3.8 Axtschartenpass
In den Bergen Montforts graute ein neuer Morgen.
Doch so frisch der Tag auch war, im Haupthof der Burg herrschte bereits reges Treiben. Mehrere Pferde waren gesattelt und bereit für ihre Reiter. Der Großteil waren einfache Tiere wie sie von berittenen Soldaten geritten wurden, doch es standen auch zwei mächtige bretonische Streitrösser im Aufgebot, samt ihrem kostbaren Zaumzeug und der farbenfrohen Schabracke. Doch es war der zierliche weiße Zelter, der die meisten Blicke auf sich zog. Denn dieses Tier war der Beweis dafür, dass es etwas wirklich Außergewöhnliches im Gange war.
Lady Marie Levaliere zog sich ihren zweiten Handschuh über ihre zierlichen Finger, als sie die letzte Stufen des Wohngebäudes leichtfüßig hinab stieg, wo ihre Begleitung bereits auf sie wartete. Sir Yves Leguerrand lächelte, als sie ihn ansah. Ihr alter Freund kannte sie lang genug, um nicht den fruchtlosen Versuch zu unternehmen, sie umzustimmen. Sir Berrick de Ursins warf ihr jedoch einen tadelnden Blick zu. Dennoch half er Marie galant in ihren Sattel, einen Damensitz.
„Seid Ihr soweit?“, fragte Berrick, doch Marie kannte die unausgesprochene Frage dahinter. Wollte sie dieses Risiko wirklich eingehen? Marie ging kurz in sich, während ihr Gefolge aufsaß. Und sie kam zu dem Entschluss, dass sie keine andere Wahl hatte. Herzog Folcard war ein gerechter Mann. Marie war ehrlich genug um zuzugeben, dass man dies nur von wenigen bretonischen Herrschern sagen konnte. Und so sehr er ihrem Drängen auch nachgegeben hatte, ohne Beweise würde der Herzog Claude de Sanguine nicht den Prozess machen. Marie hatte gleich nach der Inhaftierung des Seneschalls einen Boten in die Stadt geschickt, um Tolrik als Zeugen zu laden. Doch der Söldner war bereits aufgebrochen, meldete der Bote nach seinem erfolglosen Gang. Eine Gruppe von Söldnern, die ironischerweise ausgerechnet ihr eigener Vater, für den heraufziehenden Konflikt angeheuert hatte.
Und so war ihr Entschluss gereift, sie würde die Söldner einholen, und Tolrik auffordern, dass er vor dem Herzog seine Aussage machen würde. Aus irgendeiner Quelle hatten sowohl Sir Berrick, als auch Yves, von ihrem Vorhaben erfahren. Unisono hatten beide darauf bestanden, sie zu begleiten. Schließlich wuchs die Anzahl auf fünf, da die Ritter noch auf zwei Knappen bestanden. Berrick und Yves verfügten ebenfalls, dass sie bereits am frühen Morgen aufbrachen, um noch möglichst viel Tageslicht für die Reise zu haben.
Marie war das nur Recht, auch wenn es bedeutete, dass sie sich nun aufgrund der Morgenkälte in ihren warmen pelzgefütterten Mantel förmlich einigeln musste. Sir Berrick gab mit seiner gepanzerten Hand das Zeichen zum Aufbruch. Auch er steckte in einem Mantel, gefertigt aus einem Bären, den er selbst erlegt hatte. Nur die beiden Knappen verfügten nicht über diesen Luxus und mussten sich mit einfachen Wollmänteln begnügen.
Die Gruppe ritt aus der Burg, durch das Städtchen Jouinard und nahm dann die Route nach Norden. Der Axtschartenpass war eine Schneise, die sie tief in das Graue Gebirge hinein führte. Die Umgebung veränderte sich mit jeder zurückgelegten Meile. Es wurde kälter, der Boden war gefroren, die kahlen Bäume und Sträucher waren mit Raureif überzogen und schimmerten im fahlen Sonnenlicht. Passenderweise wurde wenig gesprochen, die meiste Zeit ritt die Gruppe, mit den Knappen an der Spitze, schweigend und in scharfem Tempo. Nur eine kurze Rast gönnten sie sich zur Mittagszeit. Die Knappen entfachten notdürftig ein kleines Feuer, das mehr qualmte, denn brannte. Marie stand in ihren Pelzmantel gehüllt daneben und versuchte nicht komplett eingeräuchert zu werden. Sie konnte sich wahrlich besseres vorstellen, als wie ein Schinken zu riechen. Sir Berrick trat hinzu und reichte ihr einen Becher. Marie schüttelte den Kopf, doch Berrick beharrte darauf. Schließlich ergriff Marie den Becher und nahm widerwillig einen Zug. Zuerst nur wenig, doch als sie den süßen Wein aus den sonnigen Gefilden Bordelauxs schmeckte, ging ihr erst auf, wie durstig sie in Wahrheit war. Sie leerte den Becher in einem Zug, nicht gerade damenhaft, aber Berrick schien es nicht zu stören.
„Noch einen Becher?“, fragte er stattdessen. „Bedenkt, Milady, das man trotz der Kälte darauf achten muss, genug Flüssigkeit zu sich zu nehmen.“
Marie Levaliere lächelte, da Sir Berrick dazu neigte, sich ihr gegenüber wie ein alter Schulmeister zu benehmen. Doch sie wusste, dass seine milden Tadel nur aufgrund seiner Sorge um ihr Wohlbefinden geschuldet waren.
Yves Leguerrand, der inzwischen ihre Pferde versorgt hatte, trat ebenfalls hinzu. Er nahm wortlos den Becher von Marie und den Weinschlauch von Berrick und füllte sich selbst ein. Marie lächelte ein zweites Mal. Yves Leguerrand war ihr gegenüber weitaus zwangloser. Der Grund dafür lag in ihrer langjährigen Freundschaft, immerhin kannten sie sich seit Kindesbeinen. Das war etwas, das Marie an dem rothaarigen Gefolgsmann ihres Vaters so schätzte.
„Wie lange noch?“, fragte sie, da sie solch lange Ritte nicht mehr gewohnt war. Ihr Rücken begann sich langsam zu melden.
„Wir kommen gut voran“, antwortete Yves Leguerrand. „Wir dürften die Kolonne innerhalb des Tages noch erreichen. Immerhin sind sie zu Fuß unterwegs, während wir beritten sind.“
Sir Berrick nickte zustimmend. „Bleibt das Wetter stabil, dann bin ich eurer Meinung, Sir Yves.“
Einer der Knappen näherte sich unterwürfig. „Verzeiht Milords, aber wir haben das Geräusch sich nähernder Hufe vernommen.“
Sir Berricks Gesicht verhärtete sich bei dieser Meldung, seine Hand glitt unwillkürlich an den Schwertgriff.
„Macht euch kampfbereit“, befahl er in Richtung der beiden Knappen.
„Rechnet Ihr mit Feinden?“, fragte Marie besorgt.
„Das nicht“, erwiderte Sir Berrick. „Aber im Axtschartenpass sollte man besser auf Alles vorbereitet sein.“ Er ging zu seinem Pferd und zog den Sattelgurt fest. Dann schwang er sich auf den Rücken seines Pferds. Automatisch ging Yves vor Marie in Stellung, die er mit seinem eigenen Leib gegen jede mögliche Gefahr abschirmte.
Es war jedoch keine Bedrohung, die sich ihrem Lager näherte. Die kümmerliche Haltung des Reiters wies vielmehr auf seine Harmlosigkeit hin. Marie musste sich sogar ein lautes Lachen verkneifen, als sie den Reiter erblickte. So wie Blondel, der Hofnarr des Herzogs sich nur mit Mühe auf seinem Pferd hielt, war er höchstens für sich selbst eine Gefahr. Blondel hing mehr auf seinem Pferd, als dass er ritt. Sein Pferd war ein friedfertiger Klepper, offenbar, so wie sich der Hofnarr in dessen Mähne verkrallte, da er beständig von dem Tier zu fallen drohte.
Sir Berrick lachte hingegen lauthals, als er zu den Hofnarren ritt.
„Was macht Ihr denn hier, Hofnarr?“
Blondel, der obwohl er nicht sein Narrenkostüm trug, dennoch eine bemitleidenswerte Figur machte, blickte in Maries Richtung.
„Wie dem auch sei“, fuhr Sir Berrick fort, der dies nicht bemerkte. „Dies ist der Axtschartenpass, wir können Euch ohnehin nicht hier zurücklassen. Ihr kommt mit uns.“
Sir Berrick wandte sich an die Knappen. „Löscht das Feuer, wir brechen auf“, befahl er.
„Wirklich? Mein armer Rücken schmerzt. Können wir nicht wenigsten noch eine kurze Rast einlegen?“, jammerte Blondel.
„Daran hättet Ihr denken sollen, bevor Ihr uns hinterher geritten seid. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Gewöhnt Euch an die Schmerzen und ertragt sie wie ein Mann“, tadelte ihn Berrick.
Sie ritten weiter, immer nach Norden. Stunde um Stunde verging, und Sir Berrick wurde zunehmend ungehaltener, da Blondel nur mit Mühe Schritt halten konnte. Marie fragte sich, warum der Hofnarr die Mühe auf sich genommen hatte. Offensichtlich aus falsch verstandener Dankbarkeit und ihr persönlich wäre es auch lieber gewesen, wenn der Narr auf Burg Montfort geblieben wäre. Drei Stunden nach ihrer Rast begann es zu schneien. Zuerst waren es nur vereinzelte Schneeflocken, doch dann nahm der Schneefall zu. Schließlich war ihre Umgebung komplett in das kalte Weiß gehüllt, Bäume und Sträucher am Wegrand waren unter einer dicken Schicht begraben. Kein Geräusch war zu hören, nur das Schnauben ihrer Pferde und das Knirschen, wenn die Hufe auf dem schneebedeckten Untergrund auftraten. Ihr Atem, und der ihrer Tiere, bildeten Dampfwolken. Marie wurde kalt, trotz ihres gefütterten Mantels.
Sie erreichten einen kleinen Hügel, von dem sie einen weiten Ausblick auf die vor ihnen liegende Schlucht hatten. Unter ihnen schlängelte sich der Weg stetig zwischen den hohen, steinernen Ungetümen des Grauen Gebirges weiter. An dieser Stelle war der Pass eine Viertelmeile breit. Entlang der Flanken der Berge erstreckte sich dichte Baumreihen, die jetzt unter meterhohem Schnee verborgen waren. Und Marie sah dort unten auch Bewegung. Es war eine Gruppe die sich bewegte und sie war erleichtert, da sie darin ihr Ziel erkannte. Zwar war die Gruppe zwischen zwei und drei Meilen entfernt, Marie konnte keine einzelnen Personen erkennen. Aber trotz des Schneefalls und der Entfernung erkannte sie die Farben ihres Vaters, die am Anfang der Kolonne gehisst waren und im Wind wehten. Die Gruppe bestand aus vielleicht fünfzig Personen, nur der Bannerträger und der Anführer waren beritten. In der Mitte der Gruppe rumpelte der Proviantwagen, von Ochsen gezogen.
„Eigenartig“, sagte Yves Leguerrand und deutete auf den Saum des Waldes.
Marie sah in dieselbe Richtung. Etwas löste sich von dem Wald. Es war eine lange Reihe von Reitern. Trotz der Entfernung konnte Marie erkennen, dass es sich dabei um äußerst hoch gewachsene Gestalten aus ebenso starken Pferden. Waren dies Ritter, die ihr Vater den Söldner als Eskorte entgegen geschickt hatte?
Doch je länger Marie diese Neuankömmlinge betrachtete, umso stärker beschlich sie der Eindruck, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Ihr Herz schlug schneller und in Verstand schrie ein Teil von ihr, dass sie ihr Pferd sofort zur Flucht wenden sollte. Wie paralysiert stand sie dagegen da und beobachtete ungläubig, wie sich die Reiter zu einer Angriffslinie formierten und beschleunigten.
„Große Herrin“, keuchte einer der Knappen, der auch erkannte, was hier vor sich ging.
Marie sah eine Gestalt, die den Angriff führte. Ein Riese unter den Menschen, in einer stacheligen, pechschwarzen Rüstung und einem hörnerbewehrten Helm. Ein Anblick, der sie an ihrer schlimmsten Alpträume erinnerte und ihren Drang zur Flucht nur noch bestärkte. Neben dem Anführer ritt der feindliche Bannerträger, und dessen Standarte, ein achtzackiger Stern, bewirkte bei Marie Übelkeit und ein Gefühl nie gekannter Ablehnung.
Die Kolonne hatte die Feinde auch bemerkt. Marie hörte gebellte Wortfetzen, als sich die Söldner zur Abwehr formierten. Ihre Hoffnung, dass die abgebrühten Veteranen dem Angriff standhalten würden, zerstoben bei der ersten Attacke. Die feindlichen Reiter fegten durch die Reihen der Söldner und besprengten den Schneeboden mit rotem Blut. Nur die langjährige Erfahrung im Kampf bewirkte, dass die Reihen der Söldner unter der Wucht des Ansturms noch intakt blieben.
Sir Berrick nahm seine Lanze aus der Halterung hinter seinem Sattel.
„Bereit machen“, befahl er zu den beiden Knappen.
„Was habt Ihr vor, Sir Berrick?“, fragte überraschenderweise Blondel, der Hofnarr.
Der angesprochene Ritter sah den Fragesteller mit einer gewissen Verärgerung an. „Was denkt Ihr denn, was wir hier tun? Wir werden den Söldnern zur Hilfe eilen.“
Zu jedermanns Überraschung ritt Blondel vor, und versperrte damit Sir Berrick den Weg.
„Ich rate Euch davon ab“, empfahl der Hofnarr entschlossen.
Auch Marie war erstaunt über den Wandel. Blondel schien eine völlig andere Person zu sein. Seine krumme, gebückte Haltung war gewichen. Auch saß hing er nicht mehr im Sattel, sondern saß aufrecht da. Hätte sie es nicht besser gewusst, dann hätte Marie gedacht, einen Krieger vor sich zu haben.
Sogar Sir Berrick schien beeindruckt. Dennoch wollte er sich von seinem Vorhaben nicht abbringen lassen.
„Gebt den Weg frei. Gute Menschen sterben dort unten.“
„Und Ihr gedenkt, mit vier Bewaffneten den Kampf zu ändern?“, konterte Blondel. „Die Schlacht ist verloren. Ihr reitet nur in den Untergang.“
„Es geht hier um mehr als simples Abzählen. Ich habe einen Eid als bretonischer Ritter geschworen. Aber was wisst Ihr denn schon von solchen Dingen?“
„Mehr als Ihr denkt“, entgegnete Blondel bedeutungsvoll.
„Geht zu Seite“, beharrte Sir Berrick und ritt drohend näher. Eine Konfrontation lag in der Luft.
„Da sieh doch einer an, was die Herren der Acht mir beschert haben“, sagte eine Stimme hinter ihnen. Marie fuhr herum wie der Rest ihrer Gruppe. Die Stimme gehörte zu einem Reiter. Sein Pferd war von starkem Wuchs, sogar größer als die bretonischen Streitrösser, jedoch mit rotglühenden Augen, wie ein wild gewordenen Raubtier. Abschreckender war jedoch der Reiter. Es war ein Mann von sehniger, schlanker Gestalt. Er trug eine dunkelrote Rüstung, jedoch nicht von bretonischer Machart und einen Helm mit einem weißen Haarbusch. Der Helm war so gestaltet, dass er einen freien Blick auf das Gesicht seines Trägers zuließ. Es war ein edles Gesicht, wohlgestaltet. Doch es waren die Augen und die abstoßenden Tätowierungen auf den beiden Wangen, die Marie abstießen. Die Augen des Reiters leuchteten vor kaum gezügelter Mordlust.
„Wer seid Ihr?“, fragte Sir Berrick überrascht.
Der fremde Reiter ritt näher heran. In seiner Haltung lagen sowohl Selbstsicherheit, als auch Arroganz.
„Euer Verhängnis“, sagte Schlächter bedrohlich, und in seiner Stimme lag keinerlei Mitgefühl.
Sir Berrick legte seine Lanze ein und gab seinem Pferd die Sporen. Die beiden Knappen folgten dem jungen Ritter. Yves beließ seine Lanze an ihrem Platz, stattdessen zog er sein Schwert und schloss sich ebenfalls dem Angriff an. Der kleine Hügel explodierte vor Gewalt. Schlächter wartete gelassen auf den Angriff, unbeeindruckt von der Tatsache, dass die lackierte Lanze des Ritters auf sein Herz zielte, und dahinter noch drei weitere Gegner warteten. Mit einer Bewegung, die so einfach und mühelos aussah, ließ er Berricks Angriff ins Leere gehen. So schnell, dass es kein menschliches Auge erfasste, zog Schlächter seine Waffe. Es war ein Krummsäbel mit einer handbreiten Klinge, die keinerlei Parierstange aufwies. Marie wusste nicht, dass diese Waffe Schaschka genannt wurde, die Waffe eines Kriegers aus der nördlichen Wüste. Der Schaschka fuhr in einem blitzenden Bogen herum und Sir Berricks Lanze wurde fein säuberlich in zwei Teile gespalten.
Schlächter hob sein Schwert und begegnete damit dem Angriff der beiden Knappen. Schlächter hatte keinen Schild, im Gegensatz zu den beiden Knappen, die ihn noch dazu mit angelegten Speeren attackierten. Schlächters Krummschwert blitzte wieder zweimal auf, und Marie kam es vor, als würde die Klinge selbst bei jedem Kontakt aufheulen. Einer der Knappen fiel mit einem Todesschrei auf den Lippen zu Boden, als sich das Dämonenschwert durch seinen Schild und seinen Brustkorb hieb. Noch bevor der zweite Knappe seinen Speer in die ungeschützte Seite Schlächters rammen konnte, war dessen Schaschka wieder in Position. Wieder blitzte das Krummschwert auf, dieses Mal trennte es jedoch den gesamten Waffenarm des Knappen ab. Instinktiv griff sich der Knappe mit der verbliebenen Hand nach seiner stark blutenden Wunde. Ein Fehler, da er damit ohne jede Deckung war. Ein Kopf flog zu Boden, das Gesicht zu einer grässlichen Fratze verzehrt, die das grausame, schmerzerfüllte Ende seines Besitzers dokumentierte.
Der Boden erbebte und plötzlich waren Yves und Berrick zur Stelle. Für einen Moment sah Marie die beiden Ritter, der prächtige Anblick der starken Krieger in ihren Rüstungen, und sie schöpfte wieder Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang. Und in der Tat schien sich das Blatt zu wenden. Sir Berrick und Yves Leguerrand, erfahrene, gestählte Ritter des Reiches nahmen intuitiv die richtige Position ein. Die beiden Ritter nahmen Schlächter in die Zange und bedrängten ihn hart. Hieb um Hieb prasselte auf den Chaoskrieger nieder. Bretonischer Stahl blitzte auf, die Streitrösser wieherten in feuriger Erregung, als die Ritter Schlächter immer weiter abdrängten.
Aber Schlächter war ein Auserwählter seiner dunklen Herren. Unter diesen vielen Segnungen war auch seine übermenschliche Reaktion. Innerhalb eines Wimperschlages erwiderte Schlächter den Abwärtshieb Berricks. Stahl traf auf Stahl und das Dämonenschwert jaulte auf, als es mit der gesegneten Klinge des bretonischen Ritters in Berührung kam. Doch die Chaoswaffe erwies sich als stärker, und das Schwert des Ritters zersplitterte. Sir Berricks Augen weiteten sich ungläubig, eine Geste die aufgrund seines geschlossenen Visiers nicht gesehen werden konnte. Doch es war zu spät, Schlächters Krummschwert traf seinen Brustpanzer und Sir Berrick segelte in einer Blutfontäne von seinem Pferd. Marie schrie entsetzt auf, als sie den tapferen Ritter fallen sah. Doch es sollte nicht ihr letzter Schreck an diesem Tag bleiben.
Angespornt und gewarnt von dem Schicksal seines Kampfgefährten bedrängte Yves Leguerrand seinen Gegner erneut. Er war nun der letzte Widerstand und er fürchtete sich vor dem Gedanken, was diese Bestie mit Lady Levaliere anstellen würde, sollte er fallen. Doch es war nicht er, der fiel. Da sich seine Deckung als undurchdringlich erwies, änderte Schlächter seine Taktik. Der Chaoskrieger täuschte einen hohen Hieb mit seinem Krummschwert an. Erwartungsgemäß hob Yves seinen Schild um dem Angriff zu begegnen. Überraschend fuhr Schlächters Schaschka in einem Bogen hinab. Yves reagierte mit seinem Schwert, um einem Stich gegen seinen Unterleib vorzubeugen. Doch Schlächter hatte ohnehin nicht auf den Ritter gezielt.
Aufgrund ihrer Verfolgung der Söldner hatten beide Ritter auf schwere Rüstung für sich und ihrer Reittiere verzichtet. Normalerweise war auch ein bretonisches Streitross mit einem Panzer an seinen Flanken und am Hals versehen. Doch bei ihrem Aufbruch hatte keiner von ihnen damit gerechnet, in ernsthafte Kampfhandlungen verwickelt zu werden. Ein Fehler, den Yves Streitross mit seinem Leben bezahlte. Schlächters Schwert fuhr mühelos durch die Schabracke und den darunter liegenden Hals und trennte den Kopf des Pferdes an. Derart getroffen, brach das Pferd auf der Stelle zusammen und begrub seinen Reiter unter sich. Yves schrie auf, als er von mehreren hundert Pfund seines toten Reittiers begraben und sein Bein eingeklemmt wurde.
Schlächter wendete sein Pferd und funkelte Marie Levaliere bedrohlich an.
„Die dunklen Götter waren mir wohlgesonnen“, sagte er mit einer eisigen Stimme. „Und du wirst ihr Dankopfer sein.“
Er gab seinem Pferd die Sporen, die Mordlust in seinen Augen erschreckte Marie mehr, als das bedrohlich erhobene Schwert. Etwas traf den Chaoskrieger mit voller Wucht. Zwei Pferde und zwei Reiter gingen einem unidentifizierbaren Gewirr zu Boden. Marie konnte ihren Augen nicht trauen. Blondel, der ungerüstete, tollpatschige Hofnarr hatte den feindlichen Krieger, der mit solcher Leichtigkeit vier Gegner besiegt hatte, mit seinem Pferd gerammt. Und Blondel war bereits wieder auf den Beinen, während die beiden Pferde noch ineinander verschlungen waren und wieherten. Ein Schwert erschien in seiner rechten Hand Marie fragte sich, woher der Narr diese Waffe hatte. Doch etwas an der Art, wie der Narr das Schwert hielt, verriet ihr, dass Blondel nicht ungeübt im Umgang mit einer Klinge war.
Schlächter tauchte wie ein lebendiger Alptraum hinter der Masse der am Boden liegenden Pferde auf. Mit einem markerschütternden Aufschrei sprang er Blondel an. Alles, was in den letzten Minuten vorgefallen war, sprach dagegen, dass der Narr auch nur eine Sekunde überleben würde. Doch gegen alle Wahrscheinlichkeit wehrte Blondel die ungestümen Attacken des Chaoskriegers ab. Wieder und wieder sauste der Schaschka mit tödlicher Präzision hinab und jedes Mal konnte der Narr ausweichen. Genau wie Schlächter starrte Marie Levaliere ungläubig auf Blondel. Der Narr schien eine völlig andere Person zu sein. Verschwunden war der tollpatschige Narr, der sich an einem zugeworfenen Schwert den Finger geschnitten hatte. Jede Finte, jeder Hieb endete an der entschlossenen Gegenwehr von Blondels Langschwert. Stahl wehrte jede Attacke des Dämonenschwerts ab, das bei jeder Berührung mit dem bretonischen Stahl noch schriller aufjaulte als wäre es frustriert. Mit anmutiger Gewandtheit führte Blondel sein Schwert und ging sogar in die Offensive. Und tatsächlich war Schlächter auf dem Rückzug. Marie hörte über das Klirren der Schwerter jedoch ein weiteres Geräusch, ein Stöhnen. Leichtfüßig glitt sie von ihrem Sattel. Die Quelle entpuppte sich als Yves. Schnell eilte sie zu ihm, während der Zweikampf hinter ihn noch weiter tobte.
Das Bein ihres Freundes war eingeklemmt, doch Yves mühte sich schon ab. Im Gegensatz zu Berrick trug Yves Leguerrand einen einfachen Rundhelm, darunter eine Kettenhaube. So konnte Marie sein schmerzverzerrtes und blasses Gesicht sehen. Yves sah auf, als sie sich ihm näherte. Wortlos kniete sich Marie hin, um dem jungen Ritter zu helfen.
„Bring dich in Sicherheit“, keuchte Yves.
Marie sah ihn an und schüttelte entschieden den Kopf. „Stell dich nicht so an, und hilf mir lieber.“
Yves lächelte matt. „Was denkst du, dass ich hier mache?“
Gemeinsam versuchten sie, den Pferdekadaver zur Seite zu schieben. Mit einiger Anstrengung gelang es ihnen auch. Yves Leguerrands Bein erschien, blutig und zerquetscht. Der Anblick brach Marie das Herz. Sie riss einen Ärmel von ihrem Kleid und begann damit die blutenden Wunden zu versorgen.
Ein Schatten ragte hinter ihr auf. Marie drehte sich um und schrie vor Entsetzen. Es war Schlächter, seine Augen waren der Abgrund allen menschlichen Seins.
„Jetzt zu dir, meine Kleine“, sagte der Chaoskrieger.
Yves richtete sich auf seine Knie auf, wobei er vor Schmerzen brüllte. Trotzig erhob er sein Schwert. Schlächter schmetterte es mit Leichtigkeit zur Seite, die bretonische Klinge flog in hohem Bogen zur Seite. Dennoch schob Yves Marie hinter sich.
„Jetzt sterbt ihr“, prophezeite Schlächter.
„Mögen die Götter dich verfluchen“, erwiderte Yves voller Hass.
„Oh das haben sie“, entgegnete Schlächter hämisch. Er verzerrte sein Gesicht zu einer lustvollen, abstoßenden Fratze in Begierde auf das anstehende Blutbad.
Sein Gesicht änderte sich in Ungläubigkeit und Schmerz, als sich ein Schwert durch seinen Rücken bohrte und die Spitze aus seinem Bauch herausragte.
Blondel, sein Gesicht blutüberströmt, erschien hinter Schlächter.
„Fahr hinab in die Verdammnis“, knurrte Blondel. Er zog sein Schwert hinaus, und ein Schwall Blut, der bewies das Schlächter durchaus menschlich war, quoll heraus. Trotzdem fuhr Schlächter herum, sein Krummschwert beschrieb einen blitzenden Bogen. Genauso schnell fing Blondel den Angriff ab. Seine Hand umfasste Schlächters Schwertarm mit stählernem Griff und stoppte die Attacke, noch bevor sie ihn erreichte.
Blondel hielt Schlächter in der Umklammerung. Langsam, ganz langsam wich das Leben aus dessen Augen. Schlächter erschlaffte, sein Schwert fiel ihm aus der Hand. Mit einem abstoßenden Fluch auf seinen Lippen starb der Chaoskrieger. Wortlos warf ihn Blondel auf den Boden.
Marie hatte dies Alles mitverfolgt. Nun, wie aus einem Alptraum, erwachte sie wieder. Ihr Blick fiel auf Yves. Mühsam richtete sich dieser wieder auf die Knie. Marie bückte sich zu ihm, doch Yves bedeutete ihr, dass alles in Ordnung sei. Sie wusste, dass es eine Lüge war, aber die folgenden Worte änderten alles.
„Kümmere dich um Berrick“, keuchte Yves und zeigte in dessen Richtung.
Marie fürchtete, was sie erwarten würde, dennoch rannte sie zu dem am Boden liegenden Berrick. Berrick rührte sich nicht, sein Körper lag regungslos da. Vorsichtig nahm ihm Marie den Helm ab. Blondel kam hinzu, und kniete sich nieder.
„Er atmet nicht“, sagte Marie voller Verzweiflung, Tränen standen ihr in den Augen. Blondel nahm dem Ritter einfach die Armschiene ab. Er hielt sie Berrick vor das Gesicht. Der Stahl beschlug sich.
„Seht doch, er atmet. Verbindet seine Brustwunde“ Marie nahm diese Meldung mit Erleichterung zur Kenntnis. Nach Jeromes Weggang wäre dieser Verlust für sie untragbar geworden. Gemeinsam nahmen sie Berrick die Überreste seines Brustpanzers ab. Ihr zweiter Ärmel wurde ein Opfer, als sie die blutende Brustwunde verband. Blondel stand auf.
„Wir müssen uns beeilen. Sein Blutverlust war hoch, und hier ist es nicht sicher.“
Der Narr ging zu den beiden Knappen. Beide waren jedoch tot, der zweite war während des Kampfes verblutet. Yves humpelte zu Marie, aufgrund seiner Verletzung blieb er neben ihr stehen. Blondel kehrte zurück, die übriggebliebenen Pferde an ihrem Zaumzeug haltend. Es waren Maries Zelter, die beiden Pferde der Knappen, Berricks Streitross und Blondels eigenes Tier.
„Wir müssen hier weg“, beharrte der Narr erneut. Er sammelte Yves Lanze und die Speere der beiden Knappen ein, dazu deren Mäntel. Mit kundiger Hand fertigte er daraus eine Art Trage. Vorsichtig montierte er sie zwischen den beiden Pferden der verstorbenen Knappen. Dann hob er den immer noch bewusstlosen Berrick auf, und legte ihn in die Trage. Er half außerdem Marie und dem verletzten Yves in den Sattel und reichte ihm dessen Schild. Blondel selbst nahm Berricks Schild und schwang sich auf sein eigenes Reittier. Obwohl ihm die Rüstung fehlte, sah er nun doch wie ein vollendeter Ritter aus.
„Lasst uns aufbrechen“, sagte Blondel, und seine Stimme war erfüllt von einer natürlichen Autorität, die es gewohnt war Befehle zu erteilen, die auch ausgeführt wurden.
„Ich danke Euch für unsere Rettung“, sagte Marie.
„Doch zuvor verratet mir Euren Namen. Euren wahren Namen“, betonte sie.
Blondel nickte lächelnd. „Ihr habt mich durchschaut, Milady. Euer Geist kann sich durchaus mit eurer Schönheit messen.“
„Galant, doch noch ist euer Name nicht gefallen, werter Sir“, beharrte Marie.
„Nun denn. Wenn Ihr so begierig auf den Namen seid, dann sollt Ihr ihn erfahren.“ Eine dramatische Pause folgte. Doch weder Marie, noch Yves waren auf die folgenschwere Offenbarung vorbereitet.
„Mein Name ist Graf Adalbert. Ich bin der Schwertträger unseres gesegneten Königs Leoncoeur. Und nun sollten wir unseren Pferden die Sporen geben.“
In den Bergen Montforts graute ein neuer Morgen.
Doch so frisch der Tag auch war, im Haupthof der Burg herrschte bereits reges Treiben. Mehrere Pferde waren gesattelt und bereit für ihre Reiter. Der Großteil waren einfache Tiere wie sie von berittenen Soldaten geritten wurden, doch es standen auch zwei mächtige bretonische Streitrösser im Aufgebot, samt ihrem kostbaren Zaumzeug und der farbenfrohen Schabracke. Doch es war der zierliche weiße Zelter, der die meisten Blicke auf sich zog. Denn dieses Tier war der Beweis dafür, dass es etwas wirklich Außergewöhnliches im Gange war.
Lady Marie Levaliere zog sich ihren zweiten Handschuh über ihre zierlichen Finger, als sie die letzte Stufen des Wohngebäudes leichtfüßig hinab stieg, wo ihre Begleitung bereits auf sie wartete. Sir Yves Leguerrand lächelte, als sie ihn ansah. Ihr alter Freund kannte sie lang genug, um nicht den fruchtlosen Versuch zu unternehmen, sie umzustimmen. Sir Berrick de Ursins warf ihr jedoch einen tadelnden Blick zu. Dennoch half er Marie galant in ihren Sattel, einen Damensitz.
„Seid Ihr soweit?“, fragte Berrick, doch Marie kannte die unausgesprochene Frage dahinter. Wollte sie dieses Risiko wirklich eingehen? Marie ging kurz in sich, während ihr Gefolge aufsaß. Und sie kam zu dem Entschluss, dass sie keine andere Wahl hatte. Herzog Folcard war ein gerechter Mann. Marie war ehrlich genug um zuzugeben, dass man dies nur von wenigen bretonischen Herrschern sagen konnte. Und so sehr er ihrem Drängen auch nachgegeben hatte, ohne Beweise würde der Herzog Claude de Sanguine nicht den Prozess machen. Marie hatte gleich nach der Inhaftierung des Seneschalls einen Boten in die Stadt geschickt, um Tolrik als Zeugen zu laden. Doch der Söldner war bereits aufgebrochen, meldete der Bote nach seinem erfolglosen Gang. Eine Gruppe von Söldnern, die ironischerweise ausgerechnet ihr eigener Vater, für den heraufziehenden Konflikt angeheuert hatte.
Und so war ihr Entschluss gereift, sie würde die Söldner einholen, und Tolrik auffordern, dass er vor dem Herzog seine Aussage machen würde. Aus irgendeiner Quelle hatten sowohl Sir Berrick, als auch Yves, von ihrem Vorhaben erfahren. Unisono hatten beide darauf bestanden, sie zu begleiten. Schließlich wuchs die Anzahl auf fünf, da die Ritter noch auf zwei Knappen bestanden. Berrick und Yves verfügten ebenfalls, dass sie bereits am frühen Morgen aufbrachen, um noch möglichst viel Tageslicht für die Reise zu haben.
Marie war das nur Recht, auch wenn es bedeutete, dass sie sich nun aufgrund der Morgenkälte in ihren warmen pelzgefütterten Mantel förmlich einigeln musste. Sir Berrick gab mit seiner gepanzerten Hand das Zeichen zum Aufbruch. Auch er steckte in einem Mantel, gefertigt aus einem Bären, den er selbst erlegt hatte. Nur die beiden Knappen verfügten nicht über diesen Luxus und mussten sich mit einfachen Wollmänteln begnügen.
Die Gruppe ritt aus der Burg, durch das Städtchen Jouinard und nahm dann die Route nach Norden. Der Axtschartenpass war eine Schneise, die sie tief in das Graue Gebirge hinein führte. Die Umgebung veränderte sich mit jeder zurückgelegten Meile. Es wurde kälter, der Boden war gefroren, die kahlen Bäume und Sträucher waren mit Raureif überzogen und schimmerten im fahlen Sonnenlicht. Passenderweise wurde wenig gesprochen, die meiste Zeit ritt die Gruppe, mit den Knappen an der Spitze, schweigend und in scharfem Tempo. Nur eine kurze Rast gönnten sie sich zur Mittagszeit. Die Knappen entfachten notdürftig ein kleines Feuer, das mehr qualmte, denn brannte. Marie stand in ihren Pelzmantel gehüllt daneben und versuchte nicht komplett eingeräuchert zu werden. Sie konnte sich wahrlich besseres vorstellen, als wie ein Schinken zu riechen. Sir Berrick trat hinzu und reichte ihr einen Becher. Marie schüttelte den Kopf, doch Berrick beharrte darauf. Schließlich ergriff Marie den Becher und nahm widerwillig einen Zug. Zuerst nur wenig, doch als sie den süßen Wein aus den sonnigen Gefilden Bordelauxs schmeckte, ging ihr erst auf, wie durstig sie in Wahrheit war. Sie leerte den Becher in einem Zug, nicht gerade damenhaft, aber Berrick schien es nicht zu stören.
„Noch einen Becher?“, fragte er stattdessen. „Bedenkt, Milady, das man trotz der Kälte darauf achten muss, genug Flüssigkeit zu sich zu nehmen.“
Marie Levaliere lächelte, da Sir Berrick dazu neigte, sich ihr gegenüber wie ein alter Schulmeister zu benehmen. Doch sie wusste, dass seine milden Tadel nur aufgrund seiner Sorge um ihr Wohlbefinden geschuldet waren.
Yves Leguerrand, der inzwischen ihre Pferde versorgt hatte, trat ebenfalls hinzu. Er nahm wortlos den Becher von Marie und den Weinschlauch von Berrick und füllte sich selbst ein. Marie lächelte ein zweites Mal. Yves Leguerrand war ihr gegenüber weitaus zwangloser. Der Grund dafür lag in ihrer langjährigen Freundschaft, immerhin kannten sie sich seit Kindesbeinen. Das war etwas, das Marie an dem rothaarigen Gefolgsmann ihres Vaters so schätzte.
„Wie lange noch?“, fragte sie, da sie solch lange Ritte nicht mehr gewohnt war. Ihr Rücken begann sich langsam zu melden.
„Wir kommen gut voran“, antwortete Yves Leguerrand. „Wir dürften die Kolonne innerhalb des Tages noch erreichen. Immerhin sind sie zu Fuß unterwegs, während wir beritten sind.“
Sir Berrick nickte zustimmend. „Bleibt das Wetter stabil, dann bin ich eurer Meinung, Sir Yves.“
Einer der Knappen näherte sich unterwürfig. „Verzeiht Milords, aber wir haben das Geräusch sich nähernder Hufe vernommen.“
Sir Berricks Gesicht verhärtete sich bei dieser Meldung, seine Hand glitt unwillkürlich an den Schwertgriff.
„Macht euch kampfbereit“, befahl er in Richtung der beiden Knappen.
„Rechnet Ihr mit Feinden?“, fragte Marie besorgt.
„Das nicht“, erwiderte Sir Berrick. „Aber im Axtschartenpass sollte man besser auf Alles vorbereitet sein.“ Er ging zu seinem Pferd und zog den Sattelgurt fest. Dann schwang er sich auf den Rücken seines Pferds. Automatisch ging Yves vor Marie in Stellung, die er mit seinem eigenen Leib gegen jede mögliche Gefahr abschirmte.
Es war jedoch keine Bedrohung, die sich ihrem Lager näherte. Die kümmerliche Haltung des Reiters wies vielmehr auf seine Harmlosigkeit hin. Marie musste sich sogar ein lautes Lachen verkneifen, als sie den Reiter erblickte. So wie Blondel, der Hofnarr des Herzogs sich nur mit Mühe auf seinem Pferd hielt, war er höchstens für sich selbst eine Gefahr. Blondel hing mehr auf seinem Pferd, als dass er ritt. Sein Pferd war ein friedfertiger Klepper, offenbar, so wie sich der Hofnarr in dessen Mähne verkrallte, da er beständig von dem Tier zu fallen drohte.
Sir Berrick lachte hingegen lauthals, als er zu den Hofnarren ritt.
„Was macht Ihr denn hier, Hofnarr?“
Blondel, der obwohl er nicht sein Narrenkostüm trug, dennoch eine bemitleidenswerte Figur machte, blickte in Maries Richtung.
„Wie dem auch sei“, fuhr Sir Berrick fort, der dies nicht bemerkte. „Dies ist der Axtschartenpass, wir können Euch ohnehin nicht hier zurücklassen. Ihr kommt mit uns.“
Sir Berrick wandte sich an die Knappen. „Löscht das Feuer, wir brechen auf“, befahl er.
„Wirklich? Mein armer Rücken schmerzt. Können wir nicht wenigsten noch eine kurze Rast einlegen?“, jammerte Blondel.
„Daran hättet Ihr denken sollen, bevor Ihr uns hinterher geritten seid. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Gewöhnt Euch an die Schmerzen und ertragt sie wie ein Mann“, tadelte ihn Berrick.
Sie ritten weiter, immer nach Norden. Stunde um Stunde verging, und Sir Berrick wurde zunehmend ungehaltener, da Blondel nur mit Mühe Schritt halten konnte. Marie fragte sich, warum der Hofnarr die Mühe auf sich genommen hatte. Offensichtlich aus falsch verstandener Dankbarkeit und ihr persönlich wäre es auch lieber gewesen, wenn der Narr auf Burg Montfort geblieben wäre. Drei Stunden nach ihrer Rast begann es zu schneien. Zuerst waren es nur vereinzelte Schneeflocken, doch dann nahm der Schneefall zu. Schließlich war ihre Umgebung komplett in das kalte Weiß gehüllt, Bäume und Sträucher am Wegrand waren unter einer dicken Schicht begraben. Kein Geräusch war zu hören, nur das Schnauben ihrer Pferde und das Knirschen, wenn die Hufe auf dem schneebedeckten Untergrund auftraten. Ihr Atem, und der ihrer Tiere, bildeten Dampfwolken. Marie wurde kalt, trotz ihres gefütterten Mantels.
Sie erreichten einen kleinen Hügel, von dem sie einen weiten Ausblick auf die vor ihnen liegende Schlucht hatten. Unter ihnen schlängelte sich der Weg stetig zwischen den hohen, steinernen Ungetümen des Grauen Gebirges weiter. An dieser Stelle war der Pass eine Viertelmeile breit. Entlang der Flanken der Berge erstreckte sich dichte Baumreihen, die jetzt unter meterhohem Schnee verborgen waren. Und Marie sah dort unten auch Bewegung. Es war eine Gruppe die sich bewegte und sie war erleichtert, da sie darin ihr Ziel erkannte. Zwar war die Gruppe zwischen zwei und drei Meilen entfernt, Marie konnte keine einzelnen Personen erkennen. Aber trotz des Schneefalls und der Entfernung erkannte sie die Farben ihres Vaters, die am Anfang der Kolonne gehisst waren und im Wind wehten. Die Gruppe bestand aus vielleicht fünfzig Personen, nur der Bannerträger und der Anführer waren beritten. In der Mitte der Gruppe rumpelte der Proviantwagen, von Ochsen gezogen.
„Eigenartig“, sagte Yves Leguerrand und deutete auf den Saum des Waldes.
Marie sah in dieselbe Richtung. Etwas löste sich von dem Wald. Es war eine lange Reihe von Reitern. Trotz der Entfernung konnte Marie erkennen, dass es sich dabei um äußerst hoch gewachsene Gestalten aus ebenso starken Pferden. Waren dies Ritter, die ihr Vater den Söldner als Eskorte entgegen geschickt hatte?
Doch je länger Marie diese Neuankömmlinge betrachtete, umso stärker beschlich sie der Eindruck, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Ihr Herz schlug schneller und in Verstand schrie ein Teil von ihr, dass sie ihr Pferd sofort zur Flucht wenden sollte. Wie paralysiert stand sie dagegen da und beobachtete ungläubig, wie sich die Reiter zu einer Angriffslinie formierten und beschleunigten.
„Große Herrin“, keuchte einer der Knappen, der auch erkannte, was hier vor sich ging.
Marie sah eine Gestalt, die den Angriff führte. Ein Riese unter den Menschen, in einer stacheligen, pechschwarzen Rüstung und einem hörnerbewehrten Helm. Ein Anblick, der sie an ihrer schlimmsten Alpträume erinnerte und ihren Drang zur Flucht nur noch bestärkte. Neben dem Anführer ritt der feindliche Bannerträger, und dessen Standarte, ein achtzackiger Stern, bewirkte bei Marie Übelkeit und ein Gefühl nie gekannter Ablehnung.
Die Kolonne hatte die Feinde auch bemerkt. Marie hörte gebellte Wortfetzen, als sich die Söldner zur Abwehr formierten. Ihre Hoffnung, dass die abgebrühten Veteranen dem Angriff standhalten würden, zerstoben bei der ersten Attacke. Die feindlichen Reiter fegten durch die Reihen der Söldner und besprengten den Schneeboden mit rotem Blut. Nur die langjährige Erfahrung im Kampf bewirkte, dass die Reihen der Söldner unter der Wucht des Ansturms noch intakt blieben.
Sir Berrick nahm seine Lanze aus der Halterung hinter seinem Sattel.
„Bereit machen“, befahl er zu den beiden Knappen.
„Was habt Ihr vor, Sir Berrick?“, fragte überraschenderweise Blondel, der Hofnarr.
Der angesprochene Ritter sah den Fragesteller mit einer gewissen Verärgerung an. „Was denkt Ihr denn, was wir hier tun? Wir werden den Söldnern zur Hilfe eilen.“
Zu jedermanns Überraschung ritt Blondel vor, und versperrte damit Sir Berrick den Weg.
„Ich rate Euch davon ab“, empfahl der Hofnarr entschlossen.
Auch Marie war erstaunt über den Wandel. Blondel schien eine völlig andere Person zu sein. Seine krumme, gebückte Haltung war gewichen. Auch saß hing er nicht mehr im Sattel, sondern saß aufrecht da. Hätte sie es nicht besser gewusst, dann hätte Marie gedacht, einen Krieger vor sich zu haben.
Sogar Sir Berrick schien beeindruckt. Dennoch wollte er sich von seinem Vorhaben nicht abbringen lassen.
„Gebt den Weg frei. Gute Menschen sterben dort unten.“
„Und Ihr gedenkt, mit vier Bewaffneten den Kampf zu ändern?“, konterte Blondel. „Die Schlacht ist verloren. Ihr reitet nur in den Untergang.“
„Es geht hier um mehr als simples Abzählen. Ich habe einen Eid als bretonischer Ritter geschworen. Aber was wisst Ihr denn schon von solchen Dingen?“
„Mehr als Ihr denkt“, entgegnete Blondel bedeutungsvoll.
„Geht zu Seite“, beharrte Sir Berrick und ritt drohend näher. Eine Konfrontation lag in der Luft.
„Da sieh doch einer an, was die Herren der Acht mir beschert haben“, sagte eine Stimme hinter ihnen. Marie fuhr herum wie der Rest ihrer Gruppe. Die Stimme gehörte zu einem Reiter. Sein Pferd war von starkem Wuchs, sogar größer als die bretonischen Streitrösser, jedoch mit rotglühenden Augen, wie ein wild gewordenen Raubtier. Abschreckender war jedoch der Reiter. Es war ein Mann von sehniger, schlanker Gestalt. Er trug eine dunkelrote Rüstung, jedoch nicht von bretonischer Machart und einen Helm mit einem weißen Haarbusch. Der Helm war so gestaltet, dass er einen freien Blick auf das Gesicht seines Trägers zuließ. Es war ein edles Gesicht, wohlgestaltet. Doch es waren die Augen und die abstoßenden Tätowierungen auf den beiden Wangen, die Marie abstießen. Die Augen des Reiters leuchteten vor kaum gezügelter Mordlust.
„Wer seid Ihr?“, fragte Sir Berrick überrascht.
Der fremde Reiter ritt näher heran. In seiner Haltung lagen sowohl Selbstsicherheit, als auch Arroganz.
„Euer Verhängnis“, sagte Schlächter bedrohlich, und in seiner Stimme lag keinerlei Mitgefühl.
Sir Berrick legte seine Lanze ein und gab seinem Pferd die Sporen. Die beiden Knappen folgten dem jungen Ritter. Yves beließ seine Lanze an ihrem Platz, stattdessen zog er sein Schwert und schloss sich ebenfalls dem Angriff an. Der kleine Hügel explodierte vor Gewalt. Schlächter wartete gelassen auf den Angriff, unbeeindruckt von der Tatsache, dass die lackierte Lanze des Ritters auf sein Herz zielte, und dahinter noch drei weitere Gegner warteten. Mit einer Bewegung, die so einfach und mühelos aussah, ließ er Berricks Angriff ins Leere gehen. So schnell, dass es kein menschliches Auge erfasste, zog Schlächter seine Waffe. Es war ein Krummsäbel mit einer handbreiten Klinge, die keinerlei Parierstange aufwies. Marie wusste nicht, dass diese Waffe Schaschka genannt wurde, die Waffe eines Kriegers aus der nördlichen Wüste. Der Schaschka fuhr in einem blitzenden Bogen herum und Sir Berricks Lanze wurde fein säuberlich in zwei Teile gespalten.
Schlächter hob sein Schwert und begegnete damit dem Angriff der beiden Knappen. Schlächter hatte keinen Schild, im Gegensatz zu den beiden Knappen, die ihn noch dazu mit angelegten Speeren attackierten. Schlächters Krummschwert blitzte wieder zweimal auf, und Marie kam es vor, als würde die Klinge selbst bei jedem Kontakt aufheulen. Einer der Knappen fiel mit einem Todesschrei auf den Lippen zu Boden, als sich das Dämonenschwert durch seinen Schild und seinen Brustkorb hieb. Noch bevor der zweite Knappe seinen Speer in die ungeschützte Seite Schlächters rammen konnte, war dessen Schaschka wieder in Position. Wieder blitzte das Krummschwert auf, dieses Mal trennte es jedoch den gesamten Waffenarm des Knappen ab. Instinktiv griff sich der Knappe mit der verbliebenen Hand nach seiner stark blutenden Wunde. Ein Fehler, da er damit ohne jede Deckung war. Ein Kopf flog zu Boden, das Gesicht zu einer grässlichen Fratze verzehrt, die das grausame, schmerzerfüllte Ende seines Besitzers dokumentierte.
Der Boden erbebte und plötzlich waren Yves und Berrick zur Stelle. Für einen Moment sah Marie die beiden Ritter, der prächtige Anblick der starken Krieger in ihren Rüstungen, und sie schöpfte wieder Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang. Und in der Tat schien sich das Blatt zu wenden. Sir Berrick und Yves Leguerrand, erfahrene, gestählte Ritter des Reiches nahmen intuitiv die richtige Position ein. Die beiden Ritter nahmen Schlächter in die Zange und bedrängten ihn hart. Hieb um Hieb prasselte auf den Chaoskrieger nieder. Bretonischer Stahl blitzte auf, die Streitrösser wieherten in feuriger Erregung, als die Ritter Schlächter immer weiter abdrängten.
Aber Schlächter war ein Auserwählter seiner dunklen Herren. Unter diesen vielen Segnungen war auch seine übermenschliche Reaktion. Innerhalb eines Wimperschlages erwiderte Schlächter den Abwärtshieb Berricks. Stahl traf auf Stahl und das Dämonenschwert jaulte auf, als es mit der gesegneten Klinge des bretonischen Ritters in Berührung kam. Doch die Chaoswaffe erwies sich als stärker, und das Schwert des Ritters zersplitterte. Sir Berricks Augen weiteten sich ungläubig, eine Geste die aufgrund seines geschlossenen Visiers nicht gesehen werden konnte. Doch es war zu spät, Schlächters Krummschwert traf seinen Brustpanzer und Sir Berrick segelte in einer Blutfontäne von seinem Pferd. Marie schrie entsetzt auf, als sie den tapferen Ritter fallen sah. Doch es sollte nicht ihr letzter Schreck an diesem Tag bleiben.
Angespornt und gewarnt von dem Schicksal seines Kampfgefährten bedrängte Yves Leguerrand seinen Gegner erneut. Er war nun der letzte Widerstand und er fürchtete sich vor dem Gedanken, was diese Bestie mit Lady Levaliere anstellen würde, sollte er fallen. Doch es war nicht er, der fiel. Da sich seine Deckung als undurchdringlich erwies, änderte Schlächter seine Taktik. Der Chaoskrieger täuschte einen hohen Hieb mit seinem Krummschwert an. Erwartungsgemäß hob Yves seinen Schild um dem Angriff zu begegnen. Überraschend fuhr Schlächters Schaschka in einem Bogen hinab. Yves reagierte mit seinem Schwert, um einem Stich gegen seinen Unterleib vorzubeugen. Doch Schlächter hatte ohnehin nicht auf den Ritter gezielt.
Aufgrund ihrer Verfolgung der Söldner hatten beide Ritter auf schwere Rüstung für sich und ihrer Reittiere verzichtet. Normalerweise war auch ein bretonisches Streitross mit einem Panzer an seinen Flanken und am Hals versehen. Doch bei ihrem Aufbruch hatte keiner von ihnen damit gerechnet, in ernsthafte Kampfhandlungen verwickelt zu werden. Ein Fehler, den Yves Streitross mit seinem Leben bezahlte. Schlächters Schwert fuhr mühelos durch die Schabracke und den darunter liegenden Hals und trennte den Kopf des Pferdes an. Derart getroffen, brach das Pferd auf der Stelle zusammen und begrub seinen Reiter unter sich. Yves schrie auf, als er von mehreren hundert Pfund seines toten Reittiers begraben und sein Bein eingeklemmt wurde.
Schlächter wendete sein Pferd und funkelte Marie Levaliere bedrohlich an.
„Die dunklen Götter waren mir wohlgesonnen“, sagte er mit einer eisigen Stimme. „Und du wirst ihr Dankopfer sein.“
Er gab seinem Pferd die Sporen, die Mordlust in seinen Augen erschreckte Marie mehr, als das bedrohlich erhobene Schwert. Etwas traf den Chaoskrieger mit voller Wucht. Zwei Pferde und zwei Reiter gingen einem unidentifizierbaren Gewirr zu Boden. Marie konnte ihren Augen nicht trauen. Blondel, der ungerüstete, tollpatschige Hofnarr hatte den feindlichen Krieger, der mit solcher Leichtigkeit vier Gegner besiegt hatte, mit seinem Pferd gerammt. Und Blondel war bereits wieder auf den Beinen, während die beiden Pferde noch ineinander verschlungen waren und wieherten. Ein Schwert erschien in seiner rechten Hand Marie fragte sich, woher der Narr diese Waffe hatte. Doch etwas an der Art, wie der Narr das Schwert hielt, verriet ihr, dass Blondel nicht ungeübt im Umgang mit einer Klinge war.
Schlächter tauchte wie ein lebendiger Alptraum hinter der Masse der am Boden liegenden Pferde auf. Mit einem markerschütternden Aufschrei sprang er Blondel an. Alles, was in den letzten Minuten vorgefallen war, sprach dagegen, dass der Narr auch nur eine Sekunde überleben würde. Doch gegen alle Wahrscheinlichkeit wehrte Blondel die ungestümen Attacken des Chaoskriegers ab. Wieder und wieder sauste der Schaschka mit tödlicher Präzision hinab und jedes Mal konnte der Narr ausweichen. Genau wie Schlächter starrte Marie Levaliere ungläubig auf Blondel. Der Narr schien eine völlig andere Person zu sein. Verschwunden war der tollpatschige Narr, der sich an einem zugeworfenen Schwert den Finger geschnitten hatte. Jede Finte, jeder Hieb endete an der entschlossenen Gegenwehr von Blondels Langschwert. Stahl wehrte jede Attacke des Dämonenschwerts ab, das bei jeder Berührung mit dem bretonischen Stahl noch schriller aufjaulte als wäre es frustriert. Mit anmutiger Gewandtheit führte Blondel sein Schwert und ging sogar in die Offensive. Und tatsächlich war Schlächter auf dem Rückzug. Marie hörte über das Klirren der Schwerter jedoch ein weiteres Geräusch, ein Stöhnen. Leichtfüßig glitt sie von ihrem Sattel. Die Quelle entpuppte sich als Yves. Schnell eilte sie zu ihm, während der Zweikampf hinter ihn noch weiter tobte.
Das Bein ihres Freundes war eingeklemmt, doch Yves mühte sich schon ab. Im Gegensatz zu Berrick trug Yves Leguerrand einen einfachen Rundhelm, darunter eine Kettenhaube. So konnte Marie sein schmerzverzerrtes und blasses Gesicht sehen. Yves sah auf, als sie sich ihm näherte. Wortlos kniete sich Marie hin, um dem jungen Ritter zu helfen.
„Bring dich in Sicherheit“, keuchte Yves.
Marie sah ihn an und schüttelte entschieden den Kopf. „Stell dich nicht so an, und hilf mir lieber.“
Yves lächelte matt. „Was denkst du, dass ich hier mache?“
Gemeinsam versuchten sie, den Pferdekadaver zur Seite zu schieben. Mit einiger Anstrengung gelang es ihnen auch. Yves Leguerrands Bein erschien, blutig und zerquetscht. Der Anblick brach Marie das Herz. Sie riss einen Ärmel von ihrem Kleid und begann damit die blutenden Wunden zu versorgen.
Ein Schatten ragte hinter ihr auf. Marie drehte sich um und schrie vor Entsetzen. Es war Schlächter, seine Augen waren der Abgrund allen menschlichen Seins.
„Jetzt zu dir, meine Kleine“, sagte der Chaoskrieger.
Yves richtete sich auf seine Knie auf, wobei er vor Schmerzen brüllte. Trotzig erhob er sein Schwert. Schlächter schmetterte es mit Leichtigkeit zur Seite, die bretonische Klinge flog in hohem Bogen zur Seite. Dennoch schob Yves Marie hinter sich.
„Jetzt sterbt ihr“, prophezeite Schlächter.
„Mögen die Götter dich verfluchen“, erwiderte Yves voller Hass.
„Oh das haben sie“, entgegnete Schlächter hämisch. Er verzerrte sein Gesicht zu einer lustvollen, abstoßenden Fratze in Begierde auf das anstehende Blutbad.
Sein Gesicht änderte sich in Ungläubigkeit und Schmerz, als sich ein Schwert durch seinen Rücken bohrte und die Spitze aus seinem Bauch herausragte.
Blondel, sein Gesicht blutüberströmt, erschien hinter Schlächter.
„Fahr hinab in die Verdammnis“, knurrte Blondel. Er zog sein Schwert hinaus, und ein Schwall Blut, der bewies das Schlächter durchaus menschlich war, quoll heraus. Trotzdem fuhr Schlächter herum, sein Krummschwert beschrieb einen blitzenden Bogen. Genauso schnell fing Blondel den Angriff ab. Seine Hand umfasste Schlächters Schwertarm mit stählernem Griff und stoppte die Attacke, noch bevor sie ihn erreichte.
Blondel hielt Schlächter in der Umklammerung. Langsam, ganz langsam wich das Leben aus dessen Augen. Schlächter erschlaffte, sein Schwert fiel ihm aus der Hand. Mit einem abstoßenden Fluch auf seinen Lippen starb der Chaoskrieger. Wortlos warf ihn Blondel auf den Boden.
Marie hatte dies Alles mitverfolgt. Nun, wie aus einem Alptraum, erwachte sie wieder. Ihr Blick fiel auf Yves. Mühsam richtete sich dieser wieder auf die Knie. Marie bückte sich zu ihm, doch Yves bedeutete ihr, dass alles in Ordnung sei. Sie wusste, dass es eine Lüge war, aber die folgenden Worte änderten alles.
„Kümmere dich um Berrick“, keuchte Yves und zeigte in dessen Richtung.
Marie fürchtete, was sie erwarten würde, dennoch rannte sie zu dem am Boden liegenden Berrick. Berrick rührte sich nicht, sein Körper lag regungslos da. Vorsichtig nahm ihm Marie den Helm ab. Blondel kam hinzu, und kniete sich nieder.
„Er atmet nicht“, sagte Marie voller Verzweiflung, Tränen standen ihr in den Augen. Blondel nahm dem Ritter einfach die Armschiene ab. Er hielt sie Berrick vor das Gesicht. Der Stahl beschlug sich.
„Seht doch, er atmet. Verbindet seine Brustwunde“ Marie nahm diese Meldung mit Erleichterung zur Kenntnis. Nach Jeromes Weggang wäre dieser Verlust für sie untragbar geworden. Gemeinsam nahmen sie Berrick die Überreste seines Brustpanzers ab. Ihr zweiter Ärmel wurde ein Opfer, als sie die blutende Brustwunde verband. Blondel stand auf.
„Wir müssen uns beeilen. Sein Blutverlust war hoch, und hier ist es nicht sicher.“
Der Narr ging zu den beiden Knappen. Beide waren jedoch tot, der zweite war während des Kampfes verblutet. Yves humpelte zu Marie, aufgrund seiner Verletzung blieb er neben ihr stehen. Blondel kehrte zurück, die übriggebliebenen Pferde an ihrem Zaumzeug haltend. Es waren Maries Zelter, die beiden Pferde der Knappen, Berricks Streitross und Blondels eigenes Tier.
„Wir müssen hier weg“, beharrte der Narr erneut. Er sammelte Yves Lanze und die Speere der beiden Knappen ein, dazu deren Mäntel. Mit kundiger Hand fertigte er daraus eine Art Trage. Vorsichtig montierte er sie zwischen den beiden Pferden der verstorbenen Knappen. Dann hob er den immer noch bewusstlosen Berrick auf, und legte ihn in die Trage. Er half außerdem Marie und dem verletzten Yves in den Sattel und reichte ihm dessen Schild. Blondel selbst nahm Berricks Schild und schwang sich auf sein eigenes Reittier. Obwohl ihm die Rüstung fehlte, sah er nun doch wie ein vollendeter Ritter aus.
„Lasst uns aufbrechen“, sagte Blondel, und seine Stimme war erfüllt von einer natürlichen Autorität, die es gewohnt war Befehle zu erteilen, die auch ausgeführt wurden.
„Ich danke Euch für unsere Rettung“, sagte Marie.
„Doch zuvor verratet mir Euren Namen. Euren wahren Namen“, betonte sie.
Blondel nickte lächelnd. „Ihr habt mich durchschaut, Milady. Euer Geist kann sich durchaus mit eurer Schönheit messen.“
„Galant, doch noch ist euer Name nicht gefallen, werter Sir“, beharrte Marie.
„Nun denn. Wenn Ihr so begierig auf den Namen seid, dann sollt Ihr ihn erfahren.“ Eine dramatische Pause folgte. Doch weder Marie, noch Yves waren auf die folgenschwere Offenbarung vorbereitet.
„Mein Name ist Graf Adalbert. Ich bin der Schwertträger unseres gesegneten Königs Leoncoeur. Und nun sollten wir unseren Pferden die Sporen geben.“