Kapitel XXI - Gefallene Helden
Kapitel XXI
Gefallene Helden
Mit einiger Mühe wich Grorr'bak dem Angriff seines jungen Herausforderers aus und stolperte gerade noch rechtzeitig zur Seite, doch sein nachfolgender Konter ging ebenfalls ins Leere. Schnaufend machte er einen Schritt zurück, um wieder einen sicheren Stand zu gewinnen, aber der deutlich jüngere und kleinere Schwarzork wollte ihm diese Möglichkeit nicht gewähren. In letzter Sekunde hob der Waaaghboss seinen Spalta und hörte das metallische Klirren, als die Klingen seines Gegners scheppernd gegen die seinen prallten. Doch Krommlonk war geschickt, drehte seine Äxte nach der Parade seitlich nach rechts weg, zog sie schwungvoll über Grorr'baks Klinge, dass die Funken nur so sprühten und bescherte ihm zwei tiefe Schnitte an der Hand, die den Griff des Spaltas umschlungen hielt, ehe er sich mit einem Satz nach hinten von seinem Gegner löste. Wütend setzte Grorr'bak nach, stieß mit der flachen Seite seiner Waffe nach seinem flinken Feind, konnte aber nur beobachten, wie dieser mühelos zur Seite auswich und ihn bereits wieder attackierte. Grunzend versuchte der riesige Ork dem Angriff zu entgehen, doch er musste zwei Treffer erleiden, die ihm stark blutende Striemen auf dem Oberarm zufügten, bevor es ihm gelang sich mit einem wuchtigen Schlag mit dem Stumpf seiner Pranke von der lästigen Made zu lösen. Er hatte den mageren Welpen zwar nicht getroffen, aber ihn für einen kurzen Augenblick zum Rückzug gezwungen. Grorr'bak atmete tief durch und nutzte den Moment um sich zu sammeln. Der kleine Schwarzorkboss war einfach zu schnell für ihn. Das war schon bei dem Kampf gegen diesen wieselflinken Menschen damals so gewesen. Normalerweise überwältigte er derartige Bedrohungen immer mit unerschöpflicher Ausdauer und vielen blutenden Wunden an seinem grünen Leib, die er allerdings problemlos wegzustecken vermochte, doch Mork und Gork vadammt, er war beileibe nicht auf seiner körperlichen Höhe! Bereits nach den zwei kurzen Wechseln eben, spürte er schon ein schmerzhaftes Rasseln in seiner Lunge. Auch den gewaltigen Spalta mit nur einer Hand zu führen, kostete ihn viel Kraft und war ungewohnt anstrengend. Er hustete knapp und spuckte einen Klumpen Blut auf den matschigen Boden, ließ Krommlonk dabei aber nicht aus den Augen. Der junge Ork umrundete ihn und schien ihn nach Schwachstellen abzusuchen. Pah! Als hätte er davon gerade nicht verflucht nochmal genug. Grorr'bak schnaubte verächtlich. Es konnte weitergehen.
Den nächsten Angriff leitete er selbst ein, in dem er sich brüllend herum warf, ehe Krommlonk in seinen Rücken gelangt war und seinen Spalta mit einem weiten Schwinger auf ihn zu sausen ließ. Der kleine Boss schien überrascht zu sein und hob seine Waffen gerade noch rechtzeitig zu einer kümmerlichen Parade, die Grorr'baks gewaltige Kraft jedoch mühelos zu sprengen vermochte. Die zwei mickrigen Äxte wurden ihm aus den Händen geprellt und er stolperte torkelnd zurück, landete mit dem Hintern voran im Schlamm. Mit einem überlegenen Grinsen wollte der Waaaghboss nachsetzen, doch Krommlonk war schlichtweg zu schnell. Geschwind rollte er sich herum, sammelte seine Waffen wieder ein und sprang mit einer fließenden Bewegung zurück auf die Füße. Bevor Grorr'bak verstanden hatte, was hier überhaupt geschah, spürte er einen scharfen Schmerz in seinem Rücken. Vor Zorn brüllend wirbelte er herum und sah gerade noch, wie der kleine, lästige Ork seine zweite Axt ebenfalls zum Wurf hob. Ehe er reagieren konnte, zerschnitt sie singend die Luft. Die Klinge fuhr ihm ruckartig in die Schulter, ließ einen Regen aus schwarzem Blut aufspritzen und ihn vor Schmerz quiekend einen Schritt zurück stolpern. Krommlonk, nun ohne jede Waffe, ließ die Gelegenheit nicht verstreichen, rannte los und warf sich mit aller Kraft in die Beine des taumelnden Giganten. Brüllend gingen die zwei Orks zu Boden und stürzten in den Schlamm. Die umstehenden Grünhäute johlten und schlugen mit Schwerten, Äxten und Fäusten auf ihre Schilde, als Dreck und Wasser um die verkeilten Gegner herum aufspritzte. Grorr'bak, geblendet von Blitz, Regen und Matsch und noch völlig überrascht von dem unerwarteten Angriff, spürte wie sein mickriger Herausforderer sich bereits an ihm hochzog, vermutlich um an die Axt zu gelangen, die in seiner Schulter steckte und dabei hart mit dem Ellbogen in seinen Bauch stieß. Keuchend versuchte der Waaaghboss sich herumzudrehen, um den Winzling unter sich im Schlamm zu ersticken, aber erneut war er zu langsam. Er spürte noch wie Krommlonk den Schaft seines Spaltas zu fassen bekam, ehe er die Klinge mit einem Schrei tiefer in die Wunde trieb. Mit einem ohrenbetäubenden Brüllen machte Grorr'bak seinen Qualen Luft. Schwarzes Blut sprudelte aus dem klaffenden Riss in seinem grünen Fleisch und er spürte, wie der Knochen unter der Kraft des kleinen Orks knackte und zu splittern drohte. Mit schmerzverzerrtem Gesicht und allerletzter Kraft gelang es ihm seinen überraschten Peiniger im Nacken zu packen und in hohem Bogen von sich zu schleudern. Die Klinge glitt mit einem widerlichen Schmatzen aus seinem Fleisch und, Mork sei Dank, schaffte er es trotz unvorstellbarer Schmerzen bei Bewusstsein zu bleiben. Irgendwo hinter sich hörte er noch dumpf, wie Krommlonk keuchend im Schlamm aufschlug, dann wurden alle Geräusche von einem schweren Donnerschlag verschluckt. Krachend spie der Himmel seinen spöttischen Zorn auf ihn hinab. Stöhnend und unter großen Anstrengungen stemmte er sich hoch und kam gerade so, schwach und mit zittrigen Knien, auf die Beine. Übelkeit kroch in seinem Hals empor und füllte seinen Schädel mit Schwindel. Würde er sich nicht auf seinen gewaltigen Spalta stützen, es hätte ihn direkt wieder umgehauen. Mit vor Schmerz und Regenschleiern flackerndem Blick sah er, wie auch Krommlonk sich wieder auf die Füße hievte. Enttäuscht von sich selbst brummte er leise und stieß ein kraftloses Husten aus, während er mit seinem Stumpf die schwere Wunde in seiner Schulter betastete. Die Verletzung war ziemlich tief und schlimm, vermutlich würde er sie nicht überleben, aber er war ohnehin bereits zum Tode verdammt. Lieber fiel er im Kampf, als auf dem Krankenbett dahinzusiechen.
Zu seinen Hochzeiten hätte dieser elende Winzling ihm nichts entgegenzusetzen gehabt. Er hätte ihn einfach gepackt und hilflos zappelnd zermalmt, doch mittlerweile war er alt geworden, krank und schwach und hatte seit Ewigkeiten keinen richtigen Kampf mehr ausgefochten. Vielleicht hatte er ihn zu Beginn auch unterschätzt. Krommlonk schien ihm haushoch überlegen und er wusste nicht, was er noch gegen ihn tun könnte. Er war einfach zu schnell und so konnte Grorr'bak keinen vernünftigen Treffer landen. Nur ein einziger Schlag, der richtig saß und er würde die Made zu Orkmuß verarbeiten, doch es sah nicht aus, als würde ihm das noch gelingen...
Als der Schwindel sich endlich ganz aus seiner Orkigkeit verzogen hatte war Krommlonk längst wieder voll da, ließ ein paar Knochen knacken und die Muskeln spielen und wog prüfend seine verbliebene Axt in seiner Pranke. Die andere Klinge musste noch irgendwo im Rücken des Waaaghbosses stecken, doch er spürte sie bereits nicht mehr. Auch der stechende Schmerz in seiner Schulter war mittlerweile einem gleichmäßigen, gewohntem Pochen gewichen, das ihm fast schon gut gefallen wollte. Auf jeden Fall war es ein angenehmerer Schmerz, als der, der ihn für die letzten Jahre an sein Lager gefesselt hatte. Der Regen klimperte leise auf den Eisenschrottrüstungen der Orks, die um ihn herumstanden und den Kampf beobachteten. Grorr'bak erlaubte es sich die Augen zu schließen und das Gefühl des kalten Wassers auf seiner Haut zu genießen. Er mochte den Regen. Er beruhigte ihn, spülte das Leid und das Blut von seinem gebeutelten Leib und sorgte dafür, dass er sich frischer und lebendiger fühlte, als er es eigentlich war. Gesünder.
Er hörte die schnellen, leichten Schritte Krommlonks, die sich ihm rasch näherten, spürte die Erschütterung im Boden, jedes mal wenn der kleine Ork auftrat. Sein Feind ging erneut zum Angriff über. Es würde jetzt wohl mit ihm zu Ende gehen. Vielleicht sollte es das jetzt gewesen sein. Aber ganz sicher würde er, Grorr'bak Trollbeissa, sich nicht kampflos ergeben. Er würde kämpfen, bis diese kleine Made ihm das Haupt von den Schultern schnitt. Grinsend fuhr er sich mit der Zunge über seinen abgebrochenen Hauer. Die Kante fühlte sich rau und hart an. Für einen kurzen Augenblick wurde er sich jeder Narbe, jeder Wunde, die er in seinem Leben davongetragen hatte gewahr. Sein Leib war übersät mit ihnen. Mork und Gork vadammt, er hatte die blutigsten Schlachten überstanden und die fürchterlichsten Gegner geschlagen. Er hatte schreckliche Wunden erlitten und überlebt, unzählige Feinde jeglicher Art gefällt und ihre Leiber gefressen! Einst hatte er sogar einen Troll tot gebissen! Er hatte viel schlimmeres überstanden, als diesen kleinen Wurm! Verflucht noch mal, wer wäre er, wenn er diesen Kampf nicht auch noch gewinnen würde? Nichts könnte ihn je schlagen, niemand würde ihn besiegen! Er war Grorr'bak Trollbeissa, der größte Schwarzork, den das Gebirge je ausgespuckt hatte! Er würde diese kleine Made jetzt plätten! Sie fertig machen und zertreten! Vor kochender Wut grollend riss Grorr'bak die Augen auf, genau in dem Augenblick, in dem Krommlonk sich mit einem Schrei auf ihn stürzen wollte. Brüllend wich er der heranrasenden Axt seines Feindes zur Seite aus, spürte noch wie die Klinge dicht neben ihm die Luft zerschnitt und zog mit voller Wucht sein Knie an. Der winzige Ork riss erschrocken die Augen auf, als Grorr'baks Angriff ihn so unvorbereitet traf, ihm alle Luft aus den Lungen presste und seine Knochen beben ließ. Seine Axt entwich seinen erschlaffenden Fingern und fiel ihm aus der Hand. Hart schlug er auf den Boden, keuchte schwer, war aber dennoch besonnen genug sich zur Seite zu rollen, um einem zweiten Tritt des Giganten zu entgehen. Er versuchte sich auf die Füße zu ziehen, da traf ihn bereits ein harter Schlag mit dem Schaft von Grorr'baks Spalta am Kinn, schlug ihm ein paar Zähne aus und beförderte ihn mehrere Schritt weit durch die Luft. Unsanft landete Krommlonk im Schlamm und schlitterte noch ein kurzes Stück durch die braune Suppe, prallte fast gegen die umstehenden Orks. Hinter sich hörte er ihr höhnisches Gelächter und Grunzen, spürte wie sie mit ihren breiten Fingern auf ihn zeigten und sich über ihn schlapp lachten. Aufkeimende Wut erfüllte ihn, doch sein Körper brannte vor Schmerzen und es war ihm nahezu unmöglich wieder aufzustehen. Nur langsam fand er auf seine zittrigen Beine zurück und hielt sich die pochende Brust. Bestimmt hatte der Waaaghboss ihm eine Rippe gebrochen, vielleicht auch mehr, jeder Atemzug wurde mit stechenden Schmerzen bestraft. Grorr'baks Kraft war wirklich schier unglaublich und nun sah er sich ihm auch noch völlig unbewaffnet gegenüber. Aber der Koloss war auch langsam und träge, was Krommlonk immer noch dazu befähigte, ihn zu töten! Vielleicht konnte es ihm gelingen, an seinen Rücken zu gelangen und seinen Spalta wieder aus ihm herauszuziehen. Er durfte sich bloß auf keinen Fall noch einmal von ihm erwischen lassen! Ein weiterer solcher Treffer konnte ihm endgültig den Garaus machen. Dann würde er nicht mehr zurück auf die Füße kommen. Blinzelnd betrachtete er die im Regen verschwimmende Gestalt des Waaaghbosses, der ihn zu erwarten schien, mit seiner Waffe auf ihn deutete, ihn bereits erwartete und voller Spott herausforderte! So eine elende Ratte! Gerade eben noch unterlegen wie ein schwacher Welpe, wagte er es schon wieder sich über ihn lustig zu machen! Krommlonk atmete tief durch, sammelte sich noch kurz und schluckte seinen Zorn hinunter, um wieder einen kühlen Kopf zu bekommen. Er würde Grorr'bak schlagen! Er konnte das schaffen! Mit einem entschlossenen Grunzen wollte er sich soeben wieder dem Kampf stellen, als plötzlich ein grell grüner Blitz um die Klinge des Giganten zuckte...
Slawa stieg mit schnellen Schritten die langen, gewundenen Treppen seines Turms hinab. Er war soeben von seinem nächtlichen Ausflug zurückgekehrt und von seinem Mahl mehr als nur erfrischt und gestärkt. Heiße Macht schoss durch seine erkalteten Lebensfäden und ließ ihn vor Tatendrang nahezu platzen. Nach dem er Mädchen und Mutter getötet hatte, hatte er noch eine Weile in dem kleinen Ort verbracht und weitere, unreine Seelen verschlungen, eher er sich auf den Rückweg zum Drakenhof gemacht hatte. Einige Stunden waren ins Land gezogen und mittlerweile mochte es wohl bereits früher Morgen sein, doch das sollte ihn nicht mehr kümmern. Dank seinem wütenden Sturm würde das Licht der aufgehenden Sonne dieser Tage nicht mehr am Horizont zu sehen sein. Wenn es nach ihm ginge, dann würde es nie wieder durch die schwarzen Wolkenberge stechen, um ihn ins Dunkel der Nacht zurück zu treiben. Mit einem bösen Grinsen leckte er sich über die scharfen Eckzähne. Vielleicht würde es so kommen. Ewige Dunkelheit. Der Gedanke bereite ihm finstere Hoffnung und diebische Freude. Ewige Nacht.
Als er das Treppenhaus verließ und über den schwarzen Wall seines Schlosses wirbelte, konnte er ein paar kurze Blicke hinab in den Innenhof werfen, in dem sich seine Dienerschaft schon in wildem Aufruhr befand. Bald würde sein Krieg beginnen! Er hatte seine Nekromanten bereits darüber informiert, dass er sein unheiliges Ritual, das die friedlichen, schlafenden Seelen der Toten unter seinen Willen zwingen sollte, noch vor Mittag beginnen wollte und nun waren sie dabei alles vorzubereiten. Es war fast soweit! Endlich! Er könnte jeden Augenblick beginnen. Aber zuvor musste er sich noch kurz um eine andere Angelegenheit kümmern, die ebenfalls keinen Aufschub mehr duldete. Rasch marschierte er über den Wehrgang zurück ins Schloss, eilte mit laut schallenden Schritten durch die weite, vollkommen verlassene Eingangshalle, um von dort den Abstieg in die düsteren Gewölbe des Drakenhofs zu beginnen. Nicht eine verlorene Seele war im Inneren des Schloss anzutreffen, alle seine Diener arbeiteten emsig im Hof. Rasch durchschritt er einen langen, lichtlosen Gang, öffnete an dessen Ende ohne Anstrengung eine vermoderte, schwere Holztür, an deren rostigen Angeln wohl mehrere starke Sterbliche verzweifelt wären und entblößte die schmale Treppe, die in steilen Windungen tief in die finsteren Eingeweide seines Anwesens führte. In dem toten Fels unter dem Schloss ruhten ganze Generationen verschiedener von Carsteins und schliefen in gewaltigen, steinernen Särgen ihren endlosen Schlaf. Tot und nutzlos, nicht mehr als verfaulendes, stinkendes Aas. Doch dort unten lauerten noch andere Dinge. Furchtbare Dinge, die ihm nützlich sein würden.
Entschlossen begann er den Abstieg und spürte sofort, wie die Luft um ihn herum kalt und feucht wurde, befallen von einem entsetzlichen, modrigen Gestank von Tod und Fäulnis. Es kümmerte ihn nicht. Trotz der Finsternis, die ihn umgab, fanden seine Füße problemlos Halt auf jeder der schmalen, bröckeligen Stufen und trugen ihn mit wirbelndem Mantel hinab in die Tiefe. Nach nur wenigen Minuten hatte er das Ende Treppe erreicht und fand sich in einem langen, grob gehauenen Gang wieder. Ein schleimiges Rinnsal kroch ungestört über den Boden und hatte sich über die Jahrhunderte eine kleine Schneise in den steinigen Boden gefressen. Niemand kümmerte sich in diesem Schloss um das Wohlbefinden längst vergessener Seelen. Slawas Lippen kräuselten sich zu einem schmalen Grinsen und für einen kurzen Augenblick ließ er seinen Blick über die sterbenden Ruinen der Kellergewölbe streifen. Das Dach des Tunnels wurde von schlanken Säulen gehalten und ragte so hoch, dass es sich sogar für seine Augen in undurchdringlicher Dunkelheit verlor. Um die Säulen herum schlangen sich in Stein geschlagene Gargoyles, tierhafte Vampire und andere untote Schrecken, die mit hasserfüllten Gesichtern auf ihn hinab starrten. Doch die Jahre und die Nässe hier unten hatten bereits tiefe Narben in ihre Fratzen gefressen und ließen sie alt, krank und schwach wirken. Einst, so hatte er in seinen Büchern gelesen, waren sie mächtige Diener der von Carsteins gewesen, aus schwarzem Stein geformt und mit dunkler Magie belebt, damit sie ihren Herren auch im endgültigen Tode beschützten, ihre Leiber vor Grabräubern und Aasfresser bewahrten. Furchtbare Gegner, die jeden Eindringling mühelos in Stücke reißen konnten. Doch heute konnten sie niemanden mehr erschrecken, ihre Zähne waren faul und stumpf, die unheilige Magie längst gebannt. Unbeeindruckt setzte der Vampirfürst seinen Weg fort, sorgsam darauf bedacht mit seinen Stiefeln nicht in den Matsch des träge fließenden Baches zu treten. Die heiseren Stimmen der Toten drangen an seine feinen Ohren, hauchten ihm geflüstertes Wehklagen zu und bildeten im trüben Nebel geisterhafte Formen. Ein kalter, weinender Wind strich über seinen Rücken und er zerschlug ärgerlich eine der, sich dichter um ihn zusammen ziehenden Schwaden mit einer lässigen Bewegung seiner Hand. Er wollte das Gejammer der verirrten Seelen nicht hören. Es klang immer gleich. Langweilig. Eintönig. Er fühlte kein Mitleid für die rastlosen Geister.
Trotz der klagenden Stimmen war es auf eine sonderbare Art und Weise totenstill in den Gewölben. Es war, als schwebe das Weinen und Rufen von einem weit entfernten Ort hier her und wäre nicht wirklich da. Und genaugenommen war es auch so. Denn hier unten gab es kein Leben. Keine Spinne, kein Insekt, kein Molch. Gar nichts. Hier unten war alles tot. Auf ewig.
Slawa kam an eine Gabelung des Ganges und bog mit sicherem Schritt nach links. Er hatte keine Angst sich hier unten zu verlaufen, schließlich war es sein Schloss, auch wenn er bislang noch nicht allzu oft hier unten gewesen war. Das letzte mal etwa vor sechs Jahren, als er die Herrschaft über den Drakenhof aus Kasimirs hilflosen, erstarrten Klauen gerissen hatte. Vom König zum Knecht. Der Vampir lachte ein leises, böses Lachen, das sich gespenstisch an den Wänden brach und von unheimlichen, stummen Stimmen erwidert wurde. Geisterhaft verzerrte schallte es zu ihm zurück. Erneut bog er ab, erklomm eine kurze Treppe und betrat einen weiten Saal. Seine Schritte pochten dumpf auf den Platten aus uraltem, schwarzen Marmor. Staub und Schutt knirschten unter seinen Sohlen. Vor ihm erstreckte sich ein gewaltiges Gewölbe, dessen Decke so hoch war, dass an einer Stelle ein schmaler Riff klaffte, durch den das Grollen des Donners und rauschendes Regenwasser von der Oberfläche hinunter drang. Der grelle Schein eines Blitzes warf ein leichenblasses Licht in die Halle und entriss der Finsternis für einen Augenblick dutzende steinerne Särge. Die gewaltigen Platten, die einst die ewige Ruhe der verschiedenen von Carsteins bewahrt hatten, die hier lagen, waren zu großen Teilen zerschlagen oder herunter gerissen. Nur noch wenige schützen die Leiber der gefallenen Vampire.
Slawas Blick durchbohrte die ihn umgebene Schwärze und suchte nach etwas ganz bestimmten, das sich irgendwo hier verbergen musste. Er wusste, dass er hier war. Er konnte ihn hören. Er konnte ihn riechen. Ein widerwärtiges Schmatzen, ein Scharren, ein leises Rasseln von schweren Ketten und dann wieder ein schwaches, ersticktes Winseln, ein stummer, qualvoller Schrei kalten Hasses und ewigen Leids. Furchtlos trat er weiter in die Halle hinein, damit die Finsternis seinen Augen mehr von sich preis gab. Mehr und mehr Schemen lösten sich aus den Schatten. Und dann fand er schließlich, was er gesucht hatte, weshalb er in die Gewölbe hinab gestiegen war. Ein schadenfrohes Lächeln stahl sich auf seine bleichen Lippen, als er ihn in einer Ecke entdeckte, zusammen gekauert, an seinen Fesseln zerrend und an der uralten Leiche eines verendeten Vampirs kauend, die er aus einem der Särge gezerrt hatte.
Ohne zu zögern marschierte Slawa auf die große, ausgemergelte Gestalt zu, beobachtete wie die schwarzen Klauen über den Boden schabten, wie der nebelhafte Wind der verirrten Seelen die zerschlissenen, ledrigen Flughäute aufblähte und wie die spitzen Nadelzähne durch das trockene Fleisch des toten Vampirs fuhren und mit jeden Biss eine kleine Wolke aus Leichenstaub aufwirbelten. Der Vampirfürst gab sich keine Mühe nicht bemerkt zu werden und so dauerte es nur einen Augenblick, bis der angekettete Vargheist ihn bemerkte. Mit einem bösartigen Zischen warf er den vertrockneten Körper von sich, baute sich mit beeindruckender Geschwindigkeit zu voller Größe auf, spreizte seinen roten Kamm und stieß Slawa ein hohes, kreischendes Brüllen entgegen. Eine Wolke bestialischen Gestanks schlug Slawa entgegen und die Kraft der Kreatur ließ seine langen, schwarzen Haare in den Nacken wirbeln.
„Aber, aber...“, entgegnete er mit einem spöttischen Grinsen, während er unbeeindruckt, ohne seinen Schritt zu bremsen, auf den Vargheist zuhielt, „begrüßt man denn etwa so seinen Herrn und Gebieter?“ Fauchend zog sich das fledermausartige Wesen wieder in seine Ecke zurück, umschlang mit seinen Klauen die rasselnden Ketten, die ihn fesselten und warf dem deutlich kleineren Vampir bösartige, aber zugleich angsterfüllte Blicke zu. Dieser aber zeigte keinerlei Furcht vor dem gewaltigen Geschöpf, sondern zog nur beiläufig eine abgeschlagene Hand aus seinem Mantel, aus deren Stumpf noch ein wenig rotes Blut sickerte und warf sie ihm vor die Füße. „Die habe ich dir heute mitgebracht, gütig wie ich bin.“, sagte er mit einem süßlichen, falschen Lächeln, ohne den Vargheist auch nur eines Blickes zu würdigen. Die Kreatur jedoch betrachtete ihn unsicher und in den tiefsitzenden, roten Augen zeigten sich Zweifel, ganz als ob sie eine Bestrafung fürchtete, wenn sie sich dem grausigen Mitbringsel nähern würde. Als jedoch nichts weiter geschah und Slawa nichts mehr sagte, machte sie sich über die abgeschlagene Hand her und verschlag sie mit einem einzigen Bissen.
Sofort wirbelte der Vampirfürst herum, raste auf den Vargheist zu, packte ihn am Eisenring, der um seinen Hals geschlungen war und riss seinen Kopf ruckartig hinunter, so dass er ihm genau in die glühenden Augen starren konnte. Ein zorniges Kreischen war die einzige Antwort auf den groben Angriff Slawas. Die Kreatur wagte es nicht, mit ihren langen Fängen nach ihrem Herrn zu schnappen. Augenblicklich verstärkte Slawa seinen Griff, riss den stacheligen Kopf noch weiter hinab und aus dem wütenden Schrei wurde ein klägliches Winseln. Noch kurz wartete er, bis das Jammern und der letzte Widerstand erstarben, dann beugte er sich zu dem gebrochenen Vargheist hinab, streichelte ihm in bösartigem Hohn beinahe zärtlich über die kratzige Mähne und flüsterte ihm mit süßer Stimme ins Ohr: „Du gehorchst nun mir, mein Freund! Und du wirst alles für mich tun, was ich von dir verlange.“ Ein heiseres Krächzen drang aus der Kehle des einstigen Vampirs, ganz so, als wolle er Slawas Worte bestätigen. Die Züge des von Carstein verhärteten sich und seine Lippen wurden zu schmalen, blassen Strichen, als kalte Wut in ihm aufkochte, während er weitersprach. „Ich suche etwas. Etwas, das du einst besessen hast! Ich weiß, du wirst es wiederfinden!“ Mit einem Fauchen wollte sich der Vargheist aus dem Griff seines Peinigers löse und sich zurückziehen, doch dieser hielt ihn mit harter Hand gepackt und drückte seinen Schädel ungnädig auf den felsigen Boden. „Du wirst ihn für mich suchen und du wirst ihn für mich finden und nicht eher zurückkehren, bis ich diesen verfluchten Ring an meinem Finger trage!“, fuhr er mit brodelnder Stimme fort, schrie beinahe schon. Schließlich zerrte er den hilflosen Vargheist an seiner Mähne aus seiner Nische hinaus und schleuderte ihn unsanft in den Regen, der durch die Spalte in der Decke fiel. „Du hattest deinen Versuch, als Herr des Drakenhofs die Menschen zu unterwerfen, doch du hast versagt! Und nun ist es an mir! Nun ist meine Zeit gekommen!“
Ohne jede Gnade betrachtete er das Monstrum, das dort zusammengekauert im Regen hockte und ihn hasserfüllt anstierte. Einst ein prachtvoller Vampir, ein von Carstein seines Ranges und nun nicht mehr als eine einfache Bestie, gefesselt an rasenden Hass und den eisernen Willen seines Meisters. Ihm. Ein böses, doch zugleich zärtliches Lächeln legte sich auf Slawas Lippen und sein Blick wurde weich, beinahe verklärt. Eine knappe Geste seiner Hand ließ die Ketten, die den Vargheist hielten, schlaff werden und zu feinem Staub zerfallen. „Fliege nun, Kasimir von Carstein.“, sprach er leise, „Diene deinem Herrn und bringe mir den Carsteinring.“
Der gefallene Fürst schmetterte ihm ein letztes Kreischen und einen vor Hass brennenden Blick entgegen, dann spreizte er die gewaltigen Schwingen, richtete seinen roten Kamm auf und stieß sich ab. Binnen eines Augenblicks war er durch die Spalte hinaus und im Sturm verschwunden. Slawa starrte noch eine Weile gedankenverloren in die Dunkelheit, ganz so, als blicke er Kasimir hinterher. Der Vargheist würde den Ring finden, dessen war er sich sicher. Schließlich war er selbst einmal Träger dieses kostbaren Artefakts gewesen, sicherlich konnte er ihn noch immer spüren, seine unheilvolle Energie wahrnehmen. Bald wäre sein Triumph komplett!
Doch ein mulmiges, düsteres Gefühl schlich sich als kalte Rauchsäule in das Glühen seines sicheren, bevorstehenden Sieges. Würde er einst fallen, aus welchem Grund auch immer, würde aus ihm auch eine solch' abstoßende Bestie werden? Kasimir mochte seinerzeit versagt haben und ein verweichlichter Menschenfreund gewesen sein, doch er war auch ein Vampir derer von Carstein mit besonderem Format gewesen. Ähnlich wie er selbst, bewandert im Lenken der Winde der Magie... und nun... ? Ein hässliches Monstrum, verzerrt von Hass und Durst und gebunden an seinen Willen. Geschlagen von seiner Natur. Slawa schauderte bei dem Gedanken, dass auch er einst seinem Nachfolger peinigenden Dienst verrichten musste. Abwesend schüttelte er matt den Kopf. Unmöglich, so durfte es nicht kommen! Sollte er unwahrscheinlicher Weise doch einst durch die Hand eines Sterblichen gerichtet werden, dann, so hoffte er, würde sein Leib wenigstens ganz gebrochen werden, so dass niemand ihn würde zurückholen können. Für Kasimir aber gab es keinen Ausweg mehr. Keine Möglichkeit, seinen alten Willen und seine Gestalt als Vampir zurückzugewinnen. Nur der Tod konnte ihn endgültig erlösen. Slawa lachte kaltherzig und hörte, wie seine bösartige Freude von den Geistschleiern und den hohen Wänden widerhallte, schallend zu ihm zurück brandete und ihn in eine finstere Kakophonie einhüllte. Diesen Gefallen würde er ihm nicht gewähren. Niemals.
In Strömen prasselte der Regen auf sie nieder, klimperte leise auf den Rüstungen und Helmen der Stadtwachen, die sich versammelten hatten, um ihren Gefährten auf seinem letzten Weg zu begleiten. Gleich einem dunklen Tuch hingen die schwarzen Wolken über den Trauernden, so als hätte auch der Himmel sich in die Farbe Morrs gewandet, um seine Tränen für den Toten zu vergießen. Das Grollen und Leuchten eines fernen Gewitters hüllte die Hinterbliebenen in geisterhaftes Licht und warf tiefe Schatten in ihre kummervollen, vor Schmerz verzerrten Gesichter, verlieh dem ganzen Geschehen eine beängstigende Unweltlichkeit. Es war erst kurz vor Mittag und dennoch stockfinster. Gunther stand mit hängendem Kopf und schlaffen Schultern unter den Versammelten und verfolgte mit leerem Blick und taubem Ohr die Predigt des Morrpriesters, der die Beisetzung seines Kameraden leitete. Stumm bewegten sich die Lippen des alten, in dunkle Roben gewandeten Mannes, wirr bewegten sich seine wild gestikulierenden Hände. Ein dumpfes Rauschen hielt Gunthers Verstand gefangen, die grauen Bilder vor seinen Augen verwirbelten zu dunklem Öl, wenn er seine Gedanken nur für einen Augenblick schweifen ließ. Die Hände des Morrpriesters wurden zu hellen, wirbelnden Bahnen, sein Mund zu einem schwarzen Loch. Dumpf dröhnte sein Herzschlag in seinem Ohr. Er fühlte sich hohl, als wäre sein Inneres herausgerissen worden. Die Schuld wog schwer in dieser Leere. Alfreds Frau und seine zwei Kinder standen mit Andrej und seinem Sohn nah an dem Grab, Gunther mit seiner Familie selbst ein wenig abseits. Er wagte nicht, sie anzusehen, aber dennoch spürte er die vorwurfsvollen Blicke des großen Kisleviten, dennoch hörte er das schwache Schluchzen der Witwe. Tränen stiegen ihm in die Augen und nur mit Mühe konnte er sie zurückdrängen. Ein eisiger Schauer kroch über seinen Rücken. Wieso hatte Alfred sterben müssen? Und wieso durfte er selbst noch leben? Weshalb? War sein eigenes Leben mehr wert? Nein, gewiss nicht. Es war einfach nur ungerecht, dass Alfred tot war und er noch leben durfte. Schließlich hatte die Bestie nach ihm, Gunther, gesucht, nach niemand anderem. Nur nach ihm. Er hatte die anderen mit reingezogen. Hätte er sich einfach gefügt oder es gewagt sich dem Ungeheuer alleine zu stellen, dann würde Alfred noch leben. Dann wäre er nicht tot. Er spürte die Hand seiner Frau an seinem Arm, die ihn auf die Beisetzung begleitet hatte, doch sie konnte ihm keinen Trost spenden. Von seinen Zweifeln und Selbstvorwürfen hatte er ihr nicht erzählt. Es war besser sie für sich zu behalten.
Direkt nach dem Vorfall war Andrej losgerannt und hatte alles der Stadtwache gemeldet und während sich Franz noch um den Leichnam gekümmert hatte, war Gunther, trotz seiner Verletzung, zu Alfreds Frau gegangen und hatte ihr alles erzählt, alles gebeichtet. Er war ehrlich gewesen, hatte nicht versucht, die Sache zu verklären, sich selber alle Schuld gegeben. Die Wahrheit erzählt. Dass seine Freunde sich nur wegen ihm in diese Gefahr begeben hatten. Denn so war es ja auch. Sie hatte ihm erst nicht glauben wollen, ihn angeschrien, was für ein geschmackloser Scherz das sei, doch leider hatte er ihr keinen Streich spielen wollen. Er hatte ihr nur die Wahrheit gesagt. Und als sie das verstanden hatte, bemerkt hatte, dass Gunther es ernst meinte, war sie weinend in der Tür zusammen gebrochen. Er hatte ihr noch helfen wollen, sie halten und trösten, aber sie hatte ihn von sich gestoßen. Ihn angeklagt, beschimpft, ihn für alles verantwortlich gemacht... und immer zu geweint. Er war nicht gegangen, nicht gleich. Hatte es ertragen. Er hatte diese Vorwürfe verdient, schließlich hatte er ihr Leben zerstört. Was nun wohl aus ihr und ihren zwei Kindern werden würde? Betroffen hob Gunther den Blick ein wenig und sah die schwarzgewandete Frau, die in größter Not noch versuchte ihren verbliebenen Stolz zu wahren, vor dem Grab ihres Mannes stand, eingehüllt in einen Mantel aus Trauer und Regen und auch wenn die Augen gerötet waren, doch nur leise schluchzte und auf die nasse, frisch aufgehäufte Erde starrte. Ein schmerzhafter Stich zuckte durch sein Herz, als er dieses Bild sah und er biss sich auf die Unterlippe. Alles seine Schuld. Er sollte dort begraben liegen. Er.
Alfreds Kinder standen bloß da, sahen ihre Mutter an, noch zu jung um wirklich zu verstehen, was geschehen war. Vater kommt nie wieder. Er ist an einem besseren Ort. Worte, die ein Kind nicht begreifen konnte. Nicht begreifen durfte. Alle seine Schuld. Mutlos ließ er seinen Blick wieder sinken, hörte nur dumpf, wie seine Frau etwas zu ihm sagte, einen mitfühlenden Ton in der Stimme, doch er verstand nicht, was. Alles verlor sich in einem tauben Schleier. Schwach schüttelte er den Kopf. Ein sanfter Schmerz in seiner verbundenen Schulter holte ihn schließlich zurück in die Wirklichkeit. Der Stachel der Bestie hatte sein Herz glücklicherweise verfehlt. Die Wunde hatte schlimmer ausgesehen, als sie es tatsächlich war. Er hatte Glück gehabt. Alfred nicht. Er würde sich das nicht verzeihen können. Niemals.
Der Priester des Morr beendete gerade seine Trauerrede, als der Klang schwerer, beschlagener Stiefel die Versammelten aufsehen ließ. Metallisch hallten die Schritte vieler Männer durch die Luft des finsteren Morgens. Zusammen mit der verwunderten Menge wandte Gunther sich um und blickte zur Straße, die zu diesem Morrgarten führte, auf. Eine Gruppe gerüsteter Sigarmpriester schritt den grob gepflasterten Pfad entlang, erfüllte die betretene Stille mit dem Scheppern ihrer Rüstungen. An ihrer Spitze Walther Groll. Gemurmel setzte unter den Versammelten ein. Es war nicht ungewöhnlich, wenn ein einzelner Sigmarit einer Trauerfeier beiwohnte, auch wenn sie Morr nicht direkt verehrten, aber eine ganze Gruppe gepanzerter Priester? Das war mehr als nur sonderbar. Gunther fühlte eine unbestimmte Angst, als sein Blick flüchtig den des Großtheogonisten traf und er zuckte zusammen. Was taten die Sigmariten hier? Was wollten sie? Etwas stimmte nicht.
Die Gruppe der Gerüsteten marschierte auf, drängte sich unsanft durch die versammelten Trauernden und bezog einen Kreis um das frische Grab. Nach einem kurzen Gespräch mit Walther Groll, das Gunther nicht verstehen konnte, zog der Morrpriester sich mit einigen bösen Blicken zurück und verkroch sich kopfschüttelnd an den Rand der Gruppe. Anschließend stellte sich der Großtheogonist an Alfreds letzte Ruhestätte, schlug ein Zeichen des Sigmar und murmelte einen kurzes Gebet, dann wandte er sich an die Hinterbliebenen. „Diesem Mann ist schreckliches widerfahren“, erhob er seine alte, doch mächtige Stimme, „er ließ sein Leben im Kampf gegen einen grauenhaften Schrecken, der unsere Stadt schon seit Wochen heimsuchte!“ Er schwieg eine Weile, vielleicht um seinen Worten mehr Wirkung zu verleihen, aber niemand antwortete ihm oder wagte es etwas zu erwidern. Die meisten der Anwesenden blickten ihn nur stumm an, den Blick voll Zweifel und Angst oder aber angefüllt mit Zorn, weil er es gewagt hatte die Trauerfeier zu stören. Auch Sigmariten wurde nicht alles verziehen. Bei weitem nicht. Die gepanzerten Priester blickten nur mit strengem Blick in die Menge und rührten sich nicht. „Doch er ging in Ehre von uns“, setzte Groll seine Rede plötzlich fort, „und es ist nicht an der Zeit um ihn zu trauern, denn ich als Sigmars eingesetzter Stellvertreter in dieser Welt weiß, er ist in die glorreichen Hallen unseres obersten Gottes eingezogen und sitzt dort an seiner Seite, auf uns schauend und lasst mich euch sagen“, unterbrach er sich noch einmal kurz und warf einen ernsten Blick in die Runde, ehe ein freundliches Lächeln seine Lippen zierte, „er gab uns wahrlich einen Grund zum Feiern, denn dank ihm und seinen tapferen Kameraden, weilt dieses abscheuliche Monster nicht länger unter uns!“ Nun ging ein verblüfftes Raunen durch die Menge. Verwundert blickten die Leute erst ihren Großtheogonisten an, dann sich gegenseitig und begannen fast augenblicklich zu tuscheln. Bis jetzt kannten sie nur eine Version der Geschichte und in der war die Bestie entkommen. Gunther legte seine Stirn in zweifelnde Falten. Was erzählte Groll da? Das Ungetüm war geflohen, nach dem es Alfred geschlachtet und beinahe auch noch Franz erwischt hatte. Er selbst war nur mit einer hässlichen Verletzung davon gekommen. Sie hatten es nicht erwischt. Oder doch? Nein. Das Biest lebte noch! In seine Gedanken versunken, bemerkte er nicht, dass man seinen Namen rief. Erst als ihm eine Stadtwache von hinten an die Schulter stieß, blickte er verwundert auf. „Gunther, komm zu mir“, hörte er die freundliche Stimme Walther Grolls, der ihm lächelnd die Hand entgegenstreckte. Für einen Schlag lang setzte sein Herz aus. Was wollte er von ihm? Ihn verhaften, weil er die Bestie auf eigene Faust hatte fangen wollen und dabei den Tod eines Kameraden verschuldet hatte? Waren deshalb so viele Gerüstete anwesend? Oder wollte er ihn feiern? Für was? Die Bestie lebte. Dessen war er sich sicher. Sie hatten sie zwar verwundet, aber sie war geflohen. Was wurde hier gespielt?
Die Umstehenden begannen ihn nach vorne zu schieben, als er sich vor lauter Verwunderung nicht selbst bewegte. In Grolls Blick hatte sich mittlerweile eine Spur von Ärger geschlichen. Dennoch ergriff der Großtheogonist seine Hand, als er ihn erreicht hatte, zog ihn durch den Ring der gepanzerten Priester und hielt sie in die Höhe. „Diesem Mann verdanken wir, dass wir die Bestie erlegen konnten! Altdorf ist frei von diesem Schrecken und wir können wieder in Ruhe schlafen!“ Die Versammelten begannen zu jubeln, von einigen kam Beifall, aber Gunther glaubte einfach nicht was er da hörte. Er konnte es nicht fassen! Das hier war eine Beerdigung, eine Totenfeier und Groll machte daraus eine Parade, mit hoffnungsfrohen Reden und Lobpreisungen! Für Alfreds Frau gab es aber keine Hoffnung. Für sie war egal, ob die Bestie tot war oder nicht. Ihr Mann, der Vater ihrer Kinder, war tot. Gunther versuchte sie mit Blicken um Verzeihung für das zu bitten, was gerade geschah, aber sie stand nur mit gesenktem Kopf und ihren zwei Kindern am Rande der Gruppe und starrte auf den Boden. Andrej sah ebenso verwundert aus wie er selbst.
Als Groll seine Rede beendet hatte und der Jubel verebbte, trat einer der Sigmarpriester aus der Reihe, zog ein Stück Pergament unter seinem Harnisch hervor und begann zu lesen: „Die werten Soldaten voller Ehre mit den Namen Franz Richard Ackermann, Hans Strebling und Andrej Tosslow mögen bitte vortreten. Ihnen wird die große Ehre zu teil, für ihre Tapferkeit mit dem Zeichen des Sigmar gesegnet zu werden. Wir stehen alle in ihrer Schuld.“ Die Stimme des Mannes klang tonlos und wenig überzeugend, dennoch schälten sich Gunthers verwunderte Kameraden aus der Menge und schlossen zu ihnen auf. Der Sigmarit rollte das Pergament wieder zusammen, ließ es unter seiner Rüstung verschwinden und stellte sich zurück in den Kreis. Als sie sich alle um Groll versammelten hatten, wagte Gunther es das Wort an den Großtheogonisten zu richten.
„Meister Groll,“ begann er mit sorgenvoller Stimme „wir haben die Bestie nicht erlegt, sie konnte uns entwischen! Ich bin mir sicher! Was geschieht hier?“ Er war überzeugt davon, dass hier etwas faul sein musste. Etwas stimmte ganz und gar nicht. Trotz der nun insgesamt fröhlichen Trauergäste lag eine gefährliche Spannung in der Luft. Gunther traute den Sigmariten überhaupt nicht. Er warf einen kurzen Blick zu seiner Frau, die ihm mit Stolz ihm Blick ein ermunterndes Lächeln zu warf. Sie musste glauben, er würde jetzt vor Freude und Erleichterung platzen. Die Bestie war nicht tot. Und sie hatte es noch immer auf ihn abgesehen. Das wusste er.
„Oh doch, mein Sohn, ihr habt sie erwischt. Sie ist euch zwar entkommen, aber die schweren Verletzungen, die ihr beigefügt habt, ließen sie langsam und schwach werden, so dass meine Leute sie überrumpeln und töten konnten.“ Gunther hörte die Lüge in seinen Worten und runzelte die Stirn. Der Sigmarit gab sich nicht mal Mühe überzeugend zu wirken. Es war ihm egal, ob die vier Männer ihm glaubten oder nicht. „Wirklich?“, fragte Hans mit unverhohlenem Zweifel, „Das Biest war unglaublich stark, wir konnten fast nichts gegen es ausrichten, seid Ihr sicher, dass...“
„Absolut!“, schnitt Groll ihm mit scharfer Stimme das Wort ab. Sein Ton ließ keine Kompromisse zu. Gunther fühlte sich immer unwohler. „Wir haben ihre Leiche ausgestopft und werden sie morgen zur Mittagsstunde auf dem Marktplatz ausstellen, damit das ganze Volk weiß, welch große Tat ihr vollbracht habt“, fuhr er mit sanfterer Stimme fort. Gunthers Zweifel ließen einen wenig nach. War das wirklich so? Sprach der Mann die Wahrheit? Wenn er die Leiche hatte, dann gab es ja einen eindeutigen Beweis dafür, dass sie die Bestie wirklich erlegt hatten. Gab es Hoffnung für ihn? Hatten sie es wirklich geschafft? War das Untier wirklich tot?
Erneut hob der Großtheogonist seine Hand hoch und wandte sich wieder an die Menge. „Wir bringen unsere Helden nun in den Tempel des Sigmar, um ihnen ihre verdiente Ehre zu teil werden zu lassen!“ Gunther spürte wie der Großtheogonist den Griff um sein Handgelenk deutlich verstärkte. Er biss die Zähne zusammen um nicht vor Schmerzen zu stöhnen. Schließlich wandte Groll sich an einen seiner Sigmarpriester und sagte ihm mit leiser Stimme, „Bringt sie weg!“, dann drehte er sich um und schritt durch die Menge. Augenblick traten vier Hammerträger an das Grab, packten die Kameraden grob an den Armen und führten sie hinter Groll her. Gunther hatte überhaupt kein gutes Gefühl bei der Sache. Das kurze Flackern seiner Zweifel war verschwunden. Groll log ihn an. Im Vorbeigehen warf er seiner Frau einen ganz bestimmten Blick zu, der ihr sagen sollte, dass hier etwas gewaltig faul war. Sorge mischte sich in ihre Züge und fast tat es ihm leid, dass er sie nicht in ihrem Gutglauben gelassen hatte. Doch er war sich sicher, dass er in tiefen Schwierigkeiten steckte und es war besser, wenn seine Frau darauf vorbereitet war. Aber was hatte Groll mit ihnen vor, wenn doch die Bestie angeblich erlegt war? Es konnte gewiss nichts gutes sein und er fühlte, wie ohnmächtige Angst in seinem Herz keimte. Bislang hatte der Großtheogonist ihm immer ein Gefühl von Sicherheit gegeben, doch nun fürchtete er sich mehr vor ihm, als vor dem Ungeheuer, das sie angeblich getötet hatten. Wenn er ihm übles wollte, dann könnte er nichts gegen ihn tun. Unsanft schleiften die gepanzerten Sigmariten ihn hinter sich her, sprachen kein Wort, wirkten angespannt und ernst. So behandelte man keinen Helden. So behandelte man einen Gefangenen.
Kapitel XXI
Gefallene Helden
Mit einiger Mühe wich Grorr'bak dem Angriff seines jungen Herausforderers aus und stolperte gerade noch rechtzeitig zur Seite, doch sein nachfolgender Konter ging ebenfalls ins Leere. Schnaufend machte er einen Schritt zurück, um wieder einen sicheren Stand zu gewinnen, aber der deutlich jüngere und kleinere Schwarzork wollte ihm diese Möglichkeit nicht gewähren. In letzter Sekunde hob der Waaaghboss seinen Spalta und hörte das metallische Klirren, als die Klingen seines Gegners scheppernd gegen die seinen prallten. Doch Krommlonk war geschickt, drehte seine Äxte nach der Parade seitlich nach rechts weg, zog sie schwungvoll über Grorr'baks Klinge, dass die Funken nur so sprühten und bescherte ihm zwei tiefe Schnitte an der Hand, die den Griff des Spaltas umschlungen hielt, ehe er sich mit einem Satz nach hinten von seinem Gegner löste. Wütend setzte Grorr'bak nach, stieß mit der flachen Seite seiner Waffe nach seinem flinken Feind, konnte aber nur beobachten, wie dieser mühelos zur Seite auswich und ihn bereits wieder attackierte. Grunzend versuchte der riesige Ork dem Angriff zu entgehen, doch er musste zwei Treffer erleiden, die ihm stark blutende Striemen auf dem Oberarm zufügten, bevor es ihm gelang sich mit einem wuchtigen Schlag mit dem Stumpf seiner Pranke von der lästigen Made zu lösen. Er hatte den mageren Welpen zwar nicht getroffen, aber ihn für einen kurzen Augenblick zum Rückzug gezwungen. Grorr'bak atmete tief durch und nutzte den Moment um sich zu sammeln. Der kleine Schwarzorkboss war einfach zu schnell für ihn. Das war schon bei dem Kampf gegen diesen wieselflinken Menschen damals so gewesen. Normalerweise überwältigte er derartige Bedrohungen immer mit unerschöpflicher Ausdauer und vielen blutenden Wunden an seinem grünen Leib, die er allerdings problemlos wegzustecken vermochte, doch Mork und Gork vadammt, er war beileibe nicht auf seiner körperlichen Höhe! Bereits nach den zwei kurzen Wechseln eben, spürte er schon ein schmerzhaftes Rasseln in seiner Lunge. Auch den gewaltigen Spalta mit nur einer Hand zu führen, kostete ihn viel Kraft und war ungewohnt anstrengend. Er hustete knapp und spuckte einen Klumpen Blut auf den matschigen Boden, ließ Krommlonk dabei aber nicht aus den Augen. Der junge Ork umrundete ihn und schien ihn nach Schwachstellen abzusuchen. Pah! Als hätte er davon gerade nicht verflucht nochmal genug. Grorr'bak schnaubte verächtlich. Es konnte weitergehen.
Den nächsten Angriff leitete er selbst ein, in dem er sich brüllend herum warf, ehe Krommlonk in seinen Rücken gelangt war und seinen Spalta mit einem weiten Schwinger auf ihn zu sausen ließ. Der kleine Boss schien überrascht zu sein und hob seine Waffen gerade noch rechtzeitig zu einer kümmerlichen Parade, die Grorr'baks gewaltige Kraft jedoch mühelos zu sprengen vermochte. Die zwei mickrigen Äxte wurden ihm aus den Händen geprellt und er stolperte torkelnd zurück, landete mit dem Hintern voran im Schlamm. Mit einem überlegenen Grinsen wollte der Waaaghboss nachsetzen, doch Krommlonk war schlichtweg zu schnell. Geschwind rollte er sich herum, sammelte seine Waffen wieder ein und sprang mit einer fließenden Bewegung zurück auf die Füße. Bevor Grorr'bak verstanden hatte, was hier überhaupt geschah, spürte er einen scharfen Schmerz in seinem Rücken. Vor Zorn brüllend wirbelte er herum und sah gerade noch, wie der kleine, lästige Ork seine zweite Axt ebenfalls zum Wurf hob. Ehe er reagieren konnte, zerschnitt sie singend die Luft. Die Klinge fuhr ihm ruckartig in die Schulter, ließ einen Regen aus schwarzem Blut aufspritzen und ihn vor Schmerz quiekend einen Schritt zurück stolpern. Krommlonk, nun ohne jede Waffe, ließ die Gelegenheit nicht verstreichen, rannte los und warf sich mit aller Kraft in die Beine des taumelnden Giganten. Brüllend gingen die zwei Orks zu Boden und stürzten in den Schlamm. Die umstehenden Grünhäute johlten und schlugen mit Schwerten, Äxten und Fäusten auf ihre Schilde, als Dreck und Wasser um die verkeilten Gegner herum aufspritzte. Grorr'bak, geblendet von Blitz, Regen und Matsch und noch völlig überrascht von dem unerwarteten Angriff, spürte wie sein mickriger Herausforderer sich bereits an ihm hochzog, vermutlich um an die Axt zu gelangen, die in seiner Schulter steckte und dabei hart mit dem Ellbogen in seinen Bauch stieß. Keuchend versuchte der Waaaghboss sich herumzudrehen, um den Winzling unter sich im Schlamm zu ersticken, aber erneut war er zu langsam. Er spürte noch wie Krommlonk den Schaft seines Spaltas zu fassen bekam, ehe er die Klinge mit einem Schrei tiefer in die Wunde trieb. Mit einem ohrenbetäubenden Brüllen machte Grorr'bak seinen Qualen Luft. Schwarzes Blut sprudelte aus dem klaffenden Riss in seinem grünen Fleisch und er spürte, wie der Knochen unter der Kraft des kleinen Orks knackte und zu splittern drohte. Mit schmerzverzerrtem Gesicht und allerletzter Kraft gelang es ihm seinen überraschten Peiniger im Nacken zu packen und in hohem Bogen von sich zu schleudern. Die Klinge glitt mit einem widerlichen Schmatzen aus seinem Fleisch und, Mork sei Dank, schaffte er es trotz unvorstellbarer Schmerzen bei Bewusstsein zu bleiben. Irgendwo hinter sich hörte er noch dumpf, wie Krommlonk keuchend im Schlamm aufschlug, dann wurden alle Geräusche von einem schweren Donnerschlag verschluckt. Krachend spie der Himmel seinen spöttischen Zorn auf ihn hinab. Stöhnend und unter großen Anstrengungen stemmte er sich hoch und kam gerade so, schwach und mit zittrigen Knien, auf die Beine. Übelkeit kroch in seinem Hals empor und füllte seinen Schädel mit Schwindel. Würde er sich nicht auf seinen gewaltigen Spalta stützen, es hätte ihn direkt wieder umgehauen. Mit vor Schmerz und Regenschleiern flackerndem Blick sah er, wie auch Krommlonk sich wieder auf die Füße hievte. Enttäuscht von sich selbst brummte er leise und stieß ein kraftloses Husten aus, während er mit seinem Stumpf die schwere Wunde in seiner Schulter betastete. Die Verletzung war ziemlich tief und schlimm, vermutlich würde er sie nicht überleben, aber er war ohnehin bereits zum Tode verdammt. Lieber fiel er im Kampf, als auf dem Krankenbett dahinzusiechen.
Zu seinen Hochzeiten hätte dieser elende Winzling ihm nichts entgegenzusetzen gehabt. Er hätte ihn einfach gepackt und hilflos zappelnd zermalmt, doch mittlerweile war er alt geworden, krank und schwach und hatte seit Ewigkeiten keinen richtigen Kampf mehr ausgefochten. Vielleicht hatte er ihn zu Beginn auch unterschätzt. Krommlonk schien ihm haushoch überlegen und er wusste nicht, was er noch gegen ihn tun könnte. Er war einfach zu schnell und so konnte Grorr'bak keinen vernünftigen Treffer landen. Nur ein einziger Schlag, der richtig saß und er würde die Made zu Orkmuß verarbeiten, doch es sah nicht aus, als würde ihm das noch gelingen...
Als der Schwindel sich endlich ganz aus seiner Orkigkeit verzogen hatte war Krommlonk längst wieder voll da, ließ ein paar Knochen knacken und die Muskeln spielen und wog prüfend seine verbliebene Axt in seiner Pranke. Die andere Klinge musste noch irgendwo im Rücken des Waaaghbosses stecken, doch er spürte sie bereits nicht mehr. Auch der stechende Schmerz in seiner Schulter war mittlerweile einem gleichmäßigen, gewohntem Pochen gewichen, das ihm fast schon gut gefallen wollte. Auf jeden Fall war es ein angenehmerer Schmerz, als der, der ihn für die letzten Jahre an sein Lager gefesselt hatte. Der Regen klimperte leise auf den Eisenschrottrüstungen der Orks, die um ihn herumstanden und den Kampf beobachteten. Grorr'bak erlaubte es sich die Augen zu schließen und das Gefühl des kalten Wassers auf seiner Haut zu genießen. Er mochte den Regen. Er beruhigte ihn, spülte das Leid und das Blut von seinem gebeutelten Leib und sorgte dafür, dass er sich frischer und lebendiger fühlte, als er es eigentlich war. Gesünder.
Er hörte die schnellen, leichten Schritte Krommlonks, die sich ihm rasch näherten, spürte die Erschütterung im Boden, jedes mal wenn der kleine Ork auftrat. Sein Feind ging erneut zum Angriff über. Es würde jetzt wohl mit ihm zu Ende gehen. Vielleicht sollte es das jetzt gewesen sein. Aber ganz sicher würde er, Grorr'bak Trollbeissa, sich nicht kampflos ergeben. Er würde kämpfen, bis diese kleine Made ihm das Haupt von den Schultern schnitt. Grinsend fuhr er sich mit der Zunge über seinen abgebrochenen Hauer. Die Kante fühlte sich rau und hart an. Für einen kurzen Augenblick wurde er sich jeder Narbe, jeder Wunde, die er in seinem Leben davongetragen hatte gewahr. Sein Leib war übersät mit ihnen. Mork und Gork vadammt, er hatte die blutigsten Schlachten überstanden und die fürchterlichsten Gegner geschlagen. Er hatte schreckliche Wunden erlitten und überlebt, unzählige Feinde jeglicher Art gefällt und ihre Leiber gefressen! Einst hatte er sogar einen Troll tot gebissen! Er hatte viel schlimmeres überstanden, als diesen kleinen Wurm! Verflucht noch mal, wer wäre er, wenn er diesen Kampf nicht auch noch gewinnen würde? Nichts könnte ihn je schlagen, niemand würde ihn besiegen! Er war Grorr'bak Trollbeissa, der größte Schwarzork, den das Gebirge je ausgespuckt hatte! Er würde diese kleine Made jetzt plätten! Sie fertig machen und zertreten! Vor kochender Wut grollend riss Grorr'bak die Augen auf, genau in dem Augenblick, in dem Krommlonk sich mit einem Schrei auf ihn stürzen wollte. Brüllend wich er der heranrasenden Axt seines Feindes zur Seite aus, spürte noch wie die Klinge dicht neben ihm die Luft zerschnitt und zog mit voller Wucht sein Knie an. Der winzige Ork riss erschrocken die Augen auf, als Grorr'baks Angriff ihn so unvorbereitet traf, ihm alle Luft aus den Lungen presste und seine Knochen beben ließ. Seine Axt entwich seinen erschlaffenden Fingern und fiel ihm aus der Hand. Hart schlug er auf den Boden, keuchte schwer, war aber dennoch besonnen genug sich zur Seite zu rollen, um einem zweiten Tritt des Giganten zu entgehen. Er versuchte sich auf die Füße zu ziehen, da traf ihn bereits ein harter Schlag mit dem Schaft von Grorr'baks Spalta am Kinn, schlug ihm ein paar Zähne aus und beförderte ihn mehrere Schritt weit durch die Luft. Unsanft landete Krommlonk im Schlamm und schlitterte noch ein kurzes Stück durch die braune Suppe, prallte fast gegen die umstehenden Orks. Hinter sich hörte er ihr höhnisches Gelächter und Grunzen, spürte wie sie mit ihren breiten Fingern auf ihn zeigten und sich über ihn schlapp lachten. Aufkeimende Wut erfüllte ihn, doch sein Körper brannte vor Schmerzen und es war ihm nahezu unmöglich wieder aufzustehen. Nur langsam fand er auf seine zittrigen Beine zurück und hielt sich die pochende Brust. Bestimmt hatte der Waaaghboss ihm eine Rippe gebrochen, vielleicht auch mehr, jeder Atemzug wurde mit stechenden Schmerzen bestraft. Grorr'baks Kraft war wirklich schier unglaublich und nun sah er sich ihm auch noch völlig unbewaffnet gegenüber. Aber der Koloss war auch langsam und träge, was Krommlonk immer noch dazu befähigte, ihn zu töten! Vielleicht konnte es ihm gelingen, an seinen Rücken zu gelangen und seinen Spalta wieder aus ihm herauszuziehen. Er durfte sich bloß auf keinen Fall noch einmal von ihm erwischen lassen! Ein weiterer solcher Treffer konnte ihm endgültig den Garaus machen. Dann würde er nicht mehr zurück auf die Füße kommen. Blinzelnd betrachtete er die im Regen verschwimmende Gestalt des Waaaghbosses, der ihn zu erwarten schien, mit seiner Waffe auf ihn deutete, ihn bereits erwartete und voller Spott herausforderte! So eine elende Ratte! Gerade eben noch unterlegen wie ein schwacher Welpe, wagte er es schon wieder sich über ihn lustig zu machen! Krommlonk atmete tief durch, sammelte sich noch kurz und schluckte seinen Zorn hinunter, um wieder einen kühlen Kopf zu bekommen. Er würde Grorr'bak schlagen! Er konnte das schaffen! Mit einem entschlossenen Grunzen wollte er sich soeben wieder dem Kampf stellen, als plötzlich ein grell grüner Blitz um die Klinge des Giganten zuckte...
Slawa stieg mit schnellen Schritten die langen, gewundenen Treppen seines Turms hinab. Er war soeben von seinem nächtlichen Ausflug zurückgekehrt und von seinem Mahl mehr als nur erfrischt und gestärkt. Heiße Macht schoss durch seine erkalteten Lebensfäden und ließ ihn vor Tatendrang nahezu platzen. Nach dem er Mädchen und Mutter getötet hatte, hatte er noch eine Weile in dem kleinen Ort verbracht und weitere, unreine Seelen verschlungen, eher er sich auf den Rückweg zum Drakenhof gemacht hatte. Einige Stunden waren ins Land gezogen und mittlerweile mochte es wohl bereits früher Morgen sein, doch das sollte ihn nicht mehr kümmern. Dank seinem wütenden Sturm würde das Licht der aufgehenden Sonne dieser Tage nicht mehr am Horizont zu sehen sein. Wenn es nach ihm ginge, dann würde es nie wieder durch die schwarzen Wolkenberge stechen, um ihn ins Dunkel der Nacht zurück zu treiben. Mit einem bösen Grinsen leckte er sich über die scharfen Eckzähne. Vielleicht würde es so kommen. Ewige Dunkelheit. Der Gedanke bereite ihm finstere Hoffnung und diebische Freude. Ewige Nacht.
Als er das Treppenhaus verließ und über den schwarzen Wall seines Schlosses wirbelte, konnte er ein paar kurze Blicke hinab in den Innenhof werfen, in dem sich seine Dienerschaft schon in wildem Aufruhr befand. Bald würde sein Krieg beginnen! Er hatte seine Nekromanten bereits darüber informiert, dass er sein unheiliges Ritual, das die friedlichen, schlafenden Seelen der Toten unter seinen Willen zwingen sollte, noch vor Mittag beginnen wollte und nun waren sie dabei alles vorzubereiten. Es war fast soweit! Endlich! Er könnte jeden Augenblick beginnen. Aber zuvor musste er sich noch kurz um eine andere Angelegenheit kümmern, die ebenfalls keinen Aufschub mehr duldete. Rasch marschierte er über den Wehrgang zurück ins Schloss, eilte mit laut schallenden Schritten durch die weite, vollkommen verlassene Eingangshalle, um von dort den Abstieg in die düsteren Gewölbe des Drakenhofs zu beginnen. Nicht eine verlorene Seele war im Inneren des Schloss anzutreffen, alle seine Diener arbeiteten emsig im Hof. Rasch durchschritt er einen langen, lichtlosen Gang, öffnete an dessen Ende ohne Anstrengung eine vermoderte, schwere Holztür, an deren rostigen Angeln wohl mehrere starke Sterbliche verzweifelt wären und entblößte die schmale Treppe, die in steilen Windungen tief in die finsteren Eingeweide seines Anwesens führte. In dem toten Fels unter dem Schloss ruhten ganze Generationen verschiedener von Carsteins und schliefen in gewaltigen, steinernen Särgen ihren endlosen Schlaf. Tot und nutzlos, nicht mehr als verfaulendes, stinkendes Aas. Doch dort unten lauerten noch andere Dinge. Furchtbare Dinge, die ihm nützlich sein würden.
Entschlossen begann er den Abstieg und spürte sofort, wie die Luft um ihn herum kalt und feucht wurde, befallen von einem entsetzlichen, modrigen Gestank von Tod und Fäulnis. Es kümmerte ihn nicht. Trotz der Finsternis, die ihn umgab, fanden seine Füße problemlos Halt auf jeder der schmalen, bröckeligen Stufen und trugen ihn mit wirbelndem Mantel hinab in die Tiefe. Nach nur wenigen Minuten hatte er das Ende Treppe erreicht und fand sich in einem langen, grob gehauenen Gang wieder. Ein schleimiges Rinnsal kroch ungestört über den Boden und hatte sich über die Jahrhunderte eine kleine Schneise in den steinigen Boden gefressen. Niemand kümmerte sich in diesem Schloss um das Wohlbefinden längst vergessener Seelen. Slawas Lippen kräuselten sich zu einem schmalen Grinsen und für einen kurzen Augenblick ließ er seinen Blick über die sterbenden Ruinen der Kellergewölbe streifen. Das Dach des Tunnels wurde von schlanken Säulen gehalten und ragte so hoch, dass es sich sogar für seine Augen in undurchdringlicher Dunkelheit verlor. Um die Säulen herum schlangen sich in Stein geschlagene Gargoyles, tierhafte Vampire und andere untote Schrecken, die mit hasserfüllten Gesichtern auf ihn hinab starrten. Doch die Jahre und die Nässe hier unten hatten bereits tiefe Narben in ihre Fratzen gefressen und ließen sie alt, krank und schwach wirken. Einst, so hatte er in seinen Büchern gelesen, waren sie mächtige Diener der von Carsteins gewesen, aus schwarzem Stein geformt und mit dunkler Magie belebt, damit sie ihren Herren auch im endgültigen Tode beschützten, ihre Leiber vor Grabräubern und Aasfresser bewahrten. Furchtbare Gegner, die jeden Eindringling mühelos in Stücke reißen konnten. Doch heute konnten sie niemanden mehr erschrecken, ihre Zähne waren faul und stumpf, die unheilige Magie längst gebannt. Unbeeindruckt setzte der Vampirfürst seinen Weg fort, sorgsam darauf bedacht mit seinen Stiefeln nicht in den Matsch des träge fließenden Baches zu treten. Die heiseren Stimmen der Toten drangen an seine feinen Ohren, hauchten ihm geflüstertes Wehklagen zu und bildeten im trüben Nebel geisterhafte Formen. Ein kalter, weinender Wind strich über seinen Rücken und er zerschlug ärgerlich eine der, sich dichter um ihn zusammen ziehenden Schwaden mit einer lässigen Bewegung seiner Hand. Er wollte das Gejammer der verirrten Seelen nicht hören. Es klang immer gleich. Langweilig. Eintönig. Er fühlte kein Mitleid für die rastlosen Geister.
Trotz der klagenden Stimmen war es auf eine sonderbare Art und Weise totenstill in den Gewölben. Es war, als schwebe das Weinen und Rufen von einem weit entfernten Ort hier her und wäre nicht wirklich da. Und genaugenommen war es auch so. Denn hier unten gab es kein Leben. Keine Spinne, kein Insekt, kein Molch. Gar nichts. Hier unten war alles tot. Auf ewig.
Slawa kam an eine Gabelung des Ganges und bog mit sicherem Schritt nach links. Er hatte keine Angst sich hier unten zu verlaufen, schließlich war es sein Schloss, auch wenn er bislang noch nicht allzu oft hier unten gewesen war. Das letzte mal etwa vor sechs Jahren, als er die Herrschaft über den Drakenhof aus Kasimirs hilflosen, erstarrten Klauen gerissen hatte. Vom König zum Knecht. Der Vampir lachte ein leises, böses Lachen, das sich gespenstisch an den Wänden brach und von unheimlichen, stummen Stimmen erwidert wurde. Geisterhaft verzerrte schallte es zu ihm zurück. Erneut bog er ab, erklomm eine kurze Treppe und betrat einen weiten Saal. Seine Schritte pochten dumpf auf den Platten aus uraltem, schwarzen Marmor. Staub und Schutt knirschten unter seinen Sohlen. Vor ihm erstreckte sich ein gewaltiges Gewölbe, dessen Decke so hoch war, dass an einer Stelle ein schmaler Riff klaffte, durch den das Grollen des Donners und rauschendes Regenwasser von der Oberfläche hinunter drang. Der grelle Schein eines Blitzes warf ein leichenblasses Licht in die Halle und entriss der Finsternis für einen Augenblick dutzende steinerne Särge. Die gewaltigen Platten, die einst die ewige Ruhe der verschiedenen von Carsteins bewahrt hatten, die hier lagen, waren zu großen Teilen zerschlagen oder herunter gerissen. Nur noch wenige schützen die Leiber der gefallenen Vampire.
Slawas Blick durchbohrte die ihn umgebene Schwärze und suchte nach etwas ganz bestimmten, das sich irgendwo hier verbergen musste. Er wusste, dass er hier war. Er konnte ihn hören. Er konnte ihn riechen. Ein widerwärtiges Schmatzen, ein Scharren, ein leises Rasseln von schweren Ketten und dann wieder ein schwaches, ersticktes Winseln, ein stummer, qualvoller Schrei kalten Hasses und ewigen Leids. Furchtlos trat er weiter in die Halle hinein, damit die Finsternis seinen Augen mehr von sich preis gab. Mehr und mehr Schemen lösten sich aus den Schatten. Und dann fand er schließlich, was er gesucht hatte, weshalb er in die Gewölbe hinab gestiegen war. Ein schadenfrohes Lächeln stahl sich auf seine bleichen Lippen, als er ihn in einer Ecke entdeckte, zusammen gekauert, an seinen Fesseln zerrend und an der uralten Leiche eines verendeten Vampirs kauend, die er aus einem der Särge gezerrt hatte.
Ohne zu zögern marschierte Slawa auf die große, ausgemergelte Gestalt zu, beobachtete wie die schwarzen Klauen über den Boden schabten, wie der nebelhafte Wind der verirrten Seelen die zerschlissenen, ledrigen Flughäute aufblähte und wie die spitzen Nadelzähne durch das trockene Fleisch des toten Vampirs fuhren und mit jeden Biss eine kleine Wolke aus Leichenstaub aufwirbelten. Der Vampirfürst gab sich keine Mühe nicht bemerkt zu werden und so dauerte es nur einen Augenblick, bis der angekettete Vargheist ihn bemerkte. Mit einem bösartigen Zischen warf er den vertrockneten Körper von sich, baute sich mit beeindruckender Geschwindigkeit zu voller Größe auf, spreizte seinen roten Kamm und stieß Slawa ein hohes, kreischendes Brüllen entgegen. Eine Wolke bestialischen Gestanks schlug Slawa entgegen und die Kraft der Kreatur ließ seine langen, schwarzen Haare in den Nacken wirbeln.
„Aber, aber...“, entgegnete er mit einem spöttischen Grinsen, während er unbeeindruckt, ohne seinen Schritt zu bremsen, auf den Vargheist zuhielt, „begrüßt man denn etwa so seinen Herrn und Gebieter?“ Fauchend zog sich das fledermausartige Wesen wieder in seine Ecke zurück, umschlang mit seinen Klauen die rasselnden Ketten, die ihn fesselten und warf dem deutlich kleineren Vampir bösartige, aber zugleich angsterfüllte Blicke zu. Dieser aber zeigte keinerlei Furcht vor dem gewaltigen Geschöpf, sondern zog nur beiläufig eine abgeschlagene Hand aus seinem Mantel, aus deren Stumpf noch ein wenig rotes Blut sickerte und warf sie ihm vor die Füße. „Die habe ich dir heute mitgebracht, gütig wie ich bin.“, sagte er mit einem süßlichen, falschen Lächeln, ohne den Vargheist auch nur eines Blickes zu würdigen. Die Kreatur jedoch betrachtete ihn unsicher und in den tiefsitzenden, roten Augen zeigten sich Zweifel, ganz als ob sie eine Bestrafung fürchtete, wenn sie sich dem grausigen Mitbringsel nähern würde. Als jedoch nichts weiter geschah und Slawa nichts mehr sagte, machte sie sich über die abgeschlagene Hand her und verschlag sie mit einem einzigen Bissen.
Sofort wirbelte der Vampirfürst herum, raste auf den Vargheist zu, packte ihn am Eisenring, der um seinen Hals geschlungen war und riss seinen Kopf ruckartig hinunter, so dass er ihm genau in die glühenden Augen starren konnte. Ein zorniges Kreischen war die einzige Antwort auf den groben Angriff Slawas. Die Kreatur wagte es nicht, mit ihren langen Fängen nach ihrem Herrn zu schnappen. Augenblicklich verstärkte Slawa seinen Griff, riss den stacheligen Kopf noch weiter hinab und aus dem wütenden Schrei wurde ein klägliches Winseln. Noch kurz wartete er, bis das Jammern und der letzte Widerstand erstarben, dann beugte er sich zu dem gebrochenen Vargheist hinab, streichelte ihm in bösartigem Hohn beinahe zärtlich über die kratzige Mähne und flüsterte ihm mit süßer Stimme ins Ohr: „Du gehorchst nun mir, mein Freund! Und du wirst alles für mich tun, was ich von dir verlange.“ Ein heiseres Krächzen drang aus der Kehle des einstigen Vampirs, ganz so, als wolle er Slawas Worte bestätigen. Die Züge des von Carstein verhärteten sich und seine Lippen wurden zu schmalen, blassen Strichen, als kalte Wut in ihm aufkochte, während er weitersprach. „Ich suche etwas. Etwas, das du einst besessen hast! Ich weiß, du wirst es wiederfinden!“ Mit einem Fauchen wollte sich der Vargheist aus dem Griff seines Peinigers löse und sich zurückziehen, doch dieser hielt ihn mit harter Hand gepackt und drückte seinen Schädel ungnädig auf den felsigen Boden. „Du wirst ihn für mich suchen und du wirst ihn für mich finden und nicht eher zurückkehren, bis ich diesen verfluchten Ring an meinem Finger trage!“, fuhr er mit brodelnder Stimme fort, schrie beinahe schon. Schließlich zerrte er den hilflosen Vargheist an seiner Mähne aus seiner Nische hinaus und schleuderte ihn unsanft in den Regen, der durch die Spalte in der Decke fiel. „Du hattest deinen Versuch, als Herr des Drakenhofs die Menschen zu unterwerfen, doch du hast versagt! Und nun ist es an mir! Nun ist meine Zeit gekommen!“
Ohne jede Gnade betrachtete er das Monstrum, das dort zusammengekauert im Regen hockte und ihn hasserfüllt anstierte. Einst ein prachtvoller Vampir, ein von Carstein seines Ranges und nun nicht mehr als eine einfache Bestie, gefesselt an rasenden Hass und den eisernen Willen seines Meisters. Ihm. Ein böses, doch zugleich zärtliches Lächeln legte sich auf Slawas Lippen und sein Blick wurde weich, beinahe verklärt. Eine knappe Geste seiner Hand ließ die Ketten, die den Vargheist hielten, schlaff werden und zu feinem Staub zerfallen. „Fliege nun, Kasimir von Carstein.“, sprach er leise, „Diene deinem Herrn und bringe mir den Carsteinring.“
Der gefallene Fürst schmetterte ihm ein letztes Kreischen und einen vor Hass brennenden Blick entgegen, dann spreizte er die gewaltigen Schwingen, richtete seinen roten Kamm auf und stieß sich ab. Binnen eines Augenblicks war er durch die Spalte hinaus und im Sturm verschwunden. Slawa starrte noch eine Weile gedankenverloren in die Dunkelheit, ganz so, als blicke er Kasimir hinterher. Der Vargheist würde den Ring finden, dessen war er sich sicher. Schließlich war er selbst einmal Träger dieses kostbaren Artefakts gewesen, sicherlich konnte er ihn noch immer spüren, seine unheilvolle Energie wahrnehmen. Bald wäre sein Triumph komplett!
Doch ein mulmiges, düsteres Gefühl schlich sich als kalte Rauchsäule in das Glühen seines sicheren, bevorstehenden Sieges. Würde er einst fallen, aus welchem Grund auch immer, würde aus ihm auch eine solch' abstoßende Bestie werden? Kasimir mochte seinerzeit versagt haben und ein verweichlichter Menschenfreund gewesen sein, doch er war auch ein Vampir derer von Carstein mit besonderem Format gewesen. Ähnlich wie er selbst, bewandert im Lenken der Winde der Magie... und nun... ? Ein hässliches Monstrum, verzerrt von Hass und Durst und gebunden an seinen Willen. Geschlagen von seiner Natur. Slawa schauderte bei dem Gedanken, dass auch er einst seinem Nachfolger peinigenden Dienst verrichten musste. Abwesend schüttelte er matt den Kopf. Unmöglich, so durfte es nicht kommen! Sollte er unwahrscheinlicher Weise doch einst durch die Hand eines Sterblichen gerichtet werden, dann, so hoffte er, würde sein Leib wenigstens ganz gebrochen werden, so dass niemand ihn würde zurückholen können. Für Kasimir aber gab es keinen Ausweg mehr. Keine Möglichkeit, seinen alten Willen und seine Gestalt als Vampir zurückzugewinnen. Nur der Tod konnte ihn endgültig erlösen. Slawa lachte kaltherzig und hörte, wie seine bösartige Freude von den Geistschleiern und den hohen Wänden widerhallte, schallend zu ihm zurück brandete und ihn in eine finstere Kakophonie einhüllte. Diesen Gefallen würde er ihm nicht gewähren. Niemals.
In Strömen prasselte der Regen auf sie nieder, klimperte leise auf den Rüstungen und Helmen der Stadtwachen, die sich versammelten hatten, um ihren Gefährten auf seinem letzten Weg zu begleiten. Gleich einem dunklen Tuch hingen die schwarzen Wolken über den Trauernden, so als hätte auch der Himmel sich in die Farbe Morrs gewandet, um seine Tränen für den Toten zu vergießen. Das Grollen und Leuchten eines fernen Gewitters hüllte die Hinterbliebenen in geisterhaftes Licht und warf tiefe Schatten in ihre kummervollen, vor Schmerz verzerrten Gesichter, verlieh dem ganzen Geschehen eine beängstigende Unweltlichkeit. Es war erst kurz vor Mittag und dennoch stockfinster. Gunther stand mit hängendem Kopf und schlaffen Schultern unter den Versammelten und verfolgte mit leerem Blick und taubem Ohr die Predigt des Morrpriesters, der die Beisetzung seines Kameraden leitete. Stumm bewegten sich die Lippen des alten, in dunkle Roben gewandeten Mannes, wirr bewegten sich seine wild gestikulierenden Hände. Ein dumpfes Rauschen hielt Gunthers Verstand gefangen, die grauen Bilder vor seinen Augen verwirbelten zu dunklem Öl, wenn er seine Gedanken nur für einen Augenblick schweifen ließ. Die Hände des Morrpriesters wurden zu hellen, wirbelnden Bahnen, sein Mund zu einem schwarzen Loch. Dumpf dröhnte sein Herzschlag in seinem Ohr. Er fühlte sich hohl, als wäre sein Inneres herausgerissen worden. Die Schuld wog schwer in dieser Leere. Alfreds Frau und seine zwei Kinder standen mit Andrej und seinem Sohn nah an dem Grab, Gunther mit seiner Familie selbst ein wenig abseits. Er wagte nicht, sie anzusehen, aber dennoch spürte er die vorwurfsvollen Blicke des großen Kisleviten, dennoch hörte er das schwache Schluchzen der Witwe. Tränen stiegen ihm in die Augen und nur mit Mühe konnte er sie zurückdrängen. Ein eisiger Schauer kroch über seinen Rücken. Wieso hatte Alfred sterben müssen? Und wieso durfte er selbst noch leben? Weshalb? War sein eigenes Leben mehr wert? Nein, gewiss nicht. Es war einfach nur ungerecht, dass Alfred tot war und er noch leben durfte. Schließlich hatte die Bestie nach ihm, Gunther, gesucht, nach niemand anderem. Nur nach ihm. Er hatte die anderen mit reingezogen. Hätte er sich einfach gefügt oder es gewagt sich dem Ungeheuer alleine zu stellen, dann würde Alfred noch leben. Dann wäre er nicht tot. Er spürte die Hand seiner Frau an seinem Arm, die ihn auf die Beisetzung begleitet hatte, doch sie konnte ihm keinen Trost spenden. Von seinen Zweifeln und Selbstvorwürfen hatte er ihr nicht erzählt. Es war besser sie für sich zu behalten.
Direkt nach dem Vorfall war Andrej losgerannt und hatte alles der Stadtwache gemeldet und während sich Franz noch um den Leichnam gekümmert hatte, war Gunther, trotz seiner Verletzung, zu Alfreds Frau gegangen und hatte ihr alles erzählt, alles gebeichtet. Er war ehrlich gewesen, hatte nicht versucht, die Sache zu verklären, sich selber alle Schuld gegeben. Die Wahrheit erzählt. Dass seine Freunde sich nur wegen ihm in diese Gefahr begeben hatten. Denn so war es ja auch. Sie hatte ihm erst nicht glauben wollen, ihn angeschrien, was für ein geschmackloser Scherz das sei, doch leider hatte er ihr keinen Streich spielen wollen. Er hatte ihr nur die Wahrheit gesagt. Und als sie das verstanden hatte, bemerkt hatte, dass Gunther es ernst meinte, war sie weinend in der Tür zusammen gebrochen. Er hatte ihr noch helfen wollen, sie halten und trösten, aber sie hatte ihn von sich gestoßen. Ihn angeklagt, beschimpft, ihn für alles verantwortlich gemacht... und immer zu geweint. Er war nicht gegangen, nicht gleich. Hatte es ertragen. Er hatte diese Vorwürfe verdient, schließlich hatte er ihr Leben zerstört. Was nun wohl aus ihr und ihren zwei Kindern werden würde? Betroffen hob Gunther den Blick ein wenig und sah die schwarzgewandete Frau, die in größter Not noch versuchte ihren verbliebenen Stolz zu wahren, vor dem Grab ihres Mannes stand, eingehüllt in einen Mantel aus Trauer und Regen und auch wenn die Augen gerötet waren, doch nur leise schluchzte und auf die nasse, frisch aufgehäufte Erde starrte. Ein schmerzhafter Stich zuckte durch sein Herz, als er dieses Bild sah und er biss sich auf die Unterlippe. Alles seine Schuld. Er sollte dort begraben liegen. Er.
Alfreds Kinder standen bloß da, sahen ihre Mutter an, noch zu jung um wirklich zu verstehen, was geschehen war. Vater kommt nie wieder. Er ist an einem besseren Ort. Worte, die ein Kind nicht begreifen konnte. Nicht begreifen durfte. Alle seine Schuld. Mutlos ließ er seinen Blick wieder sinken, hörte nur dumpf, wie seine Frau etwas zu ihm sagte, einen mitfühlenden Ton in der Stimme, doch er verstand nicht, was. Alles verlor sich in einem tauben Schleier. Schwach schüttelte er den Kopf. Ein sanfter Schmerz in seiner verbundenen Schulter holte ihn schließlich zurück in die Wirklichkeit. Der Stachel der Bestie hatte sein Herz glücklicherweise verfehlt. Die Wunde hatte schlimmer ausgesehen, als sie es tatsächlich war. Er hatte Glück gehabt. Alfred nicht. Er würde sich das nicht verzeihen können. Niemals.
Der Priester des Morr beendete gerade seine Trauerrede, als der Klang schwerer, beschlagener Stiefel die Versammelten aufsehen ließ. Metallisch hallten die Schritte vieler Männer durch die Luft des finsteren Morgens. Zusammen mit der verwunderten Menge wandte Gunther sich um und blickte zur Straße, die zu diesem Morrgarten führte, auf. Eine Gruppe gerüsteter Sigarmpriester schritt den grob gepflasterten Pfad entlang, erfüllte die betretene Stille mit dem Scheppern ihrer Rüstungen. An ihrer Spitze Walther Groll. Gemurmel setzte unter den Versammelten ein. Es war nicht ungewöhnlich, wenn ein einzelner Sigmarit einer Trauerfeier beiwohnte, auch wenn sie Morr nicht direkt verehrten, aber eine ganze Gruppe gepanzerter Priester? Das war mehr als nur sonderbar. Gunther fühlte eine unbestimmte Angst, als sein Blick flüchtig den des Großtheogonisten traf und er zuckte zusammen. Was taten die Sigmariten hier? Was wollten sie? Etwas stimmte nicht.
Die Gruppe der Gerüsteten marschierte auf, drängte sich unsanft durch die versammelten Trauernden und bezog einen Kreis um das frische Grab. Nach einem kurzen Gespräch mit Walther Groll, das Gunther nicht verstehen konnte, zog der Morrpriester sich mit einigen bösen Blicken zurück und verkroch sich kopfschüttelnd an den Rand der Gruppe. Anschließend stellte sich der Großtheogonist an Alfreds letzte Ruhestätte, schlug ein Zeichen des Sigmar und murmelte einen kurzes Gebet, dann wandte er sich an die Hinterbliebenen. „Diesem Mann ist schreckliches widerfahren“, erhob er seine alte, doch mächtige Stimme, „er ließ sein Leben im Kampf gegen einen grauenhaften Schrecken, der unsere Stadt schon seit Wochen heimsuchte!“ Er schwieg eine Weile, vielleicht um seinen Worten mehr Wirkung zu verleihen, aber niemand antwortete ihm oder wagte es etwas zu erwidern. Die meisten der Anwesenden blickten ihn nur stumm an, den Blick voll Zweifel und Angst oder aber angefüllt mit Zorn, weil er es gewagt hatte die Trauerfeier zu stören. Auch Sigmariten wurde nicht alles verziehen. Bei weitem nicht. Die gepanzerten Priester blickten nur mit strengem Blick in die Menge und rührten sich nicht. „Doch er ging in Ehre von uns“, setzte Groll seine Rede plötzlich fort, „und es ist nicht an der Zeit um ihn zu trauern, denn ich als Sigmars eingesetzter Stellvertreter in dieser Welt weiß, er ist in die glorreichen Hallen unseres obersten Gottes eingezogen und sitzt dort an seiner Seite, auf uns schauend und lasst mich euch sagen“, unterbrach er sich noch einmal kurz und warf einen ernsten Blick in die Runde, ehe ein freundliches Lächeln seine Lippen zierte, „er gab uns wahrlich einen Grund zum Feiern, denn dank ihm und seinen tapferen Kameraden, weilt dieses abscheuliche Monster nicht länger unter uns!“ Nun ging ein verblüfftes Raunen durch die Menge. Verwundert blickten die Leute erst ihren Großtheogonisten an, dann sich gegenseitig und begannen fast augenblicklich zu tuscheln. Bis jetzt kannten sie nur eine Version der Geschichte und in der war die Bestie entkommen. Gunther legte seine Stirn in zweifelnde Falten. Was erzählte Groll da? Das Ungetüm war geflohen, nach dem es Alfred geschlachtet und beinahe auch noch Franz erwischt hatte. Er selbst war nur mit einer hässlichen Verletzung davon gekommen. Sie hatten es nicht erwischt. Oder doch? Nein. Das Biest lebte noch! In seine Gedanken versunken, bemerkte er nicht, dass man seinen Namen rief. Erst als ihm eine Stadtwache von hinten an die Schulter stieß, blickte er verwundert auf. „Gunther, komm zu mir“, hörte er die freundliche Stimme Walther Grolls, der ihm lächelnd die Hand entgegenstreckte. Für einen Schlag lang setzte sein Herz aus. Was wollte er von ihm? Ihn verhaften, weil er die Bestie auf eigene Faust hatte fangen wollen und dabei den Tod eines Kameraden verschuldet hatte? Waren deshalb so viele Gerüstete anwesend? Oder wollte er ihn feiern? Für was? Die Bestie lebte. Dessen war er sich sicher. Sie hatten sie zwar verwundet, aber sie war geflohen. Was wurde hier gespielt?
Die Umstehenden begannen ihn nach vorne zu schieben, als er sich vor lauter Verwunderung nicht selbst bewegte. In Grolls Blick hatte sich mittlerweile eine Spur von Ärger geschlichen. Dennoch ergriff der Großtheogonist seine Hand, als er ihn erreicht hatte, zog ihn durch den Ring der gepanzerten Priester und hielt sie in die Höhe. „Diesem Mann verdanken wir, dass wir die Bestie erlegen konnten! Altdorf ist frei von diesem Schrecken und wir können wieder in Ruhe schlafen!“ Die Versammelten begannen zu jubeln, von einigen kam Beifall, aber Gunther glaubte einfach nicht was er da hörte. Er konnte es nicht fassen! Das hier war eine Beerdigung, eine Totenfeier und Groll machte daraus eine Parade, mit hoffnungsfrohen Reden und Lobpreisungen! Für Alfreds Frau gab es aber keine Hoffnung. Für sie war egal, ob die Bestie tot war oder nicht. Ihr Mann, der Vater ihrer Kinder, war tot. Gunther versuchte sie mit Blicken um Verzeihung für das zu bitten, was gerade geschah, aber sie stand nur mit gesenktem Kopf und ihren zwei Kindern am Rande der Gruppe und starrte auf den Boden. Andrej sah ebenso verwundert aus wie er selbst.
Als Groll seine Rede beendet hatte und der Jubel verebbte, trat einer der Sigmarpriester aus der Reihe, zog ein Stück Pergament unter seinem Harnisch hervor und begann zu lesen: „Die werten Soldaten voller Ehre mit den Namen Franz Richard Ackermann, Hans Strebling und Andrej Tosslow mögen bitte vortreten. Ihnen wird die große Ehre zu teil, für ihre Tapferkeit mit dem Zeichen des Sigmar gesegnet zu werden. Wir stehen alle in ihrer Schuld.“ Die Stimme des Mannes klang tonlos und wenig überzeugend, dennoch schälten sich Gunthers verwunderte Kameraden aus der Menge und schlossen zu ihnen auf. Der Sigmarit rollte das Pergament wieder zusammen, ließ es unter seiner Rüstung verschwinden und stellte sich zurück in den Kreis. Als sie sich alle um Groll versammelten hatten, wagte Gunther es das Wort an den Großtheogonisten zu richten.
„Meister Groll,“ begann er mit sorgenvoller Stimme „wir haben die Bestie nicht erlegt, sie konnte uns entwischen! Ich bin mir sicher! Was geschieht hier?“ Er war überzeugt davon, dass hier etwas faul sein musste. Etwas stimmte ganz und gar nicht. Trotz der nun insgesamt fröhlichen Trauergäste lag eine gefährliche Spannung in der Luft. Gunther traute den Sigmariten überhaupt nicht. Er warf einen kurzen Blick zu seiner Frau, die ihm mit Stolz ihm Blick ein ermunterndes Lächeln zu warf. Sie musste glauben, er würde jetzt vor Freude und Erleichterung platzen. Die Bestie war nicht tot. Und sie hatte es noch immer auf ihn abgesehen. Das wusste er.
„Oh doch, mein Sohn, ihr habt sie erwischt. Sie ist euch zwar entkommen, aber die schweren Verletzungen, die ihr beigefügt habt, ließen sie langsam und schwach werden, so dass meine Leute sie überrumpeln und töten konnten.“ Gunther hörte die Lüge in seinen Worten und runzelte die Stirn. Der Sigmarit gab sich nicht mal Mühe überzeugend zu wirken. Es war ihm egal, ob die vier Männer ihm glaubten oder nicht. „Wirklich?“, fragte Hans mit unverhohlenem Zweifel, „Das Biest war unglaublich stark, wir konnten fast nichts gegen es ausrichten, seid Ihr sicher, dass...“
„Absolut!“, schnitt Groll ihm mit scharfer Stimme das Wort ab. Sein Ton ließ keine Kompromisse zu. Gunther fühlte sich immer unwohler. „Wir haben ihre Leiche ausgestopft und werden sie morgen zur Mittagsstunde auf dem Marktplatz ausstellen, damit das ganze Volk weiß, welch große Tat ihr vollbracht habt“, fuhr er mit sanfterer Stimme fort. Gunthers Zweifel ließen einen wenig nach. War das wirklich so? Sprach der Mann die Wahrheit? Wenn er die Leiche hatte, dann gab es ja einen eindeutigen Beweis dafür, dass sie die Bestie wirklich erlegt hatten. Gab es Hoffnung für ihn? Hatten sie es wirklich geschafft? War das Untier wirklich tot?
Erneut hob der Großtheogonist seine Hand hoch und wandte sich wieder an die Menge. „Wir bringen unsere Helden nun in den Tempel des Sigmar, um ihnen ihre verdiente Ehre zu teil werden zu lassen!“ Gunther spürte wie der Großtheogonist den Griff um sein Handgelenk deutlich verstärkte. Er biss die Zähne zusammen um nicht vor Schmerzen zu stöhnen. Schließlich wandte Groll sich an einen seiner Sigmarpriester und sagte ihm mit leiser Stimme, „Bringt sie weg!“, dann drehte er sich um und schritt durch die Menge. Augenblick traten vier Hammerträger an das Grab, packten die Kameraden grob an den Armen und führten sie hinter Groll her. Gunther hatte überhaupt kein gutes Gefühl bei der Sache. Das kurze Flackern seiner Zweifel war verschwunden. Groll log ihn an. Im Vorbeigehen warf er seiner Frau einen ganz bestimmten Blick zu, der ihr sagen sollte, dass hier etwas gewaltig faul war. Sorge mischte sich in ihre Züge und fast tat es ihm leid, dass er sie nicht in ihrem Gutglauben gelassen hatte. Doch er war sich sicher, dass er in tiefen Schwierigkeiten steckte und es war besser, wenn seine Frau darauf vorbereitet war. Aber was hatte Groll mit ihnen vor, wenn doch die Bestie angeblich erlegt war? Es konnte gewiss nichts gutes sein und er fühlte, wie ohnmächtige Angst in seinem Herz keimte. Bislang hatte der Großtheogonist ihm immer ein Gefühl von Sicherheit gegeben, doch nun fürchtete er sich mehr vor ihm, als vor dem Ungeheuer, das sie angeblich getötet hatten. Wenn er ihm übles wollte, dann könnte er nichts gegen ihn tun. Unsanft schleiften die gepanzerten Sigmariten ihn hinter sich her, sprachen kein Wort, wirkten angespannt und ernst. So behandelte man keinen Helden. So behandelte man einen Gefangenen.
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