WHFB Die Kinder Sigmars + Die Kinder des Drachen

yinx

Erwählter
8 Oktober 2006
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Verfluchte Mäusekacke, meine Fresse, wo verschwindet die ganze Zeit hin! Fast zwei Monate (dafür jetzt 1,5 in 1) und viel schlimmer: fast ein ganzes Jahr, seit Schneider das letzte mal vorkam. Dem wird jetzt Abhilfe geschafft. Aber dennoch, oh mein Gott, wieso vergeht die Zeit so schnell? :X

Kapitel XVII
Geweihter Sigmars

"Ich hatte einmal eine Geliebte... sie ist nun tot und liegt im Keller meines Schlosses, auf einem Tisch aus schwarzem Stein, umgeben von einem Meer aus schwarzen Rosen..."
- Kasimir von Carstein, Die Kinder Sigmars, XL, Ein letztes mal ein Held



„Unfassbar“, hauchte Aurora verblüfft. Sie blinzelte ein paar mal, aber dennoch blieb der Turm eine baufällige Ruine. Augenscheinlich. „Es ist nötig, um uns zu schützen“, erklärte Lazarica ihr und ein düsteres Lächeln umspielte ihre dunklen Lippen. „Man möchte es wohl als auffällig bezeichnen, wenn stramme Jünglinge ohne jeden Grund aus den Dörfern verschwinden. Ein prunkvoller Turm mitten in der Ungastlichkeit des Gebirges neigt dazu, Gerüchten fruchtbaren Nährboden zu bieten. Vermutlich wäre längst eine Schar wütender Dorftölpel hier hinaufgekommen, um meinen Wohnsitz anzustecken.“
Sie verschränkte die Arme und warf Aurora einen vielsagenden Blick zu, sagte aber nichts weiter und beobachtete das Erstaunen der jungen Lahmia mit gewisser Belustigung. „Du scheinst überrascht?“, fragte sie nach einer Weile des Schweigens. Aurora nickte. „Das vermagst du? Du allein?“
„Gewiss.“
„Wie?“
Lazarica ließ ein liebliches, helles Lachen ertönen, das trotz des sanftes Spottes, der darin mitschwang, ehrliche Zuneigung in Aurora weckte. „Mit Magie natürlich, du Dummerchen! Wir Vampire sind Geschöpfe, die einst durch Zauberei geboren worden. Ein wenig davon steckt in jedem von uns.“
Aurora warf ihr einen fragenden Blick zu und ohne dass sie ihren Mund aufmachen musste, antwortete ihr Lazarica mit einem Lächeln: „Auch in dir.“
Auch in mir... In jedem Vampir. Bilder des blonden Wanderers zuckten auf einmal vor ihrem inneren Auge empor, zeigten sein höhnisch herab lächelndes Gesicht, seine dunklen, roten Augen, seine weiße Haut. Auch er ist einer von uns, begriff sie endlich. Er musste Magie verwendet haben, um Wotan und sie zu trennen. Sie konnte nicht beschreiben, was genau er getan hatte, sie wusste nur, wie es sich angefühlt hatte. Schmerzvoll. Zerreißend. Endgültig.
Wollte sie ihm begegnen, ihn umbringen und leiden lassen und er hatte solche Fähigkeiten, würde sie nicht gegen ihn bestehen können! Sie musste ebenfalls solche Macht besitzen und Lazarica hatte ihr eben eröffnet, dass sie in der Lage dazu war, sie zu erringen! Außerdem schien sie selbst sehr mächtig zu sein und würde ihr vielleicht helfen können. Möglicherweise würde sie ihr auch gegen den geheimnisvollen Wanderer beistehen? Kannte sie ihn womöglich sogar? Wusste sie, wer er war? Sicherlich hatte sie Kontakt zu anderen ihrer Art, die hier in der Gegend lebten und bestimmt wusste sie auch, mit was für einem Fluch dieser Teufel sie belegt hatte!
„Leben noch andere Vampire in diesen Bergen?“, fragte Aurora vorsichtig. Sie wollte nicht mit der Tür ins Haus fallen. Zwar fühlte sie sich sehr zu der erfahreneren Lahmia hingezogen und war ihr mehr als dankbar dafür, dass sie ihr Leben gerettet hatte, doch trauen tat sie ihr deshalb noch lange nicht. Betört, ja. Dumm, nein. Sie wusste nichts über sie, ihre Absichten oder ihre Ziele. Und gnadenlose Tücke traute sie ihr durchaus zu.
„Nicht, dass ich wüsste“, gab Lazarica zurück. „Doch du fragst sicher nicht ohne Grund?“ Aurora wurde mit einem strengen Blick bemessen und ein düsteres Interesse blitzte in den Augen ihrer Gastgeberin auf. Sie war sich nicht sicher, ob Lazarica ihr ins Gesicht log oder ob sie die Wahrheit sagte. Scheinbar hatte sie sofort verstanden, dass es hier um mehr als eine belanglose Frage ging, dass mehr dahinter steckte. Insofern erschien ihr eine einfache Ausrede zwecklos. Sie überlegte kurz ehe sie antwortete und entschied, ihr so weit wie möglich die Wahrheit zu sagen und nur bestimmte Einzelheiten auszulassen. So unverfänglich wie möglich zuckte sie mit den Achseln. „Ich glaube ich traf einen, vor einiger Zeit. Er wanderte durch ein Tal, ein paar Tagesmärsche von hier entfernt. Ich dachte mir, du kennst ihn vielleicht?“ Doch zu Auroras Enttäuschung schüttelte Lazarica nur den Kopf und durchbohrte sie mit einem sonderbarem Blick. Glaubte sie ihr nicht? Oder war sie alarmiert, weil ein anderer Vampir sich vermutlich in der Nähe befand? „Wann hast du ihn getroffen?“, fragte sie ruhig. Ihrer Stimme war weder Vorsicht noch Misstrauen anzumerken.
„Vor ein paar Wochen wohl.“
„Hast du mit ihm gesprochen?“
Aurora schüttelte den Kopf. Nein, das hatte sie nicht. Gedankenverloren starrte sie die zerfallene Ruine des Turms an. Sie brauchte diese Macht ebenfalls! Sie wandte sich ab und sah zu Lazarica, die nachzudenken schien. Nachdem beide eine Weile geschwiegen hatte, ergänzte Aurora ihre Geschichte freiwillig ein bisschen, um sie glaubwürdiger zu machen und ihrer Gastgeberin ein paar mehr Informationen zu geben. Vielleicht fiel ihr ja doch noch etwas ein. Oder jemand. "Ich traf ihn, genauer gesagt, er fand mich. ebenso wie du. Ich war sehr schwach und nicht in der Lage das Wort an ihn zu richten, doch er zog einfach weiter und ließ mich liegen."
Das war gelogen. Nein, er hatte sie nicht einfach nur liegen lassen. Er hatte ihre Seele mit schwelenden Verbrennungen überzogen! Wotan von ihrem Herzen gerissen. Auf ewig. Dann erst war er weitergezogen und hatte sie dort liegen gelassen! "Er war nicht wie du! Nicht so gnädig, schön und liebenswert", fuhr Aurora fort und versuchte, sich Zorn und Trauer nicht anmerken zu lassen, die wieder mal ungnädig nach ihrem Gemüt griffen. Dann näherte sich ihrer Gastgeberin behutsam und strich ihr zärtlich mit den Fingern über die Schultern. Doch Lazarica blieb ernst und schwieg.
"Ich kenne ihn nicht", sprach sie erst nach einer Weile und ihre Stimme klang angespannt. "Doch es ist nicht gut, wenn sich andere Vampire hier herum treiben. Sie erregen zu viel Aufmerksamkeit. Ich kann es nicht gebrauchen, wenn hier Sigmariten oder Ulric-Priester durch die Lande ziehen, hier jeden Stein umdrehen auf der Suche nach unsereins. Ich werde sehen, was ich herausfinde, du aber vergisst diese Sache am besten ganz schnell wieder. Wir sollten nun allmählich wieder reingehen." Mit diesen Worten löste sie sich von Aurora und schritt, ohne sich noch einmal umzusehen, zum Turm. Aurora folgte ihr und musterte sie unschlüssig. Hatte sie sie irgendwie verärgert? Oder machte sie sich nur ehrlich Sorgen? Sie musste vorsichtig sein, denn sie versprach sich viel von der Freundschaft zu Lazarica und es wäre sicherlich unklug, ihr Missfallen so früh zu erregen. Besser sie blieb noch für eine Weile das kleine, dumme Spielzeug. Sie erreichten den Turm, traten ein und sobald sie den ersten Fuß über die Schwelle gesetzt hatten, zerfiel die Illusion, die Lazarica um die Steine gesponnen hatte und gab die wahre Gestalt des Gemäuers preis. Eine wohlige Wärme schlug ihnen aus den heiß befeuerten Kaminen entgegen, der Duft von Ölen und Parfüm hing in der angenehm trockenen Luft und generell wäre jeder Fürst der Menschen neidisch auf diese Heimstätte gewesen. Fürstlich eingerichtet, mit teuersten Möbeln und edler Zierde dekoriert. Fein verputzte Wände und ornamentierte Säulen, gewaltige Gemälde an den Wänden, die Katzen und herrschaftliche Fürstinnen und Gräfinnen zeigten. Es war ein malerischer Ort. Von außen überhaupt nicht annehmbar. Aurora war immer noch überwältigt von der Macht des Zaubers, der diese Pracht zu verschleiern mochte. Sie wünschte, sie würde solch' atemberaubende Magie beherrschen.
"Ich möchte das auch vermögen", hauchte sie ehrfürchtig und umfasste die Hand ihrer Gastgeberin. "Kannst du mir das beibringen?"
"Selbstredend nicht!", zischte Lazarica wütend und schien mit einem mal wie ausgewechselt. "Ich bin dir nicht zu Diensten! Du bist hier zu meiner Unterhaltung, nichts anders herum!" Das Gesicht der Vampirin verzerrte sich vor Zorn und glich dem einer drohenden Schlange, den Kiefer weit nach unten gezogen, die geschlitzten Pupillen aufgebracht funkelnd. Aurora wich erschrocken zurück und starrte sie wie ein geprügeltes Tier an. Augenblicklich beruhigte Lazarica sich wieder, nahm ihr gewöhnliches, bezauberndes Äußeres an, strich sich die Haare glatt und richtete ihre Kleider, auch wenn ohnehin alles perfekt aussah. "Verzeih", sagte sie knapp und räusperte sich leise, ehe sie fortfuhr, "die Geschichte mit deinem Vampir hat mich ein wenig gereizt. Ich wollte es nicht an dir auslassen. Dennoch bin ich nicht hier, um dir irgendetwas beizubringen. Erinnere dich allerdings an meine Worte; dieser Turm ist nun dein zu Hause! Tu meinen Katzen kein Leid und was mein ist sei dein. Jedes Buch, jeder Foliant und jede Schriftrolle stehen dir offen. Lies sie, wenn du etwas lernen willst. Du findest hier nicht nur Heldengeschichten und Gedichte, glaub mir. Doch nun entschuldige mich, ich habe noch etwas zu erledigen!" Lazarica wandte sich ab und stieg ohne ein weiteres Wort die Treppe in ihre Gemächer hinauf. "Wie lange hast du gebraucht, das hier zu lernen?", rief Aurora ihr noch hinterher.
"Jahre, Liebes, Jahre...“, erklang die Stimme der Lahmia, während ihre Gestalt im Schatten verschwand, nun wieder zuckersüß. Jahre also. Aber als Vampir hatte sie Zeit, ebenso wie ihr Widersacher. Sie konnte sich diese Jahre nehmen und da Lazarica nun ohnehin beschäftigt war, könnte sie gleich damit anfangen. Noch einmal rief sie sich das Gesicht dieses Ungetüms ins Gedächtnis.
Der Gedanke an Rache trieb sie an.


Mit besorgtem Blick betrachtete Schneider Odinoki, die immer noch zitternd zwischen zwei Kisten saß. Zabota, wie sie es selbst immer nannte. Zabota in seinem Blick. Neben ihm schwafelte der dicke Oswald irgendwas von Kindern und ihren Launen und dass das alles vergehen werde, wenn sie nur ein wenig älter sei und er habe ja selbst zwei stolze Jungen und, und, und... Schneider hörte nur mit halbem Ohr hin, in Gedanken war er bei Odinoki. Er hatte genug von der Welt und ihren Unheilen gesehen, dass er wusste, dass es sich bei ihr nicht nur um die Wirren eines Kindes handelte. Nein. Ein Schatten lag auf ihrer Seele. Etwas belastete sie, nahm ihr die Unbekümmertheit, die ein Mädchen in ihrem Alter verdient hätte. Er ertappte sich selbst immer wieder dabei, wie er sie noch als kleines Kind betrachtete, obwohl sie beinahe schon eine junge Frau war, doch sie schien ihm immer so hilflos und verloren. Dass sie in wenigen Jahren bereits selber Söhne und Töchter haben könnte, war ihm undenkbar.
Seufzend wandte er den Blick ab und starrte auf den breiten Rücken des Ochsen, der den Karren über die matschige Straße zog. Er wusste nicht was er tun sollte. Es hatte lange gedauert, ehe Odinoki sich überhaupt getraut hatte, mit ihm zu sprechen und nun, nach dem Vorfall vor ein paar Stunden, sprach sie kein einziges Wort mehr. Nichts hatte geholfen, kein Versprechen, kein Flehen, keine Freundlichkeit, kein Verständnis und kein Ärger. Sie blieb stumm. Und er wusste einfach nicht, was los war oder was er tun könnter. Würde sie es ihm sagen, zu ihm sprechen, vielleicht könnte er ihr dann helfen, diese Last von ihren Schultern nehmen und dafür sorgen, dass es ihr wieder gut ging, dass sie wieder lächeln konnte. Doch so? Er war machtlos.
Oswalds Stimme war zu einem anhaltenden, verzerrten, dumpfen Ton verkommen, der taub durch seine Ohren pfiff und seinen Schädel mit Mattigkeit füllte, auch wenn er kein Wort mehr von dem verstand, was der Mann sagte. Trübe Gedanken hingen wie Nebelfäden hinter seiner Stirn und machten ihm das Denken schwer. Er fühlte sich müde und erschöpft. Ihm fiel auf, dass er, nun da er Tag und Nacht wandeln konnte, im Licht des Mondes und der Sonne, wie es ihm beliebte, so gut wie gar nicht mehr schlief, die Augen immer nur für ein paar kurze Momente schloss. Eigentlich hatte er nicht angenommen, dass ein Wesen wie er es war überhaupt noch Schlaf brauchte, aber anscheinend irrte er sich in diesem Punkt. Nicht viel vielleicht, aber ein bisschen? Es erschien ihm reizvoll die Lider fallen zu lassen und für einige, wenige Augenblicke weg zu dämmern, doch er wollte nicht unhöflich gegenüber Oswald sein, der, zumindest für seinen Teil, ein angeregtes Gespräch mit ihm führte. Oswald war ein guter, ehrlicher Mann, vermutlich einer der letzten auf dieser elenden, sich verdunkelnden Welt. Er wollte ihn nicht verärgern. Er hatte es nicht verdient. Ohne jede Rückfrage hatte Oswald sie auf seinem Karren mitgenommen, ihnen Speise und Trank geboten. Sie Freunde genannt, ehe sie noch kaum drei Worte miteinander gewechselt hatten. Ein seltener Lichtblick in diesen Zeiten. Alles war so finster. Alles war so kalt. So taub. Was hatte sich in den Jahren verändert? Nur er selbst. Das Land kam ihm so trist vor, die Bäume knorrig, die Sträucher voller Dornen, die Wiesen grau und ersoffen im Regen, der Boden kalt, nass und verschlammt, der Himmel schwarz, der Wind eisig, donnernde Wolkenberge und grelles, geisterhaftes Leuchten in der Ferne. Nicht nur jetzt, im Sturm, nein, seit Jahren. Seit seiner Verwandlung. Monatelang hatte er die Sonne nicht gesehen, doch jetzt, wo er sie wieder sehen konnte, war ihr Licht kalt und blau und sie hüllte sich in einen Mantel aus Nebel, Dunst und Wolken, war nur als grelle, unangenehm beißende Scheibe hinter einem dunklen Vorhang zu sehen. Aber nicht nur die Sonne und der Himmel schienen ihm verändert. Auch die Menschen. Dreckig, verlogen, mit eingefallenen Gesichtern und toten, leeren Augen, als lebten sie nur von Tag zu Tag, nicht weil sie leben wollten, sondern weil sie es mussten, da sie sich vor dem Sterben fürchteten. Vor dem Leben, wahrem Leben, allerdings auch. Er fragte sich, ob er früher auch so war und nur jetzt, wo er kein gewöhnliches Leben mehr führen konnte, sah, wie die Menschen ihre Zeit auf dieser Welt vergeudeten, doch es kam ihm nicht so vor. Als er noch lebendig gewesen war, ja, da hatte die Sonne golden gestrahlt, den blauen Himmel mit glänzendem Licht geflutet, schöner und leuchtender als alle Diamanten dieser Welt es konnten. Grünes Gras hatte sich sanft im lauen Wind gewiegt, die Erde war fest, warm und von einem satten Braun gewesen, hatte nach Leben geduftet. Das Lachen der Menschen, sein eigenes ebenfalls, hatte fröhlich und voll geklungen, heute klang es nur noch lieblos und hohl, falsch und vorgetäuscht. Oswald erinnerte ihn an diese alte Zeit, wie er so offenherzig über dieses und jenes plauderte, ihm von seinen Kindern erzählte, seinem Beruf, der ihn glücklich machte, seiner Frau, die ihn liebte, seinen Nachbarn, die er schätzte, sein Handelshaus, das ihn nährte und seinem Heim, das ihn wärmte. Er sprach nicht über Gerüchte von Schatten, Orks und wandelnden Toten, er sprach nicht über Krieg und Tod, nicht über den Imperator, der ja alles viel besser hätte machen können, nicht über Sigmar und seine gerüsteten Priester, von denen er sich so viel erwartete und die nie für ihn da waren, nein. Er sprach nur über gute Dinge. Und Schneider konnte es genießen, ohne ihm auch nur eine Sekunde lang zu zu hören. Es war angenehm, ruhig und machte sein Herz leicht. Keine schlimmen Geschichten, keine dunklen Legenden. Ehrliche Worte eines ehrlichen Mannes.
Er blinzelte verwirrt und es war ihm, als sei er doch für eine kurze Zeit weggenickt, denn Oswald sprach plötzlich nicht mehr und die Gegend schien leicht verändert. Weniger Bäume, mehr Schlamm. Der Himmel hatte ein kränkliches Weiß angenommen, ein ungesundes, diesiges Licht stach durch die Wolken. Ihm fiel auf, dass er auf dem Kutschbock in sich zusammengesunken war und setzte sich wieder auf, rieb sich mit einer Hand die juckenden Augen. "Ihr wart kurz weggetreten, mein Freund", lachte Oswald und schlug ihm herzlich auf die Schulter. "Ihr habt geschnarcht wie ein alter Zwerg!"
"Verzeiht", murmelte Schneider und spürte, wie das taube Gefühl der Müdigkeit langsam aus seinen Armen und Beinen wich.
"Ich bitte Euch, eine Entschuldigung ist nicht von Nöten, es war ein anstrengender Tag für Euch, mit ein paar anstrengenden Stunden."
Oswalds Stimme hatte einen sehr vertraulichen Ton bekommen und er nickte Schneider mit ernstem Blick zu. Bei diesen Worten schälte sich die Erinnerung an Odinoki aus seinem bleiernen Verstand und er sah sich nach ihr um. Auch sie schien eingenickt, hatte jedenfalls die Augen geschlossen, saß aber immer noch in der gleichen Haltung wie vorhin zwischen den Kisten und Säcken. Leise rief er ihren Namen, doch sie reagierte nicht. Wenn sie ihn gehört hatte, dann wollte sie es ihm nicht zeigen. Mit niedergeschlagener Miene wandte sich Schneider wieder an Oswald: "Wie lange war ich weg?"
"Nur eine Stunde, vielleicht zwei. Kein Grund sich zu schämen, mein Freund, ich hatte hier alles wunderbar im Griff." Er zwinkerte und nickte Schneider aufmunternd zu. Die Wulst seines Halses schob sich dabei hoch in seine Wangen, formte sie zu zwei großen Kugeln und ließ ihn aussehen wie ein freundliches, dickes Nagetier, mit einem breiten Lächeln auf den aufgeplusterten Zügen. Schneider musste grinsen, ob der gesunden, fleischigen Erscheinung des großen Mannes, doch es war kein Hohn darin, sondern nur ehrliche Freude. Bei jeder Bodenwelle wackelte Oswalds gesamter Leib und sein Bauch sprang in die Höhe, als verberge sich ein aufgeregter Welpe darin.
"Habt vielen Dank dafür, für alles", antwortete er ihm mit einem Lachen.
"Ach nicht doch, eigentlich müsst ihr auch gar nicht mir danken. Sondern Grolo, dem alten Ochsen, schließlich zieht er den Karren und meinen dicken Hintern. Auch wenn er manchmal zieht wie ein greises Maultier!" Oswald ließ ein bäriges Lachen hören und schlug dem Ochsen mit der Rute ein paar mal sanft auf das Hinterteil. Ein tiefes, ruhiges Blöken war die Antwort. Schneider muss erneut lachen. Grolo und Oswald kamen ihm vor wie zwei alte Freunde, auf gemeinsamer Reise in die unbekannte Fremde. "So dick ist Euer Hintern auch nicht, Oswald, immerhin nicht so dick wie seiner" , sagte er und deutete auf den Ochsen. "Das will ich aber überhört haben", antwortete Oswald mit gespieltem Ernst, "Niemand sagt etwas gegen meine alte Milchkuh!"
Plötzlich ging ein Ruck durch den Karren, Grolo schnaubte nervös und zog mächtig an und Schneider, der nicht damit gerechnet hatte, wäre beinahe vom Kutschbock gefallen. "He", rief Oswald, der auch sichtlich überrascht war, "so war das doch gar nicht gemeint, du alter Sturkopf!" Doch mit Worten schien sich der Ochse nicht beruhigen zu lassen, im Gegenteil. Grolo zog immer stärker und schneller, verfiel in leichten Trab und war scheinbar völlig außer sich. Er blökte und schnaubte und befand sich in heller Panik. Doch die Geschwindigkeit war zu hoch für die unebene Straße und wenn sich der Ochse nicht beruhigte und sie nicht wieder langsamer wurden, dann würde bei dem schwer beladenen Karren noch die Achse brechen. Oswald meckerte und fluchte, hieb seinen Ochsen mit der Rute, doch auch wenn Schneider keine Ahnung von Vieh hatte, bezweifelte er dennoch, dass das irgendetwas nützte. Der dicke Kaufmann konnte nichts tun. Jemand tippte ihm auf die Schulter und er wandte sich um und sah in Odinokis besorgte Augen, die fragend mit den Schultern zuckte. Er befahl ihr, sich wieder nach hinten zu setzen und ruhig zu bleiben, dann sprang er mit einem Satz vom Bock. Matsch spritzte auf, als er bis zu den Knöcheln in den braunen Boden sank, doch der rutschige Schlamm störte ihn nicht. Mit wenigen, schnellen Sprüngen hatte er den wildgewordenen Ochsen überholt und stellte sich breitbeinig vor ihm auf die Straße. Ungebremst donnerte Grolo auf ihn zu, warf den Kopf in wilder Angst umher, Schaum stand ihm vorm Maul. "Was tut Ihr da? Seid ihr wahnsinnig? Verschwindet da!", hörte er Oswalds Stimme durch das panische Blöken, des Ochsen hindurch. Er konnte das ängstliche Gesicht des Mannes sehen, verzerrt durch die Schleier des aufspritzenden Schlamms.
Mit einem Ruck trafen Grolo und Schneider aufeinander. Der Vampir packte den heranrasenden Ochsen an den Hörnern, drückte seinen Schädeln nach unten und stemmte sich mit aller Macht gegen das tobende Tier. Ein scharfer Schmerz zuckte durch seine Arme, als seine Muskeln sich bis zum Zerreissen spannten, um gegen die Kraft des ausgewachsenen Bullen zu bestehen und er stieß einen kurzen Schrei aus, biss dann die Zähne zusammen und legte seine gesamte Stärke in den Versuch, die vorantreibende Wucht von Tier und Karren zum Stillstand zu bringen. Mehrere Schritt weit wurde er von Grolo durch den Schlamm geschoben, spürte wie kleine, scharfe Steine im Schlamm ihm seine Füße und Waden zerschnitten, doch dann, nach einigen endlosen Sekunden, kam das Gespann endlich zum Stehen. Keuchend ließ sich Schneider gegen den breiten Hals des immer noch unruhigen Ochsen sinken, hielt weiterhin seinen Kopf nach unten gedrückt, doch der Bulle leistete kaum noch Widerstand. Mit einem Kribbeln verheilten seine geschundenen Füße. Wie benommen tätschelte er Grolos Kopf, spürte die aufgeregte Hitze des Tieres an seinem Körper und der angestrengte Geruch von Fell und Schweiß stieg in seine Nase. Schnell und schwer pumpte das Herz des Ochsen das Blut durch seinen Leib, ließ den großen Lebensfaden an seinem Hals in regelmäßigen Abständen erbeben. Schneider schluckte. Seine Kehle erschien ihm plötzlich wie ausgedörrt. Er hatte ohnehin lange nichts getrunken und die Anstrengung hatte ihn durstig gemacht. Wie eine Faust hämmerte jeder Herzschlag des Ochsen in seinem Schädel und er konnte seine roten Augen nicht mehr von der pulsierenden Ader wenden. Der Durst wurde schlimmer, das Pochen in seinen Ohren zu einem schrillen, betäubenden Rauschen. Ein hohes Pfeifen füllte den Raum hinter seiner Stirn, ein schriller, beißender Ton, der in seinem Kopf schmerzte und der nur verschwinden würde, wenn er seine Zähne in das zähe Fleisch des Ochsen grub und sein dunkles, dickes Blut soff...
Eine Hand legte sich auf seine Schulter und riss ihn aus seinen düsteren Gedanken und Lüsten. Erschrocken fuhr Schneider herum und blickte in Oswalds Gesicht. Der feiste Mann stützte sich an Grolos Rücken ab und war mehr außer Atem als Schneider selbst. Schillernder Schweiß stand ihm auf der Stirn, aber sein Blick war klar und ernst. Schneider, immer noch keuchend und wild mit einer Hand gestikulierend, suchte nach Worten und hoffte irgendwie überspielen zu können, dass er gerade mit bloßen Händen einen rasenden Ochsen gebremst hatte. "Ich weiß nicht, weshalb er durchgedreht ist.“, begann er, „Vielleicht sind irgendwo Wölfe in der Gegend, oder ein Bär, den er gewittert hat, oder sonst irgendwelche anderen wilden Tiere. Wir sollten auf jeden Fall sicher schnell weiter."
Oswald nickte, ließ ihn aber nicht aus den Augen. "Ihr habt sicher recht, mein Freund", antwortete er knapp und nach Luft ringend. "Doch vorher mögt Ihr mir vielleicht erzählen, was das eben war? Ich meine, ich war schon verblüfft, als Ihr meinen Karren aus dem Schlamm befreit habt, doch ich hielt Euch für einen kräftigen, jungen Mann, der meinem alten Ochsen auf die Sprünge geholfen hat, nichts weiter, doch das hier? Ihr habt einen wilden Bullen gestoppt, mit nichts weiter als euren Händen und Euch... Euch fehlt nichts? Nicht ein Kratzer, kaum verausgabt! Verzeiht, mir mein Freund, doch bei Euch geht doch etwas nicht mit rechten Dingen zu! Kein gewöhnlicher Mensch vermag so etwas zu tun!"
"Oswald...", begann Schneider und suchte fieberhaft nach einer Ausrede, doch ihm wollte nichts vernünftiges einfallen. "Eigentlich... möchte ich lieber nicht darüber reden." Schneider hoffte nicht darauf, dass der Mann sich davon abwimmeln lassen würde, zu seltsam würde es ihm selbst vorkommen, wäre er an seiner Stelle. Wenn er ihm die Wahrheit sagte, würde er wieder zu Fuß reisen müssen, Odinoki auf dem Rücken tragen, durch Nacht und Unwetter. Und Oswald hatte allen Grund dazu, ihn stehen zu lassen und sich panisch aus dem Staub zu machen. Wenn Schneider ehrlich zu sich selbst war, dann war er es vermutlich selbst gewesen, der Grolo so in Angst versetzt hatte. Wahrscheinlich hatte das Tier seinen aufkeimenden Durst gespürte und versucht vor ihm, vor Schneider, zu entkommen. Mal wieder hatte er, er selbst, seine Begleiter in Gefahr gebracht. Wäre Odinoki was geschehen, er hätte es sich nicht verzeihen können.
"Ihr sagt mir besser, die Wahrheit", sprach Oswald mit flüsternder Stimme. "Sonst..."
"Ihr wollt mir drohen?", fragte Schneider ehrlich verblüfft und warf dem dicken Mann einen zweifelnden Blick zu. Zu seiner Verwunderung brach Oswald nur in schallendes, anscheinend ehrlich belustigtes Gelächter aus. "Was...?"
"Ich Euch drohen, mein Freund? Oh nein, oh nein! Ihr reißt mir noch mit bloßer Hand ein Rad vom Karren! Nein, nein, nein. Aber ihr hättet es mir doch sagen können!"
Schneiders Verwirrung kannte keine Grenzen mehr. Wieso war Oswald so ausgelassen? Störte es ihn überhaupt nicht, dass ein fleischgewordener Dämon vor ihm saß? Ein Kind der Nacht? Fürchtete er sich nicht vor ihm? Oder wovon sprach der Mann?
"Was meint Ihr?"
Oswald musste sich den Bauch halten vor Lachen. Machte er sich über ihn lustig? "Na, ihr wisst schon!", rief er fröhlich aus. Schneider zuckte mit den Achseln. Nein, er wusste nicht. "Ich bitte Euch, Ihr seid enttarnt! Es ist so offensichtlich!“ Sprachlosigkeit. „Ihr seid ein Hammerträger! Gesegnet von Sigmars Kraft!" Schneider fiel ein Steinbruch vom Herzen und in seinem Hals löste sich ein gewaltiger Klumpen. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass auch Odinoki lauschte. Vielleicht war das ganz gut so. "Eigentlich hätte es mir gleich auffallen müssen", plauderte Oswald geradewegs aus dem Bauch heraus. "Ich meine, ihr seht schon so aus wie er! Seht euch an! Die wilden Augen, das zottelige blonde Haar, der dichte Bart! Ihr seht aus, als sei Sigmar höchstselbst zu uns zurückgekehrt! Kein Wunder, dass er Euch mit seiner Macht segnete! Selbstredend, dass ihr mehr Kraft in euren Armen habt, als der alte Grolo in seinem ganzen Leib! Ein greiser Esel, ich hab es doch gesagt!" Während Oswald sich in weiteren Tiraden erging, musste Schneider vor Erleichterung leise lachen. Auf diese Ausrede wäre er niemals selbst gekommen, dabei war sie tatsächlich gar nicht abwegig, zumindest solange er keinem wirklichen Sigmariten begegnete. Die Leute würden Odinoki und ihn nicht mehr abweisend, sondern viel eher zuvorkommend behandeln! In Altdorf selbst müsste er sich was neues einfallen lassen, die Priester des Tempels würden ihm zu schnell auf die Schliche kommen, aber bis dahin hatte Oswald ihm den besten Einfall seit langem geliefert! "Nun, wo Ihr es wisst", sprach Schneider mit erlöster Stimme und klopfte dem Mann vorsichtig auf die Schulter, "fühle ich mich deutlich besser. Es belastet das Herz, Geheimnisse mit sich zu tragen. Ich wollte nicht, dass Ihr euch von mir eingeschüchtert fühlt!"
"Ach, i wo!", rief Oswald und strahlte nahezu. "Keine Bange, mein Freund, ich lasse mich schon nicht so leicht einschüchtern! Und Ihr scheint mir wahrlich ein feiner Kerl zu sein! Doch nun kommt, lasst uns weiterfahren! Nun wo es raus ist, habt ihr sicherlich einige interessante Geschichten zu erzählen, von eurem abenteuerlichen Leben! Ich bin sicher, Ihr seid weit gereist? Habt Dämonen bekämpft?" Innerlich fluchte Schneider schon wieder, da er sich nun irgendwelche haarsträubenden Geschichten ausdenken musste. Er hätte von der großen Schlacht erzählen können und seine Rolle einfach leicht verändern, doch er wollte diese Zeit lieber ruhen lassen und in Vergessenheit begraben. Ihm würde schon was anderes gutes einfallen. Er lächelte und zwinkerte Odinoki zu. Auch sie schien irgendwie befreit und lächelte, das erste mal seit langer Zeit wieder, zurück. Schneider dankte in Gedanken kurz Sigmar und bat um Verzeihung dafür, dass er sich ohne Recht anmaßte, sich selbst als sein Geweihter zu bezeichnen, doch er war sich sicher, dass der Gott ihm verzeihen würde. Mit einem Satz zog er sich auf den Kutschbock und half dann dem dicken Oswald hinauf, der jedes mal einige Mühe damit hatte, sich hier hoch zu hieven. Als sie beide saßen stupste Oswald Grolo mit der Rute an und das Gespann setzte sich wieder langsam in Bewegung. Der Ochse wirkte immer noch sehr unruhig, gehorchte aber und hielt die Geschwindigkeit. Augenblicklich begann der Kaufmann ihn auszufragen, doch da er ihm zwischen seinen Fragen keine Zeit zum Antworten ließ, hatte er wohl noch eine Weile, bis er sich die ersten paar Lügen ausdenken musste. Schneider lächelte zufrieden. Was für ein unglaubliches Glück, dass sie Oswald getroffen hatten. Ein gutes Gefühl für die Zukunft erfüllte ihn. Seinen ersten Freund hinter Altdorfs Mauern hatte er schon mal gefunden. Er lehnte sich zurück und betrachtete den Himmel. Weit über ihnen kreiste ein großer Raubvogel. Wohl ein Adler oder ein Falke, auf der Suche nach Mäusen oder Hasen im Schlamm...


Der Schlag des Hammers traf ihn und augenblicklich wurde alles stumm und schwarz. Ein Meer aus Kälte und Endgültigkeit schwappte über ihn, zog ihn in seine drückenden Tiefen. Sterben rann in seine Kehle und flutete seine lang erkalteten Lungen. Er hatte gedacht, es würde sich anders anfühlen, doch wie es war, war es gut. Es war so ruhig. So still. So still... War er bereits tot? Oder steckte noch ein letzter Funke seines vergehenden Unlebens in ihm? Wie lange würde es noch dauern? Und wie, ja, das war die größte Frage, wie würde sich wohl dieser letzte Schritt anfühlen? Friedlich? Ja, das hoffte er, friedlich. Schon die Ruhe und Gleichgültigkeit, die die Dunkelheit um ihn herum umspülte schien ihm angenehm, doch noch war er da. Da war noch etwas. Seine Seele kreiste noch in seinem toten Körper, machte sich bereit für den ewigen Schlaf. Wie er sich darauf freute. Er hoffte, Walther Groll würde zu seinem Wort stehen. Sein alter, alter Feind. Markus war geschlagen, er hatte seine Rache gefunden und nun war nichts mehr geblieben, was er auf dieser Welt zu tun hatte. Er war fertig. Es war zu Ende. Eigentlich hatte er keinen Grund, dem Sigmarpriester zu trauen, doch er hegte auch keinen Zorn gegen ihn. Mochte er tun, was er gedachte. Er hatte es verdient, dass er es war, der ihn schlussendlich zur Strecke hatte bringen dürfen. Zwanzig Jahre, vielleicht noch länger, für einen Menschen eine so lange Zeit... so lange, hatte er ihn verfolgt, seine Ränke geschmiedet, um den Imperator zu einem Angriff auf Sylvania zu drängen und so vieles mehr menschenmögliche aufgebracht.... Ja, er hatte es verdient. Es war gut so. Es war endlich passiert.
...
Wie viel Zeit war vergangen? Er war noch da. Noch immer. Doch da waren keine Tage, keine Jahre, Jahrzehnte. Sein Bewusstsein war nur Dunkelheit. Vielleicht war er erst seit ein paar Stunden tot, vielleicht schon ein paar Dekaden. Eine halbe Unendlichkeit? Er wusste es nicht. Wo war sein Leib? War er beerdigt worden? War Tatjana bei ihm? Hatte Walther Groll sein Versprechen gehalten? Dunkelheit, nur Dunkelheit und Stille. Er war noch da. Irgendwo. Doch diese Einsamkeit machte ihm Angst. Wie viel Zeit war vergangen? Was war geschehen? Wann würde er endlich sterben? Wieso ließ man ihn nicht ziehen.
Es kam ihm lange vor, so lange und irgendwann war er sich sicher, dass mehrere Jahrhunderte vergangen sein mussten! Er wünschte sich, dass seine Seele endlich dem Chaos anheim fallen möge, alles wäre besser als diese Stille, alles. Sogar Qual. Hauptsache etwas. Aber da war nichts. Finsternis. Stille. Stille. Stille...
Doch dann, endlich. Endlich, nach langer Zeit, drang ein schmaler Strahl von Licht in die Dunkelheit. Ihm war als sehe... oder fühle... er einen Schatten, der sich durch diesen Strahl drängte. Ein Geruch von Ruhe und Stein drang in seine Nase. Er fühlte... ja... er fühlte... Walther Groll. Er wusste nicht ob er mit dem Auge oder mit seinem Verstand sah, doch er sah Walther Grolls dichten brauen Bart und dort auf seinem Arm - Tatjana! Er hatte sein Versprechen gehalten! Er fühlte Glück. Dann wurde alles wieder schwarz und dunkel, doch er fühlte, dass er nicht mehr alleine war. Dort war Tatjana. Sie war bei ihm, auf ewig! Und auch, wenn er niemals seinen Frieden finden sollte, diese Stille, diese Dunkelheit, doch mit ihr zusammen, das war für ihn vollkommen. So konnte es bleiben, auch für tausende von Jahren. War dies das Ende? Vielleicht gab es keine Hallen Sigmars, vielleicht gab es keine Feuer und Chaosgötter, keine Qualen und ewigen Leiden. Vielleicht war dies das Ende. Vielleicht war es immer so. Bei Tier, Mensch und Monster... Er spürte Tatjana an seiner Seite. Hin und wieder suchte er sie mit Blicken, doch er konnte sie nicht sehen. Um ihn war nur Finsternis, doch er wusste, sie war da. Und sie wusste es auch. Sie waren zusammen. Vereint. Auf ewig. Lange, stille Zeit verging und er gewöhnte sich an diesen Zustand, an diese Art des Seins. Es war wie ein langer, langer Traum, aus dem ein Mann nicht mehr erwachen konnte. Er lernte, ihn mit Bildern zu füllen, mit Farben und Tönen. Nichts davon existierte wirklich. Er war tot, das wusste er. Doch der Tod erschien ihm nicht so furchteinflößend. Es war angenehm. Und still. So viel gleichmäßiger als das Leben. So viel gleichmäßiger als der Tod, den er zuvor gekannt hatte. Lange, stille Zeit verging.
Und dann, eines Tages. Ein Lichtstrahl, erneut. Wieder der Geruch von Ruhe und Stein, wieder ein Schatten, der in diese Stille trat. Weitere Gesellschaft? Er wünschte nicht, dass jemand drittes die Ruhe von ihm und Tatjana störte, nein, er wollte mit ihr alleine bleiben! Und ohnehin, wer könnte es sein? Er sah, fühlte die Züge des Mannes, wusste, dass er sich über ihn lehnte, über seinen toten Leib. Die Ruhe war verschwunden. Krieg herrschte in ihm. Panik. Er kannte dieses Gesicht. Bleib fort, wollte er schreien, doch es gab nur Stille. Nur Stille. Er wurde entrissen, aus seinem Traum. Tatjana war verschwunden. Und er fühlte Unglück. Hilflos. Ohnmächtig. Er konnte nichts tun. Überall war diese einsame Dunkelheit. Und lange, stille Zeit verging...
Erneut der Strahl, erneut das Gesicht. Erneut Krieg und Panik. Wie viel Zeit war vergangen? Tatjana! Tatjana! Wie lange hat sie ohne ihn sein müssen? Wie sehr musste sie leiden! Wie sehr er selbst litt! Er wollte schreien, doch - Stille. Er fühlte Kälte - das erste mal seit langem fühlte er etwas. Es war seltsam, als fülle sich sein Körper mit Wasser, wie ein Tonkrug. Er war noch da. Er war wieder da. Nein! Er spürte etwas. Eine Art... Geschmack? Salz. Metall. Blut auf seiner Zunge. Es waren die ersten sinnlichen Gefühle seit einer schieren Ewigkeit und es wirkte sonderbar unvertraut. Es war, als rissen plötzlich tausende, gierige Finger nach ihm. Es war, als...
...
Kasimir riss die Augen auf, schrie, fuhr hoch, ein Schwall eisiges Wasser traf ihn ins Gesicht, ein grausames Lachen seine Ohren. "Willkommen zurück unter uns Unlebenden, Fürst", zerschnitt Slawas grässlich scharfe Stimme die Stille, die so lange sein Begleiter gewesen war. Er wollte ihn anspringen, zerreissen und töten, doch eine schwere Kette hielt ihn zurück. Verwirrt betastete er den Eisenring an seinem Hals. Sie hatten ihn gefangen und eingekerkert, an eine Leine gelegt, wie einen wilden Hund. Der Ring war nicht dick, doch er war viel zu schwach, um ihn zu zerreissen. "Du bist nun mein", sprach Slawa und seine Stimme schien von einer sonderbar bleiernen Härte. "Und du wirst mir zu Willen sein... bald..." Noch fühlte sich sein ganzer Leib taub an und alles erschien ihm unwirklich? Geschah das wirklich? Tatjana... Langsam füllten sich seine Augen mit kaltem Blut, heißen Tränen. Verschwommen sah er Slawas schlanke, schwarze Gestalt hinter dem roten Schleier, entsprungen aus einem grauenvollen Gemälde. Er kannte die Gewänder seiner Art. Von Carstein.
"Niemals", flüsterte Kasimir heiser. Es tat weh, sein Hals schmerzte, seine Kehle zog sich unangenehm zusammen. Es schien ihm, als habe er noch nie zuvor gesprochen. Seine Zunge schien ihm gleich einem rissigen Waschlappen. Hilflos wie ein Säugling. Slawa tat nicht mehr als ihn hemmungslos auszulachen. Der Leib des hochgewachsenen Fürsten schüttelte sich vor falscher Freude. Von all' den niederen Vampiren hatte ausgerechnet Slawa von Carstein nach der Macht über den Drakenhof greifen müssen. Er hatte Slawa gehasst. Schon damals. Und Slawa ihn.
"Sträube dich ruhig noch ein paar Jahre gegen dein erbärmliches Schicksal", antwortete Slawa mit genüsslich langgezogenen Wörtern. "Das macht deine Niederlage nur um so köstlicher für mich und umso demütigender für dich. Ein Gewinn für uns beide für ich sagen. Doch was auch immer du tust, schon bald gehört du - ganz - und - gar - mir!"
Kasimir schrie. Stemmte sich gegen seine Ketten. Es half nichts. Slawa verließ sein Verließ. Und lange, stille Zeit verging.
...
Komm zu mir.
Komm zu mir.
Komm zu mir.
Ich komme! Der eisige Wind strich durch Kasimirs Gesicht. Er fühlte seine ledrige Haut, als sei sie Pergament, das man eng über seinen Leib gespannt hatte. Seine einstige Schönheit war auf seinem Antlitz und in seinem Geist schon lange verblichen und vergessen. Er gehorchte bloß den Befehlen des Meister. Denken bereitete ihm Schmerzen. Erinnern noch viel mehr. Die Stimme des Meisters, das war genug. Er würde den Ring finden. Und ihn zu ihm bringen. Mit einem kräftigen Schlag seiner weiten Schwingen stieg er höher hinauf in die Lüfte, stieß durch einen Regenschleier und schmetterte einen hohen Schrei aus seiner Kehle hinaus.
Komm zu mir.
Komm zu mir.
Komm zu mir.
Ich komme doch! Ich eile! Er war bald dort. Der Ring war nahe. Er hörte seinen Ruf. Der Sturm des Meister behinderte seinen Flug, aber bannte dafür das gleißende, schmerzende Sonnenlicht hinter die schwarzen Wolken. Er kam trotzdem schnell voran. Er war ganz und gar in seinem Element. Zu fliegen fühlte sich gut an. Gerade nach der langen Zeit, die er angekettet im Kerker verbracht hatte. Eine eiskalte Leidenschaft, oh ja, er liebte es! Er war beeindruckt, wie leicht es ihm fiel, es ging wie von selbst. Seine Flügel zerteilten Luft und Winde, trugen ihn schneller und weiter als jeden Vogel dieser Welt. Ein Kinderspiel. Als wäre er niemals etwas anderes gewesen, als das, was er jetzt war. Ein Vargheist.
Komm zu mir.
Komm zu mir.
Komm zu mir.
Ich komme ja, ich komme ja! Stunden vergingen, später ein Tag, dann ein zweiter. Doch unaufhörlich kam Kasimir von Carstein dem Ring näher. Das konnte er spüren. Er hörte seinen stetigen Ruf, seinen Befehl. Und die Stimme des Meister, in seinem Kopf. Bring ihn zu mir. Bring ihn zu mir. Bring ihn zu mir. Vergessen waren alte Zeiten und alte Namen. Slawa, diesen Namen liebte und hasste er. Er wusste, dass er ihn hasste. Es gab nichts, was er mehr hasste. Doch es war der einzige Name, den er kannte. Dafür liebte er ihn. Es war alles, an das er sich erinnern konnte. Slawa. Und sein Ring. Alles was er hassen und lieben konnte. Und man musste hassen und lieben.
Komm zu mir.
Komm zu mir.
Komm zu mir.
Ich komme! Er war dort. Seine Reise war zu Ende. Irgendwo unter ihm war der Ring. Dort, auf der finsteren Erde. Er presste die Flügel an seinen Leib und stieß kreischend durch die Wolkendecke, spannte sie dann ruckartig wieder auf und schwebte gleich einem gewaltigen Raubvogel in der Luft. Weit hing er über der Welt und seine glühenden Augen suchten das flache Land ab. Der Ring war hier. Er spürte ihn. Bring ihn zu mir. Dort. Dort war er. Einige Meilen entfernt erkannte er einen kleinen Karren, der sich über die Straße quälte, gezogen von einem fetten Tier. Der Duft von Fleisch war stark und er hätte sich zu gern auf dieses Tier geworfen und es in Fetzen gerissen, sich an seinem Blut gelabt und seine Innereien gefressen. Oh ja, das würde er! Doch erst brauchte er den Ring. Er war in diesem Tier. Oder? Nein, nein. Er war in dem Karren! Er hörte ihn rufen! Komm zu mir! Ich komme, dachte Kasimir. Ich komme. Und erneut setzte er zum Sturzflug an. Er stieß nieder wie der geflügelte Tod höchstselbst, so schnell, dass kein menschliches Paar Augen ihm zu folgen vermochte! Vor ihm zerteilte sich die Luft so scharf, dass sie wirbelnde, weiße Schleier bildete, die ihn umspielten wie Fahnen im Sturm! Dieses Gefühl war vollkommen! Alles was er wollte. So könnte es bleiben, auch für tausende von Jahren, so, wie er hier auf seine Beute niederstieß. Doch es währte nur ein paar verstreichende Bruchteile eines Moments. Er streckte seine Klauen aus, zielte genau auf den Karren, auf den Ring! Gleich war er da! Nur noch einen Augenblick!
Komm zu mir.
Komm zu mir.
Komm zu mir.
Ich komme!
 
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Forget

Bastler
19 September 2009
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28
Schön das du wieder Lebenszeichen von dir gibst :)
Ja, der Mangel an zeit ist wirklich ein hauptproblem auf dieser Welt.
Zu dem Kapitel: Aurora darf sich also als Haustierchen anbiedern? Na wunderbar, freu mich schon auf Magie experiemente mit explosiven ende^^
Schneider wiederinmal in seiner besten Melancholie.
Und Kasimir als Vargulf... Naja, ich hoffe auf einen epischen Kampf mit dem überleben von ihm.

Am besten fangst du gleich das nächste Kapitel an und vergisst den Schlaf ;)
 

yinx

Erwählter
8 Oktober 2006
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Nicht Varghulf ;)Vargheist Immer dicht an der Vorlage.
Am besten fangst du gleich das nächste Kapitel an und vergisst den Schlaf
Das hab ich sogar schon gemacht, aber das heißt leider nichts, hab ich bei dem letzten Teil auch gemacht. Ich vergess das dann einfach immer mal wieder und es fällt mir nur ein, wenn ich gerade keinen Computer parat hab u.ä.^^
Auf jeden Fall wieder mal vielen Dank für dein Feedback. Ich muss mich wirklich mal ranhalten, hatte ja wieder 50 Kapitel angesetzt und bei einem Kapitel/Monat (im Schnitt) stehen uns noch fast 2 Jahre bevor :eek: Geht ja so nich
 

etepetete

Fluffnatiker
6 Februar 2003
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Argghhhhhh ... zu Ende ... Oh nein... es muß doch weiter gehen ...
Moin Erstmal .. schon vor eingen Monaten entdeckte ich deine Geschichte und stellte die Tage erfreut fest, es ging seidher weiter und war bis gerade auf höchste erfreut und entzückt (habe deine letzte Äußerung bezüglich der Hochrechnung über die Fertigstellung ignoriert).
Wahnsinn was du bisher vollbracht hast. Da kann so mancher Roman, der mir durch die Hände gegangen ist, nicht gegen ankommen. Ich liebe dieses stimmungsvolle Schreiben, da sind echt sehr sehr gute Stück bei (man kann manchmal merken wenn dich der Elan gepackt hat und wann du dich durchgerungen hast weiter zu machen) Das also Positiven Hinweis, den in diesen Hochphasen sind die Stimmungsbilder sehr sehr .. ja was it das passende Wort dafür ... bildgewaltig?. Sehr schöne Stimmungen und bei jedem Strang gelingt es dir diese sehr stimmig zu untermalen.
Lasse dich durch die wenigen Leser die sich äußern auf keinen Fall entmutigen, viel Text schreckt heutzutage viele viel ab *g*, aber die die es wagen finden wirklich etwas wieder das seines gleichen sucht. Ich würde es wie schon erwähnt sogar besser als den ein oder anderen Romanautor betiteln, die ganz andere Auflagen herausgeben.
Ein Jammer das mit der fehlenden Zeit (oder den vielen anderen Dingen die noch so einem beanspruchen), ich kenne das leider ebenso und hoffe das du immer wieder und hoffentlich in nicht zu langen Pausen, zum weiterschreiben kommst.
eigentlich gebührt dir noch wesentlich mehr Lob für all das was du geschrieben hast, aber ich hoffe die wenigen Worte reichen aus meine Begeisterung einigermaßt kund zu tun
 

yinx

Erwählter
8 Oktober 2006
628
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Hey Leute,
mal wieder ein kleines, kurzes Lebenszeichen von mir, es kam ja schon wieder über ein Jahr nichts. Kaum zu fassen, wie schnell die Zeit vergeht...
Ich denke aber nicht, dass ich in nächster Zeit kontinuierlich weiter schreiben kann und werde, ich hab neben Uni, Job und Co einfach zu viel zu tun. Insofern werde ich es sicher niemandem übel nehmen, wenn er sich nicht die Zeit nimmt, sich wieder in die Story einzulesen, um den Teil hier anbei zu verstehen! ;)
Dem der es vielleicht doch tut dennoch viel Spaß! Liebe Grüße und bis demnächst!
yinx


Kapitel XVIII

Achtzääähn #2


Boskopp lugte mit zusammengekniffenen Augen über den Felsen, versuchte den eisigen Wind, der ihm ins Gesicht biss zu ignorieren und durch den strömenden Regen etwas genaues zu erkennen, aber er sah kaum mehr als einen gigantischen, schwarzen Wurm, der sich durch den Gebirgspass schlängelte, begleitet von geisterhaftem Heulen und Stöhnen. Tote Dinga. 'N Hauf'n tote Dinga! Scheppernd drang das Quietschen und Ächzen uralter Rüstungen bis an seine Ohren, mahlend rieb sich der Rost in den Gelenken ab, bei jedem Schritt, schleifend und brüchig, knarzend und krächzend. Eigentlich erschienen sie Boskopp fast wie Orks. Zumindest in diesem Punkt.

Rraggatt gesellte sich rumpelnd und grunzend zu ihm und blickte ebenfalls über die schroffen Felsen hinab in den Talkessel, durch den sich der gewaltige, untote Heerzug schob. Die schlurfenden Toten hatten nur wenige Lichter entzündet, so dass selbst die Orks kaum mehr erkennen konnten, als ein paar düstere Schatten in der Tiefe. Scheppernde, ächzende Schatten. Scheinbar blind zog die gewaltige Streitmacht durch Dunkelheit und Berge. Die vereinzelten Fackeln, die hin und wieder ein gespenstisch flackerndes Licht über die vermoderten Gestalten warfen, nahmen weder am einen Rande des Horizonts, noch am anderen ein Ende. Wie leuchtende, rote Augen saßen sie auf dem Rücken der finsteren Schlange.
„Wat mainzt, wie viela sind'z?“, grunzte Rraggatt leise und kniff seine Augen argwöhnisch zusammen. So viele tote Dinga - Menschis, Stumpenz, Wolfä, Flattermäusä, Spinn'. Sogar Orkze und andere Gitzä. Der gewaltige Aufmarsch von grausigen Kreaturen kam ihm schon reichlich sonderbar vor, schließlich hatte er so ein Schauspiel noch nie in den Bergen gesehen. Dass es hier nicht mit rechten Dingen zu ging, stand selbst für eine Grünhaut außer Frage. Feigere Orks oder Goblins und Snots sowieso, hätten beim bloßen Anblick der Untoten wohl schon schreiend Reißaus genommen, doch weder er noch Boskopp hatten Angst vor den stöhnenden Wiedergängern. Einzig und allein die unüberschaubare Anzahl der, nach ihrem Ableben zurückgekehrten Krieger gab ihm ein ungutes, mulmiges Gefühl. Eigentlich traf man sie meistens nur in kleinen Gruppen, beinahe so wenige, dass man sie sogar zählen konnte, auf Friedhöfen oder alten Schlachtfeldern, in verlassenen Ruinen der Stumpenz und hin und wieder einfach so im Matsch, aber noch nie hatten sie sich gleich einem Waaagh! zusammengerottet und zogen bewaffnet durchs Gebirge, wie nur Orks, Rosalinge oder Stumpenz es taten. Zumindest nicht soweit Rraggatt es wusste.
„Kann ich nich sag'n!“, kam die späte Antwort von Boskopp. Der Schwarzork legte seine Stirn in runzlige, nachdenkliche Falten und versuchte die Anzahl der toten Dinga zu überschlagen. Er grunzte angestrengt. Schwierige Aufgabe. Hilfesuchend blickte er auf seine grünen Finger und wedelte ein bisschen mit ihnen herum, so als würde ihm die Antwort dann einfach zufliegen. „Nich weniga als Zähn“, beschloss er nach einer Weile, doch eigentlich war er mit seiner Schlussfolgerung noch nicht wirklich zufrieden. Zehn schien ihm noch nicht ganz ausreichend, um das gewaltige Ausmaß des untoten Heerzuges zu beschreiben. Prüfend blickte er noch einmal über die Felsen hinab ins Tal, um ganz sicher zu gehen. Sein Gesicht verzog sich zu einer sorgenvollen Grimasse. Er schüttelte schwer seinen Kopf, wischte sich dann mit der Pranke den Regen aus dem Gesicht, rotzte einmal auf den Boden und warf Rraggatt einen verschwörerischen Blick zu. „Wüad fast sag'n 'z könnt'n soga Achtzähn sein!“

„Achtzääähn?“, keuchte Rraggat ungläubig und schlug sich mit der Hand gegen die flache Stirn, „So viela?“ Auch er kontrollierte die ungeheure Menge noch einmal mit einem flüchtigen Blick, nicht fähig zu glauben, dass die Toten tatsächlich so zahlreich sein sollten, konnte Boskopp dann aber nur bestätigend zunicken. So viele tote Dinga. Das war ein böses Omen. Und davon hatten sie in letzter Zeit eigentlich mehr als genug gehabt. „Müss'n wa dem Boss mäld'n!“, sagte Boskopp mit ernstem Blick, „Kann sain, dat der wat wizzn tut dezweg'n! Aba wia sin' hier fertig!“
Rraggat grunzte zustimmend und zusammen verließen sie ihren Aussichtspunkt und kehrten zu den restlichen Spähern zurück, die Krommlonk losgeschickt hatte. Eigentlich hatten sie nach Spuren von Grorr'bak und seinen zurückgekommenen Orks Ausschau halten sollen, doch von den Grauhäuten war nichts zu sehen. Stattdessen hatten sie dieses riesige Heer der Verwesung entdeckt, das sich seinen Weg über den Pass vom Drakenhöhenzug ins Weltrandgebirge bahnte. Eine feindliche Streitmacht marschierte im Revier der Orks und das ungesühnt. Ob tot oder lebendig, Boskopp schien das unfassbar. Immer schon hatten sie Eindringlinge gemosht und verjagt. Oder gefressen. Meistens letzteres. Doch nun war der Waaagh! zerbrochen, über Jahre hinweg schon stark geschwächt und in einzelne Stämme zerfallen, hatte sich die letzte große Rotte nun geteilt, in jene, die Krommlonk gefolgt und in solche, die bei Grorr'bak geblieben waren. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann die Schwarzorks im Weltrandgebirge jemals so schwach gewesen waren, wie am heutigen Tage. Vor ein paar Jahren nur hatte Grorr'bak den größten Waaagh! in die Menschenlande geführt, den je ein Ork unter sich vereint hatte und mittlerweile gab es wieder Goblinkönige und -häuptlinge in den Bergen. Pah! Eine Made, die sich zur Herrschaft über andere Maden aufgeschwungen hatte. Das schien ihm so lächerlich, dass er beinahe hätte drüber lachen können, doch leider war das alles trauriger Ernst. Waren die Schwarzorks mächtig, folgten ihnen alle Grünhäute. Waren sie es nicht, taten sie was ihnen gerade in den Sinn kam und genau das war gerade der Fall. Vielleicht war es falsch von ihnen gewesen Krommlonk zu vertrauen, sich ihm anzuschließen und gegen Grorr'bak aufzubegehren. Vielleicht hätten sie darauf vertrauen sollen, dass der alte Orkboss einen Plan hatte, ein Vorhaben, um sie wieder aus dem Gebirge zu führen, ihnen Menschenfleisch zum Fressen zu geben und das Blut ihrer Welpen zum Saufen. Den Plan, sich selbst in eine ungeheure, untote Monstrosität zu verwandeln, um nicht nur der stärkste Ork des Gebirges zu sein, sondern obendrein unbesiegbar zu werden. Ja, vielleicht war es falsch gewesen, sich Krommlonk anzuschließen. Doch über Jahre hinweg hatte Grorr'bak nichts getan, außer in seinem Zelt zu verfaulen, zu jammern und dahinzusiechen, geschwächt von Krankheit, Feigheit und Angst. Angst vor dem Tod. Nicht Ork genug, sich seinem Schicksal zu stellen, im Kampf zu sterben und sich lieber an den Rest seines jämmerlichen Daseins zu klammern. Hunderte waren verhungert, tausende verdurstet, weil sich der Waaagh! über Wochen, Monate, Jahre hinweg in den Bergen versteckt hatte, keine Siedlungen geplündert, keine Burgen der Stumpenz angegriffen und Goblinnester ausgeräuchert hatte. Nichts. Weil Grorr'bak um sein kümmerliches Leben gebangt hatte. Hunger und Durst, Krankheit und Langeweile, das waren keine anständigen Tode für einen Ork. Für einen Goblin vielleicht, ja, das war Boskopp egal, aber für einen Ork? Auf keinen Fall. Schon gar nicht für einen Schwarzork.
Krommlonk hingegen hatte versprochen, wieder auf die Jagd zu gehen, wäre er erst Boss. Fressen, Saufen, Moshen. Die Tugenden eines guten Orks. Kein Hungern mehr, kein Dursten, kein Stänkern. Viele vor ihm hatten ähnliche Versprechen gemacht, doch niemandem zuvor war es gelungen, Grorr'bak zu bezwingen. Selbst in Krankheit und Angst hatte der alte Waaagh!boss jeden Herausforderer bezwungen, stämmige Schwarzorks in Scheibchen geschnitten und sie anschließend aufgefressen, bis schließlich niemand es mehr gewagt hatte, ihn herauszufordern. Erst nach langer Zeit, hatte Krommlonk wieder den Mut gefunden. Wohl eher aus Unwissenheit und Dummheit, aber immerhin, es hatte wieder jemanden gegeben, der sich der Sache annehmen wollte. Und Krommlonk hatte Grorr'bak bezwungen. Das war der springende Punkt. Wäre der Kampf anders verlaufen, Boskopp selbst hätte seinem Boss noch vor Ort den Schädel eingeschlagen, aber nein, er folgte ihm noch. Mit welchem Trick auch immer Grorr'bak sich sein wertloses Leben bewahrt hatte, um weiterhin über die Orks zu herrschen, er hatte es mit eigenem Augen gesehen. Krommlonk hatte ihm die Kehle aufgeschlitzt, sein Blut vergossen, den Kampf gewonnen. Der alte Ork müsste tot im Schlamm liegen. Weshalb er es nicht tat, das war nicht sein Problem. Er folgte dem Sieger. Dem stärkeren Ork. Krommlonk.
„Auf iä faul'n Madän!“, herrschte Rraggatt die rumlümmelnden Orks an, die schon wieder angefangen hatten sich zu streiten und sorgte mit ein paar Ohrfeigen für Ruhe. Grummelnd und meckernd kam die Rotte auf die Beine und machte sich auf den Rückweg ins Lager. Boskopp warf nochmal einen Blick zurück zu dem Vorsprung, von dem aus sie die Untoten beobachtet hatten. Auch wenn er durch den strömenden Regen keine Hand voll Fuß mehr sehen konnte, so konnte er immer noch das Stöhnen und Heulen der längst Vergangenen hören, die das schwarze Heer des Todes füllten. Ihr unwirkliches Rufen und Flehen. Auch wenn er weder Angst noch Mitleid fühlte, so lief dem Schwarzork doch unwillkürlich ein eisiger Schauer über den Rücken. Es waren schlechte Zeiten für die Orks des Weltrandgebirges. Was auch immer diese Armee von Leichen hier zu suchen hatte, es würde ihnen sicherlich nichts gutes bringen. Totes Fleisch konnte man nicht essen, kaltes Blut nicht trinken. Alles was man von den Kreaturen der Nacht zu erwarten hatte war, dass die Schwarzorks, sollte es zum Kampf kommen, noch geschwächter daraus hervorgehen würden. Die Toten hatten hier nichts zu suchen, würden ganz gewiss nur Unheil bringen und er war sich sicher, was auch immer mit Grorr'bak geschehen war, es hatte etwas mit dieser Armee der Finsternis zu tun.


Ein Schwarm Fledermäuse stach von den Bergspitzen hinab, zog pfeilschnell über das schwarze Heer und flatterte dann aufgeregt im Kreis um das Zentrum der Finsternis, bildete eine schmale Säule aus ledrigen Schwingen, fuhr zur Erde hinab und stob dann wieder auseinander. Die vielen hohen Stimmen drangen in Slawas Verstand, brachten ihm Kunde von einer kleinen Rotte Orks oberhalb des Tals, die vor einer Weile dort gerastet hatte. Augen und Ohren überall. Nichts konnte ihm entgehen. Die Fledermäuse verteilten sich wieder und ließen ihn mit der Nachricht alleine. Ein paar vereinzelte Orks kümmerten ihn nicht im geringsten. Vermutlich waren es Späher gewesen, die zu einem größeren Stamm gehörten, vielleicht sogar zu einer kleinen Streitmacht, doch eigentlich hatte er nichts vor ihnen zu befürchten. Er wusste, dass der schwierige Teil dieses Feldzugs erst im Herzen des Imperiums beginnen würde. Dennoch war er mehr als zuversichtlich. Die Menschen waren untereinander zerstritten, Kurfürsten gierten auf die Länder ihrer Nachbarn und die Monotonie eines friedlichen Lebens griff nur wenige Jahre nach dem großen Waaagh! schon wieder um sich. Arglosigkeit, Gerüchte und zu viel Langeweile sorgten dafür, dass die Menschen sich Feindbilder in ihren Nächsten suchten. Es war immer die gleiche alte Leier. Ehe sie realisiert hatten, dass eine viel größere Gefahr aus dem Osten drohte, würde er ihre Felder niedergebrannt und ihre Ernten vernichtet, Nachschubwege abgeschnitten und bereits einen großen Teil der östlichen Provinzen eingenommen haben. Zusätzlich trieb das von ihm erschaffene Unwetter nasse Fäule in ihre Häuser und Leiber, klirrenden Frost in ihre Mauern und Glieder, machte sie über Wochen mürbe und schwach, lange bevor es überhaupt zum Kampf kam. Und jeder Tote, ob durch Eis, Krankheit oder Schwert, war ein neuer Krieger in seiner unheiligen Streitmacht. Es war wie ein Schachspiel gegen ein Kind. Auch von den Orks aus den Bergen drohte so gut wie keine Gefahr. Der große Waaagh! des legendären Trollbeißers hatte sich versprengt, die Grünhäute waren uneins und ihre Zwistigkeiten hatten nicht mehr als ein paar kleine Rotten in den Bergen zurückgelassen, die mehr mit sich selbst als mit irgendetwas anderem sonst beschäftigt waren. Sein Heer war zu groß, um einen offenen Kampf gegen es zu riskieren, selbst wenn die wilden Bestien der Berge in dem Gelände im Vorteil sein mochten und außerdem bot es keine lukrative Beute für einen Menschenfresser. Außer Ghoulen fraß niemand totes Fleisch. Selbst Orks waren nicht so dumm und leichtsinnig. Wenigstens die meisten nicht.
Wie die Zwerge in Karak Kadrin sich verhalten würden, konnte er schlecht einschätzen. Manchmal standen sie den Menschen bei, manchmal ließen sie die Dinge kommen, wie sie eben kamen und scherten sich lediglich um ihre eigenen Angelegenheiten. Ein Eingreifen der Dawi könnte ihn unter Umständen schon in Schwierigkeiten bringen, doch ein mächtiger Verbündeter hatte versprochen, sich im Zweifelsfall der Sache anzunehmen. Ein kurzer Schauder kroch Slawa über den Rücken und er wandte den Kopf gen Osten. Auch wenn er nicht mehr erblickte als schroffen, schwarzen Fels, so konnte er die machtvolle Präsenz spüren, die dort lauerte. Er wusste, er war dort. Aufmerksam beobachtend. Eine graue Eminenz, die sich mit einem Schatten umgab, so finster und undurchdringlich, dass er jedes Augenlicht schluckte, das seinen Blick auf ihn werfen wollte. Slawa hatte keinen Namen für ihn. Aber ohne jeden Zweifel, er war dort. Viele Dinge, die er wusste und mit der Zeit erfahren hatte, hatte eben dieser Schatten ihm zugeflüstert. Dinge, die seit langer Zeit im Hause derer von Carstein vergessen worden waren. Die verborgenen alten Gruften unter dem Drakenhof, in denen die Vargheists hausten und mächtige untote Krieger mit verdammten Waffen ruhten, Fluchfürsten ihre ewige Wache hielten und Gruftschrecken in den modrigen Tiefen lauerten. Auch hatte der Schatten ihm gezeigt, wo Kasimir seine uralten Folianten und Schriftrollen verborgen hatte und letztendlich, wo seine unsterblichen Überreste verborgen waren, damit er grausige Vergeltung üben und seinem Hass gegenüber dem schwachen Vorgänger freien Lauf lassen konnte. Ohne den Einfluss dieses geheimnisvollen Gönners würde er heute wohl nicht dort stehen, wo er stand. An der Spitze seines untoten Heeres, auf dem Marsch ins Reich der Menschen.

Doch Slawa war kein Narr. Ihm war bewusst, dass er kein Auserwählter dieses Wesens war, dem nur Güte und bedingungsloses Wohlwollen entgegenschlug. Hinter dem finsteren Schatten verbarg sich eine gewöhnliche Existenz, die, auch wenn sie ungleich mächtiger als er selbst sein mochte, ihre eigenen Interessen und Ziele verfolgte, die versuchte ihn zu manipulieren und ihn in eine Position manövrieren wollte, in der er ihren Absichten dienlich war. Noch spielte der von Carstein dieses Spiel bereitwillig mit, noch war das Vorhaben dieser Person seinen eigenen Zwecken mehr als zuträglich. Früher oder später aber würde ein Verwürfnis zwischen ihm und dem großen Unbekannten entstehen. Was daraufhin geschehen würde, konnte er allerdings noch nicht vorausahnen, da es von zu vielen Umständen abhing. Wie sein Feldzug verlaufen würde zum Beispiel und natürlich, an oberster Stelle, was der große Plan war, den der rätselhafte Hintermann verfolgte und welche Rolle er selbst dabei zu spielen hatte. Es gab viele Einzelheiten dieser Situation, die Slawa noch nicht durchblickte, aber er war auf der Hut. Seine Augen verengten sich zu argwöhnischen Schlitzen, als er plötzlich den Blick des Schattens auf sich fühlte und den schweren, ruhigen Atem in seinem Kopf hören konnte. Er wurde beobachtet, in eben diesem Moment. Für einen kurzen Augenblick fühlte er sich ertappt, fragte sich, ob seine Gedanken erahnt wurden, seine Hinterlist mit brennendem Scharfsinn durchbohrte wurde. Doch dann beruhigte er sich schnell wieder. Wer oder was auch immer dort hinter den Bergen ausharrte, es mochte mächtig sein, doch noch liefen seine Handlungen über Schachfiguren. Einflüsterungen, Versprechungen, Beobachtung. Allmacht besaß dieses Wesen nicht. Vielleicht strebte es danach, doch noch hatte es sie nicht. Ein machtvoller Zauberer vielleicht oder gar ein großer Dämon, der etwas zu erlangen suchte, dass er nur erhalten konnte, wenn man vorher das Imperium und seine Bewohner von den Landkarten getilgt hatte. Es spielte keine Rolle, welcher Art der große Unbekannte sein mochte, sicher war er gerissen und schlau. Und wenn er tatsächlich so schlau war, wie Slawa vermutete, dann traute er ihm ohnehin nicht. Mit einem hohnvollen Grinsen deutete er eine leichte Verbeugung in Richtung der dunklen Bergspitzen an und spürte, wie eine schwache Woge unterdrückter Wut in seinen Verstand schwappte. Ein Knurren, ein Grollen. Doch der Vampir fürchtete sich nicht vor dem Schatten. Noch nicht. Noch brauchte er ihn. Schließlich entzog sich die Präsenz Slawas Wahrnehmung, der Blick wanderte weiter, ließ ab von ihm.
Knurrend wandte sich auch Slawa ab und gab seinem Nachtmahr die Sporen. Mit einem Schnauben setzte sich das untote Geschöpf in Bewegung und verfiel in einen raschen Trab, bis Slawa Viaceslav wieder erreicht hatte, der in einiger Entfernung auf ihn wartete. Sie standen auf einem leicht erhöhten, felsigen Plateau und überblickten die abertausenden Untoten und Ghoule, die um sie herum durch das Tal marschierten.
„Was beunruhigt dich?“, fragte Viaceslav mit ruhiger Stimme und bedachte Slawa mit einem ernsten Blick. „Nichts, was für dich von Belang wäre“, antwortete der Vampirfürst tonlos und betrachtete mit kalten Augen den Hang über ihnen. Scharfe Felskanten stachen durch die Dunkelheit und boten eventuellen Beobachtern Schutz vor seinem Blick. Seine Gedanken kehrten zurück zu den Orks, von denen die Fledermäuse ihm berichtet hatten. Mit größter Wahrscheinlichkeit waren sie für ihn ungefährlich, aber er war nicht die Sorte von Mann, die sich auf sein Glück verließ. Vorsicht und Bedachtsamkeit waren bei einem Unterfangen dieser Art seine wertvollsten Verbündeten. Er konnte sich nicht bloß auf die Ratschläge und Versprechen des Schattens verlassen. Besser er nahm sich dieses Problems an.
„Eine kleine Gruppe orkischer Späher hat uns ausgekundschaftet und ist auf dem Weg Meldung zu machen“, sprach er zu Viaceslav ohne den Blick von den Felsen zu nehmen, „Sie ziehen nach Norden. Dies sei nun deine Sorge. Kümmere dich darum.“
„Jawohl, Herr“, kam die Antwort, begleitet von einer knappen Verbeugung. Der Vampir übergab das Drakenhofbanner an einen Fluchfürsten, wendete seinen Nachtmahr und galoppierte vom Plateau hinunter. Slawa blickte ihm nicht hinterher, sondern ließ seine Augen abermals über sein Heer schweifen. Ein Grinsen umspielte seine Lippen.

Dies war sein Werk. Und mit jeder Meile, die er an der Spitze dieser Armee zurücklegte, wurde es größer und bedeutsamer. Jedes Grab, das sie passierten, jedes vergessene Schlachtfeld, jeder Friedhof und jeder Galgen schenkte ihm mehr und mehr Macht.
Der Schatten sollte kommen. Er war bereit.

Ein langgezogenes Heulen durchdrang die Dunkelheit und er beobachtete, wie sich seine Häscher, ein Rudel riesiger, schwarzer Todeswölfe vor sich hertreibend, auf die Jagd nach den neugierigen Orks machten. Schon bald erwartete er Kunde von Viaceslav, die zu seiner Zufriedenheit ausfallen würde.


Er bemerkte die Gefahr zu spät, bloß den Bruchteil eines Herzschlags, ehe sie über sie kam, wie eine brechende Welle schwarzen Wassers. Seine Nackenhaare stellten sich auf, seine Augen weiteten sich angespannt und all' seine Muskeln verkrampften sich als instinktive Antwort auf die herabstürzende Bedrohung. Doch zu spät. Ein hohes Kreischen zerschnitt die regenschwangere Luft, fuhr gleich einem singenden Messer durch seine Sinne und mit einem lautstarken Krachen barst das Dach des Ochsenkarrens. Scharfe Klauen fuhren einen fingerbreit an seinem Gesicht vorbei, rissen die Plane des Wagens hinter sich her. Schneider fluchte, als er und Oswald in den schweren Stoff gehüllt und vom Bock gerissen wurden. Hart schlugen sie auf dem matschigen Boden auf, wurden ins nasskalte Erdreich gesogen. Grolo blökte panisch, zog mit aller Kraft an und versuchte dem unheimlichen Angreifer zu entkommen. Neben sich hörte Schneider ein lautes Knacken, dann einen erstickten Schrei und er wusste, dass Oswald von seinem eigenen Karren erfasst worden war. Hektisch versuchte er sich zu befreien, aber die Plane hatte sich mit Regen und Schlamm vollgesogen und schien ihm schwerer als ein Fels. Durch Wasser, Tuch und Sturm hörte er Odinokis ängstlichen Schrei und verdoppelte seine Anstrengungen. Mühselig schaffte er es sich aus der verschlungenen Falle zu befreien, zerriss den festen Stoff mit seinen Klauen und stieß mit einem zornigen Brüllen aus Schlamm und Trümmern hervor. Hastig sah er sich um, konnte aber den Feind nirgendwo ausmachen. Nur den Karren, der einige Schritt von ihm entfernt zum Liegen gekommen war. Die Achse war gebrochen, das Gefährt selbst schon halb im Morast versunken und selbst Grolo, blökend und aus Leibeskräften an seinem Geschirr zerrend, konnte es nicht mehr bewegen. Schnaufend arbeitete sich Schneider aus dem verschlingenden Matsch heraus und versuchte zur gleichen Zeit die schwere, vollgesogene Plane herauszuziehen, um Oswald zu retten, der immer noch in ihr gefangen zu sein schien. Angestrengt flogen seine Augen über den Himmel, auf den nächsten Angriff des unbekannten Feindes wartend. Schneider konnte ihn nicht ausmachen, ihn in dem Tosen des Wetters weder hören, sehen, noch wittern, aber er war sich sicher, dass er erneut auf sie herabstoßen würde. Was für eine Kreatur sie da attackiert hatte war ihm schleierhaft, aber er wusste, sie hatte Flügel. Sie war aus dem Himmel gekommen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte Schneider das bleierne Bündel endlich aus der schwarzen Erde gehievt, stürzte heran und versuchte ein Loch hinein zu reißen, damit Oswald nicht eingewickelt in seine eigene Plane ertrank oder erstickte.
Nach wenigen Augenblicken legte er das Gesicht des dicken Händlers frei, der mit einem gierigen Atemzug nach Luft rang. „Es ist gut mein Freund“, versuchte Schneider ihn schnell zu beruhigen und versuchte mit den Händen sein Gesicht von der dunklen Brühe zu befreien. Schließlich zog er ihn komplett aus dem zerfetzten Tuch und versuchte ihn auf die Füße zu wuchten, doch Oswald brach mit einem Schrei wieder zusammen. Ein weiteres mal suchte sein Blick die Wolkendecke ab, wanderte, als er wiederum nichts entdeckte, weiter zu Odinoki, um sich zu vergewissern, dass es ihr gut ging. Er nickte ihr zu, versuchte ihr ein ausgelassenes Lächeln zu schenken, welches sie nicht erwiderte und begann dann damit, die Kleider des Händlers aufzureißen, um nach seinen Wunden zu sehen. Ein leidvoller Ausdruck, trat in sein Gesicht, als er das volle Ausmaß der Verletzung seines Freundes erkannte, ganz, als teile er seine Schmerzen. Offensichtlich war der Karren einmal quer über seinen Leib gerollt und hatte einen tiefen Abdruck aus zermalmtem Fleisch und gebrochenen Knochen hinterlassen. Der linke Oberschenkel des Mannes lag vollkommen in Trümmern, war nur noch ein blutiger Brei, der Knie und Hüfte notdürftig verband, die Brust eine einzige, flächige Quetschung, vermutlich mit mehreren gesplitterten Rippen und sein rechter Arm durch das Rad beinahe vollständig vom Körper getrennt.
Oswalds Augen flackerten glasig, starrten gebrochen in den wütenden, dunklen Himmel und leises, unverständliches Gemurmel drang über seine Lippen. Schneider legte Hand auf seine Wange und streichelte behutsam seine Stirn. Eine scharfe Nadel stach ihm beim Anblick des geschundenen Leibs des völlig unschuldigen Mannes ins Herz. „Es wird alles gut“, flüsterte er ihm mit schwacher Stimme zu, „Du lebst noch. Ich werde dich jetzt zum Karren tragen. Das wird dir sehr wehtun, aber du wirst es schaffen. Ich werde dich beschützen, du musst jetzt stark sein!“ Ohne ein weiteres Wort hob er Oswald auf und begann mit ihm auf den Armen durch den Schlamm zu staksen und trotz seiner Fülle, kam er ihm beinahe leicht vor. Der dicke Mann gab nicht einen Laut für sich, schien mit den Sinnen bereits nicht mehr in dieser Welt zu sein. Schneider hoffte inständig, das er ihn noch retten konnte. Er würde alles tun was in seiner Macht stand, um dem Mann das Leben zu retten! Nach wenigen Augenblicken hatte er den Karren erreicht und sah in Odinokis besorgtes und ängstliches Gesicht. Auf sein Geheiß räumte sie schnell die Ladefläche frei und zusammen hoben sie Oswald auf den Karren. Gerade wollte er sich daran machen, die offenen Wunden so gut er konnte zu versorgen, da packte ihn die Hand des Händlers plötzlich am Handgelenk und zwang den Blick des jungen Vampirs in seine blutunterlaufenen, schwindenden Augen.
„Sigmar's Kind“, sprach er. Der Klang seiner Worte war brüchig und Schneider musste sich bemühen, ihn über Grolos Blöken hinweg überhaupt zu verstehen. „Mein Freund, bitte versprich mir... versprich mir, dass du meine Familie findest und ihnen erzählst, was hier geschehen ist, sie sollen nicht vergebens auf mich warten müssen...“ Ein Schwall Blut trat über seine Lippen und unterbrach ihn. Mit einem Husten drang mehr seines Lebens aus seinem Hals und sein Gesicht verzog sich zu einer schmerzvollen, bleichen Maske. Schneider widersprach ihm, schwor ihm, dass er sein Leben retten würde, doch gleichzeitig nickte er und drückte seine Hand. Er konnte fühlen, wie das Leben aus ihm wich, gnadenlos vom einkehrenden Tod vertrieben wurde, nur Leere und Eis zurücklassend, eine kalte, verdorrende Hülle. „Bitte, bitte kümmere dich um sie, so gut du kannst! Ich weiß, es ist viel verlangt, aber... als ein Gesandter unseres Gottes... bitte... bitte... erhöre mein Flehen.“ Kaum noch konnte Schneider ihn verstehen. Oswalds Augen hatten ihn wie im Wahn fixiert, starrten ihn furchtsam, bettelnd an. Er konnte diesen Blick nicht ertragen, musste wegschauen und schloss seine Lider, um die Tränen zurückzuhalten. Odinoki hockte neben ihm, blickte den dicken, netten Mann voll Mitleid an. Zabota.
Schneider sammelte sich, sah seinem Freund in die Augen und gab ihm sein Wort. „Ich verspreche es dir, Oswald. Bei meinem Leben!“ Ein erlöstes Lächeln schob sich auf die Züge des sterbenden Händlers und ein letztes mal erwiderte er den Druck der kalten Hand des Vampirs. „Bitte vernimm jetzt meine Beichte, oh Sigmar“, hauchte Oswald mit vergehender, dünner Stimme und Schneider spürte einen eiskalten Kloß in seinem Hals. Er war kein Geweihter Sigmars, kein Priester, kein Auserkorener. Er hatte diese Lüge nur erzählt, um lästige Fragen zu meiden, sich nicht herausreden zu müssen, es sich einfach zu machen und nun, nun lag ein Sterbender in seinen Armen, bat ihn um eine letzte Beichte und er konnte sie ihm nicht schenken. In diesem einen Moment hasste er sich mehr als je zuvor. Mehr als damals, als er die Menschen in Haselbrühl getötet hatte und mehr, als er auf Archbalduins Betrug hereingefallen war und in blindem Eigennutz die vereisten Liebenden auseinander gerissen hatte. Ein Dämon war er, kein Heiliger. Wie könnte er einem Menschen jemals ein Sakrament Sigmars zuteil werden lassen?

„Ich höre dich. Sprich nun und sei von allem freigesprochen, was du dir hast in diesem Leben zu Schuld kommen lassen!“ Schneider sprach diese Worte und bot im gleichen Augenblick nicht für sich, sondern für Oswald bei Sigmar um Vergebung. Auf dass er nicht für den Fehler eines anderes büßen musste. Schneiders Fehler. Er konnte es nicht ertragen, dem Mann jetzt seinen letzten Wunsch zu verweigern. Es war allein seine Schuld. Also log er. Abermals.
Während Oswald begann seine Verfehlungen auszuhauchen, starrte Schneider in den stürmenden Himmel, suchte Sigmar mit flehendem Blick, versuchte seine gütige, allmächtige Präsenz zu ertasten, sie zu spüren, so wie er es schon einmal getan hatte, damals, als er gestorben war. Grelles Flackern lief durch die finstere Wolkendecke, Donnergrollen brandete aus ihren Eingeweiden und brennender Regen stach in seine aufgerissenen Augen. Odinoki begann leise zu weinen, Grolo stieß einen müden Ruf aus, gab seine hilflosen Versuche auf, sich aus dem Schlamm zu befreien und Oswalds Stimme erstarb. Ruhig spürte Schneider seine Seele um sich herum aufsteigen, fortgerissen von dieser Welt, ohne Schmerzen, ohne Leid, doch viel Glück zurücklassend. Mit seinem Tod wurde die Welt ein schlechterer Ort. Wieder schien sich der Himmel ein wenig mehr zu verdunkeln, ein wenig mehr Hoffnung aus diesem Lande reißend. Gute Menschen starben. Er durfte Leben. Er sandte ein stummes Gebet in den Himmel, die letzte Bitte an Sigmar, Oswald gnädig zu sein. Nimm ihn zu dir, Herr.
Und der Himmel antwortete. Ein gewaltiger Schatten stach aus den Wolken, ein unwirkliches Kreischen wurde vom Wind an seine Ohren getragen und im grellen Licht eines lodernden Blitzschlags offenbarte der Feind seine grauenerregende Fratze. Ein Dämon war aus dem Sturm geboren.
Komm zu mir.

Komm zu mir.
Komm zu mir.

Ich komme!
 

etepetete

Fluffnatiker
6 Februar 2003
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:eek:) welch Freude wieder was von dir zu hören und noch mehr das es sogar weitergeht :eek:)

Schon gar nicht mehr dran geglaubt.. aber die Totgeglaubten *g*....

Der Wiedereinstieg ging doch überraschend gut, nach 2 3 Sätzen war die Alten Handlung (zum Teil) wieder in Erinnerung , (und eigentlich bin ich nicht für mein gutes Gedächnis bekannt und das sogar noch nach über einem Jahr) zeugt von daher von der Klasse der vorhergegangenen Story ;) anders ist das nicht zu erklären :eek:)

Jetz ein wenig die Daumen drücken das der Zeitinterval ein klein wenig kürzer wird *g* nicht das das zu erwartende Alter und die Anzahl der noch folgenden Kapitel nimmer zusammenpasst *g*

Riesenfreude auch auf meiner Seite das du wieder was veröffentlich hast :eek:)
 

yinx

Erwählter
8 Oktober 2006
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Hallo. Nur ich. Just passing by. Kann's nicht lassen, alte Wunden immer mal wieder aufzureißen. Freue mich, dass es das Forum immer noch gibt. Auch wenn zum größten Teil ohne mich.
Habe drei Kapitel geschrieben, versuche die Story in den Teilen schneller voran zu treiben. Aber seien wir ehrlich -> wir kennen mich. Alle Jahre wieder.
Aber habe dieses Jahr ja 10 Jähriges in diesem Forum. Da musste ja mal wieder was kommen. :)



Kapitel XXVIII
Aurora


Die Straßen der Stadt waren so finster, dass ein gewöhnlicher Mensch seine Hand vor Augen nicht mehr hätte sehen können. Doch zu seinem Glück war Angmund kein Mensch mehr. Er war nun etwas Anderes, nur noch zu einer knappen Hälfte menschlich. Der Rest seines Körpers hatte sich zu einem ungeheuren Wolf gewandelt und zusammen ergaben sie eine furchterregende Bestie. Mit scharfen Augen blickte er in die schwarze Wolkendecke hinauf, die gleich einem gespiegelten Gebirge über Altdorf hing und drohte, mit voller Wucht auf es hinab zu stürzen. Helle Wetterlichter flackerten über die aufgewölbten Berge und verliehen der hereingebrochenen Nacht eine unheilvolle Bösartigkeit. Schlimmes würde geschehen. Und er würde es verursachen.
Der Mond war verschwunden, irgendwo hinter dem Gewitter gefangen und vermochte nicht mehr auch nur den kleinsten Funken Licht hinab auf die dunkel getünchten Häuser zu schicken. Nackte Schwärze umfing die Stadt und schien sogar das schwache Licht der brennenden Fackeln zu verschlucken, die von vereinzelten Wachen durch die Straßen getragen wurden. Immerhin hatte der erbarmungslose Regen ein Stück weit nachgelassen. Nur noch wenige, fette Tropfen lösten sich aus dem Himmel und stürzten hinab, um auf sein feuchtes Haar zu klatschen. Angmund schüttelte sich, als einer schwer auf seinem Kopf zerschellte und ihm eisiges Wasser den Nacken hinab rann.
Rasch blickte er sich um, sprang aus seinem Versteck und lief schnell über einen kleinen Platz, glitt lautlos über das Pflaster und verschwand im Bruchteil eines Augenblicks in einer weiteren, dunklen Gasse, wo er sich hinter eine Häuserwand presste, um nicht gesehen zu werden. Nicht weit von ihm entfernt standen zwei Gardisten auf dem Platz vor dem Sigmartempel, dessen weißer Marmor in der Dunkelheit zu einem kränklichen Grau verblasste. Glücklicherweise hatte keiner von beiden ihn bemerkt und so unterhielten sie sich weiter über irgendwelche belanglosen Dinge. Das schlimme Knie des einen und das ewig jammernde Kind des anderen. Bagatellen, die den jeweils anderen vermutlich nicht auch nur im Geringsten interessieren. Geschwätz unter Kameraden, mit nicht mehr Bedeutung als von der Langenweile abzulenken. Für einen Augenblick lauschte der blonde Estalier ihnen, verborgen hinter der Wand aus grobem Stein. Es faszinierte ihn, wie laut die rauen Stimmen der Männer an seine Ohren drangen, obwohl er ein paar dutzend Fuß von ihnen entfernt im Schatten lauerte. Ihnen wohnte ein Kratzen inne, so wie der hart angestrichenen Seite einer Fidel, rissig, abgeschliffen und verbraucht. Dem Klang lag eine gewisse Schönheit inne, eine verkannte, würzige Schärfe, unbegradigt und wohlig schmerzend in den Ohren, wie ein stark gepfefferter Eintopf. Lang gekocht und noch länger gezogen. Ihm kam der Gedanke an rohe Zwiebeln. Doch, das passte. Brennend scharf, aber dennoch schmackhaft. Die Stimmen der Männer klangen wie rohe Zwiebeln. Versoffen und verraucht. Er vermochte die leichte Krankheit des einen Soldaten zu hören, die sich hüstelnd um seine gereizte Kehle schlang, ihm ein unverkennbares Krächzen abrang. Das einer langen, verschleppten, aber wenig ernsten Erkältung. Einfache Leiden einfacher Menschen.
Es wäre ihm ein leichtes gewesen beide Männer ohne großen Widerstand auszuschalten, aber er befürchtete, dass es einem von ihnen gelingen würde zu schreien, nach Hilfe zu rufen, Alarm zu schlagen und damit die Sigmariten zu warnen und Walther Groll zu wecken. Falls der Großtheogonist überhaupt schlief. Das Risiko gefasst und gefangen oder sogar getötet zu werden, sollte er unerwünschte Aufmerksamkeit erregen, war ihm zu groß. Er musste auf Nummer sich gehen. Die Soldaten standen ein gutes Stück links von ihm, mittig vor dem Tempel und hatten eine gute Sicht über den Platz. Auch wenn es so dunkel war, wie Angmund es in seinem Leben noch nicht erlebt hatte, war er sich sicher, dass sie ihn bemerken würden, würde er aus der Gasse hinaustreten. Zu viele Fackeln. Zu wenig Deckung. Wahrscheinlich würden die Männer eine Maus bemerken, die über das Pflaster huschte.
Vorsichtig löste er sich von der Wand und stellte sich mittig auf die schmale Straße, aber immer noch so, dass man ihn von dem Platz aus nicht sehen konnte. Er verwendete ein paar Blicke auf seine Umgebung und sah sich nach etwas Nützlichem um, wie einem Stein oder Blumentopf, den er werfen konnte, um Ablenkung zu schaffen. Eine alte, verrostete Regenrinne war an die Fassade direkt neben ihm gehauen, darunter ein Wasserfass aus modrigem, dunklen Holz, knapp daneben eine große Kiste. Auf der anderen Seite der Straße fand sich nur die steinige Wand, an der er eben noch gelehnt hatte. Nichts, was ihm eine günstige Gelegenheit verschaffen könnte. Nichts, was ihm irgendwie nützlich hätte werden können. Er schnaubte leise, um seinem Ärger Luft zu machen und überlegte wie er unbemerkt an den Wachen vorbeikam. In der Kanalisation kam er nicht weiter, das hatte er ausgiebig versucht und er bezweifelte, dass er, selbst mit seinen neuen Kräften, in der Lage war mit einem Satz über den Platz zu springen. Erneut drückte er sich an die Wand und spähte hinüber zu den Wachen. Sie rührten sich nicht, selbst nach einigen Minuten nicht. Wie angewurzelt standen sie da und redeten über ihre schmerzenden Gelenke und weinerlichen Kinder. Angmund entwickelte eine unbestimmte Wut auf sie, die in ihm den Wunsch anfachte, sie doch einfach anzugreifen und zu töten. Es kam ihm fast vor, als wüssten sie von ihm und harrten bloß solange aus, um ihn zu verhöhnen. Verärgert wandte er den Blick ab und lief in die Gasse hinein. Nach ein paar wenigen Augenblicken hatte er den Block umrundet und starrte nun von der anderen Seite des Platzes auf die zwei schwatzenden Soldaten. Von hier aus schien ihm die Position sogar noch ungünstiger. Ein tiefes, leises Knurren drang ihm unwillkürlich aus der Kehle. So ein verfluchter Mist.
Er beschloss doch einen Angriff zu wagen. Die Chance schien ihm kleiner, dass sie gefasst genug sein würden, um nach Hilfe zu rufen, als dass er ihnen die Gelegenheit gab, ihn in sicherem Abstand zu entdecken, wenn er im Nachteil war. Er kauerte sich zusammen, bereit zu einem gewaltigen Sprung. Mit zwei weiten Sätzen könnte er vielleicht den vorderen Mann erreichen und töten. Dann musste er bloß darauf hoffen, dass der andere zu überrascht von der Attacke war und ihm noch ein paar zusätzliche Sekunden schenkte, die genügen würden, auch ihn auszuschalten. Der ehemalige Söldnerkommandant wartete nur noch auf den richtigen Augenblick. Er nahm jede Silbe der Männer in sich auf, wartete auf eine kurze Pause im Gespräch, das Fallenlassen der Gedanken, ein schnelles Atemholen. Seine Sehnen spannten sich wie Taue im Sturm, als er zum Sprung ansetzte, seine Haut knarzte ledrig, die Muskeln schwollen. Doch in eben jenem Moment, als er sich wuchtvoll abstoßen wollte verstummten die Männer plötzlich und ein matter, glasiger Ausdruck trat in ihre Gesichter. In letzter Sekunde stoppte Angmund seinen Angriff, stolperte einen unbeholfenen, aber unbemerkten Schritt nach vorne und fing sich wieder. Verwundert beobachtete er wie die Soldaten, ihre Musketen im Anschlag sich mit schlaffen Bewegungen abwandten und vom Platz schlurften. Mit einem Stirnrunzeln bemerkte er, dass sie sich nicht einmal die Mühe machten, ihre Füße überhaupt anzuheben. Scheinbar willenlos schleiften sie ihre Sohlen über den Boden, mit der verhöhnenden Parodie einer tatsächlichen Marschbewegung.
Ihm war klar, dass hier etwas nicht stimmte, spätestens, als sich seine Nackenhaare unwillkürlich sträubten und alle seine Sinne mit einem Mal Alarm schlugen. Gefahr. Ein kaltes Schaudern fuhr über seine Haut und ließ ihn erzittern. Auch wenn es vorher schon still gewesen sein mochte, wurde nun jedes Geräusch von dieser drückenden Dunkelheit geschluckt. Das Platschen der Regentropfen, das Schlurfen der zwei Soldaten. Sogar sein eigener Herzschlag schien verstummt, auch wenn er ihn immer noch schwer und gleichmäßig in seiner Brust fühlen konnte. Das Blut, das sonst heiß in seinen Ohren rauschte war erkaltet und still. Die Schwärze der Nacht schlang sich noch enger um Altdorfs Mauern, drückend und unnachgiebig und die Lichter der Fackeln erloschen zu einem dünnen, fernen Glimmen, das drohte im Wüten der Finsternis zu vergehen. Instinktiv wich er zwei Schritt tiefer in die Gasse zurück und kauerte sich in die Schatten, als ein grauer Schemen über den Platz vor dem glitt. Mehr war es nicht. Eigentlich war er nicht mal mehr in der Lage ihn wirklich zu sehen, nein es war… als würde er ihn fühlen. Eine konturlose, dunkle Präsenz, die geisterhaft über das Pflaster schwebte. Angmund versteinerte für einige Sekunden, während sein Blick dem unwirklichen Wabern der Aura dieses Dings folgte. Regungslos verharrte er, bis es schließlich hinter den hohen Säulen des Sigmartempels verschwunden war. Es dauerte eine gewisse Zeit, bis nach und nach alle Geräusche zurückkehrten und das Leuchten der Fackeln wieder zu seiner alten Kraft fand. Das Platschen der Tropfen und das Schlurfen der Wachen erschien im nun noch lauter als zuvor. Seine Augen verengten sich argwöhnisch. Allem Anschein nach war er heute Nacht nicht der einzige ungebetene Gast in Sigmars Tempel. Es würde wohl interessant werden. Gefährlich, womöglich.
Die schleifenden Schritte der Soldaten verstummten und Angmund warf einen raschen Blick zu ihnen hinüber. Verwirrt schüttelten sie ihre Köpfe, kamen scheinbar gerade wieder zu sich. Es wirkte, als würden sie aus einem tiefen Schlaf erwachen, aus einer trüben Ohnmacht, benommen und träge. Er hatte nicht vor die Gelegenheit einfach verstreichen zu lassen. Glück im Unglück, konnte man es wohl nennen. Lautlos sprang er aus den Schatten heraus und huschte geduckt über den Vorplatz. Seine Füße glitten über den Stein wie Wasser, erklommen die Treppe zum Tempel und flüchteten ihn in die Schatten unter den Säulen. Ehe die Wachen wieder richtig zu sich gekommen waren, war er längst im Inneren verschwunden.

...

Vor etwa sechs Jahren...

Kaethe steckte bis zu den Ellenbogen in Eingeweiden. Die blasse Haut ihrer Arme war tiefrot getränkt und ihre Kleidung schwarz und braun bespritzt von allerlei sonstigen Exkrementen und Körperflüssigkeiten, die aus dem Inneren des Körpers sprudelten, den sie gerade obduzierte. Sie hatte den gefangenen Ghul am frühen Morgen getötet und dann möglichst rasch mit der Sektion begonnen. Nach ein paar Stunden des Schneidens, Messens und Wiegens hatte sie sich schließlich durch den gesamten Brustraum gearbeitet und war nun dabei die Bauchhöhle der unheiligen Kreatur zu untersuchen. Blindlings tastete sie auf dem Arbeitstisch nach dem bereits blutig verschmierten Wundspreizer, fand ihn und dehnte damit das starke Muskelfleisch des Ghuls, um an die empfindlichen Organe darunter zu gelangen. Darm, Leber, Magen, Nieren.
Ein übler Gestank schlug ihr entgegen, als sie die erkaltenden Eingeweide freilegte, doch sie rümpfte nur trocken die Nase. Oft genug hatte sie mit Leichen gearbeitet, um sich an die meisten gewöhnungsbedürftigen Gerüche gewöhnt zu haben, obwohl sie sich eingestehen musste, dass dieses Exemplar einen besonders garstigen und leider wohl auch hartnäckig anhaftenden Duft absonderte. Aber wenn sie ehrlich zu sich selbst war, konnte es ihr egal sein. Sie hatte keine Freunde in der Stadt, wurde ohnehin schon von jedermann gemieden wie die Pest und wenn nicht, nur beleidigt oder bespuckt. Mit schändlichen Namen bedachte man sie, Gruftweib, Chaoshexe und Leichenschänderin waren unter diesen eher noch die freundlichsten. Zeitweise hatte sie Trauer darüber empfunden, von aller Welt geächtet zu sein, hatte über ihre Einsamkeit geweint und ihren Vater verflucht, der sie auf diesen Weg getrieben hatte. Ihren Forschungsdrang und ihre Neugier ausgenutzt hatte. Bereits in jungen Jahren war sie bei Medizinern und Hexenjägern in die Lehre gegangen, hatte gelernt und gelernt, ihrem Vater zum Gefallen, der ihre Gabe entdeckt und gefördert hatte. Mehr und mehr hatte er sie dazu gedrängt und schließlich, als er sie für alt genug befand, vierzehn musste sie wohl gewesen sein, vielleicht ein wenig älter oder jünger, da hatte er begonnen ihr Leichen bringen lassen. Leichen von Menschen und die, anderer verdorbener Kreaturen. Untoter Kreaturen. Ihrer Erinnerung nach war sie erstaunlich kalt geblieben, beinahe gelassen, als sie das erste Mal ihr Skalpell an die Brust eines toten Leibes setzte. Die Ausbildung, die sie durchlaufen hatte, hatte sie abgehärtet, ja abgestumpft. Lebende Wesen waren für sie nur mehr ein Gemenge aus Fett, Muskeln, Knochen, Adern und allerlei Organen. Ob man sie als Ganzes betrachtete oder sie zerlegte, spielte eigentlich kaum eine Rolle. Ob belebt oder unbelebt, was machte das schon.
Eigentlich, so glaubte sie sich zu erinnern, hatte es ihr damals Freude gemacht, endlich ihre Neugier befriedigen zu können. Was sie von ungenauen Zeichnungen und Moulagen kannte zu guter Letzt tatsächlich betrachten und berühren zu können, in Fleisch und Blut, seiner ganzen Pracht. Ihr Vater hatte angenommen, dass hinter dem Übergang eines lebendigen, gesunden Menschen zu einem Kind der Nacht weniger schwarze Magie steckte, als man vermuten mochte, dass es sich hauptsächlich um einen fleischlichen Prozess handle. Organe die sich veränderten, Knochen die sich verschoben, möglicherweise etwas im Blut, das sich wandelte und dadurch Kräfte entfesselte, die ein Sterblicher nicht hatte. Zumindest zum Teil. Ihr Vater hatte diese Umformung natürlich im Herzen vermutet, dem Sitzt der Seele, der inneren Justiz von Recht und Unrecht, doch er hatte leider keinerlei Ahnung von Anatomie oder Biologie im Allgemeinen. Der Körper des Menschen war ihm ein Buch mit sieben Siegeln, ebenso wie ihm die Lüste und Bedürfnisse eines vierzehnjährigen Mädchens eines gewesen waren.
Kaethe merkte wie sie über ihre abschweifenden Gedanken fahrig wurde, ihre Hand kam aus dem Gleichgewicht, begann zu zittern, ihre Konzentration ließ nach und sie spürte wie der Wundspreizer allmählich abrutschte. Schweiß biss prickelnd in die Haut ihrer Stirn, als sie hastig versuchte ihren Fehler zu korrigieren, doch es war zu spät. Der Griff des Werkzeugs entglitt ihr und der klaffende Schnitt schnappte regelrecht wieder zu. Fluchend warf sie das Werkzeug von sich, riss sich das Tuch, mit dem sie Mund und Nase vor Blutspritzern geschützt hatte vom Gesicht und stapfte wütend zur Waschschüssel. Mit einem Platsch stieß sie ihre verschmierten Arme in das eisige Wasser und wusch sich grob das zähe Blut von der Haut. Nach wenigen Augenblicken hielt sie inne und starrte gedankenverloren in die trübe, dunkle Flüssigkeit. Sie dachte nicht gerne an die Vergangenheit und an das Leid, dass sie hatte durchstehen müssen, ehe ihr all' das egal geworden war. Dass man seinen eigenen Vater nicht hassen lernen konnte, war ihr mit der Zeit klargeworden, erst recht, wenn er der letzte Mensch in dieser verfluchten Stadt war, der noch mit einem sprach. Viel hatte sie den Wünschen ihres Erzeugers und ja, sie musste sich das eingestehen, auch ihrer eigener Wissbegierigkeit geopfert. Ein Leben, wie wohl die meisten Menschen es führten. Mit Freunden, Familie, vielleicht einem Liebhaber und später... später vielleicht ein paar Kindern. Sie blieb kalt bei diesen Gedanken. Nicht im leisesten vermochte sie sich selbst als Hausfrau und Mutter vorzustellen. Beinahe kam ihr das Modell dieses einfachen, dümmlichen Lebens erbärmlich vor. Schwach und ahnungslos, gehalten wie Vieh in kleinen, kalten Holzhütten. Und doch irgendwie... begehrenswert. Einfach, schlicht und glücklich. Ärgerlich schüttelte sie den Kopf.
Alles was sie bei diesen Gedanken noch regte, war wohl die Wut, die sie darüber empfand, dass sie sich in jüngeren Jahren ein solches Leben herbeigesehnt hat. Wie eines dieser dummen Bauernmädel. Kühe melken, Windeln wechseln. Nein, das wäre nichts für sie gewesen. Liebe, Leidenschaft, Vögeln. Sachen, die den Kopf träge und genügsam machten.
Mit eisern funkelnden Augen blickte sie in den Spiegel und musterte ernst ihr Gegenüber. Ihr Gesicht war blass, glatt, ein wenig kantig und für einen durchschnittlichen Mann wohl auch ziemlich hübsch anzusehen. Das halblange, rehbraune Haar trug sie in einem strengen Zopf geflochten, damit es sie nicht bei der Arbeit störte. Wenig Lust und Freude glitzernden in ihrem gebieterischen Blick. Sie hatte den richtigen Weg gewählt. Den Weg von Bildung, Geist und Forschung.
Sie rieb sich die Hände und Arme an einem dunkel befleckten Lappen ab und wusch sie anschließend noch einmal in klarem Wasser. Dann benetzte sie ihr Gesicht und trocknete sich mit einem sauberen Handtuch ab. Nachdem sie einmal tief durchgeatmet hatte, machte sie sich wieder an dem Ghul zu schaffen.
Erneut griff sie nach dem Wundspreizer und war nach einigen wenigen Augenblicken wieder an dem Punkt angekommen, an dem sie schusselig geworden war. Nüchtern betrachtete sie die gräulichen Innereien der Kreatur. Der Darm war verhältnismäßig kurz, dafür der Magen umso größer und regelrecht aufgedunsen. Ghule fraßen häufig und viel, wenn sie konnten, verdauten das kalte Leichenfleisch, das sie zu sich nahmen aber schneller. Sie waren im Großen und Ganzen mit Menschen immer noch vergleichbar, zumindest, wenn man ihre Anatomie betrachtete. Alle Organe funktionierten mehr oder weniger identisch, wenn auch, wie in diesem Beispiel, in anderem Umfang. Der Ghul hatte seit seiner Gefangennahme, zumindest soweit sie wusste, nicht mehr defäkiert, was sie wunderte, denn der Darm, der sich wie eine graue, schleimige Wurst durch die Bauchhöhle wand wirkte schlaff und ungefüllt. Vorsichtig tastete sie die einzelnen Windungen ab und zu ihrem Erstaunen vermochte sie tatsächlich keine Nahrungsreste auszumachen. Nachdenklich schob sie ihre Stirn in Falten und zog eine Augenbraue hoch. Ein leerer Verdauungstrakt schien ihr sehr ungewöhnlich für einen Ghul. Angeblich hatte man das Exemplar erst in der letzten Nacht gefangen. Entweder hatte das Wesen also seit mehreren Tagen nichts zu fressen gefunden oder aber...
Um ganz sicher zu gehen schnappte sie sich ein Skalpell und schnitt den Darm der Länge nach auf, doch tatsächlich fand sie ihn vollkommen leer vor. Beinahe glatt und sauber. Das konnte überhaupt nicht sein. Selbst wenn der Ghul wochenlang nichts gefressen hätte, so hätten sich immer noch kleinste Reste in seinen Eingeweiden gefunden. Einer Intuition folgend durchschnitt sie die Magenwand und sofort schoss ihr ein Schwall dunklen, stinkenden Blutes entgegen. Beinahe erschrocken trat sie einen Schritt zurück. Also doch. Leerer Darm, Magen voll Blut. All' das deutete darauf hin, dass hier kein Ghul, sondern ein waschechter Vampir tot auf ihrem Tisch lag. Doch alle anderen Anzeichen sprachen dagegen. Die Haut war dünn, gespannt und grau, die Klauen lang und schartig, die Zähne grob, breit und alle von nahezu gleicher Länge. Feste, drahtige Haare sprossen stellenweise aus der Haut, die Augen hatten einen milchig trüben Ton angenommen und Füße und Hände hatten begonnen sich tierartig zu verformen. Genau wie bei einem Ghul. Aber, auch wenn Ghule sicherlich Blut soffen, so fraßen sie vor allem totes Fleisch. Hier aber war nichts. Keine feste Nahrung zu finden. Das Blut aus dem Magen war nicht in den weiteren Verdauungstrakt überführt worden, so wie sie vermutete, dass es bei echten Vampiren von statten gehen musste. Ja, doch es musste ein Vampir sein. Kaethe konnte ihr Glück kaum fassen.
Normalerweise zersetzten sich die gepfählten Leiber der Vampire viel zu schnell, als dass man sie noch vernünftig hätte sezieren können, aber dieses Exemplar lag nun seit Stunden auf ihrem Tisch und zeigte noch immer keine Spuren der Auflösung. Verwundert legte sie den Kopf schief und betrachtete nachdenklich den Leichnam. Vielleicht handelte es sich ja um einen Vampir in einem frühen Stadium der Verwandlung? Weshalb dann aber diese stark ausgeprägten Zähne und Klauen? Etliche Fragen schossen ihr durch den Kopf. Viel konnte man erklären, gewiss, aber ein großer Teil der untoten Natur musste letztendlich doch mit schwarzer Magie erklärt werden. Möglicherweise, so mutmaßte sie, lag vor ihr ein Vampir in seiner echten, natürlichen Form. Möglicherweise war das, was sie den Menschen zeigten, nur ein künstliches, verändertes Antlitz, dass ihnen zum Gefallen gereichen sollte, um sie zu umgarnen, zu täuschen, zu verführen. Sie dachte an die Berichte über wunderschöne Lahmia Vampire, die Männer mit ihren Reizen verführten, sie zu sich lockten, um sie dort dann zu töten und auszusaugen. Diese Art der Vampire hatte Kaethe mit am meisten fasziniert. Was, wenn diese lieblichen Geschöpfe hinter ihrer Fassade eigentlich derart hässliche Kreaturen waren?
Es ärgerte sie, dass sie dieses Geheimnis mithilfe ihrer Art der Forschung nicht sicher würde ergründen können. Es blieb bloße Theorie. Sie trat zurück an die Leiche und besah sie sich unter der neuen Erkenntnis noch einmal genauer, untersuchte Zähne, Augen, Klauen, Ohren, Nase, Zunge und den Körperbau, stellte am Ende aber nur fest, dass sie bei ihrem ersten Durchlauf nichts übersehen hatte. Vielleicht eine Kreuzung aus Vampir und Ghul? Diesen Gedanken verwarf sie sofort wieder. Von dem, was sie über die Untoten wusste, konnte sie sich nicht vorstellen, dass Vampire ihre Blutlinien mit unreinen, sterblichen Kreaturen kreuzen würden. Niemals. Es musste sich hierbei um etwas Anderes handeln. Irgendetwas hatte sie übersehen.
Und dann fiel es ihr auf. Das Blut! Schnell nahm sie eine Probe und begann sie mit Hilfe von gekrümmten Gläsern und einigen Kräutern und Pülverchen zu untersuchen. Sie machte mehrere Versuche damit, bis sie schließlich ihre Vermutung bestätigt fand. Es hätte ihr früher auffallen müssen. Das Blut war schwarz, fast klumpig und stank nach Verwesung. Es war zwar eindeutig menschlicher Natur, aber bereits eine halbe Ewigkeit alt. Zumindest was den Zerfall betraf. Dieses Geschöpf, was auch immer genau es nun war, hatte kaltes, totes Blut getrunken. Nicht aber die Leiche angerührt. Kaethe spürte vor Aufregung ihre Glieder kribbeln. Das Ding auf ihrem Tisch war etwas völlig Neues, eine neue, bislang vielleicht nicht entdeckte Art von Untoten! Sie könnte neue Maßstäbe in der Forschung setzen! Sie würde ein Buch schreiben und alte, ungenaue Regeln und Gesetze des Untodes überwerfen! Sie musste unbedingt ihren Vater bitten mehr von diesen Geschöpfen zu fangen, sie zu beobachten und zu studieren! Vielleicht konnte sie sogar selber nachts hinaus und...
Die Tür flog mit einem Krachen auf. Erschrocken wirbelte Kaethe herum. Ihr Vater, Walther Groll, stand mit bleichem, angespanntem Gesicht in der Tür. Sein Atem kam schwer und stoßweise. „Kaethe, du musst fliehen!“, rief er mit aufgebrachter, heiserer Stimme. Nüchtern betrachtete sie ihn. Das Alter, das faltig in seine Haut und Haare kroch, Furchen und Grau hinterließ. Die Nachricht kam kaum bei ihr an, zu stark war noch die Euphorie ob ihrer sagenhaften Entdeckung, zu stark der Kontrast zu der Warnung, die ihr Vater ihr unerwartet vor den Kopf schmetterte. Fliehen?
„Wie bitte?“, fragte Kaethe mit keuchendem, gehauchtem Unverständnis und wunderte sich über den fremden, hallenden Klang ihrer Stimme. „Fliehen!“, wiederholte Walther. Seine Worte hatten einen sonderbar eindringlichen, bittenden Ton. „Aus der Stadt! Kaethe, sie kommen um dich zu holen!“

...

Mittlerweile wusste Kaethe, was damals auf ihrem Tisch gelegen hatte. Welche Art von Geschöpf sie fein säuberlich mit einem scharfen, kleinen Messer aufgeschnitten und zerteilt hatte, als wäre es ein kaltes Stück Braten. Mit nachdenklichem Blick besah sie sich den Wundspreizer, den sie nun Jahre später in der Hand hielt. Ob es der gleiche war, wie damals? Und wenn ja, würde es dann irgendetwas bedeuten? Ein Hauch von Schicksal? Sie verwarf den Gedanken wieder, schob das kalte Metall der Zange in den schmalen, unblutigen Schnitt in der Schultergegend der Leiche und spannte den Griff auf. Sie fixierte die Stellung des Werkzeugs, so dass es die Wunde von selbst offenhielt und begann dann das Gewebe mit einer an der Kante scharf geschliffenen Kelle auszuschaben. Achtlos klopfte sie den hellroten Brei in eine eiserne Schale auf dem Tisch ab. Als die gröbste Menge schlaffen Fetts und blutleerem Adergewebe entfernt war, griff sie wieder nach einem Skalpell und begann vorsichtig den Brustmuskel zu lösen. Nach einigen wenigen Minuten zog sie das dunkle Fleisch aus der Leiche heraus. Sie wischte sich die Hände wie damals grob an einem schmuddeligen Tuch ab und holte sich ein im Vorfeld präpariertes Drahtgeflecht vom Regal, zog dann die Haut des Kadavers mit einem Wundhaken beiseite und setzte es behutsam in den Brustkorb ein. Anschließend polsterte sie alles mit einem Gemisch aus getrocknetem Stroh und Sägespänen aus. Direkt unter der Haut verwendete sie weiche Holzwolle, um Beulen und Verformungen an den Nähten zu vermeiden. Da sie den Brustkorb mit dem Drahtgestell wesentlich weiter hervorgehoben und vergrößert hatte, würde die Haut des Mannes nicht mehr ausreichen, um die Wunde sauber zu verschließen. Also nahm sie einen breiten Streifen sehr dunkler, fast brauner Wolfshaut, legte sie über den Spalt und vernähte alles.
Sie trat einen Schritt zurück und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, wobei sie einen blutroten Streifen über ihr weißes Antlitz zu zog.
„Ich will, dass du mir eine Bestie schaffst.“
Das hatte ihr Vater, Walther Groll, Großtheogonist des Sigmarordens zu ihr gesagt. Und sie war auf dem besten Weg dahin. Mit schief gelegtem Kopf betrachtete sie ihr Werk. Auf dem großen, breiten Tisch lag der Leichnam des Mannes namens Alfred, getötet von der mysteriösen Bestie von Altdorf. Beinahe seinen ganzen Leib hatte sie bereits aufgepolstert, verformt, verzerrt, vergrößert. Seine Brust wölbte sich wie ein Fass, seine Rippen schimmerten weiß, weit nach außen verbogen durch die blasse Haut. Gewaltige, künstliche Muskelstränge durchzogen seine Arme und seine Brust, hauptsächlich hergestellt aus Tau und anderem groben Seil, das für den erwünschten knotigen Eindruck sorgte. An einigen Stellen hatte sie ihm struppiges, schwarzes Fell angenäht und Knochensplitter durch seine Haut geschoben, die ihm nun wie Dolche aus den Gelenken stakten. Lediglich sein Gesicht war noch fast vollkommen intakt und unverändert.
Kalt musterte sie seine bleichen Züge, die leblosen, toten Augen, die ohne Ziel ins Nirgendwo starrten. Eigentlich war er nicht hässlich, beinahe hübsch sogar, für so einen versoffenen Rüpel aus der Stadtwache auf jeden Fall ansehnlich. Aber er würde es nicht mehr lange sein. Sie entleerte die Metallschale, die nun randvoll mit Gewebe und kaltem Blut gefüllt war in die große Wanne unter dem Tisch, in die sie ihn ausgeblutet hatte. Mit einem widerlichen Schmatzen platschte die rote Maße in die gewaltige Lache aus Blut.
Dann warf sie das verwendete Werkzeug in einen Wassereimer, dessen Inhalt längst klumpig und trüb war. Erneut wischte sie sich die Hände an dem schmutzigen Lappen ab und griff gerade nach einer schweren, eisernen Zange als sie merkte, wie sich etwas im Raum veränderte. Jedes noch so kleine Geräusch schien mit einem Mal zu ersterben, der faulige Geruch von Tod und Verwesung stahl sich klammheimlich aus der dicken Luft und selbst die penetrante Note von nassem Wolfsfell vermochte sie hier im Keller nicht mehr zu vernehmen. Sie musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass sich hinter ihr eine schlanke, schwarze Gestalt aus den Schatten geschält hatte.
„Du kommst mich besuchen?“, fragte die Leichenschänderin mit ruhiger Stimme, rührte sich aber nicht. Eine verkrampfte Anspannung zog sich durch ihren ganzen Leib. Sie war nicht ohne Furcht. „Ich wollte nur nach dem Rechten sehen.“ Die Stimme, die soeben die Stille durchschnitt hatte einen Klang, als wäre sie gerade frisch an einem Wetzstein geschliffen worden, war gleichzeitig aber dennoch honigsüß und lieblich wie ein fruchtiger Wein. Dieses Spiel aus tödlicher Gefahr und unwiderstehlichem Liebreiz war es, was Kaethe am meisten in Angst versetzte. So unberechenbar, undurchschaubar. „Alles läuft gut“, antwortete Kaethe, löste sich mit kantigen Bewegungen aus ihrer Starre, setzte die Zange in ihrer Hand an einen Zahn der vor ihr liegenden Leiche und riss ihn heraus. Es knackte laut.
„Das ist der falsche Mann“, erwiderte die Stimme in kühlem Ton. „Hattest du nicht einen anderen ausersonnen?“
„Genaugenommen hatte nicht ich ihn ausgewählt“, antwortete Kaethe angestrengt, während sie einen Zahn nach dem anderen zog „sondern Viruk hat es getan. Und genaugenommen war auch er es, der dann den falschen erschlug. Ich arbeite nur mit dem, was mir gegeben wird.“
„Interessant.“ Das Wort stand lange für sich in der Luft und ließ keine weiteren folgen. Kaethe presste die Lippen so fest zusammen, dass sich nur noch ein dünner weißer Schlitz durch ihr Gesicht zog. „Du wirst mutiger“, fuhr die Gestalt nach einer kurzen Weile des Schweigens fort. „Ich weiß nicht, ob mir das gefallen soll. Abgesehen davon beginnst du auf eigene Faust zu handeln und ich glaube, dieser Umstand gefällt mir noch viel weniger.“ Der Klang der Stimme veränderte sich, als ziehe man eine Klinge aus ihrer Scheide, ließ alles Liebliche fallen und wurde beißend scharf. „Ich bezweifle noch immer, dass uns all‘ das hier nützen wird. Du verschwendest Zeit. Wertvolle Zeit. Überdies bringst du Viruk in Gefahr. Noch eine Sache, die mir missfällt.“
Wütend schleuderte Kaethe die Zange von sich, wirbelte herum und musste sich zusammenreißen, um ihre Stimme nicht ungebührlich laut werden zu lassen. „Mit Verlaub, Meisterin, ich denke doch, ich habe ausreichend unter Beweis gestellt, dass ich Euer Vertrauen wert bin. Wir sind hier, sicher und unbemerkt in Altdorf, ganz wie es der Plan war. Mein Vater ließ mich rufen, ganz wie ich es vorausgesagt hatte und auch dank meiner Bemühungen, haben wir Viruk als ergebenen Diener an unserer Seite! Was also muss ich noch tun, damit ihr mir vertraut und mir mehr Handlungsspielraum zugesteht?“
Ihren aufgebrachten Worten folgte eine lange Stille und Kaethe befürchtete, dass sie den Bogen überspannt hatte. Sie fühlte wie die Luft sich mit unverhohlenem Zorn füllte. Unverhohlen, aber beherrscht. Wie Rauch, den man in einem Glas fängt. Erleichtert atmete sie aus und schloss die Augen. Die Furcht fiel von ihren Gliedern ab. „Denk dran, meine Liebe: du bist mein“, erklang die Stimme der dunklen Gestalt und mischte wieder Honig und Wein in ihren Klang. „Aber du hast recht, meines Vertrauens hast du dich als würdig erwiesen. Was also wirst du damit nun tun?“
„Euch zufrieden stellen“, antwortete Kaethe knapp und wandte sich wieder von dem verführerischen Antlitz ihrer Meisterin ab, das halb verborgen in den Schatten noch wilder und verlockender wirkte. „Denn das ist mein einziger Wunsch.“
„Eil dich besser“, vernahm sie die Stimme der Vampirin noch, auch wenn sie bereits spürte, wie ihre Präsenz aus diesem Keller wich. „Er wird bald hier sein.“ Kaethe langte nach der Zange und riss Alfred heftiger als nötig die letzten Zähne heraus. Sie hatte nicht mehr viel Zeit bis zum Morgengrauen und dann musste die Bestie von Altdorf erschaffen haben. Sie spürte wie die Aura ihrer Meisterin noch kurz verharrte, abwartend, ob sie den unterschwelligen Befehl auch wirklich verstanden hatte. Keine Spielchen mehr, nach diesem hier. Keine Alleingänge mehr.
„Ja, Aurora“, sprach Kaethe mit gepresster Stimme ins Nichts.
Dann fühlte sie, wie die Meisterin sie verließ.
 

yinx

Erwählter
8 Oktober 2006
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P.S.: alder schwede, das Forum ist langsam wie ne Oma mit Rollator gerade. Ich denke ich mach dann morgen weiter mit den Uploads


Kapitel XXIX
Der Carstein Ring



Der Aufprall war so gewaltig, dass sich eine Säule aus schmatzender Schwärze um sie herum erhob. Mit einem gewaltigen Aufbegehren zwangen sich Schlamm und Wasser in die Luft, bildeten eine undurchdringliche Mauer aus braunen Schlieren, die meterweit dem gewitternden Himmel entgegen spritzte. Schneider spürte wie seine Beine sich unter höchster Anspannung ins Erdreich fraßen, jeder seiner Knochen knarzte und knackte, seine Sehnen knallten wie der Schlag eine Peitsche. Das hohe Kreischen seines Feindes umfing ihn, stach wie ein Messer in seine Ohren, doch die Anstrengung nahm ihm das Gefühl für den Schmerz. Alles in ihm war auf das Ungeheuer fokussiert, das aus dem Sturm herabgestoßen war. Eine grausige Bestie in der Gestalt einer wahnsinnig verzerrten Fledermaus, nur ungleich größer. Scharfe Reißzähne schnappten aus dem geifernden Maul nach ihm, ellenlange Klauen bohrten sich in seine Schultern, Blut quoll aus den Wunden und sprudelte über seine schlammverkrustete Haut. Schneider konnte sich selbst in den goldgelb schillernden Augen sehen, wie er sich mit aller Macht gegen die Wucht des Angriffs stemmte, den Mund zu einem zornigen Schrei aufgerissen. Dieses Monstrum hatte Oswald getötet. Dafür würde es mit seinem Leben bezahlen. Der Boden unter seinen Füßen verdichtete sich nach und nach und langsam endete sein unaufhaltsames Sinken in die Tiefen des aufgeweichten Erdreichs. Er spürte wie der Druck auf seine Muskeln wuchs, aber nun konnte er seinem Angreifer endlich etwas entgegensetzen. Mit allem was er hatte drückte er sich aus der Hocke hoch und warf sich gegen seinen Feind. Rücklings stürzten sie als ineinander verkeiltes Bündel in den Dreck. Erneut erhob sich die schwarze Masse um die zwei Kämpfenden, hüllte sie in dunklen Regen. Der Blutdrache hatte keine Waffe um sich gegen die Bestie zu verteidigen, aber es scherte ihn nicht. Mit bloßer Hand packte er in das abscheuliche Maul, spürte wie die rasiermesserscharfen Zähne sich durch seine Finger bohrten, spürte wie sein Blut kalt aufspritzte, ignorierte es und zwang kraftvoll die Kiefer seines Feindes auseinander. Seine linke flog pfeilschnell heran und krachte mit voller Wucht in die obere Zahnreihe des Vargheists. Für einen Augenblick endete das schrille Kreischen und an seine Stelle trat das Brechen von Knochen. Wie blutige Geschosse flogen Schneider die beinernen Klingen aus dem Maul des Feindes entgegen. Nass stülpte sich das aufgeworfene Erdreich über sie und überzog sie mit einer schillernden, schwarzen Haut, zog sie wieder nach unten hinab, aber diesmal hatte er die Oberhand. Erneut stieß seine Faust nach der fledermausartigen Fratze, erneut forderte sie ihren Tribut. Zweimal, dreimal. Doch es genügte nicht. Ehe er sich versah zwang sich das schrille Surren wieder in seine Ohren, der Feind stieß erneut seinen Kampfschrei aus und Schneider merkte nur noch, wie er rücklings durch die Luft segelte. Undeutlich sah er, wie sich die Gestalt des Vargheists aus dem Schlamm schälte, sich mit wenigen, gewaltigen Flügelschlägen erhob und noch ehe er auf dem Boden aufschlug, von neuem auf ihn herabstieß.
Die Klauen zwangen sich in seinen linken Arm und rissen ihn empor, zogen ihn schnell in Richtung des wütenden Unwetters. Schneider schrie vor Schmerz, versuchte mit seiner freien Hand nach seinem Peiniger zu schlagen, sich loszureißen, aber es gelang ihm nicht. Schwung für Schwung hievte die Bestie ihn in die Höhe und die Welt unter ihm wurde kleiner. Eine Fahne aus Schlamm und Blut flatterte hinter ihnen im Wind, bildete einen rötlichen Nebel, dort wo sie vom Regen zerstäubt wurde. Er spürte wie die Kraft mit jedem Ruck aus seinem Arm gezerrt wurde. Wenn er nicht bald etwas unternahm, dann würde er diesem Vieh nichts mehr entgegen zu setzen haben. Sich windend warf er sich herum, suchte nach einem Ausweg, aber er hing in den Klauen fest, wie eine Maus, die von einem Adler gerissen worden war. Gerade als ihm klar wurde, dass er keine Möglichkeit hatte zu entkommen, erblickte er Odinoki, als kleinen hellen Punkt unten auf dem Boden. Mit sorgenvollem Blick starrte sie zu ihm hinauf und sein Herz erlitt einen schmerzhaften Stich. Was würde mit ihr geschehen, wenn…
Doch in diesem Augenblick, noch ehe der den Gedanken beendet hatte löste der Vargheist mit einem grausamen Schrei seine Klauen aus dem Fleisch des Vampirs und ließ Klaus Peter Schneider los, fast eine Meile über dem Erdboden. Das Peitschen der Luft um ihn herum klang wie ein dünnes Pfeifen, das Reißen des Windes an seinen Gliedern wie ein sanftes Flüstern, als er mit rasender Geschwindigkeit gleich einem Felsen hinab in die Tiefe stürzte. Das Land unter ihm wurde schnell größer, helle Flecken wurden wieder zu umrissenen Konturen, das trübe, flächige Grau zu einem Meer einzelner Pfützen. So schnell stürzte er in die Tiefe, dass er vor dem Aufprall nicht mehr einen klaren Gedanken fassen konnte. Es krachte, eine braune Fontäne sprang gurgelnd gegen den Himmel und machte anschließend dem Pladdern des herabfallenden Schlammes Platz.
Der Schmerz lähmte ihn vollkommen. Er brannte in jeder Faser seines zerschmetterten Körpers, legte sich wie ein Grabdeckel auf seinen Rücken und drückte ihn hinab. So umfassend pulsierte er durch seine gebrochenen Knochen, dass er nicht einmal mehr stöhnen konnte. Nur schwach konnte er noch spüren wie der Boden unter ihm nachgab und schmatzend und blubbernd über ihn schwappte. Braune Schlieren verschleierten seine Sicht und nur mit Mühe konnte er erkennen wie das Ungetüm ein Stück entfernt von ihm landete, mit seinen lädierten Kiefern knackte und dann langsam auf ihn zu gestakt kam. Es schien ihm eine Ewigkeit zu dauern, unendlich langsam nur kam sein Feind heran, doch es war gleichgültig, wie lange er brauchte, Schneider würde ohnehin nichts mehr gegen ihn ausrichten können. Verletzungen wie diese, die ihm zugefügt worden waren, würden Wochen brauchen um vollständigen zu verheilen, selbst bei einem Vampir. Müde und mit flackernden Augen beobachtete er das Wesen, das sich näher und näher an ihn heran schob. In seinem Gesicht lag kein Ausdruck, weder Freude noch Triumph. Alles was es ausstrahlte, war die vollkommene Gleichgültigkeit.
Plötzlich spürte Schneider etwas an seiner Hand und grausame Schmerzen zuckten durch seinen Arm. Wäre er in der Lage gewesen zu schreien, er hätte es getan. Mit brechendem Blick sah er empor und erkannte Odinoki, die sich neben ihn gekauert hatte und seine Hand hielt. Nein. Bitte geh. Flieh! Schneiders Gedanken wirbelten, doch er konnte sie nicht in Worte fassen. Zerschmettert und nutzlos hing sein Unterkiefer an seinem Kopf, die Zunge nur ein blutiger Fetzen. Blut trat in seine Augen. Die Tränen eines Vampirs. Hinter ihm war diese Bestie her, nicht hinter ihr. Aber sie würde sterben, würde sie jetzt bei ihm bleiben. Seinetwegen würde dieses arme Kind sterben. Bitte - lauf! LAUF! Konnte sie es in seinen flehenden Augen lesen, so ignorierte sie es. Stoisch hielt sie seine Hand umklammert, den Blick vollgesogen mit Zabota. Sie wollte mit ihm leben oder mit ihm sterben. Das war nun ihr Weg.
Eine graue Flughaut schnellte heran und versetzte Odinoki einen Stoß, der sie durch die Luft schleuderte und nach hinten warf. Kreischend wurde sie aus seinem Blickfeld gerissen. Schneiders Herz ging in Flammen auf, als der Vargheist an ihm vorbeischritt. Nein! Du willst nicht sie, du willst mich! Bleib hier! Töte mich! Trag mich fort! Was immer dein Ziel ist, tue es, aber verschone sie! In einem letzten Aufbegehren wollte Schneider seinen Arm heben und sich aus dem nassen Grab hinausziehen, Odinoki beistehen, aber er vermochte es kaum einmal mehr mit dem Finger zu zucken. Er hörte sie schreien, dann ein Fauchen, erneut einen dumpfen Schlag. Nein! Was wollte dieses Biest von ihr? Von einem Mädchen, das nicht einmal ihren Namen kannte. Unter schlimmsten Qualen wälzte er sich vom Bauch auf den Rücken, um besser sehen zu können, was geschah. Es schien ihm unendlich lange zu dauern und kostete ihn mehr Kraft, als er noch zu haben glaubte, aber irgendwie gelang es ihm. Durch tränende Augen sah er wie Odinoki abermals in die Luft gehoben wurde und platschend in den Matsch schlug. Wie lange konnte sie das wohl überstehen? Mühevoll erhob sie sich aus der dunklen Brühe, ihre Blicke trafen sich. Bitte lauf weg, dachte Schneider noch und scheinbar erriet sie seine Gedanken, denn sie schüttelte den schwach Kopf. Mit einem Satz sprang der Vargheist zwischen sie und begann wie besessen im Dreck zu wühlen. Erde spritzte und das Wasser brodelte als würde es kochen, mit einer solchen Wut drang die Bestie in den Schlamm vor.
Verwundert beobachtete Schneider, was geschah.
Komm zu mir!
Komm zu mir!
Komm zu mir!

Ich komme!
Direkt vor ihm, irgendwo in dem schwarzen Meer versunken, dort lag sein Ziel. Kasimir von Carsteins Klauen gruben schnell und hektisch durch die dunkle Erde. Unter ihm lag er verborgen. Doch das Wasser schluckte die Stimme des Rings, verteilte sie weit über die Ebene und machte ihn unauffindbar. Sie war nirgends und überall zu gleich. Aber irgendwo hier war der Carsteinring und rief verzweifelt nach ihm, das fühlte er und er würde ihn finden.
Komm zu mir!
Komm zu mir!
Komm zu mir!

Ich komme!
Schnell. Denn er wollte wieder zurück in die Luft. Nachdem er den Ring gefunden hatte würde er sich an dem Fleisch des fetten, blökenden Tieres laben und dann, dann würde er endlich wieder ein Teil des Windes werden, durch Regen und Blitz peitschen, ganz als würde er zu ihnen gehören. Dort war seine Heimat, zwischen den donnernden Wolken im Himmel. Nicht hier im kalten, schwarzen Wasser, so grausam, bissig und nass. Klaue um Klaue schaufelte er den stinkenden Schlamm beiseite so schnell er konnte und dann endlich, nach einigen wenigen Augenblicken erblickte er ein schwaches Funkeln am Boden der Pfütze, in der er hockte. Freudig stieß seine Pranke in die Tiefe, wollte nach dem Glitzern greifen, doch er war zu hastig gewesen. Der Schwung, den er in das dunkle Wasser brachte erzeugte eine Woge und drückte den Ring gleichmäßig fort von ihm. Vor Zorn schrie er auf und warf sich in die eisige Nässe, aber je mehr er versuchte den Ring zu erreichen, desto weiter trieb er von ihm weg. Kreischend und zeternd kroch und schwamm Kasimir durch die Erde, dieses Elende Stück Schmück verfluchend, das ihn verspottend vor seiner Nase durch die Pfützen glitt. Das verfluchte Schicksal spielte mit ihm, verhöhnte ihn, zog den Ring weiter und weiter von ihm fort, als wäre er von einer unsichtbaren Hand ergriffen. Dabei war er doch so nah dran! Nur einen halben Fuß weit entfernt von seiner Erlösung. Und plötzlich stand er genau vor dem kleinen, schwachen Vampir mit dem struppigen, blonden Schopf. Er blickte ihn an, aus seinen winzigen Augen, Verwirrung und Unverständnis zeichneten sein geschundenes Gesicht so deutlich, als hätte jemand sie mit scharfen Klauen in es hinein gefetzt. Und dann sank sein Kopf hinab und sein Blick traf den matt funkelnden Ring, der genau zwischen ihnen schwamm, nur eine Armlänge für jeden von ihnen entfernt und der Vargheist bemerkte ein schwaches Erkennen auf seinen Zügen
Komm zu mir!
Komm zu mir!
Komm zu mir!

Ich komme!
Kasimir schmetterte ihm sein hohes Kreischen entgegen. Dies war sein Ring. Pfeilschnell schoss sein Flügel nach vorne, griff nach dem Ring, als ihm plötzlich ein scharfer Schmerz durch die Seite fuhr. Völlig überrumpelt ließ er seinen Schrei verebben und stürzte quiekend zur Seite, einen abgebrochenen, großen Holzsplitter in seiner Flanke steckend. Das verfluchte Mädchen! Dieses elende Gör! Er schüttelte sich, um den Schmerz abzustreifen, arbeitete sich unbeholfen wieder auf alle viere und warf ihr einen vor Hass brennenden Blick zu. Doch ihre Augen glühten ebenfalls vor reinem Trotz. Vorsichtig wich sie ein paar Schritte vor ihm zurück und suchte die Umgebung nach einer neuen Waffe ab. Kasimir riss sich das Holz aus der Wunde und warf es ohne zu zielen nach ihr. Sie duckte sich rasch, wodurch er sie verfehlte und wich noch einen halben Schritt zurück. Elendes, kleines Gör! Elendes, kleines Gör!
Drohendes Grollen drang aus seiner Brust, als er begann sich auf sie zu zu schlängeln. Seine Augen hielten sie fixiert, musterten jede ihrer Bewegungen genau. Nun war der Augenblick gekommen, da sie sterben würde. Er würde sie erschlagen, ihr Blut saufen, sie hatte keine Chance mehr zu entkommen. Er umkreiste sie knurrend, weidete sich an ihrem angstvoll schlagenden Herzen. Selber schuld, kleines Ding, schoss ihm einer der seltenen klaren Gedanken durch den Kopf. Vermutlich hätte er sie leben lassen, wäre einfach mit dem Ring hinfort geflogen und hätte sie und den Vampir ignoriert. Nur das fette Tier, das hätte er gefressen.
Aber nun war der alte Stolz seines Blutes in ihm geweckt und verlangte nach Rache für die Anmaßung, ihm ein spitzes Stück Holz in die Seite zu treiben. Gleich einem Hexenjäger hatte sie sich erdreistet, ihn pfählen zu wollen. Eine Tat, die nach erbarmungslos blutiger Vergeltung schrie. Seine wirren Gedanken legten sich und es übernahm wieder der vermodernde Wahnsinn des Vargheists die Kontrolle. Mit einem wilden Zischen warf er sich auf sie.
Aber er erreichte sie nicht. Etwas packte ihn an dem dichten, stacheligen Fell in seinem Nacken und warf ihn zurück. Verflucht, das konnte doch nicht wahr sein! Kasimir schrie vor Empörung und Ärger auf, wälzte sich durch den Schlamm und tobte vor Wut. Abermals spritzten Schlamm und Wasser durch die Luft, eine schwarze Woge aus purer Wut. Mit einem Satz sprang er auf die Füße, wischte sich mit dem Flügel den Dreck aus den Augen und sah vor sich den kleinen Vampir. An seinem Finger glänzte verräterisch rot der Carsteinring.
Kasimir schrie vor Zorn. Nein! Nein! Nein!
Ein harter Schlag blitzte auf und traf ihn mitten in die Schnauze. Sein Ärger verrauchte in einem gequälten Jaulen und wich grell flackernden Sternen. Schmerz füllte seinen Schädel und er ging kreischend zu Boden. Doch der Vampir ließ nicht von ihm ab. Brüllend warf er sich ihm hinterher, bog seine Arme beiseite und zwang ihn nach unten. Kasimir wehrte sich nach Leibeskräften, aber der Ring verlieh seinem Angreifer eine Kraft, die ihm sonst nicht zur Verfügung gestanden hätte. Winselnd hörte er seine Knochen brechen und seinen linken Flügel schlaff in sich zusammenfallen. Nein! Nein, nicht seine kostbaren Flügel! Ohne sie war er nichts! Bloß ein an die Erde gebundenes, stacheliges Biest. Nur mit seinen Flügeln war er der Herr der Himmel, ein gewaltiger herrschender Raubvogel. Die Krallen des kleinen Vampirs zerrissenen die Flughaut seines verbleibenden Flügels und Kasimir geriet in helle Panik. Verzweifelt jaulte er auf, versuchte mit aller Macht freizukommen und es gelang ihm auch knapp. Mit seinen Hinterläufen stieß er seinen Feind von sich, robbte ein Stück von ihm weg und rollte sich herum. Unter Schmerzen hinkte er ein paar Meter weit, wollte entkommen, sich wieder sammeln, neu zum Angriff übergeben, aber da packten ihn erneut die grausamen, starken Hände von hinten. Er wurde herumgeworfen und auf den Rücken geschleudert. Ohne Widerstand zu zulassen drang der Vampir auf ihn ein, zerschnitt ihm mit scharfen, schwarzen Klauen sein Gesicht. Hilflos um sich schlagend fügte der Vargheist ihm ein paar schwere Kratzer zu, doch die ignorierte sein Gegner bloß. Unbändiger Zorn flammte in seinem Gesicht. Nichts, das wusste Kasimir, konnte ihn jetzt noch retten.
Hieb für Hieb zerfetzte sein Gesicht und mit jedem Schlag drang ein wenig mehr Leben aus ihm heraus. Blut wirbelte durch die Luft und verteilte seine Existenz im Schlamm. Und da erkannte er mit einem Mal das Geschenk, das ihm gerade zu Teil wurde. Er würde sterben. Endgültig sterben. Auf eine Art und Weise, dass nicht einmal mehr Slawa ihn würde zurückholen können. Er würde Frieden finden. Vielleicht Tatjana wiedersehen. Endlich diesen scheußlich verzerrten Körper verlassen, an den man seine Seele gebunden hatte. Die Bestie in ihm würde sich loseisen und ihn sterben lassen. Und dann wäre er endlich frei.
Jeder Schlag, der ihm das Fleisch von den Knochen riss war ihm nun willkommen. Er konnte es kaum noch erwarten.
Komm zu mir!
Die Stimme des Ringes verblasste langsam in seinem Kopf, überließ ihn seinen eigenen, entfesselten Gedanken. Das Leben sickerte aus ihm heraus und er fühlte bereits, wie seine Seele sich aus seinem Leib hob. Mit den letzten Schlägen ließ auch der Schmerz von ihm ab und übergab ihn einer angenehmen Taubheit, die sich über seinen Körper legte. Der Vampir holte erneut schwungvoll aus. Seiner Finger fächerten zu einem grausamen Kranz schwarzer Klingen auf. Dann ein Schrei. Ein Blitzschlag. Das letzte Donnern, das Kasimir von Carstein je hören sollte. Ein schöner, kräftiger Klang, der die Erde sanft beben ließ. Und dann empfing er die Dunkelheit, die ihn in ihre eisige Umarmung schloss.

...

Slawa von Carstein spürte wie die schwarze Macht, die die untoten Gebeine seines Verwandten Kasimirs zusammengehalten hatte, in weiter Ferne erlosch. Sein Gesicht spannte sich vor schlecht unterdrücktem Ärger. Kasimir hatte versagt. Er hatte diesem verweichlichten Waschlappen viel zu viel zugetraut. Natürlich. Weshalb hatte er sich auch nur eine Sekunde darauf verlassen, dass er einmal etwas richtig hätte machen können. Sein eigener Fehler, wie er jetzt erkannte. Was man nicht selber machte, musste man zweimal machen. An sich kümmerte Kasimirs Tod ihn nicht im Geringsten, aber er erfreute ihn auch nicht sonderlich, denn es hatte das Seelenleid seines Verwandten wesentlich verkürzt. Was er noch alles hätte mit ihm anstellen können. Er würde einen anderen Zeitvertreib finden und ohnehin gab es momentan wichtigere Dinge, die seine Aufmerksamkeit erforderten. Den uralten Siegelring der Familie von Carstein nicht in seinem Besitz zu wissen, machte seinen Feldzug wesentlich riskanter, vor allem für ihn selbst. Das Erbstück wurde seit Tausenden von Jahren an das Oberhaupt der Familie weitergegeben und galt unter einigen sogar als der ursprüngliche Grund für den Segen des Vampirismus, der die Familie jetzt schon seit beinah vergessenen Zeiten begleitete. Gewaltige Mächte wohnten ihm inne, die seinen Träger schützten, ihm außergewöhnliche Fähigkeiten zur Selbstheilung verliehen, die die der gewöhnlichen Vampire bei weitem in den Schatten stellte. Nichts vermochte einen Mann näher an die vollkommene Unsterblichkeit zu bringen, als das Tragen dieses Rings.
Vlad und Manfred hatten beide den Ring besessen, hatten ihn am Finger geführt und dennoch waren ihre Feldzüge zum Scheitern verurteilt gewesen. Ihre Gabe, stets auf das Schlachtfeld zurückzukehren, auch wenn man sie erschlagen geglaubt hatte, waren nicht ihrem Können, sondern lediglich der Macht des Rings zu zuschreiben. Slawa hatte durchaus Vertrauen in seine Fähigkeiten, aber der Ringe hätte ihn vor unabwägbaren Gefahren geschützt. Einer verirrten oder aber gut platzierten Kanonenkugel, der grausamen, geweihten Macht eines Sigmariten oder dem scharfen Schnabel eines wütenden Greifs. Vermutlich wäre nichts davon in der Lage ihn wirklich endgültig zu vernichten, aber es konnte ihn ernsthaft verwunden, möglicherweise so schwer, dass er die Kontrolle über seine Armee verlor oder zum Rückzug gezwungen wurde. Fehler, die er sich nicht leisten durfte. Würde sein Vorstoß auf die überraschten Imperialen erst einmal zum Erliegen kommen, dann könnten sie sich neuformieren, eine große, schlagkräftige Armee aufstellen und ihn womöglich sogar auf seinem eigenen Grund und Boden schlagen. Eine Schmach, die er niemals würde ertragen können.
Seine Armee aus Untoten und Ghulen hatte das Gebirge fast gänzlich passiert und würde bald die letzten Berge hinter sich lassen. Aber als nächstes wartete eine der vielleicht größten Herausforderungen dieses Feldzuges auf ihn. Zumindest wenn er Pech hatte. Sein Heer würde sehr dicht an Karak Kadrin vorbeiziehen, der sogenannten Rabenburg, einer stark gerüsteten Zwergenfestung, die den Höhenpass verteidigte. Zu seinem Glück musste er sie nicht direkt passieren, denn dann hätte er mit Sicherheit gegen die Zwerge kämpfen müssen, aber er zog dennoch durch den Pass. Die Dawi hätten ihn mit Sicherheit bemerkt und unter Umständen angegriffen. So aber waren die Waagschalen noch ausgeglichen, es konnte so oder so kommen. Aber augenscheinlich verfolgte ihn jüngst das Pech. Den Carsteinring zu verlieren war eine schwere Pleite und auch von Viaceslav und seinen Häschern hatte er bislang keine Erfolgsmeldung gehört bezüglich der streunenden Orks gehört. Ein weiterer Umstand, den er als besorgniserregend empfand, denn die Sichtung der Grünhäute lag schon mehrere Stunden zurück.
Erneut sammelte er seine Gedanken, fokussierte seine dunklen Kräfte und rief den Schwarm Fledermäuse zusammen, die er als Späher aussandte. Tausende hohe Stimmen stiegen in die Nacht, vermischten sich mit dem Geräusch von ungezählten, ledrigen Flügeln und sammelten sich zu einer gewaltigen, zuckenden, schwarzen Masse. Sie strömten in Scharen aus den Höhlen des Gebirges, erhoben sich aus seinem Heer in die Luft, sammelten sich zu einem gigantischen Schwarm und stoben dann in alle Himmelsrichtungen auseinander. So schnell das beeindruckende Schauspiel begonnen hatte, so schnell endete es.
Slawa hoffte, dass sie ihm bald gute Kunde bringen würden. Insgeheim war er sehr darauf erpicht, dass Viaceslav unversehrt zurückkehrte. An sich war ihm der Vampir egal, außer das Blut der Familie war da nichts, was ihn an ihn band, aber von den niederen Untoten war er der einzige, dem er tatsächlich so etwas wie Vertrauen schenkte. Lazarica und Traiana schenkte er nicht für eine Sekunde sein Ohr, denn aus ihren lästerlichen Mäulern drang nichts, was er nicht für eine Lüge hielt. Die zwei angeblichen Töchter von Elise von Carstein reisten, wie es sich für wahre Vampirdamen gehörte in Sänften, weiter hinten im Tross der Armee und sie kamen nur zu ihm an die Spitze, um sich über die Unannehmlichkeiten zu beschweren, die sie umgaben. Als hätte ihnen nicht im Vorfeld klar sein können, dass es sich bei einem derartigen Schlachtzug nicht um eine Vergnügungsreise handelte. Zumindest Lazarica allerdings schien eine geübte Magierin der Lehre der Schatten und der Nekromantie, weshalb er sie duldete. Ihre Schwester hatte sich bislang noch nicht bewiesen, aber er konnte sie schließlich nicht von sich weisen, ohne Lazarica damit zu kränken und vermutlich ebenfalls zu verjagen.
Mehr Vampire hatten sich ihm nicht angeschlossen oder aber er hatte sie fortgeschickt, weil er ihnen nicht traute und sie nichts taugten. Über eines von beidem mochte er noch hinwegsehen können, aber Nutzlosigkeit und Tücke vereint konnte und wollte er nicht hinnehmen.
Für kurze Zeit noch verblieb sein Geist bei seinen kundschaftenden Fledermäusen, überließ sie dann aber sich selbst. Nichts war zuverlässiger, als ein einfaches Tier. Er versuchte sich auf das zu konzentrieren, was vor ihm lag und sich nicht von störenden Gedankenfetzen beeinflussen zu lassen. Das Problem mit Lazarica und Traiana würde sich früher oder später von selbst erledigen, wenn sie in der Schlacht fielen. Und wer konnte schon wissen, ob es nicht vielleicht bald soweit war. Er richtete den Blick gen Osten, wo sich in ein paar Stunden die Wehrstadt Karak Kadrin aus dem Dunst schälen würde.

 
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yinx

Erwählter
8 Oktober 2006
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hier noch wie angekündigt der dritte Teil. Hf und so.

Kapitel XXX

Grorr'zarkh'lawa


Es war also doch ein Fluch gewesen. Ein wahrhaftiger, heimtückischer Fluch und nicht etwa eine Krankheit, wie einige dieser nutzlosen Schamanen ihm hatten weismachen wollen. Er und krank werden? Das war ihm von Anfang an schon sonderbar vorgekommen. Schnazarkh, diese elende, winselnde, madige, schleimig schmierige Kröte hatte ihn damals, im Moment seines Todes, mit seinem letzten Atemzug verflucht. Dessen war er sich jetzt gewiss. Traue verdammt noch eins niemals einem verdammten Schamanen, verdammt! „Vadammt!“, grunzte er leise. Er hätte es besser wissen müssen. Einer seiner Schwarzorkbosse hätte dem Alten damals den Schädel zerdrücken können und alles wäre gut ausgegangen, aber nein, er hatte es ja unbedingt selber machen wollen. Mit boshaft verengten Augen glotzte er auf seine verfluchte Pranke, mit der er vor Jahren den Kopf des vermaledeiten Stabschwingers zerquetscht hatte. Sie hörte nicht auf ihn voll zu quatschen. Schnazarkhs Stimme drang schnatternd und unnachgiebig aus ihr heraus auf ihn ein, wie eine Horde übermütiger Snotlings.
Deinä gerächte Strafe, Gitzä!
„Still jetz‘!“, fauchte Grorr’bak wütend seinen Stumpf an.
Wie dein grünet Fleisch von deinen Knochen fault, grau un‘ matschich, du dein eig’nez Verderbn mit anseh’n musst
„Schnauze oda ich wärd diä…“
Was willzt noch mach’n Bosz? Ich bin blosz noch ein Stumpf!
Grorr’bak langte mit der Linken wütend nach seinem verstümmelten Arm und schlug ihn ein paarmal heftig gegen seine Stirn. „Wirst - du – wohl – still - sein?!“, stieß er Wort für Wort bei jedem Schlag hervor. Schmerzen fühlte er keine mehr. Sein Leib war kalt und taub.
Hähähä!
Es half selbstredend nichts. Eine nicht mehr vorhandene, sprechende Hand konnte man nicht zum Schweigen bringen, zumindest nicht indem man sie wiederholt gegen seine eigene Stirn drosch. Irgendwie war das sogar Grorr’bak klar gewesen. Trübsinnig betrachtete er den schwatzenden und gackernden Stumpf. Vielleicht wurde er auch einfach nur bescheuert? Vielleicht ließ sein kleines bisschen Verstand ihn jetzt endgültig im Stich. Verabschiedete sich und warf ihn dem Wahnsinn zum Fraß vor. Hatte vielleicht was damit zu tun, dass sein Fleisch graustichig und aufgedunsen wurde und einfach vor sich hin moderte. Oder damit, dass keiner seiner Orkse noch stänkerte oder überhaupt irgendwie… sprach. Oder sich bewegte. Oder fraß. Alle hingen sie bloß in der Gegend rum und glotzten Löcher in die Luft. Moderten auch in der kalten, bleichen Sonne des Gebirges vor sich hin. Das erstaunlichste aber war, dass sie ohne zu murren alles taten, was er ihnen befahl. Geh dort rüber! Wirf dich auf den Boden! Hau dem da den Kopf ab! Alles wurde schnell und gezielt ausgeführt, ohne jeden Widerspruch, ohne jede Drohung. Wenn etwas ganz und gar ungewöhnlich für Orks war, dann war das bedingungsloser Gehorsam. Etwas stimmte hier nicht, das war ihm mittlerweile klar, aber was genau, das konnte er mit seinen beschränkten Möglichkeiten noch nicht herausfinden. Sicherlich hing es irgendwie mit Schnazarkhs Fluch zusammen. Möglicherweise hatte er sie alle verflucht, nicht nur ihn! Aber Mork und Gork verdammt, damit war es ja noch nicht genug! Das schlimmste kam ja erst noch.
Komm zu mir!
Komm zu mir!
Komm zu mir!

Während die Stimme des Schamanen sich im schwärenden Stumpf seiner Pranke eingenistet hatte, wisperte noch eine weitere kleine, feine Stimme irgendwo im Inneren seines Kopfes. Wie sie dahingekommen war, konnte er nicht sagen. Musste wahrhaft ein kleines Männlein sein. Oder aber es hatte vielleicht auch was mit dieser unsäglichen Verhexung zu tun, was Grorr’bak sich allerdings nicht vorstellen konnte, denn die Stimme klang kein bisschen wie ein Ork. Viel zu saubere Sprache, fast schon geleckt. Wie die von einem Rosaling. Selbst dafür noch zu sauber. Und damit nicht genug, nein! Dieses Stimmlein sprach auch immer nur den gleichen Satz. Komm zu mir! Ohne jede Pause. Erst hatte Grorr’bak ihr gedroht, später hatte er sie nur noch angebettelt, sie möge endlich etwas Anderes sagen, aber sie ignorierte ihn geflissentlich. Tatsächlich wusste der Waaaghboss sogar wohin er gehen musste, um „zu mir“ zu gelangen, aber er wollte dort nicht hingehen. Wie eine dünne Nebelspur konnte er den gewünschten Weg vor seinem inneren Auge erkennen, verspürte auch ein gewisses Verlangen, diesem Befehl endlich nachzugeben, aber im Endeffekt hatte er schlichtweg keine Lust. Wozu er diesen Weg auf sich nehmen sollte, das sagte ihm die Stimme nicht und letztendlich war ihm das einfach zu dumm.
So oder so hätte er vielleicht eine der beiden Stimmen zusätzlich zu seinen eigenen Gedanken noch ertragen, hätte auch versucht sich auf das zu konzentrieren, was sie ihm sagen wollten, aber zwei waren ihm einfach zu viel! Es verwirrte ihn grenzenlos. Sie hüllten seine Orkigkeit in eine unablässige, marternde Kakophonie und machten jeden Versuch einen halbwegs klaren Gedanken zu fassen unmittelbar zunichte. Schwach und lustlos hing sein großer Schädel auf seiner Brust, benebelt von wirr durcheinander gerufenen Worten. Die körperliche Last des Fluchs war von ihm abgefallen. Er verspürte weder Schmerz noch Schwäche, aber sein Verstand war drauf und dran unter der Last dieser neuen Situation zu zerbrechen. Kaum merkte er, wie ein dicker, klebriger Speichelfaden sich über seine rissigen Lippen zu zwang und sich auf seinen langsamen Weg zum felsigen Untergrund machte.
So stumm heutä Bosz?! Wanstgrimm’n? Modrigä Gitzä gefresz‘n?, verlangte der Stumpf zu wissen.
Nä, lautete Grorr’baks gedachte Antwort.
Komm zu mir! Das Säuseln der Stimme.
Jetz‘ nich!, grantete der Stumpf die Stimme an.
„Beide still jetz‘!“, grunzte der Waaaghboss hörbar.
Käkäkä!
Komm zu mir!
Käkäkä!
Komm zu mir!
Käkäkä!
Komm zu mir!

Der Kampf!, schoss es Grorr’bak mit einem mal durch den Kopf! Der Gedanke war klarer als alle anderen, die er während der letzten Nacht hatte fassen können und schob sich eindeutig und gut fassbar zwischen den flüsternden Stimmen hindurch. Er hatte den Kampf ja noch gar nicht gewonnen. Den Kampf gegen diesen vorlauten, aufbegehrenden Welpen! Ein Ruck fuhr durch seinen schwerfälligen Leib und schob ihn auf die Füße. Seine Knochen ächzten wie alte, morsche Schiffsplanken. Das knorrige Quietschen weit überspannter Balken. Dann ein hässliches Knacken. Der Waaaghboss bemerkte nicht einmal, wie sein linkes Schienbein unter seinem eigenen Gewicht brach. Schlaff zog er das verletzte Bein hinter sich her. Dicht daneben seinen Spalta.
Wohin däz Wegz?, verlangte die redende Hand zu wissen.
Komm zu mir!, forderte die Stimme in seinem Kopf.
„Musz kämpf’n!“, erwiderte er mit einem grimmigen Grollen. „Kann noch nich‘ komm‘, musz jetze den Kampf gewinnän!“ Langsam aber stetig hinkte er weiter. Seine Gestalt schwankte bei jedem Schritt wie ein betrunkener Bär, schob sich aber unbeirrt vorwärts. Er passierte eine glotzende Grauhaut, deren Blick sich klebrig an ihm festheftete. Dann folgte der untote Ork ihm stöhnend. Mehr und mehr Füße scharrten über den kieseligen Boden. „Kommt Gitzä, kommt!“, murrte Grorr’bak leise vor sich hin, während mehr und mehr der schwärenden Krieger begannen ihm zu folgen. Leere Blicke, heiseres Grunzen. Ein jeder der gefallenen Grünhäute griff sich eine Waffe und schloss sich dem Zug der Toten an.
Die Stimme verlangte von Grorr’bak, er solle in die andere Richtung gehen, weiter nach Osten, dorthin wo die Stumpenz hausten, doch er nahm einen anderen Weg. „Kommt Gitzä, kommt.“, wiederholte er. „Wir geh‘n Welpen fress‘n.“

Krommlonk hockte auf einem Stapel aus zerborstenen Schilden und Speerlanzen, verschmutzten Tüchern und Trümmern, als Rraggatt und Boskopp zurückkehrten und thronte darauf gebieterisch wie ein König der Menschen. Um ihm herum lagerten die Orks, die ihm treu geblieben waren, den wahren Boss des Waaaghs in ihm erkannt hatten, schärften ihre Spaltaz, rieben ihre Rüstungen mit ranzigem Öl ein und leckten die Wunden, die ihnen von ihren einstigen Vettern geschlagen worden waren. Grunzend und quiekend bildeten die Grünhäute aus dem Gefolge des Halzschneidas eine Gasse für den zurückgekehrten Spähtrupp und begannen wild mit den Füßen auf den Boden zu stampfen. Angespannt und heißhungrig auf den Kampf erwarteten sie Nachricht über die graue Horde des Trollbeißers, bereit ihren ehemaligen Brüdern die Köpfe abzureißen. Die gewaltige Stänkerei, die der Kampf zwischen Krommlonk und Grorr’bak vom Zaun gebrochen hatte, hatte sie blutrünstig und wild werden lassen. Nach Monaten der Faulenzerei wollten sie endlich wieder kämpfen und fette Beute machen. Frisches Fleisch fressen. Sie wären sogar dazu bereit gewesen, ihre eigenen Brüder zu reißen, nur für einen Brocken dampfender Innereien. Sie waren Orks. Natürlich waren sie dazu bereit.
Krommlonk ließ sich von seinem improvisierten Thron gleiten und kam neben Tanktank zum Stehen, der ihm einen unwirschen Blick zu warf. Die Wunde zwischen seinen Rippen jagte ihm einen brennenden Stich durch seine Flanke und er unterdrückte den Drang, sein Gesicht zu einer schmerzerfüllten Grimasse zu verziehen. Er musste Stärke demonstrieren. Jetzt mehr denn je, denn alles was ihn noch am Leben hielt, war unvorstellbares Glück. Krommlonk war geflohen, nachdem sich der gewaltige Trollbeißer trotz tödlichster Verletzungen wieder erhoben hatte. Flucht bedeutete, dass man zum Freiwild für jede andere Grünhaut dieser Berge wurde. Es bedeutete den Verlust von gewonnenem Respekt. Den Verlust der Furcht, die man in den Herzen der anderen Orks zu säen vermochte. Es bedeutete den Tod. Er aber war noch am Leben. Nachdem er aus seiner kurzen Ohnmacht erwacht war, hatten sich nach und nach versprengte Grünhäute um ihn gesammelt, hauptsächlich gewöhnliche Orks und Goblins, aber auch einige seiner alten Bosse, darunter Tanktank, Boskopp und Rraggatt. Sie alle waren davon überzeugt, dass er Grorr’bak bezwungen hatte. Dass der gewaltige, alte Waaaghboss geschummelt hatte. Sich um sein verdientes Schicksal gedrückt hatte, aus Angst um sein erbärmliches Leben, anstatt mit Anstand zu krepieren. Krommlonk war sich nicht sicher, ob das stimmte. Was auch immer mit dem Alten geschehen war, er glaubte fest daran, dass er tatsächlich tot war. Nur dass er sich weigerte tot zu bleiben.
Im Laufe der nächsten zwei Tage hatten sich ziemlich viele Krieger um ihn versammelt, vielleicht ölfzehn oder drelf. So in dem Dreh etwa. Sicherlich waren es bei weitem keine sieben, aber man konnte auf jeden Fall etwas mit ihnen anfangen. Und sie alle dürsteten nach dem schwarzen Blut des alten Waaaghbosses und seinen Männern. Waren sie gerade noch in Panik geflohen, hatten sie ihre Furcht bereits wieder vergessen und waren begierig auf einen neuen Kampf. Krommlonk konnte nur hoffen, dass Rraggatt und Boskopp gute Nachrichten brachten, wenigstens Meldung über ein paar versprengte Goblins oder Grauhäute, die man einfach und unkompliziert niedermoschen konnte. Schlug die Stimmung in diesem behelfsmäßigen Lager erst um, konnte er nicht sagen, was seine Gefolgsmänner mit ihm anstellen würden.
„Und?“, grunzte er fragend, als die zwei Bosse ihn endlich erreichten. Dutzende Paare kleiner roten Augen waren vorfreudig auf sie gerichtet. Schnaufend und außer Atem stützten sie sich schwer auf ihre Knie. Sie mussten lange am Stück gelaufen sein. Boskopp schüttelte kaum wahrnehmbar den Kopf. „Keine grau’n Gitzä, Bosz. Nur tote Gitzä. Stumpenz un‘ solche.“, verkündete er den ernüchternden Bericht. „Watt? Na und?!“, knurrte Krommlonk ärgerlich und riss seinen Spalta in die Höhe. Sein Körper antwortete mit einem scharfen Schmerz in seiner Seite. „Dann moshen wa eben die!“, schrie er so laut, dass die anderen Orks ihn hören konnte. Ein ohrenbetäubendes Bellen und Keifen brandete durch das Gebirge. Äxte wurden auf Schilde geschlagen, Fäuste in Kiefer. Das Fass war kurz vorm Überlaufen, die Stimmung der Orks gefährlich weit aufgeheizt.
„Iz nich‘ drin Bosz“, sagte Rraggatt mit gedämpfter Stimme von der Seite und warf unruhige Blicke in die Meute, die sich um sie herum versammelt hatte. Auch ihm war klar, wie heikel die Lage war und wie schnell sie die Kampfeslust der Grünhäute gegen Krommlonk und damit auch gegen ihn, einen seiner höchsten Bosse wenden könnte. Die Augen des Halzschneidaz funkelten zornig. „Watt willste damit sag’n, du kleina feiga Wurm?!“, verlangte er zu wissen und zog Rraggatt mit einer seiner Pranken näher zu sich heran. Der Schwarzorkboss ließ es geschehen und blickte seinem Anführer nur fest in die Augen. „Gantz einfach Bosz!“, sagte er so ruhig, wie es ihm möglich war. „Es sin‘ mindestänz achtzähn.“
Krommlonk ließ von ihm ab und Rraggatt plumpste auf seinen Hintern. Jede Farbe war ihm aus dem Gesicht gewichen, als er sich hilfesuchend zu Boskopp umwandte, doch der nickte bloß schwach. „Datt iz nich möglich…“, hauchte der Schwarzorkboss entsetzt.
Der Kreis der Orks und Goblins hatte sich enger um sie geschlossen. Ihre Unsicherheit war aufgefallen. Die Gitzä wollten moschen. Argwöhnisch funkelten die roten Augen sie an. Aufrührerische Stimmen schnarrten, Waffen klapperten verräterisch und ein leises Stampfen hatte eingesetzt, das nun nach und nach anschwoll. Sanft zitterte der Boden.
Gab er ihnen jetzt keinen Marschbefehl, dann wären Krommlonk, Boskopp, Rraggatt und Tanktank das Abendbrot der Meute, so viel war sicher. „Dat is‘ üb’l, Bosz!“, flüsterte Boskopp leise und machte ein sorgenvolles Gesicht. So sorgenvoll, wie ein Schwarzork eben gucken konnte. Krommlonk erwiderte nichts, sondern erwehrte sich einer einzelnen Pranke, die ihn eben am Kragen hatte packen wollen und versenkte die Faust seinerseits im Gesicht der aufbegehrenden Grünhaut. „Pack mich nich‘ an, Made!“, brüllte er den zurücktaumelden und quiekenden Ork an, doch der Kreis schloss sich trotzdem enger und enger um sie. Seine Bosse hatten bereits ihre Waffen gezückt und machten sich darauf gefasst, in der kommenden Stänkerei kalt gemacht zu werden. „Du has‘ gesagt wir tun mosh’n, Bosz, haste!“, krähte die hohe, keckernde Stimme eines Goblins, der ganz vorne in der Meute stand. „Has‘ gesagt, wia krieg’n frischäs Fleisch, haste! Hast gesagt…“
Krommlonk beendete das Leben des Wurms mit einer flüssigen Bewegung einer seiner Äxte. Schwarzes Blut spritzte über den felsigen Boden, doch der Gestank von vergossenem Leben heizte die Grünhäute nur weiter auf. Er hatte noch Bruchteile von Augenblicken, dann wäre sein Leben vorbei. Das Stampfen und Quieken um sie herum wurde lauter und lauter, erste Orks wagten sich vereinzelt aus der Menge und wurden von den Bossen kurzerhand erledigt, aber sobald sich alle auf sie stürzen würden, würde die schiere Masse sie zerquetschen. Ein trotzig gleichgültiger Gesichtsausdruck trat in Krommlonks Gesicht. Besser so krepieren, als elendig dahinsiechend wie Grorr’bak. Besser im Kampf fallen, als auf dem Krankenbett. Er ließ seine Axt kreisen, brüllte heiser auf und zerschmetterte einem herannahenden Ork den Schädel. Gehirn spritzte. Blut. Es ging los.
Doch kurz bevor er von den Leibern seiner Krieger begraben wurde, rettete erneut der Zufall Krommlonks Leben. Ein hohes, langgezogenes Heulen durchdrang das brodelnde Grunzen der Stänkerei und ließ die Orks innehalten. Nach und nach wandten sie sich ab und beobachteten wie gebannt die schwarzen Gestalten, die sich in einiger Entfernung an einem Bergkamm sammelten. Gewaltige, finstere Wölfe und ein paar vereinzelte Reiter mit langen Lanzen. Auch die Schwarzorkbosse beobachteten für kurze Zeit den kleinen Trupp, dem sich mehr und mehr Silhouetten anschlossen. Dann aber erkannte und nutzte Krommlonk die Gelegenheit.
„Dat isz eua Kampf!“, schrie er laut. „Dat isz eua versproch’näs Fleisch!“
Kurz und stumm dankte er Gork und Mork, als sich die Orks gröhlend von ihm abwandten und sich einer nach dem anderen dem neuen Feind zu wandten. Vorerst waren sie aus dem Schneider. Ein guter, harter Kampf würde die Stimmung bessern und die Gemüter abkühlen. Genau das, was er gebraucht hatte. Mit schnellen, gebellten Befehlen zwangen er und seine Bosse die Meute in kleinere Rotten, die sich langsam auf die Wölfe und ihre Herren zu schoben. Erneut setzte das Stampfen des Krieges ein, das hohle Scheppern von Holz und Metall, Füßen auf Stein und das Brüllen der Orks.
„Holt euch eurä Beutä!“, keifte Krommlonk und erneut antwortete ihm der blutdürstende Chor mit Jubelrufen. Kurz noch wog er seine Waffen in seinen Pranken, ließ sie ein paar Mal durch die Luft kreisen und atmete tief durch. Dann verfiel auch er in einen schnellen Trab.

Viaceslav von Carstein musterte die kleine Orkstreitmacht, die in dem Tal ihr Lager aufgeschlagen hatte und sich nun gegen ihn und seine Häscher formierte. Langsam und unkoordiniert bildeten sich einzelne Regimenter, nach und nach und ohne erkennbaren Plan zum Angriff übergehend. Ein paar Pfeile verirrten sich bereits in ihre Richtung, zerschellten aber am felsigen Untergrund, weit vor den Hufen seines Nachtmahrs. Die losen, verlotterten Haufen, in denen sich die Orks sammelten machten es ihm schwer ihre genaue Zahl abzuschätzen, aber seines Erachtens nach hatten sie es mit mindestens eintausend Grünhäuten zu tun, vermutlich eher um einiges mehr. Damit waren sie seinem kleinen Trupp mehr als eins zu zehn überlegen und er sah keinen Sinn darin sich einem aussichtslosen Kampf zu stellen, selbst wenn es sich bei seinem Feind nur um versprengte Orks und Goblins handelte.
Auf der anderen Seite hatte Slawa ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er sich selbst um die Orks kümmern sollte. Zwar war es nicht zwingend abzusehen gewesen, dass in unmittelbarer Nähe eine kleine Streitmacht der Grünhäute kampierte, aber Viaceslav wollte nicht darauf hoffen, dass der Fürst ihm viel Verständnis entgegenbringen würde, wenn er eine Bande wilder und blutgieriger Orks direkt in die Flanke des Hauptheeres führte. Ohne jeden Zweifel würden die Orks schnell aufgerieben werden, kaum Schaden verursachen und den Marsch der Untoten höchstens für ein paar Stunden verzögern, aber die launenhafte Ungnade der von Carsteins war weithin berüchtigt. Vor allem in der eigenen Familie.
Erneut unterzog der Vampir den Feind einer knappen Musterung, während die grobschlächtigen Bögen der Orks ihre Pfeile nun ein paar Schritt näher an die Untoten heransandten und der Wind den beißenden Gestank ihrer dreckigen Leiber und verrosteten Rüstungen zu ihm trug. Angeekelt rümpfte er die Nase. Ignorieren konnten sie die Orks ohnehin nicht. Ließen sie sie gewähren, so würde sich ihre Anzahl durch streunende Grünhäute binnen einer Woche vielleicht verdoppelt haben. Oder schlimmer. Schlagen aber konnte er die Armee auch nicht. Mit viele Glück würde er sie vielleicht so stark schwächen können, dass sie im Anschluss das Weite suchten und sich aufrieben, aber das Risiko für seines eigenes Unleben war ihm viel zu groß. Die Wahrscheinlichkeit bei einem so wahnwitzigen Unterfangen endgültig vernichtet zu werden zu greifbar.
Bereits jetzt hatte er den ungestümen Anführer der Rotte ausmachen können. Ein junger Schwarzork, kaum größer als seine Kameraden, mit einer stattlichen, unverheilten Wunde seitlich der massigen Brust, der sich ohne jede Rücksicht durch die Reihen der eigenen Leute prügelte, um an die Front zu gelangen, wirre und scheinbar widersprüchliche Befehle bellend. Offensichtlich war die Organisation in der Armee sogar für Orks auffällig schlecht und strukturlos, der Zustand der Krieger und ihrer Bewaffnung verbraucht und mittelmäßig. Vermutlich hatten die Grünhäute ein paar harte Kämpfe hinter sich, womöglich auch ein paar erschütternde Niederlagen erlitten und den ein oder anderen Führungswechsel. Das alles konnte ihm zum Vorteil gereichen. Da Viaceslav ohnehin weder vor noch einfach zurückkonnte, entschied er sich für einen dritten Weg und fasste einen Plan.
Mit seiner Rechten winkte er einen der Fluchritter heran, die den Trupp begleiteten. Wortlos näherte sich die kalte Präsenz und verharrte in seinem Rücken. „Nimm die restlichen deiner Schwertbrüder und ziehe dich zur Hauptstreitmacht zurück. Stelle sicher, dass dir keine dieser lumpigen Bestien folgt und unterrichte deinen Herrn von dem, was du soeben gesehen hast“, wies Viaceslav ihn an und ließ sich vom Rücken seines Nachtmahrs gleiten. Er löste die Brosche seines Umhangs und warf ihn über den breiten Rücken des untoten Reittiers. Im Anschluss legte er seinen Waffengurt und die schwersten Teile seiner Rüstung ab, befestigte alles am Sattel und reichte die Zügel dem Fluchritter. „Überdies teile ihm mit, dass ich die Rotte der Orks von seinem Heer weglocke und sie Richtung Karak Kadrin führe. Ich werde, wenn alles läuft wie geplant, am Höhenpass wieder zur Hauptstreitmacht dazu stoßen.“
Das gepanzerte Skelett neigte knapp seinen Kopf als Zeichen des Verstehens und Viaceslav wies ihn mit einer knappen Handgeste zum Gehen an. Ohne jedes Wort und beinahe geräuschlos wandte sich der Trupp der Fluchritter ab und ritt die Senke hinab, in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Der Vampir hingegen widmete seine Aufmerksamkeit wieder den Orks, die begonnen hatten den Kamm empor zu marschieren und sich mühselig über den schroffen Stein arbeiteten. Wild und geifernd drang schon ihr hungriges Brüllen und Grunzen an seine Ohren. So sehr schienen ihm Grünhäute blind auf einen Kampf versessen, dass er hoffte, sie mit ein wenig Glück vielleicht bis an Karak Kadrins Pforten heran zu locken, wo sie eine willkommene Ablenkung für die Zwerge wären, während die Streitmacht Slawas unbehelligt den Pass passierte. Ein gewagter Plan, aber nicht unmöglich.
Vereinzelte Pfeile sirrten nun schon zwischen den struppigen Leibern der gewaltigen Todeswölfe entlang, die mit ihm auf dem Kamm geblieben waren und nun unruhig mit ihren schwarzen Krallen über den Boden scharrten. Wütendes Knurren brandete durch ihre breiten Hälse und endete hier und da in einem mordlustigen Bellen. Auch in ihren Augen flackerte die Gier nach Blut in einem dunklen, roten Licht. Doch sie würden sich gedulden müssen, ehe sie wieder Fleisch zum Reißen schmecken würden.
Viaceslav ließ sich auf alle Viere sinken, schloss langsam die Augen und murmelte einige dunkle Worte. Obwohl er beinahe geflüstert hatte, schien seine Stimme laut und gebieterisch durch die Täler in den Bergen zu hallen. Finstere Schatten, direkt aus dem Wind des Shyish gerissen, schlangen sich um seinen Leib, krochen wie Nattern in seine Kleidung und erfüllten seinen Blick mit einem schwarzen Feuer. Binnen weniger Momente war sein Antlitz komplett von der unnatürlichen Dunkelheit verschlungen. Er stieß einen beißenden Schrei aus, erst rau und kreischend, dann geschmeidig wie das Heulen eines Wolfes. Als die Schatten von ihm abglitten gebaren sie ihn der Form eines großen, schlanken Wolfs, gewaltiger beinahe noch als die umstehenden Bestien, aber ungleich eleganter, feiner, unfassbarer. Seine Form war kaum greifbar, schien zu fließen und keinen festen Umriss annehmen zu wollen, als sei sie bloß mit einem feuchten Pinsel in die Wirklichkeit hinein gemalt. Dunkel wie die Nacht war sein Pelz und geschmeidig wie der Glanz der Sterne.
Erneut stieß er ein markerschütterndes Heulen aus und selbst die bärbeißigen Orks hielten kurz inne in ihrem Stampfen und Schnauben, ob des finsteren Schauspiels. Ohne noch einen Augenblick zu vergeuden preschte Viaceslav los, setzte sich an die Spitze der Todeswölfe und führte sie den Kamm hinab, dicht an den Orks vorbei, um ihre volle Aufmerksamkeit zu gewinnen. In seinen Gedanken fühlte er, wie die schwarzen Bestien ihm folgten, in einer dunklen, furiosen Formation, aber sauber und scharf geschnitten wie die Spitze eines Pfeils. Geformt durch seine eigene Macht und die seines Herren, Slawa von Carstein.
Heulend und bellend zogen sie an den stinkenden Grünhäuten vorbei und mit einem triumphierenden Glanz in seinen tiefen, roten Augen bemerkte Viaceslav, wie sie kehrtmachten und die Verfolgung begannen.
Es hatte funktioniert.
 

Forget

Bastler
19 September 2009
725
141
8.346
28
Tja, wer hätte das erwartet.
Ich bin echt froh das du dich unser noch einmal erbarmt hast und uns noch weiter versorgst :)
ich hab die drei Kapitel gleich in einem stück gelesen um wieder ein bisschen rein zukommen. Bin mir aber immer noch etwas unsicher, weswegen ich das noch einmal kurz zusammenfasse.

Zum ersten Kapitel:
Also Walther Grolls Kind ist ein kleiner Frankenstein mit gewaltiger Faszination über die Untoten. Sie mag ihren Vater nicht sonderlich und ist jetzt in den Diensten von Aurora die nicht wirklich Aurora ist sondern Schneiders ehemalige Geliebte die dann von dem Blutvater von Schneider in Aurora umgewandelt wurde um dann von irgendeinem alten Necrach für immer durch das Amulett getrennt zu werden. Quasi als Fluch. Die hat in Kislev eine Meisterin gefunden und ein paar zerstörte Dörfer hinter sich gelassen und hockt nun in Altdorf. Zusammen mit einem planlosen Werwolf, einem Strigoi und einem gefangenen Necrach. Ich kann ja das nächste jahr gar nicht erwarten^^

Kleine Frage noch, war der mann den sie da aufgeschnipselt hat jetzt unser alter Veteran oder ist das jetzt wer anderes?

Zu Kapitel Zwei:
Schön das Slawa endlich seinen frieden erlangen konnte. und das Schneider hoffentlich seine neue Macht nicht sinnlos vergeudet.

Kapitel 3: Wie isn der zum Untoten Ork geworden? Außer es gibt neben Slawa noch einen weiteren Vampire im Weltangebirge der aufs Kloppn aus ist.
Ich bin auf jedenfalls schon sehr gespannt und hoffe das der kleine Schwarzork nicht zu bald ins Gras beißt.

Und nochmals, super das du noch weiterschreibst^^
 

yinx

Erwählter
8 Oktober 2006
628
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10.286
34
Jaja, Forget. Kann es eine treuere Seele geben?
Sie mag ihren Vater nicht sonderlich und ist jetzt in den Diensten von Aurora die nicht wirklich Aurora ist sondern Schneiders ehemalige Geliebte die dann von dem Blutvater von Schneider in Aurora umgewandelt wurde um dann von irgendeinem alten Necrach für immer durch das Amulett getrennt zu werden.
Ähm ja, das war eigentlich gar nicht so schlecht zusammengefasst... ^^
Der alte Veteran hieß Gunther. Alfred war einer seiner Kumpel, die zusammen mit ihm versucht hatten der mysteriösen Bestie (ja, ja, ein Strigoi) eine Falle zustellen und der dabei getötet wurde.

*Kasimir

Grorr'bak ist einfach gestorben und wurde durch Slawas Macht, die alles Tote in der näheren Umgebung zum Unleben erweckt (er ist im selben Gebirge, nicht weit entfernt) wieder erweckt, is aber quasi zu doof und zu engstirnig, um Slawas Willen zu gehorchen. Die Stimme (Komm zu mir) -> die gleiche wie beim Carstein Ring.
Stelle ich vielleicht aber in einem anderen Teil nochmal besser raus.

Ich hab schon wieder ein bisschen weiter geschrieben, aaaber das muss ja noch nichts heißen. :)
Aber immer optimistisch bleiben!