Mit letzter Kraft schleppte sich Grun zum Höhleneingang. Die Gerüchte, die man sich unter den Sklaven erzählte, waren also doch wahr. Es gab die versteckten Höhlen. Und wenn es die Höhlen gab, dann würde auch der Rest existieren. Zitternd stützte er sich an einen der jungen Bäume die vor der Höhle wuchsen und sie so gegen neugierige Blicke abschirmten. Grun wusste, dass er unwahrscheinliches Glück gehabt hatte, sie überhaupt zu finden. Beinahe wäre er daran vorbei gelaufen. Aber nun hatte der Imperator ihn hierher geleitet und Grun konnte sich nicht mal mehr genau an den Weg erinnern. Die meiste Zeit war er damit beschäftigt gewesen kreuz und quer durch die Wälder zu taumeln, um seine hartnäckigen Verfolger abzuhängen. Oft hatte er die Richtung gewechselt und war auch einige Male todesmutig umgekehrt und ihnen entgegen geschlichen. Nach zwei weiteren kräftezehrenden Nächten schien er es endlich geschafft zu haben. Gerade als er völlig geschwächt neben einem verrotteten Baumstumpf gelegen hatte, war von den Orks, die ihn tagelang gejagt hatten, nichts mehr zu hören gewesen. Völlig am Ende hatte sich Grun zusammen gekauert und die Augen geschlossen. Still hatte er seinem rasselnden Atem und dem sich beruhigenden Herzschlag gelauscht und auf den Tod gewartet.
Doch irgendwann, vielleicht nach Stunden oder auch nach Tagen, hatte ihn ein Regenschauer aus seinem tiefen Schlaf gerissen. Alles hatte sich gedreht und instinktiv hatte er den Kopf gehoben und den Mund geöffnet um gierig die großen Regentropfen zu trinken. Was danach kam, konnte Grun nicht mehr genau sagen. Erinnerungsfetzen einer seltsamem traumhaften Wanderung durch die dunklen Wälder waren alles, was ihm in den Sinn kam, wenn er versuchte, die letzten Tage zu rekonstruieren. Seine Hände waren total zerkratzt und schorfig. Die Fingernägel eingerissen und krallenartig lang. Mit ihnen hatte er Rinde von den Stämmen der Bäume gerissen, um an die Insekten darunter zu kommen. Er hatte Blätter und Gräser gegessen und wilde Beeren. Seine Haare waren filzig und lang. Harz und Dreck waren mit ihnen in eine feste Verbindung über gegangen. Seine Kleidung war noch zerrissener und dreckiger als vor seiner Flucht aus dem Arbeitslager der Orks. Und seine Arme und Beine waren nun schon so dünn, wie die Äste junger Bäume. Er konnte seine Rippen zählen und spürte, wie er sich gegen eine etwas kräftigere Windböe stemmen musste, um nicht umgeweht zu werden. Alles in allem musste er nun aussehen, wie ein wildes Tier. Geschichten aus noch glücklicheren Kindertagen kamen ihm in den Sinn. Geschichten von Fabelwesen die im Wald hausten und sich vor den Menschen versteckten. Wenn er nun so über seine Lage nachdachte, waren diese Geschichten vielleicht auch nicht alle so unwahrscheinlich, wie sie auf den ersten Blick schienen. Vielleicht hatte es schon immer Menschen gegeben die sich in die dunklen Wälder seiner Heimat geflüchtet hatten, um einer Verfolgung zu entgehen. Und als er seine Gedanken so fließen lies kamen ihm auch die Gerüchte in den Sinn, die man sich hinter vorgehaltener Hand im Arbeitslager erzählte. Und das auch nur wenn keine Ork in der Nähe war.
Nicht alle Menschen seiner Heimat waren von den Orks versklavt worden. Nicht alle waren einfache Bauern und Viehtreiber gewesen. Es hatte auch Leute gegeben, die mit Waffen umgehen konnten und dies auch getan hatten. Vor den Zeiten der Orks hatten sie die imperialen Gesetze und Regeln durchgesetzt und geschützt. Und als die Orks aufgetaucht waren, hatte es große Schlachten gegeben. Es hatte viele Verluste auf beiden Seiten gegeben. Nur schienen die Orks so zahlreich wie die Sandkörner in einer Wüste, während die Verteidiger sich mit der zeit immer mehr zurück ziehen mussten. Dann hatten die Kämpfe aufgehört und die grünhäutigen Wesen aus einer anderen Welt hatten die Herrschaft über Gruns Heimat an sich gerissen. Keiner wusste genau, wohin die letzten Krieger der Menschen verschwunden waren. Doch manchmal wurden die Orks von Truppen bewaffneter Menschen angegriffen und geschlagen. Doch bevor die grobschlächtigen Krieger Verstärkung erhielten, waren die Menschen schon wieder verschwunden. Das einzige was blieb waren tote Orks, ihrer Waffen und Munition beraubt. Man erzählte sich von einem versprengten Regiment unter dem Kommando eines fähigen Veteranen, der schon auf vielen Welten für das Imperium gekämpft hatte. Immer schlugen diese Kämpfer überraschend aus dem Hinterhalt zu und verursachten größten Schaden bei den Orks. Diese wagten sich bald gar nicht mehr ohne größere Feuerunterstützung in die Wälder um nach den rätselhaften Rebellen zu suchen, sondern zogen nur noch in Mobs los, die mindestens vierzig Mann zählten. Keiner wusste genau, wer zuerst erzählt hatte, das sich die Basis der menschlichen Rebellen in einer riesigen Höhle befinden sollte, aber alle glaubten es. Die Wälder waren voll von bewachsenen Hügeln und Erhebungen mit Höhlen, in denen man bequem eine kleinere Stadt hätte unterbringen können. Jeder Einheimische konnte in etwa sagen, wo man suchen musste, wenn man eine derartige Höhle finden wollte.
Aber niemand sagte dies den Orks und die Orks hatten sich auch nie die Mühe gemacht, die von ihnen eroberte Welt genauer in Augenschein zu nehmen. Ihnen reichte es die ansässige Bevölkerung zu versklaven und in die Minen zu schicken, um die spärlichen Eisenerzvorkommen der Region auszubeuten. Die Kultur der grünhäutigen Unholde schien keine Hochtechnologie zu kennen, wenn man mal von den wenigen wahrscheinlich zufälligen Errungenschaften absah, die es dieser Plage ermöglichte, zu den Sternen zu reisen um andere Völker zu bekämpfen. Alle ihren Maschinen schienen sie größtenteils mit Dampf und Feuer zu betreiben und dazu förderten sie riesige Mengen Kohle aus der Erde. Laute, schmutzige und vor allem stinkende Fabrikanlagen verunstalteten die Landschaft und verarbeiteten die von den Sklaven geförderten Rohstoffe. Auch hatten sie schon ganze Landstriche roden lassen, die einst mit dichten Urwäldern bewachsen waren. Grun konnte sich kaum noch an die Zeit vor den Orks erinnern. Aber die wenigen Bilder aus seiner unbeschwerten Kindheit, waren hell und sonnig gewesen. Die Menschen hatten von dem gelebt, was sie sich erarbeitet hatten und was ihnen die Natur bot. Es war auch damals nicht immer leicht gewesen, aber die Leute waren zufrieden gewesen. Nun schufteten sie in den Minen der Orks oder in den stinkenden Eisenhütten. Wann immer ihren neuen Herren danach war, veranstalteten sie bizarre Jagden und Spiele mit den Menschen und hetzten noch bizarrere Kreaturen auf sie. Diese schien es in allen möglichen Großen und Formen zu geben. Aber die Orks schienen nur ein Wort für diese seltsamen und dämonischen Wesen zu besitzen. Squigs. Bei einer der abartigen und unmenschlichen Veranstaltungen, wo die alten und schwachen Sklaven, diesen Bestien zum Fraß vorgeworfen wurden, gelang Grun die Flucht. Nur einige der Orks hatten sich dazu aufraffen können, ihm zu folgen. Doch diese waren auch äußerst ausdauernd bei der Verfolgung des flüchtigen Jungen gewesen.
Ein Schüttelkrampf riss Grun aus seinen Erinnerungen. Sein Körper wehrte sich gelegentlich gegen die karge und vor allem ungewöhnliche Kost, die Grun dem Wald abgetrotzt hatte. Zitternd beugte sich der ausgemergelte Junge vor und übergab sich auf den Boden. Unverdaute Blätter und Grashalme fanden ihren Weg zurück in die Natur des Waldes. Als er sich wieder aufrichtete und die letzten sauren Reste seiner Mahlzeit ausspuckte, erstarrte er. War es möglich? Vor ihm stand ein Mensch. Ein bärtiger Mann. In militärischer Kleidung und mit einem Gewehr in den Händen, das auf Grun gerichtet war. Der Mann lächelte. Grun konnte sein Glück gar nicht fassen. Ein andere Mensch. Als er den Mann ansprechen wollte, hörte er hinter sich einen Zweig brechen und im nächsten Augenblick schon bekam er eine Schlag auf den Kopf. Alles wurde dunkel. Grun sackte in sich zusammen.