Ach ja, es muss weitergehen. Eigentlich ist der Teil erst zu 2/3 fertig, da sollte noch was ran, wird jetzt aber ins nächste Kapitel ausgelagert, um hier mal wieder ein Lebenszeichen zu senden. Daher auch recht kurz. Aber Job tötet mich und mein zweites eigenen PnP steht kurz vor der (textlichen) Fertigstellung. 😉 Neuen Schlagzeuger in der Band, da muss geprobt werden, bis 22. März neue Aufnahmen.... haaach schön, so viele Ausflüchte 😀
Die Szene, mit der ich mich übrigens so schwer getan hat, war der Dialog mit Walther Groll am Anfang. Weiß nicht wieso, wollte mir nicht so recht gelingen und ist auch jetzt alles andere als perfekt... aber gut, ich habe es hinter mir. Jetzt ist er so 😉
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Kapitel XX
Das verlorene Kind
„Du hast nicht lange auf dich warten lassen“, empfing Walther Groll seinen soeben eingetroffenen Gast, erhob sich vom Stuhl und streckte die Hand zum Gruß aus, doch die junge Frau hielt sich im Schatten und würdigte ihn nicht mit einem Blick. Sie schien sich umzusehen, wanderte an der Wand entlang und betrachtete die Bilder, Wandteppiche, Geweihe und Waffen, die dort hingen. Schließlich gelangte sie an einen Schrank, in dem sorgsam zusammengebundene Schriftrollen aufbewahrt wurden. Ohne eine Spur von Respekt griff sie hinein, löste das Siegel von einer Rolle, entfaltete sie und begann zu lesen. Walther musste sich ernsthaft zusammen nehmen, um nicht wieder vor Zorn zu platzen, doch es gelang ihm! Mit raschem, aber beherrschtem Schritt ging er um den Tisch herum, lief zu der Frau, packte ihre Hand und nahm ihr die Schriftrolle weg. „Die sind nicht für deine Augen bestimmt, Kaethe“, tadelte er mit fester Stimme, doch er hatte sich im Griff und machte seiner schmirgelnden Wut keinen Platz. „Mach dir bitte nicht ins Hemd!“, antwortete ihm die Frau mit belustigter, doch gleichzeitig schneidender Stimme und sah ihm fest in die Augen. Walther betrachtete ihr Gesicht eindringlich. Es war einige Jahre her, dass er sie zuletzt gesehen hatte. Langes, lockiges Haar von der Farbe frischer Erde fiel ihr über die Schultern und ihr Blick schien zunächst unschuldig wie der eines Rehs, funkelte aber dennoch voll trügerischer Tücke. Für einen kurzen Moment verlor er sich in ihren braunen Augen. Schließlich befreite sich Kaethe aus seinem Griff und rieb sich das schmerzende Handgelenk, während er die Schriftrolle zurück in den Schrank legte. „Du bist noch immer sehr grob und hart wie ein Stein“, sagte sie leise, doch doch ihre Zunge schnitt scharf wie eine Klinge. Ihre Augen funkelten vorwurfsvoll. „Du hast dich kaum verändert, Vater!“, zischte sie und wich einen Schritt von ihm zurück, musterte ihn von oben bis unten, „Nur alt bist du geworden!“
Walther seufzte, wandte sich ab und begab sich zu seinem Schreibtisch zurück. Er bot Kaethe einen freien Stuhl an, doch sie blieb trotzig stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du hast dich allerdings verändert, meine Tochter“, entgegnete er und ließ sich auf den Schemel nieder, während er ihr schauerliches Äußeres mit abfälligen Blicken bedachte. Er schüttelte den Kopf und begann nervös mit den Fingern auf der Tischplatte zu trommeln. „Was hast du nur für Lumpen an?“, fragte er sie und versuchte dabei ausgelassener zu klingen, so als hätte er es nicht ernst gemeint, oder vielleicht einen Scherz gemacht. Doch in der Tat lief seine Tochter in grauen und schwarzen, ledrigen Fetzen und Pelzen durch die Gegend, mehr schlecht als recht gekleidet, zerschlissen und abgetragen. Behangen mit allerlei Knochen und anderem okkulten Blödsinn wirkten ihr junges, schönes Gesicht und ihr schlanker Hals völlig fehl am Platz. Sein eigen Fleisch und Blut, gewandet wie eine Wilde. Einige von ihren Schmuckstücken hätten wohl gut in seine Kammer gepasst.
„In den Bergen gibt es nichts besseres.“, giftete sie ihn an und ihr Blink schien Funken zu sprühen. Walther seufzte traurig und kratzte sich am Kopf. Noch eine Seele, die ihm nicht verzeihen wollte, auch wenn es ihn nicht im mindesten wunderte. „Hast du mir noch immer nicht vergeben können?“, fragte er sie, obwohl er die Antwort bereits kannte. Sie lachte nur ein kaltes, freudloses Lachen und spie ihm auf den Tisch. Heißer Zorn brodelte in ihm auf, als ihr Speichel, einem Funken auf trockenem Reisig gleich, vor seiner Hand auf das Holz schlug, wollte mit Stichflammen aus ihm heraus brechen, ihr Flüche und andere Bösartigkeiten wie eine Feuersbrunst vor den Kopf schleudern, sie einhüllen in sein glühendes Toben, doch er riss sich zusammen, ballte mühsam beherrscht die Hände zu Fäusten und blieb ruhig. Sie war im Recht. Nur eine dunkle Ader, die auf seiner Stirn pochte zeugte von seinem inneren Zorn und seiner mühseligen Beherrschung. „Ich hatte keine Wahl!“, presste er hervor und ärgerte sich darüber, dass schon wieder alte Suppen angewärmt wurden. Nicht einmal er war so nachtragend! „Natürlich hattest du die!“, zischte sie böse, schritt schnell um den Tisch und umfasste das bärtige Gesicht ihres Vaters mit ihren schlanken Händen, ehe er sich hatte erheben können. Ihre Züge formten eine unschuldige Maske, während ihre Finger wie aus Hohn über seine Wangen streichelten. „Du musstest dein eigenes Kind in die Berge verbannen, nicht wahr?“
„Ich konnte nichts dafür!“, knurrte er wütend, sprang auf und schob sie mit dem Arm grob von sich, brachte einige sichere Schritte zwischen sich und seine Tochter, „Wie hätte ich gestehen können, dass du meiner Linie entstammst? Du bist nicht unter Sigmars Kometen geboren, ohne den Segen unseres Gottes... sie hätten dich...“
„Sie hätten dich geächtet und verstoßen, Vater, nicht mich! Dich! Deshalb hast du geschwiegen! Deshalb hast du mich verbannt und aus der Stadt jagen lassen!“, unterbrach sie ihn harsch. Ihre Worte drangen wie Peitschenhiebe auf ihn ein, jede Silbe stach so scharf von ihrer Zunge, dass er unter ihr zusammenzuckte! Hexenwerk! „Und deine Tochter hat geschwiegen, bloß um dich zu schützen! Und was war der Dank? Gar nichts!“
„Du hast nachts Leichen vom Friedhof gestohlen, sie aufgeschnitten und in ihren Eingeweiden gewühlt, wie eine Ratte in einem Erdloch!“, entgegnete er ihr, bereits mehr schreiend als sprechend, schäumender Speichel flog mit jeder Silbe aus seinem Mund, die Adern auf seiner Stirn pochten gefährlich, „Hättest du nicht die ehrbare Ruhe der Toten gestört, hätte ich nicht so handeln müssen!“ Im Kreis liefen sie um den Tisch herum und funkelten sich giftig an, wie zwei sich belauernde Raubtiere. „Ich tat es auf dein Geheiß!“, klagte sie ihn an, „Für deine Taten wurde ich gestraft, oh ehrbarer Sigmarpriester!“ Voller Spott troffen ihr die Worte über die Lippen. „Pass auf was du sagst, Kaethe“, drohte er ihr unvermittelt, doch sie fuhr wild gestikulierend fort und beachtete seine Warnung nicht. „Und nun bist du Großtheogonist zu Sigmars Tempel in Altdorf! Oh, großer Vater, ich verneige mich vor dir und deinem Anstand! Es hat dir kaum geschadet, dich deiner Tochter zu entledigen! Sieh dich an! Sieh nur, wo du jetzt stehst!“ Sie zeigte auf seine prunkvolle Rüstung und seinen weißen Mantel aus feinem Stoff, dann zupfte sie an ihren eigenen zerschlissenen Roben. „Und sieh, wo ich jetzt stehe“, sagte sie mit einem falschen Grinsen im Gesicht und machte einen kleinen Knicks. Mit aller Kraft versuchte Walther sich zu beherrschen, doch mehr und mehr stichelte sie ihn an, mehr und mehr Vorwürfe schleuderte sie ihm entgegen. „Es scheint, als belohne Sigmar die Verräter und strafe die, die treu zu ihrem Vater stehen! Was für ein Gott der Schande, wenn er...“
„Schweig!“, polterte Walther, war mit zwei großen Schritten heran und gab ihr eine schallende Ohrfeige! Unvorbereitet getroffen stürzte Kaethe zu Boden und schlug hart auf den Marmor. Schnaufend stand ihr Vater über ihr und kämpfte mit seiner überschäumendem Wut, um ihr nicht noch einen Schlag zu verpassen. „Wage es ja nie wieder, Sigmars Namen in meiner Gegenwart zu besudeln, sonst zerre ich dich eigenhändig auf einen Scheiterhaufen!“, flogen die brennenden Wortes des Zorns durch seinen bebenden Bart. Kaethe wälzte sich auf dem Boden und lachte herablassend, während Walther ihr nur wütende Blicke zu werfen konnte. Schließlich zog sie sich anmutig an der Wand hoch und ihre schwarzen Roben schienen eins mit den Schatten zu werden. Genüsslich leckte sie sich das dunkelrote Blut von ihrer gesprungenen Lippe und warf ihrem Vater einen unergründlichen Blick zu. Einige Augenblicke verstrichen, ohne dass einer von beiden die Stimme erhob. Stumm standen sie da und betrachteten sich gegenseitig voll Ärger, Mitleid, Hass und Trauer. „Warum hast du mich rufen lassen?“, fragte sie ihn unvermittelt und brach die gespenstische Stille.
Der Großtheogonist runzelte verwundert die Stirn darüber, dass sie sich weitere Anschuldigen sparte, obwohl er fest damit gerechnet hatte, entspannte sich dann aber sichtlich. Hatte sie sich von seiner Drohung einschüchtern lassen, oder war sie des Spiels überdrüssig geworden? Es spielte keine Rolle.
Er kehrte zum Tisch zurück und setzte sich, faltete die Hände und blickte auf das Chaos, das sich vor ihm erstreckte und das er vorhin selbst erst angerichtet hatte. „Du warst sehr schnell hier“, stellte er mit ruhiger Stimme fest, „Ich hab den Brief erst vor zwei Tagen gen Osten geschickt, ich hätte erst in ein paar Wochen mit dir gerechnet. Was tust du schon hier?“
„Im ganzen Imperium spricht man von Altdorf und seinen Geheimnissen“, entgegnete sie, dann blickte sie ihm scharf in die Augen, „und von seinen Sigmarpriestern. Eine Bestie, die sich nicht fangen lässt, Menschen entführt und Sigmar... unternimmt nichts? Denkst du, ich hätte der Stadt fern bleiben können, nachdem all' diese Gerüchte bis zu mir drangen? Ich bin schon seit einer Weile hier.“
Sie schenkte ihm ein gekünsteltes, unschuldiges Lächeln, doch Walther beachtete es nicht. „Wie hat dich der Bote gefunden?“
„Hat er nicht. Ich habe ihn gefunden.“
„Hast du ihn umgebracht?“
„Natürlich nicht, Vater! Was denkst du von mir?“, zischte sie, beinahe entsetzt und ihre Augen weiteten sich voll Zorn. „Ich habe ihm die Nachricht gestohlen! Glaube nicht, ich hätte dich nicht beobachtet!“ Erneut zauberte sie ein täuschend echtes, doch abgrundtief falsches Grinsen auf ihre Züge. „Ich weiß mehr als du glaubst.“ Walthers Finger trommelten unruhig auf der Tischplatte, aber ansonsten ließ er sich seine Wut nicht anmerken. „Und ich bin nicht wie du!“, schloss sie mit kaltem Zorn in der Stimme, doch ihr Vater hörte ihr schon überhaupt nicht mehr zu, sondern hatte sich seinen Gedanken hingegeben. Kaethe hatte also ein paar seiner Briefe abgefangen und gelesen, doch das bedeutete gar nichts. In das meiste würde er sie ohnehin einweihen müssen. Er sah ihr eindringlich in die braunen Augen und überlegte, bis seine Tochter ihn schließlich aus seinen Grübeleien riss.
„Also, Vater, nun sag mir endlich: Was willst du von mir?“
„Im Handwerk der Toten bist du unerreicht, kaum jemand kennt sich mit der Anatomie von Mensch und Tier so gut aus wie du“, sagte er und schien erneut nicht auf ihre Frage eingehen zu wollen, „schon in jungen Jahren hast du deine Haustiere präpariert und ausgestopft, als du älter wurdest, hast du mir geholfen die Geheimnisse des Untodes zu ergründen. Du hast Leichen ausgegraben und aufgeschnitten und dadurch mehr über den Körper des Menschen und den des Untoten gelernt, als irgendjemandem möglich gewesen wäre, der nach Sigmars Gunst strebt und nach seinen Werten handelt.“ Sie nickte nur knapp, verschränkte die Arme wieder vor der Brust und legte den Kopf schief. „Und?“, fragte sie und kniff die Augen zu misstrauischen Schlitzen zusammen. Walther Groll lächelte grimmig und erhob sich gemächlich vom Stuhl. Er nahm einen versiegelten Brief vom Tisch, der eine genaue Beschreibung der Bestie enthielt, vernommen von einem Augenzeugen, einem Mitglied der Stadtwache und nach dessen Vorgaben erstellt. Eine Zeichnung. Er reichte ihn Kaethe, die ihm ihn sogleich aus der Hand riss, das Siegel aufbrach und den Inhalt betrachtete. Verwundert zog sie eine Augenbraue hoch. „Was soll das?“, fragte sie und schien keine Ahnung zu haben, was ihr Vater von ihr wollte.
„Ich will, dass du mir eine Bestie schaffst.“, erklärte Walther Groll.
Rumpelnd bahnte der schwerfällige Ochse den hölzernen Rädern des Karrens den Weg über den steinigen, durchgeweichten Untergrund. Noch immer regnete es ohne Unterlass und die dunklen Sturmwolken am Horizont rückten bedrohlich näher. Odinoki warf dem Unwetter missmutige Blicke zu. Es erschien ihr wie ein bösartiger Schatten, der sich dem Land bemächtigen wollte, unaufhaltsam immer näher und näher rückte, bereit alles zu verschlingen und in Finsternis zu hüllen. Ihr schauderte. Fröstelnd rieb sie sich die Arme. Sie wandte sich um und betrachtete Klaus Peter, der vorne auf dem Bock neben dem beleibten Kutscher saß und sich mit ihm unterhielt. Sie hatten den Mann, Oswald war sein Name, und seinen Ochsen unterwegs getroffen, vor etwa einem halben Tag, bei dem Versuch den festgefahrenen Karren aus dem Schlamm zu befreien. Klaus Peter hatte ihnen geholfen, hatte die Kutsche ganz alleine aus dem Dreck gezogen und Oswald hatte ihn ungläubig angestarrt, erschrocken und beeindruckt von seiner Kraft. Auch Odinoki hatte sich ein wenig erschreckt. Sie wusste nicht woher es kam, aber sie wusste, dass ein Mann nicht so stark sein sollte, wie Klaus Peter es war. Insgesamt waren einige Dinge an ihm sonderbar, die ihn von den anderen Menschen unterschieden. Seine kalte, weiße Haut... seine Augen... Sie zuckte mit den Schultern. Es spielte keine Rolle. Als Dank nahm Oswald sie nun jedenfalls Richtung Altdorf mit, die Stadt, zu der Klaus Peter aus irgendeinem Grund unbedingt wollte. Odinoki selbst war es egal. Es war nicht wichtig, wo sie war, Hauptsache sie blieb bei ihm. Solange würde alles gut sein. Sehnsüchtig wartete sie darauf, dass er ihr nur einen Blick schenkte, doch er unterhielt sich unablässig mit dem dicken Oswald und beachtete sie überhaupt nicht. Würdigte sie nicht eines Blickes. Enttäuscht seufzte sie und wandte sich wieder von ihm ab und betrachtete die Straße, die sie Meter für Meter hinter sich ließen. Der Weg nach Altdorf war ein einziges Schlammloch, durchgeweicht, nass und dreckig. Es war kein schöner Weg. In ihrer Hand fühlte sie das warme Metall des Ringes, den sie im Schlamm gefunden hatte. Sie wagte es nicht, die Finger zu öffnen und ihn anzusehen. Er war unheimlich und sie wollte ihn nicht haben. Aber sie konnte ihn nicht loslassen. Sie konnte es einfach nicht.
Ein dunkles Gefühl kroch von dem Ring aus durch ihren Arm, stahl sich bis in ihr Herz und fühlte es mit ängstlicher Kälte. Ihr Atem ging schwer und sie hörte das Blut dumpf in ihren Ohren Pochen. Nun, als sie so darüber nachdachte wurde das unheimliche Gefühl, das von dem Ring ausging immer schlimmer, immer aufdringlicher, zwang sich in ihre Lungen und schien ihr die Luft zu rauben. Es drang in ihre Beine und Arme, ließ sie lahm werden und kalt, bis sie sie kaum noch spüren konnte. Panisch riss sie die Augen auf, als sie merkte wie das Gefühl mehr und mehr aus ihrem Körper wich, aber sie konnte sich nicht rühren, konnte den Ring nicht loslassen. Eisern umschlungen hielt sie ihn in ihrer Faust und fühlte, wie sich die eisige Kälte in ihr ausbreitete. Stumme Tränen rannen ihr über die hellen Wangen, unvorstellbare Hilflosigkeit füllte ihre Gedanken aus. Sie wollte schreien, wollte Klaus Peter rufen, damit er ihn wegnahm, aber ihr Mund wollte ihr nicht gehorchen. Ihre Lippen bewegten sich schwach, wie von Geisterhand, brummelten seltsame Worte, die sie nicht verstand. Ihr Herz schlug immer langsamer, wurde müde und träge, pumpte mit letzter Kraft das Blut durch ihren Leib, immer und immer langsamer, immer und immer schwächer. Ihre Lider wurden schwer wie Blei, drohten ihr zu zufallen und kaum war es ihr möglich, ihre Augen offen zu halten, als sich wie von selbst die Finger ihrer Hand aufbogen und das böse Innere ihrer Faust enthüllten. Die Zeit schien endlos langsam zu fließen, glitt ebenso wie ihr Blut, gleich klebrigem Honig durch ihre Lebensfäden. Sie blinzelte müde, erkannte den Ring, der gar nicht mehr golden war, sondern blutrot mit schwarzen, hässlichen Linien darauf. Er schien in ihrer Hand zu pulsieren und ihr das Leben aus dem Herzen zu ziehen. Odinoki blinzelte schwach und spürte, wie die Kälte des Ringes, die fast schon ihren ganzen Körper ausfüllte, langsam in ihren Kopf kroch und ihre Gedanken vergiftete. Ihr schwaches Herz schlug... schlug... noch einmal... noch einmal...
Und sie war schon dabei sich der Kälte restlos hinzugeben, als der dunkle Sog des Ringes schließlich ihr Denken in schwarze Dunkelheit getränkt hatte.
Geh fort von hier!
Entsetzt riss Odinoki die Augen auf. Kochend heiß donnerte das Blut durch ihren Leib, trat rot in ihre unterlaufenen Augen, dröhnte hinter ihren Stirn und in ihren Ohren. Voll Abscheu und Furcht warf sie den Ring von der Kutsche, schleuderte ihn in den Schlamm. Die Stimme! Es durfte nicht sein! Niemals! Sie wollte sie nicht mehr hören! Mit aufgerissenen Augen betrachtete sie die Stelle, an der der Ring in den Schlamm gesunken war. Spürte ihr rasendes Herz schmerzhaft in ihrer Brust schlagen. Keuchend klammerte sie sich an das Holz des Karrens, kämpfte mit der Übelkeit. Die Stimme! Sie hatte sie wieder gefunden! Sie war ihr gefolgt! Tränen des Zorns brannten ihr in den Augen und auf den Wangen, eisern biss sie die Zähne zusammen. Sie wollte schreien, sie wollte weinen, heulen, brüllen, fluchen, hassen! Aber irgendetwas riss sie zusammen, verschnürte sie, verhinderte, dass sie ihrer Wut, ihrem Hass, ihrer Trauer, ihrer Furcht und ihrer Qual Luft machte.
Geh fort von hier!
Erklang noch einmal die leiser werdende Stimme, die mit jedem Schritt, den der Karren voran rumpelte, dünner und dünner wurde, bis sie kaum noch zu hören war und schließlich ganz verschwand. Sie war weg. Fort. Verschwunden mit dem Ring. Weg. Erleichtert atmete sie auf und schien sich gerade zu beruhigen, da zuckte ein gleißender Blitz durch das Gewitter. Hasserfüllt und unerbittlich schwappte der Schatten mit dem Donnerschlag über die Berge, brüllte so fürchterlich auf, dass es ihr in den Ohren schepperte. Heiß brandete seine Wut in ihr Gesicht, ließ ihr Haar flattern und ihre Lippen aufreißen. Dunkelheit, Bosheit und Zorn erfüllte ihr Denken, Schatten wisperten in ihrem Kopf oder kreischten gleich hässlichen Raubvögeln, zerhackten mit grausamen Schnäbeln ihren Willen. Furcht und Bosheit rangen in ihr miteinander, spielten mit ihrem Herzen wie mit einer alten Stoffpuppe, rissen sie umher, zerfetzten sie, bis alles Futter auf dem Boden verstreut lag und im Staub zertreten wurde.
Wie von Sinnen schrie Odinoki sich ihre Seele aus dem Leib und sprang vom Karren. Der Matsch spritzte hoch auf, als sie auf dem Boden landete und leckte gierig nach ihren Beinen. Fast bis zu den Knien sank sie ein. Sie warf sich nach vorne und unfähig in dem tiefen Schlamm zu laufen oder gar zu rennen, robbte und kroch sie durch die nasse, aufgeweichte Erde, das aufquellende Regenwasser vorwärts, auf die Stelle zu, an der der Ring versunken war. Dröhnend folterte der Schatten ihre Seele und zwang sie weiter zu kriechen, sich dem Ring zu nähern. Sie wollte das nicht! Er sollte dort bleiben, verborgen in seinem nassen Grab! Sie weinte hemmungslos, doch sie konnte nicht anders! Die Stimme wurde lauter und lauter.
Geh fort von hier!
Endlich hörte sie, wie hinter ihr Schlamm aufspritzte, als er von der Kutsche sprang um sie zu retten, wie er ihren Namen rief und ihr sagte, sie solle stehen bleiben. Doch sie konnte sich nicht umwenden und sie konnte ihm nicht sagen, dass sie es nicht konnte. Sie war schon viel zu nah an dem Ring. Bald hatte sie ihn! Wie ein heißes Messer schnitt die Stimme durch ihre Gedanken und verstümmelte jegliche Vernunft. Ließ blutige Schmerzen durch ihren Schädel toben.
Geh fort von hier!
Was mochte Klaus Peter wohl von ihr denken? Wie sie sich so voller Wahn in den Schlamm stürzte? Was mochte er nur von ihr denken? Bestimmt wäre er wütend. Bestimmt würde er sie hassen! Er würde es nicht verstehen können. Sie verstand es ja selbst nicht mal! Ihr Körper war bereits in der brauen Suppe verschwunden, als ihr ein Schwall schwarzes Wasser in den Mund schwappte und sie hinab zog. Binnen eines Lidschlages drang ihr die flüssige Erde in die Nase, in die Augen, in die Ohren, hüllte sie ein und nahm ihr die furchtbaren Gedanken. Dunkelheit umfing sie, als sie auf den Boden der Schlammpfütze sank. Langsam und gemächlich, ohne jede Eile oder Furcht ließ sie sich treiben, spürte die Schwere des Wassers um sich herum. Vielleicht war es besser so. Wenn alles vorbei wäre? Sie spürte, wie sie nicht mehr tiefer sank und blieb ruhig liegen. Sie lächelte. Still war es hier. Angenehm still. Kein Laut drang mehr an ihre Ohren, kein böser Schatten, keine entsetzliche Angst. Still war es hier. Und friedlich. Es verwunderte sie nicht, als sie den Ring mit ihren wühlenden Fingern ertastete und ihn darin einschloss. Doch sie fürchtete sich auch nicht mehr vor ihm. Er würde hier mit ihr liegen bleiben. Für immer verborgen und verloren. Er konnte ihr nichts mehr tun. Unter Wasser musste seine Stimme schweigen. Stille. Sie schloss die Augen und spürte, wie ihre Nase und ihr Mund sich mehr und mehr mit erstickendem Matsch füllten, sie fort rissen von Wärme, Licht und Leben. So war es besser. Viel besser! So war es friedlich.
Doch dann wurde sie von starken Händen an den Schultern gegriffen und der Dunkelheit entrissen.
Und mit ihr der Ring.