40k Wer hungert...

Der Arbites ergriff die Waffe, die auf einen einzelnen Schuss reduziert wurden war. Scheinbar hatte da jemand Sorge, dass er mit jedes erbärmliche Leben in diesem Raum auslöschen könnte. Ein Mord als Test für seinen Beitritt. Widerlich, aber nicht wirklich überraschend. Irgendwie mussten sie ja versuchen die passenden Leute herauszufiltern. Die Hoffnung auf diese Art und Weise, Imperiale Agenten zu entdecken, war allerdings auf zynische Art belustigend und zeigte eine Naivität Renolds auf, die zeigte, wie sehr sie ihren Gegner trotz allem doch unterschätzten. Wenn er gewusst hätte, wie angehende Arbites gedrillt und verroht wurden, wie sie gegen jedwede emotionale Regung abgestumpft wurden, dann hätte er sich nicht nur diesen Budenzauber sparen können, sondern hätte auch die wahre Bedeutung des Wortes Paranoia erfahren dürfen. Cassian wog den Revolver in der Hand und betrachtete ihn lange Sekunden sinnierend. Selbst mit nur einer Kugel in der Trommel sollte er mit den Gestalten hier im Raum fertig werden. Eine Kugel in Renolds Kopf, deren Effekt er nicht so gut überstehen würde, wie die Schrotladung, die ihn bedauerlicherweise nicht aus dem Leben gerissen hatte. Danach im Nahkampf den Gossenabschaum beseitigen, der sich Revolutionäre schimpfte. Nutzlose Gedankenspiele. Er war nicht hier, um Kleinvieh zu beseitigen, sondern um sich an die richtig dicken Fische heranzuarbeiten. "Das du Lissy davongescheucht hast, hat seine Gründe nicht? Sie plappert zwar die ganze Zeit von der Revolution, aber versteht nicht wirklich, wie hässlich so ein Aufstand sein kann. Sie ist zu weich. Zu naiv. Nicht so wie Gus da drüben." Er blickte den Schläger an, der sich Leibwächter schimpfte. Dann hob er den Revolver in einer flüssigen Bewegung mit gestrecktem Arm hoch und drückte ab. Der Knall des Schusses in dem kleinen Raum war ohrenbetäubend laut und der Geruch verbrannten Schießpulvers zog ihnen allen in die Nase. "Nicht so wie ich." Cassian bedachte den zusammengesackten, toten PVSler mit einem kurzen Seitenblick und wendete sich dann von seiner Schandtat ab. In seinem Kopf füllte er bereits Berichte über Renold, Louise und die Aufstandsbewegung in ihrer Gesamtheit aus, um seinen Vorgesetzten Material für eine Verurteilung zu liefern. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass das Urteil vor einem Gericht und vor einem Lauf gesprochen werden sollte. Jetzt kam noch ein weiterer Bericht über Cassian Khline hinzu. Anklagepunkte waren bisher Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, Verrat am Gottimperator und Ermordung eines Dieners des Imperators. Nur er auf Terra wusste, was noch alles im Verlaufe seines Einsatzes dazukommen mochte. Sollte er das alles hier überleben, musste er vor Marschall Ludwig Rechenschaft ablegen und sich prüfen lassen. Nur so konnte festgestellt werden, ob er beim Versuch seine Pflicht zu erfüllen zu weit gegangen war oder ob er noch auf dem Pfad der Rechtschaffenen wandelte. Den Lehrsatz "Auf dem Fundament des Gesetzes zu stehen, ist unsere Pflicht. Anzunehmen darüber zu stehen ist unsere schlimmste Ketzerei." hatte man ihnen damals in der Ausbildung nicht ohne Grund eingehämmert. Als Arbites sollte man sich seiner selbst nicht zu sicher sein. Auch sie waren nicht unfehlbar und sollten daher nicht glauben immer auf dem Boden des Gesetzes zu handeln. Er reichte dem Priester den Revolver zurück und bedachte ihn mit einem kalten Blick. "Zufrieden Renold? Oder gibt es noch weitere Spielchen in dieser Art, an denen ich teilnehmen muss?"
”Spielchen sind dies keineswegs, mein Lieber.” Renold steckte sich den Finger ins Ohr und wackelte ihn ein paar Mal hin und her. Der Knall der kleinen Waffe war durch den begrenzten Raum doch recht gewaltig gewesen. “Man kann nicht vorsichtig genug sein. Es gibt Kräfte,” er machte einen großen Schritt. Blut, vermischt mit Gewebe und Knochenfragmenten, lief aus der Austrittswunde am Hinterkopf des Toten und sammelte sich schnell in einer Pfütze. “Die uns nicht nur vernichten möchten, sondern von innen heraus zersetzen. Vorsicht ist Alles… Alles sage ich dir.” Er schlug Cassian kameradschaftlich auf die Schulter und geleitete ihn zur Tür. Auch der Leibwächter folgte.
Zu dem verbleibenden Mann sagte er im Rausgehen. “Räum diesen Abschaum weg. Wirf ihn von mir aus auf die Straße. Die Zeiten der großen Geheimhaltung sind vorbei. Sie sollen ruhig sehen, was ihnen blüht.”
Gemeinsam gingen sie wieder durch die Kellerkorridore, wenn auch nicht den Weg, den sie gekommen waren. Unterwegs war Renold nun sehr viel gesprächiger, beziehungsweise offener. Geplappert hatte er auch vorher schon, doch das waren Plattitüden, Allgemeinplätze und bestenfalls Andeutungen gewesen. Jetzt wurde er konkreter.
“Wir gehen über die hintere Treppe nach oben. Lissy und solche wie sie sind nicht verkehrt. Enthusiastisch und alles. Aber sie sind keine Menschen der wirklichen Tat, so wie wir. Sie denken, sie ändern das Regime durch Pappschilder und Menschenketten. Man kann es ihnen nicht verübeln, sie wissen es eben nicht besser. Es gibt Prinzipien, die begreift man in der Theorie, aber man muss sie in Tat und Ausführung gezeigt bekommen, um sie wirklich zu verstehen.
Was würde geschehen, wenn wir die Situation nicht weiter eskalieren würden? Die Lizzys dieser Welt würden ihre Sprechchöre brüllen und ihre Protestmärsche veranstalten. Gestern hat sogar einer vorgeschlagen, sich auf der Straße anzuketten. Auf Ideen kommen die Leute.” Er schüttelte mit dem milden Tadel eines, es besser wissenden Vaters den Kopf. “Die PVSP knüppelt sie nieder, verhaftet ein paar Rädelsführer und am Ende wird alles wieder in die gleichen alten Bahnen gelenkt. Gar nichts würde sich ändern und die Opfer unserer Brüder und Schwestern in der Ratshalle wären umsonst gewesen.
Nein, nein, es braucht entschiedene Aktionen. Es muss Blut geben, so unschön das im Einzelnen auch sein mag.
Sowas wie eben,” er zeigte mit dem Daumen über die Schulter und meinte den grade begangenen Mord, “ist ein Anfang. Sie finden einen toten Polizisten auf der Straße, die Gangart wird härter, ein paar Bürger werden getötet, die Spirale dreht sich. Natürlich ist so ein Schlag wie mit der Ratshalle nicht zu überbieten. Oder sagen wir mal, nur schwerlich. Wir haben allerdings eine Aktion geplant, die nah rankommt.” Cassian beschränkte sich darauf als Antwort anerkennend durch die Zähne zu pfeifen. “Wenn du noch Zeit hast, zeige ich dir ein bisschen was.” Die Frage war natürlich rhetorischer Natur und das wussten sie beide.
Renold führte Cassian aus dem Hotel heraus. Hintereingang und Lieferantenzufahrt. Der Müll stapelte sich bis auf Augenhöhe und Ratten, so groß wie Katzen, lebten in den stinkenden Bergen ihre wildesten Fantasien aus. Die Müllabfuhr war schon in friedlichen Zeiten eher eine gut gemeinte Idee als eine funktionierende Institution. Im jetzigen Zustand der Ebene, existierte sie gar nicht mehr.
Ein einzelnes Automobil stand hier quer über die Parkflächen, auf der bis vor einigen Wochen Lastwagen das Hotel versorgt hatten.
Das hatte es in sich.
Es handelte sich um eine Limousine, eine Capitol Rossanti, ein Ungetüm von einem Wagen. Als wäre eine Dampflok in ein Geschäft voller Nobelkarossen gerauscht und man hätte die Beteiligten eines solchen Unfalls hinterher von einem hoch fiebernden Designer zu einer einzelnen Maschine zusammensetzen lassen. Halb Panzer, halb Villa. Die wuchtige zurschaugestellte Pracht war von den neuen Besitzern nur dahingehend modifiziert wurden, dass die ausladende Motorsektion mit einem gelb-schwarzen Rorschachmuster besprüht wurden war.
“Na… das Schätzen macht was her oder?” Renold klopfte auf das gewölbte Kotflügelblech der Limousine. “Von denen haben wir mehrere. Wurden den Bonzen entrissen und einem edleren Zweck zugeführt, als Streitwagen der gerechten Sache.
Steig ein, Bruder.”
Gus mimte den Chauffeur, während die anderen beiden durch eine der acht hinteren Türen in den Passagierraum stiegen. Hier hätte man eine Gravballmannschaft samt deren Frauen unterbringen können. Schwarzes Leder und gediegenes Licht. Es gab auch eine Minibar, die allerdings war leer geräumt, beziehungsweise umstrukturiert. Alkoholische Getränke gab es nicht mehr, dafür allerhand zuckerhaltige Erfrischungsgetränke und Zahnschmelzkiller. Die Revolution schien auf Kalorien und Koffein zu setzen.
Gus warf das Ungetüm an und irgendwo im langgezogenen Dom des Motorblocks begann ein Wald aus Kolben zu stampfen. Flammenstöße wurden aus sechs redundanten und phallisch aufgestellten Abgasrohren ausgestoßen und dann schlängelte sich der Landdrachen auf die verwaisten Straßen. Renold hatte ganz eindeutig seinen Spaß daran, in einem solchen Gefährt durch die Nacht geschaukelt zu werden.
Man saß nicht hintereinander, wie in einem normalen Kraftfahrzeug, sondern nebeneinander. Draußen flogen Leuchtstofffetzen und das Flackern brennender Barrikaden vorbei.
“Das wird nicht nur eine kleine Spritztour. Ich zeige dir ein paar wichtige Positionen.
Pass mal auf.” Mit dem gleichen Ausdruck der Zufriedenheit auf dem Gesicht, wie die Hinterhofratten in ihren Müllbergen, ließ er per Knopfdruck einen Bildschirm aus einer der Konsolen zwischen den Polstern ausfahren. Einem eingeblendeten Firmenlogo folgte eine schematische Karte der Umgebung. “Also wir bewegen uns gerade die VBS Rot 21 hoch, weg von den Ebeneneingängen, die die PVSP gerade besonders bedrängt. Das ist natürlich eine Masche. Die machen an diesen Stellen Druck, damit wir da unsere Leute konzentrieren und dann schlagen sie von woanders zu. Zugänge gibt es genug.”
“Klar, der Würfel hat sechs Seiten und überall grenzen andere Sektoren an.” Steuerte der Arbites dazu bei, um anzuzeigen, dass er aufmerksam zuhörte. Renold tippte auf dem Display herum und eine dreidimensionale Karte des Sektors erschien. Ein Wirrwar aus in sich verschachtelten Bereichen und Ebenen. Wenn man jedoch wusste, was man vor sich hatte, konnte man den grob würfelförmigen Aufbau des Sektors erkennen. Jede Ebene war in Sub- Ebenen unterteilt, die ihrerseits durch Wartungs- und Versorgungsebenen in der Horizontalen aufgeschichtet waren. In der Vertikalen waren die Ebenen in Sektoren gegliedert, die Mauern aus Stahl ummantelten Beton begrenzten. Dies sollte eine unkontrollierte Ausbreitung bei Bedrohungen wie Feuer oder Überschwemmungen eindämmen, aber auch die Verteidigung bei Invasion ermöglichen. “So ist es. Ausschließen können wir die, durch die sie sowieso schon gegen uns vorgehen und auch noch zwei andere. In den Sektoren sind Gleichgesinnte am Werk und wenn da was durchkommt, dann erfahren wir es. Im Norden liegt der Transitcanyon. Da hätten sie leichten Zugang, aber man kann ihnen das Leben auch ordentlich zur Hölle machen. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, sie kommen von oben oder aus Gelb-2. Was sie wollen, ist klar. Den Baneblade, wie ich vorhin schon gesagt habe. Sie werden kommen, früher oder später und das wird die Ratshalle zwei für sie.” Renold lehnte sich zurück und das Leder knarrte dabei.
 
“Das klingt ziemlich ambitioniert.” Sagte Cassian. “Ich meine, wie soll das überboten werden? Den Baneblade gegen die PVS wenden und ihn genauso für die Revolution einspannen, wie das Auto hier? Wohnhabs über ihren Köpfen zum Einsturz bringen? Verzeih mir, wenn ich das nicht so recht glauben kann." Er grinste ihn schief an. "Du hast mir vorhin erst erklärt, wie dringend Leute mit Dienst in der Armee gebraucht werden und wie wenige es von ihnen gibt. Dass ich möglicherweise Mitkämpfer in den Grundlagen ausbilden und anleiten soll, obwohl ich nie über den Rang eines Mannschaftlers hinausgekommen bin. Ich hoffe, du verzeihst mir, wenn das etwas träumerisch für mich klingt. Von dem, was ich bisher gesehen habe, sieht es für mich eher danach aus, als ob wir uns einen blutigen Häuserkampf liefern werden und darauf hoffen, dass ihnen vor uns die Puste ausgeht.“
“Denen geht nicht vor uns die Puste aus.” Erwiderte Renold bitter und seine bis eben noch so glühende Stimmung schien sich für einen Moment zu umwölken. “Wenn diese Schweine eins haben, dann sind es verblendete Marionetten, die sie uns entgegenwerfen können.”
“Und den Panzer gegen sie wenden?”
“Das wär was oder? Mit dem verdammten Eisenklumpen in die obere Ebene brettern und den Orsius, Siris und wie sie alle heißen, die protzigen Paläste unterm Arsch wegschießen.” So schnell wie die düsteren Schleier gekommen waren, verzogen sie sich auch wieder. Renold war eine richtige Frohnatur.
“Nein, das Ding fährt so schnell nirgendwo mehr hin. Aber vielleicht geht doch ein bisschen was. Wir sind gleich da, dann wirst du sehen. Ich fürchte, so wie du es ausgedrückt hast, schmälerst du meine Vision ein wenig. Eine Ratshalle Zwei wird es wohl nicht. Aber sicher auch ganz ordentlich.
Die Schweinchen werden kommen um ihr Spielzeug zu holen. Wir haben ihnen bis jetzt nur zivilen Widerstand geleistet. Handwaffen und Brandsätze und solche Kindereien. Es hat einige Anstrengung gekostet, diese Kulisse aufrechtzuerhalten. Viele wollten ihnen alles entgegenschleudern was wir haben, ihnen von Anfang an den Kampf ihres Lebens liefern. Aber dann hätten sie sich nach den ersten Verlusten genau darauf eingestellt und einfach mehr und schwereres Material herangekarrt.
Nein, nein, sie werden kommen um den Panzer zu holen und mit Pappschildern, Steinen und Flaschen rechnen. Wir aber stehen im Hinterhalt und geben ihnen ordentlich Zunder. Das wird ein Fest.”
Sie wurden langsamer und ein Blick aus dem Fenster zeigte, dass hier die allgegenwärtige Anarchie von etwas mehr Disziplin abgelöst worden war. Allgemein war es ruhiger als in der Nähe der Sektorengrenze, wo eine permanente Anspannung in der Luft zu hängen schien. Sie näherten sich einem Hindernis, dass man nur euphemistisch als simple Barrikade bezeichnen konnte. Es war eine regelrechte Wand aus Müll, Autos, Beton-, und Stahlstücken und sogar Sandsäcken, wie sie die PVS benutzten. Das ganze war mindestens sechs Meter hoch. Auf der Krone des Haufens brannten Feuer und waren Gestalten zu sehen, die Wache hielten. Eine Festung aus Unrat.
Erschreckend sinnbildlich, wie Cassian fand.
“Es geht nicht nur darum, möglichst viele Imperiale zu töten.” Dozierte der Prediger der Transzendenz weiter. “Wir müssen die Menschen aufwecken, ihnen eine Alternative zu ihren Unterdrückern geben. Reine Revolte bringt gar nichts. Nur gegen etwas zu kämpfen ist leicht. Bis man dann an dem Punkt ist wo der Kampf gewonnen ist. Dann zerfallen Revolutionen entweder oder sie werden zu dem, was sie ursprünglich bekämpft haben. All die Kämpfe die wir jetzt führen, sollen nur aufzeigen, dass der Unterdrücker nicht allmächtig ist, dass er geschlagen werden kann. Der eigentliche Krieg wird um die Herzen und den Verstand der Menschen geführt. Nicht mit Gewehren und Panzern, sondern mit Wahrheit und Begeisterung. Die Diener der dunklen Mächte versuchen es genauso und genau deswegen rennen ihnen so viele Menschen hinterher. Aber was bieten die Ihnen? Sex, Lustgewinn und den Hauch verbotener Geheimnisse.”
Der Arbites hörte weiter mit dem gespielten Ausdruck echter Begeisterung zu. Er achtete sogar darauf den Mund ein wenig offen stehen zu lassen. Faziniert von den Erkenntnissen, die ihm hier offenbart wurden und gleichzeitig nicht die hellste Kerze auf der Torte.
“Sehr schnell sehr schal, wenn man erst einmal in die Mogelpackung hineingeschaut hat. Götter und Dämonen”, er winkte ab. “Esoterischer Unsinn. Aber das soll nicht heißen, dass es nicht metaphysische Einsichten gibt, die über das Sichtbare und Offenkundige hinausgehen.” Sie waren ein Stück an der Mauer entlang gefahren und erreichten einen gewundenen Eingang. Hier gab es tatsächlich eine Maschinengewehrstellung und Männer und Frauen mit Schnellfeuerwaffen in Tarnanzügen, mit Helmen und Schusswesten. Sie passierten den engen Durchgang und gelangten dahinter in einen Bereich, der eine Mischung aus Baustelle und Kaserne zu sein schien. Die Wohnhabitate wurden genutzt und obendrein waren auf den Straßen Zelte errichtet worden, um mehr Personal unterbringen zu können. LKWs, hauptsächlich zivilen Ursprungs, waren mit Waffenkisten beladen.
“Man hat mir Geheimnisse anvertraut, die jenseits meines Begreifens waren und in Teilen noch immer sind. Die Transition, die große Veränderung, das ist nur ein Gleichnis. Viele von uns, selbst jene, die höhere Positionen in der Kirche bekleiden, verstehen es wortwörtlich. Ich auch am Anfang.
Aber es ist mehr als das.
Es kommt etwas.” Er blickte zur Wagendecke als könne er durch sie hindurch schauen. Durch das Automobil, die stählernen Ebenendecken, durch Wolken, Raum und Weite, in die unendliche Schwärze des Alls. “Etwas Gewaltiges, etwas Herrliches. Gott, Wesen, dass sind kleine, menschliche Begriffe für etwas, dass sich jeder sprachlichen Beschreibung entzieht. Die Allgewalt kommt nach Koron 3 und wir müssen uns als würdig erweisen.“ Er blinzelte und sah fast schon verlegen zu seinem Begleiter. Als wäre dem sonst so wortgewandten Renold seine kleine Ekstase peinlich lenkte er die Aufmerksamkeit auf etwas an dem sie vorbeifuhren.
“Schau da…” Man hatte eine Seitenstraße mit einer Plane überspannt und zu einem Hangar umfunktioniert. Im flackernden Licht einiger sprühender Funken arbeiteten mehrere Leute an einer Volar. Eines jener wendigen Propellerflugzeuge, die ein fähiger Pilot selbst im Inneren einer Makropole zu nutzen vermochte. Wie schon bei anderen Gelegenheiten fiel das schwarz-gelbe Rorschach Muster auf, welches als sonderbarer Tarnanstrich diente. “Nicht alles wurde beim Angriff auf die Halle in die Waagschale geworfen.” Erläuterte Renold. “Für unsere Sache sind uns von höherer Stelle ein paar der knappen Mittel zugeteilt worden.”
Einige hundert Meter weiter hielt der Wagen und sie stiegen aus. Die Luft war dick wie Sirup und stank nach einer pikanten Mischung aus unaufbereiteter Atemluft, verschütteten Betriebsstoffen, verfaulendem Abfall und defekter Kanalisation.
Kopfschmerz zum selber atmen.
Nebeneinander gehend führte der Sektenprediger seinen Begleiter durch die Zeltstadt. In einigen schliefen offenbar Leute, in anderen wurde Unterricht durchgeführt. Durch eine offen stehende Zeltklappe sahen sie einen Ausbilder, der seinen aufmerksamen Zuhörern das Funktionsprinzip und das Scharfmachen einer Richtladung erklärte.
“Du hast es vorhin schon richtig erkannt, wir brauchen Ausbilder. Noch mehr aber Kämpfer, die aktiv sein werden, wenn es hier losgeht. Wir können den Leuten zeigen, wie man ein Zwo- Einer benutzt und wie man einen Leman Russ ausschaltet. Aber wir brauchen Männer und Frauen, die die Kämpfer anführen. Wir können nicht alle Einheiten aus Soldaten, die zu unserer Sache stehen, aus ihren Trupps lösen, um Rekruten anzuführen. Die Soldaten werden im Großteil an anderer Stelle gebraucht. Darum wirst du und einige andere wie du, die Truppen im Kampf anführen. Nach dem Sieg oder wenn der Druck durch den Feind so stark wird, dass wir wieder in den Untergrund müssen, kommt dann der Aspekt der Ausbildung dazu. Während sie durch dieses offen feindliche Feldlager inmitten einer imperialen Makropole schritten, näherten sie sich einem wortwörtlichen Loch in der Ebene. Die Decke wies einen ungleichmäßigen Riss auf, wo ein wütender Riese seine Faust hindurch geschmettert zu haben schien. Zerfetzte Kabel, verdrehter Stahl und tropfende Leitungen. Der direkt darunter liegende Hab.Block hatte auch etwas abbekommen, war wohl aber nur touchiert worden. Schließlich endete die gut nachvollziehbare Flugbahn in einem Krater. Die Kraft hatte sich bis hierher aufgebraucht und das fallende Objekt seine Reise durch die Ebenen beendet. Die Aufständischen waren fleißig gewesen. Sie hatten Schutt und Trümmer geborgen und so gewann man einen relativ freien Blick auf das Zentrum des Kraters. Sein Zorn steckte im Boden, als hätte man diesen für die Sekunde seines Aufpralls in Schlamm verwandelt und danach wieder erstarren lassen. Beachtlich, dass alles allein durch kinetische Energie geschehen war und noch sehr viel beachtlicher, dass der Superpanzer es in diesem Zustand überstanden hatte. Gewiss, er war in Mitleidenschaft gezogen worden, obendrein hatten die Aufständischen schweres Gerät gebraucht, um die Zugangsluken zu knacken und ins Innere vorzudringen.
An einem Baukran hing eines der überdimensionalen Geschosse.
“Wir sind zuversichtlich, diese kleinen Schätzchen nutzen zu können. Einige unserer ambitionierten Mitstreiter sind der Meinung, das Hauptgeschütz wieder in Gang zu kriegen und abfeuern zu können, wenn sie kommen um ihr Spielzeug zu bergen. Wir schaffen aber auch ein paar Geschosse weg, um sie anderweitig einzusetzen.” Er wollte noch weitere Erklärungen nachschieben, als ein Kommunikationsgerät in seiner Tasche klingelte. Er fischte das Gerät heraus und klappte es auf.
“Ja?” Unverständliches Gewisper aus dem kleinen Lautsprecher. Renold sah Cassian entschuldigend an und humpelte dann zwei Schritte von ihm weg. Nicht dass das verhindert hätte, dass er zumindest die diesseitig gesprochenen Worte hören konnte.
“Nein, ich bin vor Ort.
Im Lager bei der Absturzstelle.
Ja… mit einem neuen Rekrut.
Als möglicher Unterführer denke ich.
Nein, hat er nicht gesagt.
Achso?
Wann?
Das ist fabelhaft.
Gut, ich bin gleich da.
Ja, genau.
Bis gleich. “
Renold klappte das Gerät zu und grinste seinen Begleiter an. “Es hat sich etwas Tolles ergeben. Du wirst Soraya kennenlernen können. Sie koordiniert die ganze Aktion um den Panzer herum. Eine tolle Frau, du wirst begeistert sein.
Ähm, hör zu, ich muss noch mal kurz weg, mich mit einigen Leuten treffen. Sieh dich um, lass dir, wenn du magst, dahinten eine Waffe geben.” Er zeigte auf irgendein Zelt und war schon halb dabei, zu dem beschädigten Wohnhab zu hinken.
“Komm in zwanzig Minuten da hin.” Jetzt fuchtelte er zu dem Hab, welches scheinbar auch sein Ziel war.
“Unten ist das Lounge Light. Kannst du gar nicht verfehlen. Wir treffen uns da.”
Und weg war er. Der Arbitesagent stand faktisch unbeaufsichtigt im Herz der Revolte auf dieser Ebene.
 
Der Arbites nutzte die Gelegenheit die so bereitwilligen Einblicke aufzusaugen wie ein Schwamm. Er konnte sein Glück kaum fassen und genau das machte ihn Argwöhnisch. Gut möglich das Renold so vertrauenswürdig war wie er tat, aber vielleicht war dies auch nur eine weitere Prüfung seiner Loyalität. Wie hieß es? Vorsicht hält das Imperium zusammen. Aus einem der Waffenlager griff er sich eine Schrotflinte. Kein Vergleich zu dem, was seine Profession ihm sonst zugestand, aber besser als nichts. Danach bewegte er sich durch das gesamte Lager. Mal mit zielstrebigem Schritt, als habe er eine unaufschiebbare Aufgabe zu erledigen, dann wieder schlendernd, als ginge ihn das ganze Ringsherum nichts an. Er sprach einen Mann an, der so aussah, als ob er Wachdienst versehe. Cassian stellte sich ihm als Neuling vor, der von Bruder Renold rekrutiert und gerade für zurückgelassen worden war und wissen wollte, wo denn die Essensausgabe, Unterkünfte und Toiletten waren. Nur für den Fall, dass er hier untergebracht werden würde. Fressen, scheißen, schlafen waren schließlich die drei Grundbedürfnisse, die man immer hatte, egal für wen oder was man kämpfte. Der Kämpfer gab ihm eine knappe Beschreibung, Cassian bedankte sich eifrig und beide zogen wieder ihrer Wege. Er hatte einen geschwätzigeren Vertreter erhofft, der sich ein bisschen was aus der Nase ziehen ließ. Aber scheinbar war Renold die Ausnahme von der Regel. Auf dem Weg zu den drei Bereichen der Bedürfniserfüllung musste er praktischerweise einmal quer durch das Lager und zurück laufen und konnte sich einen ersten Überblick über die Anzahl der Zelte, die Art des Personals und den allgemeinen Aufbau machen. Er beobachtete, analysierte, zählte und kalkulierte wie ein auf Hochtouren laufender Logikverabreiter. Ein, zwei Mal sahen ihn Leute fragend an. Wunderten sich vielleicht über das fremde Gesicht oder einen allzu neugierigen Blick. Aber sein Auftreten und seine Statur schienen zu genügen, ein gebotenes Nachfragen im Keim zu ersticken. Cassian beendete seinen kleinen Rundgang grob nach zwanzig Minuten und begab sich dann in Richtung des Hab, zu dem auch Renold schon gegangen war.
Das Lounge Light war ein absonderlicher Ort.
Nicht per se wegen seiner reinen Funktion. Eine Bar, wie es derer tausende in der Hauptstadt des Planeten gab. Etwas gehobene Preisklasse, aber erschwinglich genug, dass der gewöhnliche Arbeiter seinem Date einen Mystic Moonlight oder einen Crimson Desert ausgeben konnte und gönnerhaft wirkte, ohne sich zu ruinieren.
Schummrig, eine Idee Anrüchigkeit, ohne schäbig zu sein.
So war es zumindest mal gewesen. Als Cassian jetzt durch den Eingang trat und in den Nebeldunst aus Zigarren-, LHO-, Zigaretten,- und Pfeifenrauch eintauchte, zeigte sich ein merkwürdiges Bild. An den Stühlen saßen die Horden der selbsternannten Freiheitskämpfer. In ihrer paramilitärischen Uniformlosigkeit, die nur dann und wann von den gelb-schwarzen Muster unterbrochen wurde, welches sich die Rebellen als Symbol ihrer Sache auserkoren zu haben schienen. Einige aßen aus Feldgeschirr, andere reinigten ihre Waffen, wieder andere spielten Karten oder diskutierten Lautstark. An die einstige Sauberkeit und Ordnung, die hier sicherlich geherrscht hatte, erinnerte kaum noch etwas. In einer Ecke stapelten sich Versorgungskisten, in der anderen zerschlagene Tische und Stühle. Die Flaschen, dereinst gewiss säuberlich hinter dem Tresen aufgereiht, standen auf den Tischen oder lagen leer in der Gegend herum. Dort wo ein Spiegel oder ein großes Bild hinter der Bar gehangen hatte, prangte jetzt die nackte Wand, auf die das Symbol der Transformationssekte gesprüht worden war.
Einzig leidlich unberührt vom Durchgangsverkehr und dem mangelnden Enthusiasmus des Putzpersonals, schien die kleine Bühne zu sein. Nur das vergessene Bierglas auf dem dort stehenden Piano und die in Teilen abgerissene Kreppverkleidung rings um die Bühne passten in das restliche Bild.
Cassians Eintreten wurde von niemandem wirklich bemerkt. Er selbst brauchte einige Sekunden um den Prediger zu entdecken. Er saß mit einem Mann und einer Frau an einem runden Tisch und sie unterhielten sich lebhaft mit einer weiteren Person, die neben ihnen stand. Alle hatten alkoholische Getränke vor sich. Nachdem sich der Arbitesagent einen Weg zu der Gruppe gebahnt und überschwenglich von dem Prediger begrüßt worden war, stellte Renold ihn den anderen vor.
“Das hier ist Oleg und das hier Liux. Neuzugänge wie du.” Die beiden nickten ihm zu. Die Frau hatte widerspenstiges, blondes Haar, was wie ein Getreidefeld aussah, durch das der Sturm gefegt war. Narben auf ihrem Gesicht deuteten an, dass ihr Lebensweg einige Schlaglöcher gehabt hatte. Sie trug eine abgenutzte Armaplastweste und an ihrem Stuhl hing ein Lasergewehr.
Oleg war ein nervöser Typ mit zu großer Uniform in der Farbe von Senf. Nichts Militärisches wie es aussah oder wenn dann eher Arbeiterbrigade oder paramilitärischer Dienstleister. Das spitze Gesicht des Mannes und die kleine, randlose Brille verliehen ihm das Aussehen eines Nagetieres.
“Auch sie werden Kommandos übernehmen, wenn es soweit ist.
Willst du etwas trinken?” Er winkte einen jungen Burschen, eigentlich noch ein Kind, mit einem Rollwagen voller Flaschen herbei. “Nimm dir, mein Freund.
Geht alles auf den Gouverneur.” Er lachte.
Dann ging unvermittelt das Licht aus.
Das war offenbar nichts Ungewöhnliches, denn die Gäste schienen sich nicht durch die plötzliche Dunkelheit stören zu lassen. Durch die schmutzigen Fenster fiel ein wenig Flutlicht von draußen und ein trüber Spot war auf die Bühne gerichtet. In dem Schein kräuselte sich der tanzende Tabakrauch.
Gestalten erschienen auf der Bühne und stimmten ihre Instrumente. Der Mann, der am Piano Platz nahm, ließ die Fliegenfalle von leerem Bierglas gegen ein gefülltes austauschen und klimperte ein paar Akkorde.
Neben dem Piano ließ sich aus halbdunklem Schemen und lethargisch heranschwimmenden Noten ein ätherisch summender Harmonbass erkennen. Außerdem eine wimmernde Smybo und das elektronisch gezupfte Tropfen einer Lichthafe. Letztere schickte ihre gefächerten, grünen Kontaktlaser wie Lanzen in den blauen Dunst. Im atonalen Durcheinander fanden die Töne zueinander, begannen sich zu umkreisen und aufeinander zu antworten.
Eine melancholische Melodie entstand, die die Gespräche im Raum nach und nach verstummen ließ. In den See aus träge miteinander tanzenden Noten sprang ein einzelnes Wort und schwamm zu den Zuhörern herüber.
Das Wort war “Einsamkeit”. Es wurde mit gesetztem Applaus aus den Reihen des bis an die Zähne bewaffneten Publikums beantwortet. Hätte man eine Assoziation bemühen müssen, um diese Stimme zu beschreiben, so vielleicht das Bild von zimmerwarmen Whisky, der sich über Eis erstürzte und dieses mit sanfter Vehemenz schmolz.
Die Einsamkeit, von der da gesungen wurde, war eine, wie sie Liebe zu einer einzelnen Person nicht lindern konnte. Die Sängerin hatte es versucht, so berichtete sie. Mit Männern und Frauen, doch die Einsamkeit blieb.
Das Spotlight fand sie und entriss sie dem Dunkel. Eine Frau in einem schwarzen Cocktailkleid, mit Pailletten besetzt, die funkelten, als trüge sie ein Stück geschneiderte Nacht. Ihre langen Hände steckten in schwarzen Handschuhen und traumwandlerisch schwebte sie auf den hohen Absätzen ihrer gewagten Stöckelschuhe einher. Ihre Haut war weiß wie Milch und blendete vor dem Kontrast ihrer Garderobe geradezu. Von ihrem Gesicht lenkten keine störenden Haare ab, die als Rahmen selbst um Aufmerksamkeit geheischt hätten. Stattdessen bildete ein kunstvoll hoher Stehkragen den Hintergrund für ihr Alabastergesicht. Die Wangen hoch, die zierliche Himmelfahrtsnase, eine angedeutete Mischung aus Arroganz und Kindlichkeit. Die Augen schienen im Gegenlicht schwarze Opale zu sein, beschattet von ungewöhnlich langen Wimpern. Schwarz gefärbte Lippen schwebten im Weiß ihres Gesichts und sang von der einzig wahren Heilung für die krankhafte Einsamkeit.
Nur in der Gemeinschaft mit Gleichgesinnten konnte das Verlangen nach verwandten Seelen gestillt werden. Die Verbindung zwischen Liebenden war leer, die Liebe zwischen Vielen war wahr.
Sie endete, mit nachdenklich gesenktem Blick, die langen Finger um das Mikrofon geschlungen wie Käferbeine. Applaus brandete auf, in den sie ab und an ein verschämtes “Dankeschön” hauchte. Sie dankte den Anwesenden für ihr Hiersein und stimmte ein zweites Lied an. Es handelte von einem Jungen, der in der Gasse verblutete. Niedergeworfen von der Kugel eines Soldaten, der unter der Atemschutzmaske kein Gesicht hatte. Wer aber kein Gesicht hatte, konnte auch nicht in den Spiegel schauen.
“Das Blut auf dem Asphalt gerinnt. Dort liegt des Zornes jüngstes Kind. Was nicht sein darf, das muss nun sein. Aus der kalten Hand, nimm den noch warmen Stein.”
Dem folgte ein weiterer Schmachtfetzen, ein zeitloser Gassenhauer der mittleren Ebene. “Annabell schenk mir ein Lächeln.” Zum Abschluss dann ein umgedichtetes Soldatenlied, das die Streitkräfte verhöhnte. “Wir sind vom Idiotenclub und stellen wieder ein. Wir nehmen Weib und Männlein gern, nur blöde müsst ihr sein. Bei uns herrscht die Parole: Sei dämlich bis zum Tod! Und wer den größten Schaden hat, wird Oberidiot. Muss der Gefreite sterben, dann hat er leider Pech, Metall braucht man für Orden, für Särge bleibt kein Blech. Das funkelt, an der Brust des stolzen Adelspack. Gefreiter sei nicht traurig, für dich haben sie nen Sack.”
Der Saal tobte. Sie grölten, applaudierten, lachten und johlten. es war ein wunder, dass niemand Löcher in die Decke ballerte. Die Sängerin ließ sich einige Minuten auf der Bühne feiern. Jemand reichte ihr einen Drink und eine Zigarette in einer Rauchspitze. Während sie von der Bühne herunter schritt, überschlugen sich die Anwesenden, um ihr Feuer zu geben.
“Sie ist so großartig, so großartig.” Renold war ganz aus dem Häuschen. “Falls ihr es noch nicht erraten habt, das ist natürlich die göttliche Soraya. Ist sie nicht großartig?”
Eine interessante Szenerie spielte sich jetzt ab. Im Grunde wiederholte sich die Situation im Konferenzraum des Hotels. Aber Renold schien das nicht zu bemerken. Wie er noch vor nicht einmal zwei Stunden, schritt jetzt diese Frau durch die Reihen, machte hier und da Smalltalk oder blieb für ein oder zwei Sätze mehr an einem Tisch stehen. Inzwischen hatte ihr jemand eine Pilotenjacke um die Schultern gelegt, da es für ihre Garderobe doch ein wenig kühl war. Die etwa eine Nummer zu große Jacke war eher eine raffinierte Ergänzung ihres Outfits, als eine Störung.
Schließlich kam sie auch zu ihrem Tisch. Renold erhob sich umständlich und schon von weitem streckte Soraya die Arme aus, als wolle sie ihn über die Entfernung an ihren Busen drücken.
“Renold!” Der tat es ihr gleich und legte den Kopf dabei schief, grinsend wie ein Honigkuchenpferd.
“Eine tolle Show, meine Liebe.” Sie winkte ab und schloss ihn in die Arme.
“Ach das bisschen Gekrächze. Wie geht es deinem Bein?”
“Jeden Tag besser. Kann dem Gouverneur bald wieder in den Arsch treten.”
“Ich halte ihn mit größtem Vergnügen für dich fest.” Sie lachten.
“Wie sieht es an der Grenze aus? Ist es bald soweit?”
“Morgen vielleicht, eher übermorgen. Sie ziehen immer mehr Kräfte zusammen. Viel mehr als man braucht um nur die Demonstrationen an den Ebeneneingängen zu bekämpfen.”
“Ich bin aufgeregt wie ein Schulmädchen.” Dann blickte sie zu Cassian und seinen neuen Spießgesellen.
“Und wen haben wir hier?” Sie hielt dem Burschen die Hand hin, der kurz zu überlegen schien, ob er sie küssen sollte. Dann schüttelte er sie aber doch unbeholfen.
“Neuzugänge. Ich werde sie als Truppführer in der zweiten Linie einsetzen. Alle mit Kampferfahrung.”
“Wie schön.” Säuselte sie und gab auch der Frau die Hand. Schließlich kam Cassian an die Reihe, während sie noch immer zu Renold sprach.
“Sie sind noch kein Teil der Familie?” Das war mehr eine Feststellung als eine Frage. Sie ließ die Hand des Arbietes nicht los. Für so zierliche Finger wohnten diesen eine beachtliche Kraft inne. Außerdem war da etwas in ihren Augen. Sie waren so schwarz und tief.
Auch diese abgründigen Augen konnten Finger aussenden, die über Cassians Gehirn krabbelten. Nicht metaphorisch, denn er konnte es tatsächlich spüren. Trippelnde kleine Fingerkuppen, die seine Hirnrinde entlang huschten und nach einer Falte, einer Unebenheit suchten, in die sie Nägel stecken und kratzen und hebeln konnten. Eine Lücke schaffen, einen Eingang um hinein zu schlüpfen und dann Geheimnisse und Unausgesprochenes zu ertasten.
“Ich habe sie alle getestet und sie scheinen mir integer genug zu sein, um der Sache zu dienen. Danach kann man sie immer noch tiefer in die Strukturen einweihen. Wir müssen momentan jede fähige Hand ergreifen, die sich uns hinstreckt um zu helfen.”
Entgegen dieses Sinnbilds ließ Soraya die Hand des anderen ebenso los wie seinen Verstand.
“Natürlich vertraue ich deinem Urteil voll und ganz Bruder. So wie immer.” Ihr Lächeln war das eines scheuen Rehs, ihre schwarzen Augen sprachen von Vielem, aber nicht von Vertrauen.
“Ich werde den heutigen Abend noch genießen und dann eine große Lagebesprechung anberaumen. In sechs Stunden denke ich. Es wäre schön wenn du auch dabei wärst, mein Lieber.” Das sagte Renold natürlich zu, auch wenn seine Beteiligung keine Sache von Freiwilligkeit zu sein schien. Die drei Neuzugänge waren natürlich für eine solche Beredung nicht zugelassen, wie Renold ihnen erklärte, nachdem Soraya sie wieder verlassen hatte und weitergezogen war. Sie würden ihr eigenes, heruntergebrochenes Briefing morgen Vormittag bekommen. Dann würden sie auch ihre Gruppen zugewiesen bekommen. Natürlich, so beteuerte Renold, hätte er sich gewünscht, wenn sie mit den Kämpfern hätten üben und sie kennenlernen können. Da dies in Anbetracht der Umstände aber nicht gehen würde, mussten sie das Beste aus der Lage machen.
Er machte ihnen klar, dass der zu erwartende Angriff eine heftige Sache werden würde. Sie hatten nicht vor, in den Tod zu gehen, gleichwohl war dieser, wie auch schwere Verwundung, eine mehr als reale Option.
Er riet ihnen daher, den Abend so zu verbringen, als wäre es ihr letzter. Denn das konnte durchaus sein.
 
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Wieder ein kahler Kopf. Wieder schwarze Augen. Das Muster wiederholte sich einmal mehr. Wie schon bei den Kämpfern in der Ratshalle und denjenigen, die auf der Straße Terror verbreitet hatten. Gut, die Frau sah nicht so degeneriert aus, wie das Gesocks was er bisher gesehen hatte, war sogar sehr attraktiv, wenn man von dem Chemotherapiekopf absah, aber sie schlug dennoch in die selbe Kerbe. Es schien fast so, als ob man die ganze Bande aus dem selben Labortank gezogen hatte, auch wenn die meisten wohl eher in die Kategorie "Laborunfall" gehörten. Oder sie waren alle Schwippschwager voneinander und der gemeinsame Stammbaum war ein Kreis. Das würde zumindest die ganzen Mutationen erklären und den Staatsorgangen erlauben einmal ordentlich auszukehren. Die Musik hatte ihn wenig berührt. Mit solchen Dingen stachelte man die leicht Beeinflussbaren auf und zu denen zählte er nicht. Cassian hatte sich für etwas Dreistigkeit entschied und war auf seinem Stuhl gefläzt sitzen geblieben. Er war schließlich als aufsässiger Regelbrecher hergekommen und nicht um sich vor dem nächsten Bühnenzauberer in den Staub zu werfen. Es war einen Rebellion, also musste man rebellieren.
Dann spürte er schwach, wie etwas sich an seinem Kopf zu schaffen machte. Nein! In seinem Kopf! Verdammte Hexe! Die Sängerin hatte versucht ihn einzulullen, wenn nicht sogar zu hypnotisieren, um dann seinen Verstand zu durchforsten. Was ein durchtriebenes, kleines Miststück. Zum Glück war er Mitglied des Arbites und nicht von so einer Amateurtruppe wie der PVSP. Die Jagd auf unsanktionierte Psioniker und ihre Festsetzung bis zur Ankunft der Schwarzen Schiffe fiel in ihren Aufgabenbereich und der Arbites gab sich Mühe seinen Mitgliedern Schutz vor den heimtückischen Angriffen der Hexen zu bieten. Für einen sorgsam aufgebauten Gedankenschild blieb keine Zeit, wo er jetzt schon ihre kleinen Finger über sein Gehirn tanzen spürte. Immer auf der Suche nach einer Lücke, um sich reinzubohren und nach Geheimnissen zu wühlen. Also würde es jetzt auf reinen Willen hinauslaufen. Ein Glück, dass im Arbites willensstarke Menschen präferiert und darauf gedrillt wurden ihn sich zu Nutze zu machen. Cassian konzentrierte sich vollkommen auf die tastenden Finger und ließ vor ihnen Fallgitter aus reiner Willenskraft krachend herunterschnellen, die sie zurückzucken ließen. Er spürte, wie die Finger kurz zögerten, wie sie einen Sekundenbruchteil darüber grübelte, was dies zu bedeuten hatte und dann huschten sie wieder los auf der Suche nach einem weiteren Zugang los. Weitere Fallgitter schnellten herunter, blockierten mögliche Zugänge und igelten Cassians Gehirn Stück für Stück gegen den psionischen Angriff ab. Die Methode war natürlich alles andere als unfehlbar. Gegen ein oberflächliches Eindringen bot sie etwas Schutz, aber da diese geistigen Schutzwälle spontan aufgeworfen wurden, gab es viele tote Winkel über die trotzdem eingedrungen werden konnte, wenn sich ein Psioniker ein bisschen Zeit nahm. Das gute war, dass es so gut wie gar nicht erkennbar war, ob er hier Antipsionikertraining angewandt hatte oder nur einen äußert starken Willen und eine gewisse Empfänglichkeit für das Erspüren von Warpeinflüssen besaß. Wenn er mehr Zeit und Vorwissen über Soraya besessen hätte, wäre er anders vorgegangen. Ein sorgsam aufgebautes Gedankenschild, der den Verstand wirklich komplett absicherte. Gegen einen halbwegs begabten Psioniker bot dies natürlich immer noch so gut wie keinen Schutz, aber das Risiko auf einen wie diesen zu treffen, war statistisch äußert gering. Das Problem war eher, dass auch ein unausgebildeter, schwacher Psioniker oder ein oberflächliches Abtasten seines Verstandes jedem Warpanwender zeigen würde, dass Cassian spezielles Training erhalten hatte. Und in einer paranoiden Truppe wie dieser hier war das gleichbedeutend mit seiner Aufdeckung. Er musste sich also genau überlegen, ob er bereit war dieses Risiko einzugehen, wenn er mit Soraya, oder Imperator behüte, weiteren Leuten wie ihresgleichen hier klar kommen musste. Äußerlich merkte man den Beiden ihr Willensduell nicht an. Soraya hatte immer noch ihr zuckersüßes Lächeln aufgesetzt und hielt ihr Schwätzchen mit Renold, während Cassian sie so ausdruckslos anstarrte, wie er das bereits mit seinen Sitznachbarn getan hatte. Dann spürte er wie ihre Gedankenfinger seinen Verstand verließen und er hoffte, dass sie keine Informationen aus seinem Hirn hatte ziehen können. Zumindest ihrer jetzigen Unverschämtheit hatte er etwas entgegensetzen können. Der Kampf hatte nur wenige Sekunden gedauert und sich doch unendlich gezogen. In Zukunft würde er in ihrer Nähe vorsichtig sein und sich vorbereiten.
Soraya selbst war soeben auf eine neue Liste gewandert. Sie war kein Fall für die Abschusslisten des Arbites mehr. Sie war jetzt auf seiner persönlichen Abschussliste. Das Risiko war zu hoch, dass sie davonkommen würde, wenn höhere Stellen im Arbites sich irgendwann einmal um sie kümmern mussten. Dafür waren die Listen zu lang. Musste sich um zu viele Verräter gekümmert werden. Das hier war seine Last, die er zu tragen hatte und mit der er vielleicht das Blut des Mordes an dem PVS Soldaten etwas wegwaschen konnte. Er warf Renold einen kurzen Seitenblick zu, der Soraya immer noch dümmlich anlächelte. Den Prediger konnte er dann gleich mit beseitigen. Vielleicht seid ihr dann im Tod vereint, denn im Leben wird das für dich alten Narren nichts! Nachdem Renold ihnen erklärt hatte, wie es morgen ablaufen würde und welche Gefahren ihnen bevorstanden verabschiedete er sich und zog von dannen. Scharwenzelt wahrscheinlich wieder um Soraya herum! Am Tisch herrschte betretenes Schweigen, hatten sie bisher doch kein einziges Wort gewechselt, sondern nur den Vorträgen anderer gelauscht. Cassian hätte sich am liebsten schon jetzt zurückgezogen und seine Ausrüstung für den nächsten Tag vorbereitet. Aber vielleicht ließ sich etwas aus den anderen beiden herausbekommen. Sie steckten ja anscheinend auch noch nicht in dieser "Familie" mit drin. Das war auch noch etwas was er herausbekommen musste. Was sich hinter dieser Familie verbarg. Und zwar am besten bevor sie ihn dazu baten ihr beizutreten, denn dann war ein Ablehnen wahrscheinlich nicht mehr möglich. Außerdem hing er an seinen Haaren und die schienen Familienmitglieder nicht mehr zu besitzen, wenn er sich Soraya und Renold so anschaute und an die bereits getöteten Aufständischen dachte. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, ließ den Blick einmal durch den Barraum schweifen und ergriff dann das Wort. "Hat einer von euch vielleicht ein Kartenspiel dabei? Sonst kann man sich ja hier nur volllaufen lassen. Und verkatert in den Kampf ziehen ist jetzt nicht so meins. Muss wohl die Restdisziplin aus der PVS sein... Wie hat es euch denn hierher verschlagen?"
“Karten?” Der rattengesichtige, Oleg, wie Cassian sich erinnerte, blinzelte und schien seine Tischbeisitzer zum ersten Mal wirklich wahrzunehmen. “Wie kann man in einem solch erhabenen Moment an Trinken und Glücksspiel denken?” Das die Männer und Frauen an den anderen Tischen genau dies im Übermaß taten, schien er nicht zu sehen oder nicht sehen zu wollen. “Wir stehen am Rand gewaltiger Ereignisse, großer Dinge, weltumspannender Umstürze und und… gewaltiger Ereignisse.”
“Die hattest du schon.” Warf die Frau eine, leckte sich über die Fingerspitzen und versuchte eine besonders widerspenstige Haarsträhne auf diese Weise an ihrem Kopf festzukleben.
“Bitte?”
“Die gewaltigen Ereignisse… nimm doch… ich weiß nicht… monumentale Umwälzungen.”
“So ist es… Umwälzungen und gewaltige Ereignisse. Morgen werden wir eine Schlacht ausfechten, die der Auftakt zum endgültigen Sieg des Guten und Wahren sein wird.”
“Oh liebe Leut. Brummte Liux.”
Oleg, der drauf und dran gewesen war, sich in eine Rede zu stürzen, fühlte sich von dem Mangel an Begeisterung an diesem Tisch ganz offensichtlich beleidigt und sank in seinem Stuhl und seiner Uniform etwas zurück, wie ein schmollendes Kind. Dies ließ ihn nun nicht länger wie ein Nagetier aussehen, sondern wie eine Schildkröte, die den Kopf einzog.
“Der Mann wollte keine weitere Ansprache, sondern er will wissen, wie es dich hier her verschlagen hat.”
“Verschlagen, verschlagen.
Verschlagen tut es einen Vagabunden, der die Ebenen wechselt, um besser betteln zu können. Mich hat es nicht verschlagen. Mich hat die Vorsehung an diesen Ort gebracht, um das gute Werk dort fortzuführen, wo ich gebraucht werde.”
“Braucht man das?”
Oleg vernahm den Spott nicht und streckte den Kopf wieder aus seiner Uniform.
“Ich war in der Außenverteidigungsbatterie 88-2. Ich habe den Schwarm der Freiheit gesehen, als er auf die Kuppel der verdammten Ratshalle zuhielt. Hunderte waren das. Der Himmel war regelrecht schwarz von ihnen. Flugzeuge, große und kleine. Von ganz Koron waren sie gekommen und der Schlange der Unterdrückung den Kopf abzuschlagen. Unser Schichtleiter hat gebrüllt wir sollen feuern und dieses Wunder der Entschlossenheit vom Himmel fegen.
Wie hätte ich gekonnt? Wie hätte man die Hand gegen eine solch Zurschaustellung von Freiheitswillen erheben können?”
“Verschluss auf, Granate rein, Verschluss zu, Ohren zuhalten?”
“Was?” Speichel flog von den Lippen des Burschen, als er sich Liux frecher Bemerkung zu drehte.
“Ich mach nur Spaß Kleiner. Ihr habt also nicht geschossen.”
“Nein. Mein Brigadeführer war ein Widerstandskämpfer und ein paar andere auch. Sie haben keinen Finger gerührt und als der Schichtleiter seine Pistole gezogen hat, um seinem schändlichen Befehl Nachdruck zu verleihen, da hat sich Björn, also der Schichtleiter, einen Handspanner gegriffen und sich auf den Elenden gestürzt.”
“Und ihn erschlagen.”
“Nein, der Schichtleiter hat ihn erschossen. Direkt in den Kopf. Ich stand neben dem Schichtleiter und konnte es nicht fassen. Ich bin ihm in den Arm gefallen und habe ihm die Pistole entrissen. Ich hatte bis dahin noch nie einen Menschen erschossen. Wir haben mal auf Luftpiraten gefeuert, aber nicht so… nicht so direkt.”
Oleg starrte ins Nichts, als erlebte er die Ereignisse, von denen er berichtete, noch einmal. Halb in fanatischem Taumel, halb von der Ungeheuerlichkeit seiner eigenen Tat verschreckt.
“Der Kerl hatte den Tod verdient. Er war ein Normschrubber und Menschenschinder. Ich hatte die Waffe und die zwanzig Männer und Frauen sahen zu mir. Die Leute von Björn genauso wie die anderen.
Was sollen wir tun Oleg? Hat einer gefragt. Draußen waren die Motoren der Flieger fast so laut wie das Heulen der Sirenen.
Sollen wir feuern?
Und ich hab nein gesagt. Lasst sie durch. Die Leute von Björn haben gejubelt und mir auf die Schultern geklopft. Ein paar der Anderen sind auch bei uns geblieben, der Rest abgehauen. Feiglinge. Wir sind dann rüber zu 88-3 und haben dafür gesorgt, dass sie auch aufhören zu schießen.”
Liux blickte verstohlen zu Cassian, um von seinem Gesicht abzulesen, wie er auf diese Geschichte reagierte. Aber genauso gut hätte sie versuchen können, von einem Backstein Regungen zu deuten. “Danach haben wir uns durchgeschlagen. Überall war PVS und Arbites. Wir mussten kämpfen und hatten ja kaum Waffen. Ein paar Brüder und Schwestern der Transitionsisten haben und dann geholfen. Schließlich haben wir ein Safehaus erreicht und sind von da aus untergetaucht. Jetzt bin ich hier, um endlich etwas zu ändern. Es muss sich was ändern, da draußen. Die Menschen werden niedergedrückt und mit immer mehr Steuern belastet. Soldaten werden gegen die eigenen Leute oder unsere Brüder aus Truzt und Huncal gehetzt. Wir müssen uns endlich zusammenraufen und… und.”
“Jaja…” beschwichtigen ihn Liux, bevor er sich in eine weitere Rede steigerte.
“Es passiert ja was Kleiner. Morgen werden wir der Schlange den Schwanz abschlagen.”
“Den Kopf.”
“Ja, den auch.”
“Ich finde,” giftete Oleg und stieß seinen Zeigefinger gegen die Frau, “dir fehlt ein wenig der Ernst für die Lage. Ich dachte, du bist auch hier, um gegen das Regime zu kämpfen und Koron zu befreien.”
Liux ließ sich durch den überdrehten Revolutionär und Flakhelfer nicht aus der Ruhe bringen. Sie lehnte sich zurück, ließ die schweren Armeestiefel auf die Tischplatte krachen, dass eine leere Flasche umfiel und lehnte sich zurück. Das die Laserpistole in ihrem Oberschenkelhalfter dabei direkt auf Oleg zeigte, war vielleicht nur Zufall.
“Ich bin hier wegen der Revolution. Wegen der Revolution und wegen der Freigetränke.” Sie nahm einen Schluck aus der Flasche. Oleg sprang auf, was bestimmt eindrucksvoller gewesen wäre, wenn der Stuhl nach hinten umgekippt wäre. Er kippelte jedoch nur und fiel dann wieder nach vorn.
“Ich werde den Abend vor dem Anbruch eines neuen Zeitalters nicht in Gesellschaft von jemandem verbringen, dem die Trageweite unserer Sache nicht bewusst ist. Ich gehe zu richtigen Freiheitskämpfern. Kommst du mit?” Er blickte zu Cassian.
Mit Liux oder Oleg mitgehen, dass war jetzt die Frage. In seiner Ausbildung hätte man ihm befohlen sich an den Neurevolutionär zu heften. Der Mann schien zwar von den meisten Dingen keine Ahnung zu haben, aber vielleicht würden sie zufälligerweise über interessante Personen stolpern. Cassian zweifelte aber stark daran. Die meisten waren zum Feiern hier und dieser moralinsaure Amateur wirkte auf die Meisten vermutlich abschreckend. Außerdem hatte er heute schon einige interessante Kontakte geknüpft und man sollte sein Glück nicht überspannen, wenn es einem hold war. Nicht dass man ihn dann doch für einen Schnüffler hielt. Liux half ihm bei der Entscheidung.
“Der Große hat meine Lebensgeschichte noch nicht gehört. Ich schicke ihn danach zu dir. Dann könnte ihr euren Schlangen die Köpfe abdrehen.”
Oleg funkelte die Frau an und schien zu überlegen, ob er die Konfrontation weitertreiben sollte. Aber entweder entschied er, dass sie letztlich ja doch alle auf der selben Seite standen oder ihm ging auf, dass er neu im Mord-für-die-Freiheit Geschäft war und Liux den Eindruck machte, mehr Berufserfahrung zu haben. Er ging.
“Verbissenes kleines Scheißerchen. Dachte der haut nie ab."
„Ja, konnte mir sein Geschwätz nicht mehr lange anhören. Mir tun die Jungs und Mädels, die er morgen rumkommandieren wird, ein bisschen leid. Wenn die auf die Armee treffen, wird es ein Blutbad geben. Naja, sie werden wohl früh genug erkennen, was für eine Pfeife er ist und die richtigen Schlüsse ziehen. Egal… lass mal hören"
“Du willst wissen, warum eine feine Dame wie ich in so einem Schuppen landet?” Sie nahm noch einen Zug aus der Flasche. “Keine Ahnung, um ehrlich zu sein.
Erst habe ich einer Armeeeinheit angehört. Die wurde dann zur Söldnereinheit und die wiederum zur Piratenbande. Wir haben uns auch beim Imperium bedient und auch schon mal einen von denen kalt gemacht.
“Passiert.”
“Genau. Wenn man einen kleinen Außenposten überfällt, dann kümmert das keinen und es bringt das Imperium nicht ins Wanken. Wir konnten dann immer zur nächst größeren Welt fliegen, uns als Söldner ausgeben und die Ware verscherbeln. Das lief eine Zeit lang ganz gut. Dann sind sie uns draufgekommen und haben Jagd auf uns gemacht.”
“Einigermaßen erfolgreich, da du sonst wohl nicht allein hier gestrandet wärst.”
Sie machte mit Daumen und Zeigefinger eine Pistole und feuerte sie auf ihn ab. Den Vogel abgeschossen.
“Ich war grade hier, um ein bisschen Beute an den Mann zu bringen. Da haben sie unser Schiff entdeckt und zum Teufel gejagt. Ich bin hier also sozusagen gestrandet. Es soll ein Echsenxeno im System geben, der eine ganz passable Truppe aufgestellt hat. Dem wollte ich mich erst anschließen, aber ich bin hier fremd und das Dumme an verborgenen Organisationen ist, dass sie verborgen sind.”
“Scharf beobachtet”
“Aye. Dann ist dieses Ding mit der Ratshalle passiert und als auf den Straßen rumgeballert wurde, dachte ich mir. “Hey altes Mädchen, versuchs doch zur Abwechslung mal mit Revolutionär.” Ist mal was anderes.
Apropos Abwechslung.” Sie nahm die Beine vom Tisch und lehnte sich wieder vor. Renold hat vorhin erwähnt, du hättest eine Bude in einem Hotel hier. Ich hab nur ein Zeit, dass ich mir mit drei anderen teilen muss und sie lassen mich nicht aus dem Lager. Ich würde ja gerne noch einmal duschen, bevor wir morgen den Heldentod sterben.
Vielleicht fällt uns zwei Hübschen ja dann auch noch was anderes ein, als Kartenspielen.”
“Bin eh nicht so der Kartenspieler.”
“Wenn du mitkommst und am Tor erwähnst, dass du für Renold unterwegs bist, lassen sie uns sicher noch mal gehen. Der große Knall passiert doch erst morgen.
Also wie wärs, Großer?”
In einem Zug trank Cassian den Rest seines Brandy aus und stellte das Glas geräuschvoll auf dem Tisch ab.
"Ja, lass uns zu mir gehen. Meine Sachen liegen da auch noch rum. Und nach Beginn der Kämpfe werde ich es wohl nicht mehr schaffen, sie abzuholen.“
Aus dem Lager herauszukommen sollte auch nicht zu schwer sein. Renold meinte ja, dass wir den Abend so verbringen sollten, als wäre es unser letzter. Er hat aber nicht gesagt, dass wir ihn hier verbringen müssen.
Hol deine Sachen aus dem Zelt, ich warte vor dem Lounge Light auf dich."
Cassian musste nicht lange warten und Liux kam mit einem Rucksack und einem Laserkarabiner beladen auf ihn zu.
So als ob es das natürlichste auf der Welt wäre marschierte Cassian auf die Torwache zu, blickte den Mann absolut selbstsicher an und deutete auf den Ausgang.
"Wir zwei Hübschen" er deutete auf sich und Liux "müssen leider nochmal raus." Er konnte sehen wie sich der Widerspruch auf den Lippen seines Gegenübers bildete und würgte ihn energisch ab ehe er ausgesprochen werden konnte. "Ja, ja ich weiß. Niemand soll das Lager verlassen. Sperrzeit und so weiter. Tut mir schrecklich leid, dass wir jetzt genau dich belästigen müssen. Aber wir müssen leider trotzdem raus." Jetzt war es Zeit die Autoritätskarte zu spielen. "Du kennst sicher Bruder Renold nicht? Groß gewachsener Mann. Hinkt etwas. Priester... und ein hohes Tier hier." Erkennen flackerte in den Augen seines Gegenübers auf. "Ja, den kenn..." "Genau und wir beide, also die Dame da und ich unterstehen ihm direkt. Sollen ihm beim Koordinieren helfen. Und dafür müssen wir leider noch einmal hier raus, bevor es morgen losgeht. Wir werden aber heute Nacht noch zurückkommen, großes Ehrenwort. Müssen nur noch ein bisschen was erledigen, um Renold zu helfen. Wir kommen nachher auch wieder bei deinem Posten rein. Versprochen." Der Wachposten war von dem Wortschwall förmlich überrollt worden und versuchte immer noch die Situation abzuschätzen, während der Arbites ihm das Ohr ablaberte. Zögerlich nickte er, als ob das Angebot annehmbar wäre und suchte dann halt in einer Phrase, die er hier wohl öfters am Tag verwendete.
"Was ist in der Tasche drin?" "Meine Sachen." Kam knapp von Liux zurück. "Ich müsste leider kurz reinschauen, bevor sie rausdürfen..."
Die beiden ließen die Überprüfung der Wache über sich ergehen, denn Unverschämtheiten gegenüber dem Mann hätten ihren Abzug weiter verzögert. Nachdem nichts auffälliges gefunden worden war, ließ man sie durch.
"Ich hoffe mal, dass er uns später auch wieder so wenig Probleme machen wird." War Cassians einziger Kommentar dazu.
Der Weg zum Hotel zog sich etwas, war er auf dem Hinweg doch zusammen mit Renold in dessen Riesenschlitten gefahren, aber schließlich kamen sie an und mussten nach der Fahrstuhlfahrt nur noch mehrer Stockwerke Treppen steigen.
Das Zimmer sah genauso aus wie er es vor mehreren Stunden verlassen hatte. Nicht schien angetastet worden zu sein. Cassian hängte seine schwarze Lederjacke über einen der beiden Stühle und enthüllte damit auch den Schulterholster mitsamt großer Kanone, die vorher verborgen gewesen waren. Die kurzläufige Schrotflinte wanderte in eine Zimmerecke, wo sie nachlässig gegen die Wand gelehnt wurde und der Munitionsbeutel mit der Flintenmunition landete ähnlich lässig auf dem Hartplastektisch in Holzoptik. Er machte eine einladende Geste und lächelte Liux schräg an. „Fühl dich wie zu Hause. Stell deine Sachen ab wo du willst. Wir bleiben hier ja nicht einmal für eine volle Nacht. Das Bad mit Dusche ist da drüben." Er zeigte mit seinem Daumen über die Schulter. "Leider nur ne Sanddusche. Für mehr sind wir in der falschen Ebene. Vielleicht nehme ich nachher auch noch eine und dann können wir uns ja überlegen, was wir den restlichen Abend über machen.“
 
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“Oh da hab ich schon so meine Ideen.”
Sie ließ ihre Tasche neben der Tür fallen und nahm das Lasergewehr von der Schulter. Es sah so aus, als wolle sie die Waffe ebenfalls ablegen, doch stattdessen brachte sie es auf Höhe der Hüfte in Anschlag. Eine Diode begann zu flackern und zeigte frohgemut an, dass das Mordinstrument nun bereit wäre, seine tödliche Lichtlanze auf Cassian abzufeuern. Ein sattes Summen drang aus dem Inneren des Gehäuses. Auf Cassians Unterleib erschien der rote Punkt eines Laserpointers und wanderte langsam höher bis zu der Stelle, wo bei Nichtarbites ein fühlendes Herz gesessen hätte.
Liux machte den Eindruck, als würde sie auch aus der Hüfte treffen was sie treffen wollte. Aber selbst wenn daran Zweifel bestanden hätten. Mit dem Lichtpunkt als Ankündigung der Stelle, an der der größere Bruder des kleinen Flecks ein Loch in den Leib des Mannes brennen würde, bestand kaum eine Chance, daneben zu schießen.
Falls sie darauf gehofft hatte, dass die vorgehaltene Waffe ihn zusammenzucken lassen würde, hatte sie sich geirrt. Cassians Gesicht war immer noch dieselbe ausdruckslose Backsteinfassade aus der Bar.
Hinter dieser unnachgiebigen Mauer rangen Scham und Wut miteinander. Scham, da er sich peinlicherweise wie ein blutiger Anfänger hatte übertölpeln lassen. Wenn er seinen verdeckten Einsatz jetzt so beenden würde, mit münzgroßen Loch im Kopf, würde er für alle Zeiten im Anschauungsmaterial für Arbitratoren in Ausbildung im Bereich „Schlampig durchgeführte verdeckte Einsätze“ zu finden sein. Unterkategorie: “Schwanz schlägt Hirn!” Sein einziger Lichtblick war, dass er sich den Tadel seines Lebens nicht mehr von Marschall Ludwig abholen musste.
“Als erstes legst du mal deine Artillerie auf den Tisch.”
Mit Daumen und Zeigefinger der Linken und ganz langsam und zärtlich. So ist's brav.”
Sich Liux gegenüber als Arbitrator erkennen zu geben war auch keine Option. Er hatte nichts dabei, mit dem er sich offiziell ausweisen konnte und selbst wenn, würde sie ihn dann wahrscheinlich noch eher töten. Schließlich hatte sie sich ihm gegenüber als Deserteurin und Marodeurin zu erkennen gegeben, die Diener des Goldenen Throns ermordet hatte und dafür mit der eigenen Hinrichtung rechnen musste.
“Normalerweise hätten wir das Bettgestell ein bisschen quietschen lassen können.
Ich mag die großen Grimmigen.
Aber die liebe Liux muss ganz dringend hier weg. Deine Kumpels mit dem einseitigen Frisurengeschmack da hinten. Die haben alle ganz schwer einen an der Mütze.
Ich hab kein Problem damit, mal den einen oder anderen Imp abzuknallen.
Leben und sterben lassen.
Aber was die treiben, das ist keine Revolution, wo man noch nen Schekel nebenbei machen kann.
Die haben Völkermord vor.
Das ist unprofitabel und außerdem schieße ich nicht gerne auf Gören und alte Knacker.”
Sie begutachtete Cassian von oben bis unten, wie ein gut abgehangenes Stück Squam-Squam oder Grox, das man auf seine Eignung als Sonntagsbraten hin untersuchte. Dabei sog sie die Unterlippe ein und schien scharf zu überlegen, was sie mit ihm anstellen sollte.
“Am einfachsten wäre natürlich, dich hier und jetzt zu erschießen. Dann kannst du keinem mehr was erzählen und die PVS würde eine Patrone sparen. Die schlachten morgen sowieso alles ab.”
Ein Moment des Schweigens, währenddessen sie tatsächlich sehr scharf nachzudenken schien, das Gesagte in die Tat umzusetzen. Dann schnalzte sie resignierend mit der Zunge.
“Ich bin einfach zu weich für diese Welt.
Zieh dich aus! Mal sehen was Mutter Natur dir mitgegeben hat und ob ich was verpasse. Außerdem verfolgen einen nackte Kerle nicht so enthusiastisch.
Also hopp hopp.”
„Da hast du mich jetzt ordentlich in die Pfanne gehauen. Und ich habe mich schon für schlau gehalten, weil ich dank dir Olegs Geschwafel entkommen konnte.“
Die schweren Stiefel wurden fein säuberlich nebeneinander abgestellt und die Socken ordentlich gefaltet in ihnen verstaut.
„War vielleicht etwas voreilig. Wobei… ich mag Frauen, die wissen, was sie mögen.“
Er öffnete den Gürtel und zog seine Hose aus. Ordentlich gefaltet, landete die Hose neben seinen Stiefeln.
“Du magst Frauen, die wissen, was sie mögen? Kannst du auch welche leiden, die leiden? Oder würdest du dich nur an Festgebundene fest binden?
Ich kannte mal einen Kroot, der hatte bessere Anmachsprüche und der konnte nur klicken und pfeifen.”
Sie spornte ihn mit einem ungeduldigen Zucken des Gewehrlaufes an.
Es folgte sein T-Shirt und er wusste, dass seine Tarnung als ehemaliger PVSler jetzt so gut wie tot war. Unter dem Shirt verbarg sich nämlich seine maßgeschneiderte, mattschwarze Incorkörperpanzerung.
Als der ihr ausgelieferte Arbites die Körperpanzerung fallen ließ und darunter der eigentliche Schutz zum Vorschein kam, kniff sie die Augen zusammen und legte den Kopf leicht schräg. Man konnte förmlich hören, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete. Hör mal Schätzchen… sagte sie und ihr Ton klang um eine Idee beschwichtigender. Was wohl darauf zurückzuführen war, dass sie sehr wohl Eins und Eins zusammenzählen konnte. Vielleicht begriff die Piratin und vorübergehende Revolutionärin nicht genau, was die unzweifelhaft wertvolle und hochwertige Körperpanzerung zu bedeuten hatte. Dass sie etwas bedeutete, war ihr jedoch ganz sicher bewusst.
“Ich will diese Sache hier schnell und unproblematisch über die Bühne bringen. Ich will dich nicht erschießen und deine schicke schwarze Unterwäsche will ich auch nicht. Auch wenn ich sicher bin, dass mir gewisse Leute ein hübsches Sümmchen dafür zahlen würden. Isn das überhaupt? So eine Art ballistische Reflexpanzerung?”
Cassian schwieg sie quälend lange Sekunden dröhnend an und löste dann die Schnallen/Klettverschlüsse der Rüstung, hievte sie von sich und lehnte sie gegen die Wand. Er entschied sich für keine Antwort als Antwort.
„Die Unterhose auch?“
Sie nickte, während sie mit den Augen seine muskulöse Statur abtastete.
“Wenn schon, denn schon.
Alles!”
Als der Arbites nun gänzlich nackt vor ihr stand und das weiche Licht der Zimmerbeleuchtung seinen berufsbedingt hart gestählten Körper beschien, biss sie sich auf die Unterlippe und seufzte. “Jammerschade. Zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort wäre das sicher lustig geworden. Aber die liebe Tante muss weg…” Bei letzterem schien sie direkt zu Cassians Geschlechtsteil zu sprechen und weniger zu ihm selbst.
“Außerdem gibt es zwar bestimmt schlimmere Tode als beim Rammeln draufzugehen, aber ich will trotzdem noch ein bisschen leben. Ich sag dir also was wir zwei Hübschen jetzt machen. Du gehst ins Bad und ich werde die Tür hinter dir abschließen. Ein kräftiger Bursche wie du sollte die Tür schnell wieder aufkriegen, wenn ich dann erst mal weg bin.
Deine Knarre werde ich entladen und das Magazin in den Flur legen. Dann kannst du dich brav wieder anziehen, Hemd reinstecken nicht vergessen. Dann deine Artillerie neu bestücken und ich bin dann hoffentlich schon über alle Berge.
Außerdem werde ich dich nicht nur nicht erschießen, sondern dir auch noch einen kostenloses Rat mit auf den Weg geben: Mach es genauso wie ich. Ich weiß nicht, was du für Ärger mit dem Imperium hast. Aber die Glatzen sind auch keine Lösung. Ich bin mir nicht sicher, was mit denen nicht stimmt, aber Segen liegt auf der Bande nicht.
So und jetzt husch unter die Dusche.”
Sie dirigierte ihn mit dem Lauf ihrer Waffe in Richtung Badezimmer.
„Werde mir deinen Tipp merken. Vorher muss ich aber noch etwas erledigen.“ Cassian ging in das Badezimmer und drehte sich auf der Türschwelle noch einmal kurz zu Liux um. „Ich gebe dir auch einen. Gib dir Mühe mit deinem Fluchtversuch und verschwinde so schnell wie möglich aus dem Stadtteil hier. Soraya hat ihre kleinen Grabbelfinger auch in dein Hirn gesteckt nicht? Sie wissen wahrscheinlich schon, dass du dich davon machen willst. Und Revolutionäre machen mit Abweichlern und Fahnenflüchtigen sehr kurzen Prozess. Besonders die hier.“ Liux verzog ob dieses Rates keine Miene und deutete mit dem Gewehrlauf auf das Badezimmer.
„Rein da.“ Cassian folgte der Aufforderung, schloss die Tür hinter sich und setzte sich aufs Klo, um die Zeit abzusitzen. Er konnte Liux im Zimmer rumoren hören, wie der Schlüssel im Schloss herumgedreht wurde, dann schabende Geräusche an der Tür. Anscheinend blockierte sie gerade die Tür mit einem Stuhl. Wahrscheinlich würde da noch mehr kommen. Sie wollte also auf Nummer sichergehen, dass er ihr nicht folgen konnte. Ein paar Minuten später hörte er, wie die Zimmertür geschlossen wurde und dann herrschte Stille.
Cassian stand auf, ging zur Tür und betrachtete das Schloss aus der Nähe. Natürlich nur ein Badezimmerschloss. Mehr ein Hinweis als ein wirkliches Hindernis. Cassian trat etwas zurück und trat mit voller Wucht knapp neben dem Schloss gegen die Tür. Sie erzitterte unter der Wucht, hielt aber ansonsten souverän stand. Er war es gewohnt, dass Türen nachgaben, gegen die er trat. Das würde eine längere Angelegenheit werden. Auch weniger peinlich wurde der Abend dadurch nicht.
Nach langen Minuten und viel Lärm gab die Tür ihren Widerstand gegen die kraftvollen, gezielten Tritte auf. Mit samt den dahinter nachlässig angehäuften Möbeln flog sie durchs Zimmer. Alles schien noch da zu sein, wenn man vom Pistolenmagazin absah.
Hastig zog er sich seine Kleidung, Schutzweste und Schuhe an und stürmte in den Flur hinaus. Das Magazin lag wie versprochen dort und wanderte sofort in den Magazinschacht. Dann ging er in sein Zimmer zurück, um sich Übersicht über den Rest seiner Sachen zu machen.
Sein Rucksack lag entleert in einer Ecke, während der Inhalt von Wechselwäsche, Ersatzmagazine, Schalldämpfer und weiterem über den Boden verstreut war. Auch sein Geldbeutel lag dort. Das Geld fehlte natürlich. Wenig überraschend, da Liux ja Berufsverbrecherin war und etwas zusätzliches Kleingeld immer nützlich war.
Cassian packte zügig alle seine Sachen ein, holte Peilsender und Notizen aus seinen Verstecken und ließ sie in seinen Jackentaschen verschwinden und holsterte Flinte und Pistole.
Jetzt musste er nur noch zum Stützpunkt zurückgelangen und überlegen, ob er Liux ans Messer liefern sollte oder nicht.
Wäre nicht sein Diensteid gewesen, hätte Cassian vielleicht sogar Trost darin gefunden, dass er jemandem geholfen hatte, dem zerstörerischen Einfluss dieser Revolution zu entgehen. Ihr Dasein als Schmarotzer, als Parasit im Fell imperiumstreuer Bürger, war gewiss zu verdammen. Aber es war doch auch nicht so verwerflich, dass es eine Gefahr für die Grundfesten des Imperiums darstellte. Ein paar Jahre in einem Arbeitslager oder einem Strafbataillon hätten sie vielleicht läutern und auf den Pfad der Tugend zurückbringen können. Ein Projekt für die Zukunft und wohl für andere, niedrigschwelliger agierende Vollstrecker des imperialen Rechts
 
Auf der Straße lag die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm wie ein Leichentuch über allem. Nur dann und wann eilten Einzelpersonen oder kleine Gruppen zielstrebig ihrem Bestimmungsort entgegen. Selbst von den Straßen um die Ebenenzufahrt, wo die größten zivilen Proteste stattgefunden hatten, war nichts mehr zu hören. Die dort aktiven PVS- Aufruhreinheiten und Arbites hätten vermutlich relativ unbehelligt einmarschieren und zumindest die Blöcke an der Hauptstraße problemlos unter ihre Kontrolle bringen können.
Dass sie es nicht taten, sprach eine klare Sprache.
Cassian kam ohne Zwischenfälle zurück in das Lager.
Wenn jemals einer der Verantwortlichen die Befürchtung gehabt hatte, dass sich Agenten einschleichen würden, dann war dies inzwischen hinfällig. Alle wussten, was sehr bald passieren würde und daran änderte auch die Entdeckung eines eingesickerten Feindes nichts mehr. Das musste eine Gleichgültigkeit gegenüber Dingen sein, die sich nicht mehr vermeiden ließen. Denn fehlende Fachexpertise für derartige Sorgfältigkeit konnte man den Aufständischen nicht unterstellen. Nach den aktuellen Erkenntnissen hatten ihre Aktionen und Terrorakte Jahre, wenn nicht Jahrzehnte der Vorbereitung und Planung gebraucht. Ein gewaltiger Apparat der Geheimhaltung und Infiltration. Nur eine undichte Stelle und viele Aktionen hätten vom Feind so nicht durchgeführt werden können. Herauszufinden, wie das alles möglich gewesen war, ein Mosaiksteinchen des zerschlagenen Gesamtbildes aufzuheben und wieder an ein anderes zu setzen, deswegen war Cassian hier.

Die Beschaffenheit der Makropolebene hatte verhindert, dass vor der improvisierten Mauer Gräben ausgehoben worden waren. Zwar hätte man den Asphalt und Stahlbeton aufreißen können, um so in den darunter liegenden Versorgungsbereich zu gelangen. Kämpfer in solchen Gräben und Schützenlöchern hätten allerdings damit zu kämpfen gehabt, dass sie sich die Abwehranlagen mit Abwasser und Starkstrom gefüllt hätten, was den Aufwand nicht wert gewesen wäre. Nicht einmal sie als Fallgruben und Hindernisse zu schaffen, stand im Verhältnis von Nutzen und Ressourcenverbrauch. Wohl aber hatte man an einigen Stellen Sprengfallen verborgen. Außerdem waren die Häuser entlang der wahrscheinlichsten Zufahrtsstraße von Einsatzgruppen durchsetzt, die sich verborgen halten sollten, bis das Zeichen zum Losschlagen gegeben wurde.
Der eigentliche Verteidigungsring war der Wall und der Bereich dahinter. Natürlich stellte die überdimensionale Barrikade eine prächtige Verteidigungsstellung dar, war aber auch ein ideales Ziel. Niemand, der weiter dachte, als sein eingeimpfter Fanatismus über rechtschaffene Unbesiegbarkeit gestattete, machte sich Illusionen darüber, dass man den Wall lange würde halten können. Vielleicht wenn die anderen mit Rammen, Leitern und Schwertern dagegen anrannten. Aber davon war wohl nicht auszugehen.
Also lag die eigentliche Todeszone dahinter. Wenn der Feind die Mauer überwunden hatte und sich des Sieges gewiss war, dann würde der wahre Reigen erst beginnen.
Maschinengewehrnester, befestigte Stellungen und sogar Bunker lauerten hier auf die Imperialen. Letztere waren zum großen Teil Betonbrocken, die beim Einschlag des Baneblade aus der Ebene und aus Gebäuden gerissen worden waren. Die hatte man an günstige Stellen gezogen, mit Stahl und frischem Beton ausgebessert und mit Sandsäcken ummantelt. Hier würde der eigentliche Kampf stattfinden.
Außerdem gab es noch ein paar ganz spezielle Überraschungen, die momentan noch in extra errichteten Wellblechhütten lauerten.

Als Cassian das Lager betrat, war der größere Teil der Nacht bereits verflossen. In einigen Zelten konnte man Gestalten auf Feldbetten liegen sehen, die meisten Revolutionäre waren jedoch auf den Beinen. Es wurden Kisten geschleppt und Fässer gerollt. Letzte Stellungen befestigt.
Unter den Kämpfern sah man auch immer wieder Männer und Frauen in gelben Tuniken. Priester der Kirche der transzendalen Erneuerung.
Bei einer größeren Gruppe gewahrte Cassian Renold, der sich wieder in Vater Renold verwandelt hatte. Er trug seine gelbe Amtstracht und sah entspannter aus als all die Männer und Frauen um ihn herum. An einem Lederriemen baumelte eine Schrotflinte vor seiner Hüfte.
Als er Cassian sah, hob er grüßend die Hand. Oleg stand auch bei ihnen und blickte sauertöpfisch drein.
“Wir dachten schon du hättest den großen Tag verschlafen mein Freund.” Er schlug dem verdeckten Agenten freundschaftlich aber eine Spur zu hart auf den Rücken. “Du weißt nicht zufällig wo sich Liux herumtreibt? Wir vermissen sie und der gute Oleg hier meint, ihr hättet den Abend zusammen verbracht.”
Cassian zuckte nur die Schultern. Er spielte den Verkaterten.
“Nun sie wird schon auftauchen. Bis dahin verteilen wir ihren Trupp auf euch beide.” Genau das geschah dann auch. Durch den halben Trupp von Liux fand sich Cassian als Anführer von 15 Männern und Frauen wieder. Ein bunter Haufen, der mehr durch Entschlossenheit und Feuer bestach, als durch den Anschein militärischer Schulung. Sie waren mit einem Sammelsurium aus Sturm-, und Lasergewehren bewaffnet, hatten Granaten und Ersatzmagazine an den Gürteln hängen. Außerdem Messer und Beile, falls all die Fernkampfausrüstung eine Konfrontation Aug in Aug nicht verhindern konnte. Zusätzlich waren eine Handvoll schwererer Waffen in den Gruppen vertreten. So konnte Cassian über ein leichtes Maschinengewehr und einen Schulter gestützten Werfer gegen gepanzerte Ziele zurückgreifen. Auf den ersten Blick sah es immerhin so aus, als könnten die ihm anvertrauten Kämpfer mit der Ausrüstung umgehen. Typisch kurz aber intensiv Geschulte. Ob diese Ausbildung Bestand hatte wenn die ersten Kugeln pfiffen würde sich zeigen.
Renold machte sich nicht die Mühe, die Einheitenführer mit ihren Leuten bekannt zu machen. Entweder setzte er voraus, dass diese dies vor dem Kampf noch selber taten oder es war ihm schlicht egal, ob Cassian und Oleg die Namen derer kannten, die sie in den Tod schickten. Zur Ehrenrettung des Revolutionärs musste man eingestehen, dass dies in imperialen Regimenten und Armeen zu allen Zeiten und auf allen Welten meist nicht viel anders gewesen war.
Mit einem roten Fettstift malte er einen groben Lageplan auf den Boden.
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“Hier ist der Baneblade.” Ein schiefes Viereck erschien. “Das Lager, die Mauer und die Hauptstraße. Hier die angrenzenden Wohnhabs. Unsere befestigten Stellungen hinter der Mauer hier.” Diese wurden von drei eckigen U- Formen dargestellt. “Die Unterdrücker werden im Großteil wohl die Hauptstraße herunterkommen, um die Mauer anzugehen. Wir wissen von unseren Augen und Ohren in der Bevölkerung, dass sie sich bereits seit drei Tagen sammeln und nur mit Aufruhrtrupps in den Zugangsbereich gehen. Um uns glauben zu machen, sie würden es noch ernsthaft auf diese Art und Weise versuchen. Die verdammten Arbites sind ein gutes Stück vorgedrungen und haben die Demos, die wir dort als Puffer etabliert haben, zerschlagen. Sie hätten leicht bis zu uns vordringen können, haben aber nach ein paar Kilometern aufgehört. Wir sind sicher, dass sie das so besetzte Gelände als Operationsbasis und Aufmarschgebiet benutzen wollen. Sie kommen bald, dass steht fest. Außerdem wissen sie sicherlich, dass sie es nicht nur mit Steinen und Brandsätzen zu tun kriegen werden. Aber wir glauben nicht, dass sie einschätzen können, was genau wir aufbieten können.” er grinste und in seinem Mundwinkel blitzten kleine, scharfe Zähne. “Wir haben Spezialteams in den Wohnhabs, die ihnen das leichte Vorankommen versauern werden. Sollten sie die Mauer überwinden, dann bekommen sie richtig eingeheizt. Euch will ich als Feuerwehr einsetzen. Verausgabt euch nicht, bevor es richtig losgeht. Geht nicht weiter als bis zur Mauer und setzt euch auch da nicht zu vielen Angriffen aus. Ich will, dass ihr dahin geht, wo unsere Linien dünn werden. Da, wo die Moral einzuknicken droht. Wenn die Situation wieder stabil ist, sucht einen anderen Bereich, wo ihr helfen könnt. Bleibt beweglich, lasst euch nicht festnageln. Wenn der Feind geschlagen ist und sich zurückzieht, verteilen wir die Aufgaben neu. Sollte es schlecht laufen, dann ist unsere letzte Stellung das Hab, in dem auch das Lounge Light ist.
Wir wollen schauen, dass es dazu nicht kommt, meine Brüder und Schwestern. Ach ja… sollte Liux noch auftauchen, dann soll sie sich einem der Trupps anschließen. Ihre Führungsrolle hat sie verspielt.” Diese Worte schienen zumindest Oleg mit Genugtuung zu erfüllen.
“Vergesst niemals, meine Freunde, dass wir keinen einsamen und keinen verlorenen Kampf kämpfen. Sie versuchen uns das weiszumachen. Sie wollen, dass wir uns wie eine Insel in einem Meer von ihnen fühlen. Aber sie lügen in ihrer grenzenlosen Angst vor dem Zorn der Massen. Wir sind ein Leuchtfeuer, so wie der Schlag gegen ihre Ratshalle ein Leuchtfeuer war. Unser Licht in der Nacht wird gesehen werden und nur der Anfang sein. Seit frischen Mutes und fürchtet keine Finsternis.”
Einem Omen gleich ging in diesem Moment das Licht aus. Eigentlich hätte jetzt der relativ sanfte Wechsel vom Nacht,- in den Tagzyklus erfolgen sollen. Aber das geschah nicht. Die Staatsmacht hatte immer wieder das Versorgungsnetz manipuliert, um den Widerständlern das Leben schwer zu machen. Bisher nur auf Abschnitte begrenzt, denn natürlich wirkten sich diese Aktionen auch auf die Bedingungen aus, unter denen sie selbst agieren mussten. Außerdem, so spekulieren viele, wollten sie jene mürbe machen, die sich noch nicht voll und ganz auf die Seite der Aufständischen geschlagen hatten und vielleicht durch diese Methoden noch zur Aufgabe zu motivieren waren.
Diese Versuche schienen jetzt aufgegeben worden zu sein.
Das Licht ging aus. Das stetige, sanfte Summen, welches die Aufbereitungsanlagen, Lufttauscher und Umwälzer erzeugten, verstummte. Eine ungewohnte, fast schmerzhafte Stille.
“Oh…” Sagte Renold, während alle nach oben sahen, als könnte man den Umstand fehlenden Lichtes dadurch besser erfassen.
“Die haben es scheinbar eilig. Ich dachte, wir hätten noch einen Tag.” Notaggregate und starke Baustellenscheinwerfer sprangen an und drängetn die Dunkelheit ein wenig zurück.
“Alle auf ihre Positionen. Ich werde zu Louise gehen und hören ob es neuere Informationen über Feindbewegungen gibt.
Viel Glück, meine Freunde.”
 
Unter anderen Umständen hätten die Ordnungskräfte eine breit gefächerte Front aus PVSP in Vollschutz und mit kugelsicheren Schilden aufmarschieren lassen, um den Wall zu erstürmen. Wäre der Gegner nur mit den üblichen Handwaffen, Brandsätzen und Schlagwaffen ausgerüstet gewesen. Die Ordnungskräfte wussten jedoch, dass ihre Widersacher über sehr viel schweres Kriegsgerät verfügten. Selbst wenn man davon ausging, dass sie den Baneblade nicht geplündert hatten.
Also rückten zwei Chimären und vier Radpanzer vor. Im Schritttempo, damit die Infanteristen mithalten konnten, die hinter den Fahrzeugen folgten, wie die Entenküken hinte der Mutter. Die Chimären waren mit zahnbewehrten Räumschaufeln ausgerüstet, die vierrädrigen, gepanzerten PVSP- Fahrzeuge hatten lange Rammen mit flachen Spitzen, die mit Türen und Hindernissen gleichsam kurzen Prozess machen sollten. Dieser Vormarsch geschah nicht ungedeckt. In den Häuserfronten links und rechts der Hauptstaße waren Einsatzsteams unterwegs, die vermutete Nester der Rebellen ausheben sollten. Das gelang auch bei den ersten Stellungen der Widerständler, doch als diese den Angriff bemerkten, wappneten sie sich. Die Gruppen in den Gebäuden waren dabei überdurchschnittlich ausgerüstet und vor allem wild entschlossen. Erste Feuergefechte, mit Verlusten auf beiden Seiten brachen in den Hubs aus. Verstärkung durch die PVS wurde geschickt, doch der Widerstand und die Nadelöhrpositionen in denen sie sich eingeigelt hatte, machten ein Vorankommen in den Gebäuden schwer.
So konnten die Kommandos nicht verhindern, dass eine Schulter gestützte Abwehrwaffe auf eine der Chimären abgefeuert wurde. Die Rebellen wussten sehr genau, das die schwerer gepanzerten Chimären mit ihren Multilasern die größere Bedrohung darstellen. Das Geschoss detonierte am Turm des Transportpanzers, konnte diesen aber nicht durchschlagen. Sogleich drehte sich der Turm in die ungefähre Richtung und eröffnete das Feuer mit einer Kaskade aus Licht, die die Fassade des entsprechenden Wohnhabs mit Pockennarben überzog. Auch die infanteristischen PVS-Polizisten erwiderten das Feuer. Einer der Radpanzer beschleunigte unvermittelt, womit er die ihm folgenden Schützen relativ ungeschützt auf der offenen Straße zurückließ. Die motorisierte Ramme überwand die dreihundert Meter bis zur Mauer mit aufheulendem Motor und blitzenden Scheinwerfern.
Rechts von dem vorpreschenden Fahrzeug ging eine versteckte Ladung hoch. Sie war jedoch nicht nur zu weit entfernt um Schaden anzurichten, sondern auch zu spät gezündet wurden.
Der Radpanzer krachte in die Barrikade. Das ganze Konstrukt erbebte an dieser Stelle. Säulen aus Abgasen abstoßend, setzte er zurück und zerrte ein verdrehtes Stück Metall mit sich. Dann stieß er erneut vor. Dieses Mal kam er jedoch nicht gleich wieder frei. Auf der Mauerkrone erschienen jetzt Gestalten. Ein Flackern und zwei Brandsätze landeten auf dem Dach des Radpanzers. Der wurde in flüssiges Feuer getaucht.
Jetzt war der Startschuss buchstäblich gegeben. Von der Schrottmauer, aus den Fenstern der Habs und aus Schießscharten in der Mauer wurde gefeuert, als sollte das Ende der Welt eingeläutet werden. Die ungeschützten Soldaten, die den übereifrigen Radpanzer begleitet hatten, fielen wie umgestoßenen Kegel.
Aus den Reihen der Arbites und der PVS, die zurückgesetzt bei weiteren Fahrzeugen und einigen behelfsmäßigen Sandsackstellungen auf ihren Einsatz warteten, kam vereinzeltes Gegenfeuer. Den Löwenanteil trugen jedoch die Chimären und Infanteristen. Während einer der Panzer weiter die Häuser bestrich, ließ der andere den Laser über die Barrikade wandern. Verflüssigtes Metall tränte herab. Wo Matratzen oder Kunststoff getroffen wurde züngelten Flammen empor. Ein Maschinengewehr bellte los und beharkte die forderte Chimäre. Die setzten den Front montierten Bolter gegen die Stellung ein und brachte sie fast augenblicklich zum Verstummen. Links und rechts an dem kantigen Kollos vorbei feuernd, gaben die Soldaten gezielte Schüsse ab und brachten immer wieder einzelne, sehr viel ungebädriger schießende, Gestalten auf der Erhöhung zu Fall.
Auch wenn der Widerstand heftig war und es bereits einige Personenausfälle gegeben hatte, sah die Sache doch ganz ordentlich aus. Die Chimären setzten dem Wall gehörig zu, an einer Stelle sackte dieser sogar ein gutes Stück in sich zusammen. Die Soldaten agierten präzise und tödlich und die Radpanzer machten sich daran, den Haufen Schrott und Müll einzureißen. Einer von ihnen versuchte sich in diesem Moment an dem Tor, welches er mit drei Anläufen eindrückte und sich ins Innere des Rebellensumpfes vorschob.
Doch noch hatten diese Rebellen nicht ansatzweise alle Trümpfe ausgespielt. Sie fingen damit an, dass sie den eindringenden Radpanzer mit drei Abwehrraketen bedachten, die diesen in ein brennendes Wrack verwandelten und zum neuen Verschluss des Zugangs deklarierten.
Dann wurden Handzeichen gegeben, auf die stoisch abwartende Augen bereits gewartet hatten. Vier Mann stemmten sich gegen eine Winde, die wiederum ächzend eine Kette in Bewegung setzte. Die krude Konstruktion lief über dick mit Schmiere bedeckte Zahnräder und hob final eine metallen Abdeckung an. Wie die Luke auf einem hölzernen Kriegsselgelschiff, vorindustrieller Welten, wurde so eine verborgene Stellung in der Mauer aufgedeckt.
Dahinter lauerte nichts Geringeres als ein Feldgeschütz.
Wie es sein konnte, dass eine solche Kriegswaffe ihren Weg in ein, bis vor kurzem, gut situiertes Wohnviertel der mittleren Ebene gefunden hatte, wäre eine Geschichte für sich selbst gewesen. Ein Kabinettstück über Heimlichkeit und die äußerste Bereitschaft und den Willen, ein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Aber auch über Bestechlichkeit und Inkompetenz in den Reihen jener, die für Kontrollen und Sicherheit innerhalb einer Makropole zuständig waren.
Das Donnern der Kanone brachte noch einmal ein neues Instrument in das Orchester des ohrenbetäubenden Krachs mit ein. Der erste Schuß ging fehl, prallte vom Asphalt der Straße ab und orgelte in die Fassade eines lang geplünderten Bekleidungsgeschäftes.
Aber die Besatzung des Geschützes war bis zu einem Punkt einer religiösen Ekstase an dem Gerät trainiert und hatte geladen und nachjustiert, noch eher die Hülse des ersten Schusses aufgehört hatte zu rauchen. Durch den eigenen Pulverdampf stach des zweite Geschoss einen Tunnel und traf diesmal tödlich genau.
In der Front der Chimäre erschien ein ausgefranstes Loch. Das Fahrzeug stockte und stoppte, wie ein lebendes Wesen, dass innehielt um über einen dringenden Sachverhalt nachzugrübeln. Dann detonierte das Fahrzeug. Der Turm wurde abgesprengt, die Heckklappe flog auf. Aus den Schützenluken schlugen Flammen, in denen die Blitze brennender Laserbatterien zuckten.
Jubel bei den Kämpfern auf den Wall, Entsetzen bei der PVS.