WHFB Questritter- Das Leben des Jerome de Montfort

3.8 Axtschartenpass

In den Bergen Montforts graute ein neuer Morgen.
Doch so frisch der Tag auch war, im Haupthof der Burg herrschte bereits reges Treiben. Mehrere Pferde waren gesattelt und bereit für ihre Reiter. Der Großteil waren einfache Tiere wie sie von berittenen Soldaten geritten wurden, doch es standen auch zwei mächtige bretonische Streitrösser im Aufgebot, samt ihrem kostbaren Zaumzeug und der farbenfrohen Schabracke. Doch es war der zierliche weiße Zelter, der die meisten Blicke auf sich zog. Denn dieses Tier war der Beweis dafür, dass es etwas wirklich Außergewöhnliches im Gange war.

Lady Marie Levaliere zog sich ihren zweiten Handschuh über ihre zierlichen Finger, als sie die letzte Stufen des Wohngebäudes leichtfüßig hinab stieg, wo ihre Begleitung bereits auf sie wartete. Sir Yves Leguerrand lächelte, als sie ihn ansah. Ihr alter Freund kannte sie lang genug, um nicht den fruchtlosen Versuch zu unternehmen, sie umzustimmen. Sir Berrick de Ursins warf ihr jedoch einen tadelnden Blick zu. Dennoch half er Marie galant in ihren Sattel, einen Damensitz.

„Seid Ihr soweit?“, fragte Berrick, doch Marie kannte die unausgesprochene Frage dahinter. Wollte sie dieses Risiko wirklich eingehen? Marie ging kurz in sich, während ihr Gefolge aufsaß. Und sie kam zu dem Entschluss, dass sie keine andere Wahl hatte. Herzog Folcard war ein gerechter Mann. Marie war ehrlich genug um zuzugeben, dass man dies nur von wenigen bretonischen Herrschern sagen konnte. Und so sehr er ihrem Drängen auch nachgegeben hatte, ohne Beweise würde der Herzog Claude de Sanguine nicht den Prozess machen. Marie hatte gleich nach der Inhaftierung des Seneschalls einen Boten in die Stadt geschickt, um Tolrik als Zeugen zu laden. Doch der Söldner war bereits aufgebrochen, meldete der Bote nach seinem erfolglosen Gang. Eine Gruppe von Söldnern, die ironischerweise ausgerechnet ihr eigener Vater, für den heraufziehenden Konflikt angeheuert hatte.

Und so war ihr Entschluss gereift, sie würde die Söldner einholen, und Tolrik auffordern, dass er vor dem Herzog seine Aussage machen würde. Aus irgendeiner Quelle hatten sowohl Sir Berrick, als auch Yves, von ihrem Vorhaben erfahren. Unisono hatten beide darauf bestanden, sie zu begleiten. Schließlich wuchs die Anzahl auf fünf, da die Ritter noch auf zwei Knappen bestanden. Berrick und Yves verfügten ebenfalls, dass sie bereits am frühen Morgen aufbrachen, um noch möglichst viel Tageslicht für die Reise zu haben.
Marie war das nur Recht, auch wenn es bedeutete, dass sie sich nun aufgrund der Morgenkälte in ihren warmen pelzgefütterten Mantel förmlich einigeln musste. Sir Berrick gab mit seiner gepanzerten Hand das Zeichen zum Aufbruch. Auch er steckte in einem Mantel, gefertigt aus einem Bären, den er selbst erlegt hatte. Nur die beiden Knappen verfügten nicht über diesen Luxus und mussten sich mit einfachen Wollmänteln begnügen.

Die Gruppe ritt aus der Burg, durch das Städtchen Jouinard und nahm dann die Route nach Norden. Der Axtschartenpass war eine Schneise, die sie tief in das Graue Gebirge hinein führte. Die Umgebung veränderte sich mit jeder zurückgelegten Meile. Es wurde kälter, der Boden war gefroren, die kahlen Bäume und Sträucher waren mit Raureif überzogen und schimmerten im fahlen Sonnenlicht. Passenderweise wurde wenig gesprochen, die meiste Zeit ritt die Gruppe, mit den Knappen an der Spitze, schweigend und in scharfem Tempo. Nur eine kurze Rast gönnten sie sich zur Mittagszeit. Die Knappen entfachten notdürftig ein kleines Feuer, das mehr qualmte, denn brannte. Marie stand in ihren Pelzmantel gehüllt daneben und versuchte nicht komplett eingeräuchert zu werden. Sie konnte sich wahrlich besseres vorstellen, als wie ein Schinken zu riechen. Sir Berrick trat hinzu und reichte ihr einen Becher. Marie schüttelte den Kopf, doch Berrick beharrte darauf. Schließlich ergriff Marie den Becher und nahm widerwillig einen Zug. Zuerst nur wenig, doch als sie den süßen Wein aus den sonnigen Gefilden Bordelauxs schmeckte, ging ihr erst auf, wie durstig sie in Wahrheit war. Sie leerte den Becher in einem Zug, nicht gerade damenhaft, aber Berrick schien es nicht zu stören.
„Noch einen Becher?“, fragte er stattdessen. „Bedenkt, Milady, das man trotz der Kälte darauf achten muss, genug Flüssigkeit zu sich zu nehmen.“
Marie Levaliere lächelte, da Sir Berrick dazu neigte, sich ihr gegenüber wie ein alter Schulmeister zu benehmen. Doch sie wusste, dass seine milden Tadel nur aufgrund seiner Sorge um ihr Wohlbefinden geschuldet waren.

Yves Leguerrand, der inzwischen ihre Pferde versorgt hatte, trat ebenfalls hinzu. Er nahm wortlos den Becher von Marie und den Weinschlauch von Berrick und füllte sich selbst ein. Marie lächelte ein zweites Mal. Yves Leguerrand war ihr gegenüber weitaus zwangloser. Der Grund dafür lag in ihrer langjährigen Freundschaft, immerhin kannten sie sich seit Kindesbeinen. Das war etwas, das Marie an dem rothaarigen Gefolgsmann ihres Vaters so schätzte.
„Wie lange noch?“, fragte sie, da sie solch lange Ritte nicht mehr gewohnt war. Ihr Rücken begann sich langsam zu melden.
„Wir kommen gut voran“, antwortete Yves Leguerrand. „Wir dürften die Kolonne innerhalb des Tages noch erreichen. Immerhin sind sie zu Fuß unterwegs, während wir beritten sind.“
Sir Berrick nickte zustimmend. „Bleibt das Wetter stabil, dann bin ich eurer Meinung, Sir Yves.“
Einer der Knappen näherte sich unterwürfig. „Verzeiht Milords, aber wir haben das Geräusch sich nähernder Hufe vernommen.“
Sir Berricks Gesicht verhärtete sich bei dieser Meldung, seine Hand glitt unwillkürlich an den Schwertgriff.
„Macht euch kampfbereit“, befahl er in Richtung der beiden Knappen.
„Rechnet Ihr mit Feinden?“, fragte Marie besorgt.
„Das nicht“, erwiderte Sir Berrick. „Aber im Axtschartenpass sollte man besser auf Alles vorbereitet sein.“ Er ging zu seinem Pferd und zog den Sattelgurt fest. Dann schwang er sich auf den Rücken seines Pferds. Automatisch ging Yves vor Marie in Stellung, die er mit seinem eigenen Leib gegen jede mögliche Gefahr abschirmte.

Es war jedoch keine Bedrohung, die sich ihrem Lager näherte. Die kümmerliche Haltung des Reiters wies vielmehr auf seine Harmlosigkeit hin. Marie musste sich sogar ein lautes Lachen verkneifen, als sie den Reiter erblickte. So wie Blondel, der Hofnarr des Herzogs sich nur mit Mühe auf seinem Pferd hielt, war er höchstens für sich selbst eine Gefahr. Blondel hing mehr auf seinem Pferd, als dass er ritt. Sein Pferd war ein friedfertiger Klepper, offenbar, so wie sich der Hofnarr in dessen Mähne verkrallte, da er beständig von dem Tier zu fallen drohte.
Sir Berrick lachte hingegen lauthals, als er zu den Hofnarren ritt.
„Was macht Ihr denn hier, Hofnarr?“
Blondel, der obwohl er nicht sein Narrenkostüm trug, dennoch eine bemitleidenswerte Figur machte, blickte in Maries Richtung.
„Wie dem auch sei“, fuhr Sir Berrick fort, der dies nicht bemerkte. „Dies ist der Axtschartenpass, wir können Euch ohnehin nicht hier zurücklassen. Ihr kommt mit uns.“
Sir Berrick wandte sich an die Knappen. „Löscht das Feuer, wir brechen auf“, befahl er.
„Wirklich? Mein armer Rücken schmerzt. Können wir nicht wenigsten noch eine kurze Rast einlegen?“, jammerte Blondel.

„Daran hättet Ihr denken sollen, bevor Ihr uns hinterher geritten seid. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Gewöhnt Euch an die Schmerzen und ertragt sie wie ein Mann“, tadelte ihn Berrick.
Sie ritten weiter, immer nach Norden. Stunde um Stunde verging, und Sir Berrick wurde zunehmend ungehaltener, da Blondel nur mit Mühe Schritt halten konnte. Marie fragte sich, warum der Hofnarr die Mühe auf sich genommen hatte. Offensichtlich aus falsch verstandener Dankbarkeit und ihr persönlich wäre es auch lieber gewesen, wenn der Narr auf Burg Montfort geblieben wäre. Drei Stunden nach ihrer Rast begann es zu schneien. Zuerst waren es nur vereinzelte Schneeflocken, doch dann nahm der Schneefall zu. Schließlich war ihre Umgebung komplett in das kalte Weiß gehüllt, Bäume und Sträucher am Wegrand waren unter einer dicken Schicht begraben. Kein Geräusch war zu hören, nur das Schnauben ihrer Pferde und das Knirschen, wenn die Hufe auf dem schneebedeckten Untergrund auftraten. Ihr Atem, und der ihrer Tiere, bildeten Dampfwolken. Marie wurde kalt, trotz ihres gefütterten Mantels.

Sie erreichten einen kleinen Hügel, von dem sie einen weiten Ausblick auf die vor ihnen liegende Schlucht hatten. Unter ihnen schlängelte sich der Weg stetig zwischen den hohen, steinernen Ungetümen des Grauen Gebirges weiter. An dieser Stelle war der Pass eine Viertelmeile breit. Entlang der Flanken der Berge erstreckte sich dichte Baumreihen, die jetzt unter meterhohem Schnee verborgen waren. Und Marie sah dort unten auch Bewegung. Es war eine Gruppe die sich bewegte und sie war erleichtert, da sie darin ihr Ziel erkannte. Zwar war die Gruppe zwischen zwei und drei Meilen entfernt, Marie konnte keine einzelnen Personen erkennen. Aber trotz des Schneefalls und der Entfernung erkannte sie die Farben ihres Vaters, die am Anfang der Kolonne gehisst waren und im Wind wehten. Die Gruppe bestand aus vielleicht fünfzig Personen, nur der Bannerträger und der Anführer waren beritten. In der Mitte der Gruppe rumpelte der Proviantwagen, von Ochsen gezogen.

„Eigenartig“, sagte Yves Leguerrand und deutete auf den Saum des Waldes.
Marie sah in dieselbe Richtung. Etwas löste sich von dem Wald. Es war eine lange Reihe von Reitern. Trotz der Entfernung konnte Marie erkennen, dass es sich dabei um äußerst hoch gewachsene Gestalten aus ebenso starken Pferden. Waren dies Ritter, die ihr Vater den Söldner als Eskorte entgegen geschickt hatte?
Doch je länger Marie diese Neuankömmlinge betrachtete, umso stärker beschlich sie der Eindruck, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Ihr Herz schlug schneller und in Verstand schrie ein Teil von ihr, dass sie ihr Pferd sofort zur Flucht wenden sollte. Wie paralysiert stand sie dagegen da und beobachtete ungläubig, wie sich die Reiter zu einer Angriffslinie formierten und beschleunigten.

„Große Herrin“, keuchte einer der Knappen, der auch erkannte, was hier vor sich ging.
Marie sah eine Gestalt, die den Angriff führte. Ein Riese unter den Menschen, in einer stacheligen, pechschwarzen Rüstung und einem hörnerbewehrten Helm. Ein Anblick, der sie an ihrer schlimmsten Alpträume erinnerte und ihren Drang zur Flucht nur noch bestärkte. Neben dem Anführer ritt der feindliche Bannerträger, und dessen Standarte, ein achtzackiger Stern, bewirkte bei Marie Übelkeit und ein Gefühl nie gekannter Ablehnung.

Die Kolonne hatte die Feinde auch bemerkt. Marie hörte gebellte Wortfetzen, als sich die Söldner zur Abwehr formierten. Ihre Hoffnung, dass die abgebrühten Veteranen dem Angriff standhalten würden, zerstoben bei der ersten Attacke. Die feindlichen Reiter fegten durch die Reihen der Söldner und besprengten den Schneeboden mit rotem Blut. Nur die langjährige Erfahrung im Kampf bewirkte, dass die Reihen der Söldner unter der Wucht des Ansturms noch intakt blieben.
Sir Berrick nahm seine Lanze aus der Halterung hinter seinem Sattel.
„Bereit machen“, befahl er zu den beiden Knappen.
„Was habt Ihr vor, Sir Berrick?“, fragte überraschenderweise Blondel, der Hofnarr.
Der angesprochene Ritter sah den Fragesteller mit einer gewissen Verärgerung an. „Was denkt Ihr denn, was wir hier tun? Wir werden den Söldnern zur Hilfe eilen.“
Zu jedermanns Überraschung ritt Blondel vor, und versperrte damit Sir Berrick den Weg.
„Ich rate Euch davon ab“, empfahl der Hofnarr entschlossen.

Auch Marie war erstaunt über den Wandel. Blondel schien eine völlig andere Person zu sein. Seine krumme, gebückte Haltung war gewichen. Auch saß hing er nicht mehr im Sattel, sondern saß aufrecht da. Hätte sie es nicht besser gewusst, dann hätte Marie gedacht, einen Krieger vor sich zu haben.
Sogar Sir Berrick schien beeindruckt. Dennoch wollte er sich von seinem Vorhaben nicht abbringen lassen.
„Gebt den Weg frei. Gute Menschen sterben dort unten.“
„Und Ihr gedenkt, mit vier Bewaffneten den Kampf zu ändern?“, konterte Blondel. „Die Schlacht ist verloren. Ihr reitet nur in den Untergang.“
„Es geht hier um mehr als simples Abzählen. Ich habe einen Eid als bretonischer Ritter geschworen. Aber was wisst Ihr denn schon von solchen Dingen?“
„Mehr als Ihr denkt“, entgegnete Blondel bedeutungsvoll.
„Geht zu Seite“, beharrte Sir Berrick und ritt drohend näher. Eine Konfrontation lag in der Luft.

„Da sieh doch einer an, was die Herren der Acht mir beschert haben“, sagte eine Stimme hinter ihnen. Marie fuhr herum wie der Rest ihrer Gruppe. Die Stimme gehörte zu einem Reiter. Sein Pferd war von starkem Wuchs, sogar größer als die bretonischen Streitrösser, jedoch mit rotglühenden Augen, wie ein wild gewordenen Raubtier. Abschreckender war jedoch der Reiter. Es war ein Mann von sehniger, schlanker Gestalt. Er trug eine dunkelrote Rüstung, jedoch nicht von bretonischer Machart und einen Helm mit einem weißen Haarbusch. Der Helm war so gestaltet, dass er einen freien Blick auf das Gesicht seines Trägers zuließ. Es war ein edles Gesicht, wohlgestaltet. Doch es waren die Augen und die abstoßenden Tätowierungen auf den beiden Wangen, die Marie abstießen. Die Augen des Reiters leuchteten vor kaum gezügelter Mordlust.

„Wer seid Ihr?“, fragte Sir Berrick überrascht.
Der fremde Reiter ritt näher heran. In seiner Haltung lagen sowohl Selbstsicherheit, als auch Arroganz.
„Euer Verhängnis“, sagte Schlächter bedrohlich, und in seiner Stimme lag keinerlei Mitgefühl.
Sir Berrick legte seine Lanze ein und gab seinem Pferd die Sporen. Die beiden Knappen folgten dem jungen Ritter. Yves beließ seine Lanze an ihrem Platz, stattdessen zog er sein Schwert und schloss sich ebenfalls dem Angriff an. Der kleine Hügel explodierte vor Gewalt. Schlächter wartete gelassen auf den Angriff, unbeeindruckt von der Tatsache, dass die lackierte Lanze des Ritters auf sein Herz zielte, und dahinter noch drei weitere Gegner warteten. Mit einer Bewegung, die so einfach und mühelos aussah, ließ er Berricks Angriff ins Leere gehen. So schnell, dass es kein menschliches Auge erfasste, zog Schlächter seine Waffe. Es war ein Krummsäbel mit einer handbreiten Klinge, die keinerlei Parierstange aufwies. Marie wusste nicht, dass diese Waffe Schaschka genannt wurde, die Waffe eines Kriegers aus der nördlichen Wüste. Der Schaschka fuhr in einem blitzenden Bogen herum und Sir Berricks Lanze wurde fein säuberlich in zwei Teile gespalten.

Schlächter hob sein Schwert und begegnete damit dem Angriff der beiden Knappen. Schlächter hatte keinen Schild, im Gegensatz zu den beiden Knappen, die ihn noch dazu mit angelegten Speeren attackierten. Schlächters Krummschwert blitzte wieder zweimal auf, und Marie kam es vor, als würde die Klinge selbst bei jedem Kontakt aufheulen. Einer der Knappen fiel mit einem Todesschrei auf den Lippen zu Boden, als sich das Dämonenschwert durch seinen Schild und seinen Brustkorb hieb. Noch bevor der zweite Knappe seinen Speer in die ungeschützte Seite Schlächters rammen konnte, war dessen Schaschka wieder in Position. Wieder blitzte das Krummschwert auf, dieses Mal trennte es jedoch den gesamten Waffenarm des Knappen ab. Instinktiv griff sich der Knappe mit der verbliebenen Hand nach seiner stark blutenden Wunde. Ein Fehler, da er damit ohne jede Deckung war. Ein Kopf flog zu Boden, das Gesicht zu einer grässlichen Fratze verzehrt, die das grausame, schmerzerfüllte Ende seines Besitzers dokumentierte.
Der Boden erbebte und plötzlich waren Yves und Berrick zur Stelle. Für einen Moment sah Marie die beiden Ritter, der prächtige Anblick der starken Krieger in ihren Rüstungen, und sie schöpfte wieder Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang. Und in der Tat schien sich das Blatt zu wenden. Sir Berrick und Yves Leguerrand, erfahrene, gestählte Ritter des Reiches nahmen intuitiv die richtige Position ein. Die beiden Ritter nahmen Schlächter in die Zange und bedrängten ihn hart. Hieb um Hieb prasselte auf den Chaoskrieger nieder. Bretonischer Stahl blitzte auf, die Streitrösser wieherten in feuriger Erregung, als die Ritter Schlächter immer weiter abdrängten.

Aber Schlächter war ein Auserwählter seiner dunklen Herren. Unter diesen vielen Segnungen war auch seine übermenschliche Reaktion. Innerhalb eines Wimperschlages erwiderte Schlächter den Abwärtshieb Berricks. Stahl traf auf Stahl und das Dämonenschwert jaulte auf, als es mit der gesegneten Klinge des bretonischen Ritters in Berührung kam. Doch die Chaoswaffe erwies sich als stärker, und das Schwert des Ritters zersplitterte. Sir Berricks Augen weiteten sich ungläubig, eine Geste die aufgrund seines geschlossenen Visiers nicht gesehen werden konnte. Doch es war zu spät, Schlächters Krummschwert traf seinen Brustpanzer und Sir Berrick segelte in einer Blutfontäne von seinem Pferd. Marie schrie entsetzt auf, als sie den tapferen Ritter fallen sah. Doch es sollte nicht ihr letzter Schreck an diesem Tag bleiben.
Angespornt und gewarnt von dem Schicksal seines Kampfgefährten bedrängte Yves Leguerrand seinen Gegner erneut. Er war nun der letzte Widerstand und er fürchtete sich vor dem Gedanken, was diese Bestie mit Lady Levaliere anstellen würde, sollte er fallen. Doch es war nicht er, der fiel. Da sich seine Deckung als undurchdringlich erwies, änderte Schlächter seine Taktik. Der Chaoskrieger täuschte einen hohen Hieb mit seinem Krummschwert an. Erwartungsgemäß hob Yves seinen Schild um dem Angriff zu begegnen. Überraschend fuhr Schlächters Schaschka in einem Bogen hinab. Yves reagierte mit seinem Schwert, um einem Stich gegen seinen Unterleib vorzubeugen. Doch Schlächter hatte ohnehin nicht auf den Ritter gezielt.

Aufgrund ihrer Verfolgung der Söldner hatten beide Ritter auf schwere Rüstung für sich und ihrer Reittiere verzichtet. Normalerweise war auch ein bretonisches Streitross mit einem Panzer an seinen Flanken und am Hals versehen. Doch bei ihrem Aufbruch hatte keiner von ihnen damit gerechnet, in ernsthafte Kampfhandlungen verwickelt zu werden. Ein Fehler, den Yves Streitross mit seinem Leben bezahlte. Schlächters Schwert fuhr mühelos durch die Schabracke und den darunter liegenden Hals und trennte den Kopf des Pferdes an. Derart getroffen, brach das Pferd auf der Stelle zusammen und begrub seinen Reiter unter sich. Yves schrie auf, als er von mehreren hundert Pfund seines toten Reittiers begraben und sein Bein eingeklemmt wurde.
Schlächter wendete sein Pferd und funkelte Marie Levaliere bedrohlich an.
„Die dunklen Götter waren mir wohlgesonnen“, sagte er mit einer eisigen Stimme. „Und du wirst ihr Dankopfer sein.“

Er gab seinem Pferd die Sporen, die Mordlust in seinen Augen erschreckte Marie mehr, als das bedrohlich erhobene Schwert. Etwas traf den Chaoskrieger mit voller Wucht. Zwei Pferde und zwei Reiter gingen einem unidentifizierbaren Gewirr zu Boden. Marie konnte ihren Augen nicht trauen. Blondel, der ungerüstete, tollpatschige Hofnarr hatte den feindlichen Krieger, der mit solcher Leichtigkeit vier Gegner besiegt hatte, mit seinem Pferd gerammt. Und Blondel war bereits wieder auf den Beinen, während die beiden Pferde noch ineinander verschlungen waren und wieherten. Ein Schwert erschien in seiner rechten Hand Marie fragte sich, woher der Narr diese Waffe hatte. Doch etwas an der Art, wie der Narr das Schwert hielt, verriet ihr, dass Blondel nicht ungeübt im Umgang mit einer Klinge war.

Schlächter tauchte wie ein lebendiger Alptraum hinter der Masse der am Boden liegenden Pferde auf. Mit einem markerschütternden Aufschrei sprang er Blondel an. Alles, was in den letzten Minuten vorgefallen war, sprach dagegen, dass der Narr auch nur eine Sekunde überleben würde. Doch gegen alle Wahrscheinlichkeit wehrte Blondel die ungestümen Attacken des Chaoskriegers ab. Wieder und wieder sauste der Schaschka mit tödlicher Präzision hinab und jedes Mal konnte der Narr ausweichen. Genau wie Schlächter starrte Marie Levaliere ungläubig auf Blondel. Der Narr schien eine völlig andere Person zu sein. Verschwunden war der tollpatschige Narr, der sich an einem zugeworfenen Schwert den Finger geschnitten hatte. Jede Finte, jeder Hieb endete an der entschlossenen Gegenwehr von Blondels Langschwert. Stahl wehrte jede Attacke des Dämonenschwerts ab, das bei jeder Berührung mit dem bretonischen Stahl noch schriller aufjaulte als wäre es frustriert. Mit anmutiger Gewandtheit führte Blondel sein Schwert und ging sogar in die Offensive. Und tatsächlich war Schlächter auf dem Rückzug. Marie hörte über das Klirren der Schwerter jedoch ein weiteres Geräusch, ein Stöhnen. Leichtfüßig glitt sie von ihrem Sattel. Die Quelle entpuppte sich als Yves. Schnell eilte sie zu ihm, während der Zweikampf hinter ihn noch weiter tobte.
Das Bein ihres Freundes war eingeklemmt, doch Yves mühte sich schon ab. Im Gegensatz zu Berrick trug Yves Leguerrand einen einfachen Rundhelm, darunter eine Kettenhaube. So konnte Marie sein schmerzverzerrtes und blasses Gesicht sehen. Yves sah auf, als sie sich ihm näherte. Wortlos kniete sich Marie hin, um dem jungen Ritter zu helfen.
„Bring dich in Sicherheit“, keuchte Yves.
Marie sah ihn an und schüttelte entschieden den Kopf. „Stell dich nicht so an, und hilf mir lieber.“
Yves lächelte matt. „Was denkst du, dass ich hier mache?“

Gemeinsam versuchten sie, den Pferdekadaver zur Seite zu schieben. Mit einiger Anstrengung gelang es ihnen auch. Yves Leguerrands Bein erschien, blutig und zerquetscht. Der Anblick brach Marie das Herz. Sie riss einen Ärmel von ihrem Kleid und begann damit die blutenden Wunden zu versorgen.
Ein Schatten ragte hinter ihr auf. Marie drehte sich um und schrie vor Entsetzen. Es war Schlächter, seine Augen waren der Abgrund allen menschlichen Seins.
„Jetzt zu dir, meine Kleine“, sagte der Chaoskrieger.

Yves richtete sich auf seine Knie auf, wobei er vor Schmerzen brüllte. Trotzig erhob er sein Schwert. Schlächter schmetterte es mit Leichtigkeit zur Seite, die bretonische Klinge flog in hohem Bogen zur Seite. Dennoch schob Yves Marie hinter sich.
„Jetzt sterbt ihr“, prophezeite Schlächter.
„Mögen die Götter dich verfluchen“, erwiderte Yves voller Hass.
„Oh das haben sie“, entgegnete Schlächter hämisch. Er verzerrte sein Gesicht zu einer lustvollen, abstoßenden Fratze in Begierde auf das anstehende Blutbad.
Sein Gesicht änderte sich in Ungläubigkeit und Schmerz, als sich ein Schwert durch seinen Rücken bohrte und die Spitze aus seinem Bauch herausragte.
Blondel, sein Gesicht blutüberströmt, erschien hinter Schlächter.
„Fahr hinab in die Verdammnis“, knurrte Blondel. Er zog sein Schwert hinaus, und ein Schwall Blut, der bewies das Schlächter durchaus menschlich war, quoll heraus. Trotzdem fuhr Schlächter herum, sein Krummschwert beschrieb einen blitzenden Bogen. Genauso schnell fing Blondel den Angriff ab. Seine Hand umfasste Schlächters Schwertarm mit stählernem Griff und stoppte die Attacke, noch bevor sie ihn erreichte.
Blondel hielt Schlächter in der Umklammerung. Langsam, ganz langsam wich das Leben aus dessen Augen. Schlächter erschlaffte, sein Schwert fiel ihm aus der Hand. Mit einem abstoßenden Fluch auf seinen Lippen starb der Chaoskrieger. Wortlos warf ihn Blondel auf den Boden.
Marie hatte dies Alles mitverfolgt. Nun, wie aus einem Alptraum, erwachte sie wieder. Ihr Blick fiel auf Yves. Mühsam richtete sich dieser wieder auf die Knie. Marie bückte sich zu ihm, doch Yves bedeutete ihr, dass alles in Ordnung sei. Sie wusste, dass es eine Lüge war, aber die folgenden Worte änderten alles.
„Kümmere dich um Berrick“, keuchte Yves und zeigte in dessen Richtung.
Marie fürchtete, was sie erwarten würde, dennoch rannte sie zu dem am Boden liegenden Berrick. Berrick rührte sich nicht, sein Körper lag regungslos da. Vorsichtig nahm ihm Marie den Helm ab. Blondel kam hinzu, und kniete sich nieder.
„Er atmet nicht“, sagte Marie voller Verzweiflung, Tränen standen ihr in den Augen. Blondel nahm dem Ritter einfach die Armschiene ab. Er hielt sie Berrick vor das Gesicht. Der Stahl beschlug sich.
„Seht doch, er atmet. Verbindet seine Brustwunde“ Marie nahm diese Meldung mit Erleichterung zur Kenntnis. Nach Jeromes Weggang wäre dieser Verlust für sie untragbar geworden. Gemeinsam nahmen sie Berrick die Überreste seines Brustpanzers ab. Ihr zweiter Ärmel wurde ein Opfer, als sie die blutende Brustwunde verband. Blondel stand auf.

„Wir müssen uns beeilen. Sein Blutverlust war hoch, und hier ist es nicht sicher.“
Der Narr ging zu den beiden Knappen. Beide waren jedoch tot, der zweite war während des Kampfes verblutet. Yves humpelte zu Marie, aufgrund seiner Verletzung blieb er neben ihr stehen. Blondel kehrte zurück, die übriggebliebenen Pferde an ihrem Zaumzeug haltend. Es waren Maries Zelter, die beiden Pferde der Knappen, Berricks Streitross und Blondels eigenes Tier.

„Wir müssen hier weg“, beharrte der Narr erneut. Er sammelte Yves Lanze und die Speere der beiden Knappen ein, dazu deren Mäntel. Mit kundiger Hand fertigte er daraus eine Art Trage. Vorsichtig montierte er sie zwischen den beiden Pferden der verstorbenen Knappen. Dann hob er den immer noch bewusstlosen Berrick auf, und legte ihn in die Trage. Er half außerdem Marie und dem verletzten Yves in den Sattel und reichte ihm dessen Schild. Blondel selbst nahm Berricks Schild und schwang sich auf sein eigenes Reittier. Obwohl ihm die Rüstung fehlte, sah er nun doch wie ein vollendeter Ritter aus.
„Lasst uns aufbrechen“, sagte Blondel, und seine Stimme war erfüllt von einer natürlichen Autorität, die es gewohnt war Befehle zu erteilen, die auch ausgeführt wurden.
„Ich danke Euch für unsere Rettung“, sagte Marie.
„Doch zuvor verratet mir Euren Namen. Euren wahren Namen“, betonte sie.
Blondel nickte lächelnd. „Ihr habt mich durchschaut, Milady. Euer Geist kann sich durchaus mit eurer Schönheit messen.“
„Galant, doch noch ist euer Name nicht gefallen, werter Sir“, beharrte Marie.
„Nun denn. Wenn Ihr so begierig auf den Namen seid, dann sollt Ihr ihn erfahren.“ Eine dramatische Pause folgte. Doch weder Marie, noch Yves waren auf die folgenschwere Offenbarung vorbereitet.
„Mein Name ist Graf Adalbert. Ich bin der Schwertträger unseres gesegneten Königs Leoncoeur. Und nun sollten wir unseren Pferden die Sporen geben.“
 
3.9 Schlächter

Es war ein glorreicher Tag, der mit einem Sieg gekrönt wurde. Zumindest war die Khentaurons Meinung. Zuerst hatten die Vier sie hierher geführt. Ein Schlachtfeld zu Ehren der Macht, die diese Welt in ihren Krallen hielt, dem Chaos. Die Söldner waren die ersten Gegner, die wenigstens halbwegs eine Herausforderung für sie gewesen waren. Doch auch sie mussten sich schließlich dem Ansturm seiner Krieger beugen. Teile seiner Horde jagten die letzten Versprengten, um sie den dunklen Göttern zu opfern. Andere errichteten bereits die Schädelpyramide, jenes grausige Symbol ihres Triumphes. Und seine Stimmung war noch besser geworden, als sie Schlächters Pferd einsam vorgefunden hatten. Vielleicht waren ihm die Götter wohlgesonnen, und er war von dieser Plage befreit. Seine Kundschafter fanden rasch die Fährte und führten ihn auf einen Hügel hinauf. Der Hügel entpuppte sich als der Schauplatz eines heftigen Gefechts. Blut benetzte den Boden, der zusätzlich durch zahlreiche Hufabdrücke aufgeweicht und wie ein ausgeweideter Kadaver aussah. Khentauron zählte mindestens drei Leichen und ein geköpftes Pferd. Die dritte Leiche war Schlächter. Zwei seiner Krieger knieten neben der leblosen Gestalt.

„Herr, es ist Schlächter“, berichtete der Krieger das Offensichtliche.
Für einen Moment überlegte Khentauron ob Schlächter nicht hier lassen sollte. Er wäre damit sicher eines Problems entledigt. Die Verlockung war groß und für einen Moment gab sich Khentauron diesem Gedanken hin. Doch dann fiel ihm sein Meister ein, und Furcht beschlich sein Herz. Was würde sein dunkler Herr mit ihm anstellen, wenn er davon erführe?
„Nehmt ihn mit“, befahl er, da er befürchtete, andernfalls würden seine hässlichsten Alpträume wahr werden.

Die Krieger hievten den leblosen Schlächter auf sein Ross, dessen Augen glühten und die Krieger wie eine Schlange bösartig anzischte. Khentauron wendete sein Pferd und seine Krieger folgten ihm. Seine Mordlust stieg wieder, als er sich ausmalte, wie seine Jagdtrupps mit den versprengten Überlebenden zum Schlachtfeld zurückkehrten. Die Schädelpyramide würde noch ein ganzes Stück wachsen.
Zum Ruhm der Vier.
Und zu Khentaurons eigener Ehre.
***

Nun hatte der Winter auch sie erreicht. Schnee bedeckte den Boden, eine weiße Decke so weit Bertrands Auge reichte. Die gesamte Welt schien sich darunter zu verbergen. Es war eine bittere Kälte, die ihn allen durch Mark und Bein ging, trotz ihrer Winterkleidung. Bertrand freute sich schon auf die wohlige Wärme der nächsten Unterkunft. Doch Montlac, die nächste größere Siedlung war noch einen ganzen Tagesritt entfernt und seine Feuer und prasselnden Kamine waren am heutigen Tag nicht mehr zu erreichen. Umso mehr, da sie sich einem weiteren Hindernis gegenüber sahen. Ein schmaler brauner Streifen Land war ein Hinweis. Der zweite war die spiegelnde Fläche vor ihnen. Ein Fluss hatte ausgerechnet hier sein Bett gewählt, dutzende Schritte breit, und von einer Eisschicht überzogen.

„Ausgerechnet jetzt“, sagte Reynald und knirschte dabei mit den Zähnen. Bertrand konnte ihm nur Recht geben. Auch er selbst war gereizt, ein Umstand der dem harten Wetter geschuldet war. Die letzten Tage, nach dem sie Merceaux verlassen hatten, waren sehr hart gewesen. Zuerst ein bitterkalter, permanenter Regen, der ihre Kleidung durchdrang und bis auf die Haut ging. Es hatte sich wie tausend kleine Nadelstiche angefühlt. Die einzigen schönen Momente waren die Nachtlager, an denen sie mit großem Aufwand aus dem durchnässten Holz ein Feuer machen und sich eine warme Mahlzeit zubereiten konnten. Deshalb war dieses neue Hindernis nur umso frustrierender.

„Und jetzt?“, fragte Bertrand.
Reynald wendete sein Pferd in Bertrands Richtung. „Wir überqueren den Fluss“, verkündete der junge Ritter. „Hier und jetzt“, betonte er mit Nachdruck.
„Hier?“, fragte Bertrand zweifelnd. Sein Blick wanderte zu einer Klippe, die vielleicht in dreißig Schritt entfernt war. Dort schoss das Wasser in rauschender Gischt die Klippe hinunter und bildete somit einen kleinen Wasserfall. An dieser Stelle gab es keine schützende Eisschicht und Bertrand zweifelte, dass diese auch an ihrer Stelle tragfähig war.

„Wir müssten auch nicht hier queren, wenn jemand die Karten besser lesen würde“, stichelte Reynald.
„Ich kann nicht finden, was auf den Karten nicht verzeichnet ist“, parierte Bertrand. „Aber wir könnten flussaufwärts reiten …“
„Und noch mehr Zeit vergeuden?“, unterbrach ihn Reynald. Er gab seinem Pferd die Sporen.
„Nein!“, schrie Bertrand, aber es war zu spät. Reynald ritt mit Bèlemnite bereits auf die Eisfläche und war außerhalb ihrer Reichweite. Zwar trug Reynald seinen schweren Brustharnisch nicht, diese Last war dem Packpferd aufgebürdet worden. Dennoch wogen Reiter und Pferd zusammen mehrere hundert Pfund. Bertrand wagte es kaum, hinzusehen. Doch gegen alle Wahrscheinlichkeit passierte nichts.
„Seht ihr?“, jubelte Reynald. „Das Eis ist dick genug.“
„Aber für das Packpferd?“, Bertrand deutete auf das Tier, welches neben ihrem Proviant auch die Harnische beider Ritter tragen musste.
„Dann laden wir die Hälfte ab“, sagte Reynald, siegessicher in seinem Triumph.
„Wir? Ihr wollt mir also helfen?“, hakte Bertrand nach.

Reynald lachte. „Meinetwegen. Wenn es Euch dann genehm ist. Und jetzt kommt, damit wir diesen vermaledeiten Fluss hinter uns lassen.“ Zur Bekräftigung ließ er Bèlemnite mit einem Huf aufstampfen. Ein lautes Krachen ertönte, das sogar das Rauschen des kleinen Wasserfalls übertönte. Ein Riss breitete sich auf der spiegelglatten Fläche aus. Zuerst klein, doch dann immer größer. In Windeseile, und von weiterem Krachen begleitet, breitete sich dieser in einer zickzackförmigen Linie über die ganze Breite des gefrorenen Flusses aus, bis er schließlich in unzählige Arme auslief. Reynald sah ungläubig von diesem Geschehen auf und Jerome und Bertrand an. Dann gab das Eis unter seinem Pferd nach, und Bèlemnite verschwand samt seinem Herrn in den aufschäumenden Fluten. Das vorher so geordnete und ruhige Bild verwandelte sich vor den entsetzten Augen Jeromes und Bertrands in eine wilde Szene, als unzählige Eisschollen auf dem Fluss tanzten, der sich nun sein wahres Gesicht offenbarte. Er war eine wilde Bestie, dessen rohe Gewalt unter der Eisfläche nur verborgen geblieben war. Nun, befreit von seinen eisigen Zügeln schossen die Wassermassen mit immenser Geschwindigkeit auf den Wasserfall zu.

Hektisch suchte Bertrand nach einem Zeichen von Reynalds Verbleib, doch er sah nur wild tanzende Wellen und Eisschollen.
„Da!“, rief Jerome als Erster und zeigte auf einen Punkt, der auf der wild tanzenden Oberfläche erschienen war. Jerome gab seinem Pferd die Sporen und jagte das Ufer hinab. Nun sah auch Bertrand, was Jeromes scharfe Augen zuerst erspäht hatten. Es war ein brauner Haarschopf. Augenblicke später tauchte ein zweiter Umriss auf. Dieses Mal jedoch massiger, Reynalds Hengst Bèlemnite, der mit seiner Kraft gegen die Fluten ankämpfte. Dem Pferd gelang es dank seiner Kraft, was seinem Reiter verwehrt blieb. Stück für Stück erreichte es das rettende Ufer.

Reynald jedoch, durch sein Kettenhemd und seiner geringeren Masse, war ein Spielball der ungestümen Kraft des Wassers. Wild brachen Wellen um Welle über ihn herein und jedes Mal war er für einige Augenblicke nicht zu sehen. Nur um dann ein weiteres Stück flussabwärts aufzutauchen, Wasser spuckend, bis eine weiter Welle ihn wieder unter die Oberfläche schickte. Hilflos stand Bertrand am Flussufer, geschockt, und murmelte ein Stoßgebet zur Herrin und allen anderen Göttern, nur um sicherzugehen. Doch wenn die Götter sein Flehen gehört hatten, sie zeigten keinerlei Zeichen, ihnen beizustehen. Immer noch schoss Reynald auf den Wasserfall zu, und nichts schien ihn zu retten.
Jerome glitt bereits aus dem Sattel seines Streitrosses. Erstaunlich trittsicher eilte Jerome über die glitschigen Steine, bis ihm die tosenden Wassermassen den weiteren Weg versperrten. Ohne Zögern zog Jerome sein Schwert, während die schäumende Gischt seinen Waffenrock durchnässte, und die tobenden Wassermassen sein Gesicht benetzten. Er drehte die Waffe, das von der Herrin geweihte Oriflammè, sodass dessen Griff über das Wasser ragte.

Reynald schoss, von tausenden Litern Wasser beschleunigt, auf ihn zu.
„Ergreift das Schwert“, rief Jerome. Für einen Jerome vorbei war, tauchte seine Hand aus dem tobenden Wasser auf, und umklammerte das goldene, juwelenverzierte Heft des Schwerts. Jerome grunzte vor Anstrengung, stemmte sich mit beiden Füssen gegen den Stein, der ihm sicheren Halt bot. Reynalds zweite Hand tauchte auf, erfasste ebenfalls das Schwertheft, seine einzige Rettung. Dann erschien sein Kopf, die schulterlangen Haare nass tropfend, die Schultern, und sogar ein Teil seines Brustkorbs.
Hoffnung überkam Bertrand, als er sah, wie gegen jede Wahrscheinlichkeit Jerome den jungen Ritter aus den Fluten zog. Doch plötzlich sah er etwas in seinen Augenwinkeln und sein Blick folgte der Bewegung. Bertrands Augen weiteten sich vor Entsetzen, als er sah, was seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Er rief den beiden Anderen eine Warnung zu, doch es war zu spät. Eine riesige Eisscholle traf Reynald mit der Wucht einer Ramme, gerade als dieser bereits zur Hälfte aus den Fluten gezogen war. Der Aufprall presste jede Luft aus den Lungen des jungen Ritters und sein Griff erschlaffte.

Reynald le Durie wurde über den tosenden Wasserfall geschleudert und fiel mehrere Fuß in die Tiefe, wo ein aufgewühlter Mahlstrom und Gischt den Ritter verschluckten. Bertrand hielt es nicht mehr, er gab seinem eigenen Pferd die Sporen. Es war ein Teufelsritt, ein falscher Tritt über die glitschige, steinige Oberfläche konnte seinem Pferd ein Bein brechen, oder es zu Sturz bringen. Doch in diesem Moment kümmerte sich Bertrand nicht darum. Er hielt sein Pferd an dem Abgrund an und blickte hinab.
Millionen feinster Wasserteilchen stiegen auf und bildeten eine Wolkenschicht. Tief unten rauschte das unbändige Wasser in seiner zerstörerischsten Kraft. Hektisch blickte Bertrand die Oberfläche und den Verlauf des Flusses entlang, doch von Reynald war kein Lebenszeichen zu sehen. Jerome trat neben ihn, vor Anstrengung keuchend.

„Kommt, wir müssen flussabwärts suchen“, sagte der Ritter. Der hünenhafte Ritter eilte zu seinem Pferd, dem mächtigen Hengst Tourbillon. Bertrand sah hinunter in die wirbelnden Fluten des Flusses, der sich in Schlingen gen Südosten schlängelte. Jerome hatte Recht. Sie mussten aufbrechen und sich auf die Suche machen. Sie waren es Reynald schuldig. Zumindest sein Leichnam verdiente sich ein würdiges Grab als diese tosenden Wasserströme. Doch an diesen schlimmsten aller Fälle wollte Bertrand nicht denken. Er klammerte seine Hoffnung, dass Reynald dort unten war. Irgendwo dort unten.
 
3.10 Kinder des Chaos

Keuchend kam er an die schäumende Oberfläche. Eine weitere Welle schlug über ihn mit unbeugsamer Kraft ein und Reynald konnte gerade noch Luft schnappen, bevor er wieder untergetaucht wurde. Hunderte Luftblasen, und eiskaltes, wirbelndes Wasser umgaben ihn. Reynald wurde von den urtümlichen Gewalten hin- und hergeschoben, mehrmals um die eigene Achse gedreht. Oben war unten und umgekehrt. Seine Lungen brannten, da sich der Mangel an Atemluft bemerkbar machte. Er schlug mit dem Rücken hart gegen etwas und obwohl es seinen Untergang bedeutete, schrie Reynald unter Wasser auf. Dutzende Luftblasen, gefüllt mit seiner kostbaren Luft entwichen aus seinem Mund. Zumindest bekam Reynald dadurch seine Orientierung zurück. Er bewegte seine Arme, sofern seine nasse Kleidung und das Kettenhemd es erlaubten, und begann zu schwimmen.

Es kam ihm wie eine halbe Ewigkeit vor, aber schließlich brach er durch die Oberfläche. Nach Luft japsend ruderte er mit seinen Armen, stetig bemüht, nicht wieder unter Wasser gedrückt zu werden. Der Fluss machte hier eine Rechtskurve und schob Reynald mit der Geschwindigkeit eines galoppierenden Pferdes vor sich her. Die tief hängenden Zweige einer Weide kamen in Reynalds Blickfeld. Er streckte den Arm nach dem nächstbesten Zweig aus. Für einen kurzen Moment ruhte Reynald, als er sich an dem Ast festhalten konnte. Dann kam die unnachgiebige Kraft der Wassermassen zur Geltung, und der Zweig gab nach und brach ab. Reynald wurde wieder zum Spielball des Flusses und erlebte dessen Zorn, als er mehrmals unter Wasser gedrückt wurde.

Er machte sein letztes Gebet an die Herrin, in Gedanken, da das Sprechen in seiner Situation unmöglich war. Hier sollte er also sein nasses Grab finden, fernab von dem Ruhm eines Schlachtfeldes oder als betagter Herrscher eines Lehens, der von seinen Lieben umringt, verschied.
Seine Rettung kam in Gestalt eines Schlages in seine Magengrube. Reynald wurde förmlich um den großen Stein gewickelt, während sich die dahinströmenden Wassermassen um ihn brachen. Seine Hand schoss hoch und fand Halt an der oberen Kante. Mit seinen letzten Kraftreserven zog er sich hoch, während das unnachgiebige Wasser weiter an ihm zerrte. Keuchend lag Reynald mit seinem Oberkörper auf dem Stein, umgeben von einem Fluss, der ihm beinnahe das Leben gekostet hatte. Wasser tropfte aus seinem Haar, doch im Moment war das sein geringste Sorge.

Er benötigte eine Viertelstunde, bevor er frierend und völlig erschöpft das Ufer erreichte. Am ganzen Leib zitternd, sah sich Reynald um. Der Fluss schlängelte sich völlig ungerührt weiter, als könnte er kein Wässerchen trüben. Reynald blickte für einen Moment auf die schäumenden Wassermassen und wandte sich dann ab. Er drehte sich im Kreis, um einen Überblick zu bekommen. Nur Vegetation unter der obligatorischen Schneedecke, aber kein Anzeichen eines Lebewesens. Eine Böe kam auf und erinnerte Reynald auf schmerzvolle Art, dass seine gesamte Kleidung durchnässt war. Er schlang seine klatschnassen Arme um seinen Leib, doch das erinnerte ihn nur an seinen schmerzenden Rücken, der sich anfühlte, als wären sämtliche Orks des Weltrandgebirges darauf herumgetrampelt. Der Wind wurde stärker und seine eisige Umklammerung ging ihm durch Mark und Bein. Zu allem Überfluss war auch noch sein Schwert Durendal verschwunden, nur sein Messer steckte noch in seinem Gürtel.

Reynald le Durie begann hysterisch zu lachen, als ihm seine Lage bewusst wurde. Er war alleine und orientierungslos in der winterlichen Wildnis. Mit nasser Kleidung und von seinen Kameraden getrennt. Sein Lachen hallte durch die stille Wildnis. Reynald verstummte. So sollte es nicht enden! Er war ein Ritter Bretonias, einer der Verteidiger des Landes, und keine Gegner, schon gar nicht eine simple Landschaft würde ihm das Leben kosten.
Entschlossenheit stieg in ihm auf und sein Blick richtete sich flussaufwärts. Dort lag seine Hoffnung auf Rettung. Jerome und Bertrand waren sicher bereits auf seiner Fährte. Wenn er flussaufwärts marschierte, dann stiegen seine Chancen. Doch zuerst musste er seine Kleidung trocken bekommen. Reynald marschierte durch den hohen Schnee los.

***

Zwei Tierwesen, wilde Geschöpfe des Chaos stritten sich um die letzten blutigen Überreste der Beute. Beide besaßen einen menschlichen Oberkörper, obwohl er weitaus muskulöser war, als bei den meisten Menschen. Nur ihr Unterleib, sowie ihr Schädel verrieten, dass sie nicht mit den Menschen verwandt waren. Sie waren die Lieblingskinder des Chaos, entstanden in der lange zurückliegenden Zeit des Warptorbruchs. Tiermenschen lebten nur für die Gewalt, sie hassten alle anderen Geschöpfe, die nicht ihren Leidensweg der Mutation durchlebt hatten. Im Moment entlud sich dieser rohe Hass im Zweikampf der beiden Tiermenschen. Beide besaßen verdrehte, in gespaltenen Hufen endende Beine, und gehörnten Tierschädeln. Ihr Fell war verfilzt, gleichermaßen von Dreck und Blut. Und Blut floss auch über die muskulösen, menschenähnlichen Brustkörbe der beiden Kontrahenten, da sie sich in ihrem Toben bereits tiefe Wunden zugefügt hatten. Der Rest der Herde stand im Kreis rund um die beiden Kämpfer, neugierig, wer von Beiden als Sieger hervorgehen würde.

Der eine Kämpfer, in einem schmutzig grauen Fell mit dem Kopf eines Widders, sprang vor und zog dem Kontrahenten seine mit Stacheln bewehrte Keule über die Brust. Zahlreiche neue Wunden erschienen, und der Tiermensch, mit dem Kopf eines Stiers, brüllte vor Schmerz, dass der Boden erbebte. Er nahm seinen Speer und machte einen Ausfallschritt auf seinen Gegner zu. Die Augen der nicht beteiligten Tiermenschen weiteten sich vor Vorfreude und Begierde auf das bevorstehende Gemetzel. Es kam jedoch nicht dazu.
Eine gigantische Gestalt erschien. Ein Tiermensch von ungeheurer Größe und Fülle. Ihr zotteliges Fell bedeckte die massigen Schultern, die selbst einen Orkhäuptling vor Neid erblasst hätten. Darauf prangte ein gewaltiger, dunkelschwarzer Stierschädel mit zwei mächtigen Hörnern. Dies war der Anführer, der Leitbulle der Herde, und er hatte augenscheinlich schlechte Laune.

Der Anführer passte den Speer ab, bevor er in den Brustkorb des Widdertiermenschen eindringen konnte und stoppte damit den Angriff mit verächtlicher Leichtigkeit. Er warf den Kopf in den Nacken und stieß ein markerschütterndes Gebrüll aus, bei dem sich seine Untergeben ängstlich niederkauerten und Gesten der Unterwerfung vollführten. Der Kampf war so schnell zu Ende, wie er begonnen hatte. Der Anführer stampfte weiter, hin zu den blutigen Überresten des Kadavers, die den Anlass für die Streitigkeiten gebildet hatte. Er nahm die Fleischfetzen hoch und schlang sie in einem Stück hinunter. Keiner in der Herde wagte es, ihn daran zu hindern. Schließlich trug er auch die Eisenrüstung, ein unglaubliches Zeichen der Macht. Sie war aus diversen Stücken gefertigt, darunter aus mehreren bretonischen Kettenhemden und Rüstungsteilen unglückseliger Ritter, die auf ihrer Suche nach Ruhm den Weg dieser Bestie gekreuzt hatten. Die Rüstung, eigentlich eine notdürftig zusammengeflickte Konstruktion verbarg die zahlreichen Narben, welche den Aufstieg des Tiermenschen zum Anführer der Herde dokumentierten. Eine gewaltige, scharfe Bronzeaxt mit zahlreichen Symbolen des Chaos versehen war die Waffe des Anführers. Ein Geschenk der dunklen Götter, die Waffe eines auserwählten Champions, wie die Tiermenschen an sich die Auserwählten der vier Chaosgottheiten waren.

Der Anführer beendete sein Mahl und dann bellte er seine Befehle. Sofort brach die Herde wieder auf. Leichtfüßige Späher setzten sich von der Hauptgruppe ab um nach potentiellen Fährten zu suchen. Sie waren auf der Jagd, eigentlich waren sie das immer. Der Anführer wusste, dass seine Autorität in dem Moment enden würde, an dem er seine Herde nicht mehr mit frischem Fleisch versorgen konnte. Der Streit hatte gezeigt, dass einzelne Mitglieder schon jetzt bis auf das Äußerste gereizt waren. Sollten sie nicht bald Beute machen, dann würde es immer häufiger zu Auseinandersetzungen kommen. Selbst ein so mächtiger Anführer wie er konnte nicht an jeder Stelle gleichzeitig sein. Das wäre ohne Zweifel das Ende der Herde, die er unter so viel Anstrengung errichtet hatte.

Die Späher führten sie in Richtung des Flusses. Dank ihrer tierischen Beine kamen sie im dichten Schnee schnell voran. Der Anführer betete zum Chaos, dass sie auch schneller als ihre potentielle Beute sein würden. Wo auch immer sie hinkamen, es schien, als würde die Natur ahnen, welches Übel durchzog. Es war kein Laut von einem Tier zu hören, der Wald schien sich in sich selbst zurückzuziehen.

Einer der Späher kam zurück. Er war schmächtiger gebaut, ein rangniedriger Tiermensch, den der Anführer nur widerwillig in seiner Nähe duldete. Er musste sich dazu zwingen, ihr nicht gleich mit der Axt den Kopf abzuschlagen. Doch es war sein Wildschweinkopf mit dem sensiblen Rüssel, der die Kreatur so unentbehrlich machte. Der Späher näherte sich unterwürfig und zeigte in eine Richtung. Der Anführer bellte einen Befehl und die Herde hielt augenblicklich an. Der stierköpfige Champion folgte dem sichtlich eingeschüchterten Späher bis zu seiner Entdeckung. Seine Nase war zwar nicht so fein, doch jetzt konnte er auch die Ausdünstung riechen. Sein Mund kräuselte sich zu einer abscheulichen Geste, die bei einem Tiermenschen als Lächeln durchgehen konnte. Die dunklen Götter hatten seine Gebete erhört. Die Fährte verriet, dass die Beute nicht zahlreich war, aber es würde vorerst reichen.
Es würde für die nächste Zeit reichen. Und danach würden sie wieder jagen.
Und wieder.
***

Es war in dunkle Nacht in Montfort, dunkle Wolken hatten den gesamten Himmel bedeckt, als würden sie die Ereignisse im Axtschartenpass dadurch ungeschehen machen können. Khentauron stieß einen seiner übelsten Flüche aus, dessen Erfüllung ein hohes Maß an Sadismus, Perversion und Brutalität notwendig machen würde. Der Himmel verdeckte Morrslieb, den Mond ihrer Götter und ihr Zeichen der Gunst für ihre zahlreichen Anhänger. Für einen Moment erwog er kurz, das Ritual abzubrechen, dass es ihm angesichts dieser Umstände sinnlos erschien. Doch dann erinnerte er sich an die expliziten Anweisungen ihres Meisters und seine darin enthaltenen Drohungen, falls er diesen nicht exakt nachkommen würde, und schauderte. Er gab mit einer Handbewegung seinen Kriegern das Zeichen mit dem Ritual fortzufahren.

Schreiend wurde der nächste Mensch zu dem Altar geschleppt, der inzwischen vollständig von Blut besudelt war. Einem weiteren Opfer wurde das Herz herausgeschnitten und der zappelnde Mensch verstummte schlagartig. Sie hatten bereits dutzende Menschen geopfert, Khentauron war deren Schicksal vollständig egal. Sie waren schwach, und das Chaos konnte nur durch die Starken siegen. Khentauron selbst war stark, deshalb war er der Anführer dieser Kriegsbande. Nur ihrem Meister beugte er sich, weil ihr Meister der bevorzugte Champion der Vier war. Wo er gerade an bevorzugte Diener dachte…
Die Wolkendecke riss auf und ein fahles Licht schien genau auf sie herab, wie eine eiternde Wunde. Irgendwo begann ein Wolf schaurig zu heulen, dann fielen weitere ein. Das Licht fiel nur in ihre versteckte Schlucht und beleuchtete sie mit dem Licht Morrslieb, ein deutliches Zeichen der Gunst der dunklen Götter.
„Er bewegt sich“, sagte einer der Krieger und deutete zum Altar.

Khentauron lächelte sauer, eine Geste die niemand unter seinem Helm sehen konnte. Ein blutgetränktes Leinen wurde zur Seite gerafft und Schlächter erhob sich. Auf eine gewisse Weise war Schlächter ebenfalls ein Günstling der dunklen Götter. Sie hatten ihn mit der Gabe versehen, nie in der Schlacht zu sterben. Kein Schwert, keine Axt, Lanze oder Pfeil konnte jemals sein verderbtes Leben beenden. Wie so viele Gaben der dunklen Götter waren sie aber auch Segen und Fluch zugleich. Ächzend erhob sich Schlächter, er wankte und wirkte desorientiert. Hämisch registrierte Khentauron dies. Offenbar war auch dieses Geschenk nicht ohne Folgen und er war vor, von den Göttern nicht so gesegnet war. Lieber hatte er nur ein Leben, doch seine Stärke und der Segen der Vier war bisher mit ihm gewesen, so das kein Gegner ihm bisher gewachsen war.

Und er würde alles daran setzen, dass dies so bleiben würde.
Mit zittrigen Beinen wankte Schlächter zu ihm. Sein ehemals kaltes, schönes Gesicht wirkte fahl.
„Gut geschlafen?“, ätzte Khentauron. Schlächter funkelte ihn an, war aber offensichtlich zu schwach, um diese Beleidigung zu erwidern. Hämisch registrierte Khentauron dies. In nächster Zeit konnte er sich ungefährdet über Schlächter lustig machen, ohne irgendwelche Vergeltung zu erwarten.
„Was geschieht mit den restlichen Gefangenen?“, fragte einer der Krieger und zeigte auf ein halbes Dutzend zitternder, verängstigter Menschen.
Opfer, dachte Khentauron bei diesem wimmernden Haufen, von denen keiner in seine wie glühenden Kohlen gleißenden Augen sehen konnte. So schwach, so unwürdig.
Er blickte auf Morrslieb, der immer noch auf sie herab schien. Er zückte ein Messer und spürte, wie die Mordlust erneut erwachte.
„Geben wir den Vier, was den Vier gehört“, sagte er mit einer tiefen, vor Brutalität triefenden Stimme.


***

Müde, hungrig und halb erfroren, kauerte Reynald unter einem Felsvorsprung. Sein Körper zitterte nicht mehr am ganzen Leib. Er war den halben Tag trotz seiner nassen Kleidung weitermarschiert in der Hoffnung, bald auf Jerome und Bertrand zu treffen. Ein Fehler, wie er jetzt wusste. Seine Finger und Zehen wären beinnahe erfroren, als Reynald diesen Felsvorsprung erreicht hatte. Eine Stunde war vergangen, bis es ihm gelungen war, ein Feuer zu entfachen. Reynald hatte diese Aufgabe zuvor immer von einem Leibeigenen oder Knappen erledigen lassen. Nun wusste er, dass es eine verdammt schwierige Sache war. Umso mehr wenn man über keinen Feuerstein verfügte. Doch nun prasselte ein Feuer und dessen behagliche Wärme hatte mit der Zeit seine klammen Gliedmaßen und seinen geschundenen Leib wieder ins Leben zurück gerufen. Der Ort war gut gewählt, eine Schneewehe auf der einen Seite und eine Tanne auf der Anderen boten ausreichen Schutz. Der Boden selbst war aufgrund dieses Umstands nicht von Schnee bedeckt. Reynalds Waffenrock, an einigen Stellen zerschlissen, war das erste Kleidungsstück, das getrocknet war. Reynald nutzte es nun als Decke in die er sich einwickelte, während sein Gambeson und seine Unterkleidung noch trockneten.

Reynald hatte beißenden Hunger, doch das war ein Umstand, mit dem er sich in seiner Situation abfinden musste. Es war allemal besser, vor einem Feuer mit leeren Magen zu sitzen, als sich in der klirrenden Kälte auf eine wahrscheinliche erfolglos auf die Jagd zu begeben. Zumal Reynald nur noch über sein Messer verfügte. Sein Schwert zu verlieren, war für einen Ritter das schlimmste aller vorstellbaren Szenarien. Es kam einer Entehrung gleich. Doch hier gab es im Umkreis niemanden, den das interessierte.
Bei diesem Gedanken fiel Reynald ein Umstand auf, dem er bisher keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte. In seiner Umgebung war nicht das geringste Geräusch zu hören, außer dem Rauschen des nahen Flusses. Das war ungewöhnlich, ja sogar seltsam.

Er sammelte seine Kleider ein, sie waren zum Glück schon beinahe vollständig getrocknet. Wie dem auch sei, es musste auch so gehen. Reynald zog sich seine Kleidung an, sogar sein Kettenhemd und den Gürtel mit dem Schwert, seiner einzigen Waffe. Er bewegte sich vorsichtig aus seiner Deckung heraus. Seine Umgebung bot sich als ein Bild winterlicher Pracht. Nur Stille, doch gerade diese wirkte für Reynald so befremdlich. Kein einziges Anzeichen für Leben war zu entdecken, selbst zu dieser Jahreszeit war dies für eine Flusslandschaft ungewöhnlich.

Seine Füße knirschten über die Eiskristalle des Schneebodens, seine einzige hörbare Begleitung, denn es war, als hielte die Flusslandschaft in Erwartung den Atem an. Schwaden wallten von dem Fluss auf, demselben Gewässer in dessen tobenden Armen Reynald beinahe ertrunken war. Mannslieb, einer der beiden Monde, strahlte als silberne Sichel am kalten, Himmel. Dutzende Sterne erstrahlen in ihrer Pracht. Gemeinsam lieferten sie Reynald genug Licht, damit er seine Umgebung sehen konnte. Der Nebel nahm zu. Reynald tauchte ein in die Schwaden, die ihn sofort umschlossen. Das Rauschen des Flusses wurde immer stärker, und obwohl Reynald nur noch den weißen Nebel sah, spürte er, dass der Fluss nun direkt vor ihm lag. Zögerlich ging er noch zwei Schritte, dann hielt er an.

Wie ein Vorhang teilten sich die Schwaden und gaben Reynald den Blick auf den Fluss frei.
Ein Hirsch stand am jenseitigen Ufer und trank. Reynald hielt den Atem an, als er das majestätische Tier betrachtete. Es war ein mächtiges Männchen, sein Geweih endete in unzähligen Spitzen. Doch es war nicht das Geweih, das Reynalds Blicke auf sich zog. Der Hirsch trug ein vollkommen weißes, makelloses Fell. Das Tier hob seinen Kopf bei Reynalds Eintreffen und sah ihn direkt an. Sein Blick strahlte eine innere Ruhe und Weisheit aus, die Reynald auf eine seltsame und zugleich direkte Weise berührte.

Ausgehungert wie er war, hätte man vielleicht der Herrin für diese Gelegenheit auf Beute danken sollen. Doch der Gedanke, an dieses edle Tier Hand anzulegen, empörte Reynald. Ja, er war sich sogar nicht sicher, ob man bei diesem Wesen von einem Tier sprechen konnte. Der Hirsch fixierte ihn weiterhin, ruhig und selbstsicher, als wüsste er, dass ihm Reynald kein Leid zufügen würde. Es war eine beruhigende Szene. Reynalds Atem und Herzschlag beruhigte sich. Sogar sein Hunger, die Kälte und die Schmerzen in seinem Rücken waren mit einem Schlag nicht mehr da, als hätte dieser weiße Hirsch sie mit seinem Blick weggezaubert. Der Hirsch warf den Kopf zur Seite, eine Geste, die bei einem Menschen als Aufforderung gedeutet würde, auf seine Seite zu kommen. Hinter dem Hirsch stand in Reichweite ein grün leuchtendes Band, der Wald von Athel Loren. Doch so verlockend das Angebot auch war, Reynald zögerte, in diesen verhexten Wald zu gehen. Zu viele Schauermärchen waren ihm von diesem verhexten Wald erzählt worden, in dem magische Elfen und Schlimmeres umhergingen. Er schüttelte den Kopf und glaubte in den Augen seines Gegenübers den Anflug von Bedauern zu sehen.

Mit einem Mal war der Zauber verflogen, als der Hirsch seinen edlen Hals reckte und an Reynald vorbeistarrte. Instinktiv sah Reynald in dieselbe Richtung, doch außer einer nächtlichen Landschaft konnte er selbst nichts erkennen. Und doch, alle seine Instinkte, tief in ihm drinnen, rieten ihm in panischer Furcht die Flucht zu ergreifen. Reynald wandte sein Kopf, doch der Hirsch verließ bereits den Fluss. Mit raschen, eleganten Sprüngen eilte das edle Tier der Sicherheit von Athel Loren entgegen. Panik kam in Reynald auf, als er die Warnung erkannte. So schnell er konnte, eilte er seinem Versteck entgegen. Die ihm umgebende Stille nahm er nun als unheilvolles Omen wahr. Der Wald versteckte sich vor einem unsagbaren Übel, das schnell näher kam. Reynald hatte nur noch einen Gedanken:
Schnell weg von hier, bevor es zu spät war.


***

Der Anführer der Tiermenschen gestattete sich ein Lächeln, wobei er dabei zwei Reihen seiner raubtierähnlichen Zähne entblößte. Er sah die Spuren im Schnee und roch die Ausdünstung ihrer Beute. Sie war frisch, vielleicht eine Viertelstunde alt, und das bedeutete, dass sie ihrer Beute näher kamen. Nur noch ein kurzer Spurt, dann würden sie ihre Beute eingeholt haben. Auch der Rest seiner Herde hatte die Fährte gewittert und dementsprechend lag ein gefährlicher Glanz in den Augen der Tiermenschen. In Erwartung steigerten die Tiermenschen ihr Tempo, wobei ihr Atem aufgrund ihrer Erregung, sowie der körperlichen Anstrengung als riesige Wolke über ihren Köpfen aufstieg.

Auch der Atem des Anführers ging schwer, doch als von den Winden des Chaos Geküsster wurde sein Körper mit dieser Belastung fertig. Er schwelgte bereits in der Vorstellung von Blut und Fleisch. Seine Späher waren sich bewegende Schatten, die ihnen voraus liefen. Sie waren gerade noch sichtbar und gaben ihnen die Richtung vor. Wenn ihnen die dunklen Götter weiterhin so gewogen waren, dann würde ihnen der Anführer das Herz der Beute als Opfer darlegen. Die Späher winkten die Herde herbei und zeigten auf eine frische Spur. Der Anführer kam herbei, und die Mitglieder der Herde machte ehrerbietig Platz. Die Spur war unregelmäßig und zeigte, dass ihr Beute bemerkt hatte, dass sie verfolgt wurde. Sie wies aber auch darauf hin, dass die Kräfte ihrer Beute nachließen. Der Anführer lächelte erneut. Offenbar hatten die dunklen Götter seine Gedanken gehört. Er hob seine schwere Axt in den Himmel, sodass sich die gewaltige Klinge im fahlen Mondlicht spiegelte. Er würde definitiv das Herz der Beute als Opfer darbringen. Das schwor er. Dann bellte er einen Befehl, und die Herde setzte sich wieder in Bewegung. Auf die Jagd.

Der erste Tiermensch sprang Reynald aus dem Dickicht an. Er hatte kaum Zeit, darauf zu reagieren, geschweige denn seinen Dolch zu ziehen. Instinktiv fuhr seine Hand hoch. Der Tiermensch stieß einen unmenschlichen Laut aus, als die Fackel sein Gesicht verbrannte. Es roch plötzlich nach verbranntem Fett und Fell. Wie eine brennende Fackel stob der Tiermensch zur Seite.

Sie hatten ihn schlussendlich eingeholt. Reynalds Kräfte waren ohnehin aufgebraucht. Sein Atem ging schwer, seine Beine waren müde, eine Folge des langen Laufs. Furcht und Grauen hatten seine Seele befallen, während er mit größtmöglicher Geschwindigkeit sein Lager verlassen hatte. Während der Flucht hatte sich sein Kopf alle möglichen grauenhaften Wesen erdacht, die hinter ihm her sein konnten. Als es nun zum Kampf kam, war er auf eine gewisse Weise erleichtert. Doch auch so, boten die Tiermenschen einen schrecklichen Anblick. Ihre verdrehten Beine und die Tierschädel brannten sich in Reynalds Gedächtnis ein, hauptsächlich jedoch die entstellten Züge und die blutdürstigen Blicke.

Reynald war ein fahrender Ritter, er hatte bereits Tiermenschen erledigt. Zusammen mit Jerome de Montfort. Allerdings waren sie dort die Jäger gewesen. Und noch dazu war Reynald damals im Sattel seines Streitrosses gesessen. Nun war er allein, ohne Schwert, und umzingelt von einer blutdürstigen Meute. Sie umzingelten ihn, einer abscheulicher als der andere. Sie knurrten und mit jedem Moment wurden es mehr. Es war sich bereits ein Dutzend Tiermenschen, muskulöse Mischlingen aus Tier und Mensch.
Eine weitere Kreatur sprang ihn an. Breite Schultern, auf der ein Kopf wie der eines Steinbocks saß. Der Tiermensch war einer der Kleinsten aus der Herde, seine Hörner waren nur kleine Fortsätze. Weitaus größer und bedrohlicher war die stachelbewehrte Keule, die der Tiermensch vor sich schwang. Reynald hingegen besaß nur sein Messer. Trotzig hielt er die kurze Klinge in seiner rechten Hand, die Fackel hingegen in der anderen. Die Fackel, sie war gleichsam seine Rettung und Verhängnis. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, sie mitzunehmen. Doch ohne Schwert war sie seine effektivste Abwehr gegen diese Bestien.

Reynald schwang die Fackel, kleine, glühende Holzteilchen tanzten federleicht in den Abendhimmel. Sein Gegner sprang davon eingeschüchtert zurück, nur um ihn dann erneut zu attackieren. Die Keule fuhr in einem weiten Bogen direkt auf Reynalds Brustbein. Reynald wehrte den Hieb mit seinem Messer ab, aber die Wucht des Angriffs schleuderte dieses in zur Seite. Nun hatte er nur noch seine Fackel. Der Tiermensch erkannte seine Notlage und sein Schädel zeigte ein abstoßendes, boshaftes Lachen.
Ein Pfeil sauste durch die Luft und grub sich mit einem heftigen Aufprall in die Brust des Tiermenschen. Ein zweiter Pfeil kam herbeigeflogen und fand nur eine Handbreit neben dem Ersten sein Ziel. Der Tiermensch gab einen kläglichen Laut von sich und verschied. Reynald drehte seinen Nacken und spähte nach dem Schützen. Auf einem Felsvorsprung stand ein Mann mit einem bretonischen Langbogen. Reynalds Herz tat einen Sprung vor Freude, als er Bertrand erkannte.

Auch die Tiermenschen sahen die neue Bedrohung. Mehrere von ihnen sprangen in den Fluss und eilten dem Schützen entgegen. Allein, sie kamen nicht weit. In aller Ruhe schoss Bertrand zwei weitere Pfeile ab, die jeweils ihr Ziel trafen. Dennoch blieben auch genügend Angreifer übrig. Ohne Hilfe würde sich Bertrand ebenfalls einer Übermacht an Feinden gegenüber sehen.

Doch Bertrand war nicht alleine. Jerome de Montfort tauchte auf. Auf Tourbillon erschien der Ritter, Oriflammè in seiner Hand, den Schild mit seinem Wappen in der anderen. Wasser spritzte zu beiden Seiten an Tourbillons mächtigen Flanken auf und die gesegnete Klinge leuchtete im Mondlicht. Das Schwert fuhr nieder und ein Tiermensch sank mit einer tödlichen Wunde zu Boden. Sein Blut würde nie den geweihten bretonischen Boden besudeln, da es von den Wassermassen weggespült wurde.
Jerome de Montfort schwang sein Schwert wieder, noch bevor der erste Gegner gefallen war und spaltete einen weiteren Schädel. Der dritte Überlebende fand ein jähes Ende, als Bertrand einen weiteren Pfeil in dessen Brustkorb versenkte. Innerhalb weniger Augenblicke waren damit sechs Tiermenschen gestorben. Doch noch waren mindestens sechs weitere Feinde am Leben und der Anblick ihrer gefallenen Kameraden schien sie nur umso mehr anzustacheln. Sie brüllten den Menschen ihren animalischen Schlachtruf entgegen. Dazu tauchte noch ein wahres Ungetüm auf, in eine krude Rüstung gekleidet und mit einer gewaltigen Axt, die mühelos Stahl spalten konnte. Reynald erstarrte bei dem Anblick, und er war sich sicher den Anführer der Herde vor sich zu haben.

Jerome de Montfort zögerte keinen Augenblick und gab seinem Streitross die Sporen. Tourbillon brach durch die Reihen der Tiermenschen, wobei er eine der Kreaturen unter seinen Hufen zermalmte. Er nahm einen Gegenstand und warf ihn Reynald zu. Reynald fing ihn auf. Es war ein Schwert, Jerome de Montforts zweites Schwert. Nun war er wieder in der Lage, sich seiner Angreifer zu erwehren. Gestärkt durch guten bretonischen Stahl und die Hilfe seiner Kameraden ging Reynald mit neuer Entschlossenheit in den Kampf. Ein Wesen mit einem Stierschädel und einem Speer attackierten ihn. Mühelos schlug Reynald den Speer zur Seite, dann stach er zu. Er legte sein ganzes Gewicht dahinter und der bretonische Stahl fuhr tief in den Hals seines Gegners. Der Tiermensch öffnete seinen Mund und das Blut sprudelte heraus wie aus einer Bergquelle. Zwei weitere Wesen kamen herbei. Reynald duckte sich unter einem Hieb hindurch, dann schwang er sein Schwert erneut. Noch ein Tiermensch hauchte sein Leben aus.

Jerome de Montfort fegte durch die feindlichen Reihen und teilte furchtbare Hiebe aus. Bertrand sandte aus sicherer Distanz Pfeil um Pfeil auf die Feinde. Bisher sah es so aus, als würden sie den Sieg erringen. Doch der Anführer der Tiermenschen gab sich nicht so leicht geschlagen. Er gab ein Brüllen von sich, dass die Erde bebte und stampfte vorwärts. Mit seiner gesamten Masse rammte er Jeromes Pferd und brachte es zu Fall. Jerome de Montfort stieß sich aus den Steigbügeln ab und kam wieder hoch. Doch da war der Anführer der Tiermenschen zu Stelle und brüllte ihm eine Herausforderung zu. Unbeeindruckt verstärkte Jerome de Montfort den Griff um Oriflammè und stürzte sich dann dem Gegner entgegnen.

De Aufprall glich dem Treffen zweier Urgewalten, wie die Flut, die auf steinerne Klippen trifft und die ihre elementaren Kräfte entfesseln. Der Tiermensch überragte an Größe und Körperfülle alle anderen Mitglieder seiner Herde und Jerome de Montfort stand ihm in punkto Größe nichts nach. Der Tiermensch schwang seine Bronzeaxt und der Ritter wehrte den ersten Angriff mit seinem Schild an. Verärgert darüber, dass sein erster Streich nicht wie üblich den Gegner gefällt hatte, brüllte der Tiermensch, wobei er Geifer verspritzte. Er setzte dem Ritter weiter zu, deckte ihn mit einer Vielzahl an Hieben ein, die einen Troll auf der Stelle in zwei Hälften geteilt hatten. Doch sie alle endeten an der Abwehr Jeromes, der seinen Schild geschickt nutzte und die Hiebe der Axt daran abgleiten ließ. Dann blitzte Oriflammè auf, in einem hellen Bogen, als würde sich darin das Licht des Mondes und der Sterne verstärken. Der Tiermensch brüllte, als das geweihte Schwert ihm eine Wunde am Arm versetzte. Dunkles Blut floss in Strömen an ihm herab, aber der Leitbulle der Tiermenschen gab sich keineswegs geschlagen. Aufgestachelt durch die Wunde setzte er zu einer Serie von Schlägen an. Jerome de Montfort duckte sich unter einem Hieb, der ihm sonst auf der Stelle den Kopf abgeschlagen hätte, nur im nächsten Moment einen Rückhandschlag parieren zu müssen. Der Tiermensch nutzte die Bewegung des Angriffes und wirbelte um die eigene Achse, sodass die Axt nun auf Jerome nieder sauste. Im letzten Moment hob Jerome den Schild. Doch selbst bretonischer Schmiedekunst konnte dieser Kraft nicht widerstehen. Mühelos drang die Schneide der Axt durch den Schild. Doch nun war die Waffe des Tiermenschen nutzlos. Jerome ließ den Schild fallen und nahm Oriflammè in einen beidhändigen Griff.
„Für die Herrin“, rief er und übertönte damit den Schlachtenlärm. Dann setzte er zu seinem finalen Hieb an. Oriflammè leuchtete hell auf, als sie den Arm des Tiermenschen abtrennte, als würde das geweihte Schwert gegen das mutierte Fleisch der Kreatur ankämpfen. Blut und Seim spritzte in einer weiten Fontäne, als der rechte Arm des Tierwesens abgetrennt wurde.

Ungläubig starrte der Anführer auf die Wunde. Das konnte nicht sein! Hatte dieser lächerliche Mensch, diese Beute, ihn tatsächlich getroffen? Ihn, einen Liebling des Chaos, dem es bestimmt war, über diese Welt zu herrschen? Sein Arm umklammerte immer noch die Axt, die in dem Schild steckte. Allerdings war dieser Arm nicht mehr Teil von ihm. Schmerz überkam ihn, doch schwerer wog die nüchterne Erkenntnis, dass die wankelmütigen Herren des Chaos ihn im Stich gelassen hatten. Vom Blutverlust entkräftet sank er zu Boden, sein Blick voller Hass auf seinen Gegner gerichtet. In einem fruchtlosen Versuch ballte er seine linke Hand zur Faust und schmetterte sie dem Ritter entgegen.

Jerome de Montfort wich dem Schlag mit Leichtigkeit aus. Er änderte den Griff seines Schwerts und legte sein gesamtes Gewicht in den Todesstoß. Oriflammè drang mühelos durch die krude Rüstung, an der Schnittstelle zweier erbeuteter Rüstungsteile. Die Klinge drang tief ein, direkt in das Herz des Tiermenschen. Der Tiermensch gab einen kläglichen Laut von sich, der auf den Ritter erbärmlich gewirkt hätte, wenn es sich hierbei nicht um ein Wesen des Chaos gehandelt hätte. Bis zuletzt starrte der Tiermensch Jerome mit hasserfülltem Blick an. Dann wurde das Leuchten in seinen Augen schwächer und sein gewaltiger Köper sackte schlaff zu Boden.

Der Kampf war vorbei. Wie durch ein Wunder war Reynald unverletzt. Rings um ihn lagen die Leichen der Herde. Dieselben Tiermenschen, die ihn noch vor wenigen Augenblicken siegessicher umzingelt hatten, lagen nun in ihrem eigenen Blut auf der Erde. Jerome de Montfort zog sein Schwert aus dem Leichnam des Anführers. Sorgfältig wischte er die Klinge an dem Toten ab, damit kein noch so kleiner Überrest dessen schändlichen Blutes darauf zurück blieb. Reynald trat hinzu.
„Habt Dank für die Rettung“, sagte er und bot Jerome das Schwert an.
„Erkennt ihr es nicht“, erwiderte der Ritter.
Stolz erfüllte Reynalds Herz, als er die Klinge betrachtete. Dies war zwar nicht Oriflammè, aber es war immerhin Durendal. Die Waffe seines Vaters, das Erbstück seiner Familien, der Herren von Durie. Er fühlte, wie eine neue Entschlossenheit und Stärke durch seinen Körper fuhr, als er das Heft umschloss. Mit diesem bretonischen Stahl an seiner Seite fühlte sich Reynald wieder wie ein vollständiger Ritter. Sein Gefühl wurde noch verstärkt, als Bertrand mit den Pferden hinzu kam. Freudig begrüßte Reynald seinen Gefährten, Bèlemnite, und das Schlachtross wieherte ebenfalls erfreut, als es seinen Reiter erkannte. Zu seiner vollständigen Freude fand Reynald auch seinen Schild, der an dem Sattelknauf hängte.

Bertrand gestatte sich ein Lächeln, da die Freude des jungen Ritters ansteckend war. Dann glitt sein Blick über das Schlachtfeld.
„Was machen wir mit den Toten?“, fragte er Jerome.
Jerome sah ihn an. „Verbrennen.“

Der Morgen graute bereits, als die drei Reiter den Ort der Schlacht verließen. Die gesamte restliche Nacht hatten sie die Leichen der Tiermenschen eingesammelt und auf einem Haufen gestapelt. Dieser Haufen brannte nun lichterloh, eine schwarze Rauchsäule stieg zum langsam heller werdenden Himmel auf. Davor steckte ein Pfahl in der Erde. Seine Spitze zierte ein grässliches Objekt. Es war der Schädel des Anführers, der die entstellten Züge seines grausamen Todes wiedergab. Eine Warnung an alle Diener der dunklen Götter, welches Schicksal sie in Bretonia erwartete, wo die Ritter unter dem Schutz der Herrin über die Lande wachten.
***

Es war nur noch ein qualmender Haufen, da das Feuer bereits seit Stunden verloschen war. Dennoch näherten sich die Kreaturen nur zaghaft dem Ort, an dem offensichtlich ein gewaltiger Kampf stattgefunden hatte. Schon vor Stunden hatten sie die Witterung aufgenommen. Die Witterung von mächtigen Artgenossen, in der Hoffnung sich ihnen anzuschließen. Diese Hoffnung war nun jäh zerstoben, als sie den Kopf eines mächtigen Bullen aufgespießt fanden. Furcht überkam sie, als sich das Ausmaß des Kampfes in ihrer simplen Verstände einbrannte. Einer der kleinen Tiermenschen, ein Wesen mit dem Schädel eines Wildschweins, schnüffelte. Es roch etwas, dass es fast magisch anzog. Im aufgewühlten Boden glänzte ein Gegenstand. Zaghaft trat der Tiermensch näher. Er wühlte mit seinen Hufen in dem Boden und legte immer mehr von dem Gegenstand frei. Es war eine Axt, in welcher unverkennbar der Odem des Chaos gebunden war. Begierig streckte der Tiermensch die Hand nach der Waffe aus. Bei der Berührung spürte er, wie Entschlossenheit und Stärke in seinen mutierten Körper floss.

Pläne formten sich in seinem Kopf. Visionen von Blutvergießen und Eroberung. Er würde diese Waffe, dieses
Geschenk der dunklen Götter an sich nehmen. Der Tiermensch warf seinen Kopf in den Nacken und gab ein lautes Brüllen von sich. Seine Artgenossen sahen ihn verwundert an. Doch dann sahen sie die Waffen in seinen Klauen und näherte sich unterwürfig. Befriedigt nahm der Tiermensch es zu Kenntnis. Er würde eine Herde um sich versammeln. Immer mehr Tiermenschen, Kreaturen des Chaos, und sie würden auf die Jagd gehen und sich an ihrer Beute stärken. Er spürte bereits, wie die Kraft der Waffe in seinen Körper floss und ihn veränderte. Es gab nichts, was ihm jetzt widerstehen konnte. Schließlich war er das Lieblingskind des Chaos. Sie waren alle vom Chaos geküsst, ihre bevorzugten Geschöpfe, denen die Herrschaft über die Welt verheißen war.
Der Tiermensch gab ein Brüllen von sich und seine Artgenossen setzten sich gehorsam in Bewegung. Sie machten sich bereit. Auf zur Jagd.
 
3.11 Krankenlager

Der Burghof von Montfort war wieder einmal von regem Treiben erfüllt. Doch die Männer, die sich hier zur Abreise versammelten, würden den Ort nicht im Guten verlassen. Im Gegenteil.
Lady Marie Levalier stand an der Brüstung eines steinernen Balkons und beobachtete die Männer mit sorgenvollem Blick. Es war ein kalter Morgen und der Wind pfiff durch alle Ritzen der mächtigen Burg. Marie fröstelte, aber es war nicht nur wegen des Winters.

„Ihr werdet Euch noch den Tod holen, Milady“, sagte eine Stimme. Zauberer Rainheim trat hinzu. Im Gegensatz zu der bretonischen Adeligen trug er keinen pelzgefütterten Mantel, doch schien im die Kälte auch nichts anzuhaben.
„Obwohl es nicht nur die Kälte ist, die euch zusetzt“, fuhr der Zauberer fort und erriet damit Maries Gedanken.

Schweigend standen sie eine Weile nebeneinander und betrachteten die Szenerie. Sie warteten, genauso wie die versammelten Reiter. Und schließlich kam er. Sein Gang war selbstsicher, kein Zeichen einer Beeinträchtigung oder von Schwäche. Der Arrest hatte ihm offenbar nicht im Geringsten etwas anhaben können. Der ehemalige Seneschall des
Herzogs, Claude de Sanguine trug einen Wappenrock mit seinen Farben, dazu ein Schwert und den dicken, warmen Mantel der jetzt zum unverzichtbaren Bestandteil der Kleidung war. Wenn man sich diesen Luxus leisten konnte, und Claude de Sanguine, Spross einer der mächtigsten Familien im Herzogtum gehörte ohne jeden Zweifel zu diesen Glücklichen. Doch Claude de Sanguines Wangen waren gerötet, allerdings ebenfalls nicht wegen der Kälte, sondern aus Zorn.

Am Besten verdeutlichte dies der Trosswagen. Er war beladen mit allen Habseligkeiten des ehemaligen Seneschalls, außer den Dingen, die ihm der Herzog als Zeichen seiner Wertschätzung geschenkt hatte. Claude de Sanguine schied nicht im Frieden, keiner der Reiter tat diese. Herzog Folcard war ein gerechter Herrscher und so hatte er die „hölzerne Hand“ aus dem Arrest entlassen, als Marie und ihre Gefährten die Burg ergebnislos erreicht hatten. Ein stark bewaffneter Trupp war zwar sofort nach ihrem Bericht hastig aufgebrochen, doch fand er am Ort der Schlacht kein einziges Lebenszeichen. Ja, der Kommandant sagte sogar, dass sich an besagten Ort nicht einmal ein Beweis für einen Kampf fand. Ohne Beweise, ohne einen Zeugen, konnte der Herzog gar nicht anders, als Claude de Sanguine freizulassen. Obwohl es gerade dieses gerechte Handeln war, das Herzog Folcard jetzt Schaden zufügte. Ein Riss ging quer durch den herzoglichen Hofstaat. Der ohnehin schon misstrauische Rat der Barone hatte zum Teil heftige Kritik über die Arretierung des Seneschalls geäußert. Ohne viele Worte war Claude de Sanguine, ganze das politische Talent, zum bedauernswerten Opfer stilisiert worden. Die Folge war, dass etliche prominente Mitglieder des herzoglichen Rats sich nun der „hölzernen Hand“ angeschlossen hatten.

Marie sah dem Trupp Reiter nach, die die Burg verließen. Der Wind blähte ihre Banner, auf jedem befand sich das Zeichen de Sanguines. Das Herzogtum war geteilt und nur die Herrin wusste, ob sich die verfeindeten Parteien jemals wieder versöhnen würden. Eine dunkle Vorahnung beschlich Marie, dass in dieser Angelegenheit noch nicht das letzte Wort gesprochen war. Sie befürchtete, dass es nicht nur bei Worten bleiben würde. Schuldgefühle überkamen sie, da sie sich dafür verantwortlich fühlte. Sie verabschiedete sich höflich von dem Zauberer und ging wieder in den Wohntrakt zurück. Meister Rainheim verweilte grübelnd, als könnte er in den trüben Wolken die Zukunft lesen.

Die junge Adelige hingegen wählte ein anderes Ziel. Unterwegs begegnete sie einer Schar junger Adeliger beiderlei Geschlechts, die in der Hoffnung auf Unterhaltung dem Narren Blondel folgte und sich über seine tollpatschige Art lustig machten. Marie blieb stehen und betrachtete das Bild. Wie sehr sie sich doch in dem Narren getäuscht hatte. Doch wenn man ihn jetzt sah, mit seinen ungeschickten Bewegungen und dem infantilen Gesichtsausdruck, war ihre Fehleinschätzung verständlich. Doch dies sprach umso mehr für Blondels Geschick, seine Umgebung so nachhaltig über seine wahre Person zu täuschen. An Blondel, oder Graf Adalbert, der er in Wirklichkeit war, war wahrlich ein Schauspieler verloren gegangen. Jedermann im Schloss hätte sie auf der Stelle ausgelacht, wenn sie ihm erzählt hätte, dass Blondel kein Geringerer als der Schwertträger des Königs war. Nicht, das es dazu kommen würde. Blondel/Adalbert hatte sich sehr klar ausgedrückt. Auf der Heimreise hatte er sicher gestellt, dass weder Yves noch Marie seine wahre Identität preisgeben würden. Yves hatte sein Ehrenwort gegeben und Marie ebenfalls. Blondel/Adalbert hatte sich damit zufrieden gegeben, aber sie seinerseits über seine Pläne im Unklaren gelassen. Doch wenn ein Vertrauter des Königs und einer der größten Helden Bretonias verkleidet als Narr, und ohne das Wissen des Herzogs sich an dessen Hof aufhielt, dann mussten große Dinge im Gange sein. Vorfälle, die sogar die Aufmerksamkeit des weit entfernten Königshofs erregten und die ihn zu solch einer Aktion veranlassten. Auf gewisse Weise bedauerte Marie diesen Entschluss. Wenn sich der Graf zu erkennen gegeben hätte, dann hätte es sich der Herzog vielleicht anders überlegt, und Claude de Sanguine würde noch in seinem Quartier unter Arrest stehen.

Blondel/Adalbert jonglierte gerade mit einer Reihe bunter Bälle, sehr zum Gefallen seiner jugendlichen Schar. Mühelos wirbelte er die Bälle umher und hatte sogar noch Zeit sich umzusehen. Er erblickte Marie und für einen Moment verschwand der dümmliche Ausdruck in seinen Augen und machte Intelligenz und Entschlossenheit Platz. Dann zwinkerte er der jungen Adeligen zu. Marie lächelte dabei unwillkürlich und nickte. Was auch immer Graf Adalbert wollte, er war offensichtlich ein Freund und Verbündeter. Vielleicht, so schlussfolgerte sie, waren ihre Ziele dieselben. Immerhin hatte er sie bei ihrer Suche nach der Wahrheit unterstützt. Sie ließ die lärmende Szenerie hinter sich und ging weiter in einen ruhigen Gang, wo sie schließlich leise an eine Tür aus schwerem Eichenholz klopfte. Als niemand antwortete, ging sie hinein. Ihr Freund Yves saß neben einem Bett, auf dem Sir Berrick de Ursins in blütenweißen Laken lag. Er wollte sich bei ihrem Anblick erheben, doch sie gebot ihm mit einer Handbewegung, sitzen zu bleiben.

Immerhin war steckte sein Bein immer noch in Verbänden, eine Folge seines Kampfs mit diesem Scheusal. Gleich nach der Ankunft war Yves der Obsorge der Heilkundigen übergeben worden und langsam wurde es besser, die Quetschungen gingen durch die Kräuterverbände schon zurück. Schlimmer sah es jedoch bei dem zweiten Patienten aus. Sir Berrick zeigte immer noch eine ungesunde Blässe. Seit seiner Verwundung war er nur zweimal kurz aufgewacht. Einmal war es Fieber gewesen. Marie war die gesamte Nacht an seiner Seite geblieben, kein vorgebrachter Einwand von Freunden hatte sie davon abbringen lassen. Schließlich war sie auch Schuld daran. Ohne ihr Beharren wäre es nicht zu dieser Verletzung gekommen. Vielleicht sollte sie es wirklich ruhen lassen. Doch jedes Mal fiel ihr an diesem Punkt ihr geliebter Jerome ein und das Unrecht, das ihnen beiden durch Claude de Sanguine angetan worden war. Dennoch bedauerte sie, dass Andere dafür so schwer bezahlen mussten.

„Du siehst müde aus. Habe ich dich nicht gerade zum Schlafen geschickt?“, fragte Yves Leguerrand leise.
„Das hast du“, bestätigte Marie ebenso leise. „Allerdings war das gestern Abend. Ich habe genug geschlafen.“ Was so nicht stimmte. Zwar hatte sie die Nacht über geruht, doch dabei keinen Schlaf gefunden. Jedes Mal, wenn sie die Augen schloss, hatte sie wieder das Bild dieses menschlichen Scheusals vor Augen. Diese abstoßende Mischung aus makelloser Schönheit und ungezügelter Blutdurst, diesem Dämon in Menschengestalt.
„Wie geht es ihm?“, erkundigte sich Marie und schob das Bild aus ihren Gedanken.
„Er schläft. Die Heilerin war da und hat festgestellt, dass das Fieber zurück gegangen ist.“
Marie nahm dies mit Erleichterung zu Kenntnis.
Yves sah sie an und fragte dennoch: „Was bedrückt dich?“
Marie ging zu dem Kamin. Ein Topf hing über dem Feuer. Marie goss ich von dem Inhalt, Gewürzwein mit Kräutern, ein. „Ist es so offensichtlich?“
Yves Leguerrand legte den Kopf zur Seite und lächelte. „Wir kennen uns seit unserer Kindheit. Hast du wirklich gedacht, dass ich es nicht bemerke?“

Marie lächelte zurück. Sie war dankbar, einen so guten Freund hier zu haben. Vielleicht sollte sie ihm einfach ihr Herz ausschütten. Über die einsamen, kalten Nächten, in denen sie ihre Kissen mit hunderten Tränen benetzte. Über die Angst, eines Tages einen Boten durch das Burgtor kommen zu sehen, der ihr die unglücksselige Kunde vom Tod ihres geliebten Jerome brachte. All ihre Ängste und Sorgen, ihre Zweifel. Marie betrachtete ihren Freund Yves eingehend, das Gesicht mit den Sommersprossen und den feuerroten Haaren, genauso wie in ihrer Kindheit. Aber sie sah auch die Veränderung, den Verband an seinem Bein.
Nein, dachte sie, ich werde ihn damit nicht zusätzlich belasten.
„Es ist nichts“, antwortete sie beschwichtigend. Yves sah ihr in die Augen. Marie wusste, dass er sie durchschaute. Doch Yves Leguerrand sagte nichts und nickte nur. Unter einiger Mühe und Ächzen erhob er sich und nahm seine Krücke.
„Gut, dann werde ich schlafen gehen. So wie ich aussehe und mich fühle, habe ich das auch nötig“, sagte er mit einem Hauch Selbstironie.

Marie umarmte ihn, bevor der junge Ritter den Raum verließ und wünschte ihm einen guten Schlaf. Als die Tür leise in das Schloss fiel war Marie mit dem schlafenden Patienten allein. Sie setzte sich auf den Stuhl und blickte auf Sir Berrick. Berricks Brustkorb hob und senkte sich in regelmäßigen Atemzügen. Es war neben dem prasselnden Feuer im Kamin das einzige Geräusch. Und so war es nicht verwunderlich, dass auch Marie selbst in einen sanften Schlummer glitt.
Es war ein unruhiger Traum. In verschwommenen, grellen Farben erlebte sie noch einmal die bedrückenden Vorfälle im Axtschartenpass. Den Anblick der feindlichen Reiter, die sich zum Angriff formierten. Der einzelne, abscheuliche Krieger, welcher im Alleingang ihre Gruppe besiegte. Vor allem fühlte sie erneut ihre Hilflosigkeit, während sich ihre Freunde Berrick und Yves in den Kampf gegen den Feind warfen und unterlagen. Sie schrie auf, doch dieses Mal war kein Blondel zur Stelle um sie vor dem Scheusal zu schützen. Grelle Flammen loderten auf, während der Chaoskrieger bedrohlicher näher kam. Seine Hand verformte sich zu einer Klaue, die sich in ihre Richtung ausstreckte. Ein Lachen erschallte, hämisch und grausam.

Marie schreckte auf, als eine Hand ihren Arm berührte. Sei blinzelte und sah hinab. Zu ihrer Erleichterung war es eine menschliche Hand. Erstaunt sah Marie, dass Berrick sie ansah. Sein Gesicht war immer noch von seiner Verwundung gezeichnet, aber der Blick war klar und frei vom Fieberwahn.
„Verzeiht Milady“, sagte Berrick mit brüchiger Stimme.
„Es gibt nichts zu verzeihen“, erwiderte Marie und nahm ein nasses Tuch, um Berrick den Schweiß von der Stirn zu wischen. Sie tauchte das Tuch erneut in das Wassergefäß und wrang es aus, um es Berrick auf die Stirn zu legen.
„Ist es gut so?“, erkundigte sie sich. Berrick nickte, wobei das Tuch leicht verrutschte. Mit einem Lächeln, froh darüber, dass es ihrem Freund nun besser ging, richtete Marie platzierte Marie es wieder an der richtigen Stelle. Sie ging zu der Feuerstelle und goss einen zweiten Becher ein. Berrick erhob sich mühsam und Marie griff unterstützend ein und platzierte die Kissen so, dass der junge Ritter aufrecht sitzen konnte.
„Auf Euer Wohl, mein Freund“, sagte Marie und gab Berrick seinen Becher. Berrick prostete zurück, dann tranken sie. Maries Gewürzwein war noch warm. Berricks hingegen kochend heiß. Der Ritter nahm nur einen halben Schluck, dann schrie er auf, als er sich die Zunge verbrannte. Er hatte jedoch genug Körperbeherrschung um ein größeres Unglück zu vermeiden, indem er den Wein abstellte. Marie stellte ihren eigenen Becher schnell ab und füllte einen zweiten mit frischem, kaltem Wasser, den sie Berrick reichte. Dankbar trank der junge Ritter und leerte den Becher in einem Zug. Marie füllte nach.

„Alles in Ordnung?“, erkundigte sie sich.
Berrick nickte und trank den zweiten Becher aus. „Ja“, lallte er.
„Vielleicht sollte ich mich bei Euch entschuldigen“, meinte Marie und bot dem Ritter den Krug mit Wasser an. Sir Berrick schüttelte den Kopf.
„Es war nicht Eure Schuld Milady. Ich hätte bedenken sollen, dass der Wein noch heiß ist“, antwortete Berrick.
„Nein das habe ich nicht gemeint“, sagte Marie entschlossen. Berrick richtete sich ein wenig auf und musterte sie genauer.
„Was meint Ihr, Milady?“, fragte er.
Marie sah zur Decke hoch. Da war sie wieder, dieselbe Frage. Doch aus irgendeinem Grund, und Marie konnte nicht genau sagen warum, entschied sie sich jetzt für die Wahrheit.
„Ich meinte nicht den Wein.“ Sie bemerkte den Blick und ihr ging auf, was sie da eben gesagt hatte. „Verzeihung, ich habe das Anders gemeint. Es ist Eure Verwundung. Ich fühle mich schuldig, dass Ihr meinetwegen solche Schmerzen erlitten habt. Wenn ich nicht darauf bestanden hätte diesem Söldner zu folgen, dann wäre es nie so weit gekommen. Ich bin Schuld am Tod so vieler Unschuldiger.“
Sie hielt inne, als Berrick ihre Hand ergriff. Erstaunt sah sie zu dem Ritter.
„Nein“, erwiderte dieser entschlossen. „Milady, Ihr müsst damit aufhören, Euch diese Vorwürfe zu machen. Es ist nicht Eure Schuld.“
„Doch“, beharrte sie. „Wenn ich nicht …“
„Habt Ihr die Männer getötet?“, unterbrach Berrick sie. Es war ungewohnt, die höfischen Sitten sahen ein solches Gebaren nicht vor. Kein galanter Ritter würde einer Dame ins Wort fahren. Aber dies waren auch ungewöhnliche Zeiten und keiner der elendslangen Abhandlungen über höfische Sitten wusste von dem Fall wie dem ihren zu berichten. Als Berrick bemerkte, wozu er sich hatte hinreißen lassen, zog er seine Hand sofort zurück.

„Verzeiht. Doch ich bleibe bei meiner Frage? Habt Ihr die Männer getötet? Ihr habt es nicht getan. Es waren diese Angreifer, die Barbaren aus dem Norden.“ Bei der Erwähnung der Chaoskrieger spie Berrick die Worte förmlich aus. Er hielt inne und sah Marie eingehend an. „Belastet Euer Gemüt nicht. Ihr fühlt Euch schuldig, doch die Söldner wären ohnehin gestorben. Es ist eine harte Lektion, ich weiß. Ich wünschte, sie wäre Euch erspart geblieben, Milady, diese Bürde des Krieges. Und was meine Verwundung angeht, ich bin ein Ritter des Reiches. Es ist meine Aufgabe, Euch zu beschützen. Es war nicht Eure Schuld.“
Berrick wiederholte diesen Satz zum dritten Mal und Marie glaubte es nun. Wortlos reichte sie dem Ritter den Becher mit Wein, der nun merklich abgekühlt war. Während Berrick trank, bemerkte Marie, dass der Ritter Erfolg gehabt hatte. Ein Teil ihrer Schuld war verflogen, es war, als wäre ihre eine schwere Last von der Schulter genommen worden. Am Liebsten hätte sie Berrick auf der Stelle ihr Herz ausgeschüttet. Doch anders als bei Yves, war es nun ein anderer Grund, der sie daran hinderte.

Marie erhob sich und ging zur Tür. „Ich werde die Heilerin holen. Sie wird dafür sorgen. Mögen Shallyas Künste Euch stärken.“ Sie öffnete die Türe, doch hielt inne und drehte sich zu Berrick um. Dieser saß immer noch im Bett, den Becher Wein mit beiden Händen umfasst.
„Habt Dank für Eure tröstenden Worte“, sagte Marie.
„Es gibt nichts zu danken. Doch gestattet mir eine Frage. Wie steht es um Montfort?“
Marie atmete lange aus. Es war die Frage, die sie befürchtet hatte. „Es wird Krieg geben“, sagte sie düster und verließ Berricks Gemach.
 
4. Beständigkeit

4.1 Die Herrin vom See

Blühende Wiesen und liebliche grüne Täler. Ein Burg streckte ihre zahlreichen schlanken Türme in den azurblauen Himmel. Kleine weiße Wolken sprenkelten den sonnenbeschienen Himmel. Glitzernd spiegelte sich das Meer hinter den Klippen bis an den Horizont, am weißen Sandstrand befand sich ein Dorf. Obwohl Bertrand es noch nie gesehen hatte, wusste Bertrand, dass es sich bei der glitzernden Wassermasse um nichts anders als das Meer handelte, und er glaubte fast, den stechenden Salzgeruch in seiner Nase zu spüren.

Es war ein strahlender Tag und Bertrand fand sich im angenehmen Schatten einer Eiche, die auf einem sanften Hügel ihr Wurzeln ausgebreitet hatte. Auf der Straße zur Burg sah Bertrand Reiter, Ritter in blank polierten Rüstungen mit farbenprächtigen Überwürfen wie ihre Pferde samt ihren kostbaren Schabracken. Fähnchen flatterten auf den Lanzen im Wind und die sanft wehende Brise trug den Ton der silbernen Trompeten an Bertrands Ohr, mit dem die Neuankömmlinge begrüßt wurden. Es war ein herrliches Bild, das sich Bertrand bot, Bretonia von seiner schönsten Seite und sein Herz schlug darüber vor Stolz höher.
Mein teurer Bertrand“, sagte eine liebliche Frauenstimme. Wie aus dem Nichts war sie an seine Seite getreten. Ein einziger Blick genügt, damit Bertrand sie wieder erkannte. Sie trug zwar ein anderes Kleid, aber ihr Antlitz war so strahlend wie die Sonne. Sie war einfach wunderschön, sogar schöner als die Feenzauberin Lady Morgiana le Fay. Um es genau zu sagen, sie war zum Niederknien schön, und genau das tat Bertrand, als er erkannte, wer an seiner Seite stand.

„Herrin“, hauchte er voller Ehrfurcht.
War dies ein Trugbild? Bertrand kam zu dem Schluss, dass es so war. Seine Mutter hatte ihm unzählige Geschichten über die Herrin vom See erzählt, aber er hatte sie immer abgetan. Die Vorstellung, dass eine Gottheit einem Menschen persönlich begegnete war für ihn immer ein Wunschdenken derjenigen Personen gewesen, die damit ihrem tristen Dasein in der Realität zu entkommen suchten. Die Frau in ihrem golden schimmernden Kleid berührte Bertrand an der Schulter. Die Berührung fühlte sich echt an, sie erfüllte seinen Körper mit prickelnder Energie. Sie durchströmte Bertrand vollständig und sein Herz schlug vor Begeisterung schneller. Es war, als würden sämtliche düstere Erlebnisse seiner Kindheit mit einem Schlag von ihm genommen. All der Schmerz, Leid und Sorge verblassten vor dem Licht, das nun in seinem Inneren erstrahlte. Tränen der Erleichterung rannten über seine Wangen. Es war so wunderbar und befreiend, obwohl die Erinnerungen blieben, war er doch gleichzeitig befreit und fand sich mit seinem Schicksal versöhnt.

Erhebe dich“, sagte die Frau mit beruhigender Stimme, in der zugleich so viel Kraft und Autorität mitschwang. Sie nahm den Saum ihres weiten Umhangs und trocknete damit seine Tränen. Obwohl es Bertrand beschämte, dass ein Wesen, welches so ungleich höher als er selbst war, sich zu dieser Tat herabließ, gestattete er es dennoch. Es erinnerte ihn an seine Mutter, die ihm während seiner schweren, vaterlosen Kindheit oft auf die gleiche Weise hatte trösten müssen. Wie schwer musste es für sie gewesen sein, ohne Mann als Leibeigene für einen Hungerlohn zu schuften während sich das gesamte Dorf hinter dem Rücken das Maul zerriss?
„Wo bin ich?“, fragte Bertrand verwundert und neugierig zugleich.
Die Frau lächelte ihn an, eine Geste, gegen die ein Sonnenaufgang wie die finsterste Nacht wirkte.
In meinem Landen in L‘Anguille“, entgegnete sie und breitete ihre Arme aus. „Dies ist mein Königreich, in dem mein Wille geschieht.“
Die Worte schienen überheblich, doch so wie die Frau es sagte, glaubte es ihr Bertrand ohne den geringsten Zweifel. Dennoch war sein Wissensdurst nicht vollständig gestillt.
„Aber wieso bin ich hier? Ist dies ein Traum?“
Die Frau legte ihm einen Finger auf die Lippen und Bertrand verstummte augenblicklich. „Sieh zu und erfahre die Wahrheit.“

Bertrand sah auf das Meer und erblickte zahlreiche Schiffe. Es war kein bretonischer Schiffstyp. Der Rumpf war länglicher und schlanker, das Heck besaß keine Aufbauten wie bei bretonischen Galeonen und auch nur einen Mast mit rot-weiß gestreiften Rahsegeln. Am Bug prangte eine geschnitzte Figur, ein weit geöffnetes Drachenmaul. Bertrand hatte diese Schiffe nie zuvor gesehen, aber dieser Anblick rief in ihm die Erinnerung an eine Illustration in einem von Meister Rainheims Büchern wach. Ohne jeden Zweifel hatte er hier Langschiffe der Nordmänner vor sich. Die Norse oder Nordmänner bewohnten einen Landstrich namens Norsca, dessen Landmasse sich in die nördliche Krallensee gen Westen schob. Es war ein wildes Land von Gebirgen und Fjorden gleichermaßen durchzogen. Im Süden und Osten grenzte es an Kislev und das berüchtigte Land der Trolle. Wenngleich sie nicht zu den gefürchteten Hung oder Kurgan zählten, misstraute die Bevölkerung der Alten Welt den Norse. Denn auch die Norse verehrten die dunklen Götter und was weitaus wichtiger war, die Langschiffe der Norse waren eine beständige Geißel für alle Küstenbewohner der Alten Welt. So wie die Norse kühne Seefahrer und Entdecker waren, so waren sie auch gleichermaßen brutale Eroberer und Plünderer.

Bertrand erkannte nun, warum dies so war. Das gesamte Meer war bedeckt von einer Flotte von Langschiffen. Die ersten Schiffe legten bereits am Strand an. Nur wenige Augenblicke später stieg Rauch aus dem Dorf auf. Schreie des Entsetzens erklangen, an Bertrands Ohr, sie kamen von weither und waren gedämpft, doch sie verloren dadurch nichts von ihrem Schrecken. Hilflos sah Bertrand zu, wie das Dorf in Schutt und Asche verwandelt wurde. Nur einige wenige Punkte, rennende Menschen, entkamen dem Inferno. Sie suchten ihr Heil in der Flucht. Eine große Truppe der Plünderer marschierte geordnet aus dem Dorf, aus dem hohe Flammen loderten. Weiterer Schiffe legten an, sie bedeckten inzwischen den gesamten Strand. Neue Einheiten der Norse marschierten auf die letzte Bastion der Bretonen zu, auf die Burg.
Die Nordmänner erhoben ihre Stimme, als sie den ersten Sturmangriff unternahmen. Die Frauengestalt stand ungerührt neben Bertrand, der von diesem Anblick hin- und hergerissen war. Laut stemmten sich die Trompeten der Verteidiger gegen den kehligen Schlachtruf der Norse. Der Angriff begann. Ein Hagel von Pfeilen bedeckte den Himmel, der noch vor kurzen so strahlend und friedlich gewesen war und nun Zeuge einer blutigen Auseinandersetzung wurde. Dutzende der Norse fielen den bretonischen Angreifern zum Opfer. Wütendes Gebrüll erhob sich, da der erste Angriff abgeschlagen wurde.

Von neuem sammelten sich die Nordmänner und dieses Mal hatten sich ihre Scharen erheblich vergrößert, wie Bertrand mit Besorgnis zu Kenntnis nahm. Er schätzte die Zahl der Angreifer auf zwei- bis dreitausend Mann. Bertrand konnte sogar Sturmleitern erblicken. Ein mächtiger Krieger, selbst auf diese Entfernung war seine Gestalt imposant, warf seine muskulösen Arme in die Luft. Er schrie etwas in seiner harten, barbarischen Sprache und die Nordmänner antworteten mit feurigem Gebrüll. Die Angreifer setzten sich erneut in Bewegung. Wieder antworteten die Bretonen mit einem Pfeilhagel. Erneut fielen dutzende feindliche Krieger, doch jeder Platz wurde von zwei neuen Angreifern eingenommen. Wie das Meer brandete die Welle der Attacke an die Mauern der Burg. Eine Trebuchet feuerte einen gewaltigen Steinbrocken auf die wogenden feindlichen Scharen und begrub ein Dutzend Männer unter sich. Es war wie ein Tropfen auf dem heißen Stein. Sturmleitern wurden angelegt und die Norse erklommen sie. Ein oder zwei der Leitern wurden umgeworfen, aber auf den Wehrgängen entbrannten heftige Kämpfe, als die Norse langsam die Oberhand gewannen. Wie Ameisen auf einen Kuchen, so strömten die Nordmänner von allen Seiten auf die Burg zu und überwanden die Mauern.

Das Tor der Burg öffnete sich. Eine Schar Reiter erschien, alle mit den typischen bunten Überwürfen schimmernder Wehr. Die bretonischen Ritter formierten sich zu einem Keil und ritten zur Attacke. Bertrands Herz schlug schneller als er sie sah, er hoffte, dass ihnen ihr kühnes Unternehmen gelingen würde. Die Ritter legten ihre Lanzen an strebten dem Feind entgegen. Sie fegten wie ein Wirbelsturm durch die erste Reihe, dutzende Nordmänner schrien vor Entsetzten und Schmerzen, als sie die gerechte Strafe für ihre Taten durch die Verteidiger der Burg empfingen. Lanzen splitterten, Pferde wieherten, Verletzte schrien, begraben unter unzähligen Hufen. Weiter und weiter drang die Attacke vor, eine unbändige Kraft, wie das Echo des Meeres, durch das die Nordmänner an diese Küste gelangt waren. Nichts vermochte die Ritter aufzuhalten, die für ihre Heimat fochten. Mancher Ritter wurde zwar von zahlreichen Armen aus dem Sattel gezerrt, aber die Formation blieb intakt und noch war der Schwung des Angriffs verloren gegangen. Für einen Moment sah es aus, als würden die Ritter den feindlichen Anführer erreichen.

Doch so sehr sich die Ritter auch bemühten, es waren einfach zu viele Gegner. Jeder weitere Schritt vorwärts wurde mit dem Leben eines Ritters bezahlt. Nur vier Pferdelängen von dem Anführer der Norse entfernt fiel der Bannerträger der Bretonen. Drei Ritter standen einer Reihe entschlossener Norse gegenüber. Nichtsdestoweniger spornten sie ihre Streitrösser an. Es war ein heldenhafter Kampf, wie er in zahlreichen Balladen besungen wurde. Aus zahlreichen Wunden blutend schlugen sich die drei Verbliebenen eine blutige Schneise durch die feindliche Horde. Der erste Ritter fiel nach zwei Pferdelängen, zahlreiche Hände streckten sich ihm entgegen und zerrten ihn aus dem Sattel seines bockenden Streitrosses. Der zweite Ritter starb, aufgespießt von zahlreichen Speeren, die sich ihm wie ein Pallisade entgegen streckten. Der letzte Ritter, ein Mann in einer kostbar verzierten Rüstung bäumte sich auf, wie das Seeungeheuer auf seinem Schild. Er durchbrach den Speerwall und galoppierte auf den Anführer zu, der Weg war frei. Ein riesiger Nord warf sich ihm entgegen, entschlossen den Ritter aufzuhalten. Der Krieger wurde unter den Hufen des heranstürmenden Reiters begraben. Nichts schien den Ritter noch aufhalten zu können und gab seinem Tier die Sporen, direkt auf den feindlichen Häuptling. Der Anführer der Nordmänner schrie dem Ritter seine Herausforderung entgegen. Er streckte die muskulösen Hände gen Himmel, als würde er um den Segen seiner dunklen Götter bitten. Dann nahm er seinen mächtigen Speer und schleuderte ihn auf den heran reitenden Ritter. Der Speer flog so schnell, dass er kaum mit dem Auge zu verfolgen war. Mit voller Wucht traf er den letzten Ritter und traf ihn am Helm. Die eiserne Spitze drang durch das Visier. Tödlich getroffen fiel der Ritter mit einem lauten Scheppern zu Boden. Angestachelt von diesem offensichtlichen Omen brüllten die Nordmänner ihren Schlachtruf.

Mit Tränen in den Augen sank Bertrand zu Boden, während die Norse vorwärts stürmten. Flammenzungen leckten bereits aus einigen Türmen der Burg und die feindliche Horde strömte weiterhin in die Burg. Die letzten Verteidiger fochten einen vergeblichen, erbitterten Kampf, während hunderte andere Nordmänner bereits mit der Plünderung der Burg begannen. Oder Schlimmeren, wie die Schreie aus der Burg bezeugten. Voller Trauer sackte Bertrand zu Boden, während vor ihm die Burg bereits an mehreren Stellen brannte. Unter Tränen richtete er sich auf und zog sein Schwert.
Was habt ihr vor, Bertrand?“, fragte die Lady.
„Ich muss ihnen helfen!“, rief Bertrand.
Wartet!“ Der Befehl der Lady war so voller Autorität gesprochen, dass Bertrand widerwillig innehielt.
„Aber die Burg, wir müssen ihnen zu Hilfe eilen“, entgegnete er.
Was du gesehen hast hat sich lange vor deiner Geburt ereignet.
„Lange vor … Aber wo bin ich, was ist das für eine Burg?“, stammelte Bertrand überrascht.
Dies ist Burg Grànet“, erwiderte die Lady voller Schmerz in der Stimme die deutlich machte, dass auch an ihr das Gezeigte nicht spurlos vorüber ging.

Grànet. Dieses Wort kam Bertrand bekannt vor. Er strengte sein Gedächtnis an, und die Erinnerung kam zurück. Ein Name tauchte auf, Lady Berenice. Jerome de Montforts Mutter stammte aus L’Anguille und Grànet war der Stammsitz ihrer Familie. Konnte der dunkle Verdacht, der ihn nun beschlich, möglich sein? Bertrand sträubte sich gegen die Vorahnung, doch sein Herz sagte ihm ohne jeden Zweifel, dass seine furchtbare Befürchtung zutraf.

Die Lady drehte sich zu ihm um, ihre Haut war weiß wie Alabaster, doch der Schmerz in ihrem Gesicht war für Bertrand kaum zu ertragen. Es war, als würde sie die Eroberung der Burg im Hintergrund selbst körperlich fühlen. Um alles auf der Welt wollte Bertrand ihre diese Bürde abnehmen, aber er wusste nicht wie. Die Lady breitete ihre Arme aus, und das grauenvolle Szenario der Eroberung verschwand, wie einen Wolkenband der Sonne weicht. Ihre Umgebung war mit einem Mal so ruhig und still, als hätte das Geschehene nie stattgefunden.

Du musstest dies sehen, mein teurer Bertrand. Nun kennst du das Geheimnis um Jerome de Montforts Herkunft. Den dunklen Fleck in seinem Herzen, die Schande seiner Geburt“, sagte die Lady, eine einzelne Träne rann über ihre wohlgeformte Wange, wie glitzerndes Quellwasser fiel der Tropfen zu Boden, strahlend wie reinster Kristall. „Die Herrin sieht das Leid Bretonias. Die Herrin sieht Alles.
Die Lady trat zu dem knienden Bertrand und legte ihre Hand auf seine Brust. „Kein Leid bleibt verborgen, jede Sorge wird offen gelegt. Die Trauer wird vergehen und der Schmerz weichen. Dein Gram über deine Vergangenheit, das Hadern mit deinem Schicksal sind gesehen worden. Du magst gedacht haben, dass du verflucht bist, doch das Gegenteil ist der Fall. Die Herrin vom See vermag in ihren Landen jedweden Fluch in Segen zu ändern.

Während die Lady sprach, durchströmte Frieden Bertrand, ausgehend von der zarten Hand, die auf seiner Brust ruhte. Vor seinem geistigen Auge erhaschte er einen Hauch von einer gewaltigen, segensreichen Kraft, und sein Geist stieg auf. Er sah die Wiesen und Wälder, die Burgen und Dörfer, er sah die bretonischen Herzogtümer. Von dem seegepeitschten Couronne bis zu Carcassonne im Süden, vmo Wald von Loren bis Bordelauex im Westen. Er sah die Ritter und Damen, Bauern und Händler, jedes einzelne atmende Lebewesen das innerhalb von Bretonia in diesem Moment existierte. Die Lady sprach weiter zu ihm, obwohl sie ihren Mund dabei nicht bewegte, und dennoch kamen ihre Worte klar und kraftvoll an sein Ohr.

Ihr seid verbunden, ihr alle. Dein eigenes Leben, Bertrand, ist seit Anbeginn der Zeit mit deinem Herrn, Jerome de Montfort verwoben. So war es vorherbestimmt, so soll es geschehen. Ein außergewöhnliches Schicksal verbindet euch. Beide teilt ihr die Bürde eurer Vergangenheit. Beide hadert ihr mit dem Makel eurer Herkunft. Dennoch hat die Herrin euch erwählt. Bist du bereit deinem Herrn als Knappe an der Seite zu stehen, sodass er seine Queste erfüllen kann?
Wäre er nicht schon gekniet, in diesem Moment hätte Bertrand es getan. Er zog sein Schwert und drehte es in seiner Hand, das Heft voran.
„Ich gehorche“, sagte er mit vor Inbrunst ergriffener Stimme.
Die Lady lächelte, strahlender als jeder Sonnenaufgang nach einer langen Gewitternacht. „Die Herrin ist mit dir, du treuer Diener. Stehe deinem Herrn zur Seite und ihr werdet die auferlegte Queste erfüllen. Großes liegt vor euch“, versprach sie.
Sie schwebte förmlich, als sie sich umdrehte und in Richtung des Sonnenuntergangs glitt.
Bertrand blinzelte gegen das Licht. „Herrin?“, hauchte er.
Lächelnd drehte sie sich um. „Sprich Bertrand“, forderte sie ihn auf.
„Diese Norse, diese Plünderer, was geschah mit ihnen?“, fragte Bertrand.

Das Gesicht der Lady verhärtete sich, als Bertrand diesen Punkt ansprach. Mit einem Mal war ihr Blick so kalt wie Stahl und ihr Gesicht voll martialischer Entschlossenheit. „Ihnen wurde die gerechte Strafe für ihren Frevel erteilt. Der Herzog von L’Anguille brachte an der Spitze seiner Ritter die Vergeltung unter sie. Einen Tag nach der Eroberung von Grànet schenkte ihm die Herrin einen vollständigen Sieg, kein Nordmann kehrte je wieder in seine Heimat zurück. Sie fanden alle ihren gerechten Tod.
Das Rumpeln des Karrens weckte Bertrand aus seinem Traum auf. Benommen und schläfrig rieb sich Bertrand die Augen und versuchte sich zu orientieren. Der Geruch von Heu stieg in seine Nase.

„Guten Morgen, Junge. Gut geschlafen?“, sagte eine kräftige Stimme. Sie gehörte zu Gurni Haarikson. Zumindest war das der Name, den der Zwerg ihnen genannt hatte. Obwohl Gurni Haarikson einen ganzen Kopf kleiner als Bertrand war, brachte Ersterer jedoch mehr Körpergewicht auf die Waage. Der Zwerg war stämmiger, untersetzt gebaut. Doch ein Blick auf die muskulösen Oberarme, die jeden Oberschenkel in den Schatten stellten, ließ die ungeheure Kraft des Zwerges erahnen. Ja, Gurni Haarikson war ein Zwerg wie aus dem Buche, mit der gleichen Entschlossenheit und Zähigkeit, die seine Rasse so auszeichnete.
Genauso wie sein Humor, dachte Bertrand. Er konnte damit leben, dass ihn der Zwerg „Junge“ nannte. Verglichen mit Gurni Haarikson war er sicherlich jung. Bertrand hatte zahlreiche Geschichten von der Langlebigkeit der Zwerge gehört, die sogar weit über Hundert werden konnten. Und beim Anblick von Gurnis grauem Bart sah, dann glaubte Bertrand dies auf jeden Fall. Der Zwerg besaß kräftige Wagenknochen, die eine gewisse Herzlichkeit ausstrahlen konnten, doch die stahlgrauen Augen und die Tätowierungen aus seinen entblößten, starken Armen verrieten, dass der Zwerg auch eine harte Seite besaß.
„Hey, bist du schwerhörig Junge?“, fragte Gurni und Bertrand beeilte sich, pflichtschuldigst zu nicken.
„Aye“, erwiderte der Zwerg, offensichtlich zufrieden mit der Antwort und widmete sich wieder dem Maultiergespann, welches geruhsam den Karren über die schlammige Straße zog. Bertrand streckte sich und gähnte, dann sprang er von dem Karren. Aus irgendeinem Grund hatte Gurni Haarikson ihn in sein verschlossenes Herz geschlossen. Auf seine mürrische, grüblerische Art. Dass Bertrand auf seinem Karren sitzen durfte, war ein Beweis dafür. Bei diesen Gedanken erinnerte sich Bertrand wieder an seinen Traum. Er war hatte sich so seltsam real angefühlt. Doch jetzt war nicht der Zeitpunkt dafür, erkannte Bertrand. Umso mehr, als die Mauern der Stadt in Sicht kamen.

„Wir sind da“, sagte Reynald, der seinen Hengst Bèlemnite am Zügel führte. „Montlac.“
Die Stadt war gut befestigt, erkannte Bertrand auf den ersten Blick. Hohe Mauern umgaben die Ansiedlung. Dünne, aufsteigende Rauchsäule waren der einzige Hinweise auf die Anwesenheit von Häusern, da die Mauer so hoch war, dass sie dadurch verborgen blieben. Alle fünfzig Schritte stand ein Turm, drei Stockwerke hoch und massive gebaut, mit Schießscharten, die ein freies, weites Schussfeld vor sich hatten. Sogar zwei Trebuchets standen auf der Mauer. Ein tiefer Graben bot das erste Hindernis, eine Reihe von zugespitzten Pfählen war davor schräg in die Erde gerammt worden. Mehrere Bogenschusslängen vor der Mauer war jedes Hindernis entfernt worden, kein Baum, Strauch oder Gebäude, das potentiellen Angreifern Deckung bieten konnte.

Die Mittagszeit war nur noch eine Stunde entfernt, und dennoch waren sie die Einzigen, die auf der Straße unterwegs waren. Obwohl, ein einziger Blick auf das mächtige Torhaus zeigte, dass es selbst mit einer Handvoll Wachen behalten werden konnte, lungerte nun ein ganzes Dutzend Soldaten herum. Mit einem flauen Gefühl im Magen folgte Bertrand seiner kleinen Gruppe auf dem Weg über die Balken der Zugbrücke, die über den weiten, tiefen Wassergraben führte. Die Mienen der Wachen waren mürrisch, sie sahen eher wie eine Bande ungepflegter und unrasierter Wegelagerer aus, denn wie die Hüter von Recht und Ordnung. Aber in Montlac waren Recht und Ordnung seit geraumer Zeit nicht mehr gesehen worden. Der Anführer der Wachen hielt den Wagen gebieterisch an, seine Uniform war genauso verdreckt und verschlissen wie die seine Untergebenen. Aber das Schwert an seinem Gürtel war gut gepflegt, genauso wie die Hellebarden und Speere der restlichen Wachen, registrierte Bertrand.

„Halt, wer da?“, fragte der Anführer mit rauer Stimme.
„Ein Händler. Das ist doch offensichtlich, Mensch“, konterte Gurni Haarikson mit gleicher Münze. Bertrand zuckte bei dem Tonfall innerlich zusammen. Der Zwerg schien völlig unbeeindruckt von der Anzahl der sie umgebenden Wachen. Offenbar hatte er auch vergessen, warum sie eigentlich hier waren. Einige der Wachen lachten, doch das Gesicht ihres Anführers rötete sich im Zorn. Seine Hand fuhr zu seinem Schwertgriff.
„Und welche Waren führst du mit, Zwerg? Sprich schnell, oder soll mein Schwert deine Zunge lockern?“
„Jetzt nimm es nicht so ernst, Gaston. Das ist doch nur ein Gnom“, scherzte einer der Wachen. Der Anführer sah die Sache offenbar nicht so leicht, denn er lockerte bereits sein Schwert in der Scheide und tat drohend einen Schritt nach vorne.
„Vergebt uns Herr“, mischte sich Bertrand ein, bevor die Lage eskalierte. „Wir sind nur einfache Pferdehändler.“

Gaston musterte ihn verächtlich von Kopf bis Fuß. „Für zwei Pferde benötigt ihr drei Männer und einen Zwerg?“, fragte er misstrauisch.
„Herr, dies sind gefährliche Zeiten und wir führen eine kostbare Fracht mit uns, die besonderer Pflege bedarf“, warf Bertrand unterwürfig ein. Dabei deutete er auf die beiden Streitrösser, Bèlemnite und Tourbillon. Gaston trat näher an die Pferde heran, in seinem Blick lag deutliche Bewunderung. Ebenso bei der restlichen Wache, deren Ehrfurcht angesichts solch prächtiger Tiere nur verständlich war. Tourbillon und sein Gefährte standen so stolz wie eine Erzstatue, als wüssten die klugen Tiere, dass ihr Unterfangen von ihnen abhängig war.

Bertrand kam an Gastons Seite und flüsterte, als würde er mit lauterer Stimme, den Zauber des Moments zerstören. Der Atem des Sergeanten roch nach billigem Fusel, doch Bertrand musste seine Rolle spielen und durfte deshalb nicht angewidert die Nase verziehen.
„Seht doch, Herr, was für herrliche Exemplare dies sind. Wir hoffen, dass sie auch dem Herzog gefallen und er seine bescheidenen Diener dafür mit ihrem gerechten Lohn vergilt.“

Bei diesen Worten huschte ein hämisches Lächeln über Gastons Lippen. Doch der Sergeant der Wache fand schnell wieder seine Fassung. Aber Bertrand wusste ohnehin, woran er mit dem Herrscher dieser Stadt war. Um es genau zu sagen, dies war sogar der Grund, warum sie alle hier waren.
„Ihr könnt passieren“, verlautete Gaston schließlich gebieterisch. Er zeigte drohend auf Gurni Haarikson, der immer noch auf dem Kutschenbock saß. „Solange sich der Zwerg an die Regeln hält. Andernfalls werden eure Köpfe schneller auf dem scharfen Ende eines Speeres stecken, als euch lieb sein kann.“
Der Zwerg wollte bereits zur Antwort ansetzen, doch Bertrand unterbrach ihn, bevor Schlimmeres passierte. Er verbeugte sich unterwürfig vor Gaston. „Habt Dank Herr. Tausend Mal Dank.“
Rumpelnd setzte sich der Karren in Bewegung. Er war bereits im Tor, als einer der Soldaten Jerome anhielt, indem er sich mit seiner Hellebarde in den Weg stellte.
„Sieh dir doch diesen langen Kerl an, Gaston. Der könnte sich gut als Waffenknecht verdingen. Was denkst du, langer Kerl? Lust, die Seiten zu wechseln?“

Jerome antwortete nicht und sah dem Fragsteller lediglich mit ausdrucklosem Gesicht an.
„Vergebt Herren“, sagte Bertrand eilig. „Aber mein Bruder ist stumm von Geburt und nicht mit Verstand gesegnet. Er ist ein einfältiger Narr, wie unser Vater zu sagen pflegt.“
Gaston sah Jerome an, der darauf jedoch in keiner Weise reagierte. Mit einer einfachen Handbewegung befahl er dem Soldaten, zurückzuweichen. Die kleine Gruppe setzte sich wieder in Bewegung, für einen Moment umfing die Dunkelheit sie, als sie durch das mächtige Torhaus gingen. Hinter ihnen erklang das raue Gelächter der Torwachen, die sich offenbar über ihre Unterwürfigkeit lustig machten.

Montlac selbst bot ein nahezu trostloses Bild. Zwei Zeilen von Fachwerkhäusern umschlossen das ungepflasterte Netzwerk von Straßen, die vor Unrat und Schlamm nur so strotzten. Doch wie auf der Straße zur Stadt selbst, war auch ihr Inneres nahezu ausgestorben. Die einzigen Menschen, auf die sie trafen, waren Patrouillen. Mehr als drei Mal begegneten ihnen vor Waffen strotzende Wachmannschaften. Auch sie glichen eher einer raubenden Soldateska, denn den Hütern von Recht und Ordnung. Gurni Haarikson schnaubte verächtlich, Reynald rümpfte ob des Zustands der Straße die Nase. Bertrand seufzte.
„Wenigstens sind wir drinnen“, murmelte er verdrossen. Ob sie Erfolg haben würden, das müsste dieser Tag beweisen.
 
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4.2 Der Tyrann von Montlac

Zwei Tage vorher

Die Wache blieb misstrauisch. Argwöhnisch blickte der Soldat zu Bertrand, der auf seinem Pferd saß.
„Ohne Erlaubnis darf keiner darf passieren“, verkündete er.
„Wessen Erlaubnis?“, fragte Bertrand.
„Die des Befehlshabers“, antwortete die Wache ungerührt.
„Und dies ist das Zelt des Befehlshabers, der sich dort gerade mit seinen Offizieren berät. Aber wie sollen wir seine Erlaubnis bekommen, wenn wir uns ihm nicht vorstellen können?“, fragte Bertrand.

Die Wache lächelte verlegen, dabei entblößte er zwei Reihen ungesunder Zähne, sogar einige Lücken. Die Zeltwand öffnete sich und ein Knappe erschien. Er trug einen Wappenrock mit dem Zeichen von Quenelles, dem silbernen Einhorn auf blauen Hintergrund.
„Was soll dieser Lärm, die hohen Lords beschweren sich schon.“ Sein Blick fiel auf Bertrand und seine Gefährten. „Und wer seid ihr?“
„Mein Name ist Bertrand, ich bin der Knappe des edlen Jerome de Montfort. Und dies ist der Ritter Reynald le Durie. Mein Herr ist auf der Queste und der Tag neigt sich bereits dem Ende zu. Wir wollen für diese Nacht um Unterkunft bitten, so Euer Herr sie uns gewährt.“
Bei Jeromes Namen weiteten sich die Augen des Knappen, da er die vornehme Abstammung erkannte. Er verbeugte sich, eine Hand auf der Brust. „Milords. Wenn ihr die Güte hättet, noch einen Moment zu warten. Ich werde meinem Herrn mitteilen, welch erlauchte Gäste eingetroffen sind. In der Zwischenzeit…“ Er schnippte mit den Händen und Diener erschienen. Sie nahmen die Zügel der Pferde und reichten ein Tablett mit Erfrischungen.

Nur wenige Augenblicke später befand sich Bertrand mit den beiden Rittern im Inneren des Zeltes. Zwei Kohlebecken spendeten wohlige Wärme, über einen Tisch mit Karten gebeugt stand im Halbkreis eine Reihe von Adeligen. Sie alle trugen kostbar verzierte Rüstungen, und fein gearbeitete Umhänge, die mehr Wert waren, als das Jahreseinkommen eines Bauern. Verschiedene Knappen eilten herum, wie diensteifrige Drohnen, wobei sie Getränke servierten und Tellern voll köstlichem Braten aufwarteten.
Bertrand stand nahe beim Eingang, nur versucht, niemanden im Weg zu sein. Reynald war an seiner Seite, einen Pokal gefüllt mit bestem Wein in der Hand. Jerome hingegen war von dem Anführer der Ritter, Sir Aloys de Montjoie, herzlich begrüßt und gleich in ihrer Mitte willkommen geheißen worden.

„Wir haben mehr als dreihundert Bogenschützen und zwei Kompanien Landsknechte. Dazu mehr als achtzig Ritter. Damit sollten die Tage des selbsternannten Herzog von Montlac gezählt sein“, berichtete Sir Arnaud de Borron. Wie Aloys de Montjoie war auch Arnaud de Borron ein enger Gefolgsmann des Herzogs von Quenelles. Herzog Tancred II. hatte eine kleine Armee aufgeboten, um den unrechtmäßigen Herrscher von Montlac, einer Stadt im Norden des Herzogtums, zu entmachten. Obwohl sie erst seit einigen Tagen in der Gegend waren, hatte auch Bertrand schon einige Schauergeschichten über diesen „Herzog“ von Montlac gehört. Ein Mann namens Theofric, manche sagten er sei ein Ritter, andere wiederum nannten ihn einen einfachen Landsknecht in den Diensten der lokalen Adelsfamilie, hatte die Herrschaft über die Stadt an sich gerissen. Nachdem er sich selbst zum Herzog ernannt hatte, war Montlac zu einer Brutstätte des Verbrechens geworden. Sämtliche Herrschaftsgebiete der Umgebung waren schon durch Leofrics plündernde Soldateska in Mitleidenschaft gezogen worden. Dazu kam, dass der Adel von Quenelles eine solche Erhebung nicht dulden konnte. Ein Emporkömmling, der die herrschende Familie in den Kerker warf, war eine Gefahr für den Herrschaftsanspruch eines jeden Adeligen im Herzogtum, indem er als Vorbild für ähnliche Erhebungen dienen konnte. Wie lange noch und der Bauernstand würde sich von solch verführerischen Ideen anstecken lassen? Ein Gedanke, der zu einem raschen, entschlossenen Handeln führte, wie diese lagernde Streitmacht bewies.

„Ja, wir haben achtzig Ritter, aber der Großteil besteht aus fahrenden Rittern. Junge, unerfahrene Burschen, die zum ersten Mal eine Lanze führen“, warf Sir Gaufrey de Quercy ein. Reynald schnaubte leise bei diesen Worten, was Bertrand unwillkürlich ein Lächeln entlockte.
„Vierzig weitere Ritter kommen binnen zweier Tage als Verstärkung aus Perrache“, entgegnete Arnaud de Borron.
„Noch mehr Münder, die wir verköstigen müssen. Und was nützen uns Ritter mit Lanzen gegen die hohen Mauern von Montlac?“, erwiderte Gaufrey.
Mehrere andere Barone murmelten unbehaglich ob der Vorstellung.
„Habt Ihr Angst vor dem Kampf, mein Freund?“, konterte Arnaud. Ein kurzes Gelächter brach aus, andere hingegen erhoben erbost ihre Stimmen. Eine Konfrontation schien unvermeidlich.
„Ihr kennt mich selbst und meine Tapferkeit gut genug, Sir Arnaud. Vor allem sollte es als Beweis gelten, dass ich Euch im letzten Turnier geschlagen haben.“ Dieses Mal lachte die andere Seite, während nun Arnaud de Borrons Befürworter heftigen Protest erhoben.
„Genug!“, donnerte Aloys de Montjoie und alle verstummten. „Haben wir nicht einen gemeinsamen Feind?“ Seine Worte bewirkten, dass sich Arnaud und Gaufrey entschuldigten.
„Geht zu euren Männern, sie sollen sich für die Belagerung bereit machen.“ Die Mehrheit der Offiziere verließ das Zelt. Nur Aloys, Arnaud und Gaufrey blieben mit Bertrand, Reynald und Jerome zurück. Aloys de Montjoie ging zu einem kleinen Tisch und goss einen Pokal voll Wein ein. Er überreichte ihn Jerome de Montfort.

„Und nun zu Euch“, sagte er. „Im Namen des Herzogs von Quenelles, seid herzlich willkommen. Ich fürchte, wir können allerdings nur ein Zelt für Euch und eure Begleiter erübrigen.“
„Habt Dank, es wird genügen. Ein Zelt ist mehr, als wir in den letzten Tagen als Unterkunft hatten.“
Aloys lächelte nachsichtig. „Gewiss. Und verzeiht, dass Ihr diese Szene miterleben musstet. Die Gemüter erhitzen sich leicht vor der Schlacht.“ Er warf seinen beiden Rittern einen gestrengen Blick zu.
„Ich kann mich Sir Aloys nur anschließen“, sagte Gaufrey. Arnaud de Borron nickte und klopfte Gaufrey ob dieser Worte anerkennend auf die Schulter.

„Erlaubt mir eine Frage“, sagte Jerome, nachdem er einen kräftigen Schluck aus seinem Pokal genommen hatte. „Wer ist dieser Herzog von Montlac? Ich habe einige Gerüchte gehört, doch erscheinen mir diese vage und widersprüchlich.“
„Er ist ein Verräter, ein Tyrann“, zischte Arnaud de Borron. Aloys de Montjoie hob beruhigend seine gepanzerte Hand und Arnaud verstummte.
„Er war ein einfacher Soldat, doch Leofric, der selbsternannte Herzog, kam durch eine unglückselige Wendung an die Macht. Er ist ein Verführer, jemand der Andere mühelos manipulieren kann.“
„Ein Emporkömmling, der mit seinem Abschaum zum Unruheherd der ganzen Region geworden ist. Er ist nicht mehr als ein Räuberhauptmann, ein Strauchdieb“, spie Arnaud verächtlich aus.
„Ein Strauchdieb, der über eine starke Festung verfügt. Und vergesst nicht das heilige Artefakt. Leofric sitzt in einer sicheren Position und braucht nur abzuwarten, während wir vergeblich gegen seine Mauern anrennen. Sir Aloys, ich flehe Euch an, bedenkt erneut Euren Befehl.“
„Von welchem Artefakt sprecht Ihr?“, fragte Jerome. Gaufrey wandte sich ihm zu.
„Die Ikone von Quenelles befand sich zu dem Zeitpunkt der Machtergreifung Leofrics in Montlac. Ihr Verbleib ist ungewiss, aber wir müssen davon ausgehen, dass sie sich in seinen Händen befindet.“
„Blasphemie“, warf Arnaud ein.
„Ja“, konterte Gaufrey. „Aber dennoch bleibt es ein mächtiges Artefakt. Und in den Händen unseres Feindes.“
Aloys de Montjoie runzelte die Stirn. Bertrand sah, dass die Worte Gaufreys ihre Wirkung nicht verfehlt hatten.
„Vielleicht sollten wir unsere Taktik bedenken“, räumte er ein.
„Milord“, sagte Arnaud überrascht, aber mit einer Geste befahl Aloys ihn zu schweigen.
„Wenn es uns möglich wäre, unerkannt in die Stadt zu gelangen“, überlegte Aloys.
„Aber wer von uns sollte dies machen? Leofrics Männer kennen jeden Ritter aus Quenelles“, ergänzte Gaufrey.

„Ich werde es tun“, sagte Jerome und jedermann im Zelt sah ihn an.
Reynald vergaß seine Beherrschung. „Milord Jerome. Zu spionieren, wie ein gemeiner Dieb, dies ist unter der Ehre eines Ritters.“
„Und dennoch, ich werde nach Montlac gehen.“
„Aber nicht alleine“, sagte Bertrand, der allen Mut zusammen nahm und nach vorne trat. Sichtlich widerwillig schloss sich Reynald an.
„Gut“, sagte Aloys de Montjoie. „Geht als einfache Händler nach Montlac. Ihr habt einen Tag um die Reliqiue zu finden und uns Einlass durch ein Tor zu gewähren. Geht in das Lokal „Zum goldenen Hirschen“, ihr werdet dort einen Unterstützer finden, der euch Einlass in das Schloss gewähren kann. Auch wenn es euch nicht gelingt die Ikone zu finden, vergesst nicht, dass das wichtigste Ziel das Öffnen des Tores ist. Unter allen Umständen muss euch dies gelingen, ansonsten werden tapfere Männer im vergeblichen Ansturm fallen.“

„Sir Aloys, Ihr sagt, wir sollen uns als Händler verkleiden, doch welche Ware sollen wir mit uns führen?“, fragte Reynald in der Hoffnung, dass ihm dadurch diese Schmach erspart werden würde.
Aloys lächelte. „Oh, habt keine Sorge, ich habe hier die perfekte Tarnung für euch.“ Er ging zu einem Abteil des Zelts und öffnete den Vorhang. Eine kleine, massige Gestalt kam heraus. Sie trug einen Helm, welcher mit weißen Flügeln verziert war, eine silbrig glänzende Rüstung von unnachahmlicher Machart, sowie einen schweren Kriegshammer auf den Rücken.
„Darf ich euch mit dem Zwerg Gurni Haarikson bekannt machen?“, sagte Aloys. „Er hat selbst eine Rechnung mit Leofric offen und ist sicher bereit, sich euch anzuschließen.“
„Aye“, bestätigte der Zwerg grimmig. „Da gibt es noch eine Stelle im Buch des Grolls, die getilgt werden muss.“
Bertrand seufzte. Offenbar war es ihnen auch am morgigen Tag nicht vergönnt, zu rasten.
 
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4.3 Der Konflikt

Das Dorf brannte lichterloh. Ein Anblick, der für Yves Leguerrand nur schwer zu ertragen war, so sehr er ihn auch kannte. Dunkle Schatten huschten schnell über den beleuchteten Boden, die Feinde, welche nun die letzten unglückseligen Überlebenden jagten. Ihr Feind hatte zuerst zugeschlagen. Es war nur ein simples, einfaches Wort, aber es lag so viel Leid und Schmerz darin.
Fehde.
Yves zog sein Schwert.
Klirrend fuhr der fein geschmiedete Stahl aus der Scheide.
„Für die Herrin und Montfort!“, rief er.
„Für die Herrin und Montfort!“, wiederholten die Ritter.

Yves schwang sein Schwert nach vorne und der gesamte Trupp setzte sich in Bewegung. Zuerst in langsamen Schritt. Links und rechts von ihm formierte sich die Linie, das Banner von Montfort flatterte im Wind. Das Dorf brannte immer noch lichterloh und Yves fasste bei diesem Anblick sein Schwert fester an. Das Tempo wurde schneller, der Wind heulte stärker. Yves presste die Beine an die Flanken seines Pferdes, spürte jede Bewegung und versuchte, eins mit seinem treuen Schlachtross zu werden. Mit jedem neuen Schritt wurde sein eigener Herzschlag schneller. Und schließlich, völlig unerwartet war er mitten in der Schlacht. Der Kampf war keine zusammenhängend Geschehen, vielmehr ein lose verbundene Abfolge einzelner Bilder, die sich aber auf ewig in Yves Gedächtnis einbrennen würde. Ein herrenloses Pferd rannte an ihm vorbei. Zwei blutende Zivillisten tauchten auf, schreiend und die Arme weit von sich gestreckt. Noch hielt seine Formation, aber einzelne Ritter wurden in erbitterte Duelle verwickelt. Zwei weitere Bauern rannten schreiend an ihm vorbei, verfolgt von einem hämisch lachenden Landsknecht mit einem blutbeschmierten Schwert. Yves holte aus und schlug zu. Der Widerstand saß ihm noch in den Knochen, als ihn sein Schlachtross bereits in vollem Galopp weiter getragen hatte. Ein roter Film war auf seiner Klinge.

Yves drehte sich im Sattel um, der Landsknecht sackte zu Boden, jedes Lachen war von ihm gewichen, genau wie sein Leben. Ein Pfeil bohrte sich in die Brust des Bannerträgers neben ihm. Der Ritter griff sich an die Stelle und fiel wortlos aus dem Sattel. Yves wollte wenden, dem Getroffenen zu Hilfe eilen. Ein Ritter erschien an seiner Seite. Ein Feind, ging Yves auf, als er das Wappen von Vingtiennes auf dem Schild erkannte. Und an der roten Schärpe auf dessen Schwertarm. Rot für de Sanguine, rot wie der Hass. Yves trug eine Schwarze, schwarz wie die Trauer und der Zorn. Sein Feind hatte eine gefährlich aussehende Streitaxt, auf deren Blatt sich der Feuerschein spiegelte. Yves fand sich in der schlechteren Position, da sein Gegner auf seiner rechten Seite war. So musste er sich im Sattel drehen, um den Schild auf seine ungeschützte Flanke zu bringen. Keinen Moment zu spät, da die Axt bereits auf ihn herabsauste. Wieder und wieder schlug die Axt auf seinen Schild ein, der zunehmend verbeult wurde. Yves teilte ebenfalls kräftige Schläge mit seinem Schwert aus, die beiden Kämpfer jagten in halsbrecherischem Tempo die Straße entlang, während beiderseits die Flammenzungen turmhoch aus den Glutöfen der gebrandschatzten Häuser loderten. Ein Kind stand plötzlich weinend auf der Straße. Im letzten Moment stoben die Pferde auseinander. Nur eine kurze Atempause blieb Yves, dann war sein Feind wieder da.

Sein Schildarm wurde langsam müde, es fiel Yves schwer, den schützenden Schild oben zu halten. Der Gegner hatte offensichtlich keine solchen Probleme, immer wieder bedrängte er ihn. Yves wusste, er musste den Kampf innerhalb der nächsten Augenblicke entscheiden. Mit dem Mut der Verzweiflung rammte er seinen Schild gegen den Angreifer. Das untere, spitz zulaufende Ende des Schilds krachte mit voller Wucht gegen den Gegner. Dieser war auf so eine unorthodoxe Attacke nicht vorbereitet. Er breitete seine Arme aus um das Gleichgewicht zu halten, aber es war zu spät. Ein erstickter Schrei kam aus seinem Helm, als der feindliche Ritter fiel. Yves griff nach den Zügeln seines Streitrosses um es zu bändigen. Er wendete sein Tier und ritt auf den am Boden liegenden Feind zu. Mehrere seiner Männer tauchten auf, erschöpft und blutverschmiert.

„Der Sieg ist unser, Sir“, meldete ein Waffenknecht.
Yves nickte, während zwei seiner Männer dem feindlichen Ritter aufhalfen und ihm den Helm abnahm. Yves öffnete sein eigenes Visier, so dass sein verschwitztes Gesicht zutage kam.
„Ist das Umfeld gesichert?“ Sein erster Offizier nickte, sein Arm hing leblos und blutend an seiner Seite herab. Yves Leguerrand wandte sich nun dem Gefangen zu. Der Mann sah in trotz seiner Lage trotzig an. Und dass, obwohl der Gefangene vor ihm knien musste. Yves war versucht, abzusteigen und den Gefangenen mit seiner gepanzerten Hand zu ohrfeigen. Im Hintergrund brannte das Dorf, zahlreiche Leichen lagen verdreht auf den Straßen. Im Anblick dieses Leides war der Gedanke den Mann auf der Stelle für seine Verbrechen zu exekutieren beinnahe überwältigend. Yves musste seine ganze Beherrschung aufwenden, um dem nicht nachzugeben.

„Nennt Euren Namen“, befahl er, wobei seine Stimme vor Verachtung und Hass überquoll.
Der Gefangene weigerte sich und sah ihn weiterhin trotzig an. Yves nickte und einer der Waffenknechte schlug den Mann. Es war eine schallende Ohrfeige mit einer gepanzerten Hand, sehr zu Yves Genugtuung, die den Gefangenen zu Boden schleuderte. Grobe Hände zogen ihn wieder hoch. Ein blutender Rinnsaal floss aus einem der Mundwinkel.
„Ihr tätet gut daran, mir eine Antwort zu geben“, warnte Yves. Sein Pferd roch das Blut und wurde unruhig, es tänzelte und Yves musste es mit den Zügeln und Schenkeldruck beruhigen.
„Euer Name“, wiederholte er drohend.
„Gaston de Foix aus Vingtiennes“, gab sich der Gefangene geschlagen.
„Gaston de Foix, im Namen des Herzogs von Montfort klage ich sie an …“
„Alleine de Sanguine hat den rechtmäßigen Anspruch auf die Herrschaft. Nicht die Bastardzeugenden Montforts“, spie Gaston de Foix voller Hass aus. Es brachte ihm einen weiteren Schlag ein, dieses Mal in die Magengrube.

„Im Namen von Herzog Folcard klage ich Sie des Landfriedenbruchs an. Sie werden nach Montfort gebracht, wo der Herzog über Sie Recht sprechen wird“, vollendete Yves. Er gab den beiden Landsknechten einen Befehl mit seiner Hand. Sie zogen Gaston de Foix auf seine Beine. Der Rest seiner Männer sammelte die Verwundeten ein, sowie einige andere Gefangene. Ihnen würde alle dasselbe Schicksal blühen. Dann bestatteten sie die Toten. Als sie damit fertig waren, gab Yves den Befehl zum Aufbruch. In einer langen Reihe verließen sie das brennende Dorf. Auf dem Hügel, von wo sie ihre Attacke begonnen hatten, sah Yves ein letztes Mal zurück. Die Feuer waren verloschen, aus den Überresten von Häusern stiegen schwarze, dicke Rauchsäulen auf. Ein Anblick, der auch einem hartgesottenen Krieger wie Yves nahe ging. Und er befürchtete, dass dies nicht das einzige Dorf in diesem Konflikt bleiben würde, dem solch ein Schicksal beschienen war.
 
Hallo Forget!
Danke für deinen Kommentar :lol::lol::lol:

Eine kleine Warnung: Wer sich die Spannung nicht verderben will, sollte den Spoiler nicht öffnen. Der ist explizit für Forget. 😉

Ja! Jerome de Montfort ist der Sohn eines Nordmannes und in Schande geboren worden. Seine enorme Größe, und das er in der Schlacht noch wächst, haben ebenfalls damit zu tun. Einfach gesagt. es ist "Der Fluch des Wer". Das kann man auf "lexikanum.de" auch nachschlagen. Aber ich denke, Du kennst das sicher