40k Wer hungert...

FuNi

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28. Juni 2017
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Kapitel 1 -Wer hungert...-

Das wahrhaft bemerkenswerte an der logistischen Leistung, welche hinter der Zusammenkunft des Adelsrats steckte, bestand vor allem darin, dass der Bürger oder der hochwohlgeborene Gast von fernen Welten, von eben diesen Bemühungen nichts mitbekam. Nicht von den Unmengen an Gütern und Waren, die gereicht hätten eine kleinere Welt für ein Jahr oder länger in Saus und Braus leben zu lassen. Nicht von dem Mehraufwand, den die Koordination so vieler zusätzlicher, ankommender Raumschiffe bedeutete. Prachtstraßen in Gohmor, über welche die unzähligen Kontingente aus Haussoldaten und PVS marschieren würden und die gesäubert und geschmückt sein wollten. Tribünen die errichtet wurden, Suppenküchen und Spendenzentren für Bedürftige.
Denn das Zusammenkommen der Reichen, Mächtigen und Einflussvollen, war auch immer eine Zurschaustellung von Mildtätigkeit. Verkehrs- und Transportwege innerhalb der Stadt mussten angepasst, werden. Natürlich an die veränderte Verkehrsführung, aber auch mit Hinblick auf Statik und Stabilität. Militärisches Großgerät und tausende von Soldaten würden über Brücken und hängende Straßen paradieren. Nicht auszudenken, wenn eine davon unter der Belastung nachgeben würde. Spezialteams aus den Bereichen der mittleren Ebenen, die sich darauf verstanden lebensnotwendige Statik zu überprüfen, nahmen sich dieser verantwortungsvollen Aufgabe mit gebotener Akribie an.
Unterkünfte mussten bereitgestellt werden. Nicht nur für Besucher aus der eigenen Stadt oder auch nur aus den Ländern des eigenen Planeten. Mancher Gast von ferner Welt kam mit einem Gefolge aus Hunderten. Hierzu wurden schlicht neue Gebäude aus dem Boden gestampft, beziehungsweise, da Boden in einer Makropole naturgemäß ein seltenes Gut war, an existierende Bauten angehaftet. In den Bereichen unter der Regierungsebene, wie auch entlang der Paradestraße entstanden so regelrechte neue Städte über Nacht.
Medizinische Erstversorgung war ein leidliches, doch deswegen nicht weniger wichtiges und umfangreiches Thema. Wenn die Massen zu den Paraden drängten, um Stärke zu besehen oder einen Blick auf Reliquien zu erhaschen, dann waren Dehydrierung und Schwächeanfälle im tausend Personenbereich noch das Mindeste. Sporadisch auftretende Massenpaniken, Niedergetrampelte oder Hysterien waren ebenso an der Tagesordnung und bedrohten einen reibungslosen Ablauf.
Rettungskräfte waren wichtig, Ordnungskräfte waren wichtiger.
Arbites, sonst nur dann im Einsatz wenn das imperiale Machtgefüge an sich gefährdet war, würden neuralgische Punkte ebenso sichern, wie eine Unmenge von PVS-Polizei. Letztere würden Massen kontrollieren oder es zumindest versuchen, wie Vergehen jedweder Art ahnden.
Auch für Taschendiebe würden es Festtage werden. Gleichsam wurden wundertätige Gebeine in einer Anzahl unter der Hand verkauft, dass eine Legion von Heiligen auf Koron das Zeitliche hätte gesegnet haben müssen. Prostituierte allen Geschlechts und für jedwede Neigung zugänglich versammelten sich, reisten teilweise gar aus anderen Ländern an, um mit ihren Körpern und Fähigkeiten locker sitzendes Geld abzuschöpfen.

Für die Eröffnung des offiziellen Festakt des Adelsrates war die Kirche federführend. Als der große Gleichmacher im Staat, ja im Imperium, der den reichsten Kaufmann und den ärmsten Bettler gemein machte, oblag es ihr dem ganzen Unterfangen sakrale Weihen zu geben. Jede Kirchenglocke in Gohmor, von den gewaltigen, haushohen Glocken des Septinanusdoms, die von jeweils zweihundert lange ertaubten Servitoren geläutet wurden, über die zahllosen Kirchen jedweder Größe und Erscheinungsform der verschiedensten Ebenen, bis hin zu den kleinen Glöckchen in Slumschreinen und winzigen Kapellen.
Um acht Uhr Morgens am 131. Tag des Jahres 215, nach dem Krieg der Häuser, ließen sie den Lobgesang zum Himmel erschallen, auf dass man ihn auf Terra selbst noch hören möge. Nicht ohne den Eigennutz eines Kardinals Georg Prager, der in seiner, noch recht frischen Legislatur, die Früchte seiner ausgerufenen, großen Zeit des Glaubens, zu präsentieren trachtete. So erstrahlten gerade die prestigeträchtigsten Kathedralen in lange nicht gesehenem Glanz. Heerscharen von Pilgern zogen in grauem Büßergewand die Himmelstreppe hinauf. Eine steinerne Wendeltreppe, jede Stufe kaum breiter als zwei Meter, die sich Reih um Reih, von der Ebene 1, gute 10.000 Meter, bis zur Ebene 8 empor wandte. Eine entscheidende Station auf dem Weg der Abbitte, die auch abseits der jetzt stattfindenden Feierlichkeiten, über die Grenzen Korons hinaus Berühmtheit genoss. Es hieß, dass die Stufen niemals für zwei Personen die gleiche Anzahl hätten und das der Weg beschwerlicher werde, je beladener mit Sünde man sei. Dann und wann verlor mancher den Halt, auf den engen, Geländer losen, ausgetretenen und ewig im Kreis herumführenden Stiegen. Wer so dem sicheren Tod entgegen stürzte, für den hatten die Heiligen gleichwohl entschieden, dass es der Freveltaten zu viele seien. Wer allerdings bis oben kam, dem wurde sein schändliches Tun des letzten Jahres verziehen.
Predigten und Messen gab es derweil allerorten und auch Almosen wurden unter das Volk gestreut. So verging der erste Tag traditionell ganz im Zeichen des Glaubens und der Religion.
Der zweite Tag wiederum war dem Profanen, dem Bürgerlichen vorbehalten. Da wurden Jahrmärkte und die wildesten Zerstreuungen angeboten, gleichwohl aber auch Ausstellungen, die neueste Errungenschaften präsentierten. Vom Waschautomaten, über Automobile aller Art und all den anderen Tand, denn niemand brauchte und doch jeder zu besitzen wünschte. Nach diesen ersten zwei Tagen, die man bestenfalls als Prolog des ganzen beschreiben konnte, wurde eine vorsichtige, vorläufige Bilanz gezogen.
"Soweit so gut", hätte man diese übertiteln können. Es hatte keine Zwischenfälle, über dem Maß des Normalen, dem Erwarteten gegeben. "Soweit so gut." eben

Von religiöser Verzückung, wie auch von weltlichen Freuden hatte die Zehnte nichts. Es herrschte striktes Ausgangsverbot, obwohl es Urlaub geben würde. Nach den Feierlichkeiten. Bis dahin galt Formaldienst, zwischendurch Fahrzeuge und Ausrüstungen auf Hochglanz polieren, Formaldienst, dann etwas Formaldienst, Polieren und damit keine Langeweile aufkam Formaldienst.
Die Zehnte brauchte sich nicht nachsagen lassen, sie würde über weniger Disziplin verfügen, als andere Einheiten des Planeten. Im Gegenteil, wenn überhaupt hatten Horning und die Ufer des XanHo bewiesen, dass die Kompanie zu den zähesten und hartnäckigsten Kämpfern des Planeten gehörte. Gleichwohl lag es in ihrer Natur als Einheit, die im Großteil aus Fremdweltlern bestand, dass man ein gewisses Maß an Individualität tolerierte. Im Umkehrschluss hieß dies, dass der Zehnten der absolute Gleichklang fehlte, den eine Einheit vorweisen konnte, die sich Tag ein Tag aus die Zeit in der Kaserne vertreiben musste. Natürlich ließ sich hier nicht von mangelnder Fährigkeit sprechen. Es musste nur ein wenig nachgeschliffen werden.

Den Auftakt der Paraden machten am dritten Tag ohnehin die Hausarmeen der kleineren Adelshäuser. Oder besser gesagt, hier und da war auch ein Bewaffneter unter den Teilnehmern. Das Ganze glich in vielerlei Hinsicht mehr einer Karnevalsveranstaltung, ohne das man dies despektierlich auffassen musste.
Haus Icus etwa, welches sein Vermögen mit Müllverwertung wahrte und vergrößerte und einige bemerkenswerte Kontakte zu namhaften und teilweise verruchten Freihändlern haben sollte.
Die Haustruppen dieses Geschlechtes waren bestenfalls überschaubar. Sie waren daher eher schmückendes Beiwerk zu den Abgesandten und Würdenträgern, die in Richtung obere Ebene marschierten um in die Ratshalle einzuziehen. Mehr Aufsehen, als die jaulenden Luftkissenfahrzeuge, auf denen die Kämpfer der sogenannten “Krallen” hockten, erregten die exotischen Tiere, die Bestarienmeister und die eleganten Damen des Hauses an Ketten und ledernen Leinen führten. Cartaunische Stelzer, Federfüchse, Farbwechsler von den Bittergürteln, Schreitende Mollusken und unzählige Kreaturen mehr, die der geneigte Bürger ansonsten nur in kostspieligen xenologischen Gärten bestaunen konnte. Die meisten Tiere standen natürlich unter betäubenden Drogen, um sie durch das ungewohnte Spektakel und die wenig natürlichen Eindrücke nicht in Raserei oder panische Flucht verfallen zu lassen.
Das Haus Harmond war für sich genommen schon eine Menagerie. Kaum politischen oder gar wirtschaftlichen Einfluss, waren seine Mitglieder, die da aus den Schiebedächern sündhaft überteuerter Limousinen winkten, eine ganz eigene Art von Paradiesvögeln. Ihre Tummelwiesen waren die Seiten der Klatschblätter und Skandalspalten des Boulevards. Keine Woche, in der nicht ein Harmond ein Vid- Sternchen heiratete, schwängerte, schlug oder sich wieder scheiden ließ. Drogen- und Alkoholexzesse, Szenen und menschliche Trauerspiele. Das Volk liebte die adligen Clowns des Hauses, die ihnen erlaubten sich zu empören und genüsslich den Kopf zu schütteln. Haus Puree-Brézé, welches seinen Reichtum durch Lokomotiven gemacht hatte. Haus derer von Dietrich, dem man nachsagte, dass die oberste Führungsriege aus genetischen Kopien der immer gleichen Person bestand.
Adlige die auf lange, aber inzwischen nur noch von Historikern beachtete, Geschichten zurückblicken konnten.
Händler von Reliquien, wohl in organisierte Kriminalität verwickelt, die zu legalisieren gerade ihr größtes Bemühen war.
Still immer reicher werdende, laut immer ärmer werdende. Die die ihre Bedeutsamkeit schon hinter sich hatten und jene, denen man sie noch voraussagte.
Ihnen allen gehörte der Vormittag des dritten Tages und auch sie waren nur die Herolde des Kommenden.
 
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Bruder Renold lenkte den gelb lackierten LKW im Schritttempo durch die dicht gedrängte Menge aus Schaulustigen. Die dann und wann zu ihm herauf fliegenden Schimpfwörter und obszönen Gesten lächelte er weg. Sie waren ja nur Kinder und wussten es nicht besser. Der Unflat und die Dunkelheit in der sie aufwuchsen machten sie niederträchtig. Aber in ihrer Seele waren sie gute Geschöpfe und verdienten es errettet zu werden.
Langsam aber stetig kamen sie voran. Ihr Ziel war eine Seitengasse zwischen grauen Wohnhabitaten. Diese lag unweit einer Hochstraße, die für den regulären Verkehr gesperrt war, da man von hier einen herrlichen Blick auf die Prachtstraße hatte und sie den Zuschauern jetzt als überdimensionale Tribüne diente. Absperrgitter und gespannte Stahlnetze verhinderten, dass Betrunkene oder Unruhestifter Gegenstände auf die unten vorbeiziehende Prozession warfen.
Ihre eigene Aufgabe lag nicht im Begaffen blinkender Bajonette oder dem Putz jener, die ihr leeres Leben mit dem Anhäufen von Reichtümern zu füllen versuchten.
Ihre Mission bestand in der Errettung.
“Macht doch Platz Freunde.” Rief Schwester Evolet aus dem Seitenfenster und machte mit dem rechten Arm weit ausladende Bewegungen, als wolle sie eine Schar Gänse auseinanderscheuchen. Sie lehnte sich nach einigen Minuten lächelnd in den Sitz des umfunktionierten, Militärlastwagens zurück und sah Schulterzuckend zu Renold herüber. “Zwecklos sage ich dir.”
“Es wird auch so gehen. Schau, dahinten ist doch eine gute Stelle.” Sie schlichen auf die angepeilte Position zu und obwohl es nicht einmal fünfzig Meter waren, brauchten sie eine gefühlte Ewigkeit, bis sie angekommen waren. Die Menschen standen so dicht gedrängt, dass man Gefahr lief, dass jemand unter die Räder kam, selbst bei dem Schneckentempo.
Väter mit ihren Kindern auf den Schultern, alte Leute in Rollstühlen, Familien, Arbeiter, die Fabriksmonturen noch an. Aber endlich schafften sie es und mit einem Seufzer der Erleichterung stellte Renold den Motor ab. “Das hätten wir.” Evolet stieß ihm in die Seite und entblößte die makellosen Zähne in ihrem so einnehmenden Lächeln. “Vonwegen, dass hätten wir, mein Lieber. Jetzt geht es erst richtig los. Hopp Hopp!” Sie stiegen aus und machten sich daran die Plane hochzuschlagen. Auf der Ladefläche standen Fässer und große Kessel. Alles war vorbereitet. “Ich möchte in spätestens zwanzig Minuten beginnen.” verkündete Evolet mit bestimmenden Ton.
Und so sollte es sein. zwanzig Minuten später zischten blaue Gasflammen und wurden große Fässer geöffnet. Evolet griff unter eine Ablage und holte zwei blank polierte, langstielige Objekte hervor. Eines davon drückte sie Bruder Renold in die Hand, mit dem anderen bewaffnete sie sich selbst. Dann holte sie Luft und rief.
“Suppe… ihr Leute Suppe. Holt euch eure Suppe hier, heiß, nahrhaft und vollkommen kostenfrei. Die Kirche der göttlichen Transformation lässt niemanden hungern an solch einem freudigen Tag. Herbei ihr Leute, herbei.”
Das ließen sich die Umstehenden nicht zweimal sagen. Schon hatte sich eine Schlange gebildet. Die beiden tauchten ihre langstieligen Kellen in die Kessel mit heiß blubbernder Suppe und schenken wohlgemut aus.
 
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Der Nachmittag des dritten Tages gehörte den koronischen Nationen.
Seit vielen Jahren schwelte der Streit zwischen den Ländern des Planeten und den Adelshäusern, wenn es um die Wertigkeit des Stimmrechtes im Adelsrat ging. Ganzen Nationen wurden hier nur eine, beziehungsweise wenige Stimmen zugestanden, wären jedes Adelshaus mindestens eine, oft mehr Stimmen hatte.
Da sich der koronische Hochadel ganz klar in Gohmor formierte, fielen Entscheidungen für gewöhnlich zu Gunsten eben dieses Adels und damit der Hauptstadt aus. Zum nicht geringen Missfallen der Nationen. Dies hatte nicht zuletzt zur Gründen des Bundes der Truzt- Staaten geführt, die als direkte Opposition zur Zentralregierung angesehen wurde.
All dies bedeutete jedoch nicht, dass es sich die Länder nehmen ließen, mit großer Pracht und klingendem Spiel in die Ratshalle einzuziehen. Hierfür durften sie keine Formationen der PVS verwenden, da diese einzig und allein bei der großen Parade am fünften Tag marschieren würden, mit all ihren regionalen Besonderheiten und Eigentümlichkeit.
Wohl aber konnten Ehrengarden und außerordentliche Truppenverbände ihre Nation repräsentieren.
Unter den Zuschauern am beliebtesten waren zweifelsohne die festen Söldner der Nation Brunsberg. Tatsächlich verließ sich dieses Land fast ausschließlich auf Mietklingen, wenn es darum ging die eigenen Interessen zu schützen. Natürlich waren über die Generationen aus kurzfristigen Verträgen langwährende Vereinbarungen geworden und mancher formelle Söldner war bereits in dritter, vierter oder fünfter Generation im Dienst des Landes.
Die militärischen Rollen, die dabei von den Söldnern übernommen wurden, waren gleichsam vielfältig, wie sie in vielen Teilen unspektakulär waren. Die hier Marschierenden waren jedoch alles andere als unspektakulär.
Die Erste Garde, wie die Ehrenformation des Landes hieß, war bei den Bürgern nur als die bunten Hähne bekannt. Denn ihre weiten und voluminösen Uniformen, wie auch die exotischen Waffen, waren in allen möglichen und unmöglichen Farben gehalten. Ausladender Kopfschmuck, auf Helmen in Gold und Silber. Barocke, geschnörkelte Formen, die an Muscheln und Mollusken erinnerten. Die Seidenbanner waren ebenso Farbenfroh und mit fabelhaften Tierdarstellungen geschmückt. Wer sich aber zu dem Glauben verstieg, hier Harlequine vor sich zu haben, der irrte gewaltig. Die erste Garde bestand aus Veteranen und abgefeimten Kämpfern. Teile der Einheit waren permanent in den Weiten des imperialen Raumes und darüber hinaus im Einsatz, um ihre Fähigkeiten zu schärfen, neue Mitglieder zu werden, unsagbare Waffen zu erbeuten und den Ruf zu rechtfertigen.
So ließ es sich kein Land nehmen, die Besten der Besten zu präsentieren.
Die Sprungpack Sturmkommandos aus Kaptal, mit ihren stromlinienförmigen Helmen. Dereinst geschaffen um Luftschiffe zu entern, inzwischen eine Elitetruppe, die jedweden Höhenvorteil eines Gegners negierte.
Die weinenden Witwen von Tu Pekok, über die Veteranen des Horningkrieges sagten, man sei froh dass sie dort nie zum Einsatz gekommen waren.
Die hinterbliebenen Frauen, im Kampf getöteter, männlicher Soldaten, die ihren Schmerz im Blut feindlicher Kämpfer zu ertränken suchten. Das streng patriarchalische System Tu Pekoks gestattete Frauen keine kämpfende Rolle in den Streitkräften einzunehmen. Die Witwen waren hier die große und hoch geehrte Ausnahme. Natürlich hatten sich in der Zeit, seit welcher die Einheit existierte, einige Sitten verritualisiert.
Das schaurige Klagen und Heulen der Frauen war lange nicht mehr bei allen auf den Schmerz des Verlustes zurückzuführen. Nichtsdestotrotz konnte es den Mut eines Gegners versiegen lassen wie einen Brunnen im öden Land. Wusste man doch, so man das gespenstische Jaulen im Kampf vernahm, dass man Frauen gegenüberstand, die weder eigene Verwundung, hohe Verluste oder die vernachlässigbare Frage nach Sieg oder Niederlage kümmerte. Nur der Drang in den Nahkampf zu kommen, wo sie mit Kettenschwertern, Flammenpistolen und unnachgiebigen Zorn wüteten.
Bis auf Gohmor selbst marschierten die Kriegerinnen und Krieger von 28 Nationen hier.
Die Spezialkommandos der Föderalen Union.
Die Kampfschwimmer Torigrems, die Kriegerclans aus Casscadins und all die anderen Ersten unter den Ländern Korons.
Es ging für sie über die große Promenade, die Brücke der Hunderttausend, welche einen Transitcanyon überspannte, auf den Platz der ewig Aufrechten. Natürlich würden hier nicht alle Soldaten permanent ausharren müssen. Doch bis zum Ende der großen Parade, welche den offiziellen Start der Versammlung einleiten würde, verblieben kleine Abteilungen der verschiedensten Einheiten in wechselnder Besetzung als Ehrenwache.

In der großen Ratshalle begann derweil der Part, der nicht nur mit Zurschaustellung zutun hatte. Freilich war die Fassade und die Schau auch hier nicht vollkommen wegzudenken.
Die kleineren Häuser durften in die große Halle einziehen und ihre Sitze belegen. Natürlich wäre kein edler Herr und keine edle Dame auf den Gedanken gekommen, hier noch zwei oder drei Tage auszuharren, bis alle Teilnehmer ihre Plätze bezogen hatten. Die Sitte verlangte es, dass man sich auf seine Plätze begab, dort eine Zeit verweilte und dann ein Fürsitzer den Platz übernahm. Diese Lakaien würden den Sitz inne haben, bis dessen eigentlicher Besitzer zurückkehrte.
Die hohen Herrschaften ihrerseits frequentierten die, für den Abend angesetzten Empfänge, Partys und Soiréen.
Dem voran stand allerdings das Protokoll des Rates. Nachdem die kleineren Häuser eingezogen waren, verlangte dieses, dass sie ihre Sitze wählten. Nun war allgemein bekannt, wo im Rund des Ratssaales sich die großen Häuser zu positionieren pflegten. Es war Sitte diese Bereiche auszusparen, sich aber dort in der Nähe niederzulassen, wo man die eigene Verpflichtung und politische Ansicht sah. Dies kam bereits einem komplizierten Tanz gleich, bei dem es genau abzuwägen galt, ob man nun zwei Sitze vom rechnungsführenden Assistenten der orsianischen Finanzaufsicht für ausgelagerte Verwaltungsangelegenheiten saß oder drei.
Die Halle selbst war ein Kuppelbau, dem Worte wie gewaltig oder beeindruckend nicht einmal annähernd gerecht wurden. Das Gebäude ragte an der Seite der Ebene über den Rand der Stadt hinaus und in den Pausen konnte man auf den äußeren Galerien tatsächlich Meeresluft und Seewind atmen. Vorausgesetzt das kleine Deflektorschild war nicht aktiviert, was bei dieser Zusammenkunft aber ganz klar der Fall sein würde.
Nicht auszudenken, wenn die Eliten und Führer einer ganzen Welt zusammenkamen und nicht den besten nur möglichen Schutz genießen würden.
Der Generatorendom des Schildes lag tief im Fundament der Halle, von Techpriestern gewartet und von zwei Kompanien bewacht. Über dieser defensiven Kuppel würden Fliegerstaffeln die Luft und Kriegsschiffe das Wasser vor bösen Absichten schützen.
In der Halle selbst fanden viertausend Delegierte, Abgesandte und Minister mit Stimmrecht Platz. Dazu kamen engste Berater und wie auch immer geartete Begleiter. Auf der inneren Galerie gab es Logen für Gäste und darunter Ränge für weniger bedeutende Zuschauer und Ehrenabteilungen. Alles in allem fasste die Ratshalle zweihunderttausend Menschen, ohne dass der Eindruck erweckt wurde, es wäre überfüllt. Das ganze war, einem Amphitheater gleich, rund angeordnet. Es galt, je tiefer jemand saß, umso wichtiger war seine Person. Die allseits bekannte Redewendung, “jemand sitzt zwar tief, aber kann weit gucken”, um eine mächtige oder einflussreiche Person zu beschreiben, hatte darin ihren Ursprung. Einzige Ausnahme war die “Felsnadel”. Dabei handelte es sich um eine steile Empore, die in der Tat an eine Felsennadel erinnerte und hundert Meter in die Höhe ragte. Es sprach Bände über die Ausmaße der Halle, dass sich diese hundert Meter fast im weiten Raum verloren ausnahmen. Um diese Nadel herum, auf asymmetrisch angeordneten Balkonen, würden die Kabinettsmitglieder sitzen. Verwaltung und ausführende Organe der gohmorischen Zentralregierung.
Auf ihrer Spitze befand sich die Gouverneursloge, für das Herrscherpaar und ihren engsten Stab.
 
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Abgesehen vom heiß herbeigehofften Marsch der PVS, mit all der Wucht und schieren Masse der koronischen Macht, rangierte nur das Ankommen der Gäste auf einer ähnlich hoch angesiedelten Platzierung in der Gunst der Zuschauer.
Diese maßgebliche Zeremonie des vierten Tages bestach durch die Ankunft in diversen Landefahrzeugen, welche die Delegationen aus fremden Welten aus dem Orbit brachten. Einige wenige hatten das Privileg dies mit eigenen Augen zu sehen, etwa an den Beobachtungsplattformen, welche an der Außenseite des Stadtgebirges lagen. Für den Rest der ungezählten Hunderttausenden, mussten die Übertragungen auf den gewaltigen Vid-Schirmen genügen, die wenigstens eine Ahnung der ankommenden Schiffe vermittelten.
Obsidian war ein enger und langjähriger Handelspartner Korons. Ein Name, den man aus der Zeitung kannte und dessen Produktionskennung man auf dem einen oder anderen Produkt durchaus finden konnte.
Darüber hinaus waren greifbare oder vielmehr sichtbare Vertreter dieser Welt nichts, was der Bürger alle Tage zu sehen bekam. Um so größer war das Interesse, Bewohner dieses exotischen Ortes beschauen zu können. Man wusste, dass für die Obsidians mit dem Material, nach welchem sie sich benannten, ein präsenter und geradezu obsessiver Teil ihrer Kultur zusammenhing. Nicht verwunderlich, wenn man bedachte, dass sie durch ihre Nähe zur Malgosasonne deren harter Strahlung voll ausgesetzt waren. Allein das natürliche Material des Planeten umspannenden Pechgebirges, eben der alles bestimmende Obsidian, vermochte dieser Einstrahlung zu trotzen. Die amorphe Struktur dieses Vulkangesteins war in der Lage die Energie der Sonne zu brechen, abzuschwächen und gar zu negieren.
Ein Umstand der den ersten Siedlern das Leben rettete. Nachdem sie sich wie Würmer in die Berge gewühlt und die Sonne zu hassen gelernt hatten, errichteten sie ihre Städte und verkleideten sie mit dem schützenden Gestein. Nicht nur hatte man sich so auf der lebensfeindlichen Welt etablieren können, sondern es war sogar gelungen das Wundermaterial zu manipulieren und zu verbessern.
Während die schwarzen Städte in den glühenden Himmel wuchsen, gelang es bald schon den Obsidian so zu verändern, dass er eine stärkere strukturelle Integrität erhielt und gespeicherte Energie sogar abgeben konnte. Ein semi- natürlicher Solarspeicher, wenn man so wollte. Die schwarzen Städte waren auf diese weiße nicht nur geschützt, sondern florierten auch durch die relative Energieunabhängigkeit. Der Prozess der Gesteinsanpassung war inzwischen in Details der Vergessenheit anheimgefallen und funktionierte mehr überliefert als verstanden.
Auch war das Prozedere nicht effizient genug, um es über die Grenzen des Planeten, auf welchem das nutzbare Gestein in großen Mengen als Ausgangsmaterial vorhanden war, zu exportieren.
Für den Planeten selbst war es jedoch die Basis der Blüte. Einzig die Nahrungsproduktion stellte eine ständige Achillesferse Obsidians dar. Zwar gab es Gewächshäuser im Ausmaß von Ländern, dennoch war der Planet stets und ständig auf den Import von Nahrung angewiesen.
Koron war hier ein zuverlässiger Partner, besonders maritimer Nahrungsmittel. Aus stabilen Handlungsbeziehung war Partnerschaft und Bündnistreue geworden. Die koronische und die obspsidianische Subsektorflotte konnte faktisch mehr als Einheit, denn als geteilte Formationen gedacht werden. Darüber hinaus war Obsidian ein Lieferant erlesenster Luxusgüter. Nebelseide und Pulssteine waren dabei wohl noch die bekanntesten Artikel.
Der koronische Adel hatte vor dem großen Krieg einen ganzen Modezweig entstehen lassen. Haus Schell war allein durch den hundertjährigen Handel mit diesen beiden Erzeugnissen zu dem kleinen, aber unsagbar reichem Haus aufgestiegen, welches es heute war.
Im Eingedenk der engen Verbundenheit beider Welten führte niemand geringeres als Majordoma Ninky le Ninky Delegation an. Die jüngste Tochter der Generalgouverneurin von Obsidian, Gauss Ninky le Ninky un Wekk. Die Wertschätzung in dieser Geste konnte gar nicht hoch genug bewertet werden. Wie es Sitte war, war Ninky le Ninky allein gekommen. Sie hatte keine Berater oder Minister bei sich. Die Zwölfjährige konnte über alle Belange zwischen Koron und Obsidian entscheiden. Kognitivstimulanzien, seit der Geburt verabreicht und allein dem Herrschergeschlecht des Planeten zugänglich, verliehen ihr ein logisches Denken und rationales Verstehen, welches einer Vielzahl studierter Ökonomen und Strategen entsprach. Ninky le Ninky blieb den neugierigen Blicken der Zuschauenden weitgehend verborgen. Ihre selbstlaufende Sänfte war ringsherum mit grauer Nebelseide verschleiert, die sich träge bewegte, als schwebe der Stoff Unterwasser. Selbst das künstliche Licht der Makropole war zu viel für die empfindlichen Augen der Majordoma und lediglich eine schlanke Hand, so weiß wie Milch, bis auf die geschwärzten Fingerspitzen, winkte aus dem Gefährt.
Eine Abordnung aus Schranzen mochte man ihr nicht mitgegeben haben, wohl aber eine Idee dessen, was Obsidian an militärischer Stärke vorzuweisen hatte. Die eigene Heimat zu schützen und allen zu drohen, die begehrlich auf die schwarze Welt schauten.
Die Einheit selbst hatte den wenig klingenden Namen “Sondergeleitformation Eins”. Doch was machte schon ein unprätentiöser Name, wenn man einen Blick auf die Kämpfer werfen konnte, die hinter ihrer Herrin marschierten.
Nun, eigentlich war es weder korrekt hier von Marschieren zu sprechen, noch davon einen langen Blick zu riskieren. Denn Letzteres konnte durchaus zu Kopfschmerz, Übelkeit, Schwindel oder Erbrechen führen. Kinder und zarte Gemüter waren vor dem Schaulauf durch Flugblätter darauf aufmerksam gemacht wurden, den Anblick mit Vorsicht zu genießen.
Die Sondergeleitformation Eins bestand aus Männern und Frauen, die in Schwarzglasrüstungen gehüllt waren. Hätten sie stillgestanden, so hätte man, von Kopf bis Fuß in schwarzes Obsidian gekleidete Gestalten an ihren Umrissen erkennen mögen. Die Rüstungen wirkten asymmetrisch, fast wie natürlich gewachsene Kristalle, die nur zufällig die Form von Menschen angenommen hatten. Flache Flächen und scharfe Kanten. Dass allein war schon ungewöhnlich und unbehaglich. Der Umstand aber, dass die Farbe dieses Materials ein derart dichtes und massives Schwarz war, dass es Licht regelrecht zu absorbieren schien und die Augen in dem Bestreben überforderte, etwas in dieser absoluten Abwesenheit von Farbe und erkennbarer Tiefe zu erkennen, machte ein reines Betrachten zu einem desorientierenden Gefühl. Hinzu kam, sozusagen als Todesstoß, die Art wie sich die Formation bewegte. Andere militärische Einheiten bildeten sich etwas auf den perfekten Gleichklang von Schritten und schwingenden Armen, von gerecktem Kinn und geradem Rücken ein. Die Gerüsteten der Geleitformation bewegten sich buchstäblich völlig contraire dazu. Jeder Mann und jede Frau schien ihrer ganz eigenen Marschierbewegung zu folgen, die angestrengt genau anders zu sein versuchte, als die Bewegung der umgebenden Kameraden. Das darin System steckte verriet allein schon der Umstand, dass sie nicht übereinander fielen und stolperten. Die wogende und ungleichmäßige Bewegung aus sich senkenden und hebenden Kanten und Flächen, die aus purem Schwarz bestanden, einem wimmelnden Haufen sich bewegenden Nichts, wie es schien, konnte jedes, anderes gewohntes, Auge bezwingen.
Vor dem Hintergrund dieses sagenhaften, optischen Effektes, fielen die Erklärungen jener die es wussten schon fast gar nicht mehr ins Gewicht. Das die Schwarzglasrüstungen einen moderaten kinetischen Schutz boten und Laserstrahlen komplett absorbieren sollten.
Als langjährige, starke Freunde Korons, wurde es den Obsidians gestattet den Ehrenmarsch der Gäste anzuführen.
Ihnen folgten in einigem Abstand, die Vertreter des Axis- Systems. Mit diesem System bestand erst seit, beziehungsweise nach, dem Krieg der Häuser eine engere Partnerschaft. Auch wenn des in galaktischer Näher zum Trojan Sektor lag, war die Entfernung doch so beträchtlich, dass sie einen oder mehrere Waprsprünge bedurfte.
Ein nicht zu unterschätzender Faktor, denn es gab nicht wenige, konventionelle Handelsorganisation, die sich auf nicht- warp Raumfahrt verlegt hatten und für die Axis damit wegfiel.
Nichtsdestotrotz wurde in Diplomatenkreisen schon seit einiger Zeit von einer möglichen Allianz gemunkelt. Ein Bündnis aus Koron, Obsidian und Axis würde einen starken wirtschaftlichen und militärischen Block schaffen. Die Gäste von diesen wichtigen, außerplanetaren Interessenvertretern waren also keineswegs nur aus Anstandsgründen hier. Gut möglich, dass am Ende des Adelsrat eine neue, mächtige Allianz stand.
Die Anliegen des Codes Axis vertrat Militarum-Kanzler Chlodwig Grätz zu Hohenlohe. Ein Mann wie ein Stilett. Hart, schlank und geschärft, zackig in jeder Bewegung. Vom haarlosen Schädel, eingerahmt vom schwarzen Stehkragen seiner gleichsam schwarzen Uniform, über den lotrechten Rücken, bis zu den dürren Füßen in hochglänzenden, schwarzen Schaftstiefeln. Die Habichtnase dominierte das emotionslose Gesicht, schmal und unnachgiebig wie der ganze Mensch.
Eineinhalb Schritte hinter ihm der oberste Kanzler der Handelskommandantur, Ernst August auf Ehrenfeld-Düppel. Handel mochte in der Tätigkeitsbeschreibung dieses Kanzlers zu finden sein, doch ging hier kein feister Pfeffersack, sondern ein Mann, der in den Reihen der hier bereits langmarschierten Veteranen kaum aufgefallen war. Das Gesicht war auf unterschiedlichste Art vernarbt und scheinbar gar verätzt wurden. Der makellos gestutzte Bart und das militärisch kurz geschorene Haar suchten nicht diese, in Fleisch geschriebenen Abzeichen zu kaschieren, sondern hoben sie mit einem grimmigen Stolz hervor. Die Uniform des Kanzlers war ebenso nüchtern dunkel wie die des Militarums- Kanzlers. Lediglich einige goldene Tressen und rote Applikationen kündeten davon, dass Handel auch etwas mit zu erwerbendem Wohlstand zutun haben mochte.
Die Schattenkaste der Technomanten war hier nicht sichtbar vertreten. Das hieß allerdings keinesfalls, dass sie nicht auf Koron war. So eigenbrötlerisch und zersplittert sie intern auch sein mochten, auf der Bühne des Imperiums trat der Mechanicus geschlossen auf. Außenstehenden wurde kein Einblick gewährt.
Der Adeptus beteiligte sich nicht an Paraden und Schauläufen, um von Bauern begafft zu werden. Gemeinsam mit Vertretern der auf Koron anwesenden Maschinenprister würde der Magister der Technomanten von Axis beim Rat zugegen sein.
Das einfache Volk würde das Privileg ihn zu sehen jedoch nicht erhalten. Die militärische Abordnung die es zu sehen bekam tröstete über diesen Umstand jedoch geflissentlich hinweg. Hinter den beiden Kanzlern und noch vor den Soldaten, kam ein recht überschaubarer Stab an Beratern und Funktionären.
Sie alle bestachen eher durch Schlichtheit, als durch auffällige Extravaganzen. Symbolisch, wie auch praktisch wurden sie von einem Karree aus Schwestern der ewigen Gnade geschützt. Wer sich mit den kulturellen Strukturen des Axis- Systems auskannte, mochte darin ein Sinnbild sehen. Schützend, aber auch mit wachem Auge nach innen, umgab der Codex Animae den Codex Axis.
Die Schwestern konnte man in die Nähe des Adeptus Sororitas rücken, auch wenn man Bolter und Servorüstung vergebens suchte. Dennoch lagen über den einfarbigen Ordenstrachten Harnische und umfassten die bußfertigen Hände, von denen Sieche und Verwundete voll Bewunderung, ob ihrer Milde und heilenden Wirkung sprachen, wuchtige Sturmgewehre. Diese kleine Gruppe aus frommen und wehrhaften Frauen war direkt der Magistra untergeordnet, welche hier in ihrer Funktion als Beichtmutter mit angereist war.
Eine Beichtmutter wohlgemerkt, die Streitkolben und Maschinenpistolenpaar mit sich führte.
Abschließend folgte die soldatische Abordnung aus zweihundert handverlesenen Kämpfern. Fünfzig verdiente Helden des Paladin Sturmregimenten “Baron von Todenstein-Holle”.
Alles Überlebende von Situationen, die an sich nicht zu überleben gewesen wären. Schwarze Mäntel, Schädelmasken und viele, viele Prothesen aller Art kündeten von diesem Ursprung. An Militärakademien wurde dieses Regiment exemplarisch genannt, wenn Studenten die repetitive Nennung des Todeskorps von Krieg umgehen wollten. Der unbedingte Siegeswille und die rückhaltlose Opferbereitschaft waren Synonyme für diese Einheit. Ihnen folgten fünfzig “eiserne Kerls”. Schwere Belagerungssoldaten, welche in autonomen Angriffsrüstungen stecken, die eine Mischung aus qualmendem Kraftwerk, Abrissbagger, Ritterrüstung und Servolader zu sein schienen. Hatte ein Feind etwas befestigt, so oblag es ihnen diesen Zustand zu beenden. Die jeweils rechten Arme dieser stampfenden, dröhnenden und stinkenden Zentauren aus Mensch und Maschine, mündeten in Klauen, Sägen und Bohrern. Während die Linken in Flammenwerfern ausliefen.
Den Abschluss bildeten hundert Kämpfer der Elektroschwadron "Fulgur". Schwarze Gummianzüge, mit verspiegelten Scheiben dort, wo ein Gesicht hätte sein müssen. Die plump anmutenden Anzüge verliehen ihnen etwas undefinierbares Unmenschliches. Weniger greifbar als noch bei den Schwarzglasrüstungen der Obsidians, aber dennoch nicht zu leugnen. Hinzu kamen ihre ungewöhnlichen Waffen, die mit der Bezeichnung "Blitzwerfer" alles sagten, was es zu sagen gab. Die Energiequellen trugen sie auf dem Rücken. Von diesen Miniaturgeneratoren führten isolierte Kabel in die Enden der silbernen Stöcke, deren Spitzen von drei Ringen umschlossen waren. Viele Zuschauer schworen nach dem Vorbeimarsch, dass sie die Energie in der Luft gespürt und das Knistern der Ladungen gehört hätten. Natürlich marschierte keine Formation mit einsatzbereiten Waffen ins Herz der Hauptstadt.
 
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Reaktionen: Zanko und Sniperjack
Guy war ein Glückskind. Schon immer gewesen.
Auch jetzt, wo draußen der hohe Wellengang gegen die Scheiben klatschte. Hier drinnen bemerkte man die raue See gar nicht.
Die Yacht hatte eine Ausgleichsmechanik, welche einen vor den schlimmsten Auswirkungen der Seekrankheit bewahren konnte. Nur ein leichtes Schaukeln war zu bemerken.
Angenehm, wie eine Wiege.
Außerdem bei einigen Aktivitäten mehr als förderlich, wie Guy in sich hinein grinsend feststellte. Aktivitäten, die er in den letzten zwei Tagen ausgiebig genossen hatte.
Anessta und Ophelia waren in dieser Beziehung sehr kundig. Davon abgesehen waren sie ziemlich hohl. Erfüllten das Vorurteil von körperlichen Vorzügen und geistiger Überschaubarkeit.
Aber damit konnte er leben. Sehr gut sogar.
Gerade jetzt waren sie mit einer weiteren Runde fertig und gönnten sich eine Pause.
Die Kabine war opulent ausgestattet. Von der Edelholztäfelung mit ihren goldenen Applikationen, über erlesene Stoffe und geschmackvoll antike Möbel, bis hin zur ausgeklügelten Technik.
Auf drei Bildschirmen, die jederzeit dezent in der Wand versenkt werden konnten, waren Übertragungen aus Gohmor zu sehen. Die Parade von den Rängen der Zuschauer, wie auch aus der Vogelperspektive. Auf dem dritten Schirm waren die stumm redenden Köpfe zweier Moderatoren zu beobachten, die die Parade kommentiert hätten, wären sie nicht ihres Geplappers beraubt wurden.
All dieser Luxus verblasste jedoch, im Verhältnis zur gebotenen Aussicht. Das Dach, wie auch die Flanken der Kabine waren verglast und erlaubten den Blick auf die stürmisch graue See, wie auf die emporwachsende Makropole.
Rostig, angelaufen, dreuend und mit jedem ansteigenden Kilometer, beleuchteter, prächtiger und verschnörkelter. Die Yacht, die Raum- und Luftschiffe an den Docks hoch über ihnen, selbst die Giga-Frachter vor dem Hafen, alles nahm sich im Vergleich mit der Stadt lächerlich und unbedeutend aus.
Die Yacht… ja.
Guys grinsen wurden noch breiter.
Seine Yacht.
Jedenfalls für den Rest der Woche.
Eigentlich lief sich auf den Namen des truzter Großindustriellen Herman Herrenhausen. Der würde sie in Vierzehn Tagen nach einer Generalüberholung wieder in Besitz nehmen. Bis dahin vergnügte sich Guy noch volle drei Tage mit den beiden schönen Simpelchen.
Er war eigentlich nichts, sah man von seinem Beruf als Glückskind ab.
Er hatte Glück gehabt, als er Drusella geheiratet hatte. Nicht mir ihr, denn sie war spröde und frigide. Wohl aber mit seinem Schwiegervater, der eine angesehene Werft betrieb und zu sehr mit der Rettung von altehrwürdigen Booten und Schiffen beschäftigt war, um zu merken, dass sein lieber Schwiegersohn rigoros in die eigene Tasche wirtschaftete.
Jetzt war der alte tot. Vom Schlag getroffen, während er in Truzt weilte. Das trauernde Töchterchen war ihm nachgereist um die Überführung des Leichnams zu veranlassen und zu beaufsichtigen.
Guy wiederum sah dies als Lächeln seiner Glücksfee, noch einmal eine Woche einen drauf zu machen und dann mit dem “Gesparten” neue Gefilde anzusteuern.
Wo Drusella einmal in der Stimmung für Schicksalsschläge war, konnte sie diesen gewiss gleich mit verdauen. Die Familienpackung sozusagen. Das würde sie schon überstehen und schließlich war sie ja als Erbin und Sitzengelassene bald eine gute Partie.
Vielleicht fand sie einen Mann, der genauso blutleer und humorlos war wie sie selbst.
Guy gönnte es ihr.
Er war schließlich kein Schuft. Er würde sogar den Kahn zurückbringen. Ohne einen Kratzer im Lack. Nur mit ein paar Flecken auf den Laken. Die Handvoll Schekel, die er sich für ein weiteres, neues Leben zur Seite gelegt hatte würde sie in zwei oder drei Jahren locker wieder drin haben.
“Was sind das für welche?” Fragte Anessta und deutete mit ihrem brennenden LHO auf den größten der drei Monitore, wo gerade eine Reihe sonderbar schwarz gerüsteter Soldaten vorbei konvultierte.
“Das sind Obsidianer Baby.”
“Die sehen voll behindert aus oder so. Wie die zappeln. Ich muss gleich kotzen.”
Guy roppte von hinten an das Mädchen heran und küsste ihr nacktes Hinterteil.
“Die sind behindert.”
“Und die da?” Er blickte beiläufig auf die Übertragung.
“Axis irgendwas. Irgend eine Kugel auf der sie Uran schaufeln und hoffen mit Koron ins Bett steigen zu können.”
Anessta kicherte, halb wegen der Bemerkung, halb wegen dem, was er mit ihrer Kehrseite anstellte.
“Wenn du nicht hältst was du versprichst,” ließ sich jetzt Ophelia hören, die nackt vor der spektakulären Kulisse der aufgewühlten See selber überaus spektakulär aussah. “Reiß ich dir die Eier ab.” Das war nun wiederum weniger Theater reif. Sie schüttete ihren Champagner herunter und schenkte sich nach. “Wenn ich meinen Mädels erzähle, dass ich die Paraden nur auf dem Vid gesehen habe, darf ich mich nie wieder im Club blicken lassen.”
“Schätzchen,” beschwichtigte Guy sie und genoss ihren Anblick. “Ich halte immer meine Versprechen. Mit dem was ich euch morgen zeige, werdet ihr die Königinnen eures bescheuerten Clubs.”
Die Sache war einfach. Im Heck der Yacht befand sich ein Schweber-Gleiter. Platz genug für vier Personen. In den würde er die beiden Schlampen stecken und mit ihnen an der Makropole empor fliegen.
Das war natürlich verboten. So schon und während des Rates besonders. Aber Guy hatte sich belesen. Sie bewegten sich außerhalb des oberen Deflektorschildes, aber nah genug an der Stadt, um nicht als von außen geltende Gefahr eingestuft zu werden.
Höchstwahrscheinlich würde man sie gar nicht bemerken und wenn doch, dann würde es ein Bußgeld geben. Zu senden an den Eigner des Fahrzeuges.
Dankeschön, auf wiedersehen.
Im Gegenzug gab es einen echten ungefilterten Blick durch die gewaltigen Fenster der Ratshalle auf den Gouverneur und all die feinen Damen und Herren. Danach würden ihm die beiden ganz bestimmt besonders intensiv danken.
Die Fliegerei war kein größeres Problem. Wie auch das Schiff wurde der Gleiter hauptsächlich über die Servitoren auf der Brücke und unter Deck gesteuert.
“Das will ich hoffen mein Lieber.”
Guy breitete einladend die Arme aus.
“Vertrau mir Baby!”
 
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Die Tag-Nachtbeleuchtung war entlang der Paradestrecke aufrecht erhalten wurden, auch wenn es eigentlich keine Nacht gab. Feierende und jene, die ihren Platz mit guter Aussicht nicht einbüßen wollten, sorgten dafür, dass es so etwas wie Ruhe in den Nacht-, und Abendstunden nicht gab.
Als nun der lang ersehnte, fünfte Tag anbrach, wurde die Tageslichtbeleuchtung sogar noch heller gestellt. Man schuf quasi ein künstliches Kaiserwetter. Die Schatten wurden schärfer. Reinigungskolonnen paradierten auf ihre Art am frühen morgen. Sie schruppten und säuberten die breiten Straßen in so vielen Waschgängen und mit so absonderlich anmutenden, schäumenden, spritzenden und rotierenden Maschinen und Fahrzeugen, dass es nicht nur ein ganz eigener Hingucker wurde, sondern dass man danach auch bedenkenlos vom verstärkten Wabenasphalt der Straße hätte essen können. Als die Combo vorbeigezogen war, dampfte der Belag verheißungsvoll in der genau abgestimmten Temperierung des Gebiets um die Prachtstraße.

Die Eröffnung erfolgte durch einen Knaben und ein junges Mädchen, die in weißen Bußgewändern auf die Straße traten. Vor ihren Gesichtern lagen schwarze Masken, die im starken Kontrast zu den hellen Kleidern standen. Von den Masken wiederum führten Schläuche unter den Achseln der Kinder hindurch und hinter sie. Dort gingen vierzig Servitoren, jeweils 20 mit dem vor ihnen laufendem Kind mittels der sich teilenden Schläuche verbunden. Jede dieser Menschmaschinen hatte irgendwo zentral am Körper einen Verstärker eingebaut. Sie nahmen die vergitterten Ausgabegeräte einen Großteil des einstigen Gesichtes ein oder sie zeigten sich auf der Brust oder im Bauchbereich. Sie sorgten dafür, dass noch der am weitesten hinten stehende Gast die ersten, glockenhellen Worte von “Hossiana Koronis” vernehmen konnte, welches der Junge nun erklingen ließ. In seinen engelsgleichen Gesang stimmte das Mädchen ein und gemeinsam ließen sie den Lob auf die ruhmreiche Welt und die Tapferkeit ihrer Männer und Frauen vernehmen. Bedächtig schritten sie die Straße hinab, gefolgt von einer berobten Abteilung kirchlicher Würdenträger. Schon der erste Tag hatte der Kirche gehört, doch sie ließ es sich nicht nehmen auch hier ihr Siegel unter die Legitimität der Stärke Korons zu setzen. Kardinal Prager oblag es als relativ neues Oberhaupt der koronischen Niederlassung der Ekklesiarchie, die Oberen des Glaubens anzuführen. Er saß auf einem prächtigen Thron, geschmückt mit Blumen und gesiegelten Bullen, auf denen jene Edikte verzeichnet waren, die Koron nach der Niederlager des großen Feindes im Krieg der Häuser, sich in Selbstkasteiung auferlegt hatte. Das der Thron seinerseits auf einem Festwagen stand ließ sich derweil kaum erkennen, denn die daneben einhergehenden Messbediensten schwenkten ihre Weihrauchfässer in so großer Zahl, dass man meinen Konnte der Thron schwebe auf einer Wolke. Huldvoll spendete der Kardinal den Segen für die Masse der Zuschauenden.
Alsdann die drei wichtigsten Reliquien unter all den hunderten und tausenden religiös konnotierten Objekten, die auf Koron Verehrung erfuhren.
Das wichtigste Heiligtum der Welt selbstredend als erstes. Die Lade mit dem Lichten Speer, der gesegneten Waffe des Septianus höchst selbst, mit welcher er die Dämonen anbetenden Kanibalenhorden in barbarischen Zeiten zerschmetterte. Die Lade aus antikem tanithischen Nalholz erlaubte natürlich keinen Blick auf die Reliquie. Niemand außer dem Gouverneur durfte sie führen und selbst der nur, wenn die verdammenswerten Heerscharen des Erzfeindes jemals wieder ihr Haupt erheben sollten.
In der Lade selbst, so wusste man, lag nur der Kopf der Waffe. Auf ihn kam es an. Der Schaft mochte Gold, Eisen oder ein schnöder Besenstiel sein. Die gleißenden Strahlen des Speerkopfes waren es, die auf den Feind herniedersengten. Nun gab es Vorwitzige, die zu wissen meinten, dass der schwarze Kasten, schmucklos bis auf den doppelköpfigen Adler in der Flanke, leer sei. Das man es nicht wagte das wertvollste Artefakt des Planeten mehr oder minder offen durch die Gegend zu tragen.
Die Gläubigen auf den Beobachterrängen, ganz gleich wie stark oder schwach ihr Glauben ausgeprägt sein mochte, hätten solche Spötter eines besseren belehren können.
Die heilige Wärme, die schiere Kraft und Aura, die von der Lade ausging, beseelte jeden. Viele in den ersten Rängen sanken ergriffen auf die Knie. Weinten in Verzückung, rangen die Hände in Ekstase. Spontan stimmten hunderte in das hymnische Loblied ein, welches das unschuldig reine Sängerpaar an der Spitze des Zuges anstimmte, nachdem das “Hosianna Koronis” verklungen war.
“Koron du Heiligtum, in heidnischer Gefangenschaft…” Sangen die beiden, durch die vierzig mechanischen Kunststimmen ihrer halbmenschlich Nachfolgenden.
“...ewig währt des Heiligen Ruhm, der Glanz und Freiheit dir verschafft.” Antworteten bewegte Völkerscharen von links und rechts. Wie als göttliche Antwort, wie als ein Fingerzeig von Terra selbst, öffneten sich unter der Makropoldecke extra dort angebrachte Vorrichtungen und entließen einen wohl dosierten Regen rosa, weißer und roter Rosenblätter. Eigens von Chiros und Jopall importiert. Die Weite des Alls schrumpfte, wurde bedeutungslos, wenn es darum ging die Glorie des Planeten und seiner Bewohner zu verherrlichen.
Durch das Gestöber aus hauchzarten Blüten, wurde das zweite große Relikt gezogen. Auf einem simpel anmutenden Wagen, ruhte ein zyklopisches Trümmerstück aus verdrehtem und verbogenem Metall. Gewaltig in seinen Ausmaßen und seinem Gewicht. Gezogen von einer riesigen Schar aus Zeloten, die sich gegen die Ketten stemmten und denen Concionatoren mit spitzen Kapuzen und schwarzen Kutten lange Peitschen auf die nackten Rücken zucken ließen. Blut floss und die so Gemarterten wandten sich wehklagend und jammernd, während die Anpeitscher Schläge und Schmähungen schlimmster Ausprägung auf sie prasseln ließen. Die armen Sünder erduldeten diese Pein aus freien Stücken. Denn sie gehörten zur Bruderschaft der Reuenden. Sie bürdeten sich die Sünden ganz Korons auf die Schultern und empfingen freudig die Strafe und die Flüche, nicht nur für jetzige Verfehlungen ihrer Mitmenschen, sondern auch für vergangene. Das Trümmerstück, welches sie auf so quälende Art und Weise zogen, war ein Trümmerstück des einstigen, großen Portals, welches den Zugang zur Makropole gestattet oder verwehrt hatte. Tatsächlich erkannte man an den wenigen Stellen, wo der Metallklumpen nicht verbogen, gerissen und versenkt war, die Ikonographie imperialer Hochgotik.
Als die rasankurischen Horden und ihre degenerierten Verbündeten die Stadt erstürmt hatten, war das Tor gesprengt wurden. Was übrig geblieben war, sollte auf ewig Mahnung sein, dass der große Feind auch die mächtigste, dingliche Wehr zu überkommen vermochte, wenn die, die sie mit Herz und Hand verteidigten, in ihrer Entschlossenheit wankten. Die größte Schlacht zwischen Licht und Dunkelheit wurde nicht auf dem blutigen Feld, nicht mit Schwert und Bolter geschlagen, sondern in den Seelen der Gläubigen und der rechtschaffend Fanatisierten.
Die “Zerschlagene Tür” war ein Mahnmal dieser Weisheit.
Die dritte Reliquie war eigentlich ein Konglomerat vieler Objekte und stellte den Übergang des kirchlichen, also des zivilen Segments, in den des militärischen und hausmilitärischen dar.
Soldaten der PVS, sowie all jener Häuser, die im großen Krieg auf der richtigen Seite der Geschichte gestritten hatten.
Sie trugen die Banner all der Einheiten, die seit eben diesem Krieg Auslöschung im Kampf erfahren hatten. Dreihunderteinudreißig waren es an der Zahl. Über hundert den heldenhaften Gamarai Grenadieren gehörend, die die Makropole wortwörtlich bis auf den letzten Mann verteidigt hatten und deren Haus im Zuge der Belagerung vernichtet worden war. Andere klingende Namen, wie das 2. Leichte Dragonerregiment, von Spritten, welches mit seinem namensgebenden Major Dorothea von Spritten die Föderale Union während des Kampfes um die grüne Zitadelle unterstützt hatte und samt und sonders dabei ausgelöscht worden war. Die genauen Umstände waren bis heute nicht einwandfrei geklärt, womit sich das zerfetzte Banner mit dem stolz aufgebäumten Charnak in die Reihe der Vernichteten einreihte. An jedem dieser Feldzeichen hing eine tragische Geschichte von Tapferkeit und Opferbereitschaft.
Nach diesem, ob der schieren Masse “Wald der Gefallenen” genannten Aufzug, wurde es weniger melancholisch.
Denn nun endlich erfolgte das, was man meinte, wenn man von “der” Parade zum Adelsrat sprach. Nach all den exotischen und denkwürdigen Passagen, die ein Zuschauer in den vergangenen Tagen bereits bestaunen hatte können, hätte es natürlich geheißen wenig zu bieten, wären einfach nur große Mengen an Soldaten an den Rängen vorbeigezogen. Gewiss, auch Zahl konnte beeindrucken, aber die Organisatoren dieses Schaulaufens verstanden sich doch auf bessere Präsentation.
So marschierten im respektvoll großem Abstand zu den Bannern gefallener Helden, die Musikcorps ganz Gohmores und vieler nationaler PVSen obendrein. Diese waren in großen Teilen zwischen den einzelnen Einheiten positioniert, so dass ein steter Strom untermalender und erbaulicher Musik niemals abriss. Als Beginn aber zogen sechshundert dieser Musiker auf. Ihnen voran eine lange Reihe nebeneinander marschierender Majore, die in perfekter Synchronisation den Bâton wirbelten, in die Luft warfen und wieder auffingen.
Der erste Marsch dröhnte aus Trommeln, Blasinstrumenten, Klangsäcken und was es noch an Spielarten militärischer Formationsinstrumente gab. Diese brauchten wahrlich keine, sie verstärkenden Servitoren.
In der Tat war der angestimmte Marsch derart klangewaltig, dass man den dröhnenden Schritt der nachfolgenden Soldaten erst als rhythmisches Trommeln auf dem Straßenbelag vernahm, als die Musikcores ein gutes Stück voraus waren. Die Abordnung einer gohmorischen Division. Dreißigtausend von der regulär fünfzigtausend Soldaten Sollstärke, marschierten hier. Sie gingen im, für das koronische Militär, typischen “hohen Schritt”. Die Waffen eng an die Brust gedrückt, den Blick starr nach vorn und leicht nach oben gerichtet, die Beine bei jedem Schritt im harten rechten Winkel angezogen.
Das so entstehende Geräusch wurde übertönt, als drei Chrome glänzende Volra über die Köpfe der Marschierenden donnerten, die Meter langen Banner mit der koronischen Plantenflagge, dem gohmorischen Banner und dem Aquila hinter sich herziehend. Die, für den Einsatz innerhalb von Makropolen geschaffen, Propellerjäger wirbelten den konstanten Blütenregen zu einem regelrechten Sturm auf und steigerten die Dramatik für die Sekunden ihres Vorbeifluges enorm.
Hinter diesen ersten Soldaten in Königsblau folgte die Haustruppen der Orsius. Die Reihenfolge war seit jeher eine delikate Angelegenheit und geschwängert von Bedeutung. Das die Hausarmeen der großen Häuser sich mit den Truppen der planetaren Verteidigung abwechselten, war ein Sinnbild für die tiefe Verbundenheit und Waffenbrüderschaft zwischen Adel und regulärer Armee. Gleichwohl entzündete der tief sitzende Hass zwischen den beiden größten Häusern immer wieder einen Streit darüber, wer den Anfang machen durfte. Orsius besaß die größere Anzahl an Familienmitgliedern und Haustruppen. Siris hingegen konnte rein rechnerisch auf eine größere Gewinnspanne verweisen. Als Kompromiss durften die Eliteeinheiten beider Häuser, wie auch die Fahnenträger nebeneinander marschieren. Das alte Sprichwort vom Kompromiss, der alle beteiligten Parteien unglücklich zurückließ, mochte einem einfallen. So kam es, dass in einem Karre zweihundert schwarze Dragoner neben zweihundert F.A.U.S.T. Agenten marschierten. Die einen schwarz uniformiert, im harten Stechschritt, die anderen weiß in einem eher lässigen, schnellen Laufschritts.
Männer und Frauen, die sich unter anderen Umständen gegenseitig umgebracht hätten. Ihnen voraus wehten die Hausfahnen. Hier hatte Sirsis eine protzige Art seines Kontrahenten übernommen. Die Banner beider Adelsgeschlechter waren so riesig, dass es Antigravgeneratoren in den Spitzen bedurfte, es den Fahnenträgern überhaupt zu erlauben, diese ad Absurdumführung der Physik handzuhaben. Weit nach hinten wehte das dunkle Rot der Orsius mit dem schwarzen Siegul darauf. Wie bewegtes Quecksilber glänzte das Zeichen Siris und die beiden Schlangen schienen von sich windendem Leben beseelt.
Ein erster, motorisierter Abschnitt war dem angeschlossen. Sechs Leman Russ, nicht nur auf Koron 3 das Sinnbild gepanzerter Stärke des Imperiums, hatten auf der Prachtstraße bequem nebeneinander Platz. Hinter diesen sechs folgten jeweils hundert Artgenossen. Die Ungetüme spuckten schwarze Wolken Promethiumabgase aus und die Absauganlagen, Lufttauscher und Umwälztfilter hatten reichlich zutun die jubelnden Massen von Vergiftungen zu bewahren. Mit geradem Rücken standen die Kommandanten in den geöffneten Luken der rasselnden und dröhnenden Panzer. Die hier präsentierten Kampfmaschinen waren Teil der städtischen Verteidigung und hatten alle samt und sonders bestenfalls einen Aufstand oder eine Demonstration gesehen. Im wirklichen Kampfeinsatz hatte keiner gestanden. So oder so waren sie aber für die Parade neu lackiert wurden. Unter dem frischen urbanen Tarnmuster in verschiedenen Blau- und Grautönen sah man ihnen die unterschiedlichen Dienstjahre nicht an. Jeweils einer von Zwölf wich vom Standardschema mit Kampfgeschütz, Laserkanone in der Front und Boltern in den Seitenkuppeln, ab.
Diese waren spezialisierte Varianten, für Nischenaufgaben auf dem Schlachtfeld ersonnen. Demolisher und Annihilator waren die Häufigsten und die diversen Moderatoren der Radio- und Vid-Sender überschlugen sich mit ausufernden Erklärungen und geschichtlichen Erzählungen, wo diese oder jene Variante das Blatt einer Schlacht gewendet hatte. Eine weitere, sehr symbolische Konstellation war in den zwanzig Panzern zu sehen, die überaus bewusst nach den altehrwürdigen Leman Russ aufzogen.
Dabei handelte es sich um H-3 “Klingen”. Jene Fahrzeuge aus den Truztstaatden, von denen die Horninger gedacht hatten, sie wären ein adäquates Gegengewicht zu dem starren Ambos, denn die gohmorischen Panzerverbände darstellten. Bei der Fabrikation dieser Waffe war ganz auf die eigenen Möglichkeiten der verbündeten Staaten rund um Truzt zurückgegriffen worden. Schnell war die Klinge, vermochte aus der Fahrt heraus präzise zu feuern und einen Schwarm mitgeführter Kleinstraketen gegen den damaligen Feind zu schleudern. Allein, es hatte alles nichts genutzt. Bei der Panzerschlacht am “Hohen Weg”, war die Hybris des Neuen vor dem Altbewährten eingeknickt. Deswegen war der H-3 alles andere als ein schlechtes Fahrzeug und nicht nur wurden die Bestände in die PVS eingegliedert, in Horning produzierte die Fabrik weiter eine kleine Stückzahl, so wie Ersatzteile. Einige der Panzer gingen sogar in den Export und verschafften dem notorisch knappen Staat Horning Devisen.
Wieso die zwanzig hier in den Farben der PVS und den Leman Russ nachgestellt paradierten, war jedoch allen klar verständlich. Hier wurde Beute, hier wurden Besiegte präsentiert.
Das es in Horning gar keinen klaren Verlierer gegeben hatte, sah man einmal von der Zivilbevölkerung der Schwemme ab, blieb dabei unerwähnt. In Gohmor verstand man sich sehr gut darauf die Geschichte durch einen gewissen Berichtsrahmen oder zuträgliche Auslassung anzupassen. Wer die Bildsprache dieser vermeintlich nur der Reihe nach laufenden Fahrzeuge und Soldaten lesen konnte, der mochte so manches sehen und erkennen. Beispielsweise die Panzerjagdkompanie Rot. Die, wie bei der Bezeichnung nicht schwer zu erraten, der Bekämpfung anderer, gepanzerter Verbände verschrieben war.
So weit so gewöhnlich.
Gleichwohl war es diese Kompanie, durch die stellvertretend der Mechanicus eben doch an der Parade teilnahm und sich, trotz seiner Politik der Geringschätzung lokaler Feierlichkeiten, ins Gedächtnis rief. Das Kernstück dieser Kompanie waren zwei antike, schwere Jagdpanzer Valdor. Hoch komplex und mit historischer Technologie gefüllt. Nichts was der Mars leichtfertig vergab und schon gar nicht an eine planetare Verteidigungsstreitmacht.
Gleich zwei dieser würdigen Fahrzeuge einer Kompanie der PVS zu überlassen sprach eine sehr klare Sprache. Doch damit nicht genug. Neben den üblichen Conquerorn mit ihren schwächeren aber aus der Fahrt heraus benutzbaren Geschützen und den turmlosen Destroyern mit ihren Lasergeschützen, nannte die Kompanie einen Executioner sein Eigen. Fast ebenso selten und kostbar wie die Valdor.
Für die, die die Zugehörigkeit dieser Einheit immer noch nicht begriffen, waren die Türme in einem matten Rot gestrichen. Rot wie der Sand des Mars selbst.
In den nächsten zwei Stunden folgten Kolonnen aus Artilleriefahrzeugen. Basilisken, Bombarden, Medusas und sogar einige der seltenen Mantikors. Zuzüglich einer gewaltigen Menge aus Kampffahrzeugen heimischer Produktion. Von Halbkettentransportern, über leichte Zweimann-, Luftkissen- und Radpanzer aus allen Nationen des Planeten. Immer wenn man als Zuschauer dachte, die Vielfältigkeit der koronischen Streitkräfte sei erschöpft, weil seit zehn oder zwanzig Minuten nur eine unendlich lange Formation aus Soldaten vorbei marschierte, wurde man eines Besseren belehrt.
Eskadronen aus Carnakkavallerie, mit Sprenglanzen bewaffnet und trotz des Hauchs des Antiquierten, ein stattlicher und erhebender Anblick, mit poliertem Harnisch und schwarzem Federschmuck.
Haussoldaten als farbliche Unterbrechung des alles beherrschenden Königsblau der PVS. Rot mit den markanten, leicht überproportionierten Helmen der schier endlose Heerwurm des Hauses Orsius.
Weiß die provokant kleinere Abordnung der Siris. Die wuchtigen Paladin- Panzer der Orsius, deren Unterbewaffnung ein Treppenwitz der Geschichte zu sein schien. Dazu im Vergleich die schlanken, Pistolenkugel förmigen Einsatzwagen der Siris. In welch scharfem Kontrast zu all diesem, so auf Unvereinbarkeit getrimmten Kontrahenten, die Kämpfer des Hauses Visolla. Die schiere Diskrepanz des Machteinfluss, im Vergleich zu den beiden Riesen des Adels, war gewaltig. Dennoch sah man hier sehr eindrücklich, dass solch ein Gefälle noch immer einen ernstzunehmenden Mitspieler auf dem dritten Platz parat hielt.
Die Haussoldaten Visollas sahen auf den ersten Blick aus wie Operettenfiguren, wie kostümierte Schauspieler. Doch weit gefehlt. So individuell jede Rüstung auch sein mochte, so verziert und edel jede Helmmaske, mit schnörkeln, Verzierungen und paradoxer Karnevalikonografie, war all das doch gemacht für das Theater des Krieges.
Zwischen diesen breiten Farbbändern im Königsblau gab es auch immer wieder kleinere Tupfer. Organisationen, die auf die eine oder andere Art mit der PVS oder dem Militär des Planeten ganz allgemein verbandelt waren. Der schlagkräftige Arm der kämpfenden Truppe hing an einem aufgeblähten Kolosskörper aus Versorgung und Logistik.
Natürlich wollte der geneigt zusehende Bürger, mit einer gebratenen Fischfrikadelle, wie ein Stein im Bauch und dem dritten Becher Freibier im Schädel, nicht den Marsch der Wäschereiangestellten oder der Köche begaffen. Entsprechend waren Zuarbeitende und private Vertragspartner zugegen, die auch etwas hermachten.
Die Vereinigung privatisierter Ladeschützen etwa, welche die unüberschaubare Anzahl an Abwehrbatterien und Geschützstellungen bemannten, die die Außenhaut einer Makropole verkrusteten. Permanenten Wartung, Drill und Abhärtung gegen die Wetterbedingungen der, zum Teil den Elementen ausgelieferten, Stellungen, waren nichts, wofür man Wehrpflichtige über längere Zeit von den Werkbänken und Fließbändern fern hielt. Die VdvLS hatte daraus ein Geschäftsmodell gemacht und kümmerte sich obendrein um bauliche Maßnahmen und Anträge. Etwa wenn ein neu entstehendes Wohnhub in den Schusstunnel einer Verteidigungsbatterie zu wachsen drohte. Vielleicht keine ruhmreiche Arbeit, aber eine, die abertausende von Arbeitsstellen schuf und die ohnehin schon aufgeblasene Verwaltung der PVS entlastete.
Das die Ladeschützen in ihren einfarbigen Overalls und den farbigen “Seifenschalenhelmen”, alles nach Abschnitt unterschiedlich gefärbt, einen interessanten Kontrast bildeten, rundete die Sache ab und machte sie für die Parade wie geschaffen.
Es gab einige Vereinigungen, welche zur Sicherung der Küsten angeheuert waren und zusätzlich zur regulären Flotte liefen.
Außerdem die hartgesottenen Grenzreiter, die, einem Ritterorden gar nicht unähnlich, mit ihren Carnaks in die wilde Umgebung der Makropole ritten, um für die Sicherheit von Reisenden zu sorgen und die Pest des dortigen Banditentums zu bekämpfen. Dabei trugen sie den Schmutz auf ihren funktionalen und halb mechanischen Plattenrüstungen wie Auszeichnungen.
Aber auch einige neue Organisationen waren zugegen.
Etwa die mâne Miliatirs, in silbern glänzenden Raumanzügen. Sie kümmerten sich um ein Konfliktgebiet, von dem man nicht einmal annehmen sollte, dass es eines war. Der koronische Mond beherbergte lediglich den Flottenstützpunkt der Sub- Sektorflotte und war ansonsten ein lebloser Gesteinsbrocken. Doch unter den Augen eben dieser Militräzusammenballung, gab es immer wieder vorwitzige Schmuggler, die ihre illegalen Produkte auf der dunklen Seite des Mondes abluden, zwischenlagerten und dann von Verbindungsleuten auf dem Planeten abholen ließen. MM hatte es sich zur lukrativen Aufgabe gemacht, diesem Treiben entgegenzutreten.
Auch die Havoc Rangers waren Neulinge auf Koron. Ein bewaffnetes Logistikunternehmen, dass sich allein schon dadurch gut in das Gefüge der Armee einpasste, weil es die Strukturen der imperialen Armee in weiten Teilen adaptierte. Sie zogen in einer Abteilung aus bewaffneten und gepanzerten LKWs und Geländewagen, im nüchternen grün in der Heerschau mit. Ein Augenschmaus für freunde von Transportbulliden, denn nicht wenige der Lastwagen und Fahrzeuge stammten aus weit entfernten Ecken des Imperiums und wiesen entsprechend so manche Eigenheit auf.

Zu vorgerückten Mittagsstunde dann entstand eine Lücke in dem endlosen Zug aus Soldaten und Equipment. Eine relative Stille legte sich über die Prachtstraße und die Menschen begannen die Hälse zu recken.
War es schon so weit?
Ja tatsächlich.
Was jetzt kam, “Gohmors alter Mann” wie Fans ihn respektvoll nannten, brauchte keine Fanfaren, eine Ankündigung und keine Hymnen. Die Vibrationen, welche durch den Straßenbelag gingen und sich in die Zuschauer fortpflanzung, waren Ankündigung genug.
“Sein Zorn” erschien am unteren Ende der Straße. Ein fahrbares Gebäude, eine Burg aus Plastonid T-Stahl, auf Ketten gesetzt und in Bewegung gebracht.
Der taktische Nutzen dieses Ungetüms mochte seinen Wert im Verbund mit anderen Waffengattungen und kleineren Kampffahrzeugen haben, aber die schiere moralische Wucht, mit dem dieses Symbol menschlicher Überlegenheit einherging, war losgelöst von nüchternen Überlegungen auf der Gefechtskarte.
Dieser superschwere Panzer, dieses Landschlachtschiff, mit seinen 320 Tonnen Gewicht und Arsenal aus Maschinenkanonen, Demolischergeschütz, Schweren Boltern und Laserkanonen, mit seinem Hauptgeschütz, in dem man einen Kleinwagen parken konnte, all das war der destillierte Stolz Korons.
“Sein Zorn” hatte vor über zweihundert Jahren geholfen diese Welt vom Krebsgeschwür der Ketzerei zu reinigen und dass man ihn danach hier gelassen hatte, abseits der Fronten, wo ein solcher Avatar des imperialen Siegeswillen an anderer Stelle dringend gebraucht wurde, war ein gewaltiger Beweis der Vergebung und des Vertrauens.
Ein Vertrauen, das nicht auf unbedarfter Leutseligkeit beruhte, sondern mit Verpflichtungen einherkam.
Entsprechend war der Baneblad Mahnung und Vertrauensbeweis gleichermaßen. Er würde auch als einziges Fahrzeug auf den zentralen Platz vor der Ratshalle fahren und dort für die Zeremonie der offiziellen Eröffnung des Rates verbleiben. Alles andere, motorisierte Gerät fuhr vorher von der Prachtstraße ab und sah sich der Aufgabe gegenüber, wieder in die Kasernen und Depots zu verlegen, ohne das Verkehrsnetz der gesamten, mittleren Ebene zum Zusammenbrechen zu bringen. Die Soldaten zu Fuß waren derweil ihrerseits darüber instruiert, wer weiter zum Vorplatz marschieren würde und wer vorher abgehen musste, beziehungsweise durfte.
Das kurz nach dem Giganten die Opritschniki, die persönliche Leibwache des Gouverneurs, aufzog, war ebenso wenig ein Zufall, wie dass der Garde die Zehnte und all jene Regimenter folgten, deren Loyalität zum Gouverneur außer Frage stand und deren Treue zu diesem einen gewissen Ruf hatte.
Die Moderatoren, die zu jeder einzelnen, vorbeiziehenden Einheit etwas zu sagen hatten, berichteten von den harten Kämpfen, welche die Zehnte in Horning und bis vor wenigen Tagen noch im Dschungel von Luht hatte durchstehen müssen. Ganz zu schweigen von der strategisch unbedeutenden, aber lokal doch sehr heftigen Offensive auf die Kräfte in Huncal. Das man zuversichtlich war, noch vor Ende des Jahres die ganze Affäre erledigt zu haben, erwähnten die Kommentatoren mit einem Nebensatz, bevor sie sich der nächsten Formation widmeten.
Die Zehnte absolvierte ihren Marsch mit Bravour. Niemand fiel um, niemand geriet so aus dem Tritt, dass Zuschauer lachend oder Kopfschüttelnd mit Fingern zeigten.
Solche Vorfälle gab es natürlich. Unmöglich eine derart gewaltige Parade abzuhalten, ohne das Zwischenfälle auftraten. Fahrzeuge blieben liegen, Soldaten hatten Krämpfe oder Schwächeanfälle.
Damit rechnete man, darauf war man vorbereitet. Schnelle Eingreiftruppen aus Sanitätern, Abschleppvehikeln und Technikern waren in großer Zahl entlang der Strecke positioniert, um bei Bedarf tätig zu werden. Was auf gar keinen Fall passieren durfte, war dass die ganze Parade ins Stocken geriet. Wenn also ein Mensch oder eine Maschine liegen blieb, dann waren die Nachfolgenden instruiert möglichst fließend dieses Hindernis zu umfahren oder zu umgehen. Für die schnellstmögliche Beseitigung des Ganzen waren dann die entsprechenden Kräfte verantwortlich.
Vor der Ratshalle angekommen nahmen die hierfür vorgesehenen Ehrenabordnungen zu jeweils hundert Männern und Frauen ihre Positionen ein. In unauffälliger Rotation wurden die so Stehenden immer wieder ausgetauscht, um Entkräftung und unschöne Ausfälle zu vermeiden. Erst in den späten Abendstunden würden die letzten Teilnehmer der Parade mit ihren Abordnungen hier einrücken und die Eröffnung des Adelsrates beginnen. Die “durchgetauschten” Soldaten wurden in eine Sub-Ebene tiefer verbracht, wo sie sich ausruhen durften, bis es wieder an ihnen war, für ein paar Stunden still und unbeweglich auf dem Platz vor der Ratshalle zu stehen.
 
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Das die große Parade endete, bedeutete aber nur, dass weitere begannen. In den nächsten Tagen war angedacht, dass PVS- und Hausarmeen durch jene Bezirke der Stadt marschierten, zu denen sie besondere Beziehungen pflegten. Sei es weil hier Kasernen oder Hausniederlassungen existieren, weil es historische Verbindungen gab oder einfach, weil sich ein Großteil der Rekruten aus den Bewohnern der entsprechenden Ebene zusammensetzte.
Bei den Einheiten aus fernen Ländern, wurden so Beziehungen zwischen Wirtschaftspartnern gepflegt oder angebahnt.
Einige wurden auch schlicht dafür bezahlt ein Schaulaufen zu veranstalten.
Die Ehrenwache vor dem Palast blieb nach wie vor stehen. Auf den kurzen Segmente, welche Berichterstattung im Vid zeigten, ein unveränderlicher Block aus stillen, grimmig schauenden Soldaten, unnachgiebig und mit einer unmenschlichen Fähigkeit des Ausharrens versehen.
In Wahrheit eine ständig wechselnde Zusammenstellung im Rotationsverfahren. Zumal auch einige Angehörige der verschiedenen Truppen aus ihren Formationen gelöst wurden, um sich zu den Zuschauern im Inneren des gewaltigen Gebäudes zu gesellen.
Den Damen und Herren von edlem Stand oblag es dabei die prunkvoll geschwungene Marmortreppe zu erklimmen. Dahinter wartete eine klimatisierte Lobby, wo unaufdringliche Musik die seiden tapezierten Wände umfloss und man gekühlte Köstlichkeiten und aromatisierte Getränke reichte, um die wenige Wartezeit vor der eifrig bedienten Garderobe auf Nichts zu reduzieren.
Eine Etage tiefer wurden Wirtschaftsbosse, Generäle und Politiker von internationalem Rang mit ähnlichem Pomp, aber etwas längerer Wartezeit abgehandelt. Auch ihnen begegnete man mit größtmöglicher Vermeidung jedweder Unannehmlichkeit. Gleichwohl durften nie mehr Hochrangige, aber nieder Geborene in der großen Halle rumoren, als Adlige und höchst privilegierte Gäste von anderen Welten. Nicht auszudenken, wenn ein alternder Militär es sich in seinem Sessel bequem machte, während ein Orsius den eigenen Sitz noch suchte. Das Heer der Anweiser hatte daher den Stress seines Lebens, Verzögerung und Anstandsreinfolge in erträglicher Waage zu halten.
Am wenigsten Rücksicht nahm man dabei auf die einfachen Leute, denen das Recht zugestanden wurde, die Ränge aufzufüllen. Ihre Aufgabe war es, auf Vid- Aufzeichnungen das Volk zu repräsentieren und das Gebäude mit Applaus zu füllen, wenn ein Würdenträger etwas Geistreiches in die Mikrofone sprach. Wobei der Faktor des Geistreichen eher zweitrangig war.
Diese Masse aus Arbeitervertretern, Ebenendeligierten, Soldaten, Bürgerkommitees und aus welchen Hintergründen sie sich noch zusammensetzten, wurde durch den unteren Bereich geschleust. Sie betraten die Ratshalle ebenerdig. Gedränge und Geschrei von Hausdienern, die Tafeln mit Nummern hoch hielten, welche vorher an Gruppen verteilt wurden, um die Bestückung der Sitze zu vereinfachen. Gehorsam folgten sie den Anweisern und wurden von den Wartebereichen in die eigentliche Ratshalle geführt. Das Stimmengewirr und die Schritte, die eben noch laut und unangenehm von den Wänden des schmalen Zugangskorridors zurückhalten und sich urplötzlich belanglos in das sachte Gemurmel mischten, als man in die große Ratshalle hinein trat. Ein paar Tausend waren bereits auf ihren Plätzen, unterhielten sich, scherzten, stritten, lachten oder riefen.
Dennoch war die schiere Größe der Lokalität so ausgreifend, dass es kaum lauter war als in einem moderat besuchten Lichtspielhaus.
Zwei weitere Stunden dauerte es, bis alle geladenen Teilnehmer des Rates ihre Plätze eingenommen hatten. Wohlgemerkt für die heutige Auftaktveranstaltung.
Morgen Vormittag würde das ganze Spektakel von Neuem beginnen, auch wenn man wenigstens davon ausgehen konnte, dass sich langsam Routine beim Beziehen der Plätze einstellen würde.
Am Abend dieses fünften Tages war noch einmal alles fest in den Klauen des Zeremoniells.
Abgesehen von der Eröffnungsrede des Gouverneurs, die von vielen sehnsüchtig erwartet wurde.
Nicht weil man neugierig auf ihren Inhalt gewesen wäre, sondern weil Anhänger, wie auch politische Feinde von Gouverneur de Wajari sehen wollten, wie es um das Wohlbefinden des Herrschers bestellt war.
Seine auffällige Abwesenheit von der Öffentlichkeit und der Eifer seiner Frau, ihn kommissarisch zu vertreten, hatten zu allerhand Spekulationen geführt. Die harmlosesten noch die, Leopold Frederico krank sei und seine Frau daher das Zepter bis zu seiner Genesung in der Hand hielt. Weniger Wohlgesonnene spekulierten über den Tod des Gouverneurs und den Versuch seiner Frau Elisabeth Emilia, die Macht an sich zu reißen. Ein Affront gegen jedes geltende Recht und im Ernstfall nicht weniger als der Grund für einen Bürgerkrieg. Viele trauten dem “Engel von Gohmor” eine solche Dreistigkeit nicht zu. Gleichwohl ließ sich nicht leugnen, dass sie beim Volk der Makropole und auch bei nicht wenigen anderen Nationen des Planeten, eine fast schon kultische Verehrung erfuhr und bei einem Putschversuch die Massen vielleicht hinter sich haben würde.
Schmerzhaft langsam zog sich der vorgegebene Verlauf weiter in die Länge wie erhitzter Asphalt. Der Zeremonienkanzler, ein absurd fetter Mensch, dessen Bewegungen von nicht weniger als vier geschminkten Pheromonkastraten unterstützt werden mussten, ließ seine verstärkte Stimme durch die Halle rollen.
“Ihr Edlen dieser Welt, hört hört hört.” Zwei Kastraten hatten den goldenen Stab gefasst und führten die Bewegung ihres Herren aus, so dass auf jedes “hört” ein Funken sprühender Regen von dem aufkrachenden Stab ausging. Dieser regnete in einer Kaskade vom Rand der Felsnadel herab und verzehrte sich selbst über den Köpfen der Opritschniki, die ihren Posten bezogen hatten und denen als einzigen im Rund scharfe Waffen erlaubt waren.
“Von Euch zum demütigen Verwalter dieser Welt auserkoren und von der lenkenden Hand des Adeptus Adminstratum gesegnet, gefiel es Gouverneur de Wajari Euch zu rufen. Auf das Ihr euch versammelt und nach aller euch zur verfügung stehenden Kraft zum Wohle dieser Welt beratet und entscheidet.
Wurde der Ruf erhört?”
“Er wurde erhört!” Kam es von den Rängen in einer vieltausenden Antwort. Gesprochen nur, aber in solcher Zahl, dass es als gewaltiges Raunen durch die Halle wehte.
“Ich sehe Euch.
“Ich danke Hochbaron Vladimir Orsius für sein Hiersein.”
So ging es weiter. Der Zeremonienmeister begrüßte jeden einzelnen, anwesenden Fraktionsführer der Häuser und der gewichtigen Gäste aus anderen Nationen und von anderen Welten.
Das allein dauerte lang. Sehr lang.
Dann wandte er sich an die Vertreter des Imperiums. Des Adeptus Civitas, des Mechanicum, der Arbites und all den anderen Organisationen, die berufen waren Koron 3 im Licht Terras wandeln zu lassen.
Schließlich beendete er das Zeremoniell und sackte völlig erschöpft in die wartenden Arme seiner Diener.
Als nächstes kam der lange erwartete Part des Gouverneurs. Er würde den Anwesenden persönlich danken und eine ungefähre, inhaltliche Richtung für die Gespräche vorgeben. Mit scharfem Auge hatte man den obersten Verwalter der Welt bereits auf der Spitze der Nadel ausmachen können. Etwas genauer, wenn man über entsprechende, körperliche Anpassungen verfügte. Nun erhob sich eine zierliche Gestalt mit wallender, goldener Lockenpracht.
Leopold Frederico sprach nicht laut. Die Technik verhalf seiner Stimme jedoch zu ungeteilter Aufmerksamkeit. Diese Stimme zitterte und brach nicht und doch klang sie auf unüberhörbare Weise schwach und dünn. Das musste nicht unbedingt etwas heißen, denn der Gouverneur hatte Zeit seines Erwachsenenlebens jener Mode gehobener Adelskreisen angehört, welche eine bewusst zur Schau gestellte, körperliche Schwäche zelebrierte. Ohnmachten und eine Attitüde permanenter Erschöpfung und Langeweile wurden dabei vorgelebt. Ein Gegenkonzept zu plumper Körperlichkeit und primitiven Aktivismus. Veredelter Geist und erlesener Geschmack von keinen Platz in einem transpirierenden Leib, der seine Existenz mit schwerer Arbeit vertat.
Obwohl man um diese modische Marotte des Gouverneurs wusste, gab all das doch jenen in ihrer Meinung Vorschub, die de Wajari schon mit einem Bein im Siechengrab sahen.
Aber noch lebte er, dass ließ sich nicht leugnen.
Einige enttäuschte das, andere freute es.
Was der Gouverneur in seiner halbstündigen Rede sagte, war kaum mehr als das, was zu erwarten gewesen war. Lob der Zusammenarbeit der großartigen Länder Korons, der Organe des Imperiums und interplanetarer Partner.
Man würde in den kommenden Sitzungstagen Steuerfragen besprechen, den Zustand der Armee, die Tributzahlung, Kompetenzen der Nationen, Handlungsbeziehungen zu anderen Systemen, planetare Gesetzgebung und letztlich Themen, welche die Anwesenden einbringen konnten.
 
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Das Wetter wurde langsam diesig und ein feines Netz aus Tropfen zitterte über das Kanzelglas der Hornisse.
Nicht weiter wild.
Major Zerbstmark war das Fliegen über dem Meer gewohnt und all die Kapriolen die es mit sich brachte. Das tobende Grau des Meeres unter ihnen, das Panzerstahlgrau des Himmels über Ihnen. Würde es schlimmer werden stiegen sie einfach höher.
Die Instrumente der Hornisse waren modern und sie konnten ihre Aufgabe auch leicht erfüllen, ohne auf Sicht fliegen zu müssen. Bisher war ohnehin alles ruhig. Wie man hörte, gab es direkt an der Makropole den einen oder anderen Zwischenfall. Hauptsächlich Reporter, Paparazzi oder Schaulustige, die die Flugverbotszone verletzten, um nah an die Ratshalle heranzukommen und einen Blick auf die hohen Herrschaften zu erhaschen. Nichts was sie anging.
Darum hatten sich die unmittelbaren Sicherheitskräfte an der Makropole zu kümmern. Über dem Meer war der Passagierflugverkehr umgelenkt wurden. Keine Maschine kam von der Seeseite und wenn doch, dann wurden sie zu Landehäfen weiter südlich umgeleitet.
“Rot- Zwei an Staffelführer, kommen.” Knirschte es in Zerbstmarks Kopfhörern.
“Staffelführer hört, kommen.”
“Ich habe da was auf dem Funkmeßtaster. Sieht wie was Großes aus… auf meiner Anzeige hat es gerade die Sperrzone verletzt, kommen.” Der Major justierte sein eigenes Gerät nach und tatsächlich. Ein größeres Luftfahrzeug hatte die Sperrzone soeben überschritten und flog in Richtung Makropole.
Soviel zum ruhigen Dienst. Naja endlich mal was los.
“Staffelführer an alle, wir schließen auf und schauen wer da zu blöd ist Koordinatenwarnungen zu lesen. Rot- Drei, Meldung an Leitstand, kommen.”
“Rot- Drei an Staffelführer, Meldung über Verletzung von Flugverbotszone an Leitstand. Verstanden.” “Ende” Sie legten an Höhe zu und beschleunigten. Rot- Drei meldete sich dann wieder. Die Pilotin klang etwas zögerlich.
“Rot- Drei an Staffelführer. Ich… ich scheine Probleme mit dem Höhenruder zu haben. Maschine steigt nicht wie gewohnt. Kommen.” Der Staffelführer ließ sich das Problem näher beschreiben. Tatsächlich war es etwas, mit dem die Hornissen dann und wann zu kämpfen hatten. Nichts Wildes, aber musste gemacht werden. Das hieß Schreiberei.
Mehr für die Neue in Rot- Drei als für ihn, immerhin. Naja auch das mussten die Neuen schließlich kennenlernen.
“Ja verstanden. Fallen Sie zurück Rot- Drei. Manchmal kommt das Gelenk für die Klappe von alleine frei, meiner Erfahrung nach. Gegebenenfalls kehren Sie zum Horst zurück.”
Die Maschine löste sich aus dem Verbund und blieb hinter den anderen beiden zurück.
Zerbstmark passte seine Position an, während Leutnant Leiruth weiter versuchte den Eindringling zu kontaktieren. Erfolglos.
“Waffen auf aktiv.” Befahl Rot- Eins und schnippte mit dem behandschuhten Daumen die Schutzkappe über dem Kopf seines Steuerknüppels zurück. Diverse Lampen sprangen von entspanntem Grün auf Unheil verheißendes Rot. Auch akustisch signalisierten Pfeifen und Piepen, dass die Dinge hier sehr schnell sehr ernst werden konnten.
Sie mussten gleich Sichtkontakt haben und tatsächlich zeichnete sich kurz darauf ein großer Körper unter der grauen Wolkendecke unter ihnen ab. Wie ein Fisch, der knapp unter der Oberfläche dahinschwamm.
Ein großes Transportflugzeug, wie der Major vermutete.
Nein… jetzt sah er es. Eine Passagiermaschine.
Was hatte das jetzt zu bedeuten?
Er wies Rot- Zwei an die Kommunikation einzustellen und versuchte es selber.
“Passagierflieger, sie befinden sich in einem Speerbereich. Wir sind autorisiert Gewalt anzuwenden, um Sie von der Verletzung dieser Verbotszone abzuhalten. Ich fordere sie final auf, sich zu identifizieren und ihren Kurs nach Norden zu ändern. Kommen!”
Statisches Rauschen erfüllte den Äther.
Ein paar kaum hörbare Stimmen, die üblichen Überlagerungen und Geisterechos. Die Crew der Passagiermaschine schwieg.
Die beiden Hornissen hatten sich jetzt neben die Spitze der Zivilen gesetzt und auch wenn das Cockpitglas stark spiegelte, war dahinter doch Bewegung zu sehen. Natürlich, schließlich musste dieses Ding ja jemand steuern.
“Verstehen Sie dies als ihre letzte Warnung. Wenn Sie nicht nach Norden abdrehen…”
“Rot- Eins, ich habe weitere Signale auf dem Schirm.” Unterbrach ihn der Leutnant. Tatsächlich. Erst zwei, dann drei weitere Signaturen näherten sich aus der gleichen Richtung, wie der erste Flieger.
Zerbstmark begriff. Es war ein Angriff.
“Rot- Zwei. Feuerfreigabe. Alle erkennbaren Ziele vernichten.”
“Rot-Zwei versta…” Die Hornisse des Leutnants explodierte, was ihrem Piloten auf ewig das Wort abschnitt. Instinktiv riss Zerbstmark den Steuerknüppel seines eigenen Vogels herum und ließ ihn in einer Rolle nach unten ausbrechen.
Im Cockpit hob ein Jahrmarkt an Warnsignalen an. Der Major versuchte seine Augen überall zu haben. Die Instrumente verrieten ihm nichts.
Der Angreifer hatte entweder unverschämtes Glück gehabt oder er wusste vom Tasterschatten der Hornissen, die ihre Rücken in unmittelbarer Näher blind machten.
Etwas schoss durch die vergehende Wolke dessen, was einmal der Kampfbomber des Leutnants gewesen war. Die X- Form der Flügel verriet einen Flieger baugleichen Typs.
“Rot- Drei! Was um Terras Willen tun Sie?” Die Pilotin blieb ihm eine Antwort schuldig. Oder vielmehr wählte sie eine sehr klare Form der Antwort. Sie schwenkte auf ihren vermeintlichen Kameraden ein und ließ dem Flügel ihrer Maschine eine Sternenglanz Luft/Luftrakete entspringen. Es wirkte fast träge, wie sich die Rakete von dem Flieger löste und sich auf den Weg zu ihrem Ziel machte.
Rot- Eins zerrte den Steuerknüppel nach hinten, maß die eigene Steigfähigkeit gegen die der Rakete.
Einen Kampf, denn er verlieren musste. Das Blut rauschte in Zerbstmarks Ohren, von den Rändern seines Gesichtsfeldes schlich sich das Schwarz einer Ohnmacht herein. Mehr Warnsignale, Atemnot, der eigene Körper im Kampf gegen die Gravitationskräfte.
Bevor er die Besinnung verlor ließ er die Maschine abschmieren, hieb auf den Auslöser der Täuschkörper und stürzte ins Bodenlose.
Die Rakete stieß durch die glühende Wolke der falschen Hitzeziele und jagte in entgegengesetzter Richtung an dem Kampfflugzeug vorbei.
Nur im weiten Bogen schwenkte das Geschoss wieder auf die Hitze des Ziels ein.
Auch Rot- Drei hatte einen weiten Bogen beschrieben, hatte sich der riskanten Gewaltsteigung nicht ausgesetzt. Von unten hielt sie jetzt auf ihr Opfer zu und ließ die Bordwaffen spucken. Die Garbe, aus Leuchtspur durchwirkten Maschinengewehrfeuer und Laserstrahlen ging weit vorbei. Der Major setzte seinerseits die eigene Bewaffnung ein und zeigte wer der Erfahrenere hier am Himmel war.
Während seine Schüsse die untere Tragfläche des heimtückischen Fliegers zerfetzten und diesen, wenn schon nicht vernichteten, so doch ins Trudeln brachten, stellte er Kontakt zum Leitstand her.
“Rot- Eins an Leitstand. Angriff durch eigenes Staffelmitglied…” Auf dem Staffelkanal hörte er bereits die elende Verräterin plappern.
“Er hat ihn einfach abgeschossen. Er hat Leutnant Leiruth abgeschossen. Der Major ist verrückt geworden.”
Das wurde also gespielt. Irgendeine Verräterei und dieses abstoßende Individuum versuchte zusätzliche Verwirrung zu stiften. Das würde er klarstellen, sobald er sie vom Antlitz dieser Welt gefegt hatte.
Die Maschine der Verräterin hatte sich wieder einigermaßen gefangen, wenn auch mit sichtlicher Schlagseite.
Der Major stürzte sich auf sie und schickte ihr seinerseits eine Rakete auf den Hals.
Das hieß er versuchte es, den der Druck auf den Feuerknopf ließ lediglich eine Meldung über das Nichtfunktionieren der ersten Rakete in Rot erscheinen. Zerbstmark schaltete um auf den zweiten Träger, war dadurch aber schon an seinem Ziel vorbeigeschossen.
Dieses war derweil nicht untätig und setzte alles daran sich hinter Rot- Eins zu manövrieren. Dabei spuckte der Vogel der Verräterin einen steten Strom aus hochkalibrigen Maschinenkanonenprojektilen.
Vermutlich hatte sie so auch Leiruth erledigt. Ideal gegen Ziele die nicht wussten das sie Ziele waren, aber nichts für einen ausgeglichenen Luftkampf. Schon gar nicht, wenn einem eine von vier Tragflächen fehlte. Er ließ seine Hornisse um den Strom aus Geschossen herumkreisen, zog hoch und richtete sie im 90-Gradwinkel auf.
Die Stromlinienform des Fliegers war plötzlich nicht mehr wirksam und die gesamte Maschine hatte sich in eine einzige Bremsklappe verwandelt.
Der Major wurde ordentlich durchgewalkt. Hatte es bis dato ein Warnlicht und einen Signalton gegeben, welches und welcher noch nicht angesprungen war, jetzt war es soweit.
Aber es funktionierte.
Die Verräterin zog unter ihm hinweg, riss den Kopf überrascht in den Nacken, während er die Maschine wieder nach vorne fallen ließ.
Der “Sargdeckel” war nichts, was man auf der Flugakademie im Grundkurs beigebracht bekam. Jetzt war er buchstäblich am Drücker. Der Zielsucher hatte Mühe die wild taumelnde Hornisse zu fassen zu kriegen. Dann endlich schaltete er auf und mit einem Grinsen purer Genugtuung hob der Major den Finger über den Feuerknopf.
Bevor er ihn jedoch senken konnte traf die Sternenglanz, welche Rot-Drei auf ihn abgefeuert hatte, ihr Ziel.
Die Rakete hatte, gleich einem stumpfsinnigen aber treuen Hund, die abgesetzten Täuschkörper ebenso ignoriert, wie die Triebwerke der Passagiermaschine und die Sonne selbst. Sie hatte einen so harten Bogen beschrieben, wie es ihr Lenkgasausstoß erlaubte und schwenkte, im Anbetracht dessen, dass man während dieses Luftkampfes in Sekunden und Millisekunden denken musste, gemütlich wieder auf ihr ursprüngliches Ziel ein. Im Cockpit von Rot- Eins blieb diese Annäherung nicht unbemerkt. Jedenfalls nicht von der Elektronik. Ein Warnton wurde immer eindringlicher, mit jedem Meter welchen die Rakete zurückgelegt. Auch ein rot blinkendes Bild zeigte die Gefahr an.
Allein, der Major übersah es schlicht und einfach. Zu groß die Anzahl der Eindrücke, zu groß die Belastung des Körpers, zu groß der Wunsch den Verrat zu rächen.
Seine Ambitionen und seine Erfahrung fielen als brennender Komet in Richtung Meer.
Rot- Drei stabilisierte ihr angeschlagenes Flugzeug wieder, schloss zu der Passagiermaschine auf und setzte sich daneben.
Gemeinsam setzten sie den Flug in Richtung Gohmor fort.
 
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“Frau General”, es kostete dem Adjutanten sichtliche Anstrengung sich dazu zu überwinden, die Offizierin zu stören.
“Was haben Sie denn?” Fragte diese betont beschwichtigend, um die ganze Sache nicht unnötig in die Länge zu ziehen und ihre kurze Pause nicht noch weiter zu beschneiden. Sie hatte angeordnet nur gestört zu werden, wenn es wirklich wichtig sei und sie konnte davon ausgehen, dass diese Anordnung nicht leichtfertig gebrochen wurde.
“Mehrere Maschinen sind vom Radar verschwunden. Es… es gibt widersprüchliche Meldungen dazu, aber es scheint Kämpfe gegeben zu haben.” Er wirkte verwirrt und bedrückt, als wäre es seine persönliche Schuld, dass die Meldung nicht aussagekräftiger war.
Die hochgewachsene Frau richtete sich in dem Bürostuhl auf, welchen sie nach hinten geklappt hatte, um zehn Minuten die Augen zu schließen. “Kämpfe? Wovon reden sie Mann?
Werden wir angegriffen?” Sie war auf den Beinen und zog ihre Uniform glatt. Mit einem Blick hatte sie erfasst, dass sie von dem Adjutanten keine klare Antwort kriegen würde und stiefelte an ihm vorbei, die Tür zum Kontrollraum brüsk aufstoßend.
Der Techpriester in seiner roten Robe und mit seinem unmenschlichen Metallgesicht wäre wohl für jeden anderen Fokuspunkt der Szenerie gewesen. Aber der Offizierin fiel allein das hier herrschende Chaos auf. Männer und Frauen sprachen aufgeregt in Mikrophone oder pressten die Hände gegen Kopfhörer um besser verstehen zu können.
Wie war das möglich? Sie hatte sich doch vor drei oder vier Minuten erst in das Büro zurückgezogen. Das auch nur, weil es gerade besonders ruhig gewesen war. Jetzt brodelte hier die Hölle auf mittelgroßer Flamme.
“Lagebericht!” Blaffte sie. Ihr Stellvertreter zuckte bei ihrer Stimme zusammen, wirkte aber gleichzeitig unendlich erleichtert, dass sie da war.
“Frau General, wir haben den Kontakt zu drei Flugteams verloren. Zwei andere berichten, dass sie von den eigenen Kameraden angegriffen wurden und Gegenmaßnahmen ergreifen mussten. Berichte widersprechen sich. Es wurden mehrere große Luftfahrzeuge gemeldet, die die Flugverbotszone verletzen.”
“Haben sie die Bojenscanner zum Großraumtaster zugeschaltet?”
“Nein… ich dachte…”
“Dann tun Sie dies in Speptinanus Namen.” Der Techpriester kam der Aufforderung nach, noch ehe sich der verwirrt wirkende Oberstleutnant genau daran erinnerte, um was genau es sich bei den Bojen handelte.
Die seegestützten Verstärker schärften das Bild der der Tastanlage, welche die weitmöglichste Fläche auf der Seeseite der Makropole abdecken konnte. Der Techpriester legte die grünlich verwaschene Anzeige auf den Hauptbildschirm, auf welchem eben noch Daten über Flugzeuge, Routen und Treibstoffverbrauch geflackert waren. Mit jeder dazugeschalteten Boje wurde das Bild schärfer. Zeigte stilisierte Wolkenformationen, ein paar Schiffe und die eigenen Flugzeuge an.
Die Anwesenden zogen erschrocken die Luft ein.
Am Rand der Anzeige, dort wo die Flugsverbotszone begann, zeichnete sich eine Signatur in Form eines kleinen Pfeils ab.
Dann noch einer.
Ein dritter und ein vierter.
Fast zeitgleich verlosch ein grüner Pfeil auf ihrer Seite. Einer der eigenen Jagdflugzeuge, die zum Schutz des Luftraumes gedacht waren.
Jemand fluchte.
Die Kiefermuskeln der Generalin malten, während ihre Augen hin und her huschten, um die Situation in Gänze zu erfassen.
Panik wallte in ihr auf.
Sie ließ dieses Gefühl der Hilflosigkeit und Verzweiflung, des absoluten Bewusstseins, dass sie die falsche Frau am falschen Ort zur falschen Zeit war, genau vier Sekunden zu. So wie sie es stets tat.
Dann drückte sie alle Bedenken und Zweifel zur Seite.
“Alle Reservestaffeln starten lassen. Auch die schweren Jägerverbände. Direkte Befehlsschaltung zu mir. Keine Zwischenleitstellen.
Informieren sie die Staffelführer, dass es Verräter in den eigenen Reihen geben könnte. Äußerstes Misstrauen gegen die eigenen Untergebenen.” Dabei fiel ihr etwas ein und sie legte die Hand auf den Griff der eigenen Dienstwaffe an ihrer Hüfte.
“Beordern sie die Luftschiffe zu einer Sperrposition, rund um die Ratshalle. Bruder Amayi, ich bitte sie darum ihre Brüder und Schwestern an den Deflektorgeneratoren über die Situation zu informieren und zu äußerster Vorsicht anzuhalten.”
Der Techpriester nickte knapp und verband sich mit einer der Konsolen.
“Flakbatterien an der Westseite in Bereitschaftszustand aktiv wechseln.
Gerlach und Heißner,” sie sprach zwei Soldaten direkt an.
Beide kannte sie aus früheren Verwendungen. Die anderen Soldaten der Leitstelle waren ihr unbekannt, “verlassen sie ihren Posten und holen sie sich jeder eine MPi- 01.3 aus dem Waffenschrank im Korridor. Sie werden sich hier drinnen positionieren und ein Auge auf ihre Kameraden haben.”
Die beiden Angesprochenen blickten sich besorgt an. Taten dann aber mit einem “Jawohl Frau General”, wie ihnen geheißen.
Die hatte sich bereits an den Funktechniker zu ihrer Rechten gewandt. “Geben Sie mir den Verbindungsoffizier in der Ratshalle.”

Der eigentlich erste richtige Tag, bei dem man davon sprechen konnte, dass es sich um einen Tag der Beratung handelte, war seit etwa drei Stunden im Gange.
Es hatte auch wieder allerhand Begrüßungsfloskeln gegeben, welche jedoch weit weniger ausschweifend ausfielen als bei der gestrigen Eröffnung. Es ging um die Neuregelung der Tributzahlung. Die zweitgrößte Wirtschaftsmacht des Planeten, namentlich die Truzt- Staaten, hatte den bereits seit Ewigkeiten schwelenden Streit mit Gohmor durch den Entschluss auf die Spitze getrieben, den eigenen Anteil am Tribut separat zu entrichten. Eine Provokation, welche schlussendlich zum Stellvertreterkrieg in Horning geführt hatte.
Der bewaffnete Konflikt war zwar seit über einem Jahr beigelegt, der Wirtschaftskrieg ging derweil unvermittelt weiter. Sanktionen und Alleingänge führten am Ende jedoch nur dazu, dass alle Beteiligten enorme Verluste machten.
Gewiss, die Tribute an das Imperium waren ohnehin ein nötiges Übel aus Ressourcen, die aus den eigenen Märkten entfernt wurden. Durch die separierte Abwicklung durch Truzt wurde der Aufwand jedoch signifikant erhöht. Dem Imperium war es egal wie eine Welt der Forderung intern nachkam. Hauptsache sie lieferte.
Das immerhin konnte Koron 3 von sich behaupten. Die föderale Art und Weise wie dies geschah war jedoch unnötig kompliziert und vor allem teuer. Es wurden also Ansichten und Meinungen zu diesem Sachverhalt dargelegt. Experten riefen Diagramme und mögliche Lösungsvorschläge auf. Einen besonders langen Redebeitrag steuerte der Botschafter aus Truzt bei. Darin wurde angedeutet, dass die Autonomiebestrebungen der Nation und ihrer Verbündeten durchaus auch damit zutun hatten, dass man als eine der größten Wirtschaftsmächte des Planeten, kaum genügend Stimmrecht hatte, um ein Gegengewicht, auch nur zu einem der kleinsten Adelshäuser, darzustellen. Das erzeugte Unmutsbekundungen durch Vertreter eben dieser Adelshäuser.
Ein ewiger Streit.
Dieser kleine Disput stellte darüber hinaus die einzige Abwechslung für all jene dar, die kein besonderes Interesse an Diagrammen, Tabellen und Hochrechnungen hatten.
Ansonsten langweilten sich all jene, deren Thema gerade nicht behandelt wurde. Nicht das jemand gewagt hätte sich angeregt mit dem Nachbarn zu unterhalten oder auch nur all zu auffällig zu gähnen. Wer wollte schon derjenige sein, von dem sich ein hoher Hausvertreter gestört fühlte?
Also blieb nichts anderes als mit offenen Augen zu dösen und zu klatschen, wenn alle klatschten.
Man konnte sich die ausgefallenen Garderoben der Edlen und der Fremdweltler ansehen oder den Blick zu den hohen Fenstern schweifen lassen, wo zerfranste graue Wolken entlang zogen. Außerdem eine Staffel Hornissen, die aufs offene Meer hinaus strebte, gefolgt von zwei Lightnings, die eine Thunderbolt begleiteten.
Ansonsten blieb nur der Kampf gegen die Unerhörtheit, während des Adelsrates einzuschlafen.
 
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Guy war an der Küste entlang geflogen, nachdem er sich dem Festland in einem Bogen genähert hatte. Direkt von der Yacht aus auf die Stelle zuzufliegen, wo ganz weit oben die Ratshalle auf sie wartete, hatte er sich dann doch nicht getraut.
Seine Überzeugung, dass man ihr kleines Gefährt nicht sehen, beziehungsweise nicht für voll nehmen würde, wenn er sich nur nah genug an der Flanke der Stadt hielte, war etwas ins Wanken geraten, je näher die Stunde ihres kleinen Ausflugs rückte.
Vermutlich war er ja nicht der einzige, der diese glorreiche Idee hatte. Bestimmt war jeder Paparazzi und Klatschreporter zu ähnlichen Erkenntnissen gekommen und ganz gewiss auch die Sicherheitsverantwortlichen der Stadt.
Jetzt konnte er natürlich nicht mehr zurück. Die beiden Mädels hätten ihn kastriert. Wenn sie hochflogen und irgendwer hielt sie auf, dann war es ja nicht seine Schuld. Außerdem durfte man nicht vergessen, dass er ein Glückskind war. Ein Umstand, den sich Guy nur allzu deutlich ins Gedächtnis zurückriff, als Annesta sich in das Leder des Copilotensitzes hatte fallen ließ. Dabei schwappte etwas von ihrem Champagner auf das Knappe Oberteil, was den ohnehin schon spärlichen Stoff noch durchsichtiger werden ließ. Wie furchtbar.
Sie schimpfte wenig damenhaft, rieb und wrang an der Stelle herum, was Dies und Das in Bewegung brachte und den Stoff, wie auch Guys Konzentration, auf eine Zerreißprobe stellte. Hinter Ihnen, auf der geräumigen Rückbank, lümmelte Ophelia und zog eine Bahn "Staub" von der Lehne in die Nase. Sie ließ ein kleines Quietschen hören und lehnte sich dann, beide Zeigefinger an die Nasenwurzel drückend, in die Polster zurück. Auch sie trug nichts, was viel Vorstellungskraft voraussetzte. Guy musste sich zwingen, wieder nach vorn zu schauen.
Er hatte sich schnell mit den sehr simplen Kontrollen des Gleiters vertraut gemacht. Auf dem Boot sorgten zwei Servitoren durch Fernunterstützung dafür, dass er sie nicht aus Versehen im Meer versenkte oder gegen die Seite der Makropole schmetterte. Er entschied, dass sie jetzt nah genug dran waren, um langsam mit dem Steigen zu beginnen. Er zog den Steuerknüppel leicht nach hinten. Die Vektorschubdüsen stellten sich waagerecht und trugen sie nach oben.
Der Fuß der Makropole war ein vernarbtes Korallenriff aus Rost und dem verklumpten Dreck von Jahrhunderten.
An einigen Stellen gestatteten Löcher wie Wunden den Einlass für Schiffe aller Art.
Sie stiegen weiter und Schlote rasten an ihnen vorbei. Diese husteten Abgase aus den tumorhaften Auswüchsen von Fabriken und Manufakturen. Abwasserfälle stürzten brackig in die Tiefe, Förderbänder erbrachen Müll und Schrott in den Abgrund.
Aus den Augen, aus dem Sinn.
Die unebene Steilwand aus Anlagen aller Art, welche das Vergessen und der Zahn der Zeit längst zu einer homogenen Oberfläche hatte werden lassen, zog als sinnlose Abfolge von Rostrot, Schwarz und Grau an ihnen vorbei.
“Die Stadt isn Scheißhaufen.” Bemerkte Ophelia mit schwerer Zunge von hinten.
Der Eindruck besserte sich jedoch, als sie die erste Wolken- und Abgasdecke durchstoßen hatten. Nicht das der Anblick so viel schöner wurde, aber es gab hier die Lichter von Wohnhabitaten, die sich an die Außenseite Gohmors klammerten wie Vogelnester an eine Klippe. Wälder aus Antennen und ab und an eine Landeplattform. Sie sahen auch ein wenig fliegenden Zivilverkehr, was Guy aufatmen ließ. Man hatte also kein vollkommenes Flugverbot ausgesprochen. Das beruhigte ihn ein wenig.
Sie waren jetzt auf 3000 Metern. Nicht so viel los wie normalerweise, aber ein bisschen was. Die eckigen Ausbuchtungen jener, die sich über Wohneinheiten mit Blick auf das Meer freuen konnten, waren zwar sauberer als die tieferen Ebenen, aber auch weit weniger spektakulär. Hier gab es noch einmal dann und wann gesonderte Sperrbereiche, die nichts mit dem Adelsrat zu tun hatten, aber nichtsdestotrotz beachtet werden wollten.
Außerdem rissen die Fallwinde jetzt ziemlich an dem kleinen Gleiter. Guy steuerte sie ein wenig mehr von der Steilfront der Stadt fort und stieg nicht mehr ganz so schnell. Etwas weiter nördlich lag der Zugang zu einer Kaserne der PVS. Darum wollte er nach Möglichkeit einen Bogen machen. Die beiden Frauen beschwerten sich nicht über das langsamere Vorankommen. Sie begafften die edlen Anwesen, die nach und nach in Sicht kamen. Aussichtsterrassen, gewaltige Glasfronten, durch die man auf Pools und kleine Parks sehen konnte. Immer wieder durchbrachen wuchtige, gotische Stilelemente dieses Wirrwarr verschiedenster Ausprägungen menschlicher Baukunst. Riesige Kreuzrippen, überdimensionale Bögen und Strebepfeiler einten den Ameisenhaufen als etwas, das von der gleichen Spezies erschaffen worden war.
Ein weiteres Himmelszelt aus Wolken versperrte einen Blick in die Höhe, aber wacker tauchte der kleine Gleiter in das wattige Weiß ein. Guy ignorierte einen Signalton, der die Verletzung der Sperrzone verkündete. Tropfen klatschten gegen die Rundumkanzel des Gefährts. Doch als sie die substanzlose Landschaft durchstoßen hatten, wurden sie mit einem wahrlich königlichen Ausblick belohnt.
Kein Wunder, dass die Reichen und Schönen ihren Sitz in den Wolken nahmen. Konnte man den Göttern primitiver Religionen verwandter sein als hier? Die düsteren Attribute der Gotik, der drückenden Schwere alles Imperialen, verkehrte sich hier in Glorie und Herrlichkeit. Unterhalb der Wolkendecke, in den Gefilden der gebückt gehenden Arbeitermassen, sahen knochengesichtige Mahnungen an den Verfall auf den Heerwurm der Diener des Imperiums herab. Die leeren Augenhöhlen von Tränen aus Korrosion verätzt und pockennarbig. Hier oben richteten muskulöse Titanen aus versiegeltem Marmor goldene Speere gegen den Himmel oder stützen die überhängenden Prachtbauten der koronischen Eliten.
All das fasste Ophelia mit einem einfältigen und doch nicht unangemessenem “Wow Alter!” zusammen.
Die Szenerie hätte dazu getaugt, in Öl gemalt zu werden. Unter ihnen das wattige Gebirge aus Wolken, mit dem bronzenen Rot der untergehenden Sonne bestrichen. Über ihnen eine weitere Wolkendecke. Glatt, als betrachte man den sanft bewegten Meeresspiegel von unten herauf. Eine Seite dieses Panoramas nahm voll und ganz die blitzende Makropole ein. Verziert, vereist, glänzend. Ein Sinnbild menschlicher Allgewalt, immer weiter in die Höhe hinaufragend, sich auch in der nächsten Schicht Wolken verlierend. Hinauf, hinauf bis zur Unendlichkeit der Sterne.
Sie schwiegen und staunten.
Die Ratshalle, deren überhängender Teil von titanischen L-Trägern gehalten wurde, war nur das Kronjuwel. Man kannte als dies aus den Vids und aus der Zeitung, aber welch Unterschied es mit eigenen Augen zu sehen.
Selbst Guy, der sich stets als Weltgewandter gab, der alles schon mindestens einmal gesehen und erlebt hatte, musste mit Anstrengung den Mund geschlossen halten.
Sie passierten im langsamen Flug Richtung Ratshalle ein verglastes Rundbogenfenster von mehreren hundert Metern Höhe. Kein Sakralbau, sondern die Wohnstätte irgendeiner Dynastie, die vermutlich mehr Geld als Variation im Genpool hatte.
Das waren die wahren Glückskinder.
“Ist das die Ratshalle?” Wollte Annesta wissen. Unter anderen Umständen hätte er vielleicht herablassend geantwortet. “Nein das ist ein Fly-in für Groxburger” oder “Das ist die Zentrale wo sie Hirn gegen Titten tauschen.” Nun ja, Letzteres hätte er vielleicht auch so nicht laut gesagt, weil er zu dem Eingetauschten auch weiterhin Zugang haben wollte. Allemal brachte er jetzt nur ein abwesendes, “Ja das ist sie.” heraus.
Der Kopf von Ophelia erschien zwischen den Lehnen der Vordersitze.
“Boah… die haben sogar Häuser die sich bewegen können hier oben.” Sie sprach mit der lallend schweren Zunge ungeübter Staubkonsumenten.
“Du bist drauf.” Tat Annesta das Gerede ihrer Freundin ab.
“Ne echt jetzt, guck da…” Sie streckte den Arm plump nach vorn aus und deutete schräg nach oben.
Dort drehte sich tatsächlich etwas von der Größe eines kleinen Wohnblocks. Die Abendsonne fing sich in verschnörkelten Verzierungen. Auf der Seite der Konstruktion war das überdimensionale Bild eines muskulösen Heroen abgebildet, der mit einem Bogen schwarze Vögel vom Himmel schoss.
Vielleicht ein Kunstwerk, welches sich drehte, damit es die hiesigen Kunstkenner von allen Seiten… Es hatte Kanonen!
Kein Kunstwerk, das war eine riesige Flugabwehrstellung und sie schwenkte in ihre Richtung.
Es wäre nun vermutlich das Klügste gewesen, hätte er den Gleiter sinken und damit in die schützenden Wolken unter ihnen zurückfallen lassen. Das aber tat er nicht. Er trat auf das Pedal für den Vorwärtsschub und riss die U- förmige Mischung aus Steuerrad und Knüppel zu sich heran. Sie machten einen Satz nach oben. Das Vehikel vollführte ein Manöver, das dem eines gewissen Major Zerbstmark gar nicht unähnlich war, als dieser sich hinter seine letztendliche Mörderin buchsiert hatte.
Sie gewannen schnell an Höhe. Ophelia wurde durch die Fliehkräfte nach hinten gerissen, Annesta kreischte.
Guy versuchte die Wolkendecke zu erreichen und sich so vor den Geschützen zu verbergen. Es schien zu gelingen, als sie von grauen Schleiern umschlossen wurden, ohne dass Granaten links und rechts von ihnen zerplatzten und sie mit Schrabnellen überschütteten. Vielleicht hatte dieser blödsinnge Abwehrturm sich nur zufällig gedreht.
Die würden doch nicht mit sowas auf einen verirrten Zivilflieger ballern, oder?
“Was sollte der Scheiß denn?” Verlangte Annesta mit hoch rotem Kopf zu wissen. “Scheiße Mann, ich hab mich geschnitten.” Tatsächlich war das Champangjaglas in ihrer Hand zerbrochen und ein paar Blutstropfen kullerten über ihre langen weißen Finger, Richtung Handfläche.
Guy wollte gerade dazu ansetzen, ihr zu erklären, dass er durch seine Aktion vermutlich ihr aller Leben gerettet hatte und das jetzt Schluss mit diesem bescheuerten Ausflug sei. Er würde noch etwas höher steigen, im Schutz der Wolken ein Stück aufs Meer hinausfliegen und dann zur Yacht zurückkehren. Sie hatten die Halle gesehen, das musste genügen. Wichtig war zu betonen, dass die Beiden ihm Dankbarkeit für ihr Leben schuldeten. Irgendetwas etwas blinkte auf der überschaubaren Anzeige der Pilotenkonsole. Guy rechnete mit der Höhenwarnung, aber nein. Ein paar hundert Meter waren da noch ohne Probleme drin.
Es war der Annäherungsalarm.
Ein stetig dringlicher werdendes Piepsen. Aber von wo? Die Antwort kam schneller als Guy das Display entziffern konnte.
Ein brennendes Stück von irgendetwas fiel vor ihnen in die Tiefe. Es überschlug sich wild und eine tintig schwarze Rauchfahne zeichnete den Abwärtsweg nach.
Annesta kreischte wieder und Guy war in dem Moment gewillt mit einzustimmen, als ihr Gleiter die obere Wolkendecke durchbrach.
Vor ihnen entspann sich ein Schlachtenbild sondergleichen. Eben noch war da die Erhabenheit der Makropole, plötzlich flogen sie in Mitten der Hölle. Ein lichterloh brennendes Passagierflugzeug stürzte an ihnen vorbei. Explosionen im Inneren des Rumpfes ließen es konvulsivisch zucken und beben, bevor es in einem Feuerball auseinander flog. Der Himmel füllte sich mit flüssigem Feuer. Durch dieses Inferno stieß eine Jagdmaschine, gefolgt von einer weiteren, welche Erstere mit einer schwingenden Peitsche aus Leuchtspurmunition und Laserfeuer verfolgte. Noch weitere Kampfflugzeuge waren zugegen und stießen wie ein Schwarm wütender Hornissen auf eine regelrechte Luftparade aus verschiedensten Verkehrs- und Transportflugzeugen zivilen Ursprungs. Diese hatten Beschuss natürlich nichts entgegenzusetzen und explodierten, zerbrachen oder trudelten brennend in Richtung Boden. Einige Flugzeuge schienen die Zivilisten zu verteidigen und sich gegen die eigenen Kameraden zu wenden.
Ein einziger Wahnsinn.
Guy riss an den Kontrollen des Gleiters, als könnte er die Maschine in irgendeiner sinnvollen Art durch dieses Chaos steuern.
Die Frauen schrien weiter.
Sie gerieten in den Strömungsabriss hinter einer großen Transportmaschine, der bereits zwei der sechs Triebwerke in Brand geschossen worden waren. Der Gleiter fiel ins Bodenlose, fing sich und stieg jaulend wieder in die Höhe.
Guy wollte den Weg nach unten antreten, wieder unter die schützende Decke der Wolken gelangen, wie ein Kind, das sich die Decke über den Kopf zog, um die Existenz dessen zu verneinen, was es nicht sehen musste.
Dann entschied er sich jedoch um.
Vor ihnen türmte sich ein Berg aus Wolken auf. Eine spektakuläre Formation, die schwer mit einem Gewitter schwanger ging. Sie war nicht nur näher, sondern auch zu erreichen, ohne dass er das zerbrechliche Luftfahrzeug durch das Gemetzel unter sich steuern musste. Guy drückte den Schubhebel nach vorn und richtete die Nase auf den Wolkenberg aus. Eine Rakete zuckte an ihnen vorbei, wie ein Schwertstreich, schien sie aber nicht als würdiges Ziel zu erachten.
Sie würden es schaffen.
Das Glückskind würde es schaffen.
Und wahrhaftig tauchten sie in die verbergende Umarmung der Wolken ein. Etwas sehr Schwarzes, sehr Großes schob die Wolken direkt vor ihnen auseinander.
Es war eine Masse, der man unweigerlich absprechen musste, dass sie jemals befähigt sein konnte, sich in die Luft zu erheben. So viel Stahl und Metall durfte einfach nicht fliegen können. Dennoch tat sie es und sie tat es schnell und zielstrebig. Schon füllte das Ding das gesamte Sichtfeld des kleinen Gleiters aus.
Die Insassen schrien jetzt alle drei.
Dann zerstob das sündhaft teure Spielzeug des Großindustriellen Herman Herrenhausen an der gewölbten Front des Bulldock Truppentransporters. Kaum mehr als ein Käfer, der gegen die Windschutzscheibe klatschte.
Die Welt hatte ein Glückskind weniger.
 
“Im Rahmen der jetzt geltenden Bestimmungen zur Zollverordnung von 82 n.k.d.H., muss ganz klar festgehalten werden, dass der bürokratische Aufwand, in keinerlei Verhältnis zum abzuwickelnden Sachverhalt steht.
Es ist doch so, verehrte Anwesende, dass wir beim Handel der Binnenländer eine Rezession bemerken, die nicht zuletzt auf die umständliche Prozedur des Handels, über eben jene Ländergrenzen hinaus, zurückzuführen ist.
Die Initiative der Länder, Bulag, Torigrem und San Vallwadea hat es sich daher zur Aufgabe gemacht… äh… auch im Hinblick auf… äh.”
Der Mann am Rednerpult tupfte sich die Halbglatze mit einem Spitzentaschentuch und sah zwischen seinen Notizen und dem Auditorium hin und her. Im Publikum war eine gewisse Unruhe zu bemerken. Ein Raunen und unterschwellige Bewegung in der Masse. “Ich… äh… stelle fest, dass das Thema die Gemüter der Anwesenden zu Recht bewegt. In der Tat ist hier viel zu lange eine Politik der Verlangsamung und des Aussitzens der Verantwortlichen durchgeführt wurden.” Begeistert davon, dass sein Beitrag solche Wellen schlug, erfüllte ihn mit der Glut des Eifers. Der große Moment seiner Karriere, seines Lebens. Der Ursprung der unterbrochenen Komastimmung der meisten Zuhörenden lag jedoch nicht in der aufrüttelnden Thematik der Zollverordnung von 82 n.k.d.H. Vielmehr hatten einige der Anwesenden bemerkt, dass sich in der Gouverneursloge auf der Nadel irgendetwas abspielte.
Auffällig unauffällig sprach jemand mit dem obersten Mann im Staat und alle Mitglieder seiner Entourage ballten sich um diesen Sprecher zusammen. Mit unbewaffnetem Auge war dies freilich nicht zu erkennen, doch es gab genügend Operngläser, militärische Doppelgläser oder Optikverstärker im Publikum, um zu sehen, dass sich etwas tat. Der Gouverneur verließ die Loge. Was war da nur los?
“Ich verweise daher noch einmal auf den… äh… vor zwei Jahren eingebrachten Antrag E-771, mit den Kommentaren von Professor Putzensteiger, der ganz klar auf die Zusammenhänger von bürokratischen Aufwand und Absinken der damaligen Quartalszahlen, bezüglich der Zolleinnahmen hindeutet. Schon damals baten wir um eine Überprüfung des Prozederes und um die Neuausrichtung der grenzenübergreifenden Zusammenarbeit.”
Jetzt waren weitere Bedienstete zwischen den Reihen unterwegs. Einer von ihnen sprach mit dem Oberhaupt des Hauses Orsius. Andere eilten zu weiteren, hochrangigen Würdenträgern.
Dabei gingen sie nicht zimperlich vor.
Durch die Sitzreihen all jener, zu denen sie eben nicht wollten, pflügten sie regelrecht hindurch. Sie stießen gegen Knie, traten auf Füße und ignorierten Protest aller Art. Auch der Redner sah die Bewegung in der Zuhörerschaft und verlor für einen Moment den Faden, als ihm zu schwanen begann, dass die umgeschlagene Stimmung in der Halle vielleicht doch nichts mit den aufwühlenden Zuständen bei der Zollabwicklung zu tun hatte. Noch wollte er sich diese Illusion jedoch nicht rauben lassen und versuchte, den Vortrag wieder aufzunehmen.
“Zusammen… ja… also die Zusammenhänge nachgewiesen. Eindringlich möchte ich daher noch einmal darauf pochen, den Antrag E-771 zu einer Sache zu machen, der mehr Priorität eingeräumt wird… als dies… ähm… als dies in den letzten zwei Jahren der Fall war. Gerade wenn wir, unter Berücksichtigung…” vor den gewaltigen Bogenfenstern der Halle donnerte ein Kampfflugzeug vorbei. Von schräg oben, nach schräg unten.
Es musste gerade außerhalb des Deflektors unterwegs sein. Wollte da ein Pilot zeigen, was für ein toller Hecht er war und setzte dafür die Sicherheit der Abgesandten, seine eigene Sicherheit und obendrein die Sicherheit seiner Karriere aufs Spiel? Dem ersten Flieger folgte ein zweiter. Eine klobige Thunderbolt. Einer von jenen Maschinen, die innerhalb der Luftwaffe inoffiziell als “imperiale” bezeichnet wurden. Natürlich standen alle Flieger der PVS im imperialen Dienst. Die Bezeichnung unter den Piloten bezog sich jedoch auf Maschinen nach STK. Nicht nur kamen sie überall im Imperium zum Einsatz, ihre Zuverlässigkeit und schiere Schlagkraft stellte alles in den Schatten, was heimische Konstrukteure mit Stolz erfüllte.
Das eigentliche Novum war jedoch der Umstand, dass der vorbeirasende Flieger aus allen Rohren feuerte. Worauf, das ließ sich in dem kurzen Vorbeizucken nicht ausmachen, dennoch ging eine Welle verwirrten Einatmens durch die Anwesenden. Eine betagte Dame aus dem Haus Roog, echauffierte sich bei ihrem Nachbarn darüber, dass es über die Maßen unorthodox sei, eine Parade mit Salutschüssen abzugeben, wenn die Sitzung bereits begonnen hatte. Ihr Nachbar tätschelte ihr beruhigend die Hand und spekulierte, dass es vielleicht einen Sicherheitsverstoß durch Klatschreporter gegeben habe und die Wachgruppe mit, nach seiner Meinung völlig berechtigter, Härte etwas dagegen unternahm.
Viele andere Anwesenden konnten die Zeichen sehr viel genauer deuten. So gab es zwar gewiss keinen Grund zur Panik, schließlich standen Legionen von Bewachern und nicht zuletzt ein Deflektorschild zwischen Ihnen und jedweder Bedrohung. Dennoch, allein der Umstand, dass man die Höchsten des Planeten so schnell evakuieren wollte, sorgte für Beklemmung.
Viele der Zuschauer waren aufgestanden, um besser sehen zu können, was vorging. Man redete aufgebracht mit den Umstehenden. Komunikationsgeräte jeder Art waren in der Halle untersagt.
Vor der Felsnadel nahmen die Opritschniki ihre Gewehre von den Schultern. Nicht hastig oder unkoordiniert aber entschlossen. Sie machten den Kreis um die Empore mit zwei Schritten nach hinten enger.
Jemand rief einem eilenden Diener zu was denn los sei? Er möge Auskunft geben, schließlich war man nicht irgendwer. Der Diener drängte weiter, wurde gepackt und geschüttelt. Antwort wurde verlangt.
Dann ein spitzer Schrei.
Ein Schrei schieren Entsetzens.
Köpfe drehten sich. Augen folgten ausgestreckten Armen. Ein Verkehrsflugzeug hielt auf die Ratshalle zu.
Oder vielmehr ein Komet, denn nur aus der Spitze ließ sich noch erkennen, dass es im Kern ein Flugzeug gewesen sein musste. Der Rest war Rauch und Flammen.
Ein Jäger hämmerte mit seinen Bordwaffen auf die Maschine ein. Jeder Treffer fatal, jeder Treffer genug, um den Flieger aus dem Himmel zu zwingen. Aber kein Treffer ausreichend.
Der Flieger prallte gegen den Energieschild.
Der Querschnitt einer Explosion, denn sie geschah auf einer dursichtigen Wölbung aus Energie. Flüssiges Feuer und brennende Trümmer rutschten daran herab, erzeugten schlieren und Effekte darauf, wie Öl auf einer Pfütze.
Was hatte das zu bedeuten?
Ein Anschlag?
Ein Unfall oder Selbstmord? Noch ehe diese Fragen laut werden konnten detonierte noch ein Flugzeug auf dem Schutzfeld. Eine kleinere Maschine, vielleicht ein privates Gefährt. Es stand dem Aufprall des ersten Flugzeugs um einiges an Effekt nach. Im Vergleich ein regelrecht lachhaftes Feuerbällchen.
Der Schrecken lag in einer anderen Erkenntnis. Das hier war kein unglückseliger Zufall.
Ein weiterer Flieger fand sein Ende an der schützenden Kuppel, dann noch einer. Es stand zu vermuten, dass auch diese durch den Beschuss der Jagdflugzeuge gegangen waren. Zu sehen war es freilich nicht, denn die bereits explodierten Maschinen hatten für einen dichten Vorhang aus brennendem Treibstoff in der Luft gesorgt. Durch dieses Leichentuch raste ein Flieger nach dem anderen und stürzte sich blindlings auf die schimmernde Barriere.
Im Inneren klang dies wie außerweltliche Glockenschläge. Die eigentlichen Explosionen drangen nur dumpf, gleich fernem Gewitter an die Ohren all jener, die fassungslos auf das grausame Feuerwerk vor den Fenstern starrten.
Als das erste Flugzeug in die eigene Vernichtung stürzte, war ein kollektives Niederducken durch die Anwesenden gegangen. Dann folgte fassungsloses Starren, bevor sich die Diener und persönlichen Leibwächter ihres Auftrages zu erinnern begannen und sich wieder an schickten, ihre Schutzbefohlenen aus der Gefahrenzone zu bringen. Der Schild mochte diesem Ansturm standhalten, solange nichts Größeres als ein Passagierflugzeug kam.
Es kam etwas Größeres.
Die Hauptattraktion dieses Spektakels fegte den schwarzen Vorhang aus Rauch und Qualm beiseite, als es die Bühne betrat. Die schiere Masse drückte so viel Luft aus dem Weg, dass die Sicht auf das anrückende Verhängnis frei wurde. Eine Handvoll der Anwesenden mochte erkennen was da kam. Vielleicht die Soldaten der Zehnten, vielleicht ein paar Verantwortliche in diversen Militärstäben. Die einfachen Soldaten der Zehnten kannten diesen fliegenden Metallbarren, weil sie selbst vor nicht alt zu langer Zeit damit in ein Krisengebiet geflogen worden waren. Die höherrangigen Militärs kannten das verhasste Ding, weil es sie einige Anstrengungen gekostet hatte, den schändlichen Verlust so zu erklären, dass andere und nicht die eigenen Köpfe als Konsequenz rollten.
Die Bulldog Luftlandetransporter waren der ganze Stolz der heimischen Produktion gewesen. “Eine weitere technische Meisterleistung von Koron 3. Seht und staunt ihr Völker des Imperiums.” Dann waren die Meisterleistungen von einer Bande von Deserteuren und Wilden gestohlen worden. Von der Bildfläche verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. Eine Schmach, fast so groß wie der Absturz der Artichendes Prios vor einigen Jahren. Auch wenn man diesmal den Mantel operativ bedingter Verschwiegenheit hatte darüber ausbreiten können.
Bis jetzt jedenfalls, denn hier kamen 900 Tonnen, um sich ins Gedächtnis zu bringen. 900 Tonnen wohlgemerkt nur, wenn man die Ladung nicht mitrechnete. Diese nämlich bestand aus allem, was explodieren, brennen, zerreißen und in die Luft fliegen konnte. Von Fässern voll Promethium, über industriellem und militärischem Sprengstoff, zu Granaten und Energiezellen für Laserkanonen.
Als der schwarz gepanzerte Riesenkäfer gegen den Deflektor prallte, stoppte er einen Herzschlag lang einfach nur. Dann faltete sich die Front zusammen als sei sie nur aus Aluminium oder gar Papier.
Es folgte die Explosion.
Es war wohl die gewaltigste, konventionelle Explosion auf dem Planeten, seit der Anfangsphase des Kriegs der Häuser, als der Gigantismus herrschte, der erst schrumpfte, als auch die Anzahl jener zurückging, die man mit überdimensionalen Dingen auslöschen konnte. Was sich an Fluggeräten in unmittelbarer Nähe befand wurde auf Nichts reduziert. Jäger und zu Bomben umfunktionierte Zivilmaschinen gleichermaßen. Auch alles was links und rechts, über und unter der Deflektorkuppe der Flanke der Makropole entwuchs wurde vernichtet oder beschädigt. Abwehrstellungen wurden weggerissen. Gleiches galt für luxuriöse Hubs, mit Blick auf die spektakulären Wolkenformationen, Landeplattformen, für die Privatfahrzeuge der Reichen und Schönen, Verwaltungsgebäude, Wartungsalkoven, Wettersensorik. Kurz um, auf mehreren Kilometer Durchmesser wurde die Mauer der Stadt rasiert, bis auf den Stahlmantel abgeschält und ausgebrannt.
All die Auswirkungen, welche dieser Angriff hatte, waren für die, die in der Ratshalle saßen im Moment weder absehbar, noch von Interesse. Auch die Halle erbebte, da die Grundfesten der Ebene erschüttert wurden. Putz und Stuckbrocken fielen von der Decke und erschlugen wie durch ein Wunder niemanden.
Wer die Augen nicht abwandte oder schützte, der erblindete. Manche vorübergehend, manche für den Rest ihres Lebens.
Das massive, nicht enden wollende Dröhnen wurde vom Schild auf ein erträgliches Maß abgedämpft. Ganz zu schweigen davon, dass der Deflektor verhinderte, dass da, wo die Halle thronte, nur ein klaffendes Loch blieb. Das allerdings war die letzte Großtat, die das Mirakel menschlicher Schaffenskraft vollbrachte. Die Energiekuppel knickte unter der aufgebrachten kinetischen Energie ein, nicht ohne ihr vorher die Zähne gezogen zu haben. Der Vorgang der Selbstabschaltung war dabei weit weniger spektakulär als die Ausübung der Schutzfunktion. In einem Moment war die schillernde Kuppel noch da, im nächsten war sie fort.
Die Folgen waren aber umso dramatischer. Durch das unvermittelte Verschwinden der Sphäre kam es zu einem abrupten Druckausgleich. Das Glas der riesigen Fenster barst. Glücklicherweise wurde es nach außen gerissen, da es ansonsten durch die Anwesenden gefegt wäre. Es holte viele, gerade in der Nähe zu den berstenden Fenstern, von den Füßen, auch wenn der Ausgleich nicht genug Kraft hatte, um Menschen hinaus und in die Tiefe zu saugen.
Mit dem Wegfall der Kuppel und dem Zersplittern der Fenster drang jedoch die Realität mit kalten Fingern in das Innere der Halle. Bis dahin war alles unwirtlich und surreal gewesen. Jetzt brandete der eisige Wind und der Geruch nach Feuer und Rauch heran. Außerdem der Lärm. Das Heulen des Windes, in dem das Kreischen von Sirenen mit schwamm, wie das von Todesfeen. Die Geräusche von Turbinen, weiter weg, denn die Explosion hatte den Nahbereich leergefegt. Das Fauchen von Flammen, das unangenehme Singen überlasteten Stahls und Prasseln bröckelnden Betons, von Gebäuden über und unter der Halle, die erst nach und nach ihren Verletzungen durch die Detonation erlagen. Auch das dumpfe Wummern von Flugabwehrgeschützen war zu hören. Überschallknalle und ferner Waffenlärm. Vielleicht auch noch mehr Dinge. Aber alles was gehört werden wollte musste das Schreien der Menge übertönen. Denn mit dem kalten Höhenwind kam die Panik in die Halle. Natürlich gab es die Besonnenen und die Paralysierten. Beide Personengruppen blieben an ihren Plätzen. Die einen weil sie verwirrt und verängstigt waren, die anderen, weil sie die Situation zu überschauen versuchten und wussten, dass Panik ein schlimmerer Mörder war als die meisten Feinde.
Der Großteil der Anwesenden aber verwandelte sich in eine Stampede. Eine unkontrollierbare Masse, die einigen wenigen Impulsen folgte. Fort von den zersplitterten Fenstern und zu den Ausgängen. Ein Teil versuchte zur Nadel zu gelangen. Wo der Gouverneur war, dort musste auch Sicherheit sein. Da aber stand die Leibgarde und stemmte sich gegen die Andrängenden.
Die Elite des Planeten verkam hier zu angsterfüllten Tieren. Nicht alle, wohlgemerkt. Einige hielten sich standhaft an der Würde fest, die sie so gerne ins Feld führten, um die Überlegenheit gegenüber dem gemeinen Mann zu betonen. Mann und Frau von Stand schrien nicht um ihr Leben und rannten herum wie kopflose Hühner. Man trat dem, was immer da kommen mochte mit Gelassenheit und Noblesse entgegen. Es gab diese Musterbeispiele, aber sie stellten die Minderheit dar.
Von den Wenigen, die wussten, was sie da getroffen hatte, die von den gestohlenen Truppentransportern wussten, dachte unterdessen wohl kaum einer an den zweiten Bulldog.
Der aber näherte sich.
 
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Reaktionen: Zanko und Sniperjack
“Redet mit mir Leute!”
Sie kam sich vor wie eine Königin, allerdings ohne, dass dadurch irgendwelche märchenhaften Implikationen oder Machtfantasien geweckt wurden. Sie war eine Königin, deren Reich von allen Grenzen her bedrängt wurde und deren Vasallen nicht schnell genug auf all die Brandherde reagieren konnten, die sich an allen Ecken und Enden auftaten.
“Was ist mit den verdammten Flakbatterien?” Verlangte sie von niemandem bestimmten zu wissen. Dennoch fühlte sich der passende Posten angesprochen. Der Soldat an seiner Konsole war schweißüberströmt und versuchte gleichzeitig die zusammengetragenen Daten von einem Schmierblatt abzulesen, Meldung zu machen und weiter dem Wirrwarr aus seinen Kopfhörern zu lauschen.
“Nur fünf von Achtzehn großen Batterien bekämpfen anfliegende Luftfahrzeuge. Die Batterien Drei, Vier, Sieben, Neun…”
“Nur die wichtigen Sachverhalte Gefreiter. Für Details ist später Zeit.”
“Jawohl Frau General.
Die kleineren Stellungen sind zu etwa fünfzig Prozent aktiv und wirken gegen den Gegner. Ich habe Meldungen von revoltierenden Mannschaften in den Batterien. Es scheint, dass in einigen noch um die Kontrolle gekämpft wird.”
“Gut, weitermachen!” Gar nichts war gut. Den Einschlag in den oberen Bereich hatten sie bis hierher gehört und mehr noch gespürt. Etwas sehr großes hatte sich von der Seeseite her genähert und war dann in den Ratssaal eingeschlagen. Sie hatten keine Meldung von dort. Entweder hatte man gerade Wichtigeres zu tun, oder es gab niemanden mehr, der Antworten konnte.
Mit der Detonation waren fast alle Statusanzeigen ihrer Flieger rund um die Ratshalle erloschen. Verbündete, wie auch jene, die sie als Verräter hatte abschreiben müssen. Sie hoffte, dass dies nur auf eine Störung der Übertragung zurückzuführen war, ahnte aber, dass sie die Piloten dort oben als gefallen ansehen musste.
“Meldungen der Luftschiffe?” Ihr Stellvertreter antwortete.
“Die Freifrau von Taritsch ist auf dem Weg. Voraussichtliche Ankunft im zugewiesenen Bereich in acht Minuten. Keine Meldung von der Medusa. Vielleicht kämpfen sie auch dort.” Gerne hätte sie ihm gesagt, dass es ihm nicht anstand, die Zeit mit Spekulationen zu vertun. Aber sie wollte den Oberstleutnant nicht vor den niederen Rängen diskreditieren. Also nickte sie nur.
“Reservestaffeln?”
“Gelb und Grau sind unterwegs. Außerdem werden zwei VOLAR- Gruppen in diesem Moment gestartet.”
“Das ist alles schön und gut, aber was ist mit Fliegern, die auch etwas abschießen können, was größer als sie selbst oder ungepanzert ist? Was ist mit Lightnings, Avengers, Thunderbolts, irgendwas?”
“Die anderen Sicherheitsbereiche tun sich schwer damit die Flieger aus ihren Sektoren wegzuschicken. Ich habe mit General Grubenteufel gesprochen und…”
“Verdammte Scheiße, hat er mitbekommen, dass die Ratshalle angegriffen wird?” Brauste sie in einer unüblichen Anwandlung von unkontrolliertem Ärger auf. “Sagen sie diesem Hans Wurst, er soll die Hälfte seiner Flieger herschicken oder ich werde ihn höchstpersönlich vors Kriegstribunal zerren.” Der Oberstleutnant erbleichte bei der Vorstellung, diesen Befehl gegenüber einem General zu formulieren. Sie rieb sich die Nasenwurzel mit Daumen und Zeigefinger. Wahren Sie die Contenance besser als ich, Oberstleutnant. Versuchen sie General Grubenteufel noch einmal die Dringlichkeit der Situation und die unmittelbare Gefahr für die Führung, nicht nur dieses Planeten, zu vermitteln. Sagen Sie ihm, er hat hier die Gelegenheit, durch sein schnelles und beherztes Eingreifen dem Gourverneurspaar das Leben zu retten. Dann wird er schon machen.”
“Der Schild ist zusammengebrochen.” Das war Bruder Korras, der mit einer Konsole verbunden auf die Stimme der Maschinen lauschte. Seine schnarrenden Worte klangen nicht aufgeregter, als hätte er den Wetterbericht von letzter Woche verlesen. Das mochte aber auch daran liegen, dass sein Stimmenmodulator keine umfänglicheren Gefühlsabstufungen erlaubte.
“Ich kann nicht verifizieren, ob der Generator zerstört wurde oder eine Überlastungsabschaltung vorgenommen hat. Der Empfang ist gestört.
Etwas mit sehr viel Sprengkraft oder mit sehr viel Masse muss den Schirm getroffen haben.”
Das zu wissen, musste man weder ein Techpriester sein noch das zweite Gesicht haben. Sie hatten das Beben ja alle gespürt, welche durch Wände, Decken und Boden gegangen war. Ihr Kommandoposten befand sich in der Außenmauer der Makropole in einer der Verfügungsbunkeranlagen. Diese Komplexe standen leer bis sie gebraucht wurden, wurden aber durchgehend gewartet und am Netz gehalten. Zur Seeseite waren sie von einem Kilometer Stahlbeton geschützt und auch über und unter ihnen war genug Material als Panzer verbaut worden, dass man damit hätte eine kleine Stadt errichten können. Eines der sporadisch vorkommenden Makropolbeben hätten sie nicht einmal bemerkt. Dass sie das Ende des Deflektorschildes so deutlich gespürt hatten war daher umso bezeichnender.
“Frau General, ich habe Anfragen von verschiedenen zivilen Rettungsleitstellen und den angrenzenden Stäben. Alle wollen wissen, ob wir ein klareres Lagebild zeichnen können. Niemand hat Kontakt zur Ratshalle oder den umliegenden Bereichen.” Rief ein Funker, der zwei Sprechgeräte auf den Schultern und ein drittes in der Hand liegen hatte.
“Wir sind noch mitten in der Situation. Können noch nichts mit Sicherheit bestimmen. Sagen sie den zivilen Einrichtungen, dass wir eine Großkatastrophe vermuten. Sagen sie allem was PVS ist, dass wir einen Angriff befürchten. Vermutlich mit eingesickerten Feindkräften in den eigenen Reihen.
Wir brauchen Augen vor Ort. Aufklärer, Bodentruppen.” Sie blickte auf die beiden Soldaten, denen sie befohlen hatte, die MPs zu holen. Sie gingen auf der oberen Balustrade herum und blickten wachsam auf den “Orchestergraben” aus hektischen Soldaten. Als wären es Gefangene und nicht ihre Kameraden. Zwei Soldaten waren nicht viel.
“Wer hat die Sicherung unseres Postens inne, Herr Oberstleutnant?”
Zwei Züge der 805. Hauptsächlich Fernmelder. Kommando hat Oberleutnant Iluy.
“Kennen Sie ihn?”
“Nur flüchtig, aber ja.”
“Vertrauenswürdig?”
“Er hat bisher keinen Anlass gegeben es nicht zu sein.”
Das hatten die Piloten, die plötzlich anfingen ihre Kameraden vom Himmel zu schießen, auch nicht. Dachte sie bitter.
“Versiegeln sie das große Haupttor zu unserer Anlage. Funken sie Iluy danach… ich widerhole, danach an und geben sie ihm einen kurzen Abriss über die Lage. Hier kommt niemand raus oder rein, bis wir diese Sache durchgestanden haben.” Zwei Züge aus Fernmeldern würden einem stramm vorgetragenen Angriff wenig entgegenzusetzen haben. Aber wer hatte auch mit so etwas rechnen können? Es war darum gegangen den Schutz der Halle und der Parade zu garantieren. Nicht plötzlich selber Teil des Problems zu sein.
 
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Die zweite Welle der Angreifer kam durch den Tunnel oder besser noch die Schneise, welche der erste Bulldock und der ihn begleitende Verrat geschlagen hatte.
Unbehelligt näherte sich das Unheil, begleitet von seinen ganz eigenen Pilotfischen, in Form von einigen Valkyren, einer Vulture und ein paar Hubschraubern. Gerade letztere waren eine Gattung von Fluggerät, das sich auf Koron nie sonderlich nennenswert durchgesetzt hatte, aber dennoch auch kein reines Kuriosum darstellte.
Die Angreifer jedenfalls hatten eine Handvoll davon in ihre Gewalt gebracht. Militärische und zivile Varianten zu fast gleichen Teilen gemischt, speziell danach ausgesucht, in so enormer Höhe noch operieren zu können. Diese zusammenzustellen war gewiss kein Leichtes gewesen und illustrierte den Aufwand, den die Angreifer in diese Operation gesteckt hatten, fast im Kleinen, wie es die zwei gekaperten Transporter im Großen taten.
Sie kamen, wie die erste Welle, von der Seeseite. Wo sie gestartet waren? Wer wusste es?
Dieses Geschwader flog langsamer als seine selbstmörderischen Vorgänger. Ihr Ziel gleichwohl war nicht weniger finster. Auch sie steuerten die nun nahezu ungeschützte Ratshalle an. Einer der Hubschrauber, er hatte wohl in seinem früheren Leben Bergrettungen durchgeführt, ging in einem Feuerball auf, als sie nah genug an der Makropole waren, um ins Fadenkreuz einer noch einsatzbereiten Flakbatterie zu geraten. Auch der Bulldock wurde beschossen. Das massive Gefährt ließ die Treffer aus Splittergranaten jedoch über sich ergehen, als sei es Hagel. Unangenehm ja, im Stande es aufzuhalten, nein.
Die Valkyren und die Vulture stürzten sich auf die ausgemachten Stellungen, die noch ihren Auftrag versahen und schleuderten ihnen Hellstrike- Raketen und Ströme aus Bolterfeuer entgegen. Den schweren Stellungen würden diese Bemühungen nichts anhaben, die kleineren Posten vergingen gleichwohl im Feuer der Raketen. Wäre hier der Versuch unternommen worden, die Makorpole sturmreif zu schießen, man hätte diese Angriffsgruppe mitleidig belächeln müssen. Auch ohne fliegende Verstärkung der Verteidiger im Anmarsch und selbst unter Berücksichtigung der ausgeschalteten Abwehrbatterien, wären die verbleibenden Anlagen mehr als in der Lage gewesen, eine sehr viel größere Anzahl an Feinden zurückzuschlagen.
Darum ging es den Angreifern aber natürlich nicht. Jede Sekunde, welche sich die Besatzung einer Flakstellung um eine Valküre oder die Vulture sorgen mussten, wurden der Bulldock und dem kleinen Schwarm aus Hubschraubern erkauft.
Sie nutzten diesen Vorteil.
Durch eines der inzwischen glaslosen Fenster kam ein Hubschrauber hereingedröhnt. Durch die zyklopischen Ausmaße der Halle mochte man meinen, ein Spielzeug käme durchs Fenster geschwebt. Die Reaktionen darauf waren durchaus unterschiedlich. Diejenigen, deren Verständnis von Stand und Etikette sich auch durch eine epochale Erschütterung nicht erschüttern ließ, waren empört darüber, dass die Instanz der Ratshalle durch das Eindringen einer derart lauten und stinkenden Maschine besudelt wurde. Die Verwirbelungen der wummernden Rotoren fegten Designerhüte und traditionelle Kopfbedeckungen von edlen Häuptern und zerstörten Frisuren, für die Starfriseure Stunden gebraucht hatten. Einige ahnten die Bedrohung, andere hofften auf Rettung. Der Hubschrauber sah nicht aggressiv aus. Er war von rundlicher Bauweise und in einem freundlichen Beige gehalten.
Die Seitentür wurde aufgeschoben und zwei Gestalten erschienen in der Öffnung.
Was sie da ausklappten war jedoch keine Seilwinde, kein Rettungskran und keine Lautsprecheranlage, die verkündete, dass man Ruhe bewahren solle, weil Hilfe unterwegs sei.
Es war ein Maschinengewehr.
Die, welche die Waffe als das erkannten, was sie war, mischten ihre Panik, ihr Schreien oder Deuten nur in das ohnehin bereits existierende Chaos mit ein. Eine der sichtbaren Personen im Hubschrauber klemmte sich hinter das MG. Der andere hieb ihm auf den Kopf und deutete in eine Richtung. Dorthin, wo sich die größte Menschenansammlung ballte. Nahe des Ausgangs.
Dann feuerte der andere.
Es waren kurze und kontrollierte Feuerstöße, die der Schütze in die Menschenmenge jagte. Sie hinterließen Schneisen aus Toten und Verwundeten am Rand der Masse und Leichen, die von den sie Umgebenden aufrecht gehalten wurden. Am Rand der Menge stieben die Leute auseinander, suchten Deckung hinter Sitzen und Tischen. Jene, die zusammengepfercht versucht hatten, den Ausgang zu erreichen hatten nicht einmal diese Illusion von Sicherheit.
Das Maschinengewehr hielt blutige Ernte. Jedenfalls für etwa fünf Sekunden. Für zwei kurze und eine lange Salve. Dann bewiesen die Opritschniki, dass sie keine Zinnsoldaten waren, die einzig beeindruckend aussahen. Laserschüsse trafen die Kanzel des Helikopters und töteten den Kopiloten. Der Pilot selbst riss die Maschine herum, um sich aus der Schussbahn zu bringen, womit er jedoch die Schützen in seiner Flanke dem Zorn der Leibgarde auslieferte.
Der Mann am MG versuchte noch, die neue Bedrohung aufs Korn zu nehmen, wurde aber gleich von mehreren Lichtlanzen durchbohrt und brach über seiner Waffe zusammen. Der verbleibende Angreifer wollte den Toten wegzureißen und seine Stelle einzunehmen.
Der Helikopter schlingerte wild.
Schüsse durchlöcherten ihn, trafen auch den Motor und die Rotorblätter. Die Maschine sackte ab, fing sich und trudelte auf die Felsnadel zu. Licht stanzte Loch um Loch in den Rumpf. Nun taumelte sie im ausladenden Bogen wieder auf die Fenster zu. Ob dies ein Versuch der Flucht oder lediglich die Willkür der versagenden Steuerung war, würde nie jemand herausbekommen.
Denn als der Hubschrauber vor den Fenstern mäanderte, brach der zweite Bulldock durch dies, zerschmetterte die Bögen und einen Großteil der seeseitigen Wand und fegte den lächerlichen Helikopter einfach beiseite. Steine in der Größe von Wohnhäusern fielen ins Innere der Ratshalle. Zerberstendes Gestein, brüllende Triebwerke und kreischendes Metall übertönten alles, was menschliche Stimmbänder an Lauten erzeugen konnten.
Eine Staubwolke war der Hermelin dieses niederfahrenden Schreckenskönigs. Sie wallte wie ein lebendes Wesen herein und bedeckte gnädig die schlimmsten Bilder. Wie Menschen von fallenden Steinen zerdrückt wurden, wie der Rumpf des gekaperten Transporters Leiber zu kaum mehr zerrieb als roter Schmiere. Schrabnelle aus zertrümmertem Stein fetzten durch Fleisch, verdrehte Stahlträger teilten wie Messer. Wer sich auch nur in der Nähe der Seeseite aufgehalten hatte starb.
Ohne Ausnahme, ohne Chance, ohne Gnade.
Ein Teil der herausgerissenen oberen Galerie stürzte auf den Kreis der standhaften Opritschniki und zermalmte Dutzende unter sich. Allein die schiere Größe der Halle verhinderte, dass beim Einschlag des Bulldock alles und jeder hier ausgelöscht wurde. Der Transporter schob Schutt, den aufgewühlten Holzboden, Leitungen und Möbelstücke vor sich her wie eine Bugwelle.
Er wurde nach und nach langsamer und verursachte auf jedem rutschenden Meter mehr Zerstörung, mehr Tot.
Etwa die Hälfte der Halle schaffte das zum Geschoss umgewandelte Fahrzeug, ehe es anhielt. Was blieb, konnte man Stille nennen. Auch wenn Verwundete und Panische schrien, loses Gestein polterte und alles zu knirschen und knacken schien, war dies doch im Vergleich zum Moment des Einschlages geradezu friedvoll. An einigen Stellen loderten kleine Feuer, hauptsächlich dort, wo die Reste des glücklosen Hubschraubers niedergegangen waren. Der Staub senkte sich nur widerwillig und wer noch auf den Beinen stand, zeichnete sich als schemenhaftes Gespenst in der erstickenden Schicht ab.
Die Sicht klärte sich ein wenig, als der Wind außerhalb der Halle nach dem Staubschleier griff und ihn nach außen zu zerren begann. Dadurch wurde der Blick auf die Verwüstung und das Gemetzel allerdings erschreckend frei. In diesem Moment stellte sich niemand der noch Lebendigen die Frage, warum eben das so war. Dass sie noch lebten. So furchtbar die Zahl der Toten auch sein mochte, hätte der zweite Bulldock die gleiche Fracht mitgeführt wie der erste, die Halle und ein Großteil dieser Ebene wären bereits nicht mehr da. Aber auch wenn man nicht in Erfahrung bringen konnte, warum der Bauch des Frachters nicht mit Sprengstoff gefüllt war, so bekam man doch zu spüren, was stattdessen darin lauerte.
Die vordere Rampe würde sich nie wieder öffnen, soviel stand fest. Die Front des Fliegers war zusammengedrückt und deformiert. Die Heckrampe und die Seitenöffnungen waren jedoch noch funktional. Die Hydrauliken hatten ihr Tun, ihrer Aufgabe in einem vollkommen verzogenen Chassis nachzukommen. Doch mit Gewalt brachen sie die Rampe frei und stotternd und stockend, ruckte sie auf. Im weißen Staub bewegten sich Schemen, zügig die Rampe herunter. Wer Zweifel an deren Intention haben mochte, dem blieben vielleicht fünf oder sechs Herzschläge, in dem Trugschluss zu schwelgen, der Angriff sei vorbei. In dem Moment, wo die Gestalten aus dem Dunst traten, eröffneten sie das Feuer.
Es waren Männer und Frauen, ausgestattet für einen Krieg. Sie trugen Helme und Schusswesten, im Großteil aus den Beständen der PVS, aber auch alles andere, dessen sie hatten habhaft werden können.
Gleiches galt für die Bewaffnung. Zwo- Einer, Lasergewehre, Maschinenpistolen und alles andere, was dazu ersonnen war, jemanden vom Leben zum Tode zu befördern. Die Angreifer teilten sich zügig in zwei Gruppen auf. Eine strömte links von der Rampe weg, die andere rechts. Eine Gruppe bekämpfte die Opritschniki, klar mit dem Ziel zur Felsnadel zu gelangen. Die andere Gruppe begann mit dem methodischen Mord an den Würdenträgern und Abgesandten. Von deren Seite gab es wenig bis gar keinen Widerstand. Waffen waren in der Halle nicht erlaubt und lediglich die Handvoll Personenschützer der hochrangigsten Persönlichkeiten gaben kleinkalibrige Antwort auf das systematische Töten.
Auf der anderen Seite hingegen entspann sich ein Kampf, den so zu nennen legitim war. Die Leibwache des Gouverneurs gedachte nicht, sich durch eigene Verluste oder Überzahl des Gegners ins Boxhorn jagen zu lassen. Das steinerne Trümmerstück, welches so viele ihrer Kameraden erschlagen hatte, wurde zur zentralen Deckung ihres Widerstandes erkoren. Sie lieferten dem Feind einen höllischen Kampf. Die hatten gedacht, sie könnten durch aggressiven Vormarsch die Reihe der Opritschniki aufbrechen. Doch weit gefehlt. Mit konzentriertem Feuer und hoher Zielgenauigkeit fielen die ersten, besonders vorwitzigen zwanzig Angreifer wie Korn unter der Sense.
Der Rest wurde sehr viel vorsichtiger, verschanzte sich hinter Trümmern, Sitzungsbänken und Pulten. Allerdings hatten die Angreifer noch etwas in der Hinterhand, um diesen gordischen Knoten zu durchschlagen. Noch rumorte dieser Trumpf aber noch in der schwarzen Höhle des gestrandeten Bulldock.
Auf der anderen Seite hatten sich die Angreifer aufgefächert und schritten gemächlich voran. Der Pulk um den Ausgang herum hatte sich teilweise zerstreut. Weil einige tatsächlich nach draußen gelangt waren, andere mehr Glück in der Deckung hier im Saal suchten und ein großer Teil tot und verwundet um den Ausgang herum verteilt lag. Während einige Angreifer weiter auf die Gruppen schossen, gingen einzelne Mörder die Reihen ab und exekutierten die, die sich hinter Sitzen und Pulten verbargen.
 
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“Die Scheißesuppe is kalt.”
Der Bursche war nicht mehr sturzbetrunken, aber er hatte diesen Zustand sicher noch nicht lange hinter sich gelassen. Er sah aus, als hätte er seit dem Beginn der Paradetage nicht geschlafen und sich mit Bier ermattet und dann mit anderen Rauschmitteln wachgehalten. Sein Anzug, der sicherlich nicht billig gewesen war, war zerknittert und mit allerlei Flüssigkeiten durchtränkt. Bruder Renold lächelte ihn an. So wie man ein unverständiges Kind eben anlächelte. Das tat er wortwörtlich von oben herab, denn durch seine Position auf dem LKW stand er einen guten Meter erhaben.
“Das tut mir Leid.” Sagte er mit sanfter Stimme. “Vielleicht stand der Topf auf einer Gasflamme, die ausging, nachdem die Flasche sich leerte.”
“Is mir scheißegal, ob die Flasche sich leerte.” Der junge Mann betonte das letzte Wort, als sei grammatikalisch korrekte Verwendung etwas, über das man sich lustig machen konnte.
“Hör zu Glatze. Ich hab für euren Dreck ne halbe Stunde angestanden und du schaufelst mir den Mist kalt in die Schüssel? Das kannst du mit einem Muti machen oder mit irgendwelchem Unterebenenabschaum. Aber ganz sicher nicht mit mir.”
“Es tut mir Leid. Ich werde dir natürlich etwas nachfüllen.”
“Und ob du das wirst.” Er warf seine Kunststoffschale, halb gefüllt mit dickflüssiger Suppe, zu Bruder Renold empor, der sie mehr schlecht als recht fing, wodurch ein Großteil auf seine Schürze und die gelbe Robe darunter spritzte.
Tja, so war es eben. Man begegnete seinen Mitmenschen mit Freundlichkeit und gar mit Milde und so dankten sie es einem. Die Selbstverständlichkeit, mit der vermeintlich Bedürftige die Fürsorge anderer annahmen, missbrauchten und zum Anlass für Beschwerden nahmen, machte Bruder Renold traurig. Die Welt könnte ein besserer Ort sein, wenn Menschen einander zugewandt sein würden. Er rührte in einem der noch vollen Töpfe herum, um für den jungen Mann auch die wirklich heiße Suppe von unten hervorzuholen. Renold hatte sich damals gewundert, dass allen die Gnade der Transzendenz gleichermaßen zuteil werden sollte. Sollten solche wie der da, undankbar und egozentrisch, denn genauso von der Göttlichkeit bedacht werden wie jene, die ihr ganzes Leben in den Dienst für andere gestellt haben?
Inzwischen wusste er es. Ja, genau so sollte es sein. Das Göttliche machte eben keinen Unterschied zwischen seinen Kindern. Das erhob es über die kleinliche Bosheit und den Neid von normalen Menschen. Wenn er diesem Flegel seinen Platz in der großen Transzendenz nicht gönnte, dann war er keinen Deut besser als er. Renold machte die Schüssel randvoll und stellte sie auf die Ausgabe, wo der andere sie greifen konnte, ohne sich zu verbrennen.
In diesem Moment ging eine Erschütterung durch den Wagen, die Straße und wie es schien die gesamte Ebene. Diesem folgte ein langgezogenes Rumoren, wie ein Donner, der nicht mehr enden wollte.
“Wasn das jetzt?” Fragte der Unzufriedene verwirrt und vergaß dabei sogar seine Frage mit Unflat und Schimpf zu garnieren. Renold hatte die Kelle beiseite gelegt und war in die Knie gegangen. Er stöberte unter einigen Jutesäcken herum.
Zügig, aber ohne Hast. Als er endlich fand, was er gesucht hatte, erhob er sich aus der Hocke eine verchromte Pumpgun in den Händen.
“Das mein Junge, ist der Auftakt der Transzendenz.” Der andere hatte ihm den Rücken zugewandt, als er versucht hatte, den Ursprung der Geräusche zu lokalisieren. Bei den Worten Bruder Renolds drehte drehte er sich um, eine passende Antwort auf den Lippen.
Renold schoss ihm in die Brust. Wie von einer Riesenfaust getroffen, flog der Mann nach hinten und prallte gegen die Wartenden in seinem Rücken. Er hatte immer geglaubt, dass jemand so nach hinten flog, war eine Erfindung der Vid- Filme.
Interessant.
Renold repetierte und schoss auf den nächsten Passanten. Eine alte Frau, die wie ein Maulwurf durch ihre kleine runde Brille blinzelte. Brille und Gesicht verschwanden in einem Schauer aus Blut, Knochenfragmenten und einer Masse, von der Renold annahm, dass es sich um Gehirn handelte. Er lud wieder durch und feuerte weiter. Neben ihm erschien Schwester Evolet mit ihrer Maschinenpistole in der Hand.
Sie hatten im Vorfeld einen kleinen freundschaftlichen Disput über die Wahl der Werkzeuge gehabt. Sie hatte die Meinung vertreten, dass sie beide schallgedämpfte Geräte der Erfüllung verwenden sollten. So hatte sie argumentiert, war eine Panik möglichst lange hinauszuzögern und sie konnten mehr Leute der Transzendenz zuführen. Er hatte entgegengehalten, dass er zum einen mit der Schrotflinte besser umzugehen wusste und zum anderen die Panik so oder so kommen würde. Sie hatten beide auf ihrer Auswahl bestanden und so kam es, dass der laute Knall seiner Schrotflinte vom verzerrten Rattern ihrer MP untermalt wurde. Die Umstehenden fielen zu Dutzenden, bevor die restlichen merkten, was geschah. Danach war die Seitenstraße sehr schnell sehr leer.
Renold lud das Werkzeug nach, während Evolet jene der Transzendenz anvertraute, die nur verletzt worden waren.

Vor den Augen von Hauptmann Schauermann spielten sich unglaubliche Szenen ab. Menschen in allen Stadien des Verletztseins wurden aus dem Gebäude der höchsten politischen Instanz des Planeten getragen, gezogen oder sie hinkten, krochen und humpelten selber. Die mächtigsten der Mächtigen waren zu geprügelten Hunden verkommen. Grauer Staub machte sie alle gleich. Machte sie zu Gespenstern, die wortwörtlich in Asche gingen. Einzig das Blut auf ihnen setzte Akzente im Grau, trat es doch aus Wunden, vermischte sich mit dem Staub und sickerte frisch nach.
Diese Geister stolperten in die Arme der wartenden Soldaten, die sie vor dem Eingangsbereich empfingen. Ihrerseits zur Hilflosigkeit verdammt, denn in ihren Waffen steckten nur leere Magazine, unnütz dem Feind entgegenzutreten. Selbst jene, die mit Bajonetten und bloßen Händen in den Kampf gestürmt wären, um ihre Schuldigkeit zu tun, wären gar nicht ins Innere gelangt, so sehr verstopften Fliehende und Sterbende Türen und Gänge.
Das drinnen Schreckliches geschah, ließ sich derweil nicht überhören. Über die Schreie und das Wehklagen erhoben sich die markanten Geräusche von Schüssen.
Schauermann sah dies mit ohnmächtiger Hilflosigkeit. Er blickte aus der Luke des Baneblades “Sein Zorn”, einem der mächtigsten Kampffahrzeuge dieser Welt. Nur unternehmen konnte er nichts.
Für die Parade führte der Superpanzer keine Munition mit sich und selbst wenn… Auf was hätte er schießen sollen?
Das Grauen spielte sich im Inneren der Halle ab. Sie standen hier in all ihrer gepanzerten Herrlichkeit und waren so viel wert wie eine Karre voll Carnakmist.
“Wir rücken ab.” Blaffte er in sein Sprechgerät. “Melden Sie an…” ja an wen eigentlich? Bis jetzt hatten sie Kontakt mit dem Paradestab gehalten, aber die waren jetzt wohl kaum zuständig. Immerhin hatten sie hier eine ausgewachsene Revolte, Terrorattacke oder wusste der Thron, was am Hals. Aber wer dann?
“Diesen General. Wie hieß sie noch?”
“General Lungershausen, Herr Kommandant.” Kam es von seinem Funker. “Ja genau. Melden Sie ihr, dass wir uns zum Depot verfügen und Munition und den Rest unserer Besatzung aufnehmen. So verkrüppelt wie wir jetzt sind, sind wir niemandem eine Hilfe.” Dann klickte er den Regler an seinem Sprechgerät einen Kanal weiter und gab dem Fahrer Order.
“Hansen, wir rücken ab. Zum Depot. Ab gehts!” Das er diese Entscheidung treffen konnte, ohne als Hauptmann auf die Bestätigung eines Generals warten zu müssen, lag an seinem Dienstposten. Er kommandierte "Sein Zorn" und man musste so manche Schulterklappe in die Schale werfen, um diesen Umstand aufzuwiegen. Er hatte seine Ausbildung auf Terra selbst erhalten, an der besten Panzertruppenschule des Imperiums. Man hätte ihn auf jedwedem Schlachtfeld des Universums besser gebrauchen können als hier. Aber ein Baneblade benötigte einen Kommandanten und Schauermann hatte sich dazu herabgelassen, seinen Dienst auf einem Garnisionsposten zu versehen. Ob sie ihm im Inneren ihrer kleinen PVS einen Hauptmann oder einen Feldmarschall nannten, war ihm herzlich egal. Er war vor allem anderen, ein Baneblade-Kommandant. Ein Ritter unter Bauern. Niemand aus seiner Besatzung sprach ihn mit seinem offiziellen Rang an. Er war schlicht der Kommandant.
Der Panzer spie schwarze Abgase in die Luft und drehte dem Drama vor der Halle den Rücken zu, als er auf der Hochachse drehte und sich in Bewegung setzte. Die Verblüffung, ja der Kummer der Soldaten ringsum war nicht zu übersehen. Der Avatar ihres Gottes verließ sie, ließ sie im Stich, im Angesicht des Feindes.
Aber was war besser, dachte Schauermann. Ein Avatar, der nicht da war oder einer, der sich schwach und unzulänglich zeigte?
“Wir nehmen die Prachtstraße Richtung Zollknoten und dann runter auf die 45A.”
Mit den sechsundzwanzig Kilometern pro Stunde, die das Verbrennungskraftwerk aus der beweglichen Festung herausholen konnte, “raste” der Panzer für seine Verhältnisse über die breite Straße. Diese war verwaist. Wo noch vorgestern tausende und abertausende von Soldaten und Fahrzeugen entlanggezogen waren, wehten jetzt welkende Blütenblätter im trägen Wind der Umwälzanlagen. Hier und da stand ein Fahrzeug am Straßenrand. Ausschließlich militärisches Gerät. Vielleicht liegengebliebene Einheiten, vielleicht Trupps, die irgendetwas mit der Nachbereitung der Parade zutun hatten. Soldaten waren aber nicht zu sehen.
Von seiner erhöhten Position in der offenen Luke aus, nahm Schauermann eine sonderbare Stimmung in der Stadt wahr. Das mochte in erster Linie an den Erschütterungen liegen, die mit dem Angriff auf die Ratshalle zu tun hatten und von denen er noch nicht wusste, um was genau es sich handelte. Nur natürlich, dass das feiernde Volk den Kopf einzog, wenn irgendetwas die ganze obere Makropole erzittern ließ.
Aber da war noch etwas anderes.
Er konnte nur den Finger noch nicht darauf legen. Auf einer höher gelegenen Schnellstraße raste ein Konvoi mit Blaulicht vorbei. An einigen Stellen sah man Menschengruppen, aber bei weitem nicht so viele, wie man es beim Umfang der Festivitäten hätte annehmen müssen. So beunruhigend die Donnerschläge gegen die Halle auch gewesen waren, sie hatten doch keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Menschen hier auf der Ebene. Es waren keine Teile von Straßen oder Wohnhabs eingestürzt, es tobten keine Viertel weiten Brände. Jedenfalls nicht, soweit er bei seiner Fahrt die Prachtstraße herunter sehen konnte. Warum waren dann so wenige Zivilisten auszumachen? Verängstigt, verwirrt und panisch, ja. Aber sie hätten da sein müssen.
Sie passierten eine Stelle, von der der Panzerkommandant einen vorbeifliegenden Blick in eine Seitengasse werfen konnte. Dort zeichnete sich für ihn im Scherenschnitt der zwei, drei Sekunden, die der Baneblade vorbei dröhnte, das Bild eines Gemetzels ab. Gestalten mit Feuerwaffen schossen eine Ansammlung von Zivilisten zusammen. So viele, dass sich die toten Körper bereits an einer Ecke der Mauer zu stapeln begannen. Mit gerunzelten Augenbrauen drehte sich Schauermann um die eigene Achse, um der Vorbeifahrt noch eine halbe Sekunde des Sehens abzutrotzen. Um vielleicht eine logische Erklärung für diesen Schrecken zu finden. Nutzte irgendeine Verbrechergang die Verwirrung, um eigene Schurkereien auszuführen? Oder, und dieser Gedanke war der weitaus beunruhigendere, gehörte dieses Verbrechen zu jenem, welches sich an der Halle abspielte? Gerade wollte er dem Funker befehlen, Meldung über seine Sichtung zu machen, als ihm der Fahrer zuvorkam.
“Herr Kommandant. Voraus!” Er drehte sich wieder in Fahrtrichtung. Dort lagen Tote auf der Straße. Tote in den Uniformen der PVS. Ein Geländewagen war gegen die Betonbegrenzung der Straße gefahren. Die Türen standen offen, die ehemaligen Insassen lagen ringsherum verstreut. Auf dem Beifahrersitz saß noch eine Leiche, dem Kopf auf dem Lenkrad. Die waren nicht alle durch den Unfall gestorben. So beschädigt war der Wagen nicht.
Als hätte er noch einen weiteren Denkanstoß gebraucht, um zu begreifen, dass sich hier nicht ein tragischer Unfall an den nächsten reihte, kam etwas flackernd Helles von einer der höheren Straßen geflogen und schlug auf die Hülle des Panzers. Ein Brandcocktail, dessen brennender Inhalt sich auf der Fläche des Baneblades als kaum mehr ausnahm, als ein angezündeter Tropfen. Diese Bastarde! Wütend suchte Schauermann mit den Augen nach dem Ursprung dieser Freveltat.
Da drückten sie sich herum, diese Hunde. Auf den oberen Rängen einer Bühne.
Ein Schulter gestützter Werfer wurde abgefeuert und eine kurzlebige, rote Blüte vergeudete ihre Zerstörungskraft an der Unnachgiebigkeit von “Sein Zorn”.
“Kommandant, wir werden beschossen.”
Nachdem Kleinkaliberfeuer ringsum die Luke von der Panzerung abprallte, ganz klar mit dem Ziel ihn zu treffen, schloss er widerwillig die Luke.
“Wir werden nicht beschossen”, knurrte Schauermann, “wir werden angespuckt.
Das ist schlimmer.”
Durch die Panzersehschlitze des zentralen Turms wurde die zu erkennende Umwelt zu einem zitternden, vibrierenden Ausschnitt verkleinert. Wenn sie noch beharkt wurden, war es durch die undurchdringliche Haut des Baneblades nicht zu bemerken. Hatte er erst einmal Munition gefasst, dann würde es Saures geben, für diese Wanzen.
“Kommandant, Hindernis voraus.”
Schauermann verrenkte sich, um besser sehen zu können, und gab es schließlich auf. Wie ein Affe turnte er im Turm nach unten und spähte durch die Kathedrahlschlitze, die unterhalb des Drehkranzes verortet waren und die beste Sicht nach außen gewährten.
Das Hindernis bestand aus drei quer stehenden Fahrzeugen. Lastkraftwagen der PVS. Körper lagen auf dem Asphalt ringsherum und Mündungsfeuer blitzen links, rechts und zwischen den Lastern auf. Ob da die eigenen Soldaten Verrat übten oder ob sie von Angreifern gemeuchelt worden waren, konnte er nicht ausmachen.
Es war ihm auch egal.
“Durchstoßen!” Gebot er mit der Genugtuung, wenigstens etwas gegen den Feind ausrichten zu können. Der Baneblade fuhr bereits mit Höchstgeschwindigkeit und doch schien es, als lege er noch einmal einen Zahn zu, begierig darauf, etwas unter seinen Ketten zermalmen zu können. Nicht das die drei Lastwagen der Rede wert gewesen wären. Man bemerkt den Käfer nicht, den man unter einem Stiefel zertritt. Man hört nicht einmal das Knacken.
Das Knacken des Käfers war hier das Klirren und Knirschen nachgebenden Metalls und splitterndes Glas. Treibstoff und Flüssigkeiten spritzten, verpufften und fingen gar Feuer unter dem Druck und sprühenden Funken. Es war eine fulminante, aber nur kurze Genugtuung. Die Ketten des Panzers fraßen die LKWs regelrecht auf und reduzierten sie auf wenig mehr, denn gepressten Schrott.
Im Inneren von Sein Zorn spürte man die Kollision nicht wirklich.
Vor ihnen erhoben sich kurz darauf die riesigen, bronzenen Wächter, welche die Brücke der Hunderttausenden flankierten. Die Brücke war breit, bot Fahrzeugen auf zehn Spuren Platz. Dennoch, so wusste Schauermann nur allzu gut, wäre hier der ideale Punkt für einen Hinterhalt. Es ging nur vorwärts oder rückwärts. Der Platz zum Ausweichen war begrenzt und auch ein Baneblade, so ungern er dies zugeben wollte, war nicht unverwundbar. Schon gar nicht, wenn ihm die Unterstützung verbundener Waffengattungen fehlte.
Wenn, dann hier.
So hätte er selber es gemacht. Sie rasselten auf die Brücke. Drei Kilometer lang, überspannte sie einen der Transitcanyons, eine der zentralen Venen der Makropole, die es auch größeren, flugfähigen Vehikeln erlaubte in das Herz des Menschen gemachten Gebirges vorzudringen.
Nicht selten hüllte sie sich in ihre persönliche Wolkenbank. Ein mikroklimatisches Phänomen aus Abgasen, Kondenswasser und den aufeinanderprallenden Luftmassen der verschiedenen Ebenen, die hier wie in einem Querschnitt offen lagen. Heute aber schimmerte nur ein Dunst über der Fahrbahn. Da sie noch gesperrt war, der Parade und ihren Nachwehen sei Dank, lag sie verweist und relativ nebelfrei da. Nicht auszudenken, wenn der reguläre Verkehr wieder zugelassen gewesen wäre und sich hier wie immer gestaut hätte.
Scheuermann hätte es nicht gern getan, aber er hätte den Panzer auch nicht angehalten. Ein Gewicht, das er zum Glück nicht auf sein Gewissen laden musste.
Die Brücke war leer.
Also auch kein offensichtlicher Hinterhalt. Zu dumm, dass Hinterhalte selten durch Offensichtlichkeit bestachen. So versuchte er die Augen überall zu haben. Sicht war der einzige Sinn, dem ihn der Panzer zugestand. Gehör war dem Brüllen der Maschine verpfändet, Geruch dem gesegneten Öl, Fett und heißem Schmiermittel geopfert. Das Gefühl gehörte allein dem Vibrieren und Stampfen des Baneblade.
So sah er das schwingende Kabel auch nur und hörte nicht das hohe Singen oder spürte die Konvulsion, die durch die Brücke ging.
Wie der Tentakelarm eines Tiefseeungeheuers peitschte die Stahltrosse durch die Luft und verfing sich in ihren noch gespannten Artgenossen. Lange hielten jedoch auch die nicht. Eines nach dem anderen, wie die Saiten einer überstrapazierten Harfe, rissen die Mann dicken Metalltaue, welche die Fahrbahn über dem Abgrund hielten. Eine der Trossen fegte über den Asphalt und schnitt ein wirres Muster hinein. Eine andere endlich traf “Sein Zorn”. Das Stahlseil hatte genügend Kraft, dem Panzer einen harten Stoß zu versetzen und ihn ein paar Meter aus der Bahn zu schleudern. Der Hauptmann stieß sich den Kopf und blinzelte Blut aus den Augen.
“Was war das? Was war das?” Verlangte irgendwer aus seiner ausgedünnten Mannschaft, über Internfunk zu wissen.
“Ruhe, verdammt! Funkdisziplin!” Blaffte er ins Sprechgerät. Scheuermann beobachtete, was draußen vor sich ging. Die Schweine konnten den Baneblade nicht knacken. Also zerstörten sie den Grund auf dem er fuhr.
Auf dem er über einen Kilometer tiefen Abgrund fuhr.
Die Brücke begann sich nach links zu neigen, als mehr und mehr Haltetrossen sich lösten. Sie waren ziemlich genau in der Mitte der Brücke. Natürlich waren sie das. Der Weg zurück genauso unmöglich weit wie der Weg nach vorn. Hatten ihr Einmaleins gelernt, diese Hurensöhne.
“Drücken sie drauf Hansen.” Vollgas. Der Panzer fuhr bereits seine bescheidenen sechsundzwanzig Kilometer Höchstgeschwindigkeit. Daran änderte alles Wollen und Befehlen nichts. Die Brücke hatte jetzt so sehr Schlagseite, dass 316 Tonnen ins Rutschen gerieten und auf den Abgrund zu glitten. Die mittlere Fahrbahntrennung aus Beton wurde pulverisiert. Dann rissen auch die Halteseile auf der gegenüberliegenden Seite in genügend Anzahl, um die Neigung wieder auszugleichen. Wie ein Spielzeug schleuderte es das Kampfgefährt hin und her.
Dann sackte das gesamte Segment der Brücke ab und stürzte mitsamt Baneblade in die Tiefe. Die Mannschaft schrie ihre Todesangst hinaus. Scheuermann schwieg in seinem Zorn.

Fortsetzung folgt...
 
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In der surrealen Topografie der zerschmetterten Ratshalle tobte der Kampf unvermittelt weiter. Eine Hügellandschaft zertrümmerter Edelhölzer einstiger Pulte und Bankreihen, aus denen kleinere und größere Gebirge aus Gesteinsbrocken ragten. Überspannt von einem Teppich aus Leichen und beschneit mit alles gleichmachendem Staub. Im Auge des Terrors mochte es Welten geben, deren geisteskranke Architekten es sich nicht besser hätten ausdenken können. Möglich allerdings, dass sich die Entitäten des Chaos daran gestört hätten, dass hier nicht reine Verzweiflung herrschte, sondern ein grimmiger, ein verbissener Widerstandswille. Ein Aufbegehren, welches das Gemetzel zu einem Kampf hatte werden lassen.
Da war zuallererst die Leibwache des Gouverneurs. Jeder gefallene Kamerad, jede leergeschossene Energiezelle schmerzte diese unnachgiebigen Kämpfer wie eine Amputation. Aber sie wichen nicht und wankten nicht und sie forderten von den Angreifern einen blutigen Tribut für ihren Frevel.
Auch die Angreifer verfügten nicht über endlose Ressourcen.
Gewiss, der Bulldock war vollgestopft mit Kriegern und sie konnten Verluste besser verkraften als die Opritschniki. Doch sie hatten keinen Entsatz und keinen Nachschub, auf den sie bauen konnten.
Diese Hoffnung blieb den Verteidigern. Hielten sie lange genug durch, würde Hilfe kommen.
Hinzu kam ein weiterer Faktor, den die Angreifer entweder nicht bedacht oder geflissentlich ignoriert hatten. Neben den Massen an Ministern, Industriellen und Würdenträgern, die fielen wie das Korn unter der Sense, waren auch tausende Veteranen in der Halle gewesen.
Waffenlos, aber nicht gewillt, wehrlos zu sein.
Einige bemächtigten sich der Pistolen der niedergemachten Personenschützer. Andere gingen mit abgebrochenen Stuhlbeinen und Holzlatten auf Angreifer los. Diese verzweifelt Tapferen fielen in Massen und schwärmten dann doch über einzelne Feinde her, wenn diese ihre Munition verfeuert hatten. Sie rammten, den hastig nach neuen Magazinen Fingernden, splitterndes Holz in die Leiber oder droschen sie mit Knüppeln und Fäusten zu Tode. Sie schlichen sich durch die Grabengänge der Sitzreihen an, schlugen, würgten, bissen und rangen.
Es waren heroische Taten, wenn auch keine, die für ein heldenhaftes Schlachtengemälde geeignet gewesen wären.

In Gohmor gab es derweil eine zweite Ratshalle.
Weit unter der, die zum Schlachtfeld geworden war.
Sie war in gewisser Weise ein Äquivalent zu all dem, was die große Halle darstellte.
In vielen Aspekten eine Entsprechung, in ebenso vielen eine radikale Abweichung.
Nicht prächtig, sondern düster, schmutzig, feucht und in schwitzender Hitze brütend.
Nicht Deflektoren und uralte Traditionen bargen diese Halle, sondern Heimlichkeit, Verschwiegenheit und Vergessen. Beschützt war auch sie von Soldaten, wenn auch nicht von solchen, die einen Schwur auf Imperium und Koron geleistet hatten. Und hatten sie es doch getan, so fühlten sie sich nicht im Mindesten daran gebunden. Auch hier waren viele Tausend versammelt, ein Ozean aus Leibern im Halbdunkeln, flüsternd und wartend.
Die schiere Macht des Beisammenseins ballte sich als greifbare, verdichtete Energie, die die Luft dick wie Sirup machte, die alle Anwesenden in die wohlige Uteruswärme der Gemeinschaft hüllte. Die, die sich in dem Wissen wiegten, dass sie Schulter an Schulter mit Brüdern und Schwestern standen, zogen Kraft und grenzenloses Vertrauen aus ihrem Beisammensein.
Sie alle warteten in Zuversicht und Hingabe, den Blick auf die Stelle gerichtet, wo ihr Verwandter erscheinen würde. Ein Teil ihres Leibes, ihrer Gemeinschaft, der mit Worten wie Vater, Mutter, Bruder oder Schwester nur so unendlich unzulänglich beschrieben werden konnte.

In der Halle hatten sich mehr und mehr Männer und Frauen der Streitkräfte bewaffnet und richteten die Mordwerkzeuge, den erkaltenden Händen toter Angreifer entrissen, gegen deren noch lebende Spießgesellen.
Es hatte sich ein Patt entwickelt, der so aussah, dass um den Bulldock herum ein grober Halbkreis aus Angreifern entstanden war, die sowohl gegen die Opritschniki kämpften, wie auch gegen die widerborstigen Veteranen verschiedenster Schlachten. Die Angreifer hatten dabei den Vorteil der besseren Bewaffnung. Die Verteidiger feuerten von den oberen Rängen und Galerien und negierten die meiste Deckung. Selbst Nahkämpfe hatten sie dem Feind aufgezwungen.
In diesen waren die Angreifer freilich auch nicht unbewandert. Nicht nur richteten ihre Schusswaffen aus nächster Nähe ein Blutbad unter den Anstürmenden an, viele von ihnen schienen auch über erschreckende Kräfte zu verfügen.
Ein stämmiger Soldat der PVS zerdrosch einen Stuhl auf dem Helm eines Angreifers, der diese Gelegenheit dadurch bot, dass er den verklemmten Verschluss seiner Waffe freizubekommen versuchte. Seine Umgebung bedachter er dabei mit Unaufmerksamkeit. Der Schlag mit dem Möbel hätte genügt, bulligere Männer mit gebrochenem Schädel zu Boden gehen zu lassen. Der Getroffene aber richtete sich nur zornig auf und hieb seinerseits mit dem Gewehrkolben auf den verdatterten Soldaten ein.
An anderer Stelle stand ein Angreifer auf einem Haufen toter Ratsmitglieder und eigener Kameraden und feuerte sein Sturmgewehr aus der Hüfte ab. Das Bajonett, das bis zum Heft zwischen Schulter und Hals in ihm steckte, schien er nicht einmal zu bemerken.
Die ganze Szenerie wurde dadurch noch alptraumhafter, dass sie sich den Beteiligten immer nur in kurzen Episoden präsentierte, ehe sich der Vorhang aus Qualm, Schmauch und Rauch wieder zuzog, nur um gleich darauf eine weitere Seite im Album des Schrecklichen aufzuschlagen.
Eine Angreiferin, die sich über den Boden schleppte. Ihre Beine und ihr Unterleib fehlten zwar, doch die breiige Masse an heraushängenden Gedärmen, die sie hinter sich her schliff, ließen sie auch ohne untere Extremitäten länger aussehen als mit. Ein anderer Kämpfer hatte seine Zähne in den Hals seines Widersachers geschlagen und riss faserige Streifen Fleisches heraus. Niemand hätte sagen können, zu welcher Seite er eigentlich gehörte.
Dort, wo man noch am ehesten von einer Front sprechen konnte, versuchten die Kämpfer aus dem Bulldock wieder die Initiative an sich zu zerren. Einer von ihnen rief immer wieder etwas nach hinten. Aus dem, was man über den allgegenwärtigen Lärm heraushören und was man Tenor und Stimmlage entnehmen konnte, handelte es sich um Befehle oder Anfragen. Es waren Worte in imperialem Gotisch, aber sinnentfremdet. Ein eigener Kampfdialekt vielleicht. Aber auch ohne zu verstehen, worum es genau ging, wurde kurz darauf klar, dass er eine schwere Waffe anforderte, um die Gegenwehr zu brechen.
Wenn auch keine Waffe mit Lauf und Munitionszufuhr.

“Wer hungert, meine Brüder und Schwestern, wer hungert, der fragt nicht.”
In ihren Reihen war die Gleichheit eines der höchsten Güter. Sie waren einander Geschwister und Eltern, standen einer für den anderen ein, waren bereit für den anderen zu leben und das Leben zu geben.
Ränge gab es nicht. Zumindest fast nicht. Sie waren alle gleich in ihrem Streben, ihrer Überzeugung und ihrer Entschlossenheit. Dennoch gab es die, die aus diesem Heer der Gleichen durch Tat und Präsenz herausstachen.
Da waren die Alten, die viele von ihnen nur gerüchteweise kannten und denen mit besonderer Verehrung begegnet wurde. Außerdem jene, die durch ihr Geschick und ihre besonderen Aufgaben ihren Geschwistern als leuchtendes Vorbild dienten. Einer von diesen war der, den die meisten nur als den Orchestrator kannten. Der große Planer, der der den Überblick über die Dinge hatte.
“Wer hungert fragt nicht wer ihm die Hand mit dem Brot hinstreckt und warum diese Hand mit Blut besudelt ist.
Wer hungert neigt das Haupt in Demut und sagt Danke.
Danke, dass du mich nährst, großer Wohltäter.
Wer hungert, der blickt nicht auf, um das falsche Grinsen zu sehen, mit dem dieser Wohltäter ihn bedenkt. Wohl wissend, dass er dem Darbenden nur eben so viel Brot gibt, dass er das Rückgrat brechende Tagewerk zu verrichten vermag und doch schwach genug bleibt, die Hand nur im Flehen zu erheben, niemals aber im Zorn.
Wer hungert fragt nicht, warum der Wohltäter feist ist und warum an den Fingern, die das harte Brot halten, Gold und Protz prangen.
Wer hungert bleibt klein.”
Der Ochestrator war bedächtig auf das Podium getreten, die einzige Stelle in der ganzen Halle, die großzügig ausgeleuchtet war. Er war nicht prätentiös gekleidet, sondern funktional. Ein einfacher Arbeitsanzug im schlichten Braun, darüber einen PVS- Brustpanzer, so wie Schulterpanzer. Allein, dass diese gelb angesprüht und mit einem schwarzen Rorschachmuster verziert waren, stellten ein kleines Eingeständnis an Schmuck dar. Über allem trug er einen schweren ledernen Mantel, wie man ihn in der Vorwüste verwendete, wenn man sich gegen die aggressiven Staubstürme zu schützen trachtete. Er hatte die voluminöse Kapuze hochgeschlagen, so dass nur der untere Teil seines Gesichtes nicht im Schatten lag.
Fleischige Lippen, ein breiter Mund, von tiefen Furchen in kränklich grauer Haut umrahmt. Mit hoher, aber voll klingender Stimme hatte er angehoben, zu den Versammelten zu sprechen.
“In der Schwebe muss der Hungernde gehalten werden. Zu Schwach um aufzubegehren, zu stark um sich durch den Tod der Knechtschaft zu entziehen.
Darum ist das Brot karg, darum sagt der grinsende Wohltäter: Sieh, dieser dein Bruder möchte dir deine Brotrinde entreißen, geh und schlag ihn nieder.”
Zustimmendes Gemurmel aus den Reihen der schattenhaften, der gesichtslosen Tausenden.
“Wehe aber dem grinsenden Wohltäter, wenn der Hungernde den Blick hebt.” Auf dem Podium standen neben dem Rednerpult, von welchem er zum versammelten Volk sprach, eine Handvoll einfacher Stühle. Dort nahm nun eine hochgewachsene, sehr dünne Frau in der gelben Robe der Kirche der göttlichen Transformation Platz, nachdem sie würdig auf das Podium geschritten war. Ein seliges Lächeln lag auf ihren fahlen Zügen. Die anderen Stühle blieben demonstrativ leer.
“Wehe wenn ihm einer die Kraft spendet, den Blick zu heben und zu sehen. Uns, meine Brüder und Schwestern ist diese Kraft gegeben wurden. Die Kraft um zu sehen und um die flehend ausgestreckte Hand zur Faust zu ballen. Aber” er hob mahnend den Finger, der in einem langen, schwarzen Fingernagel endete, “sie wurde uns nicht geschenkt, diese Kraft..
Oh nein… sie wurde uns im Tausch gegeben. Als die Alten zu uns kamen und sahen, dass wir hungerten, da sagten Sie: Wir geben nicht euch die Kraft aufzubegehren. Wir geben sie euren Kindern und deren Kindeskindern.
Von euch, von euch verlangen wir im Austausch nur eins.”
Er ließ eine lange Pause, die sich still und schwer über die Anwesenden legte.
“Geduld!
Beweist uns, so sagten sie, dass ihr bereit seid, euer eigenes Wohl zu opfern, um das Wohl euer Nachkommenschaft zu sichern.
Senkt den Blick und nehmt das Brot des grinsenden Wohltäters in dem Wissen, dass dereinst eure Nachkommen sich erheben werden.
Unsere Altvorderen aber waren ängstlich.
Gern, so sprachen sie, würden wir für das Gedeihen unserer Nachkommen alles geben. Aber wie sollen sie dereinst stärker sein, als wir es heute sind?
Da… und ihr kennt diese Geschichte alle meine Brüder und Schwestern, da lächelten die Alten und erzählten uns von der Transzendenz, von der göttlichen Transformation. Von der Einswerdung mit dem Universum und der Urform der Familie.
Auch gaben sie unseren Vorfahren den Samen der Stärke als ein Geschenk des Vertrauens. Sie machten unsere Altvorderen zu ihren Kindern und die Schatten, in denen sie sich verbergen mussten, wurden zu hell erleuchteten Kathedralen der Zuversicht. Wenn unsere Eltern und Großeltern jetzt das Haupt vor dem falschen Wohltäter senkten und sein hartes Brot nahmen, so taten sie es in der Gewissheit, dass die Ihren diese Hand eines Tages beißen würden.
Mein Vater besaß die Stärke von vier Männern. Aber nutzte er sie, um die Schädel der Aufseher der Kohlemine, in welcher er Tag und Nacht schuftete, zu zerbrechen?
Nein, er nutzte sie, um die Normvorgaben der Fabrik zu erfüllen. Seine Stärke war größer als seine pure Muskelkraft.
Seine Stärke lag im Dulden.
Müde vom Tagewerk brachte er mich und meine Brüder und Schwestern zu Bett. Dann trafen er und meine Mutter sich im Geheimen mit ihren Brüdern und Schwestern. Sie schufen das Netzwerk, sie klaubten die Waffen zusammen, die heute in unseren Fäusten liegen.
Sie pflanzten den Samen der Hoffnung in die Hoffnungslosen.
Sie brachten die Dämmerung der Transzendenz in das dunkle Herz der Makropole.”
Das Raunen der Anwesenden wurde lauter, so wie sich auch die Stimme des Orchestrators in die Höhe schraubte.
“Wir führten ihre Mission fort, machten sie zu unserer Mission. Wir brachten das Licht in die Reihen der arbeitenden Massen, in Parteien, in Firmen und Wohnviertel, in die Armee, die Adelshäuser, ja selbst in andere Länder und die wildesten Winkel Korons.” Seine Stimme wurde wieder ruhiger und senkte sich. “Wieder warteten wir, wieder hungerten wir. Aber unser Hunger ist jetzt einer, den hartes Brot nicht mehr wird stillen können. Die meisten von uns sind inzwischen selbst die Eltern vieler Kinder und nicht wenige stellten sich darauf ein, die Fackel an ihre Nachkommen weiterzugeben.
Nachkommen, die nicht immer dem Ideal entsprechen, dass uns von Vid- Sendungen und der Gehirnwäsche der Konsumindustrie, von den Marionetten des grinsenden Wohltäters vorgeschrieben wird…”

Aus dem hinteren Teil des gestrandeten Bulldog erschollen dumpfe Laute. Als versuche ein Squam-Squam Hirsch oder Grox sich an der menschlichen Sprache.
Allemal wurden diese Geräusche von Lungen befeuert, die gewaltig wie Blasebälge sein mussten, denn sie schnitten leicht durch den Lärm der Schlacht. Wie leidlich klang dagegen das Rasseln gelöster Ketten und das Stampfen und Klicken schwerer Schritte auf Panzerstahl?
Was dann ins Freie polterte, ließ die Angreifer aufjubeln und die Verteidiger der Ratshalle verzweifelt aufstöhnen.
Es war eine deformierte Schar.
Ein Haufen aus falsch zusammengesetzten und proportionierten Dingern.
Keines dieser Wesen sah aus wie das andere und doch besaßen sie eine verstörende Uniformität. Inzestuöses Gezücht, degeneriert aber dadurch nicht mit Schwäche geschlagen.
Diese Kreaturen waren groß wie Ogryns oder wären es gewesen, wenn sie nicht gebeugt und verkrümmt gegangen wären. Was sie einte waren etwa die aufgedunsenen Schädel, die gleich überdimensionalen Zecken, zwischen den hohen Schultern hingen. In diesen Köpfen saßen kleine, gleichzeitig verwirrt und wütend starrende Augen, in die sich wenig Intelligenz verirrte.
Einer hatte ein rudimentäres, drittes Auge. Ein anderer ein Gesicht aus zwei Gesichtern, als hätten sich Zwillinge während des Heranreifens im Mutterleib dazu entschieden, doch zu nur einer Kreatur zu verschmelzen. Einem stand der Mund schwachsinnig offen und eine lange spitze Zunge hing aufgabenlos daraus hervor.
Alle hatten sie eine verknöcherte Platte auf der Stirn, mal schwächer, mal stärker ausgeprägt. Diese Verknöcherungen waren ein weiteres, einendes Merkmal. Bei einigen schützten sie Stellen an Schultern, Nacken oder Brust. Dann wieder umschlossen sie Arme und Beine vollständig, so dass sie wie die ausgeliehenen Gliedmaßen von Krustentieren aussahen.
Ein paar der Abnormitäten hatten der Arme gleich drei mit auf den Lebensweg bekommen.

“Lieben wir sie deswegen auch nur einen Deut weniger? Sind sie deswegen weniger unsere Kinder?”
Nein!
Erscholl es aus der Menge. Entschlossene Rufe von den Müttern und Vätern dieser Kinder, die nicht nur sie, sondern auch die anderen Angehörigen ihrer Gemeinschaft für besonders und wunderschön hielten.
Und für nützlich.
“Sind sie deswegen nicht ebenso wertvoll für die Erfüllung dessen, was uns die Alten vor so langer Zeit zugesagt haben? Sind nicht auch sie Diener unserer Sache?”

Ob nun zwei oder drei Hände, jede umklammerte eine Waffe. Gewaltige Hämmer, die speziell für ihre Proportionen angefertigt wurden waren, denn kein gewöhnlicher Mensch hätte sie auch nur heben können. Andere nutzten Moniereisenstangen. Einige schwangen Gesteins- Kreissägen, eigentlich dazu gedacht, an Fahrzeugen montiert zu sein.
Einer, wohl geistig zur Nutzung befähigt, hielt mit seinen drei Armen einen Industrieschmelzer. Ein Werkzeug, dazu gedacht, Gestein zu verflüssigen und es dann in gewünschter Form erkalten zu lassen. Straßenbau hatte die Monstrosität jedoch nicht im Sinn.

“Monstrositäten, das sind unsere Kinder für die Gesellschaft und auch uns wird man diese Schmähungen entgegenschleudern. Ich aber sage Euch die Monster sind die.” Er deutete nach oben in Richtung der stählernen Decke. “Wer die knechtet und bluten lässt, denen er Vater und Mutter sein sollte, dem muss die Verantwortung für das Wohl seines Volkes entrissen werden. Auch wenn unsere lieblichen Kinder für diese schwere Aufgabe ihr Leben wagen und vielleicht sogar geben müssen.
So ist die Sache doch gerecht und gut.”

Die deformierten Riesen hatten sich kurz blinzelnd in der neuen Umgebung orientiert. Tod und Zerstörung schienen sie weniger zu irritieren, als der Umstand, dass sie die Ihren nicht sogleich erspähten. Als sie das vertraute Rufen hörten und die vertrauten Gesichter sahen, stahl sich ein seliges Lächeln auf ihre stumpfen Gesichter und sie stapften los. Mit Händen und Füßen bedeuteten ihre Mitstreiter ihn, was sie von ihnen erwarteten und das Dutzend wurde aufgeteilt und in den Kampf geschickt. Sechs der Hünen gingen den Kreis um die Nadel an, die anderen sechs hatten die Aufgabe, den Widerstand in Richtung Eingang wortwörtlich zu zerbrechen.

“Oh auch wir sind uns in unseren Ansichten nicht einig.'' Bekannte der Orchestrator, ohne das dies etwas zu sein schien, was ihn mit zusaätzlichem Wut erfüllte. Im Gegenteil, sprach er über diesen Umstand sanft und nachsichtig.
“Ich möchte ein verrottetes, ein korruptes System zerschmettern, die Hand mitsamt dem harten Brot darin abschlagen.
All das Falsche dort oben Stein für Stein niederreißen. Für mich ist die Transzendenz eine metaphysische Idee.
Meine Schwester hier,” er deutete auf die gelbberobte Frau neben sich, “die ich liebe, wie nur ein Bruder eine Schwester lieben kann, belächelt meinen Zorn. Sie streckt der Hand des Unterdrückers die eigene in Milde hin. Sie führt das Messer nicht um einen Ungerechten zu richten, sondern ihn, trotz seiner Ungerechtigkeit, einem besseren Morgen zuzuführen. Unsere Geschwister von der Kirche der Transformation sind hoffnungslose Optimisten.” Er lachte aufrichtig und trat einen Schritt auf die Frau zu. Er ergriff ihre Hand, legte die eigenen schwieligen Finger um ihre schlanken und langen. Mit ihren schwarzen Mandelaugen lächelte sie zurück und entblößte ihrerseits dabei zwei Reihen kleiner, fast durchsichtiger Sägezähne.
Zwei Herzschläge lang gönnten sie sich diese geschwisterliche Zweisamkeit vor den Augen all ihrer anderen Verwandten. Dann trat er an das Rednerpult zurück.
“Unsere Bewegung und die Kirche der Transformation sind zwei Seiten einer Medaille.
Wir töten einen Feind, der nach Jahrhunderten der Gnadenlosigkeit von uns keine Gnade zu erwarten hat.
Die Kirche rettet nach ihrer Sicht der Dinge selbst die Unwürdigen, indem sie sie der Transzendenz zuführt.”

“Transzendenz!” Lallte eine der grotesken Spottgeburten, während sie in die Knie brach. Vom konstanten und unerbittlichen Beschuss aus den Rängen um den Eingang niedergerungen. Die Kreatur nahm Schmerz nur als etwas sehr Rudimentäres, als etwas schlimmstenfalls Unangenehmes wahr. Dass es jetzt weh tat und das sein mächtiger Körper ihm nicht mehr gehorchte, war neu für ihn. Aber die Äbtissin hatte ihm erklärt… ihm, der es als einziger verstanden hatte und darauf sehr stolz war, dass die Transzendenz weh tun könnte.
Aber nur kurz.
Dann würden sie in der großen Einheit sein, wo alles warm und friedlich war. Dort würden ihm alle danken, die er zuvor der Transzendenz zugeführt hatte. Er tastete nach dem kleinen Anhänger aus gestanztem Metall, der das Zeichen der Kirche darstellte. Aber seine Hand gehorchte ihm nicht. Die Sehnen waren zerschossen und nutzlos.
Es war egal.
Bald würden sie alle zusammen sein.
Lächelnd kippte der Riese nach vorn und mit dem Gesicht in den Schutt. Sein letzter Atemzug wirbelte grauen Staub auf.
Eines der Ungeheuer war somit gefallen. Nahe des Einganges, wo der Angriff an Koordination verloren hatte. Die dortigen Verteidiger hatten erkannt, dass sie der Mauer aus mutierten Bestien nichts entgegenzusetzen hatten und bemühten sich daher, den Kolossen aus dem Weg zu gehen und die dahinter vorrückenden, menschlicheren Gegner aufs Korn zu nehmen.
Dies gelang ihnen auch, da die Angreifer sich auf die brachiale Kraft ihrer Verstärkung verließen und bei dem resultierenden Vorstoß die eigene Sicherheit vernachlässigten.
Als jene fielen oder in Deckung gezwungen wurden, die den Bestien als Anleiter dienten, gerieten diese ihrerseits in Verwirrung. Sie folgten ihrem plumpen Trieb nach Zerstörung und Töten. Aber dabei verloren sie das Ziel aus den Augen.
Einer drosch auf ein Schreibpult ein und erfreute sich an den Funken, die dabei entstanden. Ein anderer verfolgte einen Fliehenden, zwei griffen weiter an, aber in verschiedene Richtungen, was ihrer Dampframmentaktik die Wucht nahm.

“In diesem Moment, meine Brüder und Schwestern, ist die Speerspitze unserer Sache dort oben,” er deutete in das Dunkel, in dem irgendwo über ihnen die Decke liegen mochte,“dabei dem grinsenden Wohltäter ins Gesicht zu schlagen.
Ihm entgegen zu schleudern: Von heute an hungern wir nur nach Gerechtigkeit und nach Veränderung.
Nach dem Blut der Ungerechten.” Speichel flog von seinen Lippen und ein unbändiger Zorn schwamm nun wieder in seinen Worten. Zorn, der das genaue Gegenteil der Liebe zu seinen Angehörigen war. Nicht der geheuchelte Furor von Politikern, Adligen und Predigern, die gegen diese oder jene Sache Stimmung machten, weil es ihnen gerade zum Vorteil gereichte.
Nein, in ihm und in der versammelten Masse, kochte eine Wut auf dieses System, die fest mit ihrer DNA verschmolzen war. Die in ihnen über die Generationen gewachsen war wie ein Tumor, ein Geschwür, dass nun dem Druck nicht länger standhalten konnte und endlich platzen durfte.
“Sie sind bereit, das verfaulte Herz der Ungerechtigkeit höchst selbst anzugreifen und zu zerquetschen. Auch wenn das bedeutet, das eigene Leben hinzugeben. Vielleicht in der Hoffnung auf ein besseres Sein in der Transzendenz.
Ganz sicher aber in dem Wissen, Märtyrer einer gerechten, einer guten Sache zu sein.”

Noch ein anderer Umstand drückte die Waagschale langsam, aber sicher auf der Seite der Verteidiger herunter. Das erfolgreiche Morden am Eingangsbereich hatte die Herde aus panischen und verängstigten Menschen auf fatale Weise zur Räson gebracht.
Die Türen und den Gang dahinter verstopften sie noch immer. Aber jetzt als leblose oder bestenfalls zuckende und sterbende Masse.
Über dieses aufgeworfene Niemandsland aus Körpern kroch Unterstützung für die eingeschlossenen heran.
Entsetzt und mit weit aufgerissenen Augen, die Kleidung Blut durchtränkt, noch ehe sie auch nur einen Gegner gesehen hatten. In ihren Händen lagen Gewehre und Pistolen mit frischen Magazinen, begierig darauf, auf die Verursacher dieser Schandtat abgefeuert zu werden.
Die Reihen der Angreifer wurden langsam aber sicher dünner, während demgegenüber die Verteidiger tröpfchenweise mehr wurden.
Jenen in den Reihen der Aggressoren, die den Überblick zu behalten und ein wenig Ordnung in das Chaos des Kampfes zu bringen versuchten, blieb dieser Umstand nicht verborgen. Sie waren nicht hergekommen, um einen finalen Sieg davonzutragen oder gar das eigene Leben zu wahren. Gleichwohl hatten sie Aufgaben zu erfüllen.
Eine davon, die wichtigste unzweifelhaft, war die Vernichtung des Gouverneurpaares.
Die sich abzeichnende Niederlage am Eingang war bedauerlich, aber es waren genug Unterdrücker zermalmt worden, um hier einen Erfolg zu verbuchen.
Das die Felsnadel noch gehalten wurde und die beiden Galionsfiguren des Unrechtsregime darin womöglich noch lebten, war derweil nicht zu tolerieren.
Also lenkten die heimlichen Feldherren dieser Schlacht den Hammerschlag ihres Angriffes gegen die Nadel und die wenigen Opritschniki, die dort noch ausharrten und aus den letzten Ladungen ihrer Energiezellen etwas zu machen versuchten.
Der Leim, der diese Formation zusammenhielt, hieß Oleg Olegfejewitsch.
Seines Zeichens Oberstleutnant und Kommandant der Ehrenleibgarde des Gouverneurs.
Ein wuchtiger Mann, mit einem wuchtigen Bauch, der von wuchtigem Appetit und ebensolchen Durst kündete. Letztere, hatte in Zusammenarbeit mit einigen Brüchen dafür gesorgt, dass die Nase Olegfejewitschs nicht mehr war als eine gerötete, deformierte Knolle in einem pockennarbigen Gesicht, durch welches sich Lachfalten zogen wie Furchen durch einen Acker. Ein weißer, lang herabhängender Schnauzbart nistete unter der Knolle und gleichsam weiße, buschige Brauen sträubten sich wild über hell funkelnden Augen.
Diesen korpulenten Herren gesetzten Alters mochte man seine grüne, rote und goldene Uniform zugestehen, weil sie ihn trefflich kleidete. Weil er darin Geschichten aus seiner ruhmreichen Jugend vortragen konnte, schallend lachend wie eine Kesselpauke, das Glas mit Brandwein zum Toast auf Kameraden erhebend, an deren Namen und Gesichter nur er selbst sich noch erinnerte.
Diesen Eindruck machte "Onkelchen Oleg", wie ihn seine Leute nannten.
Und dieser Eindruck hätte falscher nicht sein können.
Gewiss, Oleg Olegfejewitsch konnte dieser gelassene und heitere, feuchtfröhliche Kumpan sein. Aber er war nicht Kommandant der Leibwache geworden, weil die Uniform und die Fellmütze ihn kleidete.
Er war das Abbild eines Kämpfers, wenn es jemals eines gegeben hatte. Unumstößlich wie die Felsnadel selbst stand er da, den voluminösen Bauch herausgestreckt und die Beine breit in den Schuttboden gestemmt. Dann und wann feuerte er seine goldverzierte HL- Laserpistole auf ein lohnendes Ziel ab. Sein Hauptaugenmerk bestand aber darin, seine Männer und Frauen zusammen und ihre Moral aufrechtzuerhalten.
Fiel ein Kamerad, so pries er seinen Namen und gebot ihm, vor dem goldenen Thron schon einmal ein gutes Wort für sie einzulegen.
Er wäre auch zur Stelle gewesen, hätte ein Opritschniki in seiner Entschlossenheit gewankt.
Das aber passierte nicht.
Das passierte nie.
Sanken zu viele der Ihren tot oder schwer verwundet nieder, so zog er die Reihen enger und ließ die Magazine der Toten an die hinterbliebenen Kämpfer verteilen.
Wenn diese Hunde an die Herrschaften Gouverneure heran wollten, so würden sie dies mit dem teuren Tod jedes einzelnen von ihnen erkaufen müssen.
Wie sich zeigte, war dies ein Handel, den einzugehen die Angreifer nur allzu bereit waren.
So prallte aufeinander, was weder hüben noch drüben bereit war zu weichen.
Die Grotesken bildeten die Speerspitze und auch wenn einer von ihnen leblos zusammensackte, von Laserfeuer zerschunden, genügte diese Konzentration des Beschusses den anderen, gefährlich nah heranzurücken.
Olegfejewitsch gebot den seinen das Feuer auf die normalen Kämpfer des Feindes zu richten, während er sich selbst den Ungeheuern entgegenstellen, die dabei waren das mauerhohe Trümmerstück zu überklettern, welches beim Aufprall des Bulldocks auf die Stellung der Leibwache niedergestürzt war.
Das beobachtete der Oberstleutnant mit funkelnden Augen, strich sich mit dem Rücken des Zeigefingers über den Bart und warf seine Laserpistole einer Opritschniki zu, die gerade ihre letzte Energiezelle geleert hatte.
Er schuf sich Platz, indem er ein paar störende Gesteinsbrocken und Holzteile beiseite trat. Als er mit dem Ergebnis leidlich zufrieden war, zog er den Karabela, der tief an seiner Hüfte hing.
Er schwang die Klinge zwei, dreimal probierend durch die Luft, als würde er in der Trainingshalle darauf warten, dass sein Fechtpartner seinerseits bereit war.
Der Partner, der gerade das Hindernis überkletterte wog vier Mal so viel wie der Oberstleutnant, hatte einen Arm mehr als dieser und seine Duellwaffe war ein 300 Kilo Metallhammer.
Noch im Sprung vom Trümmerstück herunter, holte er mit diesem aus, das dicke kleine Männlein zu zerquetschen und dann mit der eigentlichen Mordarbeit anzufangen.
Gleichwohl stand sein Opfer nicht mehr da, wo der Hammer niederkrachte. Onkelchen Oleg war korpulent, aber sein Fett lag lediglich als schützende Schicht über seinen Muskeln.
Wer bei ihm Dicksein mit Langsamkeit gleichsetzte, hatte oft wenig Zeit, seinen Fehler überhaupt zu begreifen.
Mit einem schnellen Seitenschritt war er dem Hammerschlag traumwandlerisch ausgewichen und ließ den Karabela vorzucken. Der Schlag war so gesetzt, dass er genau dort traf, wo die Hand dem gepanzerten Arm des Ungeheuers entwuchs und Schutz vermissen ließ.
Die Klinge war keine Paradewaffe, sondern ein Instrument des Todes. Eine Sinfonie aus zeremonieller Schmiedekunst und Komposit-Karbon. Bis auf die molekulare Ebene geschliffen, durchschnitt sie selbst die stahlkabelartigen Stränge, Adern und Muskeln des Kolosses.
Dieser schaute erst verwundert und dann erbost auf die Stelle, wo eben noch seine Hand gewesen war und jetzt nur dunkel-lila Blut in Stößen herausgepumpt wurde.
Allemal waren ihm zwei funktionierende Arme genug, seinen Hammer zu schwingen und eben dies tat er. Seiner Vorliebe, Dinge die ihm im Weg waren wie einen Nagel vertikal im Boden zu versenken, hob er den Hammer über den Kopf. Gab sich damit eine Blöße, die sein so unverhofft widerborstiger Gegner nicht verstreichen ließ.
Anstatt dem drohenden Schlag auszuweichen, sprang er vor und schnitt ein tiefes X in die Brust des Wesens. Dessen Hirn wurde mit der ungewohnten Empfindung “Schmerz”, und mit dem plötzlichen Umstand, nicht mehr richtig atmen zu können, konfrontiert. Dies weckte in ihm den Impuls, die verbleibenden Hände schützend auf die klaffende Wunde zu legen, während er gleichzeitig vom Schwung des eigenen Hiebes nach vorne gerissen wurde.
Er strauchelte grunzend, versuchte sich abzufangen und bot dabei den Nacken dar.
Der Säbel sang.
Der deformierte Kopf rollte neben der abgetrennten Hand auf den durchweichten Boden.
Ein Geräusch wie eine fallende, noch nicht ganz reife Frucht.
Während der Kadaver zuckte und zu erfassen versuchte, dass er tot war, wandte sich Oleg den anderen Zerrbildern alles Natürlichen zu.
Sie kamen als Horde über das Trümmerstück.
Er spuckte auf ihren zerstückelten Bruder und ging in Ausgangsposition...
 
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Die Halle war jetzt leer und er war von einer rechtschaffenen Erschöpfung erfüllt. Ein Zustand, dem er natürlich nicht lange nachgeben durfte. Er würde sich im Anschluss mit einigen Pillen wieder zu voller Leistungsfähigkeit peitschen. Irgendwann konnte er dann vielleicht auch wieder an Schlaf denken.
Aber nicht jetzt.
Jetzt musste er da sein, musste die Spinne im Netz sein und weiterhin die Initiative behalten. Er hatte noch so manches zu seinen Brüdern und Schwestern gesagt. Hatte von Opferbereitschaft und Zusammenhalt geredet, von den Kämpfen und den Verlusten, die noch vor ihnen lagen. Aber auch von der goldenen Zukunft, die sie erwartete.
Sie hatten ihren unterirdischen Dom voller Zuversicht und Kampfeswillen verlassen, ein jeder seiner Aufgabe voll und ganz gegenwärtig. Mochte ihr Feind Milliarden und Abermilliarden von Soldaten haben, Raumschiffe und stählerne Kampfmaschinen, pervertierte Superkrieger und Endzeitwaffen. Ihm war jeder seiner Brüder mehr wert als eine Legion von Space Marines, ob es diese geben mochte oder nicht. Keine Doppelmoral, keine Scheinheiligkeit. Nur unverfälschte Bereitschaft alles für das Wohl der Familie zu tun.
Ihre Wärme lag noch in der Luft, der ganz eigene Geruch der seinen, den sie verstärkt zu verströmen schienen, wenn sie in großer Masse versammelt waren.
Es hatte ihn gleichsam mit Stolz wie mit Trauer erfüllt, die Entschlossenheit zu spüren, die wabernd von ihnen ausging. Zu allem bereit hielten sie Gewehre, Pistolen und andere Waffen. Viele würden den Tod finden in Kämpfen, in die er sie schickte.
“Kommst du Bruder?” Die leicht zischende Stimme riss ihn aus der versonnenen Betrachtung des leeren Raumes. Lächelnd wartete Estera am Fuße der Treppe. Sie wusste um sein sanftes Gemüt, das unter diesem harten Panzer aus Entschlossenheit und Organisationstalent verborgen lag.
Er riss sich los und kam zu ihr die Treppe der Bühne herunter. Die Äbtissin legte ihre schlanken Finger auf seinen Unterarm.
“Du wärst ein schlechter Anführer, wenn du sie gewissenlos in den Kampf schicktest.”
Natürlich wusste sie um seine düsteren Gedanken. “Gräme dich nicht Lieber, die Tanzendes wird alle mit gleicher Wärme aufnehmen.”
“Ich wünschte ich hätte die Festigkeit, die du im Glauben findest, Schwester.” Seufzte er und ließ sich von ihr über den dumpf klingenden Metallboden zu einer unscheinbaren Seitentür führen.
“Hab Vertrauen. Alles geschieht so, wie es geschehen soll.” Jetzt war es an ihm zu lächeln.
“Ich weiß.”
Durch einen niedrigen Korridor, von Talk- und Elektrokerzen erhellt, schritten sie zu einer kleinen Kammer.
Diese war so wohnlich eingerichtet, wie es die Gegebenheiten einer Wartungsebene eben erlaubten. Doch auch wenn Teppiche, Kissen und ein paar Möbel ein Minimum an Behaglichkeit schufen, war die Funktionalität doch allgegenwärtiger Innendekorateur.
Eine Wand war mit verschiedenen Sub- Ebenen Karten dekoriert. In einer Ecke standen Kisten mit Waffen, die hier trockener gelagert werden konnten als in den anderen Räumen. Außerdem eine mobile Kommunikationseinrichtung, mit Gegensprechanlage und Bildsender/Empfänger. Tatsächlich waren sie hier um zu kommunizieren. Allerdings benötigten sie dazu keine erbeutete Imperiumstechnik. Der Orchestrator setzte sich im Schneidersitz in die Mitte des Raumes, während Estera süß duftendes Räucherwerk entfachte. Bisher war der Raum nur vom grünen Leuchten der Monitore erhellt. Nun entfachte die Frau zusätzlich zu den Räucherstäbchen genug Kerzen, um die Beleuchtung leidlich zu erhöhen.
Dies holte das Zeichen der Kirche und ihres Aufstandes gleichermaßen aus der Dunkelheit.
Es war mit gelber Sprühfarbe auf den rostenden Stahl gesprüht worden. Wer es nicht wusste, würde darin vielleicht ein Y gesehen haben, das mit zwei zusätzlichen Balken versehen worden war. Wer diese stilisierte Form durchschaute, erkannte den vierarmigen Heiland.
Auf diesen blickte er jetzt konzentriert, während seine Schwester sich hinter ihn kniete. Ihre Finger legten sich leicht wie Spinnenbeine auf seine Schultern.
Natürlich hörte er den Propheten immer. Das taten sie alle. Es war ein ständiger Beweis für die Macht, welche dem Propheten geschenkt worden war, sie zu leiten und zu erleuchten. Sein leises Flüstern war immer in ihrem Verstand und half bei Entscheidungen und wenn sie zweifelten. Er war wie ein Engel, der über sie wachte.
Estera war jedoch nicht ohne Grund die Oberste ihrer Kirche. Ihr war eine besonders starke Verbindung gegeben und sie konnte helfen, auch den eigenen Geist mit dem des Propheten zu synchronisieren.
Er hörte jetzt ihre gleichmäßigen, tiefen Atemzüge, spürte den sanften Druck und die Wärme ihrer Finger.
Diese Wärme, die sich auf seinen ganzen Körper ausbreitete.
Weil es nicht die Wärme von Händen war, sondern die eines leichten Windes, der über die Hügel kam. Er trug den Geruch von frischem Heu und von satter Erde mit sich.
Er stand auf einem staubigen Feldweg.
Vor ihm ein Kornfeld, das in vollen, sich wiegenden Ären stand. An seinem jenseitigen Ende erhob es sich leicht, dort wo eine Reihe malerischer Hügel begann. Er wusste, dass es dort hinten, zwischen dem Feld und dem Wald auf den Höhen, üppige Weinberge gab. Über dem fernen Wald hingen graue Regenschleier, während ringsherum eine spektakuläre Himmelslandschaft aus Wolken und Licht stattfand.
Der Orchestrator hatte in dem harschen Zustand, dass er sein reales Leben nannte, weder jemals einen Wald noch ein Feld oder einen Weinberg gesehen. Schon bei Wolken und Landstraßen wurde es eng. Dennoch wusste er, dass es hier so war, wie es sein sollte.
Der eigentliche natürliche Zustand, dem ein Leben als Termite in einem stählernen Bau unversöhnlich entgegenstand.
“Das Korn ist soweit.”
Die Worte kamen von Links, wo jemand neben ihn getreten war. Der Orchestrator sah aus den Augenwinkeln einen Strohhut und die blaue Kleidung eines einfachen Landmannes, wie sie Bauern und Pflanzer trugen, wenn man den Vid- Berichten glauben durfte.
Er hielt den Blick weiter auf das Feld und den Hügel gerichtet. Er sah den Prophet nie an, wusste nicht einmal, ob er es gekonnt hätte, wenn er es gewollt hätte.
“Auch die Trauben sind soweit. Sie sind besonders voll dieses Jahr. Der Wein wird süß und tief rot werden… fast schwarz.”
“Ich helfe.” Entgegnete der Orchestrator.
“Das tust du. Du tust ein gutes, ach so gutes Werk.”
“Die Menschen müssen befreit werden.”
“Das werden sie. Du verhilfst ihnen zu einer Freiheit, die sich keiner von ihnen vorstellen kann.
Noch nicht.” Das Gewitter entlud seine Macht über dem Wald auf den Hügeln. Der Wind wurde etwas schärfer, blieb jedoch warm und angenehm wie ein sinnlicher Hauch.
“Unser Volk leidet Hunger und Durst. Seine Nächte sind kalt und leer wie der Raum zwischen den Sternen.” Die Stimme des Bauern klang, als käme sie weit unten aus der Kehle, geboren in einer Brust, mächtig und tief wie das Fass, das den Rebsaft aufnehmen würde. Voll und satt wie die Erde, auf der die Früchte seines Wollens wuchsen.
Auch wenn der Orchestrator den Nebenstehenden nur erahnte, seine Silhouette mehr spürte als sah, so wusste er doch, dass der Prophet voller Kraft und ohne Zaudern und Zagen war. Der Pflug, den er führte grub tief, seine Sense schnitt in weiten Schwüngen. Wer diese Stimme vernahm, konnte daran nicht zweifeln.
“Ja… das muss ein Ende haben.”
“Es wird ein Ende haben, wenn wir die Ernte einfahren. Eine glückliche Ernte, die Kornkammern und Weinfässer füllt, braucht viele Hände, zur rechten Zeit am rechten Ort.
Sind wir am rechten Ort, mein Sohn?”
Das war natürlich eine rhetorische Frage, denn der Prophet wusste alles.
“Ja Vater, das sind wir.”
“Erzähl mir davon.”
“Die erste Phase hat begonnen. Wir haben auf ihren Verstand gezielt und einen harten Schlag ausgeführt. Dort wird es keinen Sieg geben, das wussten wir von Beginn. Aber es verkrüppelt sie und den Schmerz spüren sie lange.
Der Schlag wird begleitet von vielen kleinen Schnitten. Ihre Stadt soll sie nicht mehr mit dem falschen Gefühl der Sicherheit erfüllen. Hinter jeder Ecke sollen sie einen der Unseren befürchten und zittern.” Er bemerkte das Schweigen des Propheten und bemühte sich, die Stille mit seinen Worten zu füllen.
“Ich weiß, ich kämpfe voller Wut und meine Schwester tadelt mich oft dafür. Sie tötet aus der Gnade heraus sie eins mit uns zu machen. Ich aber hasse sie von ganzem Herzen und will sie bestrafen für das, was sie uns über all diese langen Jahre angetan haben.
Ist das Sünde Vater?”
Gerne hätte er den Propheten jetzt angesehen, aber sein Blick blieb weiter auf das endlos scheinende Meer wogenden Korns gerichtet. In den Worten des Bauern schwebte ein Lächeln.
“Bekümmere dich nicht mein Sohn. Du beschreitest einen anderen Weg als deine Schwester und doch ist euer Ziel das gleiche. Welches Lied bei der Wanderung gesungen wird, ist für das Resultat nicht von Belang. Schreite nur immer frohgemut voran und vertraue darauf, dass deine Schwester das Gleiche tut.
Was wird jetzt geschehen?” Die Frage war wieder keine, um etwas Neues zu erfahren, sondern um etwas bereits Bekanntes zu prüfen.
“Ihr Wespennest wird jetzt aufgeschreckt sein und sie werden sich bemühen, die entfachten Feuer allerorten auszutreten. Gegenseitige Vorwürfe und Beschuldigungen werden folgen, wenn sie nach Verantwortlichen suchen. Das wir aus ihren Reihen heraus zuschlagen wird sie mit noch mehr Misstrauen vergiften und schwächen. Unser nächster Schritt wird sie daher ebenso hart, wenn nicht noch härter treffen.”
“Dafür ist alles vorbereitet?”
“Ja Vater, jeder kennt seinen Posten und weiß was von ihm abhängt. Gib das Zeichen und wir tun ihnen die Hölle auf.”
“Dein Eifer erfüllt mich mit großem Stolz, mein Sohn. Ich lege mein Vertrauen zuversichtlich in deinen Sachverstand. Entscheide du, wann der rechte Zeitpunkt gekommen ist, um weiter vorzugehen.”
“Ich danke dir, Vater.”
Die Hand des Bauern legte sich in unendlicher Güte auf die Schulter des Orchestrators. Schwer war diese Hand, schwer wie ein Stein. Sie drückte ihn nieder und heraus aus der Welt.
Die frische Luft und der warme Wind wurden ersetzt von dem faden, tausend mal wiedergekäutem Brodem, den sie hier atmeten. Stickig und abgestanden. Er tastete nach der Hand seiner Schwester und hielt sie fest.
“Was hat er gesagt?” Sie konnte die Stärke spüren, mit der jeder erfüllt wurde, der das Glück hatte, den Propheten zu treffen. Auch die aufregenden Neuigkeiten nahm sie im Geist ihres Bruders wahr.
“Er hat mir die Verantwortung für die weitere Operation gegeben.”
“Das ist ja großartig. Was für ein Vertrauensbeweis.”
“Ja… Ich werde mich dieser Ehre würdig zeigen.”
“Das wirst du Bruder, das wirst du ganz bestimmt.”
“Das werden wir beide.”
 
“Jawohl Herr General… jawohl.” Lungershausen stand in ihrem Büro wortwörtlich stramm. Das mochte lachhaft wirken, wenn man bedachte, dass der unmittelbare Vorgesetzte am anderen Ende der Sprechleitung sie nicht sehen und demgemäß ihre Respektsbekundung nicht wahrnehmen konnte. Gleichwohl brachte man den Männern und Frauen der PVS auf Koron bei, dass Achtung vor dem höheren Rang nichts war, was man nur hatte wenn der oder die Betroffene gerade in der Nähe waren. Dieser Respekt, durch die harte Schule der Ausbildung eingebläut, war etwas real zu Empfindendes. Aus diesem Grund stand nicht nur Lungershausen in Habt Acht, sondern wurde darin noch von ihrem Adjutanten übertroffen, der ebenfalls mit im Raum war.
“Aber gestatten Herr General, dass ich noch einmal auf die prekäre Lage aufmerksam machen darf unter der wir hier arbeiten müssen. Unser Auftrag war die Koordination der Luftabwehr und jetzt müssen wir die ganze… jawohl… ja ich verstehe. Natürlich Herr General.
Wird ausgeführt Herr General.
Lang lebe Koron, lang lebe Gohmor.” Sie ließ den Arm mit dem Hörer sinken. Der Oberstleutnant wagte es, nassforsch zu sein.
“Und?”
Sie blinzelte und richtete den Blick auf ihn, als hätte sie jetzt erst bemerkt, dass er auch hier war.
“Wir können die Koordination noch nicht abgeben. Das Oberkommando ist in diesem Moment zusammengekommen.
Unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen, wegen der vielen Anschläge.”
“Ist es sehr schlimm? Ich meine… ähm.”
“Das ist der größte Haufen dampfender Scheiße den ich je gesehen habe und ich war in Edos mit dabei.
Es gibt Angriffe auf so ziemlich jeder Ebene der Stadt. Die Ratshalle ist nur die Spitze des Eisberges. Die militärische und zivile Infrastruktur wird im großen Stil attackiert.”
“Von wem?”
“Tja… scheinbar irgendeine paramilitärische Terrorgruppe oder ein Kult. Es sind Mitglieder irgendeiner Sekte mit dabei. Transformisten… so in der Art.”
“Die Kirche der Transformation?”
“Ja, die waren es. Kennen Sie die?”
“Nur aus der Zeitung.”
“Die jedenfalls und noch zig andere. Bewaffnete Banden, Fabrikarbeiter, ganz normale Bürger. Einiges scheint organisiert zu sein, manche Sachen sind vielleicht im Zuge der Aktionen ausgelöst worden. Mutanten und ewig Unzufriedene, die ihre Gelegenheit für gekommen sehen.
Es soll Massenexekutionen an der Bürgerschaft geben. Andernorts wehren sich Bewohner und Belegschaften mal mehr oder mal weniger erfolgreich gegen die Angriffe. Jeder Arbites der eine Schrotflinte auch nur richtig herum halten kann, ist auf den Beinen.”
“Und wir?”
Sie seufzte.
“Ich habe darum gebeten, die Koordination der ganzen oberen Ebene um die Ratshalle herum abgeben zu dürfen. Habe ihm gesagt, dass wir nur für die Luftraumüberwachung der Außenbereiche zuständig waren… naja Sie habens ja mitgehört.
Sie wollen Gefechtsstände einrichten um das Chaos in den Griff zu kriegen, aber das dauert. Die Hundertzweiundreißigste Heimatschutzbirgade wird komplett in unseren Verfügungsraum verlegt. Aber das dauert. Bis dahin ist es an uns alles zu jonglieren. Und genau das werden wir tun, auch wenn es uns nicht schmeckt.
Also zur Sache: Haben wir Leute vor Ort?”
Der Oberstleutnant begutachtete seine Notizen.
“Jawohl! Die Reservetruppen der Ehrenwache, die sich in der Zwischenebene aufgehalten haben. Sie sollten in diesem Moment unterwegs zum Depot 22/21 sein und sich dort mit Waffen und vor allem Munition ausstatten. Danach direkt zur Halle.”
“Schön und gut, aber das dauert mindestens eine Stunde, vielleicht auch nur 45 Minuten, wenn ihr Melder schnell war.
Bis dahin lebt da drinnen niemand mehr, bei dem es von Bedeutung ist, dass er lebt.”
“Wir haben noch die Fernmeldekompanie 166A. Die waren zur Verkehrssicherung in der näheren Umgebung eingesetzt.”
“Bewaffnet?”
“Jawohl, nichts Schweres aber ja. Was noch wichtiger ist, sie sind mit umfangreicher Kommunikationsausrüstung ausgestattet.”
Lungershausen horchte auf.
“Dann hätten wir endlich mal klare Aussagen über das, was da oben passiert.
Wie schnell können die da sein? Wer hat das Kommando?”
“Ein Oberleutnant Turm und das Beste ist, sie sind in Teilen schon an der Halle und dringen in das Gebäude ein.”
Sie sprang auf und gemeinsam mit dem Adjutanten eilte sie aus ihrem kleinen Büro, wo sie mehr Ruhe gehabt hatte, um mit ihrem Vorgesetzten zu sprechen.
Im Kommandoraum wogte derweil immer noch alles in heilloser Geschäftigkeit durcheinander.
Fliegerstaffeln, die schwer angeschlagen zurückkamen und irgendeinen Platz zum Auftanken und Aufmunitioniern suchten. Einheiten, die von ihrer eigenen Befehlskette abgeschnitten waren, teilweise mit unzulänglichen Kräften und Material im Feuerkampf mit einem besser ausgerüsteten Feind standen.
“Die Brücke der Hunderttausend ist weg.” Sagte irgendjemand mit Grabesschwere in das Stimmengewirr hinein. Das erzeugte kein Schweigen, aber allgemeine Bestürzung.
“Was meinen Sie mit weg?” Verlangte der Oberstleutnant mit belegter Stimme zu wissen.
Der Hauptgefreite, der die unzulängliche Meldung gemacht hatte, sah verwirrt aus.
“Meldung einer zivilen Feuerlöscheinheit vor Ort. Die… die Brücke ist eingestürzt.
Vermutlich gesprengt. Es gibt wohl Hinweise darauf, dass der Baneblade zum Zeitpunkt des Einsturzes darauf fuhr.”
“Nein!”
“Nicht verifiziert.” Setzte der Hauptgefreite fast schon panisch nach.
“Taktischer Zeichner,” sagte der Oberstleutnant schnell seine Fassung zurückgewinnend. “Tragen sie den Ausfall der Brücke, der Hunderttausend in die Karte ein und suchen sie alternative Routen für schweres Gerät.”
Der General nickte ihm zu. Dann wandte sie sich an den Techpriester.
“Bruder Amayi Korras, gibt es eine Verbindung zu einem Funker der 166?”
Der Techpriester bestätigte dies und hantierte an einigen Apparaturen herum, bevor er eine einladende Geste in Richtung eines von vielen Handsprechapparaten machte. Lungershausen eilte zu dem Gerät und musste sich zügel nicht hinein zu brüllen.
“Die exakte Kennung ist 166A 003.” Erklärte der Techpriester lakonisch und wandte sich anderen Aufgaben zu. Ihn schien die ganze Sache hier nur dahingehend zu interessieren, dass er die Oberhoheit über alle verwendete Technik vor Ort hatte und dies als eine herausfordernde kleine Aufgabe ansah.
“166A 003… kommen. Hören Sie?” Ein langgezogenes Jaulen und Fiepen, ganz so, als versuchten gepeinigte Seelen der Leitung zu entkommen. Dann eine rauschende Stimme.
Unverständlich
“Konnte Sie nicht aufnehmen. Wiederholen Sie… kommen…den Eingangsbereich. Der ganze…”
Hilfesuchend sah sie zu Bruder Amayi Korras. Der schraubte an Reglern und Knöpfen. Das Comgerät, welches der Soldat höchstwahrscheinlich auf dem Rücken trug, war nicht für die Kommunikation über solche Entfernungen und durch Boden und Decke von Makropolen gemacht. Es musste entsprechend zu einer Verstärkerstation geleitet und dort aufbereitet und zu ihnen gesandt werden. Was immer der Marspriester auch für einen Zauber veranstaltete, es funktionierte leidlich. Der Empfang wurde jetzt besser, pegelte sich ein und ließ eine schwer atmende Stimme durch den Äther an ihr Ohr dringen.
“Können mich… hören? Kommen!”
“Ja… ja ich höre Sie jetzt besser. 003 hier Gefechtsstand Grau. Hören Sie genau zu. Es ist von äußerster Wichtigkeit, dass sie mir alles genau so schildern, wie sie es sehen. Kommen.”
“Ja… ähm verstanden Grau, Kommen.”
“Ich weiß, dass die Geräte dafür nicht ausgelegt sind, gleichzeitig zu laufen und zu funken, aber versuchen Sie es trotzdem. Kommen.”
“Jawohl. Also wir nähern uns dem Eingang. Hier ist die Hölle los. Unzählige Rettungswagen, der ganze Platz ist hell erleuchtet von ihren Signalleuchten. Aber es reicht trotzdem nicht. Terras Gnade… so viele Verletzte.
Der Feldwebel spricht mit jemandem. Einem Zivilisten.”
“Wo ist ihr kommandierender Offizier? Ist er vor Ort? Kommen.”
“Negativ, der Oberleutnant ist noch im ursprünglichen Verfügungsraum und überwacht das Verlegen. Wir wurden vorgeschickt. Kommen.”
“So verstanden. Berichten Sie weiter. Kommen.” Eine längere Pause folgte uns sie wollte schon nachfragen, was los sei, als die andere Seite sich wieder meldete.
“Es scheint, dass wir reingehen.
Wir nähern uns dem Zugangsbereich… die Türen sind alle zertrümmert und… Terras Gnade.” Würgegeräusche waren zu hören.
“Was ist Soldat? Was sehen Sie?”
“Der Korridor liegt hüfthoch mit Leichen voll.”
Sie konnten aus erster Hand hören, wie der Fernmelder keuchend und ächzend über den Teppich aus Toten kroch, wie seine Kameraden fluchten. Voll Schrecken wurden sie Ohrenzeugen, dass hier und da in dem Menschenberg noch jemand lebte. Wimmern, Flehen und schwaches Rufen. Allein, sie hatten keine Zeit, der Menschlichkeit nachzugeben. Denn aus dem Inneren der Ratshalle war das Krachen von Schüssen zu hören. Entweder waren die Mörder mit ihren Bluttaten noch nicht fertig oder sie waren tatsächlich auf Widerstand gestoßen.
Die nächsten zwei Minuten waren ein Durcheinander aus Lärm, Schüssen und abgehackten Sätzen. Der Funker versuchte sein Bestes zusammenhängende Meldungen zu geben, aber es gelang ihm nicht wirklich. Immer wieder war die Verbindung ganz unterbrochen, wenn der Mann seine Hände vermutlich zum Klettern und Schießen brauchte und nicht zum Gedrückthalten der Sprechtaste. Dann, ganz unvermittelt, sprach eine völlig andere Stimme zu ihnen. Ein Trommelfeuer aus wirren Informationen, zwischen die die Versuche einer Identifikation gestreut wurden. Irgendjemand oder viel mehr irgendetwas, hatte den Funker und zwei seiner Kameraden angeblich getötete.
"Hallo? Können Sie mich hören? 003 ist tot. Sie sprechen mit Waldorf v. Bersting. Kennung: Axis-309. Melde Presenz schwerer Mutanten im Inneren der Halle. Gepanzert und Ogryn-ähnlich. Der Halleneingang wird durch Feindbeschuss gedeckt. Erbitte Unterstützung durch Schocktruppen oder Subjugatoren."
“Hören Sie…” Lungershausen versuchte sich gleichzeitig einen Reim auf das Kauderwelsch zu machen, den Mann am anderen Ende zu beruhigen und dazu zu bewegen, ihr verwertbare Informationen zu geben.
Hatte der Feind den Apparat in die Hände bekommen und trieb jetzt Spielchen? Auch von der Einheit, die der Mann nannte, hatte sie noch nie etwas gehört. Jetzt diese Aussagen zu verifizieren, die ellenlangen Listen der bei der Veranstaltung beteiligten Organisationen durchzugehen, war ein Ding der Unmöglichkeit.
Dann sprach noch jemand anderes mit sich überschlagender Stimme, die Worte stoßweise zwischen heftigem Atmen hervor zwingend. So klang nur jemand, der unter starken Schmerzen redete. Es war kaum zu verstehen, war im Hintergrund und das Gerät versuchte, ihn genauso herauszufiltern wie das Schreien und Schießen ringsherum.
Aber der Mann am Sprechgerät schien die ihm vorgesprochenen Worte nachzusagen. Er sprach für einen Unteroffizier der 10.Infanterie Kompanie.
”Ratshalle Trümmerfeld. Feind mit Bulldock eingedrungen. Zivilisten tot…“ Ein feuchtes Husten unterbrach den Sprechenden und damit auch den, der seine Worte weitergab.
“Soldaten auch. Kämpfen aber noch. Leibgarde kämpft…?
Sie haben Mutanten! Mutanten…" Sie schienen mitzuerleben, wie ein Mann die letzten Worte auf dem metaphorischen Totenbett dazu verwendete, ihnen ein paar Brocken an Informationen zukommen zu lassen. "Die 8. Brigade… alles Verräter. Die Familien auch. Steht im… im Guardian. Alle hinrichten! Wie… wie… Meran Magna…"
“Er hat das Bewusstsein verloren.” Teilte ihnen der Dolmetscher namens Waldorf mit.
Die 8. Brigade? Diese Verschwundenen, die sich auf die Seite der Dschungelbewohner bei Huncal geschlagen hatten? Unmöglich.
Oder?
Die Zehnte sagte ihr auch etwas, da ein ziemliches Aufhebens um deren Nähe zum Gouverneur gemacht worden war. Ebenso der Bulldog. Experimentelle Landungsflieger und Truppentransporter. Oberste Geheimhaltungsstufe. Das wusste man nicht einfach mal eben so aus der Zeitung, wie das mit der 8.
Die einzige wirklich verwertbare Nachricht, so sie denn stimmte war, dass die Angreifer noch keinen finalen Sieg errungen hatten und das vielleicht hieß, dass dort noch jemand von politischem Rang am Leben war.
“Halten Sie aus. Unterstützung ist auf dem Weg.” Viel mehr konnte sie gar nicht sagen. Sollte der Feind, wer immer genau das auch war, hier wirklich die Hände mit im Spiel haben, dann würde sie den Teufel tun, um ihm irgendetwas zu verraten, womit sie einen Vorteil erringen könnten. Sie fühlte sich unsäglich hilflos. Zu wissen, dass dort Soldaten kämpften und starben und sie nichts tun konnte, drehte ihr den Magen um.
“Der Imperator beschützt!” War alles, was ihr noch einfiel, bevor sie das Sprechgerät an den Funker zurückgab und ihm den Auftrag erteilte, sich von dem Mann am anderen Ende weiterhin so viele Details geben zu lassen, wie er liefern konnte.
“Was treiben die in diesem Depot?” Blaffte sie ihren Frust, an niemand bestimmtes gerichtet, heraus. “Die sollen sich ausrüsten und keine Inventur machen.” So eruptiv, wie sie diesen Ausbruch zugelassen hatte, bekam sie sich auch wieder in den Griff. Man führte seine Leute nur effektiv, wenn man ihnen stets den Eindruck vermittelte, absolut Herr der Lage zu sein.
“Schaffen sie mir eine Meldung über den Status der Einsatzkräfte heran. Ich will wissen wo die grade sind und wer das Kommando vor Ort hat. Informieren sie außerdem das Oberkommando darüber, dass die Reserven der Ehrenwache vor der Halle aufmunitioniert wurden und dabei sind in den Kampf einzugreifen. Ich will nicht, dass die Hundertzweiundreißigste Heimatschutzbirgade, wenn sie denn noch vor dem Tag der Helden dort eintreffen sollte, unseren eigenen Leuten in den Rücken schießt. Jetzt können wir nur hoffen, dass die Jungs und Mädels sich beeilen.”

In der fast zwei Jahrhunderte währenden Finsternis glomm ein einzelnes Lämpchen schwach und rot auf.
Es flackerte zaghaft, als ein Strom durch seine kupfernen Adern floss, wie eine längst vergangene Ahnung. Sich an seine Aufgabe erinnernd, wurde das Leuchten ein wenig stärker und nahm dann ein kraftvolles Rot an. Im absoluten Schwarz dieser Gruft genügte es, ein paar vage Umrisse zu enthüllen, wenn auch bei weitem nicht genug, um etwas genaueres erkennen zu können.
Gemeinsam mit dieser einsamen Diode erwachten auch die untoten Wächter dieses Grabes. Im Gegensatz zu dem Lämpchen erwachten sie jedoch nicht nur im übertragenen Sinne, sondern wortwörtlich.
Jene, die sie erschaffen hatten, selbst schon lange zu Staub zerfallen, waren der festen Überzeugung gewesen, dass ihre Geschöpfe nicht träumen konnten, dass sie tot auf den Zeitpunkt ihrer Erweckung warteten.
Da aber irrten sie.
Ihre Kreationen konnten träumen und es waren keine angenehmen Bilder die sie sahen. Es waren verwaschene Erinnerungen an ein früheres Leben, durch chirurgische Sühne weglobotomisiert. Die dafür verwendete Technik war jedoch alt und kaum noch verstanden. Mit der ewigen Wiederholung schlichen sich Fehler ein und machten unfachmännisch, was einst vielleicht wirklich ein traumloser Leichenschlummer gewesen sein mochte. Jetzt durchzuckten die bewegungslosen Dekaden der schmerzliche Wunsch endlich wirklich sterben zu können. Doch diese fromme Bitte, durch vernähte Münder gestammelt, verklang von allen Heiligen und Gottgleichen ungehört.
Die Servitoren, halb Mensch halb Waffe, würden ihren Dienst erfüllen, bis Rost und Verfall ihren balsamierten Körpern endlich die Gnade gewährte, die ihnen ihre grausamen Meister versagten. Durch Chemikalien und Defibration in ein schwachsinniges Halbbewustsein zurück gezerrt, durchspülte der Wunsch nach Töten dass, was man ihnen an Verstand gelassen hatte. Ihre Arme mündeten in Maschinengewehre und Laserwaffen, in Granaten- und Flammenwerfer, in Autokanonen und Bolter. Kein größeres Verlangen konnte es für sie geben, als ihre Verzweiflung und ihren Hass auf ihr Schicksal auf jene zu entladen, die durch die gewaltige Panzertür kommen würden, von der sie wussten, dass sie dort in der Dunkelheit lag und sie vom Rest der Welt trennte.
Dieser Wunsch nach Mord war ihnen allen eingepflanzt wurden und sie würden ihn bis zur Selbstauslöschung nachgehen, denn dies allein war der Sinn ihrer Existenz.
Dann kam die bodenlose Enttäuschung in Form eines kognitiven Blockadebefehls. Ein Code, der ihnen die Erleichterung verwehrte, alles abzufeuern was ihre Körper abzufeuern vermochten. Auf diese wunderbar weichen und verletzlichen Ziele, die da als schwarze Scherenschnitte im Gegenlicht standen, als das Stahltor sich öffnete und die kleine Lampe von Rot auf Grün umsprang.
Es hätte ein historischer Moment werden können. Keiner Festivität würdig, aber doch ein bescheidener Blick in die Vergangenheit, der an eine Zeit gemahnte, als die ganze Existenz des Planeten auf dem Spiel gestanden hatte.
Diese Depots waren eingerichtet worden, um den Verteidigern der Stadt ein Lager an Waffen und Material zuzusichern, auch wenn die heimische Produktion durch das Feuer des Krieges vernichtet sein sollte. Als die Männer und Frauen der PVS jetzt auftraten, waren sie in Eile und kamen doch nicht umhin, staunend innezuhalten. Als sie hinter der ersten Panzertür auf einen Raum trafen, dessen Wand mit einem makabren Wandbild verziert war. Dieses bestand aus leise stöhnenden und sich windenden Servitoren, die halb mit dem Untergrund und der darin eingebetteten Maschinerie verschmolzen waren. Jede dieser Kreaturen war eine Mischung aus Waffe, Gerät, menschlichen Überresten und Kunstwerk, wie es nur die Hochkultur des Imperiums zu schaffen vermochte.
Das Koronische lehnte sich in vielen Teilen daran an, erreichte aber doch nie die morbide Herrlichkeit des Ur-Imperialen. Wäre beim Eintreten nicht der richtige Code verwendet worden, hätte sich das sacht in Bewegung befindende Fresko in ein Tod spuckendes Tor zur Hölle verwandelt. So jedoch folgten Augen und Linsen zwar den Ruhestörung, die Mündungen blieben jedoch kalt.
Im Vergleich zu diesem ersten Raum, waren die folgenden sehr viel nüchterner. Weiß gekachelte, lange Funktionshallen, in denen sich Kisten um Kisten stapelten. Vornehmlich Grün und aus Kunststoff, den doppelköpfigen Adler auf Seite und Deckel gesprüht. Aber auch Vertreter aus Holz waren zu finden. Lange Bänke begannen summend hunderte und aberhunderte von Energiezellen für Laserwaffen zu laden. Diese allerdings würden ihnen nicht viel nutzen, denn Wartezeit blieb ihnen ganz gewiss nicht. So wurden Kisten und Kästen geöffnet, in denen sich Dinge vermuten ließen, die unverzüglicher eingesetzt werden konnten. Allen voran fanden sich dafür Feststoffprojektilgewehre oder wie es sich die erfreuten Soldaten kürzer zuriefen: “Thron verdammte Sturmgewehre”. Schwarz und glänzend von Waffenöl, hätte sie jemand, der sich damit auskannte und den es in diesem Moment interessiert hätte, als Massenware aus den niemals versiegenden Waffenmanufakturen Agripinaas erkennen können. Klobig und wenig ästhetisch, aber etwas, womit die, mit dem Zwo- Einer vertrauten Soldaten Gohmors etwas anfangen konnten. Auch Granaten gingen von Hand zu Hand, dazu lange Kampfmesser und Pistolen. Die höheren Dienstgrade mussten den Aktionismus bremsen als Maschinenkanonen und schwere Bolter entdeckt wurden. Ein paar dieser Unterstützungswaffen würden mitgehen, aber in einer Anzahl die verhinderte, dass allzu rachedurstige Soldaten dass in Schutt und Asche legten, was von Ratshalle und hohen Herrschaften noch übrig war. Hastig ging alles, im Laufschritt und in leidlich zielgerichtetem Durcheinander. Einige der Soldaten mussten ihre Sitzplätze auf den LKWs aufgeben, um Munitionskisten Platz zu machen. Man versprach den protestierenden Männern und Frauen, sie schnellstmöglich abzuholen.
Auf dem Hinweg zum Depot wäre der Konvoi aus überladenen, aber so gut wie unbewaffneten Armeelastwagen eine leichte Beute gewesen. Ein Maschinengewehr oder ein paar Automatikgewehre hätten diesen blutigen Tag mit einem weiteren Massaker beschweren können.
Das aber geschah nicht. Rückblickend wohl in erster Linie durch unverschämtes Glück und den Paragrafen 23.
Den Zusammenhang zwischen einer verstaubten Rechtsverordnung und dem überleben eines Konvois voll unterbewaffneter PVS- Soldaten zu verstehen, bedingte nun doch einen Blick in die bewegte Geschichte des Planeten. Koron 3 mochte im Vergleich zu anderen imperialen Welten als relativ friedlich gelten. Wo andere Planeten in einem Zustand permantenen Konfliktes existieren, konnten Koron auch immer wieder Epochen vorweisen, in denen weite Teile der Bevölkerung in Frieden lebten. Allerdings täuschte dies nicht über die kriegerische Geschichte des Planeten hinweg. Von den, zurecht weggeschlossenen, wenigen Aufzeichnungen grauer Vorzeit, als die ersten Siedler auf die Stufe blutrünstiger Barbaren zurücksanken, über die Rückeroberung durch den heiligen Septinanus, bis zum weltumstannenden Krieg der Häuser. Immer war die Gewaltbereitschaft der Koroner nur von einer sehr dünnen Patina der Zivilisation überzogen. Entsprechend hatte man sich früh bemüht, auch die Bewaffnung der Bevölkerung in geordnete Bahnen zu lenken. Relativ allgemein waren diese Unterfangen, als es nur galt, die Anhänger dieses oder jenes Adelshauses als bewaffnetes Rückgrat bereitzuhalten. Etwas ausformulierter, nachdem das Imperium die Eigenmächtigkeit der Adligen, als Folge des verheerenden Kriegs der Häuser, einzuschränken gedachte.
Entsprechend lautete der Paragraph mit allen seinen Zusätzen:

Paragraf 23
Einem jedem sei es gestattet, so dass er das sechzehnte Jahr seines Lebens vollendet, das er eine Waffe trage.
Dies tue er, auf das er seinen Herren, sein Land, sein Leben und seinen Besitz wohl verteidige.
Doch ziehe er die Waffe nur, so er in einem dieser Rechte verletzt sei.
Morde er einen anderen ohne Grund, so finde er Strafe.
Begehe er Raub mit der Waffe, so finde er Strafe.
Beschädige er heilige Stätten mit der Waffe, so finde er Strafe.
Beschädige er das Gut eines anderen mit der Waffe, so finde er Strafe.
Ein jeder halte sich bereit, zur Waffe zu greifen, so der Ruf seines Herren erschallt.

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Aktualisierung des Paragrafen 23 durch Gesetzreformkomitee der eingesetzten Übergangsregierung.
Datum: 22.09.1 n.K.d.H. (lokale Zeiterfassung)
Gesichtet und gebilligt durch Oberst Kallis, Verbindungsoffizier imperiale Rückeroberungsexpedition, Unterabteilung Reorganisation.


Es ist untersagt Waffen zu tragen, die unter die Kategorisierung "schwer" oder "überschwer" fallen. Diese Waffen dürfen lediglich mit Genehmigung mitgeführt werden. Wer mit einer solchen Waffe oder Waffenteilen einer solchen angetroffen wird, macht sich strafbar.
Der sogenannte "Ruf zu den Waffen" durch einen weltlichen Herrscher, etwa eine lokalen Baron, Grafen oder Lehnsherren, ist ersatzlos gestrichen. Alle militärische und paramilitärische Macht geht von offiziellen Organisationen aus. Das sind: Besatzungsarmee, Adeptus Arbites oder entsprechenden Vertretern des Adeptus Mechanikus.

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Nachtrag zum Unterpunkt 2 "Ruf zu den Waffen" durch Gohmorzentralverwaltung.
Datum: 07.15.16 n.K.d.H
Streiche "Besatzungsarmee", setze "PlanetareVerteidigungsTruppe / PVS. Setze zusätzlich: Offizielle Hausarmeen.


Was im Kern ein Versuch gewesen war, die Wehrfähigkeit der Bevölkerung zu erhöhen, war inzwischen längst eine kulturelle Norm geworden. Man schenkte seinem Spross, ganz unabhängig welchen Geschlechts, zum Eintritt in das Erwachsenenleben eine Pistole. Vielleicht ein Erbstück oder etwas Neuwertiges. In normalen Haushalten sparte man auf einen Revolver oder eine halbautomatische Pistole. In besseren Kreisen war es die individualisierte Maschinen- oder Laserpistole. Letztere neuerdings auch mit Linsen, welche den Schuss in angesagten Farben durch die Welt schickten. Eine regelrechte Industrie hatte sich um diese Tradition entwickelt. Ausbildung an der Waffe, Vertrieb, Zubehör und Schießstände. Des Koroners im Allgemeinen und des Gohmorers im Besonderen, liebstes Kind war seine Waffe. Wer politisch oder religiös motiviert daran etwas ändern wollte, erfuhr die Bedeutung des überregionalen Sprichwortes. “Nimm mir die Waffe und du fällst ohne Knall.”
Die Angreifer wussten natürlich von dieser Tatsache, hatten sie sogar ausgiebig genutzt, um legal an Faustfeuerwaffen heranzukommen. Dass sich dies zu einem größeren Problem für ihre Aktionen herausstellen könnte, hatten sie jedoch nicht vorhergesehen und ihre vermeintlichen Opfer damit unterschätzt.
Neben all den gezielten Störaktionen, wie etwa das Besetzen von Polizei und Grenzstationen, die Zerstörung von Kraftwerken, Brücken und als Kronjuwel der Angriff auf die Ratshalle, hatte es auch noch andere Gruppen gegeben.
Gruppen mit einem sehr viel weiter gefassten Auftrag. Chaos anrichten, Angst und Schrecken verbreiten, Menschen töten. Dazu waren Teams in verschiedensten Größen losgezogen. Einzeltäter und Kleinstgruppen, aber auch ganze Abteilungen. Sie hatten wahllos gemordet und zerstört und gerade für eine der größeren Gruppen wäre der Konvoi mit der dringend erhofften Unterstützung für die Ratshalle ein gefundenes Fressen gewesen.
Allerdings hatten sich die Bürger der Stadt als Lämmer herausgestellt, die nicht so gern wehrlos zur Schlachtbank geführt wurden. Aus Fenstern wurde das Feuer auf die Mördertrupps eröffnet. Bewaffnete Bürger setzten sich auf offener Straße zur Wehr. Ganze Hausgemeinschaften richteten das gegen die Aggressoren, was Jahre lang nur dekorativ über dem Vid. Gerät gehangen hatte. Die Belegschaft der Waffenmanufaktur Hardmann & Söhne rüstete erst die eigenen Arbeiter mit der hauseigenen Produktpalette aus und dann die Bürger der umliegenden Blöcke. Es kam zu Straßenkämpfen und ausgedehnten Feuergefechten. Die Aggressoren waren militärisch ausgerüstet, hochgradig organisiert und entschlossen. Entschlossen waren die Bürger auch, denn sie verteidigten Heim und Familie.
So gebunden war niemand da, der den Konvoi hätte aufs Korn nehmen können. Nicht als er unbewaffnet zum Depot raste, nicht als er vollgestopft mit Munitionskisten als rollendes Explosivziel zur Ratshalle fuhr.
Dort rückten sie in der Tat ein wie eine Befreiungsarmee. Die nicht enden wollende Kolonne aus Blau-grauen LKW, die auf den Vorplatz Halle zirkelten und von denen schon Männer und Frauen absprangen, noch bevor die Reifen ganz zum Stehen gekommen waren. Die ersten rannten in Richtung der Stufen, die hinauf zum Eingang führten. Andere nahmen sich die Zeit die schweren Waffen mit abzuladen oder hielten Ausschau nach alternativen Möglichkeiten des Hereinkommens. Kleine Gruppen schlossen sich zusammen. Individuen, die sich aus ihrer gemeinsamen Verwendung kannten oder um einen ihnen vertrauten Unteroffizier scharten. Der ganze Pulk aus tatendurstigen PVSlern war drauf und dran das Gebäude regelrecht zu überrennen, als ein einzelner Schuss krachte.
Aus dem Inneren der Halle drang eine dumpfe Kakophonie aus Salven und Schüssen, immer wieder unterlegt mit dem Krachen von Explosionen. Dieser eine Schuss aber war auf dem Vorplatz in unmittelbarer Nähe gefallen und ließ die Köpfe herumschnellen.
Mit, gen Stahlhimmel weisender Pistole, stand ein Stabsfeldwebel auf der Motorhaube eines Fahrzeuges und funkelte böse in die Runde.
Sein Name war Hans Topner, was freilich nur die wenigsten der Anwesenden wussten. Er war das, was man in Soldatenkreisen einen Eisenfresser nannte. Hier und jetzt sah er sein Lebenswerk zusammenbrechen, denn Topner rühmte sich einer der brutalsten Schleifer und gnadenlosesten Rekrutenschinder zu sein. All die Jahre seiner Bemühungen, aus verweichlichten Muttersöhnchen und Papaprinzessinnen anständige und vor allem disziplinierte Soldaten zu machen, war in seinen Augen und im Angesicht dieser Meute hier vergebens gewesen.
“Terras Gnaden!” Brüllte er in einem Ton, der nicht nur mühelos über den gesamten Platz schallte, sondern dem auch das Kunststück glückte, eine Mischung aus unaussprechlicher Verblüffung und grenzenloser Wut zu sein. Wenn je ein Vulkan, der kurz vor einem Ausbruch stand, in menschliche Form gegossen worden war, dann mochte er genau so aussehen.
“Heiliges Terra, was ist das denn? Was verfluchte Scheiße ist das denn?
Haben sie euch allen samt und sonders in die Hohlräume geschissen, wo normale Angehörige der Spezies Mensch das Hirn haben?”
Der Sturm auf die Halle geriet ins Stocken. Dieser Slang und die Art und Weise, wie sich das Donnerwetter aufbaute, weckte regelrechte Urängste in jedem, der die einjährige Grundausbildung der koronischen Armee durchlaufen hatte.
“Entweder ihr seid eine stinkende Bande von Orks, die meint meine wunderschöne Heimatstadt mit ihrer Anwesenheit belästigen zu dürfen oder ihr seit der erbärmlichste Haufen Soldaten, der mir in meinen dreißig Jahren Dienstzeit je untergekommen ist.”
Topner hätte gewiss noch mehr zu sagen gehabt. Wären diese Soldaten auf seinem Exerzierplatz abgesetzt worden, er hätte sie den Tag bereuen lassen, an dem sie ihre drei Kreuze unter den Verpflichtungsvertrag gesetzt hatten. Aber natürlich blieb dafür keine Zeit. Ihm war auch bewusst, dass unter der Horde vermutlich höhere Dienstgrade als sein eigener waren, wenn auch keine Offiziere. Aber er wollte auf der Stelle ins Auge des Chaos gesaugt werden, wenn auch nur einer von denen den erforderlichen Schneid aufwies, den die Situation bedingt hätte.
Der Erste an der Front sein und sich ein goldenes Lametta verdienen. Das wollten sie. Eine Kugel zwischen die Augen würden sie stattdessen kriegen. Dass niemand hervortrat und seiner Triade ein Ende machte, war der beste Beweis dafür. Später würde der eine oder andere verschämt sagen, dass nicht genügend Zeit gewesen wäre, um die Frage der Befehlsgewalt eingehend vor Ort zu diskutieren oder dass er an der Front der Befreiung dabei sein wollte und nicht in den hinteren Reihen.
Die Wahrheit lag wohl eher in dem Umstand, dass sie froh waren, dass jemand das Heft in die Hand nahm und dass sie sich selber noch zu sehr an die eigene Grundausbildung erinnerten, um sich mit dem da anzulegen.
“Hier wird verflucht noch mal anständig angetreten. Ich habe Mutis gesehen mit mehr Disziplin und Schliff. Da drinnen sterben Menschen, weil ihr euch an die Grundlagen des Soldatseins nicht erinnert.”
Die PVSler erinnerten sich an die Grundlagen des Soldatseins und in zwei Minuten standen sie so akkurat in Reih und Glied, als würde gleich der diensthabende Kommissar den Schuhputz kontrollieren. Immerhin hatten sie für die Ehrenwache vor der Halle trainiert, wenn sie eins konnten, dann wie die Zinnsoldaten aufgereiht werden. Topner überschlug die Zahl und kam auf etwa 300 Männer und Frauen.
“Wir poltern da nicht rein wie die Rentner, wenn es Rente gibt. Wir machen das nach Lehrbuch und wenn es den Herren und Damen Offizieren genehm ist hier in Bälde zu erscheinen, dann werden sie sehen, wie Mannschaftsdienstgrade, Unteroffiziere und Feldwebel befähigt sind so eine Sache Kraft ihres eigenen Vermögens anzugehen.”
Dann legte Topner los. Er ließ das Gro der LKWs ordentlich abparken, während er einige davon zurück zum Depot schickte, um die dort zurückgelassenen Soldaten zu holen und das Lager wieder zu versiegeln. Eine weitere Gruppe hatte die Umgebung des Platzes zu sichern. Sanitäter organisierten die anwesenden, zivilen Rettungskräfte in einem Verwundetenbereich, damit nicht jeder sein eigenes Süppchen kochte und man sich gegenseitig im Wege stand. Dann wurden Gruppen für den direkten Einsatz gebildet. Einige hatten die wenig angenehme Aufgabe die Toten aus dem Eingangsbereich zu schleifen und so den Zugang zu ermöglichen.
Dem sollte bereits ein erster Trupp vorausgehen oder besser gesagt kriechen und den Kampf zum Feind tragen. Dafür wurden Soldaten ausgewählt, die Kampferfahrung hatten und wussten, was sie taten. Andere Trupps sollten sich Zutritt über andere Eingänge für Personal und Material besorgen. Als Topner das Kommando etwa zehn Minuten später an Oberleutnant Turm von der Fernmeldekompanie 166A übergab, rollte die Aktion bereits.
 
Ein paar Worte der Erklärung. Erst einmal ganz vielen lieben Dank für all die Likes…
Ich hatte ja an anderer Stelle schon einmal erwähnt, dass ich gar nicht die Verfasserin des Textes bin, sondern nur die bescheidene Lektorin, sozusagen. Geschrieben wird das Ganze von Kogan, dem Chefobaboss unseres Koron3 Rollenspielforums. Mir obliegt es nur, so viele Rechtschreibfehler wie möglich zu terminieren (und ich weiß, dass noch genug verbleiben) und wichtiger noch, den Text so anzupassen, dass er hier als einigermaßen konsistente Geschichte erscheint. Alles ringsum das Geschehen, entsteht aus den Rollenspieltexten. Das heißt, dass es zwar schon so von Kogan geschrieben wurde, aber zwischendurch noch die Aktionen aller Mitspieler stattfinden. So sind etwa zwei imperiale Soldaten mit in die Kämpfe in der Halle verstrickt. Eine Predigerin zieht gerade mit den Reservetruppen zur Unterstützung. Zwei Söldner verschieben Waffen in der mittleren Ebene. Ein weiterer imperialer Kultführer, ärgert sich mit der Kirche der göttlichen Transformation rum. Ein Techprister spielt auch noch eine Rolle (von der noch zu lesen sein wird.) und und und. All diese Stränge habe ich rausgekürzt und mich ganz auf den Hauptstrang von Kogan konzentriert. Nicht weil die Schreibe der anderen schlecht wäre (ganz im Gegenteil), sondern weil es die Lesbarkeit unheimlich erschweren würde oder man jeden Charakter ausschweifend und umfänglich mit einbauen müsste. Direkte Reaktionen auf die Aktionen der Charaktere nehme ich daher meistens auch raus. Also wenn jemand in wörtlicher Rede auf einen Funkspruch reagiert oder es einen Disput mit einem NSC gibt, sowas eben. Das Rollenspielforum existiert schon sehr lange und sein Hintergrund hat sich stark entwickelt. So ist z.B. der Teil über den Paragraphen 23 was, wo ich Kogan gebeten habe, für die Story hier ein paar erklärende Zeilen zu schreiben und ich noch was aus unserer Hintergrundsektion zusammengesucht habe. Im Rollenspielpost wird nur kurz §23 erwähnt und alle wissen was gemeint ist. So das wollte ich nur nochmal zur Erklärung von mir geben. Ich wünsche Euch allen weiter viel Spaß beim Lesen und einen glibberigen Rutsch ins neue Jahr. Kann nur besser werden…

Gruß und Kuss, eure FuNi