenenaustausch konnte beginnen.
Marie sah sich das Schauspiel an, wie so viele andere, denn die Türme und Mauern waren gespickt mit zahllosen Schaulustigen. Und sie schnalzte verächtlich mit der Zunge.
„Euch missfällt, was Ihr seht?“, fragte Rainheim unvermittelt, und drehte sich zu ihr um.
Marie war völlig überrascht. Sie spürte, wie die Zornesröte ihr ins Gesicht stieg.
„Ja! Wäre ich ein Mann und hätte das Kommando, dann gäbe es keinen Gefangenaustausch. Wir lassen die Spießgesellen Claude de Saguines frei, die unsere Dörfer gebrandschatzt, und unsere Ländereien verwüstet haben.“ Das Bild der niedergemetzelten Söldner und dieses Dämons in Menschengestalt im Axtschartenpass stieg vor ihrem inneren Auge auf. „Ich würde keine Gnade walten lassen, bis Claude de Sanguine und seine Banden vom Antlitz dieser Welt getilgt wären.“
Rainheim sah sie an, in einer seltsamen Mischung aus Verständnis und Bedauern. „Und die Männer, die wir heute ausgelöst haben?“
„Damit ist nichts gewonnen!“, warf sie leidenschaftlich ein. „Sir Wilguric bleibt weiterhin in den Fängen der Sanguines. Wir haben nur Landsknechte und einfache Ritter ausgetauscht, der Sohn des Herzogs war jedoch nicht darunter.“

Rainheim legte ihr beruhigend einen Arm auf die zarte, weibliche Schulter. „Ihr sprecht hart für so eine junge, bezaubernde Dame.“ Er wies mit seiner anderen Hand auf die Mauer. „Seht ihr die Menge? Wie viele Mütter, Töchter und Schwestern mögen darunter sehen, deren Männer, Väter und Brüder heute wieder ihre Freiheit erlangt haben. Ich denke, auch deren Meinung ist wichtig. Es ist dem Herzog sehr schwer gefallen, diesem Austausch zuzustimmen, und seinen eigenen Sohn dabei auszusparen. Aber er ist der Herzog des ganzen Landes, und das Wohl seiner Untertanen steht immer an erster Stelle.“
Marie erkannte, dass der Zauberer Recht hatte. Sie hatte sich durch ihren Hass auf Claude de Sanguine dazu verleiten lassen, und nun schämte sie sich für ihre Rücksichtslosigkeit. Sie war dem Monster für einen Augenblick ähnlicher gewesen, als ihr lieb sein konnte.
Die feindliche Gruppe entfernte sich in gemächlichem Tempo in Richtung Waldrand. Die Reiter hatten ihre Kameraden auf die Rücken ihrer eigenen Pferde gehievt und konnten dadurch kein schnelles Tempo anschlagen.

„Warum nehmen wir dann nicht diese Männer gefangen, und lösen sie für den Sohn des Herzogs ein?“, fragte sie verzweifelt. Mit jedem weiteren Schritt, schwand ihre Hoffnung zusehends.
„Und das geheiligte Recht brechen?“, fragte Rainheim.
Marie nickte unter Tränen.
„ Das mag für einen kurzen Moment von Vorteil sein. Doch dann würde unser Gegner in Zukunft ähnlich verfahren und der Krieg wäre in eine neue Untiefe hinabgeglitten. Außerdem, seht Euch den Waldrand etwas genauer an.“
Marie tat es. Die fahle Wintersonne beschien auch den Wald, doch dessen dichte Bäume und Unterholz bildeten eine natürliche Barriere. Trotzdem sah Marie ein kurzes Aufflackern. Dann noch eines, und viele mehr.

„Was ist das?“, fragte sie verwundert. „Zauberei?“
Rainheim lachte bitter. „Nein, mein Kind. Es ist Stahl, der sich in der Sonne spiegelt. Diese angeblich so wehrlose Gruppe ist nicht so hilflos, wie man auf den ersten Blick vielleicht glauben mag.“
Marie nickte niedergeschlagen, während de Sanguines Gruppe im Wald verschwand. Sie musste schweren Herzens eingestehen, dass Claude de Sanguine ihr nicht den Gefallen machen würde, und ohne große Anstrengungen geschlagen zu werden. Sie brauchten jede Hilfe, die sie bekommen konnten. Und Marie kam ein Gedanke, wer dafür in Frage kam.