WHFB Questritter- Das Leben des Jerome de Montfort

Knight-Pilgrim
Supi, es geht weiter. Ein schönes Gefecht, wenn auch nicht sehr ritterlich, aus dem Hinterhalt anzugreifen.

Naja, auch ein Ritter muss nicht strunzenblöd sein. Außerdem glaube ich kaum, dass die Goblins beim König Beschwerde wegen Verletzung des Ritterkodes einlegen werden. 😉

Forget
Ohh, nur Nachtgoblins? Die sind ja nicht einmal eine richtige aufwärm Übung für die eiserne Ritter Elite! :happy:
Aber ein schöner Kampf der nach mehr fordern lässt! 😀
Müssen die Chaosjungs halt noch wartn bis sie dran sind und niedergemetzelt werden.
Keine Sorge, die Burschen kommen schon auf ihre Kosten.
 
2.11 Die Sonne war untergegangen, Dunkelheit hüllte die Umgebung ein. Kentauron saß auf seinem ebenso finsteren Kriegspferd, welches mit seinen Nüstern zischte. Es war ein Laut, die man eher einer Schlage zutraute, denn einem Pferd. Die Augen des Pferdes leuchteten bösartig in der Dunkelheit, ebenso wie die rotglühenden Augen Kentaurons selbst. Am Himmel erschien er, das Omen der dunklen Götter. Der Mond Morrslieb in seiner ganzen Pracht, sein schummriges grünes Licht lächelte auf ihn uns seine Männer hinab. Kenautron spürte, wie die eingravierten Symbole seiner Rüstung aufleuchteten, als das Mondlicht auf sie fiel. Und er merkte, wie sie seine Kräfte stärkten. Seine Kriegsbande war bereit.

Sogar Schlächter, dessen drahtige Gestalt auf dem Pferd neben ihm saß, und dem trotz seiner betont lässigen Art, die Anspannung durchaus anzumerken war.
„Es ist soweit“, sagte Schlächter in seinem gefühlskalten, gelangweilten Tonfall.
„Ihr müsst mich nicht daran erinnern“, stutzte ihn Kentauron zurecht. Sollte er ihn doch zu einem Duell herausfordern, in einer Nacht wie dieser, konnte er es sogar mit einem Geschöpf wie Schlächter aufnehmen. Sollten die Vier entscheiden, wer mehr in ihrer Gunst stand. Doch Schlächter schien diese Gelegenheit nicht nutzen zu wollen.
Dennoch musste Kentauron eingestehen, dass Schlächter in diesem Punkt Recht hatte. Ihr Meister war sehr direkt in seinen Anweisungen gewesen. Und hatte es mit dem unmissverständlichen Hinweis versehen, dass der Zeitpunkt gekommen war.

Kentauron zog seine Axt aus der Sattelschleife und streckte sie in die Höhe. Morrsleib grünliches Licht spiegelte sich auf der gewaltigen Doppelklinge.
„Reiter der Verderbnis. Holt euch eure rechtmäßige Beute. Verschont niemanden!“, rief Kentauron, während der unersättliche Blutdurst Khornes in ihm aufstieg. Seine Krieger heulten ihren Schlachtruf in den Himmel, ein abscheulicher Fluch bei dem sich einem der Magen umdrehte.
Kentauron führte seine Kriegsbande den Hügel hinab. Zuerst in leichtem Trab, steigerte sich das Tempo bis zum wilden Galopp, da jeder von ihnen als Erster ein Opfer den Vier Göttern des Chaos darbringen wollte. Schlächters schönes, kühles Gesicht war entstellt von unmäßiger Begierde nach Schmerz und Leid, eine Fratze, die einem das Fürchten lehrte. Kentauron lächelte in Vorfreude, als das Licht näher kam. Die Feuerstätten der nichtsahnenden Dorfbewohner. Ihr ruhiger Schlaf würde bald einem grausigen Erwachen weichen, wenn Kentauron die Schädelpyramide zu Ehren des Chaos errichten würde. Er sah an seine Seite auf Schlächter, der es offenbar nicht mehr erwarten konnte. Doch zuerst, lächelte er befriedigt, werde ich mir ein wenig Spaß gönnen.

***

Es gab keinen Zweifel mehr, das Dorf brannte lichterloh. Selbst aus dieser Entfernung konnten sie das gequälte Blöken der Schafe, und das schmerzentstellte Schreien der Rinder hören, die bei lebendigem Leib in ihren Ställen verbrannten. Der Anblick steigerte Bertrands Wut ins Unendliche, als er zum tatenlosen Zusehen verdammt, auf dem Wehrgang stand. Neben befanden sich die Bauern, mit Speeren und Bögen bewaffnet.
Wie müssen sie sich fühlen, fragte Bertrand sich. Nun, da ihre gesamte Lebensgrundlage ein Raub der Flammen wurde. Es war ein beklemmender Anblick und eine unerträgliche Situation, da niemand ein Wort sagte. Kein Aufschrei der Wut oder Verzweiflung. Zuerst, als die erste Fackel ihre Nahrung in den mit Stroh gedeckten Dächern gefunden hatte, waren Rufe auf den Mauern zu hören gewesen. Doch nun, da das gesamte Dorf brannte, waren sie verstummt. Die stumpfe Niedergeschlagenheit und Gewissheit, dass die Goblins nicht zum Plündern gekommen waren. Sie sendeten damit eine klare Botschaft, dass ihr einziges Ziel die vollständige Vernichtung der Menschen in diesem Tal war. Und nur noch die Burg der Duries, ein Wachturm und drei steinerne Mauern, in deren Schutz sich die verängstigten Dorbewohner kauerten, standen zwischen den Grünhäuten und der Erfüllung ihrer fürchterlichen Agenda.

Und wie ein drohendes Omen dieses Versprechens, kam die Horde der Goblins näher. Vor dem Hintergrund des brennenden Dorfes konnte Bertrand ihre kleinen, gemeinen Gestalten besser erkennen. Er schätzte ihre Zahl auf mehr als zweihundert. Zweihundert gegen nicht annähernd fünfzig, wovon nur acht ausgebildete Kämpfer waren, und der Rest Leibeigene, denen man alle martialische Aggression ausgetrieben hatte. Entgegen dem Flehen seiner Schwester und dem Rat der Dorfheilerin, stand auch Chlod auf der Mauer. Jerome de Montfort verteilte die erfahrenen acht Männer so, dass jeweils zwei von ihnen auf der Mauer waren, während zwei weitere auf dem Turm standen. Der Turm selbst war vollgestopft mit den Zuflucht suchenden Dorfbewohnern. Den Alten, Kindern und Frauen.
Jeder andere im kampfesfähigen Alter hatte eine Waffe in die Hand bekommen. Neben Bertrand stand ein Junge der vielleicht vierzehn Sommer zählte und dennoch einen Bogen in seinen nervösen Fingern hielt. Der Köcher mit den Pfeilen hing über seine schlaksige Knabenschulter. Bertrand lächelte dem Jungen aufmunternd zu. Er selbst war nur drei Jahr älter, aber wahrscheinlich schon kampferprobter, als alle Leibeigenen dieses Lehens zusammen. Auch das war wenig erfolgsverheißend.
Nun denn, es gab keine angenehme Methode, diese Art von Erfahrung zu machen. Sie würden alle in den nächsten Minuten den drastischen Unterschied zwischen Leben und Tod erfahren, wenn der Schlachtenlärm einsetzen und das Morden beginnen würde.

Die Goblins schnatterten siegessicher, stachelten sich untereinander an. Ihre Schamanen verabreichten Pilzbier, welches die kleinen Grünhäute zu wild gewordenen Fanatikern aufputschte. Doch wenngleich ihre fiesen Äuglein nun vor Wildheit und Blutdurst gleichermaßen funkelten, waren die Goblins doch klug genug, um dem Rausch nicht in einem unkoordinierten Angriff zu erliegen. Immerhin waren sie auch die Verschlagensten unter den Grünhäuten. Mehrere der kleinen Goblins schleppten Vorrichtungen heran, Überdimensionale Schilde, die sie aus den Dächern der Häuser und aus Tierhäuten konstruiert hatten. Die Bogenschützen gingen dahinter in Stellung, und begannen, ihre Pfeile auf die Menschen abzufeuern.
Es war der Beginn der Schlacht.

Und es war das Zeichen für die Verteidiger, den Beschuss zu erwidern. Bertrand legte einen Pfeil an den Bogen, und spannte die Sehne. Er erkor sich ein Ziel aus, ein kleiner Goblin, der zwischen zwei Schilden hin und her wuselte. Bertrand folgte dem Lauf der kleinen Grünhaut. Der Pfeil schnellte mit einem Surren von der Sehne, das Surren ging im Schlachtenlärm unter, doch Bertrand glaubte es zu vernehmen, sowie den Schrei als der Pfeil den Goblin traf, und zur Seite schleuderte. Die Grünhaut rührte sich nicht mehr, der Pfeil ragte senkrecht aus dessen Brust in den Nachthimmel.

„Feuerpfeile!“, befahl jemand. Bertrand nahm einen Pfeil aus dem Köcher, dessen Spitze mit einem ölgetränkten Lappen umwickelt war. Er führte die Spitze in die Flamme der Kohlepfanne. Auf der gesamten Mauer taten es ihm andere Bogenschützen gleich.
„Feuer!“, schrie dieselbe Stimme. Brennenden Geschosse regneten vom Himmel herab, beleuchteten den Himmel, als wären es Kometen, die die Erde streiften. Einige Pfeile fanden ihr Ziel, Goblins quiekten, als sie getroffen wurden. Manche der Geschosse schlugen in den Schutzdächern ein, deren Stroh eine willkommene Quelle für die Flammenzungen darstellte.
Zwei der Schutzdächer brannten bereits lichterloh. Die Goblins antworteten mit wütendem Gegenbeschuss. Ein Mann fiel schreiend in den Innenhof, seine Hände an dem Pfeil, welcher in seiner Brust streckte.
Chlod stürzte herbei, an seiner Stirn eine Risswunde, die heftig blutete.
„Sie haben zwei Steintrolle“, rief er verzweifelt. Er fasste Bertrand am Arm.
„Geh zum Tor, ich halte hier die Stellung“, brüllte er Bertrand zu.
Bertrand rannte die Mauer entlang. Er passierte Bogenschützen, die hinter den Zinnen geschützt auf ihre Ziele feuerten. Der Schlachtenlärm war überall, Rauch drang in Bertrands Nase und reizte seine Kehle.

Hustend erreichte er das Tor. Die Zugbrücke war eingezogen, und einige Goblinpfeile steckten in den schweren Holzplanken, als würden deren Anwesenheit bereits reichen, um den Eingang zur Befestigung zu Fall zu bringen. Wesentlich größer Chancen darauf hatte hingegen die neu eingetroffene Verstärkung der Nachtgoblins. Unter den kuttenbewehrten Gestalten befanden sich zwei Vertreter einer Spezies, die jedem Mann das Fürchten lehren konnten. Die beiden Steintrolle, mit groben Steinäxten bewaffnet waren immerhin fünfmal so groß wie die kleinen, fiesen Grünhäute und damit auch größer als jeder Mensch. Dennoch befand sich um den Hals der Trolle ein eiserner, stachelbewehrter Kragen, welcher jeweils in einer langen Kette endete, die ein Goblin in der Hand hielt. Zwei weitere Trolldompteure hatten in ihren Händen lange, vierschwänzige Peitschen, mit denen sie die großen Trolle aufputschten. Unter anderen Umstanden hätte sich Bertrand sicher darüber gewundert, dass solch große und starke Wesen sich von weitaus kleineren Geschöpfen herumkommandieren ließen. Aber die Situation war durchaus ernst, stellte die Anwesenheit der Steintrolle doch eine unmittelbare Bedrohung dar. Die Dompteure befreiten die Trolle von ihren Ketten und trieben sie mit Peitschenhieben zum Angriff.

Die Goblinschar begann die Mauer mit einem Pfeilhagel zu bedecken, während die Trolle auf das Tor vorrückten. Bertrand und die anderen waren gezwungen hinter der Brüstung in Deckung zu gehen. Einer der Leibeigenen spannte seinen Bogen und trat aus der Deckung heraus. Sein Pfeil schnellte hinab und der mit voller Kraft abgefeuerte traf einen Troll in dessen Hals. Der Steintroll schwankte für einen Moment, doch dann folgte er seinem Artgenossen wieder.
Ungläubig blickte der Bretonen zur Seite. Geistesgegenwärtig zog ihn ein Anderer in Deckung. Zwei Pfeile sausten durch die Luft, an der Stelle, wo sich vor einem Augenblick noch der Schütze befunden hatte.
„Ich habe Ihn getroffen. Ich habe seine Kehle getroffen“, stammelte der Mann fassungslos.
Bertrand nickte grimmig. Er sah zum nächsten Verteidiger.
„Holt einen Bottich Öl aus der Speisekammer. Sagt der Köchin, Bertrand schickt Euch.“ Der Mann nickte, und eilte die Leiter hinunter.
„Und wir?“, fragte ein Weiterer.
„Habt ihr noch Feuerpfeile?“, erkundigte sich Bertrand.
„Noch drei, Herr“, antwortete ein schmächtiger Bogenschütze.
„Noch zwei Herr“, sagte ein kahlköpfiger Mann.
Bertrand selbst verfügte noch über zwei Feuerpfeile. „Jeder mit Brandpfeilen feuert auf die Trolle. Der Rest auf die Goblins.“ Die Bauern sahen ihn an und nickten.
„Für die Herrin!“, rief Bertrand und erhob sich aus seiner Deckung.
„Für die Herrin!“, erwiderten die Anderen.

Die Trolle erreichten inzwischen die hochgezogene Zugbrücke. Sie wateten in den Graben, das Wasser reichte ihnen nicht einmal bis zur Hüfte. Mit ihren mächtigen Äxten holten sie aus, und schlugen auf die schweren Holzplanken ein. Jeder Schlag ließ die gesamte Mauer erzittern. Aber Bertrand und die restlichen Bretonen waren wieder auf ihren Beinen und erwiderten den Beschuss. Bertrand feuerte den ersten Feuerpfeil auf den Troll direkt unter ihm. Zu seiner Überraschung gab der Troll ein Jaulen von sich, als ihn das flammende Geschoss in der Schulter traf. Zwei weitere Pfeile flogen in seinen Rücken, und der Troll begann zu winseln, wie ein verletzter Hund. Der vierte Pfeil traf seine Kehle, und der Steintroll wankte, bis er schließlich mit einem lauten Platschen in den Graben fiel und sein gigantischer Körper in dem schlammigen Wasser versank. Jubel machte sich unter den Bretonen breit. Die Goblins intensivierten ihren Beschuss, als sie den Tod des Steintrolls bemerkten. Der zweite Troll bellte wütend beim Anblick des Todes seines Gefährten und drosch voller Wut mit seiner Axt auf das Tor ein, dessen Holz bereits erste Risse zeigte.
Einer der Bogenschützen spannte einen brennenden Pfeil auf den Bogen und machte sich feuerbereit. Bevor er jedoch schießen konnte, traf ihn ein Goblinpfeil, und der Mann fiel schreiend in den Burggraben.

Von unten klang das Hämmern der Trollaxt, die langsam aber sicher die Zugbrücke in Kleinholz verwandelte. Bertrand nahm seinen letzten Feuerpfeil und schoss auf den Troll. Doch in diesem Moment drehte sich der Steintroll, als er mit seinem langen Arm, zu einem weiteren epischen Hieb ausholte, und der Pfeil landete zischend im Wasser. Der Troll blickte hinauf, zu Bertrand, und der junge Knappe sah die mörderische Lust in den Augen des Ungeheuers. Der zweite Schütze traf mit seinem letzten Pfeil, der direkt neben dem ersten Pfeil steckte, und der Troll jaulte vor Schmerz auf. Doch der Treffer schien ihn in seinem Vernichtungswerk zu beflügeln, denn er beschleunigte seine Schläge auf das marode Tor.
Bertrand betete zur Herrin, denn ohne ihr Eingreifen würde das Tor bald fallen. Und wer könnte den blutrünstigen Troll dann stoppen?

„Seht, Lancel ist zurück!“, rief einer der Leibeigenen, und zeigte in den Hof. Der Leibeigene war zurückgekehrt mit einem Bottich voller Flüssigkeit, die bei jedem Schritt über den Rand stoppte. Gemeinsam hievten sie den Bottich auf die Mauer und halfen Lancel hoch.
„Die alte Köchin ist wirklich eine Furie“, lachte er. „Erst als ich ihr sagte, dass das Öl für Euch ist, hat sie es mir gegeben.“
„Wir haben wenig Zeit für Späße“, ermahnte ihn Bertrand. Er nahm den großen Bottich hoch. „Helft mir“, befahl er. Weitere Hände streckten sich aus und gemeinsam gossen sie den Inhalt über den Troll. Der bellte nur wütend, und jagte einen weiteren vernichtenden Hieb in das zersplitternde Holz der Zugbrücke.
„Eine Fackel“, rief Bertrand und streckte die Hand aus. Jemand reichte ihm eine. Der Troll schlug weiterhin die Zugbrücke kurz und klein. Ein kleines Loch klaffte bereits darin, weitere Planken waren kurz vor dem Brechen.
Bertrand warf die Fackel.

Es gab ein tosendes Geräusch, als die Flammen den ölgetränkten Körper trafen, und sich entzündeten. Eine Stichflamme schoss in den Himmel, sogar höher als die Brüstung der Mauer. Der Troll jaulte auf, während der Ölfilm das Wasser sogar rund um ihn entzündete. Er ließ von dem Tor ab und kletterte aus dem Burggraben, doch es war für ihn zu spät. Das Feuer übernahm, was Pfeile und Speere nicht schaffen konnten. Nach wenigen Schritten sackte der Troll zusammen und blieb liegen, während die Flammen weiter an seinem verbrannten Körper leckten. Bertrand jubelte wie der Rest der anwesenden Bretonen, bis jemand schrie: „Das Tor! Das Tor brennt.“
Entsetzt sah Bertrand hinab und erkannte, dass die Flammen auf die hölzerne Zugbrücke übergriffen. Was die Trolle begonnen hatten, beendete nun ihr eigenes Feuer. Schwarzer Rauch quoll bereits hinauf. Bertrand erkannte, dass ihre Stellung hier nicht mehr haltbar war.
„Zieht euch zurück“, rief er.

Seine Parole wurde durchgegeben. „Rückzug“ und „zum Turm“ klang es von überall her. Auch auf den restlichen Mauern wichen die Verteidiger zurück, als die Goblins Sturmleitern anlegten. Zwar konnten sie einige der Träger mit Pfeilen niederstrecken, doch es waren einfach zu viele Grünhäute. Andere nahmen die Leitern und legten sie an. Bald waren die ersten Goblins auf der Mauer, wo sich die Verteidiger Mann gegen Grünhaut der nachströmenden Flut von Angreifern erwehren mussten. Zahlenmäßig unterlegen, konnten sich die Verteidiger dem Ansturm auf Dauer nicht erwehren. Eine Niederlage schien unvermeidlich. Einzig der Turm bot noch Hoffnung auf Schutz und Widerstand.
 
Forget
So dann leg ich auch wieda mal los.
Zu unserer weiblichen Protganisten: Könnte da sich eine art zweckfreundschaft mit Rainald herrausschlagen lassen? Ich hoffe gerade stark das sich da ein etwas Intreganteres Spiel anbahnt. Sozusagen als abwechslung zu den ganzen Metzeleien in die sich Bertrand uns sein Lehenseherr hineinwerfen werden. :happy:

Da hast Du die zukünftige Erzählstränge vorweg genommen!
Tatsächlich geht es genau darum, Marie Levaliere versucht dem Rätsel in Montfort auf die Spur zu kommen. Das Trio reitet und kämpft sich durch die bretonischen Lande. Mal sehen, wie ihr meine Versuche diesbezüglich weiter beurteilt.

Vielen Dank für die Kommentare. Anhand der Zugriffe erkenne ich (nicht ohnen einen Anflug von Stolz, muss ich zugeben), dass die Geschichte doch einen recht guten Anklang findet :wub:
[Bis mir yinx wieder eine ellenlange Liste mit Rechtschreib- und Logikfehlern sendet 😉]
Dann stürze ich mich drei Tage in die Depression und schreibe darauf ein düsteres, hoffnungsloses Kapitel 😉😉
 
Coole Schlacht, auch wenn ich finde das die Trolle zu schnell ins Grass beißen.
Und nur zweihundert Nachtgoblins gegen fünzig betronische Bauern und zwei Rittern?
Die Schlachten die Jungs doch noch vor dem Frühstück ^^
ich finde es ziehmlich schade das die Fanatiks nicht ins spiel gekommen sind. Aber ich hoffe mal das sich das im nächsten teil ändern wird
 
2.12

Zwei Trolle und mehr als siebzig Nachtgoblins lagen tot vor den Mauern des Turms, doch diese stattliche Anzahl war nicht entscheidend. Der Feind war über die Mauern gelangt, die großen Verluste schienen die kleinen Grünhäute im Gegenteil sogar anzustacheln. Panik befiel die Leibeigenen, und aus dem geordneten Rückzug wurde kopflose Flucht. Ständig angetrieben von der größer werdenden Anzahl von Goblins, die über die Mauern strömten. Mordlust leuchtete in deren roten Augen und sie stießen ihre schrillen und lauten Rufe aus, die Bertrand in den Ohren schmerzten.
Bertrand fand sich eingeklemmt in der Menge der fliehenden Leibeigenen, die sich in Richtung des Turms bewegte. Unfähig, sich selbstständig zu bewegen, ließ er sich mit der Strömung treiben. Am Fuß der Treppe kam er schließlich frei. Jerome de Montfort und Reynald le Durie standen dort, beide voll gerüstet. Bertrand sah sich hektisch nach Melisandes Bruder Chlod um, konnte ihn jedoch in dem Gewirr nicht erkennen. Vielleicht war er ja über die bereits verschlossene Pforte in der Mauer in den Turm gelangt. Bertrand betete zur Herrin, dass zumindest Chlod in Sicherheit war, um Melisande zu trösten.
Jerome de Montfort reichte Bertrand dessen Schild.

„Wir müssen diesen Männer Zeit verschaffen“, sagte er knapp und klappte sein Helmvisier hinunter. Bertrand legte den Bogen zur Seite und nahm den Schild in seine Linke.
Und dann war der Feind auch schon in Reichweite.
Mehr als zwanzig Nachtgoblins umschwärmten sie, während die drei Männer den Rückzug der restlichen Bauern abdeckten. Ein Goblin in seiner schwarzen Kapuze gackerte boshaft, als er sich mit einem Kurzspeer auf Bertrand stürzte. Bertrand ließ den Angriff an seinem Schild abgleiten und stieß dem verdutzt dreinblickenden Goblin das Schwert in die Brust. Mit einem schmatzenden Geräusch löste sich die Klinge wieder aus dem Fleisch der Grünhaut und keine Sekunde zu spät, da eine Dreiergruppe von Feinden mit sichelförmigen Schwertern auf ihn losging. Bertrand hatte alle Mühe, die koordinierten Attacken abzuwehren. Von seiner Seite, aber außerhalb seines Blickfeldes hörte Bertrand den Schlachtruf Reynald le Duries.
„Durendal und Durie!“ Reynald, der ohne Helm focht, erschlug einen Goblinhäuptling mit einem überdimensionalen Helm und sah sich dann mit seinem Schoßtier, einem blutroten Squigg und dessen reißzahnbewehrten Maul und scharfen Krallen konfrontiert.
Die Zugbrücke brannte immer noch, Goblins kamen über die Sturmleitern und schlossen sich dem Angriff an. Die verbliebenen Verteidiger nahmen sie durch Schießscharten und von der Turmspitze mit Wurfspeeren und Pfeilen aufs Korn. Zahlreiche Geschosse fanden ihr Ziel, doch mehr als fünfzig Goblins befanden sich nun im Innenhof, und die Lage für die drei Verteidiger wurde immer prekärer.

„Wir müssen zurück“, übertönte Jerome den Schlachtlärm. Bertrand folgte dem Befehl und zog sich Stufe um Stufe zurück. Ein harter Schlag traf seine Schildhand und wirbelte ihn herum. Ein schwarzer Pfeil steckte in seinem Schild. Doch dafür war jetzt keine Zeit, da es galt, geordnet zurück zu weichen. Reynald folgte Bertrand. Als letzter ging Jerome, der kämpfte, als wäre er der grüne Ritter persönlich. Zehn Goblins waren bereits unter seinen Hieben gefallen, und mit jedem Streich seines Schwertes gesellte sich ein weiterer von ihnen in Morrs Reich.

Unerbittlich stand der Ritter auf seinem Posten. Jeder Feind der in seine Reichweite kam, erlag dem aufblitzenden Stahl. Bertrand stand an der Seite seines Herrn, deckte dessen Rücken mit seinem Schild gegen die Pfeile der feindlichen Bogenschützen die verzweifelt hofften, mit ihrem Distanzbeschuss den unbesiegbaren Gegner zur Strecke zu bringen. Doch so lange sie auch die Stellung hielten, gegen die verbleibenden Feinde waren sie auf Dauer verloren. Schon näherten sich mordlüsterne Goblins dem Stall um sich wenigstens an den Pferde zu rächen. Und eine weitere Gruppe von Bogenschützen postierte sich auf der Mauer, um die drei Verteidiger unter Beschuss zu nehmen.

Da öffnete sich plötzlich die Pforte, und die bretonischen Leibeigenen strömten mit gezückten Waffen heraus.
„Für die Herrin und Durie“, war ihr Schlachtruf. Ein hochgewachsener Mann in Rüstung und Vollvisierhelm führte sie an. Der Helm trug auf seiner Spitze einen Schmuck, der einen Turm darstellte. In neuem Mut entflammt, strömten die Verteidiger auch aus der zweiten Pforte, sowie aus dem Haupteingang des Turmes. Sie sprangen die Treppe hinunter und griffen die überraschten Goblins an. Die Überraschung verwandelte sich in blanke Panik, und schließlich in kopflose Flucht. Bertrand eilte den Bauern hinterher. Sein Schwert fuhr unter die Grünhäute, wo immer sie ihm vor die Beine liefen, bis seine Klinge schwarz von dunklem Goblinblut war. Die Schlacht war geschlagen, der Turm und Durie waren gerettet.

Kein Einziger der Goblins entkam in dieser Nacht. Sie alle fielen dem Zorn der Bretonen zum Opfer, die für ihr ermordetes Vieh und das brennende Dorf blutige Rache nahmen. Jerome de Montfort beteiligte sich nicht an der letzten Phase der Schlacht, die nur mehr blutiges Metzeln darstellte. Bertrand folgte seinem Ritter an dessen Seite, als dieser die Mauer erklomm. Der andere Ritter stand auf der Mauer und stützte sich schwer auf sein Schwert. Der Ritter hatte seinen Helm abgenommen, trotz der Beckenhaube erkannte Bertrand zu seiner Überraschung, dass es sich um Reynalds Vater handelte. Reynald führte die Verfolgung an, eine lange Kette von Bewaffneten durchkämmte gerade die Felder nach den letzten Goblins.

„Seid gegrüßt, Sir Jerome“, begann der Baron keuchend. Im Flammenschein erkannte Bertrand die unnatürliche Blässe des Barons.
„Ich grüße auch Euch, Sir Bayard“, erwiderte Jerome und nickte dem Herrn von Durie zu. Sir Bayard nickte ebenfalls Bertrand kurz zu. Der Baron stützte sich schwer auf sein Schwert und gemeinsam drehten sie sich in Richtung des Dorfes.
„Ein glorreicher Sieg“, begann der Baron. Er sprach leise und man merkte, dass ihm selbst das schwerfiel.
„Danken wir der Herrin vom See für ihren Schutz und die Gunst“, antwortete Jerome de Montfort.
Bayard le Durie drehte sich zu Jerome, und Bertrand sah ein schwaches Lächeln in dessen Gesicht. „Ich denke, Ihr selbst habt einen nicht unerheblichen Anteil an diesem Triumph.“
Jerome de Montfort schüttelte den Kopf. „Ich habe nur meine Pflicht getan. Ihr selbst habt die Männer angeführt und damit die Wende ermöglicht.“
„Dann sollten wir uns vielleicht darauf einigen, dass wir beide unser Pflicht taten, und die Herrin selbst zu so später Stunde uns den Sieg schenkte“, schlug der Baron verschmitzt vor.

Bertrand schloss den Mann in sein Herz. Wie sehr war er doch das Gegenteil seines arroganten Sohnes!
Sogar Jerome gab sich dem Charme des Barons geschlagen.
„Dann danken wir der Herrin für den Sieg“, sagte er und lächelte. Gemeinsam gingen sie zum Turm, wobei Jerome den Baron stützte. Bertrand folgte, er hielt das Großschwert des Barons in den Händen fest umklammert. Die edle Klinge schimmerte hell im Mondlicht.
 
2.13 Maries Entdeckung

Der Morgen graute und mit ihm war der Abschied gekommen. Bertrand stand unschlüssig da und blickte in ihre Richtung. Melisande war ebenso zögernd, das sah er. Sie wippte ihren schlanken Körper hin und her und kaute gleichzeitig an ihrer Unterlippe.
Die letzten Überreste der Schlacht waren bereits auf Karren von den Leibeigenen hinausgeschafft worden. Die Leichen der Goblins brannten auf den Scheiterhaufen vor den Toren. Dicke, schwarze Rauchsäulen schraubten sich in den Himmel und der Gestank von verbranntem Fleisch drang in die jedermanns Nasen. Aber es war nicht dieser Gestank, der Bertrand in diesem Moment beschäftigte.

„Macht es schnell“, hatte Sir Jerome gesagt, doch Bertrand war sich nicht sicher, wie er es denn machen sollte. Und so standen sie nun beide da, scheu und zögernd. Nichts verdeutlichte dies mehr, als die wenigen Schritte, die zwischen ihnen lagen. Es war Melisande, die den ersten Schritt machte. Und den Zweiten und Dritten, bis sie ihm schließlich in die Arme fiel.
„Geh nicht“, hauchte sie, während sich ihr Kopf an seinen schmiegte.
Bertrand umarmte sie und versuchte gleichzeitig seinen Gefühlen Herr zu werden.
„Ich muss“, sagte er schließlich und streichelte ihr sanft über das lange Haar. Sie umarmten sich, und für diesen einen Moment war die restliche Welt verschwunden.
Bertrand spürte, wie sie einen weichen Gegenstand in seine Hand drückte.
„Ein Geschenk, zur Erinnerung“, flüsterte sie scheu. Es war ein Tuch, ähnlich denen feiner Damen, nur aus weniger wertvollem Textil gefertigt. Er hielt es fest in der Hand, während sie sich voneinander lösten.
„Ich komme wieder“, brachte er schließlich über seine Lippen, bevor ihm Tränen in die Augen traten und seine Stimme brach.
„Ich weiß“, erwiderte sie und konnte ihre Tränen nicht halten. Bertrand nahm das Tuch und trocknete ihre Augen damit.

Zum Dank küsste Melisande ihm auf die Wange. Zu viele Andere waren anwesend, als das sie eine andere Form des Abschieds wählen konnten. Melisande rückte seine Kettenhaube zurecht und setzte ihm schließlich den Helm auf. Sie lächelte tapfer, aber Bertrand sah, dass es nur eine Fassade war, während Stürme in ihrem Herzen tobten. Schweren Herzens ging er zu Hirondelle und schwang sich in den Sattel. Melisande stand da, die Arme um ihren Leib geschwungen, hinter ihr ragte der schwarze Turm der Duries auf.

Dann gab Jerome seinem Hengst Tourbillon die Sporen und ritt als Erster hinaus. Reynald le Durie folgte, und Bertrand warf Melisande einen letzten Blick zu, bevor er sich anschloss. Es ging hinaus aus der Befestigung, die Feuer brannten immer noch und Leibeigene, die sich wegen des Gestankes Tücher vor ihr Gesicht gebunden hatten, unterbrachen ihre Arbeit und sahen den drei Reitern nach. Bertrand nahm Melisandes Tuch und stopfte es unter seinen Wappenrock, sodass es auf seinem Herzen lag.

Das zügige Tempo brachte sie weg von den Scheiterhaufen und damit auch glücklicherweise außerhalb dessen Gestanks. Doch dann erreichten sie das Dorf. Der Rest der Dorfbewohner, war gerade damit beschäftigt die verbliebenen Überreste aus den niedergebrannten Häusern und Ställen zu bergen. Es waren herzergreifende Szenen, die sich ihnen boten, doch Bertrand war zu sehr mit seinem eigenen Trennungsschmerz beschäftigt, als dass er seine Umgebung eingehend wahrnehmen konnte. Unzählige Augenpaare verfolgten die Reiter, als diese den Weg zum Ausgang des Tales einschlugen und die trostlose Szenerie hinter sich ließen. Und manch Einer wünschte sich an deren Stelle, im Angesicht eines nahenden Winters und einer geraubten und gebrandschatzten Lebensgrundlage.

Die niedergedrückte Stimmung verließ die drei Reiter erst, als sie wieder die Straße nach Vingtiennes erreichten. Erst da bemerkte Bertrand, dass an Reynalds Hüfte Durendal hing, das Schwert seines Vaters. Doch er behielt seine Gedanken für sich. Doch offensichtlich war es ein schlechtes Omen und Bertrand betete zur Herrin, dass sie auf Melisande herablächeln mögen, und den Bewohners des Tales eine rosige Zukunft bescheren würde. Er beabsichtigte nicht sein Versprechen einzuhalten, nur um die Bewohner des Tales dann beerdigen zu müssen, da sie nicht über den Winter gekommen waren. Aber wenn selbst der Baron seinen kostbarsten Besitz an seinen Sohn weitergab, welche Chancen hatte dann ein einfacher Bauer, dessen Haus und Vorräte von den Goblins verbrannt worden waren?
In düstere Gedanken gehüllt ritt Bertrand weiter, immer im Kielwasser der beiden Ritter, wie es sich für einen niedrig geborenen Knappen geziemte.


***

Marie wanderte die Gänge des Wohngebäudes entlang. Sie war auf der Suche nach jemandem und ihr feiner, türkisfarbener Mantel blähte sich auf, da sie mehr rannte, denn ging. Ihre ehemalige Amme hätte bei diesem Anblick wahrscheinlich missbilligend den Kopf geschüttelt, da sich ein solch hastiges Eilen für eine Frau ihres Standes nicht geziemte. Aber in diesem Moment kümmerte sich Marie nicht darum, was Andere vielleicht von ihr halten würden.
Sie fand ihr Ziel schließlich als sie die große Wendeltreppe hinunterging, die in den Hauptsaal führte. Die breiten Steinstufen schmiegten sich an die Wölbung eines Rundturmes, weshalb Marie nicht den gesamten Saal einsehen konnte. Der große Kamin lag außerhalb ihrer Sichtweite, nur ein leuchtender Schein verriet ihr, dass bereits ein Feuer in dem Kamin angefacht war. Das Mündel eilte die Stufen hinab, als Gelächter den Saal erfüllte, und eine vertraute Stimme erklang, die von dem lieblichen Spiel einer Harfe begleitet wurde.

Und die Stufen, während sie eine Gruppe junger Adeliger beiderlei Geschlechts erblickte, die allesamt in ihrem eigenen Alter waren. Im Schein des lodernden Kaminfeuers stand der Narr Blondel mit seiner Harfe in der Hand, deren Saiten er kundig anschlug und neue Akkorde anstimmte. Über ihm breitete der ausgestopfte Lindwurm bedrohlich seine Schwingen aus, doch keiner der Anwesenden zeigte sich davon beeindruckt.
Ein neuer Akkord erklang. „Und dann zog der Ritter sein Schwert und stellte sich mutig der Bestie“, Blondels geübte Stimme trug mühelos durch den Saal. Der Narr nahm seine Harfe, als wäre das zerbrechliche Instrument ein stählernes Schwert und drehte sich dem ausgestopften Kopf des Lindwurms.
„Hinfort Bestie“, rief er und erntete Gelächter.
„Versucht es doch damit, Blondel“, johlte einer der jungen Ritter. Er zog sein Schwert und warf es dem Narren zu.
Blondel fing es ungeschickt, schrie auf, und ließ die stählerne Klinge klirrend zu Boden fallen.
„Au! Mein Finger, ich habe mich geschnitten“, jammerte der Narr und steckte sich den blutenden Finger in den Mund um an der Wunde zu saugen.
Der Narr erntete von allen Seiten Spott und Hohn für diese Bemerkung.
„Ihr seid mir ein schöner Bestientöter“, spottet der Ritter, der sein Schwert aufhob und einsteckte.
„Oh, jetzt habt Ihr uns um das Ende der Ballade gebracht“, tadelte ihn eines der Burgfräulein. Die Gesellschaft zerstreute sich, nur der Narr blieb mutterseelenallein zurück. Marie, die das Ganze am Ende der Treppe beobachtet hatte, trat an den Kamin.

„Ist es eine tiefe Wunde?“, erkundigte sie sich einfühlsam.
Bei ihrem Anblick huschte ein Lächeln über das Gesicht des Narren. Er nahm sofort schuldbewusst den Finger aus dem Mund.
„Nur ein Kratzer, Milady“, beschwichtigte er.
Marie ging zu dem Narren und nahm dessen Hand in ihre eigene. „Ich beneide Euch nicht, Blondel. Ständig das Objekt des Spottes zu sein.“
Behutsam löste sich der Narr aus dem Griff Maries. „Die Herrin ist gnädig. Sie gibt und nimmt gleichermaßen. Mir ist es gegeben zur Belustigung zu dienen. Und zugleich darf ein Narr sagen, was ein Anderer verschweigen muss.“
Marie lächelte ihn an. „Dann sagt mir, privilegierter Narr, was würdet Ihr über Sir Claude de Sanguine berichten?“

Das Lächeln Blondels erstarb bei diesen Worten. Er nahm Marie am Arm und zog sie zur Seite.
„Milady, ich bitte Euch. Wollt Ihr wirklich diesen Pfad einschlagen?“
Maries Miene wurde ernst. Sie sah den Narren entschlossen an. „Ich habe es mir gründlich überlegt. Und ich bin es leid, immer nur vor Rätseln zu stehen.“
Eine Weile sagte Blondel nichts. Er erforschte nur Maries Gesicht, als könnte er dadurch etwas erfahren, dass Marie ihm nicht mitgeteilt hatte.
„Gut“, sagte er schließlich. „Wenn es Euch nach Antworten verlangt, dann sollt Ihr sie bekommen. Wir treffen uns zwei Stunden nach Sonnenuntergang im Rosengarten. Und nehmt einen unscheinbaren Mantel mit Kapuze mit.“ Er verbeugte sich, wobei eine Hand an seinem Herzen ruhte und verließ den Saal.

Marie blickte dem Hofnarren in seinem bunten Kostüm nach, bis dieser in einer Türe verschwand.
„Bahnt sich da eine neue Romanze an?“, fragte eine Stimme hinter ihr. Beim Klang der vertrauen Stimme wirbelte Marie herum, wobei ihr Rock sich aufwallte.
„Yves“, schrie sie erfreut und fiel diesem in die Arme. Yves hob sie mühelos hoch und drehte sie um die eigene Achse. Dann zerzauste er ihr Haar.
„Bist du vielleicht neidisch auf einen Narren?“, neckte sie ihn.
„Ach wo denn“, erwiderte er und warf sich in eine prahlerische Pose. „In ganz Bretonia gibt es keinen so stattlichen Mann wie mich.“

Marie lachte als Antwort, und Yves fiel in ihr helles Lachen ein. Er bot ihr seinen Arm an und bereitwillig hakte sie sich ein. Gemeinsam verließen sie den großen Saal. Yves Leguerrand war ein entfernter Vetter, ein Jugendfreund mit dem sie ihre Kindheit am Stammsitz ihrer Familie in Hochpointe verbracht hatte. Er war am Hof ihres Vaters geblieben und diente als dessen treuer Gefolgsmann. Eine Weile dachte sie an diese glücklichen Kindheitserinnerungen, als sie gemeinsam aufwuchsen und Verstecken oder „der Ritter, die holde Jungfrau, und die Bestie“ spielten. Manchmal war Yves sogar bereit gewesen, Marie die Rolle des Ritters zu überlassen. Die Zeit des Abschiedes von ihrer geliebten Heimat war ihr auch so schwer gefallen, da sie mit Yves ihren besten Freund verlor. Doch dann war Jerome in ihr Leben getreten und ihre gemeinsame Liebe füllte die entstandene Lücke.

Es war schön, ihren Freund zu sehen, der sich zu einem stattlichen jungen Mann entwickelt hatte. Yves besaß feuerrote Haare und einige der Sommersprossen in seinem hellhäutigen Gesicht waren noch nicht ganz gewichen. Aber unverkennbar war seitdem eine große Menge Wasser die Gletscherflüsse des Grauen Gebirges hinuntergeflossen, denn Yves überragte sie inzwischen um einen ganzen Kopf. Dennoch strahlten seine grünen Augen immer noch denselben Elan aus, wie der Sechsjährige, der mit ihr gemeinsam Kuchen aus der Küche entwendet hatte.

Doch trotz dem Schwelgen in ihren Kindheitserinnerungen fragte Marie sich auch, weshalb Yves hier in Montfort war. Ihr Vater musste gewichtige Gründe gehabt haben, um jemanden bei dieser Witterung den Axtschartenpass hinab zu schicken. Und sie sollte Recht behalten, denn Yves führte sie in einen Erker, von dem sie in den Rosengarten blicken konnten. Marie kam der Ort bekannt vor. Und tatsächlich erinnerte sie sich daran, dass es dieser Erker gewesen war, wo ihr Meister Rainheim vor wenigen Tagen berichtet hatte, warum ihr geliebter Jerome fortgegangen war.
„Warum schickt dich mein Vater?“, begann sie unverblümt.
Falls Yves über diesen plötzlichen Wechsel erstaunt war, ließ er es sich nicht anmerken. Er zog nicht einmal seine Augenbraue hoch, wie er es früher immer getan hatte, wenn er sie tadeln wollte.
„Keine Ablenkung? Kein höfliches Geplauder über das Wetter? Es ist abscheulich, danke der Nachfrage. Ich dachte, ich würde als Eiszapfen in Montfort ankommen.“ Marie lächelte als Antwort, doch sie sah Yves darauf ernst an.
Yves seufzte. „Also gut, Prinzessin“, sagte er und Marie lächelte erneut, als er ihren Kosenamen aus vergangenen Kindheitstagen verwendete. „Dein Vater schickt mich, aber bei deinem hellen Köpfchen ist dir das sicher schon bei meinem Eintreffen klar gewesen. Er hat von den Vorfällen gehört und macht sich Sorgen.“
Marie schnaubte. „Da ist mein Vater nicht der Einzige.“ Sie sah Yves an, der sie bei dieser Reaktion seltsam ansah und seine Augenbraue erneut hochzog. „Fahr fort“, sagte sie.
„Dein Vater, der Graf von Hochpointe schickt mich als deinen Beschützer, nachdem ihm der Vorfall zu Ohren gekommen ist.“
„Hat er auch gehört, dass Claude de Sanguine um meine Hand angehalten hat?“, wollte Marie wissen und konnte es nicht verhindern, dass Abscheu in ihrer Stimme mitschwang.
Yves nickte. „Keine Sorge, er denkt in dieser Frage genauso wie du. Er lehnt eine Verbindung mit den Sanguines ab. “
„Er ist also damit einverstanden, dass ich Jerome de Montfort heiraten werde?“, fragte sie hoffnungsvoll.

Yves zuckte mit den Schultern. In ihrer gemeinsamen Vergangenheit hatten sie öfters Liebespaar gespielt. Doch es war nie über das Spiel hinausgegangen. Sie sah in Yves ihren Jugendfreund, einen Vertrauten. Und vor einem Jahr hatte Yves einer jungen Adeligen die Hand zum Bund fürs Leben gereicht. Es war eine schöne Zeremonie gewesen, und Marie hatte gehört, dass Yves Gemahlin in guter Hoffnung war. Es sprach auch Bände, dass ihr Vater gerade jetzt Yves auf diese Reise schickte, wo seine Frau schwanger war. Und es beunruhigte Marie, war es doch ein Zeichen von äußerster Dringlichkeit.
„Ich kann nicht in den Kopf meines Lehensherren, dem Grafen von Hochpointe sehen“, entgegnete Yves. „Es gibt in diesem Herzogtum mehr als Sanguine und Montfort. Es gibt auch Levaliere. Und du bist sein einziges Kind, die Erbin von Hochpointe und den umliegenden Ländereien.“
„Es ist schön zu wissen, dass sich mein Vater um sein Erbe kümmert“, erwiderte sie verdrossen. Yves nahm sie in den Arm.
„Na, Prinzessin. Du weißt selbst, wie sehr dich dein Vater liebt. Aber es sind gefährliche Zeiten, und dein Vater ist das Oberhaupt einer mächtigen Familie. Und als Oberhaupt einer der vornehmsten Familie des Landes und einer Dynastie, die bis zu Gilles dem Einiger zurückgeht. Die Bürde und Verantwortung die damit einhergeht, brauche ich dir als seiner Tochter wohl nicht erklären.“

Marie wusste, was Yves meinte. Seit ihrer frühesten Kindheit war ihr eingeschärft worden, dass sie die Tochter eines einflussreichen Mannes war, des Grafen von Hochpointe. Und auch, dass sie in der langen Abstammung ihrer vornehmen Familie nur ein Glied in einer Kette war. Und der Fortbestand dieser Kette war das einzige Ziel, dem sich Alles unterordnen musste.
„Und was wünscht mein Vater? Wie lauten seine Anweisungen?“, fragte sie gehorsam.
Yves zögerte zuerst, er sah über seine Schulter, ob auch ja niemand in ihrer Nähe war. „In den letzten Wochen haben unsere Späher uns von Kolonnen berichtet, die den Weg über den Axtschartenpass nehmen.“
„Das ist doch nichts Neues. Der Sinn dieses Passes ist die Verbindung zwischen dem Imperium und unserem Königreich“, winkte Marie ab.
„Ja, doch dabei handelte es sich nicht um Handelskarawanen, sondern um Söldnereinheiten aus dem Imperium. Sogar Männer die mit Musketen bewaffnet sind“, sagte Yves verächtlich. Marie erinnerte sich daran, dass die Ritter Bretonias den Fernkampf verabscheuten. Nur die Leibeigenen, das gemeine Volk war es gestattet mit Bogen zu kämpfen, während die Edlen Lanze und Schwert bevorzugten. Doch Pulverwaffen waren im gesamten Königreich geächtet. „Dein hoher Vater denkt, dass diese Söldner im Auftrag der Sanguines unterwegs sind.“
„Aber wozu? Warum sollten sie jetzt fremdländische Söldner anheuern? Es macht keinen Sinn“, sagte Marie.
„Erinnere dich an den Sieg. Der Sieg am Axtschartenpass, an dessen Ausgang dein geliebter Jerome de Montfort einen nicht unerheblichen Anteil hatte.“
„Du meinst sicher den Sieg über die Grünhäute. Aber inwiefern, hat dies mit den Söldnern zu tun?“, fragte Marie.
„Yves lächelte, aber sein Lächeln war bitter. „Es war ein großer Sieg über die Orks. Aber gleichzeitig wurde damit auch die Gefahr durch die Grünhäute gebannt. Was soll die rivalisierenden Geschlechter Montforts nun einen? Besonders eine so ehrgeizige Familie wie die Sanguines. Ohne einen äußeren Feind laufen wir Gefahr, das alte Streitfragen wieder auf das Tableau gebracht werden.“
„Der Anspruch der Sanguines auf das Herzogtum“, vollendete Marie.

Die Sanguines waren, wie die Levalieres und ein gutes Dutzend anderer Familien im Herzogtum, ein altes Geschlecht. Nicht wenige im Herzogtum waren der Meinung, dass nicht die Montforts, sondern die Sanguines einen berechtigteren Anspruch auf den Herzogtitel hatten, da auch in ihren Adern das Blut des ersten Herzogs floss. Für Marie, wie auch für ihren Vater, war diese Argumentation Unsinn. Schließlich war der gegenwärtige Herzog Folcard ein direkter Nachkomme und trug sogar den Familiennamen Montfort. Doch der Ehrgeiz der Sanguines war durch diesen Umstand keineswegs gebremst, eher im Gegenteil sogar angestachelt.

In tiefen Gedanken versunken, brachte sie Yves zu den Gemächern des Herzogs, da er diesem Briefe und Nachrichten von ihrem Vater den Grafen von Hochpointe überbrachte. Sie verabschiedeten sich herzlich vor dem Tor und kümmerten sich nicht darum, was die beiden Wachen denken mochten. Dann entschwand Yves durch die Türe. Marie sah zu, wie sich das dunkle Holz hinter ihrem Jungendfreund schloss. Dann drehte sie sich um und eilte zu ihren eigenen Gemächern. Es galt noch viel vorzubereiten. Vor allem war sie aufgrund der neuen Erkenntnisse entschlossen, dem unverfrorenen Drang der Sanguines nach Macht etwas entgegen zu setzen. Sie betete zur Herrin, dass der Narr sie in diesem Fall nicht enttäuschen würde.
Als der Abend anbrach, nahm Marie den Mantel. Es war das einfachste Modell, welches sie in ihrer kostspieligen Garderobe besaß, aus dicker brauner Wolle gefertigt mit einer weiten Kapuze, die ihr Gesicht verbergen sollte. Blondel erwartete sie bereits am Rosengarten. Auch der Narr war nicht in seine übliche, auffällige Tracht gekleidet sondern in einen Mantel aus dunkelgrauer Wolle.

„Milady“, sagte Blondel und verbeugte sich leicht.
„Ich bin gekommen, wie Ihr es vorgeschlagen habt. Werdet Ihr mir jetzt die Auskunft geben?“, fragte Marie.
Blondel schüttelte den Kopf. „Folgt mir“, sagte er einfach und ging voraus.
Die Ausfallpforte war ein kleines Seitentor, welches in der hohen Außenmauer eingelassen war. Dennoch standen zwei Wachen davor, in ihre Mäntel, der Kälte wegen, eingehüllt.
„Halt, wer da?“, fragte die eine Wache, wobei ihre Hand den Speerschaft fester umklammerte. Marie sah wie der Mantel zur Seite glitt und darunter im Mondlicht die Metallglieder der Brigantine aufblitzte. Die zweite Wache hielt seinen Kollegen zurück.
„Es ist nur der Hofnarr“, beruhigte er ihn. „Blondel, wieder auf Streifzug in die Stadt unterwegs?“
Blondel nickte und wollte mit Marie im Schlepptaub bereits passieren, da packte ihn die zweite Wache am Ärmel. Marie spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte. War es zu Ende, bevor es noch richtig begonnen hatte?
„Nicht so schnell mein Freund. Du schuldest uns noch Wegzoll.“ Die andere Wache zog ihr Schwert mit einem Klirren aus seiner Scheide.
Blondel lächelte, dann nahm er das dargebotene Schwert und die beiden Fackeln, die an beiden Seiten der Ausfallpforte in Halterungen hingen.

„Wie ihr wünscht“, sagte der Hofnarr mit einem schelmischen Lächeln. Dann begann er mit den drei Gegenständen zu jonglieren und dabei ein Gedicht vorzutragen, das er in der Gegenwart der edlen Hofgesellschaft wohl nicht aufgesagt hätte. Zumindest trieb es Marie die Schamesröte ins Gesicht und sie war dankbar dafür, dass es von der weiten Kapuze verborgen war. Blondel beendete seine Darstellung und die beiden Wachen dankten ihm mit Applaus, Lachen und einem Schulterklopfer. Schließlich war es vorbei und Marie fand sich zu ihrer Erleichterung auf der anderen Seite der Mauer wieder. Unter ihnen leuchtete Jouinard und Blondel wählte ein scharfes Tempo, damit sie das Städtchen rasch erreichten.

Jouinard präsentierte sich für Marie in einem düsteren Bild. Es war, als würde die Stadt ahnen, welch geheimnisvolle Recherche Marie in ihre Mitte führte. Marie selbst fand, dass die Stadt zu dieser späten Stunde äußerst bedrohlich wirkte. Die Häuser warfen dunkle Schatten und Maries unruhiger Verstand malte sich allerlei Schrecken aus, die in diesen undurchsichtigen Schemen lauerten. Und der Gedanke, dass ihre Begleitung nur aus einem Hofnarren bestand, war ihr dabei kein allzu großer Trost.

Die Schenke, in welche Blondel sie führte, lag in einer abgelegenen Gasse, in der sich Rinnsale von zweifelhaften Flüssigkeiten und Unrat ansammelten, und die eher die Bezeichnung Gosse, denn Straße verdiente. Und auch die Gastwirtschaft war mehr eine üble Kaschemme, denn ein ehrbares Wirtshaus. Ein Schild in Form eines Wildschweins hing über der Türe deren halb abgeblätterte Inschrift man kaum noch erkennen konnte. Blondel schlug seine Kapuze hoch und hämmerte gegen die massive Eichentüre. Eine vergitterte Klappe öffnete sich in Augenhöhe und das grobschlächtige Gesicht eines Mannes erschien, von dem Marie zuerst glaubte, dass es sich dabei um einen Oger handelte. Erst beim zweien Hinsehen erkannte sie halbwegs menschliche Züge. Nachdem der Türsteher Blondel erkannt hatte, grunzte er, und sein Gesicht verschwand, nachdem sich die Klappe wieder schloss. Unmittelbar darauf hörte Marie, wie ein massiver Riegel zurückgeschoben wurde und sich schließlich die massive Tür öffnete. Blondel trat ein und Marie folgte ihm auf den Fuß. Der Geruch im inneren der Spelunke traf sie wie ein Vorschlaghammer. Zu viele Leiber, die sich zu lange nicht gewaschen hatten. Dazu war es rauchverhangen, als würde es sich hier um eine Räucherkammer handeln und seltsame, exotische Gerüche drangen ebenso an Maries Nase.

Die Spelunke war bis zum Bersten gefüllt und sie erkannte, dass es sich bei dn Besuchern hauptsächlich um Männer handelte. Die wenigen Personen ihres eigenen Geschlechts gingen sehr eindeutig einer Profession nach, die eine so freizügige Bekleidung verlangte, wie diese Frauen sie an den Tag legten. Marie war plötzlich sehr darauf bedacht, ihre Kapuze tief in ihr Gesicht zu ziehen und außerdem in der Nähe des Hofnarren zu bleiben. Blondel ging zielstrebig zu der großen Theke, die im Wesentlichen aus groben Holzstämmen bestand. Der Wirt dahinter sah dem menschlichen Oger zum Verwechseln ähnlich. Als ihm Blondel eine Frage stellte, hörte Marie, dass er wie sein Türsteher ebenfalls mit einem Grunzen antwortete. Offenbar besaß der Hofnarr die Gabe der Übersetzung von nichtmenschlichen Dialekten, den er nickte und führte Marie an den einzigen Tisch, der noch leer stand.

Wenig später erschien ein leichtbekleidetes Mädchen und Marie musste eine weitere ihrer eigenen Beobachtungen revidieren, da die Frauen in diesem Etablissement offenbar doch einen ehrbareren Beruf nachgingen, als ihre Kleidung vermuten ließ.
„Was wollt ihr Beiden?“, säuselte die Kellnerin.
„Bier“, antwortete Blondel und zog zwei Münzen aus seiner Tasche, die spielerisch über seine Finger gleiten ließ.
„Und für deinen jungen Begleiter?“, fragte die Kellnerin und schenkte Marie ein Lächeln.
Sie flirtet mit mir, ging Marie auf, und senkte ihren Kopf.
„Dasselbe“, antwortete Blondel und schickte die Kellnerin mit einem Klaps auf ihren Hintern fort. Er warf Marie einen erklärenden Blick zu, da ihn Marie unter anderen Umständen für diese Aktion wohl getadelt hätte. Aber in diesem rauen Umfeld schien es ihr ratsam, selbst nicht allzu viel Aufmerksamkeit zu erregen.
Blondel bestätigte ihren Beschluss, als er sich über den Tisch beugte, und ihr leise zuraunte: „Es wäre von Vorteil, wenn Ihr Euch nicht zu Erkennen gebt, Vergebt mir, aber es geht hier ruppiger zu, als es jemand von eurem Stand gewohnt ist.“
Marie nickte bloß. Die Kellnerin kam und brachte zwei Humpen, deren bernsteinfarbener, schaumiger Inhalt überschwappte, als sie sie abstellte.
Die Kellnerin schenkte Marie noch ein Lächeln, im Gegensatz zu Blondel, obwohl dieser ihr die Münzen übergab.
Marie kostete nicht von dem Getränk, doch Blondel nahm einen tiefen Zug.
„Ah“, schnalzte der Narr genüsslich mit der Zunge, als wäre es ein Genuss, den er sich seit Jahren zum ersten Mal wieder gönnte.

„Und das zweite ist dann für mich?“, fragte eine raue Stimme. Marie blickte ein wenig auf, und sah eine massige Gestalt vor dem Tisch stehen. Der Mann war breitschultrig, ein leichter Bauchansatz verdeckte seine muskulöse, stämmige Statur keineswegs. Sein kahlgeschorener Kopf, seine Blumenkohlohren, die plattgedrückte Nase und die hässliche Narbe in seiner linken Gesichtshälfte wiesen ihn als einen Mann aus, dessen Leben von Gewalt gekennzeichnet war. Der Narr erhob sich und begrüßte den Neuankömmling herzlich, wobei er ihm auf die Schulter schlug, dass es nur so krachte.
„Und wer ist dein Freund?“, fragte das Narbengesicht.
„Tolrik, das ist ein Freund“, erwiderte Blondel und bot dem Mann einen Sitzplatz an. Der Mann namens Tolrik setzte sich und Marie rückte ein Stück, damit Blondel neben ihr Platz nehmen konnte.
„Und dein Freund will …?“, fragte Tolrik und zeigte mit seiner plattgedrückten Nase in Maries Richtung.
„Sucht Antworten auf seine Fragen“, fügte Blondel vieldeutig hinzu.
„Aha“, nickte Tolrik und nahm einen Schluck von dem Bier. „Gibt es vielleicht auch einen Namen?“
Bevor Marie reden konnte, hielt Blondel sie am Arm zurück. Der Narr beugte sich vor und raunte Tolrik einen Namen zu. Marie war nahe genug, um ihn zu verstehen.
„Claude de Sanguine.“

Tolrik erbleichte sichtlich. „Ihr Götter, nein! Alles, nur das nicht.“ Er zitterte, als er den Holzbecher an seine Lippen führte. Marie dachte schon, es sei vorbei, doch Blondel beugte sich erneut vor.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich den Tag erleben werde, an dem der große Tolrik wie ein kleines Mädchen beim bloßen Erwähnen eines Namens zittert.“
„Ich zittere wie ein Mädchen?!“, brüllte Tolrik aufbrausend und knallte den Becher mit einem lauten Krachen auf die grob gezimmerte Tischplatte, so dass das Bier nach allen Seiten spritzte. Alle Unterhaltungen in dem Raum erstarben augenblicklich und Marie spürte, dass sich die Blicke jedes Anwesenden auf Tolrik und sie konzentrierten. Doch offenbar war man in dieser Absteige solche Szenen gewohnt, den im nächsten Augenblick setzte der allgemeine Lärm wieder ein, und jeder ging seinen eigenen Angelegenheiten wieder nach.

Blondel nahm Tolrik am Arm und zog ihn sanft wieder hinab. „Sachte mein starker Freund. Wir wollen doch nicht zu viel Aufmerksamkeit erregen.“ Tolrik folgte dem Rat des Narren und beruhigte sich.
„Gut“, sagte Blondel zufrieden. „Dann erzähl meinem Freund hier, wann du die hölzerne Hand kennen gelernt hast.“
Offenbar siegte sein Stolz über die Furcht, denn Tolrik begann wirklich zu reden. Aber zuerst nahm er noch einen langen Schluck Bier.

„Es war vor mehr als zehn Jahren. Ich war damals Landsknecht im Dienst eines Barons. Es war eine schöne Zeit. Ich war wesentlich jünger und besaß auch weniger Andenken an Schlachten, wie die Narbe hier.“ Dabei zeigte er auf sein Gesicht. „Wir waren gerade im Süden unterwegs. Ein Feldzug der uns von den Grenzgrafschaften immer weiter in fremde Gefilde führte. Die Herrin alleine weiß, was wir dort unten verloren hatten. Wenn es nach uns einfachen Soldaten gegangen wäre, dann wäre schon in Tilea Schluss gewesen. Tilea! Warmes Wetter, immer Sonne und feurige Mädchen. Was für ein Land, in dem für einen Mann, der mit seiner Klinge umzugehen weiß, sich stets ein Beutel mit klingender Münze finden lässt. Viele von uns wären gerne dort geblieben, doch unsere hohen Herren befahlen den Weitermarsch, und wenn ein Adeliger befiehlt muss ein einfacher Soldat parieren. Die Adeligen! Diesen seltsamen Ehrenkodex werde ich mein Leben lang nicht verstehen, und wenn mir Morr noch hundert Jahre schenken würde.“

„Morr findet dich zu hässlich, um dich in seine Hallen zu holen. Du würdest nur die anderen Toten erschrecken“, scherzte Blondel.
„Da hast du Recht“, lachte Tolrik rau und klopfte dabei auf den Tisch. „Aber wo war ich stehen geblieben? Ach ja! Unsere hochgeborenen Befehlshaber führten uns immer weiter in den Süden. Das waren noch Männer an meiner Seite! Auch die Ritter waren aus anderem Holz geschnitzt, als die heutigen Memmen, die glauben, dass das Halten einer Lanze und das Schwingen in den Sattel ohne auf der anderen Seite gleich wieder hinunter zu fallen, einem gleich zu einem Kämpen macht. Ich habe selten mit solch hartgesottenen Gesellen auf dem Schlachtfeld verbracht. Kein Feind war uns gewachsen und wir verjagten die Grünhäute, gleich ob es Goblins oder die großen Schwarzorks waren. Leider gab es nur wenig Beute in diesen lausigen Grenzgrafschaften. Sie sind wirklich nur ein müder Abklatsch unserer großen Herzogtümer.“

„Ich bin mir sicher, dass genug für dich und deine Kumpane abgefallen ist“, unterbrach ihn Blondel.
Tolrik warf ihm einen vielsagenden Blick zu, sagte jedoch auf die spöttische Bemerkung des Narren nichts. „Man sieht, dass du noch nie in den Düsterlanden warst. Eine wüste Landschaft, die zu weiten Teilen aus karstigem Fels, Geröll, toten Wüstenlandschaften und kargen Steppen besteht und von den wilden Grünhäuten bevölkert ist. Aber unsere Anführe stellten ihre Queste und Eide über unsere Bedenken. Und so kamen in die Lndstriche östlich von Arabia. Und gegen diese endlosen Wüsten nahmen sich die Düsterlande wie blühende Landschaften aus. Wir erreichten einen Fluss, dessen Wasser dazu führte, dass mehrere Pferde, nachdem sie davon getrunken hatten, durchgingen. Ein Anblick, der mich noch bis an das Ende meines Lebens verfolgen wird. Der Schaum vor ihren Mäulern, und wie sie bockten, nach allen Richtungen ausschlugen und wieherten, als würde man sie mit glühenden Eisenstangen quälen. So sehr es uns auch dürstete, wir verzichteten darauf, von solch verfluchtem Wasser zu trinken. Mit leeren Wasserschläuchen machten wir uns auf in Richtung der Ruinen, die am Horizont hinter den Sanddünen in den sonnenverbrannten Himmel aufragten. Unsere Kehlen waren verdörrt und wir schleppten uns mehr tot denn lebendig immer weiter, während die Sonne gnadenlos auf uns hinabglühte und die Wüste in einen Backofen verwandelte.

Schließlich erreichten wir die Ruinen. Ich habe der Herrin vom See und allen Göttern gedankt, als ich am Fuß der verfallenen Tempel Palmen und einen Teich mit kristallklarem Wasser erblickte. Nur wie es Verdurstende vermochten, mobilisierten wir unsere letzten Kraftreserven und stürmten unserer Rettung entgegen. Kein Met und Wein hat jemals so köstlich geschmeckt, wie das Wasser, das damals meine ausgetrocknete Kehle hinunter rannte. Nachdem wir uns gelabt hatten, schickte unser Anführer, ein Graf aus Carcassonne einen Erkundungstrupp in einen der Tempel. Zehn Männer wurden unter der Führung eines jungen Ritters losgeschickt, um die dunklen Kammern der nächsten Stufenpyramide zu betreten. Ich weiß noch, wie ich mit meinen Kameraden in meiner Umgebung darüber gescherzt hatte, welch Glück die ausgewählten Männer besaßen, dass sie nun auch Schatten und Kühle erhalten würden. Stunde um Stunde verging, und die Sonne senkte sich bereits im Osten herab.

Da, auf einmal, hörten wir ein seltsames Geräusch. Es war, als würde der Sand selbst vibrieren, ein Geräusch, wie ich es noch niemals gehört habe. Es war ein Heulen und zugleich wie der Ton eines Schlachthorns, das schlecht gestimmt ist. Es ging mir durch Mark und Bein und unversehend überfiel mich Furcht. Einer der Männer rief etwas und alle blickten in Richtung der Ruine. Auch ich, und so sah, dass die obersten Stufen der Pyramide in einem unheimlichen grünen Licht zu leuchten begannen. Das klagende Heulen wurde immer lauter, nur mit Mühe konnten wir unsere scheuenden Pferde bändigen. Wäre es an mir gelegen, ich wäre noch im selben Moment aufgebrochen. Ich habe gegen die verfluchten Anhänger des Chaos gekämpft, gegen die Dunkelelfen, Piraten und Grünhäute. Aber wie bekämpft man ein Heulen?“

„Was geschah mit den Männern?“, fragte Blondel an Maries Stelle.
„Der Graf aus Carcassonne befahl uns, die Waffen zu ergreifen. Wir gehorchten, doch manch einem konnte man ansehen, dass er nicht recht bei der Sache war. Ich muss gestehen, auch ich selbst wollte lieber meine Beine in die Hand nehmen, denn eine Linie bilden. Dann sahen wir Bewegung. Wir hörten Schreie, von denen ich nicht dachte, dass sie einer menschlichen Kehle entrinnen konnten. Zwei Männer kamen aus der Pyramide gerannt. Einer stützte den Anderen, dennoch rannten sie aus Leibeskräften. Ich war in nächster Nähe, als die Beiden auf unsere Linie trafen. Es war der junge Ritter, er hielt seinen Arm am Leib, besser gesagt, seinen Stumpf.
Ich nehme an, ihr wisst, wer der junge Ritter war. Eben jener Claude de Sanguine. Er und sein Gefährte waren die einzigen Überlebenden des Erkundungstrupp. Was mit dem Rest geschehen war, und auf welche Dinge sie getroffen waren, vermochten sie nicht zu sagen. Aber ihre schreckensbleichen Gesichter sprachen ohnehin Bände, dass nichts Gutes in diesen dunklen Tempeln hauste. Doch auch wir selbst sollten bald erfahren, worauf Claude und seine Mannen in den Tiefen der Pyramide getroffen waren. Das Heulen steigerte sich nur wenige Minuten später zu einem ohrenbetäubenden Kreischen und mir bluteten die Ohren, während sich gleichzeitig eine Lichtsäule aus diesem unheiligen grünen Licht von der Spitze in den Himmel erhob.

Und dann begann der Angriff. Sie kamen von allen Seiten. Sie strömten aus der Pyramide und von den anderen Tempeln, aus dunklen Eingängen und sogar aus der Erde selbst. Unzählige Scharen fielen über uns her. Bis dahin hatte ich die Geschichten über die verfluchten Länder des Südens als Ammenmärchen abgetan, mit denen man ungezogene Kinder zum Gehorsam brachte. Doch nun standen sie leibhaftig vor mir. Tote und Skelette in Fetzen von exotischen Kleidern und Rüstungen gekleidet. Ihre Augen strahlten dasselbe unheimliche Licht aus, ihre Waffen waren rostig. Doch obgleich sie Skelette waren und ihre Schwerter alt, waren sie furchterregende Gegner. Ich habe gesehen, wie diese klapprigen Knochenhaufen Männer und ganze Pferde in zwei Teile spalteten, mit ihren zerbrechlich wirkenden Klingen. Jede Ordnung ging auf unserer Seite verloren. Es war kein Rückzug, es war heillose Flucht bei der sich jedermann das nächstbeste Pferd ergriff um seine eigene Haut zu retten. Auch ich selbst ritt meinen Klepper fast zuschande, während hinter uns die Skelette klapperten, was wohl ihre Art von Siegschrei ist. Es war ein fast so schauriges Geräusch wie das Heulen. Von mehr als fünfhundert Mann, die in den Süden aufgebrochen waren, kehrten weniger als achtzig in die Grenzgrafschaften zurück. Erst hinter den Mauern der nächsten Stadt kamen wir zur Ruhe, doch selbst heute noch wache ich von Alpträumen geplagt schreiend auf. Es stimmt, was auf den Karten steht: Zum Land der Toten, meidet diesen Weg.“ Tolrik endete seine Erzählung und nahm einen langen Zug aus dem Bier. Sein Gesicht war ein Spiegelbild seiner schaurigen Erzählung.

Doch Blondel gab sich damit nicht zufrieden. „Erzähl, was du mir in der Taverne in Merceaux berichtet hast.“
Entsetzt schüttelte Tolrik den Kopf, der Schrecken war ihm ins Gesicht geschrieben. „Niemals! Ich war betrunken und wusste nicht, wo mir der Kopf steht. Du kannst dies nicht von mir verlangen“, zischte er.
„Erzähl es“, beharrte Blondel.

Tolrik gab sich geschlagen. Er suchte nach den richtigen Worten, und begann schließlich. „Wir ritten zwei Tage und Nächte, bis Claudes Wunde und die Ermüdung unserer Pferde uns zu einer Pause zwangen. Aus Furcht vor Verfolgern wagten wir es nicht einmal ein Feuer anzuzünden. Es war weit nach Mitternacht, als ich die Wache übernahm. In dieser Nacht hatte ich ohnehin nicht geschlafen, zu nah waren noch die schrecklichen Erlebnisse in der Ruinenstadt. Claude de Sanguine redete in seinem Fieberwahn. Es waren unverständliche Worte, die keinen Sinn ergaben, aber ihr Klang alleine drehte mir den Magen um. Eine Stunde war vergangen, als der Mond aufging. Es war Morrslieb und sein grünes Licht glich dem Leuchten der Pyramide. Auf einmal hörte Claude mit seinem Wimmern auf. Ich drehte mich um, und da lag er im vollen Mondschein. Ich glaubte kaum meinen Augen zu trauen, doch es schien, als würden ihm wieder Finger nachwachsen.“

„Mutation?“, fragte Marie entsetzt, wobei sie darauf achtete, dass sie mit tieferer Stimme sprach.
„Ja“, entgegnete Tolrik. Doch dann umwölkten Zweifel seine massige Stirn. „Doch am nächsten Morgen war ich mir nicht sicher, ob mir meine Augen nicht doch einen Streich gespielt hatten. Claude de Sanguines Hand steckte immer noch in seinem blutigen Verband und ich konnte kein Anzeichen dafür erkennen, dass seine Hand nachgewachsen war. Wahrscheinlich habe ich fantasiert, immerhin saß mir der Schrecken noch immer in den Knochen und ich hatte mehr als drei Tage nicht geschlafen. Mehrere Male glaubten einige von uns, wandelnde Skelette gesehen zu haben, die uns verfolgten, obwohl sich dies schlussendlich als Hirngespinst erwies. Und Morslieb ist trügerisch, allerlei Dinge geschehen, wenn er als Vollmond am nächtlichen Himmel erscheint. Einzig Claude de Sanguines Fieber war seit jener Nacht abgeklungen. Und in den Grenzgrafschaften fertigte ihm unser Schmied seine hölzerne Hand. Und wer sollte sich eine Prothese anlegen, wenn er wieder echte Finger besitzt?“

Tolrik erhob sich. „So, ich denke, ich habe mein Bier ausreichend bezahlt. Ich weiß nicht, Blondel, ob dein Freund mit dem Preis einverstanden ist, aber Worte waren als Währung ausgemacht und ich habe sie geliefert.“
Blondel stand ebenfalls auf und verabschiedete sich von seinem Bekannten. „Wohin führt dich dein Weg? Wieder nach Süden.“
„Ihr guten Götter, nein! Tilea ist das südlichste Gefilde, das ich heute noch anstrebe. Ich stehe im Sold des Grafen von Hochpointe. Mir ist ein Beutel klingender bretonischer Münzen allemal lieber, als alle vermeintlichen Reichtümer des Südens.“
Doch Marie hatte noch eine Frage, die sich ihr aufdrängte. „So sagt mir noch eines, guter Mann. Wer fertigte dem Seneschall seine Hand aus Holz?“
Tolrik sah hinab in ihr Gesicht, das noch immer von der Kapuze verdeckt war.
„Derselbe, der Claude de Sanguine in den Tempel begleitet hat. Der Mann, welcher sich nun Schmied des Herzogs nennt. Meister Gilbert.“
 
Zwei ganz gute teile, auch wenn mir es zu schnell geht wie die Goblins gemoscht werden. Hätte mir mehr heldenhaftes gemetzel gewünscht. 😉
Zum zweiten teil, hat mich nur teilweise die ausdrucksweise gestört.
BSP:
Sogar Männer die mit Musketen bewaffnet sind“, sagte Yves verächtlich. Marie erinnerte sich daran, dass die Ritter Bretonias den Fernkampf verabscheuten. Nur die Leibeigenen, das gemeine Volk war es gestattet mit Bogen zu kämpfen, während die Edlen Lanze und Schwert bevorzugten. Doch Pulverwaffen waren im gesamten Königreich geächtet.

Also erinnerte sich klingt so als wäre Marie aus einem anderen Land. So als würde Yves mit einem Imperialen sprechen. Als gebürtige Betronin und Adlige muss sie im Grunde mit allen Werten des Königreichs vertraut sein. Das wäre dann keine erinnerung da sie im grunde von kindesbeinen an ja diese Regel kennt.
 
Zuletzt bearbeitet:
2.14 Wilderei

Langsam und bedächtig wählte der Rehbock seine Schritte aus. Sorgfältig setzte er einen Huf vor den anderen und überquerte den schlammigen, schmalen Pfad, einen Wildwechsel. Der Wald leuchtete in Rot und Gold, alle Blätter der Bäume waren gefärbt. Eine stattliche Anzahl des Blattwerks lag bereits auf dem Boden und bedeckte die Erde wie ein kostbar, golddurchwirktes Seidentuch aus Cathay. Der Rehbock bewegte sich trotz seiner Sorgfalt schnell den Wildwechsel entlang. Um diese Jahreszeit war es bereits schwieriger an Nahrung zu gelangen, doch ein ausgewachsener Rehbock in der Blüte seiner Jahre wusste, wo er auch heute fündig werden konnte. Am Rand eines Weihers stand eine Gruppe von immergrünen Fichten, doch diese waren nicht sein Ziel, denn die Nadelbäume umringten eine Rotbuche. Unter den sich langsam leerenden Ästen fand der Rehbock schließlich, was er gesucht hatte und begierig fraß er die Bucheckern. Plötzlich jedoch änderte sich der Wind und ein anderer Instinkt übernahm die Kontrolle des Tieres. Es hob seinen stattlichen Kopf in Windrichtung und schnüffelte. Ein einziger Impuls flutete sein Gehirn, sein Fluchtreflex wurde aktiviert.

Bertrands Pfeil traf den Rehbock genau in das rechte Schulterblatt. Einen zweiten Pfeil legte er blitzschnell an die Sehne und feuerte ihn ab. Ein weiterer Treffer, der nur eine Handbreit neben dem Ersten sein Ziel traf. Der Rehbock machte noch einige Sprünge und verschwand im Dickicht. Bertrand schulterte seinen Bogen und folgte geduldig seiner Beute. Nach wenigen Schritten fand er den Rehbock am Boden liegend. Die großen Augen starrten ihn beinnahe anklagend an und der stoßweise Atem des Wildtieres war deutlich zu sehen. Bertrand zückte sein Jagdmesser und beendete das Leid des Rehbocks mit einem raschen Schnitt.

Dieser Moment war immer der Schwierigste. Doch sie brauchten wieder frische Nahrung. Ihre Reise nach Vingtiennes hatte sich verzögert, als sturmflutartiger Regen einsetzte. Sanft hinplätschernde Gebirgsbäche verwandelten sich in reißende Ströme, zwei Brücken erwiesen sich dementsprechend als unpassierbar. Sie waren gezwungen gewesen weite Umwege zu nehmen und ihre Vorräte waren geschwunden. Zwar gab es noch einen Sack mit Korn, aber dieser war für die beiden Schlachtrösser der Ritter reserviert. Obwohl die beiden Braunen Bèlemnite und Tourbillon deutlich schneller und stärker als Bertrands eigenes Reittier Hirondelle waren, vertrugen sie dennoch kein Grünfutter, sondern mussten mit kostbarem Getreide gefüttert werden. Deswegen war es gut, dass Bertrand an diesem Tag mit Beute heimkehren konnte. Zwei Tage lang waren seine Jagdversuche schon erfolglos geblieben.
Bertrand zog die Pfeile aus dem Rehbock, schulterte das Tier, und machte sich auf den Heimweg.

Er war noch nicht weit gelangt, als er Hufgeräusche hinter sich hörte. Bertrand drehte sich um und erkannte, dass zwei Reiter schnell näher kamen. Der aufgeweichte Boden verschluckte die Geräusche leicht und so waren die Beiden bereits auf weniger als zwanzig Schritte herangekommen, bevor Bertrand ihre Annäherung wahrgenommen hatte. Beide Reiter waren von stattlicher Figur. Ihre kostbare Jagdkleidung und großen Reittiere zeichneten sie als angehörige des bretonischen Adels aus. Sie hielten in ihrer Rechten einen Jagdspeer, dessen karoförmigen Spitzen und die metallenen Querstangen in der schwachen Herbstsonne aufblitzten. Bertrand blieb stehen und wartete, was geschehen würde. Es war ohnehin zu spät, sich ins Gebüsch zu schlagen, da die Reiter auf ihn zu hielten. Der Vordere senkte seinen Speer und zeigte damit direkt auf Bertrands Brust.

„Ihr da, Bursche! Wohin des Weges?“ Es war der typische Befehlston eines Adeligen. Die Mischung aus anerzogenem Überlegenheitsgefühl und Arroganz.
Bertrand überschlug kurz die Situation. Seine Hände hielten die Vorder- und Hinterbeine des erlegten Rehbocks, der an seinem Rücken hinab hing. Sein Bogen hing über die Schulter, sein Jagdmesser steckte am Gürtel. Selbst wenn er es wollte, Bertrand war nicht in der Lage Widerstand zu leisten. Und auch ohne den Rehbock, der ihn behinderte, würde es an Wahnsinn grenzen zu Fuß gegen zwei mit Speeren bewaffnete Reiter zu kämpfen. Außerdem kam es Bertrand gar nicht in den Sinn, sich gegen zwei Adelige zu stellen, die sich gebärdeten, als wäre dieser Wald ihr Eigentum. Wahrscheinlich ist dem auch so, dachte Bertrand.

„Zu meinem Lager“, gab Bertrand demnach zur Antwort.
Der zweite Reiter drängte sein Pferd nach vorne, bis es direkt vor Bertrand stand.
„Wohl in ein Wilderernest“, sagte der Reiter und zeigte mit seiner behandschuhten Hand auf den Rehbock.
„Nein, mein Herr. Zu meinem Herrn, der mich auf die Jagd geschickt hat“, entgegnete Bertrand leidenschaftlich.
Die beiden Reiter wechselten einen vielsagenden Blick aus.
„Und wer ist dein Herr?“, fragte schließlich der Erste.
„Jerome de Montfort“, antwortete Bertrand nicht ohne Stolz. „Und mit ihm reitet Reynald le Durie. Wir sind auf dem Weg nach Vingtiennes, doch der Regen hat unsere Reise verzögert und unsere Vorräte neigen sich dem Ende zu. Ist es noch weit nach Vingtiennes?“
Der erste Reiter nickte, offenbar gab er sich mit Bertrands Auskunft zufrieden. Er drehte sich im Sattel und zeigte auf den Wald hinter ihnen.
„Nur zwei Meilen trennen uns von eurem angepeilten Ziel. Ich muss es wissen, stehe ich doch im Dienst des Marquis de Vingtiennes. Mein Name ist Gaston de Foix und dies ist mein Freund Sir Philippe.“
Bertrand beugte den Kopf zum Gruß. „Milords, mein Name ist Bertrand, Knappe von Jerome de Montfort.“
„Ihr habt schon gesagt, wem Ihr dient. Gebt mir den Rehbock, Bertrand. Wir bringen Euch zu eurem Herrn und geleiten Euch dann in die Stadt“, bot Sir Philippe an und streckte sein Hand aus. Gehorsam gab Bertrand den Rehbock ab, den Philippe hinter sich auf dem Pferd verstaute.
„Wohlan“, sagte Gaston de Foix. „Zeigt uns den Weg zu eurem Herrn Jerome.“
Jerome wandte sich dem Weg zu, doch ohne Vorwarnung traf ihn etwas Hartes, Schweres auf den Hinterkopf. Überrumpelt sank er auf die Knie.

„Warum?“, stammelte er perplex, während sein Blickfeld verschwamm und ein pochender Schmerz seinen Kopf förmlich explodieren ließ. Gaston de Foix ritt in seine Sichtweite und sah ihn mitleidslos an.
„Ihr dreckiges Wildererpack. Euresgleichen glaubt wohl mit solchen lächerlichen Lügen davonzukommen. Wartet nur, der Kerker des Marquis wird Euch lehren, nicht in den Wäldern zu rauben, was Euch nicht zusteht.“
Dann wurde Bertrand schwarz vor den Augen und er versank in die Ohnmacht.

Er erwachte an einem dunklen Ort wieder, sein Kopf fühlte sich an, als würde jemand mit einem glühenden Eisen darin herumstochern. Nachdem sich seine Augen an die Dunkelheit und das spärlich einfallende, fahle Licht eines hoch über ihm liegenden Durchlasses gewöhnt hatten, sondierte Bertrand seine Umgebung. Es roch vermodert, der Boden war mit Dreck und Unrat bedeckt, über dessen Herkunft Bertrand lieber nicht allzu lange nachdenken wollte. Der Raum, in dem er sich befand, maß seiner Schätzung nach zehn Fuß Durchmesser und war kreisrund. Die Mauern bestanden aus soliden, unverputzten Steinen, und Bertrand, der darauf achtete wegen seines pochenden Schädels keine hektischen Bewegungen zu machen, konnte nirgendwo einen Eingang ausmachen. Ein Geräusch ertönte hoch über ihm, das Quietschen schlecht geölter Scharniere und das Ächzen von altem Holz. Ein Lichtschein fiel hinab und beleuchtete die Zelle, die sich in dem Schein noch unansehnlicher präsentierte. Bertrand hob seinen Kopf, was dieser sofort mit einer Welle neuen Schmerzes quittierte. Nur mühsam widerstand er dem Impuls in die Knie zu gehen, stattdessen hob er seine Hand und schirmte seine Augen gegen den hellen, hereinfallenden Schein ab.

Eine Öffnung im Dach hatte sich aufgetan, eine Falltüre. Zwei Männer standen in der Öffnung. Einer der beiden war Gaston de Foix, nicht mehr in Leder, sondern nun in die volle Montur eines Ritters samt leuchtend buntem Wappenrock gekleidet. Gaston de Foix hielt auch die Fackel, deren Schein die Quelle des blendenden Lichts war. Sein Begleiter war wesentlich älter als der Ritter, was man an seiner runzligen Stirn und dem zurückweichenden, grauen Haar erkennen konnte, dessen fahle Strähnen bis auf die Schulter fielen. Der Ältere trug im Gegensatz zu Gaston de Foix auch keine Rüstung, doch seine Kleidung, das dunkle Wams und die Beinlinge, waren mit Gold durchwirkt, und sein pelzbesetzter langer Mantel verriet seine hohe Stellung und seinen offensichtlichen Reichtum. Der alte Mann beugte sich vor, und stützte sich mit seinen Händen an den Knien ab. Er beobachtete Bertrand, wie ein Jäger seine Beute und lächelte, doch es lag kein Mitgefühl in dieser Geste.
„Ihr habt euer Wort gebrochen, Gaston“, sagte Bertrand trotzig und vergaß absichtlich den Standesunterschied zwischen ihnen beiden. Als Reaktion klatschte der alte Mann in seine Hände und wandte sich belustigt Gaston zu.
„Ihr habt Recht, Gaston. Der Bursche ist ein Wildfang. Ein Wildfang als Wilderer“, lachte der Mann über seinen eigenen Witz. Gaston de Foix stimmte mit ein.
Tief unter ihnen stieg in Bertrand die Wut hoch.
„Ihr habt kein Recht, mich hier gefangen zu halten“, rief er, wobei er den entflammten Schmerz seines Hinterkopfes in seine Worte einfließen ließ.
Gastons Miene verwandelte sich in pure Verachtung. „Zügelt eure Zunge, Bursche, sonst wird Euch der Kerkermeister für eure Respektlosigkeiten dieselbe herausreißen. Ihr redet mit keinem Geringeren als den Marquis de Vingtiennes. Den Herren über diese Stadt und alle angrenzenden Ländereien.“
Der Marquis legte seinem Ritter beschwichtigend die Hand auf dessen Arm.
„Lasst ihn, Gaston. Er wird ohnehin für seine Verbrechen büßen.“
Bertrand erhob seine Stimme, obwohl ihn das Reden inzwischen seine ganze Überwindung kostete, da er nahe an einer erneuten Ohnmacht war.
„Ich habe nicht gewildert! Eurem Ritter gab ich Auskunft, dass mein Herr Jerome de Montfort mich auf die Jagd geschickt hat. Sendet einen Boten nach ihm, damit er die Richtigkeit meiner Worte bestätigt.“

Der Marquis wandte sich Bertrand zu. „Eure frechen Lügen werden Euch nicht retten, Bandit. Ich bedaure nur, dass wir nicht auch eure Komplizen ergreifen konnten. Aber keine Sorge, sie werden sicherlich von eurem Schicksal erfahren, wenn ihr morgen am Markttag vor aller Augen gevierteilt werdet. Dies wird ihnen hoffentlich eine Lehre sein, nicht in meinen Wäldern zu wildern.“
Bevor Bertrand etwas erwidern konnte, warf Gaston de Foix die Klappe zu und die Dunkelheit umfing ihn wieder. An Ort und Stelle sank Bertrand nieder, vom Schmerz überwältigt. Stöhnend lehnte er sich an die Mauer während sein Kopf pochte, als würden sämtliche Grünhautstämme des Grauen Gebirges daraus hervorbrechen wollen. Immer und immer wieder, gingen Bertrand die letzten Worte des Marquis durch den Kopf. Der einzige Gedanke, der sich seinem gequälten Schädel entringen konnte. Morgen würde es vorbei sein, wenn ihn nicht doch noch jemand retten würde. Angesichts seiner gewaltigen Schmerzen war sich Bertrand nicht sicher, ob die Vierteilung nicht doch das angenehmere Schicksal war.

Der Bauer kratzte sich an seinem Kopf, da ihn das Ungeziefer in seinen ungewaschenen, verfilzten Haaren juckte. Seine Füße schmerzten, aber das war er gewohnt. Ebenso das Warten an den Stadttoren. Eine lange Reihe von Bauern und Leibeigenen begehrte Einlass nach Vingtiennes. Der Markttag nahte, und das bedeutete für einen Bauern die Hoffnung auf zusätzliche Geschäfte. Gaukler würden kommen, Händler, teilweise sogar aus anderen Herzogtümern, vielleicht sogar aus dem Imperium selbst. Und all diese Mäuler mussten essen, da bot sich für jemanden wie ihn eine Möglichkeit, zusätzliches Geld nach Hause zu bringen. Wenn die Herrin auf ihn herablächeln würde, brachte er es auf einen Beutel voll Kupfermünzen, vielleicht sogar auf ein wenig Silber für seinen mit Kürbissen beladenen Karren. Den heutigen Tag musste er damit verbringen einen guten Standort zu finden, und dann die Kürbissuppe zu kochen. Wenn er pro Portion Suppe samt dem Stück Brot eine Kupfermünze verlangte, dann hätte er sicherlich genug Geld übrig, um sich auch noch einen Humpen Ale in einem Gasthaus zu genehmigen. Aber dafür benötigte er wirklich den Segen der Herrin vom See, sowie gutes Wetter. Wenn es morgen regnete, dann würde die Kundschaft ausbleiben, und dann konnte er nicht einmal den Wegzoll bezahlen. Der Bauer sandte ein Stoßgebet zur Herrin, dass es nicht zu solch einer Tragödie kam. Dann nahm er den Karren und schob ihn vorwärts, da die Reihe um einen Platz nach vorne gerückt war.

Die Wache am Tor interessierten diese Gedanken nicht. Sie waren selbst die Söhne von Bauern, doch irgendwann in ihrem Leben war ein Wandel eingetreten. Sie alle standen nun im Sold des Marquis des Vingtiennes. Und wenn auch eine karge Bezahlung war, da der Marquis von der Bekleidung, bis hin zur Pauschale für die Beerdigung von ihrem Gehalt abzog, war es dennoch ein besseres Leben als das Dasein eines Leibeigenen, der von der Mund in den Hand lebte. Deshalb achteten sie penibel darauf, dass jeder Einreisende seinen Wegzoll bezahlte. Gleichzeitig bot sich für sie jedoch auch die Möglichkeit, durch einen höheren Betrag, sich ein Zubrot zu verdienen. Ihr Anführer, ein beleibter Sergeant würde zwar den Löwenanteil erhalten, aber dennoch blieb am Ende des Tages genug für die restlichen Soldaten um zumindest ein, zwei Becher Ale zu konsumieren.
In die lange Schlange kam plötzlich Bewegung.
„He, da!“, rief der Sergeant. „Mehr Disziplin, oder wir schließen die Tore sofort.“ Sein verärgerter Tonfall verstimmte sofort, als er den Grund für die Unruhe erkannte. Dies lag durchaus an dem imposanten Anblick der beiden Neuankömmlinge, die hoch zu Ross zum Tor ritten. Sie waren eine beeindruckende Erscheinung, die Sonne spiegelte sich auf ihren Schildern, die mächtigen Pferde steckten in leuchtend bunten Schabracken. Der Vordere, ein wahrer Hüne trug ein Schwert vor einem Torhaus auf dunkelbraunem Hintergrund als Zeichen. Ein hoher Flügelhelm mit geschlossenem Visier verlieh seiner Erscheinung eine noch wesentlich mächtigere Präsenz. Der Andere wirkte im Vergleich dazu fast schmächtig, doch auch er steckte in einer Vollplattenrüstung, einem Helm samt Visier. Auf dem Schild des Zweiten war ein schwarzer Turm gemalt auf lindgrünem Hintergrund, dieselbe Farbe trugen sein Wappenrock und die Schabracke seines großen Reittiers.
„Milords, womit kann ich dienen?“, fragte der Sergeant schmeichlerisch, während er sich zugleich verbeugte.

Reynald le Durie klappte sein Visier hoch und blickte von hohen Sattel Bèlemnites herab.
„Wir begehren Einlass in die Stadt. Und meldet dem Marquis, dass Sir Jerome de Montfort eine Audienz bei ihm wünscht.“
Der Sergeant gab eine unterwürfige Antwort von sich, dann schickte er einen seiner Soldaten los, damit er dem Marquis die Botschaft überbrachte. Die beiden Ritter warteten eine Antwort gar nicht erst ab. Sie ritten unbehelligt durch das Tor ohne einen Wegzoll zu zahlen. Es kam ohnehin auch niemand auf die Idee, von Angehörigen eines so hohen Standes diesen zu verlangen.

„Ihr sagt also, Sir Jerome, dass Ihr euren Diener sucht?“, fragte der Marquis de Vingtiennes, der auf seinem Thron auf einem erhöhten Podest in seiner großen Halle saß. Mehrere Wachen, sowie Gaston de Foix flankierten ihn, während ein Feuer in dem Kamin prasselte. Verschiedene bemalte Schilde, Waffen und bestickte Teppiche bedeckten die Wände.
Gaston de Foix stand direkt hinter dem Thron des Marquis, seine Hände vor der Brust verschränkt.
„Meinen Knappen Bertrand“, korrigierte Jerome de Montfort höflich. Er war, ebenso wie der neben ihm stehende Reynald le Durie unbehelmt, die Hand Jeromes ruhte gelassen auf seinem Schwertknauf.

Bei der Erwähnung dieses Namens zuckte der Marquis zusammen, doch sofort erlangte der Marquis seine Fassung wieder. Gaston de Foix beugte sich auf sein Winken vor, und sie tauschten leise flüsternd einige Worte aus.
„Der Name ist ihnen bekannt“, raunte Reynald dem hünenhaften Bertrand neben ihm zu.
„Ich weiß“, erwiderte Jerome, jedoch keineswegs leise, da er sich nicht um Zurückhaltung kümmerte.
Der Marquis beendete seine private Unterhaltung mit seinem Ritter.
„Euer Knappe“, wiederholte er. „Sagt mir, Sir Jerome, wie kam es dazu, dass euer Knappe verloren ging?“

Jerome de Montfort stand aufrecht da, und tat so, als würde er die versteckte Beleidigung des Marquis nicht bemerken.
„Ich sandte meinen Knappen auf die Jagd, da unsere Vorräte zu Neige gingen. Als die Stunden jedoch verstrichen, und mein Knappe Bertrand immer noch nicht zurückkehrte, machten wir uns auf die Suche nach ihm. Diese blieb jedoch erfolglos, bis man uns in einem Dorf, nicht unweit von hier berichtete, dass zwei Reiter mit einem bewusstlosen Gefangenen nach Vingtiennes unterwegs waren, dessen Beschreibung auf meinen Knappen passte. Kann es sein, dass sich mein Knappe in eurem Kerker aufhält?“ Jerome de Montfort zeigte sich unbeeindruckt von den anwesenden Wachen, die bei seinem schneidenden Tonfall eine bedrohliche Haltung angenommen hatten.
„In dem Kerker des Marquis befindet sich bloß ein Wilderer, der am morgigen Markttag sein gerechtes Urteil empfangen wird. Ihr werdet doch nicht den Auftrag gegeben haben, in den Wäldern des Marquis zu wildern?“, warf Gaston de Foix drohend ein.

„Ihr meint wohl die Wälder, die der Herzog von Montfort dem Marquis als Lehen überließ?“, bot Reynald le Durie Paroli und trat vor. „Ihr vergesst wohl, Sir, wenn Ihr vor Euch habt. Kein Geringerer als der Neffe des Herzogs und dessen Schwertträger.“
„Der ehemalige Schwertträger des Herzogs. Auch wenn wir in Vingtiennes weit im Süden Montforts sind, so gelangen dennoch auch Neuigkeiten zu uns. Und ja, wir kennen Jerome de Montfort, und auch, was über ihn erzählt wird. Doch auch Ihr seid uns bekannt, Reynald le Durie. Mäßigt euren Ton, steht Ihr doch dem Marquis de Vingtiennes gegenüber, dessen Hundezwinger größer ist, als der Sitz eures Vaters.“
Es fehlte nicht viel, und Reynald le Durie hätte sein Schwert gezogen. Trotzig stand ihm Gaston de Foix gegenüber, dessen Hand auf seinem Schwertknauf ruhte, bereit, es beim geringsten Anlass zu ziehen.
„Genug!“, rief der Marquis und beendete damit die bedrohliche Szene. „Gaston, entschuldigt Euch bei unseren Gästen.“
Trotzig murmelte Gaston eine unwillige Entschuldigung, seine Hand blieb dennoch am Heft des Schwertes. Reynald le Durie zog sich ebenfalls auf einen Blick Jeromes zurück, seine Miene zeigte dennoch offensichtliche Empörung.

„Und mein Knappe?“, fragte Jerome. Seine Stimme war ruhig, dennoch lag ein Unterton darin, der an eine Naturgewalt erinnerte, die jederzeit entfesselt werden konnte.
„Gleichgültig, ob er euer Knappe ist, oder nicht, Wilderei ist ein Verbrechen. Und ich dulde solches Verhalten nicht. Zu lange schon werden meine Wälder heimgesucht und die besten Stück Wildes gerissen, sodass mir die Jagd verleidet ist. Ich schlage Euch einen Handel vor: Bringt mir den Verursacher der Wilderei, und ich gebe euren Burschen frei. Doch beeilt Euch, denn mir sind die Hände gebunden. Denn euer Gefährte hat durchaus Recht, diese Ländereien wurden mir von eurem hohen Onkel verliehen. Und wenn die Kunde an sein Ohr dringt, dass ich nicht für Ordnung in diesen sorgen kann, werde ich meinen Titel verlieren.“
Mit diesen Worten entließ der Marquis die Beiden. Mit einer knappen Verbeugung entfernten sich Jerome und Reynald.

Sie eilten in den Hof hinab, wo ein Page ihre beiden Pferde bereithielt. Bertrands eigenes Tier und das Packpferd waren bereits in den Ställen des Schlosses untergebracht. Jerome schwang sich in seinen Sattel und ritt aus dem Tor hinaus. Reynald tat es ihm gleich und schloss schließlich zu dem großen Ritter auf.
„Der Marquis wird uns keine Hilfe geben?“, fragte er das Offensichtliche.
Jerome schnaubte. „Der Marquis hat nur wenig Sympathie für mich und meine Familie. Er ist ein Gefolgsmann der Sanguines. Von ihm können wir keinerlei Unterstützung erwarten.“
Jerome gab seinem Hengst die Sporen, und Tourbillon schoss vorwärts. Umherstehende und Passanten sprangen schnell zur Seite, um dem Reiter Platz zu machen. Reynald wunderte sich über dieses für Jerome so seltsame Verhalten. Dennoch trieb auch er Bèlemnite zu einer schnelleren Gangart an. Am Stadttor holte er schließlich Jerome de Montfort ein.
„Weshalb diese Eile?“, rief er. „Der Marquis hat uns doch keine Frist gesetzt.“
Jerome de Montfort sah ihn an und zog eine Augenbraue hoch. „Erinnert Euch an die letzten Worte“, sagte er. „Wir haben Zeit bis Morgen, andernfalls wird Bertrand vor aller Augen als Wilderer gevierteilt.“ Dann setzte sich den Helm auf, und schloss das Visier. Jerome de Montfort stürmte aus dem Tor, dich gefolgt von Reynald le Durie.

Der Sergeant der Wache zog den Händler beiseite, bevor er unter den Hufen der galoppierenden Streitrösser zermalmt wurde. Verwundert und verärgert zugleich blickte er den beiden davoneilenden Rittern hinterher. Der Händler dankte ihm übereifrig, dass er seine Haut gerettet hatte. Seine Glückwünsche würden sich rasch in Verwünschungen wandeln, wenn er erst die Höhe des Wegzolls erfuhr. Aber das war dem Sergeant ohnehin egal.
 
Chuckchuck
wann gehts denn weiter? wenn die Pause noch länger dauert, muss ich nochmal von vorne anfangen
greets%20%286%29.gif

Mea culpa, mea culpa! Es war viel los, ich werde aber versuchen, mindestens 1-mal pro Woche zu posten, damit man als Leser nicht us dem Rhythmus kommt.
 
2.15 Fehlende Antworten

Der Klang von Hämmern, die auf Eisen einschlugen, war das erste Zeichen, dass sich Marie Levaliere ihrem Ziel näherte. Sie hatte die Schmiede bisher immer nur von Ferne gesehen. Ein Gebäude, welches sich mit seiner Rückwand an die Außenmauer des Hofs schmiegte. Die Schmiede war ein nach vorne offenes Gebäude, in aus starken Holzbalken zusammen gehaltenes Gerüst, dessen Dach mit Riet und Strohballen bedeckt waren. Die Holzbalken waren rußgeschwärzt, da der große Kamin des Schmiedeofens nicht den gesamten Rauch abzog.
Marie raffte ihre Röcke, als sie die Schmiede betrat. Meister Gilbert stand an der Esse. Sein muskulöser Oberkörper war nur von einer Schürze bedeckt und der Schweiß rann ihm in Strömen hinab. Seine Gehilfen waren ebenfalls wie ihr Meister gekleidet, ein Umstand den ihnen Marie nicht verdenken konnte, herrschte in der Schmiede doch eine unglaubliche Hitze, besonders, wenn man die Jahreszeit bedachte. Der Schmiedeofen war glühend rot, vollends angefacht. Gilbert hielt eine Zange in seiner behandschuhten Hand und drehte damit ein hell leuchtendes Stück Eisen, welches in der Esse steckte. Einer der Gehilfen berührte den Schmied an der Schulter und rief ihm etwas ins Ohr, während die anderen Beiden jeweils an einem Amboss standen und mit gewaltigen Hammerschlägen rot schimmernden Stahl in Form brachten.

Meister Gilbert blickte auf und sah in Maries Richtung. Offensichtlich hatte der Geselle ihm von Maries Ankunft berichtet. Sofort drückte er seinem Gehilfen die Zange in die Hand und gab ihm Anweisungen, die Marie aufgrund der Hammerschläge nicht verstehen konnte.
Der Schmied nickte Marie zu und ging zu einem Fass, welches fast vollständig mit Wasser gefüllt war. Gilbert streifte seine geschwärzten Handschuhe ab und führte mit beiden Händen einen Schwall Wasser an sein Gesicht. Mit einem Leinentuch trocknete er sein Gesicht ab.
„Milady Marie“, grüßte der Schmied erneut und verbeugte sich leicht. „Was verschafft mir die Ehre eines so hohen Besuchs?“

Marie setzte ein bezauberndes Lächeln auf, was ihr nach dem gestrigen Besuch der Kneipe jedoch schwer fiel. Sie war begierig zu erfahren, was der Schmied über Claude de Sanguines rätselhafte Vergangenheit wusste. Eigentlich drängten sich ihr etliche Fragen auf, doch Marie wusste, dass sie diese Sache klug angehen musste. Der Schmied war als ein verschlossener Mann bekannt, sogar ihr geliebter Jerome galt im Vergleich zu Meister Gilbert, als redseliger. Nein, wenn Marie von dieser Person etwas erfahren wollte, dann war kluges Taktieren gefragt.
„Ich hätte eine Bitte an Euch, Meister Gilbert“, sagte sie schließlich höflich.
„Eine Bitte?“, wiederholte der Schmied. Dann breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus, als könnte er Maries Wunsch erkennen. „Aber sicher! Ihr wollt ein neues Schmuckstück? Nun denn, meine Profession liegt zwar mehr im Schmieden von Rüstungen und Waffen. Doch ich bin mir sicher, dass mir ein Werk gelingt, das eurer Anmut gerecht wird. Umso mehr, da mir eure grazile Schönheit als Quelle der Inspiration dienen wird.“

Marie errötete bei diesem Kompliment und schlug die Augen nieder, ein Reflex der ihr von ihren Ammen und Zofen so lange antrainiert worden war, dass er in Fleisch und Blut überging. Dennoch erinnerte sie sich zugleich, was der Grund für diesen Besuch war.
„Nein, Geschmeide sind nicht der Anlass, warum ich Euch aufsuche.“
Der Schmied zog fragend eine Augenbraue hoch. „Dann ein Schwert? Verzeiht mir, Milady, aber es fällt mir doch ein wenig schwer, Euch mit dem Werkzeug eines Ritters vorzustellen.“
Marie schüttelte erneut den Kopf. „Auch dies ist nicht meine Bitte“, verneinte sie. Sie fasste ihren ganzen Mut zusammen, und sprach es aus. „Ich bitte Euch, Meister Gilbert, ich bin auf der Suche nach Antworten.“
„Und Ihr denkt, dass ein einfacher Schmied solche Antworten geben kann?“, erwiderte Gilbert belustigt.

Marie trat einen Schritt vor, bis sie direkt vor dem großen Mann stand. Sie konnte dessen Mischung aus Schweiß und Ruß riechen. Marie reckte sich auf ihren Zehen, damit sie annähernd auf gleicher Höhe waren.
„Ich will nur Eines von Euch, Meister Gilbert. Erzählt mir, was in jenem Tempel in Khemri vorgefallen ist“, raunte sie ihm zu.
Gilberts Reaktion unterschied sich deutlich von der Tolriks. Der Schmied wich nicht erschrocken zurück, obwohl sich seine Augen in einer Mischung aus Überraschung und Furcht weiteten. Stattdessen ergriffen sie Gilberts Arme an den Schultern so fest, dass sie sich wie in einem Schraubstock fühlte.
„Ihr wisst nicht, wovon Ihr sprecht, Milady“, sagte Gilbert, dessen brüchige Stimme verriet, wie sehr ihn diese Wendung an die Nieren ging.
Marie versuchte ebenfalls ihre Fassung zu wahren, schmerzten doch die grobschlächtigen Pranken des Schmieds, die sie immer noch in einem unbarmherzigen Griff festhielten.
„Ich bin das Mündel des Herzogs“, protestierte sie und funkelte ihn an. „Gebt mich frei und beantwortet meine Frage.“

Gilbert zeigte sich davon nur wenig beeindruckt. „Und ich bin der Schmied des Herzogs. Ihr mögt mir Titel entgegenschleudern, so viel Ihr wollt. Steckt eure hübsche Nase nicht in Angelegenheiten, die Euch nichts angehen und die schon lange vergangen sind.“
Mit diesen Worten entließ er Marie Levaliere aus seinem Griff. Das Mündel des Herzogs zitterte am ganzen Leib, doch ein Blick in Maries funkelnde Augen zeigte ihre Entschlossenheit. Wie zum Hohn verbeugte sich Gilbert leicht, und wandte sich dann von Marie ab, um sein Tagwerk fortzusetzen.

Unschlüssig sah ihn Marie für einen Moment an. Offenbar war der Schmied nicht gewillt, über seine gemeinsame Vergangenheit mit dem Seneschall zu reden. Sie drehte sich von der Schmiede weg, und ging wieder zu dem großen Wohnhaus der Burg. Marie benötigte neue Kleider und hatte das Gefühl, sich erst einmal den gesamten Ruß und Dreck der Schmiede abzuwaschen. Und dann, entschied sie, würde sie wiederkommen. Doch das nächste Mal, würde sie eine Begleitung mitnehmen. Vielleicht war der Gilbert entgegenkommender, wenn zwei starke Arme hinter Maries Fragen standen.
 
3.) Mäßigung

3.1 Die Hinrichtung

Es war erstaunlich, dass nicht mehr alleine der Schmerz Bertrand plagte. Seit einiger Zeit gesellten sich nun Hunger und Durst hinzu, und dieses unheilige Trio machte Bertrands Dasein inzwischen zur Hölle auf Erden. Seit seiner Begutachtung durch den Marquis und den wortbrecherischen Gaston de Foix, war niemand mehr in der Luke erschienen. Kein Wort, kein Tageslicht drang zu Bertrand, nur das Rascheln im Heu, wenn sich das Ungeziefer seinen Weg bahnte. Bertrand konnte längst nicht mehr sagen, wie viele Stunden er schon in diesem dunklen Verlies verbracht hatte. Oder ob es nun Tag oder Nacht war. Wenn es sein Kopf erlaubte, dann drehten sich seine Gedanken um seinen Herrn Jerome de Montfort. In seinen wenigen klaren Momenten murmelte Bertrand Stoßgebete an die Herrin, die ihm seinerzeit seine Mutter beigebracht hatte. Auch wenn er ihr überfrommes Verhalten so oft kritisiert hatte, so war er in diesem Augenblick doch froh, dass sie sich die Mühe genommen hatte, um ihm diese Gebete beizubringen. In diesem dunklen, verlassenen Ort gaben einem diese Worte Kraft.
Als sich die Luke öffnete, glaubte Bertrand beinnahe, das Gesicht seines Herrn Jerome auszumachen. Doch das Gesicht in der Luke hatte nichts gemein, mit den edlen Zügen seines Ritters. Vielmehr war es von Pockennarben gekennzeichnet und zeigte ein boshaftes Lächeln. Holz ächzte und plötzlich drang eine wahre Lichtflut in die Zelle. Eine komplizierte Konstruktion aus Seilen, Winden und Zahnrädern, die von einer Gruppe Bauern bewegt wurde, senkte eine Plattform in die Zelle hinab. Zwei Männer standen auf der Plattform, der Pockennarbige und ein Zweiter, dessen Gesicht von einer Ledermaske verborgen war, die nur Schlitze für die Augen besaß. Beim Anblick des Zweiten überfiel Bertrand ein Schaudern.

Beide Männer stiegen von der Plattform herab. Ohne jegliches Mitgefühl rissen sie Bertrand hoch, achteten nicht auf seine Schmerzenschreie. Kaltes Eisen schloss sich hart um seine Hand- und Fußgelenke, verbunden mit Ketten, die ihm nur kurze Bewegungen erlaubten. Doch die beiden Männer trugen Bertrand ohnehin mehr, als das er gehen musste, auf die Plattform, die sich durch einen harschen Befehl des Pockennarbigen wieder in Bewegung setzte.
„Und Chet, glaubst du, dass der Bursche eine gute Schau liefert?“, fragte der Pockennarbige, als wäre Bertrand nicht anwesend.
„Zum letzten Mal Narbe, du sollst doch nicht vor einem Gefangenen mit mir reden“, grummelte der Mann mit der Ledermaske. Den Rest der kurzen Fahrt schwiegen sie alle Drei. Oben angekommen kam Bertrand nicht umhin zu bemerken, wie ihn die Gemeinen, welche die Apparatur in Bewegung gesetzt hatten, anstarrten.
Die Attraktion des Tages, dachte er verbittert.

Doch dann zerrte man ihn weiter zu einem Karren, wo seine Kette an einem Holzblock festband. Die Ledermaske stieg neben ihm auf den Karren, der von zwei Ochsen gezogen wurde, und auf dessen Kutschbock ein Mann saß, von dem Bertrand nur den Rücken zu sehen bekam.
Der Karren setzte sich rumpelnd in Bewegung.
„Wir sehen uns auf dem Marktplatz. Har, Har!“, rief der Pockennarbige Bertrand hinterher und formte zum Abschluss noch eine Kusshand.

Bertrand blickte nicht zurück, selbst als sie unter dem Burgtor hindurch in die Stadt Vingtiennes gelangten. Der Karren fuhr in einem gemächlichen Tempo durch das schlammverdreckte Gewirr aus Straßen, die beiderseits von einer Ansammlung ärmlicher Hütten und kümmerlicher Unterkünfte gesäumt wurden. Eine Gans schnatterte aufgeregt, als sie mit ihrem Nachwuchs beinnahe unter die Räder des Karrens geriet. Eine Katze stolzierte über die schiefen Dächer der Häuser, zwei Straßenhunde balgten sich um einen Knochen, doch das alles, kümmerte Bertrand in diesem Moment nicht. Wie in Trance sah er diese Bilder an sich vorbeiziehen, regungslos stand er auf dem Ochsenkarren, der über die unebene Straße rumpelte. Es war ein Geräusch, das ihn wieder in die Realität holte. Von ferne war es undifferenziert, ein Rauschen, so wie er sich das Meer vorgestellt hätte. Erst als sie um die Ecke bogen, und sich die Sicht auf den großen Marktplatz vor dem großen Tempel der Herrin vom See freigab, erkannte Bertrand, wobei es sich bei diesem Geräusch wirklich handelte. Es war die große Menschenmenge, das Gemurmel hunderte Personen die sich dicht an dicht drängten. Die Landsknechte des Marquis standen in zwei Reihen, Speere gekreuzt, und bildete eine Gasse, damit der Karren passieren konnte. Direkt vor den Stufen, die hinauf zum Tempel führten, war ein weiter Platz abgesperrt worden, wo mehrere kräftige Pferde standen. Direkt daneben befand sich eine Tribüne, die von einem Baldachin überdacht war. Der Marquis und seine adelige Gefolgschaft saßen auf gepolsterten Stühlen und hatten sich mit der Tribüne einen freien Blick auf die Hinrichtung gesichert.

In die Menge kam Bewegung, als die Ersten den sich nähernden Karren sahen. Das Geschrei der Menge steigerte sich zu ohrenbetäubendem Lärm, da ein Teil Bertrand für seine Tat verwünschte, eine Andere hingegen für seine Begnadigung plädierte, und der größte Teil sich eine Ablenkung von ihrem tristen, eintönigen Leben erhoffte. Ja, die Mehrheit wünschte sich ein Spektakel, doch Bertrand war nicht bereit, ihnen diesen Gefallen zu erfüllen. Vielmehr suchten seine müden Augen, die sich noch nicht so richtig an die Helligkeit gewöhnt hatten, die näher drängende Menge nach einem bekannten Gesicht ab. Doch weder Jerome, noch Reynald waren unter dem Meer von Köpfen, das hin und her wogte. Nur mit Mühe kam der Karren schließlich an dem Platz an. Mehrere halb verfaulte Salatköpfe, und anderes zum Werfen geeignetes Gemüse, flog Bertrand entgegen. Doch sie waren schlecht gezielt, und verfehlten. Ein Kohlkopf traf jedoch den Folterknecht, der mehr aus Überraschung wankte, was bei Einigen in der Menge ein Gelächter hervorrief. Sogar Bertrand konnte sich ein schadhaftes Lächeln nicht verkneifen, was ihm durch den Scharfrichtergehilfen einen Schlag zwischen die Schulterblätter einbrachte. Entkräftet sank Bertrand in die Knie.

Fast zugleich rissen ihn jedoch grobe Hände wieder hoch. Bertrand blickte auf, und sah sich von Ledermasken umringt. Zwei weitere Scharfrichtergehilfen zerrten ihn vom Karren hinab. Ein anderer Mann, mit einer dunkelrot gefärbten Maske, offenbar der eigentliche Scharfrichter, stand hinter ihnen und beobachtete das Ganze mit vor der Brust verschränkten Händen. Seine muskulösen, entblößten Oberarme wirkten so, als könnte er mit diesen aus eigener Kraft jemanden in vier Teile zerreißen. Bertrand sah schnell von dem Scharfrichter weg und auf die Tribüne. Doch auch dort konnte er weder Jeromes, noch Reynalds, Gesicht sehen. Sein Herz sank hinab, offenbar war seinem Herrn noch keine Nachricht von seinem Schicksal überbracht worden. Gaston de Foix stand hinter seinem Marquis, der wie ein stolzer Pfau in vorderster Reihe saß, und von zwei jungen Burgfräulein flankiert wurde. Beim Anblick dieses wortbrecherischen Ritters wünschte ihm Bertrand sämtliche Krankheiten der Alten Welt auf den Hals. Wenn es Gerechtigkeit gab, dann würde diesem Schandfleck von einem Mann früher oder später seine gerechte Strafe ereilen. Zugegeben, es war nur ein kleiner Trost, fand Bertrand, aber immerhin.
Die Gehilfen des Scharfrichters befreiten ihn von seinen Fesseln. Ein Herold, in der Livree des Marquis, stieg auf einen dafür vorbereiteten Holzblock. Mehrere Trompeten erklangen, und die immer noch schreiende Menge verstummte.

„Auf Befehl unseres geliebten Marquis de Vingtiennes, und Kraft der Autorität, die ihm von unserem König, und dem Herzog verliehen wurde, hört her!“, die geübte, kraftvolle Stimme des Herolds erklang mühelos über den Platz. „Dieser Mann ist der Wilderei in den Wäldern des Marquis angeklagt. Die ehrwürdigen Ritter Gaston de Foix und Sir Philippe brachten den Angeklagten auf, wie er mit seiner Beute entwischen wollte.“ Eine Reihe von Buhrufen und weiteres Gemüse als Wurfgeschosse unterbrachen den Herold. Die Soldaten hatten alle Mühe, die Menge im Zaum zu halten, die sich ansonsten auf Bertrand gestürzt, und ihn wahrscheinlich selbst zerrissen hätte.

Der Herold hob beschwichtigend beide Hände, und wie eine Horde von dressierten Schafen, verstummte die Menge sofort.
„Doch in seiner unermesslichen Güte gewährt der Marquis an diesem Festtag dem Angeklagten ein letztes Angebot. Der Angeklagte möge vortreten.“
Bertrand trat vor, allerdings eher unfreiwillig, da ihm einer der Gehilfen einen Stoß versetzt hatte. In einer theatralisch wirkenden Geste wandte sich der Herold ihm zu.
„Gesteht Ihr euer schändliches Verbrechen? Gesteh, und der Marquis gewährt Euch einen raschen Tod durch das Schwert des Henkers.“

Alle Augen waren auf Bertrand gerichtet. Dieser nahm seinen ganzen Mut zusammen. Er flehte zur Herrin, dass in diesem Moment seine Stimme nicht brüchig klang, da seine Kehle ausgetrocknet war. Sein Entschluss stand fest, seitdem der Herold seine verdrehte Version des Vorfalls im Wald präsentiert hatte. Bei der Erwähnung von Gaston und Philippes Namen stieg in Bertrand die Galle hoch. Wenn er schon abtrat, dann zumindest mit der Wahrheit auf den Lippen.
„Ich gestehe nicht“, rief er, und die Menge zuerst erschrocken die Luft ein. Bertrand hob seine Hand und zeigte auf die Tribüne. „Ich bin kein Wilderer, und das habe ich auch diesen Rittern gesagt. Ich bin Knappe in Diensten von Sir Jerome de Montfort und man wird meinem Herrn für dies hier Rechenschaft ablegen.“

Doch die Menge hörte seine Worte nicht. Nach dem ersten Schweigen explodierte sie förmlich. Rufe wurden laut, die seine sofortige Hinrichtung verlangten. Weitere Wurfgeschosse landeten auf dem Platz, allerdings nicht mehr nur Gemüse allein, sondern auch Steine. Selbst der Herold konnte die Menge nicht mehr beruhigen. Am Schlimmsten tobte jedoch der Marquis selbst. Der alte Adelige vergaß seine Selbstbeherrschung und kreischte, dass Bertrand sofort gevierteilt werde. Gaston de Foix und die beiden jungen Damen mussten den Marquis beruhigen, da sie um seine Gesundheit fürchteten.

Der Herold stieg von seinem Block hinab du drehte sich zu Bertrand.
„Du Narr“, zischte er. „Nun werden dich die Pferde zerreißen.“ Dann spuckte er Bertrand ins Gesicht. Die Henkersgehilfen eilten herbei, und führten Bertrand auf den Platz hinab, der sich widerstandslos in sein Schicksal fügte. Sie legten ihm neue Ketten an, die jeweils in einem Seil mündeten, welches an einem der vier Pferde angeschirrt war. Der Oberscharfrichter kam näher.
„Leg dich hin“, befahl er, und Bertrand gehorchte, da er in Gedanken ohnehin sein letztes Gebet an die Herrin sprach.

Die vier Henker zogen ihre Peitschten und trieben die Tiere auseinander. Immer weiter, bis die Seile unter Spannung kamen. Die Menge tobte immer noch, jetzt in Schadenfreude, da der freche Wilddieb bald seinem unausweichlichen Schicksal erliegen würde. Und nach seiner schändlichen Rede fanden die Meisten, dass eine Vierteilung noch zu gut für diesen Abschaum war. Ungewaschene Hälse reckten sich, um das Ende auf keinen Fall zu verpassen. Bertrand schwebte bereits mit ausgestreckten Beinen und Armen ein kleines Stück über dem Boden. Doch die Pferde wurden noch weiter auseinander getrieben, und der Körper des Angeklagten stieg immer höher.

Bertrand schrie gequält auf: „Herrin …“. Doch sein Ruf ging unter im Gebrüll der Menge, die inzwischen ohrenbetäubende Stärke erreicht hatte. Die Henker trieben mit ihren Peitschen unbarmherzig die Tiere an, und Bertrand wurde dadurch noch mehr gestreckt. Es war eine Qual, sein Körper bestand nur noch aus flammenden Schmerzen und er stand kurz davor, dass seine Arme und Beine aus ihren Gelenken gerissen wurden. Die Menschenmenge schrie in ekstatischer Erwartung des Unvermeidlichen, ein Chor reinsten Hasses.

Ein Pferd sprang plötzlich auf den Platz. Ein Schwert blitzte auf, und eines der Seile wurde mit einem raschen Schnitt durchtrennt. Ohne den Widerstand, schoss dass Pferd vorwärts. Noch bevor jemand reagieren konnte, waren die restlichen Seile durchtrennt, ohne dass jemand dies verhindern konnte. Doch selbst wenn, der Reiter wirkte mit gezogenem Schwert so bedrohlich, dass keine auf eine derartige selbstmörderische Idee gekommen wäre. Ein zweiter Reiter erschien neben dem Ersten, auch er mit kampfbereitem Schwert. Die Kettenhauben beider Männer funkelten in der Sonne, da sie ihre Helme nicht trugen. Dennoch, die bunten Wappenröcke, sowie der schimmernde Stahl ihrer Vollplattenrüstungen wiesen sie als Angehöriger der höchsten bretonischen Kaste aus.

Auf dem gesamten Platz war es plötzlich mucksmäuschenstill, als Jerome de Montfort sein blankes Schwert auf die Scharfrichter hinab richtete.
„Bindet ihn los“, befahl er mit einer Stimme, die an Donnergrollen erinnerte und keinerlei Widerspruch duldete. Einer der Gehilfen machte Anstalten, dem Befehl Folge zu leisten, doch er wurde davon abgehalten.
„Mit welchem Recht unterbrecht Ihr diese Hinrichtung“, schrie Marquis de Vingtiennes mit schriller Stimme, der sich erhoben hatte, und dabei von Gaston de Foix gestützt wurde. Durch den Einwand seines Herrn ermutigt, ließ der Scharfrichter von seinem Vorhaben ab. Im Gegenteil, die vier maskierten Henker formierten sich zu einer Front. Auch mehrere Soldaten eilten herbei und näherten sich bedrohlich den beiden Reitern.
Jerome de Montfort zeigte sich davon beeindruckt. Er richtete sich im Sattel seines Hengstes Torubillon auf, Reynalds Bèlemnite hingegen begann unruhig zu tänzeln, da es die Anspannung spürte.
„Mein Name ist Jerome de Montfort. Dieser Mann hier“, dabei zeigt er auf den am Boden liegenden Bertrand, „ist mein Knappe. Er hat keineswegs gewildert. Vielmehr habe ich ihn losgeschickt, damit er für mich und meinen Gefährten Nahrung beschaffe. Und ist dies nicht mein Recht, als Angehöriger des bretonischen Adels, noch dazu als Neffe des Herzogs?“
In der Menge waren Nicken zu vernehmen, und hier und da ein zustimmendes Raunen.
„Doch warum seid Ihr, großer Herr, dann nicht erschienen, um diese Sache aufzuklären?“, ereiferte sich ein beleibter Mann mit roten Hängebacken, mit einer blutigen Schürze um seinen Leib, die ihn als Fleischer auswies.

Jerome de Montfort sah den Mann an, und dieser wich erschrocken einen Schritt zurück, was bei denen Unmut hervorrief, die er verdrängte oder auf die Füße stieg.
„Sobald ich vernahm, dass mein Knappe fälschlicherweise der Wilderei bezichtigt wird, kam ich herbei, um dies zu klären. Der Marquis gewährte mir, meinen Knappen freizulassen, wenn ich die wahren Wilderer finge.“
„Und habt Ihr, Sir Jerome, diese Wilderer eingefangen?“, die Worte kamen von Gaston de Foix, der an den Rand der Tribüne getreten war.
Jerome hielt dem verächtlichen Blick des anderen Ritters stand.
„Reynald“, sagte er nur.
Reynald le Durie kam herbeigeritten. Er holte einen schweren Sack hervor, und reicht ihn an Jerome weiter.
„Hier habt ihr die wahren Wilderer“, rief Jerome so laut zu allen, dass man es bis in die letzte Reihe hören konnte.

Jerome de Montfort öffnete den Sack, und der Inhalt kullerte auf den Boden, so dass es jedermann sah. Der grausige Inhalt bestand aus einer Reihe von Köpfen. Allerdings hatte keiner davon Züge, die man als menschlich bezeichnen konnte. Es waren mit Fell und Hörnen versehen Köpfe, ein jeder davon in schmerzverzerrten Zügen, die einen Hinweis auf ihr grausames Ende lieferten. Die Menge wich erschrocken zurück, Schreie des Entsetzens ertönten, viele in der vordersten Reihe spreizten ihre Finger als Schutzgeste zur Abwehr. Jerome jedoch spießte einen Kopf, einem wilden, riesigen Ziegenbock ähnelnd, auf sein Schwert und hielt es vor Gaston de Foix.
„Da habt ihr eure Wilderer“, wiederholte Jerome laut.
Die Stimmung in der Menge war beim Anblick der Tiermenschenüberreste umgeschlagen. Lauthals forderten sie nun die Freilassung Bertrands. Immer, und immer wieder.
„So war das nicht abgemacht. Ihr handelt nicht wie ein Ehrenmann, indem Ihr die Wankelmütigkeit des gemeinen Volkes ausnützt“, zischte Gaston de Foix.
„Ach“, sagte Reynald an Jeromes Stelle. „Ich glaube kaum, dass Ihr in der Lage seid, uns Lektionen über ehrenhaftes Benehmen zu erteilen. Vor allem, da Ihr selbst nicht das Ehrenwort eines Ritters akzeptiert habt, und seinen Knappen weiterhin unrechtmäßig in Gefangenschaft hieltet. Was wohl der Herzog davon hält, wenn man ihm von der seltsamen Art der Rechtsprechung in diesem Lehen berichtet?“

Gaston de Foix war Reynald einen hasserfüllten Blick zu. Dann sah er zu dem Marquis. Auf dessen Gesicht tobten gleichermaßen Hass und Wut. Doch schließlich nickte er widerwillig.
„Gebt den Gefangenen frei“, befahl Gaston, was die Menge mit Jubelrufen und Applaus goutierte.
„Denkt daran“, sagte Jerome zu Gaston. „Man sieht sich im Leben immer zweimal.“
„Jederzeit, de Montfort. Jederzeit“, erwiderte Gaston de Foix verächtlich.
Dann steckten Jerome und Reynald ihre Schwerter ein. Die Henkersgehilfen hoben Bertrand hoch, doch diesmal weitaus vorsichtiger. Jerome de Montfort nahm seinen bewusstlosen Knappen vor sich in den Sattel und mit Reynald zog er ab. Die Menge jubelte immer noch und drängte näher. Doch dieses Mal wollten sie Bertrand nicht zerreißen