WHFB Die Kinder Sigmars + Die Kinder des Drachen

Wie versprochen...

Kapitel XII
Odinoki





Ein schmale Rauchsäule sti
eg zwischen den zwei Holzstücken auf, die von den Händen des Mädchens kräftig aneinander gerieben wurden und kräuselte sich als grauer Faden durch die kühle Abendluft. Der Geruch der enstehenden Glut stieg ihr in die Nase. In dem trockenen Gras, das sie ausgerissen hatte, begann es zu glimmen. Nun legte sie ihre Hände um die kleine Feuerstelle und blies ein paar mal kräftig hinein, nährte den keimenden Brand. Bereits jetzt liebkoste die Wärme ihre steifen Finger. In kleinen Wolken stand ihr Atem vor ihren gesprungenen Lippen und verlieh der Kälte einen malerischen Ausdruck. Die Nacht würde eisig werden. Und es dämmerte bereits. Die Sonne zog sich zurück und hinterließ nur noch einen roten Glanz irgendwo hinter den hohen Bergen am Horizont. Sie musste sich beeilen!

Schließlich, nach einiger Zeit und weiterem Reiben kämpfte sich eine kleine Flamme aus den verdorrten Halmen und begann gierig nach ihnen zu lecken. Nach und nach fraß sie an ihnen, entzündete sie mit ihrer züngelnden Gier. Die Flamme wuchs.
Das Mädchen legte nun ein paar tote, abgebrochene Äste in das Feuer und beobachtete, wie es nach dem leblosen Holz griff, immer und immer größer wurde. Nach einer Weile würde sie ein paar dickere Scheite hinein legen, damit das Brennen reiche Nahrung hatte. Welche, von der es länger zehren konnte. Dann musste sie nur noch darauf achten, dass es über Nacht nicht erlosch und hin und wieder trockenes Holz nachlegen. Sie fürchtete sich nicht vor der Finsternis, die das Verschwinden der Sonne brachte, nein, im Gegenteil, sie liebte sie. Jedes mal wenn die Dunkelheit sie umfing fühlte sie sich wohl. Geliebt. So, als würde der Abend seine väterlichen Arme zärtlich um ihre Schultern legen. Im Dunkeln war sie zu Hause. Sie liebte es.

Doch die Nacht brachte auch die Kälte, ein gnadenloser Gegner, dem sie in ihren zerfetzten, dreckigen Lumpen nicht gewachsen war. Ein Gegner, der sich nur mit einem wärmenden Feuer bekämpfen ließ. Ihr war klar, dass sie ohne solch' ein Feuer in der Nacht bitterlich frieren, vielleicht sogar erfrieren würde. Außerdem half der Rauch gegen wilde Tiere, vertrieb sie mit seinem gefährlichen Gestank, mit seiner Drohung von Asche und Tod. Sie rieb sich die Hände, blies in sie hinein, wie zuvor bereits in die Glut und hielt sie dann so lange dicht an die tanzenden Flammen, dass die Hitze unerträglich wurde und ihre Finger zu schmerzen begann. Sie setzte sich im Schneidersitz vor das Feuer, legte das erste größere Stück Holz hinein und starrte verloren in das orange Licht. Die ersten Flammenkronen loderten mit blauem Glanz auf und haschten vorsichtig nach dem dicken, abgestorbenen Ast, betasteten ihn prüfend, ehe sie ihn mit aller Gewalt einfingen. Wohlige Wärme überzog den, vor Schmutz starrenden Körper des Mädchens.
Bis zu ihren Knien hinauf trug sie Stiefel aus getrocknetem Schlamm über ihren nackten Füßen und auf ihren Oberschenkeln waren Grasflecken und verschmiertes Harz. Ihre Beine waren voller Prellungen, voller blauen und schwarzen Flecken und überzogen mit endlosen Kratzern, flachen Schnittwunden und Stichen. Sie war gelaufen. Gelaufen durch den Wald. Durch Unterholz und über Steine. Durch reißende und stechende Dornensträucher, bösartige Ranken. Sie war gelaufen. Viele, viele Tage lang, so schien es ihr wenigstens. In ihren schwarzen, verfilzten Haaren klebte noch der Ruß der vergangenen Feuer, der vergangenen Nächte. Es waren so viele gewesen.
Sie war gelaufen. Gelaufen und gelaufen. Planlos und ohne Ziel. Einfach nur gelaufen. Wohin? Das wusste sie nicht.
Sie wusste überhaupt nichts mehr. Ihr Kopf war einfach leer, so als hätte man mit einem Lappen alles weggewischt was vor dem Tag geschehen war, an dem sie aufgewacht war, allein gelassen in hüfthohem, feuchtem Gras. Allein gelassen in einem dunklen Wald mit knorrigen, alten Bäumen, die zornig auf sie herabgestarrt, im Wind böse Dinge geflüstert hatten. Allein gelassen, ganz auf sich selbst gestellt. Sie wusste nichts mehr. Nicht einmal mehr ihren Namen. Sie nannte sich selbst „Odinoki“. Einsam. In ihrer Sprache. Offensichtlich beherrschte sie zwei Sprachen, das war ihr aufgefallen, denn die wirren Gedanken in ihrem Kopf klangen mal so und mal so, bedeuteten aber immer das gleiche und sie verstand es. Geh fort von hier.

Anfangs hatte sie Angst gehabt. Sich gefürchtet. Alleine in der Wildnis, ohne das Wissen wer oder was sie eigentlich genau war. Doch dann hatte sie angefangen diese Worte zu hören und sie trieben sie fort von etwas. Von was, das wusste sie nicht genau, sie wusste nur, dass sie fort musste. Es gab ihr eine Richtung und der folgte sie. Sie war einfach nur gelaufen. Tagelang.
Geh fort von hier.

Vor ein paar Feuern dann, waren die schwarzen Schatten des Gebirges am Horizont aufgetaucht. Sie wusste was Berge waren, auch wenn sie noch nie so große gesehen hatte und fürchtete sich vor dem, was geschehen würde, sollte sie sie je erreichen. Sie gehorchte der Stimme zwar, doch das gefiel ihr nicht. Es löste eine Leere in ihr aus. Eine Kälte, die kein Feuer vertreiben konnte, aber es war wie ein Zwang und sie musste einfach laufen. Einfach nur laufen. Immer und immer weiter. Einmal hatte sie ihr Spiegelbild gesehen, verzerrt von den fließenden Wassern eines Flusses und sie hatte festgestellt, dass sie zu denen gehörte, die sich Mensch nannten. Sie erinnerte sich dunkel an die Menschen. Es waren keine guten Erinnerungen. Sie hatte schon vorher die Ahnung gehabt einer zu sein, da ihr kein Fell auf Armen oder Beinen wuchs, aber erst nach dem sie ihr Spiegelbild gesehen hatte, war sie sich wirklich sicher gewesen.
Ihr Magen knurrte. Sie hatte Hunger, doch sie aß eigentlich nur sehr selten was. Die Stimme sagte ihr nicht, dass sie etwas essen sollte, also tat sie es auch nicht, es sei denn sie hatte solange nichts zu sich genommen, dass ihr schlecht wurde oder sie vor Entkräftung fast zusammenbrach. Wenn, dann nahm sie Beeren von den Sträuchern oder dunkle Pilze, nicht die bunten, denn aus einem unbestimmten Grund stellten sich ihr bei ihrem Anblick vor Furcht die Nackenhaare auf. Manchmal fand sie auch kleine, harte Nüsse an Bäumen, die man ebenfalls essen konnte.
Menschen, Berge, Beeren, Pilze, Nüsse, ja, allein die Tatsache, dass sie wusste wie man ein Feuer schürte, all' das war Wissen, von dem sie nicht wusste woher es kam. Es war fast, als würde es aus ihr entspringen, als wäre es ihre eigene Erinnerung, als hätte sie all' das irgendwann wirklich einmal gewusst. Aber so fühlte es sich nicht an. Es war, als käme es von einer anderen Person, die ihr die Dinge zuflüsterte, die sie wissen musste. Denn sie selbst wusste nichts mehr. Es kam nicht von ihr, nicht aus ihr. Aus ihr kam nur eines.
Geh fort von hier.
Versonnen beobachtete sie das Spiel des Feuers und legte einen weiteren dicken Ast hinein, damit die Flammen nicht erloschen. Funken stoben auf und die Asche der verbrannten Hölzer wirbelte ein wenig umher. Ruß legte sich auf ihren knochigen, dürren Arm. Mit einem schmalen Stock stocherte sie gelangweilt in der Glut. Nachts konnte sie nicht laufen. Es war zu kalt und zu dunkel. Auch wenn sie die alles einhüllende Finsternis liebte, so konnte sie nicht sehen wo sie hin trat und stolperte oft, schlug sich Wunden an den Beinen und lief am nächsten Tag nur langsamer. Sie würde mehr Zeit verlieren, als sie gewinnen könnte, würde sie nachts laufen. Außerdem wurde sie irgendwann immer müde. Ihr menschlicher Körper wollte nicht so, wie sie wollte. Es war wie mit dem Hunger. Nach einer bestimmten Zahl an Schritten, die sie nicht mehr zu zählen vermochte, schlich sich die Schwäche in ihr Fleisch. Erschöpfung ließ sie matt werden und immer, immer langsamer, wenn sie nicht rastete. Wohl oder übel, ob sie wollte oder nicht: sie musste die Nacht ruhen und am Feuer verbringen. Es ging nicht anders.
Sie würde einfach hier sitzen, in die Flammen starren, die Wärme auf ihren Gliedern genießen und früher oder später einschlafen. Irgendwann in der Nacht würde die Kälte sie wecken, dann musste sie schnell Holz nachlegen, das Feuer neu schüren und würde wieder einschlafen. Sie würde so lange schlafen, bis die Sonne ihre Strahlen über die Spitzen des Gebirges sandte und das Land in helles Tageslicht tauchte. Licht, das in den Augen schmerzte, wenn man sie nicht zusammen kniff. Dann würde sie erwachen und einfach los laufen. So und nicht anders tat sie es immer.

Lange saß sie regungslos vor dem flackernden Feuer, starrte hinein und wartete auf den Schlaf. Er kam mit leisen Schritten, ließ erst ihre Lider schwerer werden, dann ihre Glieder und übermannte sie schließlich. Langsam sackte ihr Kinn auf ihre Brust und zunehmende Unschärfe verschleierte ihre Gedanken und die leise, unermüdliche Flüsterstimme.
Geh fort von hier.
Dann war sie eingeschlafen.

...
Odinoki schreckte auf. Nicht die Kälte hatte sie wie üblich geweckt, denn die Flammen flatterten noch munter und wärmend durch die Schwärze der Nacht. Etwas anderes hatte sie aus dem Schlaf fahren lassen. Es war ein leises Knistern und Knacken, doch es kam nicht aus dem Feuer, so wie sonst, nein, es war hinter ihr erklungen. Erschrocken umklammerte sie ihre Knie mit den Armen und biss sich ängstlich in den Daumen. Sicherlich war es nur ein harmloses Tier, wie ein Vogel oder ein Wiesel, eine Feldmaus oder vielleicht ein Dachs. Sicherlich war es ungefährlich und die Laute würden gleich aufhören, würden enden.
Das Knacken des Unterholzes verebbte leider nicht, im Gegenteil, es schien lauter zu werden, sich ihr zu nähern. Unsicher wanderten ihre Augen von rechts nach links. Sie wusste nicht was sie tun sollte.
Geh fort von hier.
Doch sie wagte es nicht sich zu bewegen, wagte es nicht das schützende Feuer zu verlassen. Die Geräusche wurden lauter und lauter, etwas großes bewegte sich unvorsichtig und lärmend auf sie zu. Was auch immer es war, es war größer als ein Vogel, ein Wiesel, eine Feldmaus oder ein Dachs und es fürchtete sich bestimmt nicht vor Feuer. Und bestimmt auch nicht vor ihr. Voller Angst schloss sie die Augen, presste sie zusammen und verbarg den Kopf zwischen Armen und Knien, so als könnte sie das beschützen. In ihrem Kopf schwollen die Laute, das Knacken und das Knistern zu einem gewaltigen, lähmenden Orkan an und drangen in jeden ihrer Sinne. Füllten sie mit Furcht aus. Angst. Dann endete es. Es war still.

Verwundert hob Odinoki den Kopf. Ihr war nichts geschehen. Sie öffnete ihre Augen und erschrak geräuschlos, umklammerte ihre Knie mit neuer Kraft. Vor ihr stand ein anderer Mensch. Ein Mann, so glaubte sie. Er stand einfach da, direkt vor ihr und betrachtete sie. Sie sah ihn an. Dunkelblonde Haare hingen ihm in dicken Strähnen fast bis auf die Schultern, bebten sachte im Wind, als bewegten sie sich zusammen mit dem zitternden Schein des Feuers, der seine blasse Haut erleuchtete, tiefe Schatten in sein Gesicht malte und seinen Augen ein glühendes Rot verlieh. Glühende, rote Augen. Eine Erinnerung zuckte in ihrem Geist empor, flackerte gleich einer Stichflamme kurz auf und verließ sie dann wieder. Sie hatte ein Bild von diesen Augen in ihrem Kopf, aber sie konnte es nicht einordnen. Rote, glühende Augen. In diesen Augen, die sie eindringlich betrachteten, lag etwas, das sie zunächst nicht einsortieren konnte. Lange suchte sie in ihrem wirren Geist nach einem Wort, das diesen Blick zu beschreiben vermochte. Sie fand es. Zabota. Sorge.
Er war in einfache Kleider aus Leinen gehüllt, so wie auch sie selbst, doch nicht so zerschunden und zerrissen. Dafür aber genauso dreckig, wenn nicht noch schlimmer. Dicker Staub steckte zwischen den Fasern seiner Kleidung, hüllte ihn ein wie eine Wolke, ein Nebel der ihn verfolgte. An seinen Füßen saßen echte Stiefel und keine aus Schlamm, auch trug er im Gegensatz zu ihr eine Hose aus rauer Tierhaut – Kozha- Leder - und nicht bloß ein Hemd.
Sie war sich unschlüssig was sie tun sollte. Was wollte er von ihr? Sie fressen? Warum hatte er es dann noch nicht getan? Sein Blick verwirrte sie. Es sah nicht aus, als wolle er ihr etwas antun. Sie versuchte ungefährlich auszusehen.
„Wer bist du?“, erklang seine Stimme. Seine Worte hallten unheimlich lebendig durch ihren Verstand. So viel schärfer und echter als die Stimme, die sonst zu ihr flüsterte. Sie zuckte zusammen. Die Worte rollten laut und kraftvoll aus seinem Hals und zunächst fühlten sie sich schmerzhaft in ihren Ohren an, doch bald hinterließen sie einen warmen, wohligen Nachklang. Sie wünschte sich, er würde nochmal etwas sagen. Auch wenn sie verstanden hatte was er gesagt hatte, denn es klang wie die eine Sprache aus ihren Gedanken, antwortete sie ihm nicht. Sie wusste nicht, was er hören wollte. Aus großen Augen starrte sie ihn an.
Zabota füllte sein Gesicht aus und er ging in die Knie, sah ihr genau in die Augen. Vielleicht hatte sie ihn erschreckt, weil sie nichts gesagt hatte? Er wiederholte die Worte und fügte ihnen neue hinzu:

„Wer bist du?“
„Wie heißt du?“
„Bist du ganz alleine?“

„Geht es dir gut?“
Wärmer als das Feuer durchfluteten seine Worte ihren Körper, heiß drang die Echtheit seiner sanften Stimme in ihren Geist ein. Es war so gut sie zu hören. Sie war so echt, fast als könnte sie sie greifen wie ein Stück Holz und sie den Flammen übergeben. Behutsam berührte eine seiner großen Hände ihre eingefallene Wange und schob ihr eine verfilzte Haarsträhne aus dem Gesicht. Zabota. Das Gefühl seiner eiskalten Haut ließ sie zurück zucken, doch erneut belebte sie die Wirklichkeit seiner Hand. Es war, als wachte sie endlich auf. Als erwachte sie aus einem langen, tiefen Schlaf. Er zog seine große, kalte Hand zurück, doch eigentlich wollte sie, dass er sie erneut berührte.

„Du brauchst keine Angst vor mir zu haben.“, sagte er zu ihr und seine Stimme brandete gleich einer sommerlichen Woge gegen sie. Schnell ergriff sie seine Hand. Sie wusste nicht, warum sie es getan hatte, doch sie wollte sie unbedingt fühlen. Seine kalte Haut. Diese eisige Wirklichkeit. Verwunderung trat in seinen Blick. Zabota blieb dennoch.
Er war unglaublich. Fasznierend. Mit ihren Fingern ertastete sie seine, hielt den Blick fest in seinen roten Augen verankert. Leben sprudelte heiß durch alle ihre Glieder, die Mattigkeit und die Leere der letzten Tage fielen von ihr ab und es war ihr, als fühlte sie zum ersten mal tatsächlich ihren Leib. Der Hunger wurde so übermächtig, dass ihr speiübel wurde, doch es war ein herrliches Gefühl. Ein wirkliches Gefühl! Die Stiche und Kratzer auf ihren Beinen begannen zu schmerzen und das Pochen ihrer Füße meldete sich anklagend. Sie war am Leben! Lebendig! Die Kälte die seit ihrem Erwachen im Gras in ihren Knochen gehaust hatte verschwand und wich einer unglaublich klaren Wahrheit. Einer Wirklichkeit! Einer Echtheit! Einer Wärme. Sie strahlte und lächelte ihn breit an. Zwar wirkte er immer noch verwirrt, doch er lächelte vorsichtig zurück. Sie knetete seine Finger, spielte wie wild mit ihnen herum und genoß ihre Greifbarkeit, ihre Form und das Gefühl, das sie in ihr auslösten. Die Eindrücke drohten sie zu erschlagen. Die Schmerzen ihrer Beine und Füße, seine Stimme, sein Blick, das unangenehme Jucken durch den vielen Schlamm auf ihrer Haut. Seine eiskalten, weißen Hände. Sie hätte Stunden so da sitzen können. Irgendwann zog er seinen Arm zurück, doch als darauf hin ein unglücklicher Ausdruck in ihr Gesicht trat, umfasste er ihre Hände mit seinen.
„Ist ja gut. Keine Angst.“, sagte er. Wärme! Leben! Unverhohlen starrte sie ihn an, doch es schien ihn nicht zu stören, so als wäre er es gewohnt, angestarrt zu werden. „Wie heißt du also, Kleine?“, fragte er sie und ein wenig Zabota wich aus seinen Zügen. Fröhlich wollte sie ihm antworten, als sie feststellte, dass sie trotz der Wärme, der Wirklichkeit und des lebendigen Gefühls, das sie durchströmte, immer noch keine Ahnung hatte, wer sie eigentlich war. Wie sie geheißen hatte. Wo sie herkam. Wie alt sie war. Wieso sie hier war. Wieso sie laufen musste. Warum? Weshalb? Trauer schlich sich auf ihr Gesicht, ihre Augen wurden feucht. Verzweiflung keimte in ihrem Herzen. Hilflosigkeit. Sie rang mit sich. Dieses unglaubliche Gefühl flackerte in ihr auf, aber dennoch wusste sie nicht, wer sie war. Sie wusste nichts! Es war so ungerecht! Zabota in seinen Augen.

Sie beschloß ihm einfach den Namen zu nennen, den sie sich selbst gegeben hatte. Vorsichtig öffnete sie den Mund, denn sie wusste, das musste sie tun, wollte sie sprechen, doch ihr wurde klar, dass sie noch nie gesprochen hatte, seit sie erwacht war. Noch nie hatte sie ihre Stimme benutzt. Ihr Hals fühlte sich trocken an, kratzend und rau, so als hätte sie Sand geschluckt, als die kalte Nachtluft in ihn hinein strömte. Sie schmeckte den Rauch und das Feuer auf ihrer Zunge. Heiß und wild. Unsicher versuchte sie einen Ton zu erzeugen und ihn mit ihren Lippen zu formen. Sie wusste wonach es klingen musste, aber würde es auch so klingen, wenn sie es aussprach? Sie hatte Angst, ihre Stimme würde versagen. Sie hatte Angst, sie würde so unwissend klingen wie sie war.
„Odinoki.“, krächzte sie heiser. Ihre Stimme wirkte im Gegensatz zu seiner unwirklich und entrückt. Kraftlos und undeutlich. Doch er nickte lächelnd. „Odinoki, also.“, wiederholte er. Freude wirbelte in bunten Fäden durch ihre Gedanken und sie strahlte über das ganze Gesicht. Sie hatte es geschafft! Odinoki! Odinoki! Odinoki! Innerlich jubelte sie. Ein Lachen jedoch kam nicht über ihre Lippen. Zwar öffnete sie den Mund, aber sie brachte keinen Ton hervor. Vielleicht war ihre Kehle doch noch zu ausgetrocknet. Für heute musste es reichen mit dem Sprechen.

„Mein Name ist Klaus Peter.“, erklärte der blonde Mann ihr. „Klaus Peter Schneider.“
Auch sie nickte lächelnd und blickte ihn an, fühlte seine Hände auf den ihren. Mit einem mal wurde es ihr egal, dass sie nichts mehr von sich wusste. Dass sie nicht wusste, wer sie war. Heute Nacht begann ein neues Leben. Ein Leben als Odinoki! Ein Leben, dass sie komplett neu schreiben konnte, so wie es ihr gefiel! Und es begann mit ihm. Mit Klaus Peter Schneider.
Plötzlich legte sich ein Schatten auf ihr Gemüt und Angst sammelte sich wie Staub über ihrem Herzen. Ihr Lächeln verschwand, ein düsterer Ausdruck trat in ihr Gesicht. Sie lauschte. Sie lauschte konzentriert und eindringlich. Doch sie hörte nichts. Sie befürchtete, jeden Moment das Flüstern zu hören, das ihr befehlen würde weiter zu laufen. Immer und immer weiter zu laufen. Doch sie hörte nichts. Da war nichts. Die erwartete Stimme blieb aus. Sie war verschwunden.
Odinoki lächelte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich hatte mir ja ein wenig mehr Feedback erhofft. Daher hatte ich noch ein wenig gewartet, aber da eine Reaktion ausgeblieben ist, mache ich einfach mal so weiter! ;-) Vielleicht meldet sich ja früher oder später mal jemand! Also anbei der nächste Teil!

Kapitel XIII
Den Tod als Leben


Vor Schmerz schrie Angmund auf. Erbarmungslos bohrte sich die scharfe Klaue in sein Bein. Blut spritzte in das Fell des Ungetüms und trieb die Kreatur mit seinem Gestank in einen wahnsinnigen Rausch. Ihre Augen leuchteten gierig und ein schmetterndes Brüllen verließ ihren Rachen. Dem Söldner flimmerten Sterne vor den Augen, als sich die Kralle aus seiner Wade löste und seine Kameraden den Wolfsmenschen mit den versilberten Spitzen ihrer Speere zurücktrieben. Die Qual ließ ihn schwindeln und Übelkeit kroch seine Kehle empor. So ein verfluchter Mist! Es tat so unglaublich weh! Verdammt! Er versuchte die Zähne zusammen zu beißen und sich die Schmerzen nicht anmerken zu lassen, doch die Wunde brannte, als würde jemand flüssiges Blei in seine Wade gießen. Erneut schrie er. Er hatte Glück gehabt, denn die gewaltigen Klauen der Bestie hatten sich knapp an seinem Schienbein vorbei in sein Fleisch gegraben und den Knochen unversehrt gelassen. Nachdem seine Leute es geschafft hatten das Wesen von ihm zu lösen, rutschte er fluchend ein paar Ellen zurück, zog dabei eine breite Blutspur hinter sich her und umklammerte sein Bein. Aufjaulend wich die Kreatur vor den silbernen Waffen zurück. Es stank nach verbranntem Fleisch und Fell.
Diese Kreatur war niemand anders als Rogelio, sein Unteroffizier. Ihr Plan war gewesen, sich von einem Wolfsmenschen verwunden zu lassen, um selbst die unglaublichen Kräfte zu erhalten, die diesen Ungeheuern innewohnten. Freiwillig hatte sich allerdings keiner von ihnen dazu bereit erklärt, also hatten sie Flöhe gezählt. Der mit den wenigsten hatte verloren. Rogelio. Darauf hin hatte er sich von einem der Ungetüme verletzen lassen. Als die Wunde in Rogelios Fleisch geschlagen war, war das Wesen von den anderen Söldnern mit den Silberlanzen zurückgescheucht worden. Am Anfang schien auch alles gut zu laufen. Rogelio entwickelte tatsächlich große Kraft, sein Haar wurde dicht und seine Augen gefährlich. Angmund war mit dem Verlauf zufrieden gewesen. Zunächst. Doch mit der wachsenden Kraft des Mannes kam auch seine Wut. Er wurde immer unbeherrschbarer, missachtete seine Befehle und bekam Tobsuchtanfälle, während derer er wild um sich schlug, Ausrüstung zerstörte und einen Heidenlärm veranstaltete. Es war schwierig seinen Wandel vor den Sigmariten zu verbergen, doch es gelang. Schließlich, in einer hellen Mondnacht, brach sein Verstand endgültig mit ihm. Er wurde zu einer dieser wütenden Bestien, nahm die Gestalt eines Wolfs an und griff wie in Raserei seine eigenen Kameraden an. Zwei hatte er getötet, ehe Angmund ihm seinen Silberspieß durch die Schulter trieb, doch Rogelio hatte es trotzdem geschafft ihn am Bein zu verletzen. Tränen standen ihm in den Augen, seine Wade pulsierte und sein rasendes Herz pumpte mehr und mehr Blut aus dem klaffenden Spalt. Die Schmerzen ließen seine Gedanken wirr durch seinen Schädel wirbeln. Er konnte sich kaum konzentrieren. Das Brüllen Rogelios hallte durch die Gewölbe und mischte sich mit den aufgeregten Schreien der anderen Wolfsmenschen zu einem wahren Tosen, einem Orkan aus Lärm und Wut.
Die Schmerzen schwollen weiter an, wurden schließlich übermächtig und überwältigten seinen Körper. Krampfhaft übergab sich Angmund auf den Boden. Sein Blick verschleierte sich. Ihm war wirklich gar nicht gut. Kaum noch nahm er war, wie die Söldner Rogelio mit ihren Lanzen zurückdrängten, in eine kleine Zelle hinein und das schwere Gittertor hinter ihm schlossen. Mit einem zornigen Brüllen warf sich der Wolfsmensch gegen sein Gefängnis und verbog die dicken Eisenstangen, vermochte es aber nicht sie vollständig zu zerbrechen. Seine hilflose Wut erfüllte den Raum, brandete gegen die Kerkerwände wie hasserfüllte Wogen. Ein dunkler Schleier legte sich über Angmunds Bewusstsein und allmählich zogen ihn die Schmerzen mit kraftvollen Händen in die Ohnmacht. Der donnernde Zorn der Bestien, ihr Brülle, Schreien und Fauchen verebbte zu einem leisen Rauschen, zog sich immer weiter von ihm zurück und floh in eine andere Welt. Nebel kroch in seinen Kopf und nahm ihm die Qual, betäubte seinen Leib und machte ihn schläfrig. Gerade noch erkannte er, wie kreidebleiche, von Furcht und Entsetzen gezeichnete Gesichter über ihm erschienen, wie seine Söldner sich über ihn beugten und für seine Ohren stumm miteinander sprachen. Er spürte, wie er angehoben und fortgetragen wurde, dann umfing ihn die kalte Dunkelheit. Endlich war der Schmerz verschwunden.

Etwas sechs Jahre zuvor...

Die Nacht legte einen blauen Glanz über den mondhellen Schnee und gab in ihrer malerischen Schönheit viel von dem preis, was sich sonst in Dunkelheit und Schatten sorgsam verborgen hielt. Hoch wie schwarze Säulen streckten sich die vielen Tannen dem Himmel entgegen, ganz als müssten sie das Firmament auf ihren starken Rücken tragen, bildeten eine weite und hohe Mauer und beobachteten die einsame Wanderin stumm, die ihr kleines Tal durchquerte, dieses Heiligtum der alten Zeit. Leise fiel der Schnee hinab und bettete sich sanft auf ihren weißen Schultern, legte sich wie ein Kleid um ihren schlanken Leib und umfing sie in eisiger Umarmung. Kein Wind, keine Brise rührte die Luft und überließ den Schlaf der Welt der Stille, die sich in dem Tal ausgebreitet hatte wie ein weites Tuch. Am dunklen Himmelszelt glitzerten unzählige Sterne und malten ein prachtvolles Gemälde, voll atemberaubender Schönheit und Gewalt über die Alte Welt, ein Kunstwerk, das seinesgleichen suchte. Weit am Horizont erhob sich in der strahlenden Finsternis die Urgewalt des Gebirges, stand drohend, einem allmächtigen Wächter gleich über dem Land und starrte väterlich auf es hernieder. Es war Ehrfurcht gebietend. Die ganze Nacht - der Schnee, der Frost, Tannen, Himmel, Sterne und Berge – all' das hatte etwas malerisches an sich, als hätte es jemand so geschaffen, so gezeichnet, dass es nur für diesen einen Augenblick bestand, ja, tatsächlich nur für diesen einen kurzen Moment erschaffen wurde. Für den Bruchteil eines Atemzugs. Als wäre es so vergänglich wie die Liebe zweier Menschen. Doch dieser Augenblick stemmte sich gegen die Zeit, verschloss ihr Tor und Tür. Für Jahrhunderte. Oder schien es nur so? Wie lange schon, mochten wohl die Berge ihre Spitzen schon im Osten recken? Wie lange schon, mochten wohl die dunklen Tannen über ihr Tal wachen und wie viele Jahre schon, fiel im Winter funkelnder, weißer Schnee auf diese Welt und verbarg sie unter einem kühlen Mantel? Es war nicht vergänglich. Es war unendlich und wer wusste schon, wann und ob es je einen Anfang gegeben hatte, wann die Stunde der Geburt dieses Ortes geschlagen hatte? Wann diese Schönheit aus den Tiefen des Gesteins erbrochen worden war, hinaus geschleudert auf diesen toten Flecken der Schöpfung, hinein geboren in eine Welt aus Hass, Trauer und Verzweiflung? Doch was kümmerte es die Berge? Was kümmerten ihr Leid und ihre Verlorenheit die Tannen? Was kümmerte sie der Himmel? Was die Welt? Die Schöpfung?
Sie war alleine. Fortgeworfen in eine andere Zeit. In ein anderes Leben. Vernichtet und ohne Verstand. Ohne Verständnis. Ein Diesseits aus Trostlosigkeit und verlorener Liebe. Eine schwache Seele gebunden an einen toten Körper, gefesselt mit Ketten ewiger Kälte und vernietet mit unstillbarer Gier. Liebe spürend nur durch Hass, als Zärtlichkeit fühlend nur den Schmerz, Fluch als Erlösung und nur Blut als Wasser... und den Tod als Leben. Als Trost die ewige Verdammung. War sie nun auf immer gefangen in dieser falschen Welt, in dieser Zeit die ihr nicht als die ihre schien, oder war es nur ein weiterer Teil ihres Weges? Ihres Leidens? War es nur ein kurzer Sprung, hin zu einem neuen Übel? Zu einem Ende? Ein großes Schauspiel, eine Tragödie epischen Ausmaßes, leitend in ein unheilvolles Ende in dem alle Guten ihr Verderben finden mussten. War es Kunst? Blut im Schnee. Rost an den Angeln dieser Welt.
Wie viele hundert Jahre hatte sie wohl geschlafen?
Sie war erwacht. Doch sie erwachte nicht als sie selbst, sie erwachte nicht als Mensch. Sie erwachte als ein Wesen ausgespien auf finsterster Nacht, ein Auswurf von Blut und Qual und Anbruch unvergänglicher Dunkelheit und immer währender Schatten, verdammt von Tag und Licht. Sie hatte sich verloren. Sie hatte sich vollkommen verloren. Taub und tot schien ihr Geist und Körper. Doch sie spürte etwas. Etwas, das in ihr aufkeimte, etwas, das ihr eine Richtung gab. Etwas grauenvolles, doch nein, nicht in ihr, sondern hinter den Rändern der Berge. Diese Berge. Sie und die Tannen, die Nacht und der Tag, Himmel und Sterne, nein sie waren nicht unendlich. Sie glaubten nur es zu sein. Auch Unvergänglichkeit konnte vergehen. Ein eisiger Schrecken griff nach ihrem Herz, als sich dieses Gefühl in ihre leere Venen stahl. Unsägliche Angst ermächtigte sich ihrer, doch auch Hoffnung. Hoffnung auf Frieden. Mit dem Ende würde auch sie verschwinden. Verblassen wie ein Traum nach dem Erwachen, hilflos nach der Erinnerung greifend, doch nur zerschneidende Scherben eines ganzen Bildes fassend. Zurück bleibt nur das sonderbare Gefühl, dass einmal etwas dagewesen war. Etwas wunderbares.
Die Dämmerung dieser Welt hatte begonnen. Der Abend war angebrochen. All' die Berge, Tannen und Täler hatten ihre Spanne erlebt, warteten wie sie sehnsüchtig auf ihren Befreier, ihren Erlöser. Der Schatten der im Norden und Osten, weit jenseits des Gebirges zu erstarken begann, hatte einen Blick auf die Lande der Menschen geworfen und war bereit sie zu verschlingen. Sein Plan ging in Erfüllung. Die Schachfiguren hatten sich bewegt und den König umstellt.. Doch er ließ sie ziehen. Noch.
Aurora schritt langsam und mit behutsamen Schritten durch die sternenklare Nacht. Kein Fußabdruck von ihr fand sich im Schnee, es war, als gleite sie wie ein Geist über das weiße Land. Dunkle Gedanken verwirbelten ihren Geist und erfüllten sie mit Furcht. Gedanken von Tod und Verderben. Sie versuchte sich davon zu befreien und begann leise mit sich selbst zu sprechen, murmelte unverständliche Dinge, doch es gelang ihr nicht, den Schatten gänzlich von sich zu streifen. Ihr schauderte. Auf ihren Schultern und Haaren ruhte der Schnee fast einen fingerbreit, doch weigerte er sich hartnäckig zu schmelzen und hüllte ihre lumpenhaften Kleider in ein edles Weiß. Von weitem würde jeder sagen müssen, sie trüge ein glitzerndes, wundervolles Kleid. Der Höhepunkt der Nacht war bereits verstrichen und bald würde die Sonne über die schwarze Kante des Gebirges kriechen und sie mit ihrem widerwärtigen Licht in eine dunkle Ecke treiben, wo sie den Tag über verharren musste. Sie fühlte sich schwach und leer, eine Höhle klaffte in ihr auf und offenbarte ihr verwaistes Inneres. Ihre Kehle fühlte sich rau und kratzig an. Obgleich noch ihr ganzer Körper von dem getrockneten, rostfarbenen Blut der unzähligen Menschen verklebt war, die sie vor zwei Nächten getötet hatte, brannte der Durst heiß auf ihrer Zunge und schien sie innerlich auszudörren. Blut als Wasser. Sie hatte versucht den Schnee zu trinken, aber das hatte alles nur noch schlimmer gemacht. Die rote Glut ihrer Augen schien fast erloschen zu sein. Sie war nicht verzweifelt oder fürchtete sich davor, sie könnte zu Grunde gehen, denn sie glaubte nicht daran, dass sie sterben würde. Der Schatten ließ sie es fühlen. Sie konnte nicht vergehen. Noch nicht. Nur schwächer und schwächer würde sie werden, bis sie sich wieder von rotem Blut nährte, es wohl und warm in ihren Rachen laufen ließ. Doch ihr stand nicht der Sinn danach ein Tier zu jagen und Menschen hatte sie seit dem Dorf nicht mehr gesehen. Also wanderte sie weiter.
In ihr tobte es, ruhig und wütend zu gleich, besonnen und wahnsinnig flüsterte etwas in ihr. Der Schatten aus dem Norden ließ sie spüren, dass ihre Zeit noch nicht gekommen war. Doch bald. Sicherlich bald. Kurz hielt sie inne und warf einen ängstlichen Blick über die Berge im Osten. Es war ihr, als könnte sie seine drohende Stimme in der Luft vernehmen, die wie eine wuchernde Narbe die Stille zerriss, einen schwärenden Schandfleck in die blaue Nacht brannte. Bald war es so weit.
Sie setzte ihren Weg fort, beachtete die Tannen und Berge nicht mehr und es gelang ihr endlich, die unheilvollen Gedanken zu vertreiben. Nur ein letztes Schaudern, das ihren Rücken empor kroch, zeugte noch von den Visionen des Schreckens, deren Zeugin sie geworden war. Tod. Entsetzen.
Sie beschleunigte ihre schwebenden Schritte und glitt über die Schneedecke hinweg, bis sie schließlich zur Mitte des kleinen Tals gelangte. Sie wusste nicht, woher sie den Weg gekannt hatte, wie sie wieder hierher zurückgefunden hatte, nachdem der alte Mann sie in sein Dorf gebracht, aber es war ihr gelungen. Sie hatte ihr Ziel erreicht.
Vor ihr stand er, gefroren zu einer Eissäule, gefangen in seinem letzten Schritt, bis zum Ende dieser Welt. Nicht mehr lange musste er an diesen Panzer aus Eis gekettet sein. Wotan, ihr Geliebter. Mit Trauer im Blick umschritt sie ihn, immer im Kreise und betrachtete seine erhabene, würdevolle Gestalt. Selbst im Tod schien er ihr noch edel und gut, tapfer und treu, so wie zu seinen Lebzeiten. Fest sah sie in seine Augen, doch sie fand nur Leere. Endgültige Leere. Ihr Herz war tot. Ihre Liebe von dieser Welt gebannt. Das Leid fraß sich tief in ihr Gemüt und sie spürte wie ihre Augen zu brennen begannen. Ein dunkler Schleier legte sich über Wotan und wandelte seine Gestalt in einen schwarzen Schemen. Vorsichtig berührte sie ihre Wimpern mit ihren weißen Fingern, entfernte den trüben Vorhang und fand sie mit Blut benetzt. Blut. Ich weine Blut, dachte sie. Keine echten Tränen. Blut als Wasser. Es war ein wie ein Dolch in ihrer Brust. Schwindel überkam sie und beinahe verlor sie das Gleichgewicht. Schluchzend torkelte sie ein paar Schritte zurück. Sie spürte seinen leeren Blick auf sich, eine vorwurfsvolle Maske voller Abscheu und Ekel. Sie konnte es verstehen. Sie konnte seine Wut verstehen. Sie konnte sie fühlen.
„Kann ich keine Tränen für dich vergießen, mein Liebster?“, ihre Stimme war ein dünnes, hauchfeines Band und drohte vom kleinsten Luftzug zerrissen zu werden. Die Schwäche nahm ihrer Zunge den reizvollen Klang, den sie noch vor zwei Nächten gehabt hatte. „Verzeih mir.“, hauchte sie, doch ihr Kummer erstickte die Worte. Sie wischte mit der Hand über ihr zartes Gesicht und verschmierte es dabei mit dem Blut, das aus ihren Augen trat. Vorsichtig näherte sie sich wieder dem erfrorenen Wotan, blickte flehentlich in sein kaltes Gesicht. Frieden stand in seinen Zügen. Ein Frieden, nachdem sie sich so sehr verzehrte. Warum nur war sie aus ihrem ewigen Schlaf gerissen worden? Warum nur hatte er sie nach all' den Jahren zurück geholt? Und wieso war er gleich darauf verschwunden? Hatte sie mit diesem Fluch allein gelassen?
„Du konntest mich nicht schlafen lassen.“, sagte sie zu ihm und es war fast, als zierte ein schwaches Lächeln ihr Gesicht. „Du musstet mich bei dir wissen.“ Sie würden wieder vereint sein. Sicher würden sie sich auf der anderen Seite dieser Welt wiedersehen. Sicher würde er auf sie warten, dort, wo er jetzt war. Ein wenig Trost erwärmte ihr Herz und mit einem mal kam ihr das Diesseits, das ihr gegeben war, nicht mehr ganz so einsam, traurig und furchtbar vor. Vielleicht war da doch noch Hoffnung. Das Lächeln nahm seine volle Gestalt an und zauberte vergessene Schönheit auf ihre aufgebenden, müden Züge. Sie trat einen Schritt an ihn heran, so dass sie ihm ganz nahe war und legte zärtlich ihre Hand auf seine Wange.
Sie schrie, als ein sengender Schmerz durch ihren Arm fuhr. Dünner, schwarzer Rauch kräuselte sich durch die Luft und es stank nach Kohle und Asche. Panisch musste Aurora beobachten, wie ihre Finger verkohlten und zu Staub zerfielen, den Schnee unter ihr mit dunklem Ruß verfärbten. Ein Brennen durchzuckte ihren ganzen Arm, ließ ihren Knochen erbeben und peinigte sie mit unsäglicher Qual. Sie schrie und schrie, presste ihre sterbende Hand gegen ihre Brust und krümmte sich unter dem grauenvollen Leiden, wand sich hilflos auf dem Boden zu Wotans Füßen herum. Es schien ihr, als vergingen Jahre bis die Schmerzen endlich nachließen, sich langsam aus ihrem Leib zurückzogen. Wimmernd kauerte sie im Schnee, das Gesicht blutverschmiert und starrte fassungslos auf den schwarzen Stumpf, der bis kurz vor ihren Ellbogen reichte. Es stank. Es stank so sehr nach Asche, Tod und Blut. Ihr Atem ging schwer und heftig, wurde nur mit dem verebbenden Schmerz langsamer, bis sie sich schließlich ganz beruhigt hatte. Erleichtert fühlte sie, wie die Verletzung mit einem sanften Kribbeln zu verheilen begann. Schleppend und unendlich langsam, aber sie tat es.
Aurora hob den Kopf und betrachtete Wotan mit fragendem, verwirrtem Blick. Was war geschehen? Sie verstand es nicht. Wieso konnte sie ihn nicht berühren, wieso nicht mit ihm vereint sein? Langsam erhob sie sich und musterte seine steife Gestalt misstrauisch. Was war geschehen? Etwas hatte sich verändert. Nur was? Sie wagte es nicht, ihn noch einmal zu berühren, wagte es nicht einmal, sich ihm auf einen Schritt zu nähern. War es seine Wut, die sie trennte? Oder war es sein Frieden? Nein. Nein! Auf keinen Fall! Sie konnte nicht glauben, dass es an ihm lag. Er würde sie nicht von sich weisen, völlig gleich, was für ein Wesen sie war, was für ein Schicksal sie erlitt. Er würde ihr immer beistehen. Es war etwas anderes. Etwas, dass nichts mit ihm oder ihr zu tun hatte. Wer nur wollte zwei Liebenden verwehren zusammen zu sein, vereint zu sein? Verzweiflung überschattete ihr Herz und erneut überkam sie der Schwindel der Hilflosigkeit. Blut funkelte dunkelrot auf ihren Wimpern. Wer nur, wer hatte ihr das angetan? Wieso erlitt sie dieses Schicksal? Diese Pein? Diese Qual? Womit hatte sie sich dieser furchtbaren Strafe verdient gemacht? Wotan! Oh Wotan! Wie sie ihn vermisste. So gern wollte sie ihn berühren, sich an seinen erkalteten Körper schmiegen um ihn nahe zu sein, doch sie konnte es nicht. Es blieb ihr verwehrt. In ihrer Bestürzung legte sie eine Hand auf ihre Brust, auf ihr Herz und hoffte auf Rat, eine Eingebung aus den Tiefen ihrer gefolterten Seele. Da fiel es ihr auf. Was... ? Sie hielt kaltes Metall in ihrer unverletzten Hand. Verwundert öffnete sie die Finger und betrachtete ein kleines, herzförmiges Medaillon, das um ihren Hals hing. Sie kannte den Anhänger nicht, hatte ihn noch nie zu vor in ihrem Leben gesehen. Weder in diesem, noch in dem vergangenen. Sie entdeckte einen kleinen Mechanismus und klappte das goldene Herz mit einiger Verwirrung auf. Ihr Erstaunen wuchs, als sie darin eine kleine Kohlezeichnung entdeckte. Die Striche waren stark verwischt, doch noch immer konnte sie ihre eigenen Züge in der Abbildung erkennen. Ihr Gesicht. Aurora. Wer hatte diesen Anhänger gefertigt?
Plötzlich schoss die Erinnerung wie ein Blitz durch ihren schleierhaften Verstand und zeichnete ein klar umrissenes Bild. Der fremde Wanderer! Der Wanderer! Nein, das durfte nicht sein! Sie erinnerte sich an den Sturm, an die Kälte die sie und ihren Wotan eingeschlossen hatte, als sie sich in ihrer Trauer, ihrer Verzweiflung an ihn geklammert hatte. Sie erinnerte sich an das Gesicht des jungen Mannes, an das blonde, filzige Haar und sie erinnerte sich an seine Augen. Seine verdammten, verfluchten Augen! Seine Augen, so rot, finster und verkommen wie die ihren! So voller schlechter und bösartiger Absicht! Heißer Zorn quoll in ihr auf, Zorn wie sie ihn noch nie zuvor gefühlt hatte! Der Hass blähte sich in ihrem Herzen auf und zerschlug ihr Bewusstsein, ihren Verstand wie morsches Holz. Dankbar ließ sie ihn zersplittern. Diese verabscheuungswürdige Kreatur! Dieses Monstrum! Bestimmt hatte er einen dunklen Zauber auf sie und ihren Wotan gelegt. Einen Zauber, der ihre Seelen für immer von einander trennen sollte! Wieso? Wieso nur?! Was hatte er davon?! Wieso hatte er es getan?! Sie sah sein Gesicht vor sich, ebenso klar, wie sie es vor ein paar Wochen gesehen hatte, als er ihr diese verfluchte Halskette umgelegt hatte! Als er sie und ihren Wotan auf ewig getrennt hatte! Er würde leiden für das was er getan! Er würde tausend qualvolle Tode sterben und seine Seele würde im Chaos brennen! Für alle Ewigkeiten musste er leiden, so wie er sie leiden ließ. Rache! Rache! Rache! Sie wollte Rache! Sie verzehrte sich nach Vergeltung! Sie würde ihn vernichten!
Rasend versuchte sie das Medaillon von ihrem Hals zu reißen, aber es war, als wäre es in ihrem Fleisch festgebrannt! Sie schrie und schrie, doch die Kette ließ sich nicht zerreissen, der Anhänger sich nicht fort schleudern! Schmerzhaft zischte ihr Fleisch, schmolz unter ihren Versuchen das ekelhafte Herz zu entfernen, zu zerstören. Rauch erfüllte die Luft mit dem Gestank von verbranntem Fleisch. Sie vermochte es nicht. Sie konnte es nicht los werden, sich dem goldenen Fluch nicht entledigen. Sie schrie und weinte, jammerte und brüllte ihre Qual in den Nachthimmel hinaus! Rache! Rache! Rache an diesem verdorbenen, blonden Unheilsboten! Vergeltung und Rache! Rache! Rache! Rache! Hass und Wut regierten in ihr! Zorn und Schmerz! Rache! Rache! Rache! Leiden! Er musste leiden!
Der dunkle Schatten jenseits der Berge flüsterte deutlicher, eindringlicher als zu vor in ihren Ohren! Er zeugte ihr dunkle Bilder, Bilder vom Tod des Mannes, der ihr all' das angetan hatte! Er würde leiden! Leiden! Leiden! Leiden! Noch vor seinem Ende würde er betteln! Er würde sie anbetteln, es endlich zu beenden! Seine Seele zu zertreten! Die Vorfreude auf das Kommende erfüllte sie mit neuer Kraft, neuem Hass und neuem Wahnsinn! Niemals würde er ihr entkommen! Doch der Schatten zeigte ihr mehr! Noch mehr! Er zeigte ihr viel, viel mehr! So viel, das ihre Rache köstlicher und süßer werden ließ! Nicht nur er würde leiden, nein! Nicht nur er würde zu Grunde gehen, nein! Nicht nur er, nein! Alle! Alle würden sie sterben! Alle würden sie verenden! Aurora verstand nun die Visionen, die ihr der Schatten zunächst gebracht hatte! Sie selbst war es! Sie selbst war das Ende, das über diese Welt kam! Sie selbst würde alles Beenden! Ob Kind der Nacht, ob Kind Sigmars, ob Mensch oder Untoter! Sie alle! Sie alle würden vergehen! Verbrennen in ihrem ungezügelten Hass! Und nicht nur das! Der Tod war nicht Strafe genug für das Glück, das sie empfinden durften! Nein, auch in aller Ewigkeit mussten sie sich in unermesslicher Qual winden! Auch in aller Ewigkeit sollte sie blutrote Ozeane der Trauer und des Selbsthasses durchschwimmen! Für alle Zeiten sollte Frieden und Glück zerschlagen werden! Das Imperium würde brennen! Die alte Welt würden brennen! Sigmars verfluchte Hallen, sie würden brennen! Brennen! Brennen! Zu Asche und Staub zerfallen bis nichts mehr dort wäre außer Flehen und Weinen!
Aurora lachte. Dreckig. Hässlich. Bösartig. Alle würden ihre Rache zu spüren bekommen! Und er würde ihr helfen! Er würde ihr die Kraft verleihen! Der Schatten! Sie würde ihn zurück auf seinen rechtmäßigen Thron führen! Sie würde die wahre Zeit zurückbringen! Eine Zeit, in der eine andere Klasse von Geschöpfen geherrscht und die Geschicke der Welt gelenkt hatte! Eine bessere, vollkommenere Art! Sie würde seine Stadt neu aufbauen! Seinem Reich zu altem Glanz verhelfen! Hier, in der Welt der Menschen!
Sie erhob sich, klopfte sich den Schnee von den Knien und warf einen Blick auf den toten Wotan.
„Ich werde unsere Liebe rächen!“, sprach sie zu ihm, doch ihr Blick war voller kalter Härte. Der Hass hatte sie binnen weniger Augenblicke verändert, hatte Trauer, Verzweiflung und Liebe ausgelöscht. Alle! Sie alle würden ihren brennenden Zorn zu spüren bekommen! Doch zu erst würde sie ihn vernichten! Erneut tauchte sein Gesicht vor ihrem Auge auf, seine bösartigen, schadenfrohen Züge und sein blonder Schopf. Sein roter, glühender Blick. Sie würde ihn finden. Sie würde ihn jagen, bis sie ihn in eine Ecke gedrängt hatte, aus der es kein Entfliehen mehr geben konnte. Dann würde sie ihn foltern, quälen bis er es nicht mehr aushielt. Dann würde sie ihn töten. Langsam und genüsslich! Sie würde seine Adern öffnen und ihn ausbluten lassen, bis nichts mehr in ihm war außer Leere. Eine Leere, die auch sie in sich trug und immer mit sich tragen musste. Ihr Herz war tot.
Und sobald sie ihn gebrochen und zerstört hatte, würde der Rest der Welt seine gerechte Strafe erhalten! Sie alle! Sie alle hatten sich vor ihr schuldig gemacht, mit ihren glücklichen Leben und Lieben, ihrem Frohsinn und ihrer Heiterkeit. Neue Wut pulsierte durch den Nebel aus Irrsinn der ihren Schädel ausfüllte! Leben und Liebe! Leben und Liebe würde es auf dieser Welt nie wieder geben!
Aurora raffte ihre Lumpen um sich und machte sich auf den Weg. Der Schatten leitete sie, gab ihr ein Ziel und einen Sinn. Sie wusste, wohin sie gehen musste. Sie würde nach Altdorf gehen, in das Herz des verkommenen Reichs der Menschen! Hier würde ihre Suche, ihre Jagd und ihre Rache beginnen! Irgendwo in der Unendlichkeit der Nacht blitzte es hell auf, viele Augenblicke später donnerte es. Heulender Wind fegte plötzlich durch das Tal und wirbelte den Schnee durch die kalte Luft. Er, der Schatten, sandte ihr einen Sturm um den Tag zu verbannen. Einen Sturm, um die Sonne zu verfinstern, damit ihre unheilige Wanderung beginnen konnte. Und sie würde beginnen. In diesem Augenblick. Sie wandte sich ohne einen letzten Blick von der eiskalten Statue ihres Geliebten ab, der in ihrer Sehnsucht nach Rache längst keinen Platz mehr in ihren Gedanken hatte und tat ihren ersten Schritt. Der Wind peitschte auf ihrer Haut, doch sie spürte weder Kälte noch Schmerz. Ihr Hass, ihr Zorn und ihre Wut nahmen ihr jedes andere Gefühl. Nur ihre Vergeltung zählte. Schritt um Schritt ging sie voran. Und mit jedem Schritt sank sie tiefer in den Schnee.



P.S.: Also mit der Formatierung von einkopierten Texten gibts im Forum zur Zeit aber irgendwie ein Problem, oder?
 
Zuletzt bearbeitet:
Nun gut, dann werde ich mich mal als erster melden. Zum Kapitel Odinoki, sehr interessant, bin gespannt wie es mit dem Mädchen mit Gedächtnis schwund weitergeht. Und da sie mit Schneider unterwegs ist wird es wohl bald probleme mit seiner Vampir seite gebn. Zum weiten kapitel, nun, schätze mal Aurora wird nun eine große Bösewicht rolle erlangen. Hoffe auf einen tragischen, emotions geladenen Kampf der vemutlich den einen oder anderen leser eine Träne rausdrücken würde.

Also, wie du liest erwarte ich viel von dir 😉. Freue mich schon auf den nächsten teil
 
Ich könnte jetzt diese Nacht opfern um alles nochmal zu lesen, damit ich wieder drin bin und die neuen Sachen Sinn ergeben, aber ich mache das Vernünftige
Ich fürchte, das ergeht einigen so. Vielleicht hilft es ja, wenn ich eine Superkurzzusammenfassung schreibe, um das einstmal Gelesene neu aufzufrischen.

Die Kinder Sigmars
Der General Klaus Peter Schneider fällt in der Schlacht gegen den Waaagh! des Grorr'bak Trollbeissa. Grorr'bak wird im Vorfeld von einem Schamanen verflucht.
Schneiders bester Freund Albrecht flieht vom Schlachtfeld.
Der Blutdrache Wotan macht Schneider zum Vampir. Dieser erwacht und wird von dem Vampirgott Abhorash vor Goblins gerettet. Als Schneider in seine Heimatstadt gelangt findet er sie zerstört vor und schwört Rache gegen den Waaaghboss!
Albrecht wird von dem Necrarch Abraxasas entführt und gefangen genommen.
Abhorash erscheint Wotan und weist ihm ein neues Ziel, zu dem ihn sein Schicksal führen wird.
Es gelingt Albrecht vor dem Necrarch zu fliehen, er gelangt nach Haselbrühl und trifft Isabella wieder, die ehemalige Verlobte seines Freundes Schneider. Da beide denken Schneider sei tot, werden sie ein Paar. Schneider taucht jedoch einige Zeit später auf und rettet Albrecht das Leben. Beide beschließen, Isabella nichts davon zu erzählen, dass Schneider nun als Vampir weiterlebt. Da Schneider sich allerdings bisher weigerte Blut zu trinken, überkommt ihn der Durst und im Rausch tötet er im Wirtshaus von Haselbrühl zwölf Menschen. Er wird dabei von Isabella beobachtet.
Albrecht und Isabella beschließen daraufhin, dass Schneider für sie als Mensch gestorben ist. Dieser macht sich auf die weitere Suche nach Grorr'bak.
Der Necrarch Abraxasas ist außer sich vor Wut und sucht nach Albrecht. Auf seinem Weg entvölkert er mehrere Dörfer. Albrecht sieht die Gefahr im Traum voraus und überredet Isabella mit ihm zu fliehen.
Der Hexenjäger Markus wird vom Sigmarpriester Walther Groll bezahlt um den Orden der Blutdrachen anzugreifen. Markus jedoch hegt seine eigenen Plänen.
Abraxasas verwüstet Haselbrühl und gerät auf Albrechts Fährte. Wotan durchquert zufällig den entvölkerten Ort und findet einen goldenen, herzförmigen Anhänger, auf dem Isabella abgebildet ist. Er erkennt seine ehemalige Geliebte Aurora in ihr. Aurora kam um, als Wotans Stadt damals von Orks attackiert wurde. Er selbst wurde von dem Zauberer Archbalduin gerettet, wünschte sich aber den Tod gemeinsam mit seiner Geliebten, ermordet den Zauberer und flieht. Archbalduin wird von einem Strigoi zu neuem Leben erweckt und übt sich daraufhin in den Künsten der Nekromantie. Er stellt sich Jahrhunderte später in den Dienst Grorr'bak Trollbeissas.
Markus' Armee aus Hexenjägern wird von den Blutdrachen nieder gemetzelt, er selbst setzt sich ab um seine eigenen Pläne zu verfolgen. Die Orks von Grorr'bak greifen ein, Archbalduin nutzt die Gelegenheit um sich davon zu stehlen. Wotan wird von Shaaitan zum Ordensführer der Blutdrachen ernannt. Shaaitan selbst stürzt sich in die Schlacht gegen die Überzahl der Orks und fällt.
Wotan ist fest entschlossen Auroras wiedergeborene Seele zu finden. Er begegnet Albrecht und Isabella in dem Moment, als auch der Necrarch Abraxasas sie erreicht. Wotan rettet Isabella vor dem Necrarch, dieser jedoch nimmt Albrecht mit. Isabella erkennt Wotan nicht als ihren einstigen Geliebten. In seinem Zorn macht der Blutdrache sie zum Vampir. Von Trauer erschüttert lässt sich Wotan von dem auf Rache sinnenden Archbalduin überwältigen und töten. Er wird als Mensch wiedergeboren und findet seinen Frieden mit Sigmar, als er in Kislev zur Eissäule erstarrt und als Mensch stirbt.
Abhorash erscheint und tötet Archbalduin, da dieser seinen Teil des großen Ganzen erfüllt hat.
Isabella erwacht und erinnert sich an ihr Leben als Aurora. Sie findet Wotan tot auf, erkennt ihn wieder und klammert sich vor Trauer an sein Bein, um zusammen mit ihm zu sterben.
...
Das Imperium kann dem Waaagh! kaum noch standhalten. In seiner Verzweiflung bittet der Imperator den Vampir Kasimir von Carstein um Unterstützung. Dieser willigt ein, unter der Bedingung, dass Sylvanias Provinzen erweitert werden. Kasimir sieht den Fall des Imperiums in der Diplomatie und nicht im Krieg.
Der Hexenjäger Markus erreicht den Waaagh! Grorr'bak Trollbeissas und überredet den Ork zu einem tollkühnen Plan. Er will ihn ins Herz des Imperiums führen, damit er den Imperator dort töten kann. Markus hegt einen persönlichen Hass auf den Imperator, da er für den Tod seines Vaters verantwortlich ist.
Walther Groll ist erbost über den Fehlschlag von Markus und zieht mit seinen eigenen Priestern los, das Böse auszuräuchern. Auf seiner ziellosen Suche entdeckt er den Turm von Abraxasas und erobert ihn. Abraxasas erinnert sich an seine Zeit als Mensch zurück und rettet den gefangenen Albrecht vor den wütenden Theogonisten. Sein eigenes Schicksal bleibt ungewiss.
Albrecht ist zwar vor dem Zorn der Sigmariten gerettet, erfriert aber nahezu in der Wildnis. Schneider findet ihn und bringt ihn in Sicherheit.
Kasimir vereitelt Markus' Plan und zwingt ihn zu Flucht, wird allerdings vom Waaaghboss überwältigt. Nachdem er sich mit Hilfe des magischen Carstein-Ringes von seinen schweren Verletzungen geheilt hat, macht er sich auf die Suche nach Markus.
Markus trifft in der Wildnis auf ein wolfsähnliches Wesen und wird von ihm verwundet, allerdings gelingt es ihm zu entkommen. Einige Nächte darauf wird er selbst zum Wolf. Er erkennt seine neu gewonnene Kraft und schwört sich, das Heer des Imperators zu vernichten, wenn er ihn schon nicht selbst vernichten kann.
...
Schneider und Albrecht dienen im imperialen Heer. Es kommt zur Schlacht mit dem Waaagh! des Grorr'bak Trollbeissa. Albrecht wird beinahe getötet, überlebt aber verletzt. Als er wieder erwacht will er Schneider suchen und sich mit ihm aussprechen. Er findet ihn und erkennt seinen alten Freund.
Markus attackiert das imperiale Heer und kämpft gegen Gunther Hartfuß, der ein Kind erwartet, und seinen Schwager. Die zwei unterliegen ihm, werden allerdings von Kasimir gerettet. Kasimir erschlägt Markus und lässt sich daraufhin, als er erkennt das keiner der Menschen ihn als Held feiert, widerstandslos von Walther Groll töten. Damit er nicht zurückkehren kann, vergräbt er den Carsteinring im Schlamm.
Schneider kämpft gegen Grorr'bak, wird aber von ihm besiegt. Albrecht kommt ihm zur Hilfe und wird dabei getötet. Schneider entwickelt neue verzweifelte Kraft, doch durch den Tod Kasimirs endet dessen unheiliger Zauber und die Sonne geht auf, droht den Vampir zu verbrennen.
Die Seele Archbalduins existiert, durch seine Magie an die Alte Welt gebunden weiterhin. Er bittet Schneider um Hilfe. Dieser soll eine Kette zu einem alten "Freund" (Wotan) zurückbringen, damit er endlich Ruhe finden kann, dafür würde er ihn vor der Sonne schützen. Schneider willigt ein.
Tatsächlich kann er nun in der Sonne kämpfen, unterliegt Grorr'bak aber dennoch. Der Zufall kommt ihm zu Hilfe, denn der Fluch des Schamanen zwingt Grorr'bak zur Flucht. Mit ihrem Anführer fliehen auch die Orks und die Menschen gewinnen die Schlacht. Märchen erzählen, Grorr'bak sei von Sigmar gestraft und von einer Krankheit dahin gerafft worden.
Schneider erfüllt den Willen Archbalduins und erkennt, dass dieser ihn betrogen hat. In Wahrheit hat das Amulett, mit einem dunklen Zauber belegt, die Seelen der zwei Verliebten (Wotan und Aurora) für immer getrennt, auch über den Tod hinaus. Archbalduin erhielt so also seine späte Rache an Wotan. Er rechnet darüber hinaus damit, dass seine Seele in zweitausend Jahren wiedergeboren wird.
Schneider ist alleine auf der Welt und sieht keinen Sinn mehr in seiner Existenz. Er nimmt sich selbst das Leben.
_____________________________________________________________________________________________
Die Kinder des Drachen
(Charaktere, die bereits in DKS vorkamen sind fett markiert.)
Seit der großen Schlacht gegen Grorr'bak Trollbeissa sind sechs Jahre vergangen.
Die Toten wandeln seit Kasimirs Tod zum ersten mal wieder in Sylvanina und entvölkern die Städte. Leichenkarren bergen abertausende Körper.
In Altdorf, der Hauptstadt des Imperiums wütet eine Bestie und entführt junge Frauen. Gunther Hartfuß gehört zu der Einheit, die sie jagen und fangen soll. Es gelingt ihnen nicht. Gunther wird beinahe von der Bestie getötet. Gunthers Kind ist geboren und mittlerweile sechs Jahre alt. Ein kleines Mädchen.
Der Sigmarpriester Walther Groll ist mittlerweile Vorsteher des Sigmartempels, sein persönlicher Diener Aaron erledigt viele Dinge für ihn. Er vertraut ihm voll und ganz. Walther Groll sieht eine schlimme Zeit für das Imperium voraus, aufgrund der Geschehnisse in Sylvanina, der Bestie in Altdorf und der Untätigkeit des Imperators. Er erahnt den Untergang der Menschen. Als Verteidigung gegen die drohende Gefahr züchtet er die Wolfsmenschen in den Katakomben des Tempels. Nach Markus' Angriff während der großen Schlacht waren mehrere Soldaten von ihm verwundet worden und verwandelten sich daraufhin in Wölfe. Der Söldner Angmund, dessen Truppe er angeheuert hat um die Werwölfe zu bewachen, macht ihm Schwierigkeiten und er demütigt ihn. Angmund sinnt auf Rache. Sein Plan ist es, selbst zum Werwolf zu werden um mehr Sold erpressen zu können.
Es kommt heraus, dass Walther Groll den Necrarch Abraxasas nicht vernichtet, sondern gefangen genommen und versiegelt hat.
Slawa von Carstein ist der Nachfolger Kasimirs und er strebt die Herrschaft über das Imperium an. Zu diesem Zweck erschafft er eine neue Armee aus Untoten. Ihm gerät das Mädchen Rubine durch Zufall in die Hände und er beschließt, sie zu verschonen.
Gunther begegnet der Bestie erneut und glaubt, dass sie es auf ihn abgesehen hat. Mit einigen Kameraden will er eine Falle für sie vorbereiten.
Schneider wird gegen seinen Willen von dem Vampirgott Abhorash zurück ins Leben gerissen. Sein Schicksal sei noch nicht erfüllt. Er weiß nicht, was er tun soll.
...etwa sechs Jahre zuvor. Ein Kislevit entdeckt die zu Eis erstarrten Geliebten Wotan und Aurora. Er erkennt den Tod des Mannes, stellt aber fest, dass das Mädchen wie durch ein Wunder überlebt hat. Er trennt sie voneinander und bringt das Mädchen in sein Dorf...

So... alles weitere ergibt sich aus den letzten vier Teilen! Du hättest jetzt also reinhypothetisch keine Ausrede mehr, nicht weiterzulesen. 😉
In der Zusammenfassung fehlen kleine Nebenplots, die für den Storyverlauf nicht notwendig sind, insbesondere bei die Kinder Sigmars. Das hier ist nur dazu gedacht, das Gedächtnis alter Leser wieder aufzufrischen und soll keine detaillierte Inhaltsangabe darstellen! Ich hoffe, es funktioniert halbwegs! 🙂

Liebe Grüße
yinx
 
Zuletzt bearbeitet:
Kapitel XIV
Wolfsgesang




Blinzelnd schlug Angmund die Augen auf. Er erwachte aus einem langen Schlaf. Trüb und verschmiert offenbarte sich die Welt vor ihm. Nur langsam gewöhnten sich seine empfindlichen Augen an das schwache, bebende Licht der Fackeln an den Wänden und es dauerte eine Weile, ehe auch der letzte müde Schatten aus seinem Blick gewichen war. Wie lange hatte er geschlafen? Sein Körper fühlte sich ungewöhnlich steif und taub an, kaum wollte er sich rühren, wirkte beinahe wie festgekettet. Als der Söldner es nach einigen kraftlosen Versuchen immer noch nicht geschafft hatte sich aufzurichten, beschloss er erst einmal liegen zu bleiben und sich weiter auszuruhen. Offenbar benötigte er die Ruhe noch. Er sollte sie sich gönnen. Seufzend ließ er seine Lider fallen und gab sich seinen Gedanken hin. Rogelio war also vollkommen zu einem Wolfsmenschen geworden, hatte sich vom Fluch verführen lassen und seinen Verstand verloren. Seine eigenen Leute in blinder Raserei angegriffen, wie ein tollwütiges Tier. Innerlich schüttelte Angmund den Kopf. Vielleicht hatte sein Plan doch einige Lücken? Vielleicht konnte man den Wolfsdämon, der nach einer geschlagenen Wunde in den Tiefen der Seele wütete nicht beherrschen? Ihn nicht kontrollieren und für seine eigenen Zwecke nutzen? Oder hatte es nur daran gelegen, dass Rogelio ein zu schwacher Mensch war? Mit kraftlosem Geist und ohne Willen? Möglicherweise. Er sollte sich aber überlegen, ob er noch einen Versuch wagen sollte. Er wollte nicht zu viele Männer verlieren, schließlich konnte der Sigmarit Groll irgendwann auf seine Machenschaften aufmerksam werden und abgesehen davon, hatte er ja auch angedroht, für jeden toten Mann ihren Sold zu kürzen. Schwache Wut überkam Angmund bei dem Gedanken an den alten Mann, doch er ließ sich von ihr nicht erschüttern oder aufregen. Er wischte seine Überlegungen beiseite und fasste den Entschluss, sie auf später zu verschieben, wenn er noch ein wenig geschlafen hatte. Mattigkeit und Schwäche lagen auf seinem Leib und schienen ihn schwer und träge zu machen. Noch immer konnte er sich kaum rühren, ja gerade mal den Kopf ein wenig drehen. Er brauchte Ruhe. Viel Ruhe. Dann würde es ihm bald besser gehen.
Als er seine Gedanken treiben ließ, stürzten dafür immer mehr andere Eindrücke auf ihn ein, die er vorher kaum wahrgenommen hatte. So würde er keine Ruhe finden. Verdammt, was hatten seine Leute denn hier gemacht? Seit wann stank es denn in den Kellern so gewaltig? Er konnte den Unrat aus den Latrinen riechen, die ungewaschene Haut und das fettige Haar seiner Männer, das Fell der Wolfsmenschen und den schwachen Rauchgeruch der Fackeln. Er konnte das Bier und den Wein riechen, mit dem sie sich abends betranken und die dünne Kartoffelsuppe, die auf einer Feuerstelle vor sich hin köchelte. Außerdem herrschte einen heilloser Krach in den verfluchten Gewölben. Abgesehen vom stetigen Kreischen und Grollen der Wolfsungeheuer, unterhielten sich die Söldner plötzlich ungewöhnlich laut. Jedes ihrer Worte konnte er verstehen. Er hörte ihre Waffen rasseln, schepperndes Metal und scharrendes Holz, wenn jemand einen Stuhl verrückte. Er hörte die Gitter der Käfige unter den Angriffen der Wolfsmenschen ächzen und er hörte die Stiefel der Menschen über den Boden poltern. Überall um ihn herum krabbelten die Ratten in den Wänden, stahlen Brotkrümmel und knabberten alles Essbare an, sie schienen in jedem Winkel zu sein und...

Er riss die Augen auf. Mit wie wild schlagendem Herzen starrte er in den Raum. Kalter Schweiß trat auf seine schmutzige Stirn und bildete dunkle, dreckige Tropfen die schwarze Linien über sein Gesicht zogen. Seit wann konnte er die Ratten hören? Er hatte die Ratten vorher noch nie gehört?! Was war geschehen... war er etwa? Sigmar! Seine Konzentration richtete sich auf sein Bein und er bewegte es leicht. Es ging schwer und war anstrengend, aber... er fühlte nichts. Die Wunde war bereits verheilt! Vollständig verheilt! Das war unmöglich! Solch eine Verletzung brauchte eigentlich Wochen, bis sie vollständig genesen war. Doch er fühlte keine Schmerzen, keinen Druck, kein Pulsieren. Da war nichts. Einfach nichts.
Nun fiel ihm auch auf, dass außer ihm niemand in dem Raum zu sein schien, dennoch hörte er die Stimmen der Söldner, als stünden sie direkt neben ihm. Problemlos konnte er zwischen drei, nein, sogar vier Gesprächen unterscheiden und mithören, als sprächen sie direkt zu ihm. Eigentlich hatte ihn auch der Gestank in den Katakomben nie gestört, doch mit einem mal stach er ihm wie ein Messer in die Nase. Verdammt! Rogelio, diese elende, kleine Missgeburt! Sicher hatte der Estalier ihn mit dem Wolfsfluch beladen! Verfluchter Mist! Ihn angesteckt. Angmund unterdrückte eine bösartige Verwünschung. So ein Schlamassel! Angst überkam ihn wie ein kalter Regen. Würde er sich auch verwandeln? Würde er auch die Kontrolle verlieren? Zu einem großen, haarigen Wolf werden? Würden seine Männer ihn dann auch in einen Käfig sperren? Nein! Nein! Niemals! Nein, er glaubte nicht daran, dass er genau so willensschwach wie der verfluchte Rogelio war! Ja, er war sich sicher, er könnte dem Fluch widerstehen. Er könnte es beherrschen! Er war von sich überzeugt und ohne jeden Zweifel. Er würde es schaffen! Rogelio mochte gescheitert sein, doch der zum Glücksspiel, Suff und Hurerei neigende Faulpelz war im Nachhinein vermutlich auch die denkbar schlechteste Wahl für ein Vorhaben dieser Art gewesen! Zugegeben, er selbst hatte ähnliche Neigungen, aber er war dennoch deutlich ehrgeiziger! Fast hätte Angmund all' seine Karten und damit sein Glück verspielt, indem er die Sicherheit seines tollkühnen Plans in die Hände eines solchen Nichtsnutzes gelegt hatte! Wie töricht er gewesen war! Doch noch war es nicht zu spät, noch hatte er einen Trumpf im Ärmel! Sich selbst! Wer außer ihm sollte es aus diesem verlausten Haufen von Söldnern wohl sonst zu etwas anständigem bringen? Wer hatte sie überhaupt erst unter sich vereint? Er war es gewesen, ganz alleine er! Er hatte sie doch alle von der Straße geholt und aus Pennern und Tagelöhnern unerbittliche Krieger gemacht! Wer wenn nicht er, sollte es von diesen Versagern wohl schaffen, den Wolfsdämon in sich zu kontrollieren und zu seinem eigenen Vorteil zu nutzen? Ganz alleine er war in der Lage, diese Tat zu vollbringen! Und bei Sigmar und allen Heiligen Estalias, er würde sie vollbringen! Ein böses Grinsen schlich in sein Gesicht und gab ihm einen gefährlichen Ausdruck. Verdammt, ja! Ja! Er würde den arroganten Sigmarpriester in seine Schranken weisen und viele, viele Goldmünzen von ihm erpressen! Bereits jetzt konnte er es vor sich sehen! Den in Schande gebeugten Tempelvorsteher, sich selbst darüber, triumphierend aufragend und ihn richtend. Verurteilend. Er sah einen Regen aus Talern über sich. Er wollte lachen, böse und voll Vorfreude, aber... aber, hatte er geknurrt? Verwirrt schüttelte er den Kopf und ihm fiel eine fettige Haarsträhne ins Gesicht. Sie kitzelte ihn, doch noch vermochte er es nicht, die Arme zu bewegen, um sie wegzuschieben. Sie waren immer noch wie taub. Auch seine Beine. Hatte das mit dem Fortschreiten des Fluchs zu tun? War er bereits kurz davor, seine übermenschliche Kraft zu erlangen? Diese Macht, die auch Rogelio erfüllt hatte, ehe dieser seinen Verstand verloren hatte? Sicher war es so! Glücklich lächelnd schloss er erneut die Augen. Er konnte es kaum erwarten. Ein weiteres mal versuchte er sich dem Schlaf hinzugeben und noch ein wenig Ruhe zu finden, ehe er seine Pläne verwirklichen wollte.
Doch plötzlich hallte eine laute Stimme durch die Gewölbe und schnitt gleich einer Klinge durch sein Bewusstsein. Erschrocken zuckte er zusammen. Seine ungewohnt feinen Ohren klingelten und er brauchte eine Weile, um sich zu sortieren. Offenbar stritten sich einige Söldner über etwas und ließen ihrem Ärger freien Lauf.
„Ich sage wir beenden es jetzt!“, wiederholte die laute Stimme. Angmund beschloss, seine Fähigkeiten zu erproben und das Gespräch seiner Männer zu belauschen. Dass sie sich wegen irgendetwas in die Haare bekamen war nicht ungewöhnlich. Manchmal wurde es sogar so wild, dass er sie trennen musste, damit sie nicht mit ihren Waffen aufeinander losgingen. Es blieb zu hoffen, dass es diesmal nicht so war, denn aufgrund seines betäubten Leibes wäre es ihm nicht möglich in den Streit einzugreifen. Gespannt lauschte er ihren Worten.
„Wie geht’s ihm den jetzt?“, fragte einer. Er erkannte die Stimme als die Estebans, des anderen seiner zwei Unteroffiziere.
„Die Wunde scheint komplett geheilt, es ist wie ein Wunder.“, sagte ein dritter.
„Kaum zu glauben.“, murmelte Esteban. Es schien, als hätte er in der Tat sehr leise gesprochen, doch Angmund verstand dennoch jedes Wort. Verblüfft darüber, welche Gaben ihm der Fluch verlieh, überhörte er die Antwort des ersten Söldners, der wie bereits zuvor sehr erregt sprach und die Wut in seiner Stimme nur schlecht unterdrückte. Erst als er erneut Estebans Stimme vernahm, konzentrierte er sich wieder auf die Unterhaltung.
„Dafür ist es noch zu früh.“, sagte eben dieser. „Wir können nicht sicher sein.“

„Warum das Risiko eingehen?“, forderte der Erste energisch eine Antwort.
„Er hat Recht.“, bestätigte der Dritte und wandte sich an Esteban. „Du hattest früher ohnehin schon solche Pläne.“
Angmund musste lächeln. Seit wann hatte Esteban Pläne? Seit wann konnte der einfältige Volltrottel überhaupt Pläne schmieden? Ja, seit wann konnte er überhaupt über seine eigene Nasenspitze hinaus denken? Das passte ungefähr so gut zusammen, wie Söldner und schlecht verdingte Arbeit. Angmund hatte ihn nur zu seinem Unteroffizier gemacht, weil er roh und brutal war und sich bei den Männern leicht Respekt verschaffen konnte. Er war ziemlich beliebt in der Truppe. Im Zweifelsfall würden die Männer vermutlich eher Esteban folgen als ihm.

Entsetzt weiteten sich Angmunds Augen. Er ahnte das Kommende, bevor es ausgesprochen wurde.
„Wir schneiden dem blonden Mistkerl jetzt einfach die Kehle durch. Er hat sowieso nie richtig zu uns gehört!“
„Ich weiß nicht.“, zögerte Esteban und Angmund war überrascht, dass er überhaupt Zweifel daran hatte, ihm sofort den Garaus zu machen. Wieso war ihm das nicht gleich aufgefallen? Die ganze Unterhaltung hatte darauf hin gedeutet! Diese untreuen, hinterhältigen Schweine. Elende Verräter! Kaltblütig wollten sie ihn auf dem Krankenbett schlachten! Wieso jetzt? Wieso ausgerechnet jetzt?
„Rogelio hat ihn verletzt.“, flüsterte der Erste, „Wir können nicht zulassen, dass er auch zwei Männer tötet, falls er sich verwandelt! Besser wir beseitigen ihn sofort.“ Natürlich. Das war ja klar. Sie hatten Angst, Angmund würde ebenfalls zum Wolf werden und könnte sie angreifen. Feiges Pack! Außerdem war es eine perfekte Gelegenheit ihn zu erledigen. Man müsste den anderen Söldnern gar nichts mehr erklären, oder sich rechtfertigen. So ein verfluchter Dreck! Mist! Verdammt! Angmund murmelte vor sich und zornige Auswürfe kamen über seine Lippen. Ihnen musste doch klar sein, dass er viel stärker und ehrgeiziger war als Rogelio! Sie mussten doch wissen, dass er sich nicht so leicht in dem Ungeheuer verlieren würde. Scheiße!
Ätzend!
„In Ordnung. Lasst es uns tun.“, vernahm er Estebans Stimme und kurz darauf drang das Scharren ihrer Füße an seine Ohren. Angst schlich in sein Herz und nagte an seiner Konzentration. Er konnte nicht genau sagen, wo sie waren und wie lange sie genau brauchen würden, um ihn zu erreichen. Die Panik machte ihn hellwach. Ein weiteres mal versuchte er sich zu bewegen, doch es gelang ihm auch diesmal nicht. Was in aller Welt war denn mit ihm los? Sein Körper verweigerte ihm hartnäckig den Dienst. Er legte alle Kraft in die Versuche sich zu bewegen, aber nichts geschah. Nur seine Hand- und Fußgelenke meldeten sich schmerzhaft, so als würden sie sich an irgendetwas wund scheuern. Scheuern? Moment mal! Angmund wandte den Kopf zu seiner Hand und stellte mit einem Schreck fest, dass sein Leib überhaupt nicht taub war. Man hatte ihn nur festgekettet. Auf den Gedanken war er überhaupt nicht gekommen.
„Ihr Heiligen, nein!“, murmelte er ängstlich. Gegen seinen eigenen Körper hätte er vielleicht noch gewinnen können, aber er sah keine Möglichkeit, diese festen Eisenketten zu sprengen. Die Geräusche der schweren Stiefel seiner Mörder wurden immer lauter, kamen immer näher. Er hatte nicht mehr viel Zeit. Aber er war ohnehin hilflos. Er konnte nichts mehr tun, sich nicht wehren, nicht aufbegehren. Wie ein Schwein auf der Schlachtbank lag er da. Furcht übermannte sein Denken. Die Furcht vorm Tod. Nein! Nein, er wollte nicht sterben! Bitte nicht, er wollte nicht! Nicht nach all' dem, was er in seinem Leben schon durchgestanden hatte! Sigmar, Herr, bitte nicht! Bitte nicht! Ihr Heiligen, flehte er in Gedanken die Decke des Gewölbes an, bitte rettet mich! Es darf noch nicht vorbei sein. Ängstlicher Schweiß strömte in Sturzbächen aus seinem Leib, furchtsame Tränen funkelten in seinen Augen. Er wollte doch nicht sterben! Oh bitte! Bitte, nein! Nicht! Mit aller Macht zerrte an seinen Fesseln, riss mit Leibeskräften an den Ketten, dass ihre Glieder knackten. Es half nichts. Er konnte sich nicht befreien. Unmöglich. Sein Atem ging flach und schnell, raste förmlich. Schleim trat in seine Nase und Tränen verschleierten seine Sicht. Das sollte es also gewesen sein? Sein Ende? Sein Leben? Schon vorbei? Festgekettet an eine harte Holzliege, von ein paar gierigen Halunken aufgeschlitzt. Er würde aus der Welt scheiden, wie er in sie hineingetreten war. Einsam und dreckig, unbemerkt und unerwünscht. Die Schritte der Söldner waren nun ganz nahe, drangen mit harten Schlägen an seine Ohren. Jeden Augenblick mussten sie durch die Tür kommen und seinem Leben mit einer schartigen Klinge ein Ende setzen. Schmerzvoll und grausam. Dann wäre es vorbei. Aufgebend ließ er den Kopf sinken und starrte an die Decke. Er konnte nichts mehr tun. Die Schritte verklangen, direkt vor der Tür. Das war's. Seine Mörder warteten noch kurz, nur einen Augenblick, dann würden sie hineinkommen. Er schloss die Augen. Es war vorbei. Die Tür öffnete sich.

Esteban hatte sich nur schwerlich von seinen Männer überreden lassen, Angmund die Kehle durch zu schneiden und sich seiner zu entledigen, doch letztlich hatten sie ihn überzeugt. Das Risiko war zu groß. Die von ihm ausgehende Gefahr zu schwer einzuschätzen. Es war nicht so, dass er seinen Entschluss sonderlich bedauerte, oder Gewissensbisse hatte. Der Imperiale kümmerte ihn wenig. Er hatte keine Gefühle für ihn, weder freundschaftliche, noch loyale, aber tief in seinem Herzen wusste Esteban, dass Angmund es gewesen war, der sie geführt, ihnen Aufträge, Gold und einen gewissen Wohlstand verschafft hatte. Ohne ihn hätten sie es vermutlich nicht so weit gebracht, das war ihm klar. Angmund war derjenige mit dem Plan. Esteban der mit der Zunge. So war es schon immer gewesen. Hätte er die Söldner nicht vom ersten Tag an beruhigt und sie von Angmunds Notwendigkeit überzeugt, sie hätten den Blondschopf sicher schon längst aufgeknüpft. Zuweilen hatte er selbst den Plan gefasst den Fremdling hinterrücks zu meucheln, ihm ein Messer in die Lunge zu stoßen, immer wenn dieser ihn überging, ihn vor den anderen demütigte, blamierte oder sich selbst mal wieder zum alleinigen Anführer erklärte und niemand anderen in seine Pläne reinreden ließ. Bislang hatte Esteban sich aber immer wieder dagegen entschlossen. Nun aber war das das Maß voll! Das idiotische Vorhaben, sich in Wolfsmenschen zu verwandeln, war natürlich gescheitert und er hatte mit Rogelio einen guten, treuen Freund verloren. Der Imperiale allein hatte das zu verantworten. Es war seine Schuld! Außerdem war er verletzt worden und Paolo hatte richtig festgestellt, dass es sein konnte, dass er nun auch zum Wolf werden und sie angreifen würde. Noch mehr wahre Estalier wollte er nicht für diesen Fremdling opfern. Nach dem Kampf gegen Rogelio war Angmund in Ohnmacht gefallen und sie hatten die Gelegenheit genutzt, um ihn festzuketten und unschädlich zu machen. Nun mussten sie ihm nur noch ein Messer in sein weißes Fleisch jagen und es wäre vorbei. Es war gut, ihm nicht im direkten Kampf gegenüber zu treten, denn er war ein fähiger Krieger und es hätte sie Mühe gekostet, ja, vielleicht sogar Blut, ihn zu überwältigen. Ein wenig Sorge hatte er noch, wie es nach dem Tod ihres Anführers weiter gehen sollte, aber er würde es schon irgendwie meistern. Dem Priester Groll würde er sagen, Angmund sei von einem Wolfsdämon getötet worden, und dass er jetzt das Kommando über die Söldner übernommen hatte. Groll würde zufrieden sein. Der Blondschopf hatte ihm nur Probleme bereitet und Esteban würde sich ihm unterordnen und ihm versprechen, dass es ab sofort zu keinen Störungen mehr kommen sollte. Das sollte ihn erst einmal zufrieden stellen. Den Männern würde er schlicht die Wahrheit erzählen und zwar, dass ihr sowieso ungeliebter Anführer den Wölfen zum Opfer gefallen sei. Den Sold, den sie bei der Arbeit hier verdienten, reichte aus, um sie wenigstens die nächsten Monate über zu versorgen und bis dahin musste er sich nicht um neue Aufträge kümmern. Vielleicht wäre Groll auch zufrieden mit ihm und seinen Söldnern und es winkte noch mehr Arbeit von seiner Seite aus. Esteban zuckte beiläufig mit den Schultern. Es würde schon irgendwie werden. Während er seinen Gedanken nachgegangen war hatten sie die Tür der Kammer erreicht, in der sie Angmund festgekettet hatten. Sie blieben stehen, er zog einen langen, scharfen Dolch aus seinem Gürtel und bereitete sich innerlich kurz darauf vor, dem Mann, dem er jahrelang gefolgt war, gleich die Adern zu öffnen und sein Blut zu vergießen. Kurz atmete er noch einmal durch, dann öffnete er die Tür und trat ein.
Wie versteinert blieb er stehen. Fassungslos starrte er auf die Holzliege. Fassungslos starrte er auf die zerrissenen Ketten. Fassungslos starrte er in den leeren Raum. Der Blondschopf war verschwunden. Verblüfft klappte Esteban die Kinnlade herunter. Wie hatte er das gemacht? Wie hatte er nur entkommen können? Langsam trat er an die Liege heran und betrachtete die zerstörten Eisenglieder der Fesseln, wog sie prüfend in einer Hand. Das war unmöglich! Kein Mensch konnte solch' dicke Ketten zerreißen, kein Mensch konnte... kein Mensch... kein Mensch!

Ihr Heiligen steht uns bei! Von einer dunklen Ahnung beflügelt wirbelte Esteban herum, doch es war zu spät. Die Tür schlug zu. Ein Schrei zerriss die Luft.

Der Mensch ist schwach, schwach, schwach. Gefahr, Gefahr, Gefahr! Gefahr, verbirg ihn, verbirg dich, verbirg dich. Verstecken, verstecken! Schnell, schnell, schnell! Zerreisse Fessel aus Stahl, leicht wie Knochen, zerreisse, zerreisse! Jetzt rasch, rasch! Verbergen, verbergen! Schnell, schnell! Da, die Tür, hinter ihr! Hinter der Tür! Verstecken, verstecken! Sie öffnet sich! Rasch, rasch! Mensch, schwach, schwach, Menschen schwach, schwach, schwach! Fressen, fressen, fressen! Blut, Blut, Blut! Warte noch, warte noch, noch, noch! Warte noch! Die Tür, die Tür! Sperr sie ein, sperr sie ein! Jetzt, jetzt, jetzt! Sperr sie ein! Zerreisse, zerreisse, zerreisse! Fressen, fressen! Zerreisse Menschen, zerreisse Haut und Knochen, Knochen! Schwach, schwach! Zerreisse, zerreisse! Drei Menschen, drei Menschen, schwach, schwach, schwach! Zerreisse, zerreisse! Schwach, schwach, schwach! Blut, Blut, Blut, saufe, saufe ,saufe Blut, Blut! Fressen! Fressen! Zerreisse, zerreisse! Meide das silberne Ding! Meide die Lanzen! Meide Silber, Silber! Schmerz! Schmerz! Schmerz! Töte! Töte sie! Zerreisse, zerreisse, zerreisse! Schreie, Schreie, Schreie! Mach das er aufhört zu schreien! Schreien, schreien, schreien! Mehr Menschen, mehr Menschen, mehr Menschen! Durch die Tür, durch die Tür! Rasch, rasch! Schwach, schwach, schwach! Viele Menschen, viele! Viele Menschen! Zerreisse, zerreisse, zerreisse! Menschen schwach! Gib acht, gib acht! Pass auf! Silberlanzen, Silberlanzen, Silberlanzen! Schmerz, Feuer. Au, es schmerzt. Schmerzen, Schmerzen, Feuer! Sie schreien, brüllen, schrei sie an! Schrei sie an! Da, ihre Furcht! Schwach, schwach, schwach! Klein und ängstlich! Ängstlich, ängstlich! Schrei sie an, schrei sie an! Aber sie haben Silberlanzen, Silberlanzen, Silberlanzen! Schnell flieh! Flieh! Flieh! Flieh! Verbergen, verbergen, verbergen! Schnell die Schatten, Schatten! Verbergen! Verstecken, verstecken! Menschen fort, fort. Kein Silber mehr, kein Silber mehr! Fort von den Silberlanzen, fort von den Silberlanzen, Silberlanzen! Rasch, rasch, rasch! Eisentor, Eisentor! Schwaches Eisentor, Eisentor, Eisentor! Zerstören, zerstören! Zerkratzen, verbiegen, verbiegen! Dort, dort, dort, Treppe! Hinter Tor, Treppe, Treppe! Dahinter, dahinter! Flieh zur Treppe, Treppe, Treppe! Weg aus dem Keller! Keller! Hin zum Mond, Mond, Mond! Auf in die Nacht! Hoch die Treppe, Treppe, Treppe! Hoch! Hoch! Hoch! Durch die Halle! Halle! Halle!
Dort! Dort! Dort! Dort! Dort! Dort! Dort! Dort! Dort! Dort! Dort! Noch ein Mensch, Mensch, Mensch! Schwacher Mensch, Mensch, Mensch! Fressen! Fressen! Fressen! Zerreisse! Zerreisse! Los! Los! Los! Zerreissen! Zerreisse! Zerreisse! Spring hoch! Hoch zu ihm! Hoch zu ihm! Spring, spring, spring! Rasch! Rasch! Fressen! Fressen! Furcht in seinen Augen, Tränenschleim! Furcht! Furcht! Schwacher Mensch, schwach, schwach, schwach! Der Mensch ist schwach, schwach, schwach! Friss ihn! Friss ihn! Zerreisse! Zerreisse, zerreisse, zerreisse! Fressen! Jetzt!

Au, au, au! Schmerz, Schmerz, Schmerz! Schmerzen! Was? Was? Was? Was? Was? Was? Was? Was? Was? Was? Was? Was? Was? Noch mehr Schmerz? Was ist es? Was? Was? Was? Da! Feuerbart! Feuerbart! Weißes Feuer! Alter Mann! Mensch ist schwach, schwach, schwach! Goldenes Licht der Sonne! Böses Feuer! Was ist das? Was ist das? Was? Was? Was? Was? Kein Silber! Kein Silber! Kein Silber! Kein Silber! Kein Silber! Der Mensch ist schwach, schwach, schwach! Zweiter Mensch! Zerreisse ihn! Zerreisse, zerreisse, zerreisse! Fressen! Töte ihn! Töte ihn! Töte sie beide! Beide! Beide, schwach! Schwach!
Au, au, au! Schmerz, Schmerz, Schmerz! Was ist es? Was? Was? Was? Was? Was? Heißes Sonnenfeuer aus seinem Mund! Feuerbart! Feuerbart! Wut! Wut! Töte ihn! Töte ihn! Töte ihn! Zerreisse, zerreisse, zerreisse! Au, au, au! Hammer schmerzt, Sonnenfeuer! Flieh, flieh, flieh! Flieh vor weißem Feuerbart! Flieh, flieh, flieh! Feuerbart, Feuerbart! Au, au, au! Schmerz! Schmerz! Feuer schmerzt in Wolfs Ohr! Sonnenfeuer, Feuerbart! Feuer aus seinem Mund schmerzt in Wolfs Ohr! Lauf, lauf, lauf! Rasch, rasch, rasch! Verbergen, verbergen! Flieh in die Schatten! In die Nacht! Hin zum Mond! Lauf, lauf, lauf! Zum Mond! Zum Mond! Feuerbart schreit, schreit! Lauf, lauf, lauf! Rasch, rasch, rasch! Sieh nicht zurück, nicht zurück! Rasch, rasch, rasch! In der Nacht ist Sicherheit! Hin zum Schatten, hin zum Schatten! Rasch, rasch, rasch! Hin zum Mond! Hin zum Mond! Der Mensch ist schwach, schwach, schwach! Dort der Mond! Der Mond! Der Mond! Da der Mond, Mond, Mond! Singen! Singen! Singen! Der Mond, der Mond, der Mond! Singen, singen, singen! Sing für ihn! Der Mond, Mond, Mond! Sing ihn an! Sing ihn an! Sing ihn an!

Sing für ihn!



Ein schauriges Heulen drang durch die Nacht, zerriss die geisterhafte Stille und ließ Gunther vor Schreck zusammenzucken. Furchtsam starrte er in die Dunkelheit. War das die Bestie gewesen? Hatte sie ihre Jagd begonnen? Würde sie kommen? Er kauerte sich in den Schatten und hielt seinen Blick fest auf das Fenster gerichtet. Es wäre gelogen würde er sagen, er habe keine Angst. Im Gegenteil. Er hatte entsetzliche Angst! Er fürchtete um sein Leben! Wenn Sigmar es so wollte, würde dies die letzte Nacht sein, die er erlebte. Immerhin war seine Familie in Sicherheit, das war vorerst das Wichtigste für ihn und stimmte ihn etwas wohler. Für diese Nacht waren sie bei dem Vater seiner Frau untergekommen, außerhalb der Reichweite dieser sonderbaren Kreatur. Er selbst hatte seinen Plan wahr gemacht und zusammen mit seinen Kameraden eine Falle für das Untier gestellt. Es war keine besonders ausgeklügelte Falle und eigentlich gab es auch keinen besonderen Plan. Gunther rechnete nur fest damit, dass die Bestie ihn würde holen kommen. Heute! Daher hatten sie sich bewaffnet und auf die Lauer gelegt. Seine Rolle war es, den Köder zu spielen. Um keinen Argwohn bei der Kreatur zu wecken, hatte er sich scheinbar ganz normal zu Bett begeben und wartete nun darauf, dass sie auftauchte. Unter der Decke hatte er eine geladene Pistole und ein Schwert versteckt. Franz und Alfred versteckten sich im Kleiderschrank und warteten auf sein Signal, Hans lag unter dem Bett und Andrej hockte vor der Tür im Flur. Sobald das Wesen durch das Fenster kommen würde, würde jeder seinen Schuss auf es abgegeben, dann würden sie es mit ihren Schwertern attackieren und hoffentlich so stark verwunden, dass es sich nicht mehr wehren oder fliehen konnte. Dann würden sie es umbringen.
Der Raum in dem sie die Falle gestellt hatten, sein Schlafzimmer, war nicht sonderlich groß, maß gerade mal ein paar Schritt an jeder Wand und so wäre die Beweglichkeit des Ungetüms stark eingeschränkt, wenn sie es hier zum Kampf forderten.
Gunther vermochte nicht genau zu erklären, woher er wusste, dass es ihn heute heimsuchen würde, aber seine Freunde glaubten und vertrauten ihm, riskierten freiwillig ihr Leben für ihn. Er war ihnen unendlich dankbar dafür, dass er diese furchtbaren Stunden nicht alleine durchstehen musste. Allein schon ohne Franz' Hilfe wäre die ganze Unternehmung nicht machbar und im Vorfeld zum Scheitern verurteilt gewesen. Er hatte sich in die Waffenkammer der Wache geschlichen, vier Musketen, ein halbes Dutzend Pistolen, Pulver und Kugeln gestohlen. Wäre er erwischt worden, hätte das schlimme Folgen für ihn haben können. Schwerter oder lange Messer hatte jeder von ihnen, wenigstens ein taugliches in Besitz. Im Stillen dankte Gunther Sigmar für seinen Beistand. Er war sich sicher, dass der Gott der Menschen ihn in dieser schweren Zeit nicht alleine lassen würde. Bis jetzt hatte alles reibungslos funktioniert. Er nahm es als gutes Zeichen.
Angespannt warteten Gunther und seine Kameraden und lauschten in die Finsternis. Sie achteten auf jedes kleinste Geräusch, doch seit dem unheimlichen Wolfsgeheul war es totenstill. Er versuchte sich schlafend zu stellen, doch es gelang ihm nicht. Er war zu nervös, hatte zu viel Angst, bewegte sich unablässig und konnte die Augen nicht geschlossen halten. Die Zeit kroch unendlich langsam durch die Nacht und er verlor jedes Gefühl für sie. Irgendwann wusste er nicht mehr, wie lange sie nun schon in der Dunkelheit hockten und auf ihren entsetzlichen Feind lauerten. Stunden? Wie lange würde es noch bis zum Morgen dauern? Noch stand der Mond hoch am Himmel, halb verborgen von dunklen Wolkenfetzen, die sich schwarz von der blauen Nacht abhoben, doch wie lange mochte es noch so sein? Hatte er sich geirrt? Würde die Bestie nicht kommen?
Verärgert schüttelte er kaum merklich den Kopf. Er hatte keinerlei Zweifel gehabt, die Augen des Ungeheuers hatten sich tief in seine Seele gebrannt. Sie würde kommen! Sie musste kommen! Sie hatte es ihm angekündigt! Schließlich konnten sie ihr nicht jede Nacht eine solche Falle stellen! Hatte er sich vielleicht nur gewünscht, sie würde ausgerechnet in dieser Nacht erscheinen? Oder hatte er nur solche Angst davor gehabt? Hatte er sich geirrt? Er wollte sich die Folgen nicht ausmalen. Blieb ihr Erscheinen in dieser Nacht aus, dann würden seine Freunde ihm kein Wort mehr glauben und er musste sich dem Untier irgendwann alleine stellen. Gunther wurde in seinem Bett zusehends unruhiger. Genaugenommen waren Zweifel durchaus gerechtfertigt. Zuvor hatte die Bestie immer nur junge Mädchen entführt, gerade so an der Grenze zur Fraulichkeit, wenn überhaupt. Wieso sollte sie ausgerechnet in dieser Nacht ihr Vorgehen ändern und einen müden, abgekämpften Soldaten als Opfer wählen? Seine Gedanken rasten. Zwar hatten sich in seine Sicherheit mittlerweile einige Zweifel geschlichen, doch trotzdem war er noch vom Erscheinen der Bestie überzeugt. Wieso sonst hätte sie ihm im Wirtshaus nochmal erscheinen sollen? Möglicherweise hatte er sie falsch verstanden? Hatte sie ihm was sagen wollen? Etwas mitteilen wollen? Er konnte nicht daran glauben. Was hätte dieses rohe Ungetüm ihm schon mitteilen wollen? Ihm schon mitteilen können? Nein, da war nichts, er konnte es nicht vorstellen. Aber vielleicht war alles nur ein großer Zufall gewesen? Nur ein unbedeutendes Unglück? Während er sich so in seinen Gedanken und Zweifeln verlor, schien die Zeit schneller zu verfließen. Die Wolken zogen rasch am Mond vorbei und die helle Scheibe schien etwas näher an die Dächer Stadt heran zu sinken. Gunther kam zu keinem Schluss, war am Ende von Unsicherheit wie zerfressen. Er seufzte leise und richtete sich im Bett auf. Das Ungetüm kam nicht. Würde nicht kommen. Sicher hatte er sich geirrt. Er musste es einsehen. Seinen Freunden würde er es schon irgendwie beibringen, sie konnten das Biest ja auch noch während ihrer Wachzeit jagen, sobald es wieder auftauchte. Ein wenig Trost kam zusammen mit der Einsicht seines Irrtums. Wenn sie diese Nacht nicht erschienen war, vielleicht hatte sie es dann gar nicht auf ihn abgesehen? Vielleicht jagte sie ihn gar nicht? Vielleicht musste er sich nicht um seine Familie fürchten? Nicht um sein Leben? Er lächelte zaghaft, noch reichlich schwankend und nur wenig überzeugt, aber mit den verstreichenden Minuten fühlte er sich sicherer. Sein Leben war nicht in Gefahr. Er war einfach nur ein großer Trottel mit einem großen Haufen Angst in der Hose gewesen. Hatte aus Furcht seine Freunde um sich gescharrt. Alter Narr!, schalt er sich selbst in Gedanken. Seine Kameraden würden zunächst vielleicht wütend auf ihn sein, besonders Franz, aber irgendwann konnten sie sicher wieder drüber lachen. Lieber den Ärger seiner Freunde, als ein Monster vor der Tür. Er lächelte. Zufrieden. Irgendwie erleichtert. Beruhigt. Er schob die Decke von sich und stand auf. „Was ist?“, fragte Hans flüsternd unter dem Bett, der die Füße seines Freundes auf den knarzenden Dielen gehört hatte. Aber Gunther konnte nicht antworten. Seine Zunge hing wie gelähmt in seinem offenen Mund. Die Furcht machte ihn starr. Entsetzt riss er die Augen auf. Glühende, rote Kohlen starrten ihn durch sein Fenster hindurch an. Wut und Gier funkelte in ihnen und sprühten leuchtend heiß in den kleinen Raum.
Ein gewaltiger Schatten schob sich vor den Mond.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hi,
Ich habe deine Geschichte vor ein paar Tagen durch Zufall hier gefunden und regelrecht verschlungen.
Ich muss dir ein großes Lob für diese Leistung aussprechen.
Am Anfang war die riesige Anzahl deiner Charaktere sehr verwirrend aber sehr interessant.
Sehr gut finde ich vor allen Dingen deine Steigerungen im Schreibstil. Die ersten Kapitel waren schon gut, aber die Fortsetzung "Die Kinder des Drachen" liest sich, als würdest du nichts anderes mehr machen und dein geld damit verdienen.

Bleibt noch die Frage: Schreibst du weiter?
Würde mich und meinen Freundeskreis sehr freuen.

hochachtungsvoll
Eldoron
 
Dank Umzug und Arbeit etwas im Stress, aber was länger währt wird meistens besser! ;-)

Kapitel XV
Feuerband




Mit dem Klirren von splitterndem Glas und dem Krachen von Holz warf sich der Schatten in das kleine Zimmer, riss ein ganzes Stück der Wand mit sich und stieß einen schrillen, hohen Schrei zwischen seinen gewaltigen Fangzähnen hindurch. Gunther stolperte vor Schreck zwei Schritte zurück, strauchelte und stürzte. Vor seinen Augen zogen die hektisch umher wirbelnden, roten Kohlen helle, flackernde Linien durch die Luft. Warmer, schleimiger Speichel schlug ihm ins Gesicht, als die Kreatur ein weiteres Brüllen aus ihrem Rachen schmetterte. Die Wände schienen zu beben. Gunther kroch von dem Monstrum weg. Alles wirkte entsetzlich langsam, träge und betäubt, jede Bewegung floss wie zähes Harz durch die Zeit. Es war, als könnte er sich kaum bewegen, wie in einem Traum, in dem man fortlaufen möchte, aber nicht kann. Nur sein Herz raste. Schlug schmerzhaft von innen gegen die Rippen. In seinem Kopf tobte ein wütender Orkan. Das Blut rauschte donnernd in seinen Ohren. Hektisch versuchte sein Verstand einen klaren Gedanken zu fassen, aber es gelang ihm nicht. Er war starr vor Angst, ahnungslos darüber, was er tun sollte, was er tun könnte. Der ganze ersonnene Plan verschwand in einem Strudel aus Panik, irgendwo in seinem Schädel.

Noch immer vor Schreck gelähmt, bekam er kaum mit, was um ihn herum geschah. Er merkte nicht, wie Andrej durch die Tür ins Schlafzimmer brach, Franz und Alfred aus dem Kleiderschrank stürmten und Hans sich fluchend unter dem Bett hervor kämpfte. Die Schüsse dreier Musketen peitschten durch die Luft, für den Bruchteil eines Augenblicks flammte die Finsternis taghell auf, dann wurde es wieder dunkel. Der Gestank von verbranntem Schwarzpulver lag in der Luft, fraß sich stechend in seine Nase. Unsichtbar zog sich der Qualm durch den düsteren Raum. Der Schmerzensschrei der Bestie zerriss Gunthers Starre wie ein dünnes Band, augenblicklich ruckte sein Kopf zum Bett, seine Augen suchten die geladene Pistole und das Schwert. Die Waffen, die er unter der Decke verborgen hatte. Er warf sich herum und kroch auf allen Vieren auf seine Schlafstätte zu. Hinter ihm rief Franz irgendwas. Seine Stimme bebte vor Anspannung. Gunther verstand es nicht, zu laut dröhnte ihm sein Puls in den Ohren. Es polterte heftig in seinem Rücken, dann schepperte es, krachte. Erneut ein Brüllen, ein Fauchen. Zornig, wütend, aufgebracht. Erneut Franz' Stimme. Sein Kopf war leer, der Blick an die Waffen geklebt, jede Bewegung, jeder Muskel steuerte auf sie zu. Er musste sie erreichen! Nach einer schieren Unendlichkeit gelangte er zum Bett, griff nach dem Laken, zog daran. Die Pistole rutschte auf ihn zu, ein kleines Stück. Wieder hallte der Ruf seines Freundes durch seinen hohlen Schädel. Diesmal verstand er etwas. „Gunther!“, verstand er. Und „Achtung!“
Er reagierte nicht drauf. Er konnte es auch gar nicht. Seine Bewegungen waren wie vorher bestimmt. Nichts hätte ihn davon abbringen können. Ruckartig riss er noch mal am Laken. Die Pistole hüpfte auf dem Bett hin und her. Hüpfte auf ihn zu. Seine Finger griffen zitternd nach ihr. Bekamen sie nicht zu fassen. Schmerz breitete sich in ihm aus. In seinem Kopf. In seinem Armen. Seine Augen brannten, er konnte nicht blinzeln. Tränen erstickten seinen Blick. Sein Herz polterte und polterte in seiner Brust. Polterte und polterte. Seine Hände bebten. Sein ganzer Leib bebte. Die Pistole lag vor ihm. Geladen. Schussbereit. Rettend. Er musste sie nur noch in seine Finger schließen. Ihren kalten Griff fühlen, aus hartem Holz und Stahl. Zielen. Abdrücken. In Frieden leben. Für immer. Noch einmal griff er nach ihr. Und er hielt sie in der Hand. Für immer Frieden.
Plötzlich schien die Zeit zu rasen. Das zähe Harz begann zu kochen, schlug brodelnde Blasen und erhob sich zischend und dampfend in die Luft. Gunthers Griff wurde eisern, schloss die Pistole fest in sich ein. Unerbittlich. Entschlossen. Dann wirbelte er herum und betätigte den Abzug. Die Kreatur hatte gerade zum Sprung gegen ihn angesetzt, flog auf ihn zu und war nur noch eine Armeslänge entfernt, als er den Schuss löste. Heißer Zorn sprühte ihm aus den roten Augen entgegen, schien in wütendem Feuer sein Gesicht zu verbrennen. Sein Schrei kam gleichzeitig mit dem der Bestie. Krachend schlug die Kugel in ihre Fratze, zerschmetterte den Knochen, das Maul, die Zähne, verwandelte alles in einen roten Nebel. Dunkles Blut spritze in das Gesicht des Soldaten. Erschrocken weiteten sich seine Augen. Nur für einen Moment. Dann donnerte der Körper des Ungetüms gegen den seinen. Er wurde auf den Rücken geworfen, alle Luft aus seinen Lungen gepresst. Kurz lastete das gesamte Gewicht seines Gegners auf ihm, drohte seine Knochen brechen zu lassen. Zusammen schlugen sie gegen die Wand des Raums, ein gewaltiges Knäuel aus Haut, Muskeln, Stacheln, Haaren und Kleidern. Putz bröckelte von dem Mauerwerk. Der Boden knarrte gereizt, ächzend brachen die Dielen. Staub wirbelte in die Luft, brannte in Augen und Nase und kratzte im Hals. Angestrengt versuchte Gunther Luft zu holen. Sog den feinen Dunst in seine Lunge. Er musste husten. Mit schmerzverzerrtem Gesicht biss er die Zähne aufeinander. Er war verwundet. Irgendetwas tat ihm gewaltig weh, aber er war sich noch nicht sicher, was genau. Irgendwo ein kleines Stück vor ihm, drang ein schwaches Winseln aus der zertrümmerten Schnauze des Ungeheuers. Ein Gefühl von Triumph schlich sich in seinen verwirbelten Verstand. Er hatte sie erlegt! Getötet! Hatte sich endlich seinen Frieden geschaffen. Keine Bestien mehr! Nie wieder! Die erregten Stimmen seiner Kameraden drangen aus der Finsternis zu ihm, formten unklare Worte, wirres Gerufe und Gebrabbel. Er wollte ihnen antworten, ihnen sagen, dass es ihm gut gehe und dass er die Kreatur niedergestreckt hatte. Mit einer Pistolenkugel. Direkt in den Kopf. Doch gerade in dem Moment, in dem er den Mund öffnete, spannte sich der schlaffe Körper vor ihm plötzlich wieder, fand neue Kraft. Das unheilige Geschöpf stieß einen seiner schrillen, spitzen Schreie aus, dass dem am Boden liegenden Soldaten die Ohren klingelten und erhob sich langsam vom Boden.
Gunthers Worte blieben ihm im Hals stecken. Er riss seine Augen entsetzt auf, als ein scharfer Schmerz durch seinen Leib fuhr. Schmatzend glitten die Stacheln der Bestie aus seinem Fleisch. Gepeinigt schrie er auf. Funkelnde Lichter tanzten vor ihm in der Dunkelheit, dann wurde er von Schwärze umfangen. Seine Schulter schmerzte entsetzlich, fühlte sich warm und nass an. Übelkeit kroch seine Kehle empor. Er versuchte bei Bewusstsein zu bleiben, kämpfte die drohende Ohnmacht nieder und rollte sich zur Seite, so dass er mit dem Rücken an der Wand lehnte. Keuchend umklammerte er seine verwundete Schulter. Heiß quoll das Rot zwischen seinen Fingern hervor. Verfluchter Mist! Er schüttelte ein paar mal den Kopf, vertrieb die aufdringliche Müdigkeit, die ihn mit rascher Eile zu überkommen drohte und biss die Zähne zusammen. Er blinzelte noch ein paar mal, um das Funkeln aus seinem Blick zu verbannen, dann kniff er die Lider fest zusammen, atmete tief ein und erhob sich. Mühsam unterdrückte er einen Schrei, presste die Lippen aufeinander, bis sie nur noch ein dünner, weißer Strich waren. Erneut ließ ein Flackern die klare Welt vor seinen Augen verschwimmen. Der Brechreiz drohte übermächtig zu werden und es kostete viel Kraft ihn niederzukämpfen. Für viele wertvolle Sekunden war er blind, torkelte wie gelähmt auf der Stelle, sich mühsam auf den Beinen haltend. Schmerz und Schwäche raubten ihm schier den Verstand. Ein dröhnendes Lachen erklang links von ihm, zerschnitt die Schwärze, die ihn umgab. Drang tief und böse an sein Ohr. Es schwoll immer und immer weiter an, wurde zu einem betäubenden Lärm, der jeden klaren Gedanken aus seinem Kopf vertrieb. Entsetzt flüchtete sich sein Verstand in einen rasenden Irrsinn. In den Krach mischten sich die aufgebrachten Stimmen seiner Freunde, dann ein Schrei. Qualvoll. Ein Schrei, der Gunther einen kalten Stich der Angst ins Herz versetzte. Langsam wich die Trübheit aus seinem Blick und Kraft kehrte von irgendwoher in seinen tauben Leib zurück. Erneut vertrieb er die tanzenden Sterne mit einem Blinzeln und vor seinen Augen zeichnete jemand die verschwommenen Linien scharf nach. Er sah auf den düsteren Umriss seines Bettes. Irgendwo dort hatte die Dunkelheit sein Messer verschluckt. Vielleicht war es auf den Boden gefallen oder unter das Laken gerutscht. Er wusste es nicht, aber er musste es finden. Schnell! Die Kreatur war noch nicht geschlagen. Noch nicht tot. Lachte ihr unheilvolles Lachen. Trachtete weiterhin nach seinem Leben. Hätte er nicht bereits gegen den Wolfsmenschen gekämpft, hätte es ihn wohl gewundert, wie das Untier die Schusswunde hatte überleben könnte. Aber seit dem Wolfsdämon wunderte ihn überhaupt nichts mehr. Es gab Mächte auf dieser Welt, die die Kräfte der Menschen bei weitem überstiegen. Aber sie alle waren sterblich. Alle konnte man töten. Auch das hatte er im Kampf gegen den Wolf gelernt. Er würde das grau-blaue Biest umbringen. Vernichten. Er musste es! Gunther tat einen halben, wackligen Schritt nach vorne und ließ seine Schulter los, um auf dem Bett nach seinem Schwert zu tasten. Ein weiterer Schrei drang an sein Ohr und dann eine dunkle, finstere Stimme, die sich unwohl durch seine Eingeweide zog und schließlich mit einem eiskalten Schaudern über seinen Rücken kroch. Er hatte die Worte nicht verstanden, aber er wusste, dass es keiner seiner Freunde gewesen war. Der Klang war nicht von dieser Welt gewesen. In Angst und Panik raste die Hand seines unverletzten Arms über das Bett, doch sie fand die Klinge nicht. Mit einem Zittern kämpfte sich ein erster Zweifel an die Oberfläche. War das Schwert vom Bett gefallen? Er fand es nicht! Es lag nicht dort! Doch er brauchte es. Er konnte nicht verwundet, nur mit einem Arm und unbewaffnet gegen diese Bestie bestehen. Er brauchte das Schwert! Angst und Unsicherheit wurden immer mächtiger und ließen ihn verzweifeln. Frische Tränen griffen nach seinen Wimpern und zogen sich aus seinen Augen heraus in die Freiheit. Ein weiteres mal verschleierte sich seine Sicht. Er fand es nicht. Er fand es nicht. Er würde verlieren! Sie würden verlieren. Seine Freunde riss er mit sich in den Tod! Ihre Schreie füllten ihn aus. Ihr aufgeregtes Rufen drang durch jede seine Adern und spülte Furcht durch sein Blut. Unbarmherzig hämmerte sein Herz die Furcht durch seinen Leib. Sie würden sterben. Sie alle.
Doch da kam Sigmar ihm zu Hilfe. Der Gott hatte ihn nicht vergessen! Endlich wurde die letzte Muskete abgefeuert. Hans hatte seine Lunte gezündet und leuchtendes Feuer drang aus dem Lauf der Waffe. Für den Schuss verkroch sich die Finsternis in tiefe Schatten, in den Ecken des Raumes und ließ die Wände in geisterhaftem Licht erstrahlen. Gunther reichte der Augenblick aus. Weiß blitzte das Ende des Schwertes unter dem Bett auf. Der Knall der Muskete verebbte. Es wurde wieder dunkel. Sofort bückte sich Gunther und griff an die Stelle, an der er das Schwert gesehen hatte. Seine Finger fanden es, langten in die Klinge und zogen sich einen tiefen, schmerzenden Schnitt zu. Er ignorierte es, unternahm einen zweiten Versuch und fühlte das raue Leder des eingebundenen Griffs. Mit einem grimmigen Ausdruck im Gesicht hob er die Waffe auf und umklammerte sie eisern. Kurz dankte er Sigmar mit einem schnellen Gedanken, dann wandte er sich um. Vor ihm erhob sich bedrohlich der dunkle Schemen des Untiers. Es stand mit dem Rücken zu ihm gewandt und hielt mit einer Klaue einen von Gunthers Freunden umschlungen, hob ihn hoch, als wäre er ein winziger Säugling. Er konnte nicht erkennen, welcher von ihnen es war. Erneut vergiftete die dunkle Stimme die Luft mit ihrem grauenvollen Klang. Tatsächlich war es die Kreatur die sprach. Ihr Unterkiefer bewegte sich bei jedem Wort. Die Stimme war vollgesogen mit Härte, durchtränkt von Hass und Bosheit. Mit jeder Silbe schien sie giftige Galle zu spucken, mit jedem Schlag der Zunge einen Fluch auszustoßen. Verachtung. Allumfassender Hass. Noch nie hatte Gunther so viel Hass und so viel Wut hören können. Es lief ihm kalt den Rücken runter. Fest umklammerte seine Hand das Leder des Schwertgriffs.
„Menschen sind schwach.“, stieß das Wesen hervor und in seiner Stimme schwang ein bösartiges Zischen mit. Wie bei einer Schlange. „Kleine Würmer kriechen durch ihren Bau, halten sich für furchtbar schlau.“
Es kicherte. Es kicherte tatsächlich. Zumindest klang es wie Kichern. Wie das Kratzen von rostigem Metall. So schief und grässlich, dass sich einem die Nackenhaare aufstellten. Aber es war Kichern. Boshaftes Kichern. Zorn stieg in Gunther auf, aber die Dunkelheit verschluckte seinen roten Schädel. Das Biest machte sich über sie lustig. Weil sie schwach waren. Weil sie nur Menschen waren. Diese Missgeburt sollte lernen, was es heißen konnte, sich mit einem Menschen anzulegen. Was es heißen musste! Gunther näherte sich bis auf einen Schritt, als das Wesen gerade den angreifenden Andrej mit einem mühelosen Hieb beiseite schleuderte. Es bemerkte ihn nicht, hatte noch keine Notiz von ihm genommen. Das war seine Gelegenheit! Nun konnte er auch sehen, wer da in der Klaue der Bestie baumelte. Es war Franz. Und im Gegensatz zu dem Untier hatte der Freund ihn entdeckt. Mit einer vorsichtigen Bewegung hob Gunther das Schwert, nickte Franz zu und machte sich bereit. Der nickte ebenfalls, warf dem feindlichen Wesen einen spöttischen Blick zu und zwinkerte anschließend seinem lauernden Kameraden zu. Die Kreatur verstand, wirbelte ihren Kopf mit einem Fauchen herum und schnappte mit ihrem Reißzähnen nach dem Menschen, der hinter ihr mit seiner Waffe zu stach. Sie trieb sich Gunthers Schwert selbst bis zum Heft in den weit geöffneten Rachen. Nur kurz sah Gunther die ohnehin schon entstellte Schnauze seines Feindes, von der in Fetzen die Hälfte des Gesichtes herab hing, als seine Klinge durch die Fangzähne stieß. Blut spritzte ihm in die Augen und blendete ihn. Mit einem Aufschrei ließ er sich nach hinten fallen, landete auf seinem Bett und seine Schulter begehrte mit peinigendem Schmerz auf.
Gunther konnte nichts mehr sehen, aber er vernahm den qualvollen Schrei des Ungetüms. Ohrenbetäubend schrie es sein Leiden heraus. Mühselig wälzte er sich seitlich vom Bett, als ein weiterer Schuss ertönte, sicherlich von einer noch geladenen Pistole, und schlug hart auf den zerschmetterten Dielen auf. Er sog vor Schmerz scharf die Luft ein und blieb regungslos liegen. Es war still. Gespenstisch still. Was war geschehen? War die Bestie geschlagen? Besiegt? Tot? Gespannt lauschte er in die Finsternis, kniff die brennenden Augen zusammen und wartete. Was war passiert? Was...? Was...? Sigmar, Herr Gott, gib mir doch Antwort! Ein Zeichen! Schließlich erklangen schnelle Schritte auf den Dielen, knarzten laut und schwer, dazu mischten sich die Stimmen von Franz, Andrej und Hans.
„Verfluchter Mist.“, hörte er Franz rufen.
„Wir hatten sie fast.“, Hans.
„Das darf nicht wahr sein.“, vernahm er Andrejs wimmernde Stimme. „Nein, verdammt, so ein Mist.“
Gunther spürte die Hand eines Freundes an seiner gesunden Schulter, die ihn beinahe behutsam schüttelte. „Alles in Ordnung bei dir?“, fragte Franz. Der Verwundete nickte nur schwach, stöhnte leise und ohne Kraft. „Hilf mir mal mit ihm.“, forderte Franz einen der anderen beiden auf und er spürte, wie starke Hände ihn hoch hoben und aufs Bett hievten. Gunther biss die Zähne zusammen um nicht zu schreien, er spürte wie frisches Blut aus seiner Wunde sickerte. Erneut hatte er mit Übelkeit und Ohnmacht zu kämpfen.
„Was... was... was ist passiert?“, stammelte er schwach, als er merkte, wie eine Hand ihm das Blut aus dem Gesicht wischte. Vorsichtig blinzelte er und öffnete die Augen nur einen schmalen Spalt weit. Vor sich sah er einen ziemlich mitgenommenen Franz, mit besorgtem Blick. Irgendwo im Zimmer fing Andrej an zu weinen, das laute, hemmungslose Schluchzen des Kisleviten dröhnte durch das Haus. „Was ist?“, fragte Gunther erneut. Sorge machte sich in ihm breit. „Was ist los?“ Mühsam zog er sich ein Stück hoch und setzte sich auf.
„Die Bestie ist entkommen.“, sagte Franz mit enttäuschter Stimme und einem Kopfschütteln. „Sie ist durchs Fenster geflohen, nachdem du ihr dein Schwert ins stinkende Maul gerammt hast.“
Mit einem Seufzen ließ Gunther sich wieder nach hinten sinken. So ein Schlamassel. Das Untier war weg. Fort. Entkommen. Sie hätten es heute, hier und jetzt beenden können. Aber sie hatten versagt. Sie hatten die Kreatur fliehen lassen, anstatt ihr endgültig den Garaus zu machen. Verfluchter Mist! Mist! Mist! Mist! Zu seiner Enttäuschung mischte sich eine beklemmende Verzweiflung. Sicher hatte das Monstrum es wieder auf ihn abgesehen! Sicher würde sie wieder kommen, würde wieder versuchen ihn zu holen, oder zu töten, oder was auch immer! Aber diesmal wusste er nicht wann... Er konnte ihr keine Falle mit der Hilfe seiner Freunde stellen. Sie konnten nicht jede Nacht bei ihm unterm Bett hocken und darauf warten, dass sich der bösartige Schatten wieder durch sein Fenster schleichen würde. In seiner Hoffnungslosigkeit fuhr er sich mit der gesunden Hand über die müden Augen und ließ sie auf seinem Mund verharren. Er war ziemlich erschöpft. Völlig fertig. Am liebsten würde er schlafen. Einfach nur schlafen. Aber er musste nachdenken. Was sollte er nur tun? Was sollte er nur tun? Es war so ungerecht! Wieso ausgerechnet er? Wieso musste es ausgerechnet ihm passieren?
„Was viel schlimmer ist.“, erhob plötzlich Andrej seine tränenerstickte Stimme. „Was viel schlimmer ist“, wiederholte er nach einem Schluchzen und ein leiser Vorwurf mischte sich in den Klang seiner Worte. Gunther blickte ihn fragend an. Was hatte der Kislevit nur? So tragisch war es nun auch wieder nicht, dass die Bestie entkommen war. Schließlich war er doch der einzige, der in Gefahr schwebte. Sie war hinter ihm her! Nur hinter ihm! Was sollten sich die anderen da schon für Sorgen machen? Ihr Leben hing doch nicht am seidenen Faden. „Was viel schlimmer ist“, sagte Andrej ein letztes mal, ehe er den Satz endlich aussprach. Wut, Trauer und Enttäuschung spiegelte sich in seinem Blick. „Sie hat Alfred getötet!“

Gunther riss schockiert die Augen auf und rappelte sich hoch. Mit einem Schlag fiel alle Mattigkeit von ihm ab. Sein Herz raste wieder wie wild. Wollte seine Brust sprengen.
„Was?“, stammelte er und seine Stimme verlor sich beinahe in dem kleinen Raum, so schwach war sie vor Entsetzen, so wenig Kraft konnte er nur in die Worte legen. Er blickte sich um und sah in Franz' und Hans' betretene Gesichert, die stumm zum Boden blickten, ihn nicht ansehen mochten. Gunther drehte den Kopf weiter und sah Alfred. Er lag mit aufgerissener Kehle in einer Ecke des Zimmers, seine Augen starrten leer und hohl an die Decke. Starrten einfach nur ins Nichts. In die Dunkelheit. Für immer. Seine Haut war bereits schneeweiß. Kein Leben wohnte mehr in seinem Körper. Schlaff lag er in einer großen Lache aus Blut, zusammen gesunken wie ein nasser Sandsack. Gunther musste an die Frau seines Freundes denken. Und an seine zwei Söhne. Sigmar, was hatte er der Familie nur angetan? Was hatte er nur angerichtet? Ihn hätte es treffen müssen! Sigmar! Wieso?
„Alfred ist tot.“, antwortete ihm Andrej endlich und brach damit das lange Schweigen.
Gunther konnte es nicht fassen.


Am Horizont ging gerade die Sonne auf und schob einen feurigen Schimmer zwischen das Schwarz der Erde und das Schwarz des Himmels. Brennend leuchtete das Firmament auf, schien im Morgen zu vergehen. Warm fielen die ersten Strahlen auf Angmunds Gesicht, der sich gerade mit letzter Kraft aus einem kleinen Fluss hievte, kurz vor Altdorfs Stadtmauer und nahmen der kalten Luft etwas von ihrem frostigen Schrecken. Das Wasser stank erbärmlich, verseucht von dem Unrat der ganzen Stadt. Bis zum Hals strotzte der Söldner vor Dreck und Schlamm. Schwer atmend ließ er sich am Ufer fallen, drehte sich auf den Rücken und starrte in die verblassenden Sterne, die dem orangen Glanz der Sonne immer mehr und mehr wichen. Der Mond war bereits verschwunden, verbarg sich irgendwo hinter grauen Wolken. Angmund hustete schmutziges Wasser aus und lag keuchend im Sand. Völlig durchnässt umklammerte er zitternd seine Arme. Nur bruchstückhaft erinnerte er sich an das, was letzte Nacht geschehen war. Was mit ihm geschehen war. Er versuchte einen klaren Gedanken zu fassen, da ertönte plötzlich ein zorniges Fauchen direkt neben seinem Ohr, vor seinen Augen sprang der Wolfsmensch auf ihn zu, wollte ihn mit seinen Fangzähnen verschlingen. Angmund schreckte auf. Vor ihm immer noch die Sonne, der Morgen. Das Feuerband nun etwas breiter. Er war nur eingenickt. Hatte kurz geschlafen. Kein Wolfsmensch. Kein Fauchen. Keine Zähne. Er schüttelte den Kopf, um die Müdigkeit zu vertreiben. Seine dichten blonden Haare wirbelten um seinen Kopf, wie dicke Seile baumelten die festen Strähnen auf seine Stirn. Er fuhr sich mit einer Hand durch den Schopf und kratzte sich. Er hatte Esteban getötet. Nein. Er hatte ihn nicht nur getötet. Er hatte ihn hingerichtet. Zerrissen wie ein Stück Papier, zerfetzt, in einem gierigen Rausch sein Blut gesoffen. Und nicht nur Estebans Blut. Nein, das von vielen seiner Männer. Er hatte sie alle umgebracht. Ermordet. Zerstückelt. Gefressen. So viele Seelen. So viel Blut an seinen Händen.
Mit einem Lachen warf er den Kopf zurück und grinste breit. Oh ja, diese Kraft! Diese unglaubliche Kraft! In wahnsinnigem Gelächter betrachtete er seine Finger, die er wie Klauen krümmte. Dass das Blut so vieler Menschen an seinen Händen klebte, und nicht nur dort, störte ihn nicht im geringsten. Wie viele mehr hatte er in seinem Leben schon gemeuchelt. Wie viele unschuldige Menschen zuvor umgebracht, auch Kinder und Frauen! Die paar verlausten Halsabschneider, die nun auch durch seine Hand gestorben waren, kümmerten ihn auch nicht mehr. Und es sollten nicht die letzten gewesen sein! Was er nun für eine Macht besaß war einfach unglaublich! Er konnte sein Glück kaum fassen! Wie Kinder waren die kampferprobten Söldner gewesen, nichts hatten sie gegen ihn ausrichten können und hätten sie nicht die Silberlanzen benutzt - er hätte sie alle, alle, alle, alle erledigt! Erneut stieß er ein grimmiges Lachen aus! Sigmar verflucht, ja! Das war so gut! Diese Kraft! Diese unerschöpfliche Kraft!
Vorsichtig erhob er sich und kam auf wackligen Beinen zu stehen. Die Verwandlung hatte ihn allerdings einiges dieser Kraft gekostet. Im Augenblick fühlte er sich schwach und verwundbar, fror erbärmlich und kam sich ganz und gar nicht mächtig und tödlich vor. Er hoffte inständig, dass er sich noch daran gewöhnen würde, dass er mit jeder Verwandlung stärker und stärker werden würde, bis ihn irgendwann nichts mehr aufhalten könnte. Er gähnte, streckte sich und mehrere Wirbel knackten laut. Als er auch seinen Nacken dehnte, entfuhr ihm unwillkürlich ein raubtierhaftes Grollen. Wölfisches Grinsen zierte seine Züge. Es war gut! So verdammt gut!
Sorgen bereitete ihm allerdings, dass der alte Sigmarpriester mitbekommen hatte, dass einer der Wölfe entkommen war. Der weiße Feuerbart hatte ihn gestern noch aus dem Tempel vertrieben und damit gerade so seinen Diener Aaron gerettet. Dieser kleine, winselnde Schleimer! Angmunds Blick verhärtete sich. Gelb funkelten seine Augen. Zornig. Aufgebracht. Seine Brauen zogen sich vor Ärger zusammen und schienen dunkler, dichter zu werden.
Gewiss war Groll sofort runter zu den Söldnern gestürmt, um sie zur Rechenschaft zu ziehen und die hatten natürlich sofort ausgeplaudert, wer sich hinter dem entflohenen Dämon verbarg. Wütend schnaubte er. Der Theogonist wusste nun also, womit er es zu tun hatte. Worauf er sich einzulassen hatte. Wer sein neuer Feind war! Aber Angmund würde schon eine Lösung für dieses Problem einfallen. Er wusste zwar noch nicht, wie genau Groll ihn vertrieben hatte, aber er erinnerte sich dunkel an die Schmerzen, die der Dämon erlitten hatte. Das war auch noch ein Punkt, den er in Angriff nehmen musste. Er brauchte mehr Kontrolle, wenn er sich verwandelte. Er konnte nicht jedes mal hirnlos durch die Gegend rennen und alles zerfleischen, was ihm in die Quere kam. Nein, wollte er Groll bezwingen, dann musste er schlau vorgehen, mit List und Tücke. Er brauchte einen Plan. Irgendwie musste er also lernen, den Wolfsdämon zu beherrschen, wenn er sich verwandelte. Es würde ihm schon noch gelingen, davon war er fest überzeugt. An seinem Plan den Sigmariten zu erpressen hielt er fest. Nirgendwo sonst konnte man mehr Gold im Imperium finden, nicht mal in der Staatskasse. Die Kirche war stinkreich und diesen Reichtum würde er sich unter den Nagel reißen. Oder unter die Klauen. Es gab nur ein Hindernis zu überwinden: Groll.
Erneut streckte er sich und ließ die Knochen knarren. Dann schüttelte er sich wie ein Hund, dass das Wasser nur so durch die Gegend spritzte, musterte seine Umgebung mit hektischen Blicken und zog sich dann in die Schatten zurück. Er war erschöpft und musste sich ausruhen. Sicherlich würde Groll mit Soldaten auf die Suche nach ihm gehen, also brauchte er ein gutes Versteck. Zum Glück hatte er in Altdorf nur wenige ruhige Tage verbracht und sich ein wenig in der Stadt umgesehen. Er kannte ein paar geeignete Orte, an denen man sich hervorragend für ein paar Stunden verbergen konnte. Nachts würde er dann wieder zu schlagen.
Die Sonne schob sich vollständig über den schwarzen Rand des Horizonts.
Seine Stunde würde kommen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich fass das mal als ausreichende Reaktion auf :lol:
Über mehr Feedback würde ich mich im Allgemeinen aber natürlich freuen. Vielleicht auch (sofern gegeben) Anregungen, Kritik, was hat euch besonders gefallen, was hat euch nicht gefallen... etc. Danke im Voraus!
Denke Chuckchuck wird sich über den folgenden Teil freuen.



Kapitel XVI
Befreie mich!




Aaron kauerte vor Angst zitternd auf seiner kargen Schlafstätte, hielt die Knie mit den Armen umschlungen und starrte wie betäubt an die Wand. Furchtsamer Schweiß glänzte kalt auf seiner Stirn. Er hatte diese Nacht keine Ruhe gefunden, saß schon seit Stunden regungslos auf dem harten Holz seines Bettes, klapperte mit den Zähnen und riss mit panisch geweiteten Augen Löcher in die Luft. Entsetzlich. So entsetzlich. So knapp. So knapp. So knapp war er dem Tod entronnen. In aller letzter Sekunde hatte Walther Groll ihn gerettet. Sein Leben gerettet. Den Wolfsdämon vertrieben. In die Flucht geschlagen, mit dem heiligen Lichte Sigmars. Doch Aaron konnte nicht vergessen. Er konnte die wütenden Augen nicht vergessen. Die gewaltigen Klauen. Die Zähne, die wie Dolche aus der Schnauze ragten, bereit alles zu zerreißen, was sie zu packen bekamen. Er konnte nicht vergessen mit welcher Gier der Wolfsmensch ihn angestarrt hatte, mit welchem Hunger. Mit dem Willen, ihn mit Haut und Haar aufzufressen. Zu zerfetzen. Zu töten. Zu töten!

Aaron konnte nicht verdrängen, wie das Monster mit einem gewaltigen Satz zu ihm auf die Galerie gesprungen war, mehrere Meter weit. Er konnte den mordgierigen Schrei nicht verdrängen, das erschütternde Brüllen, das von den Wänden des Tempels widergehallt war. Er konnte nicht verdrängen, dass er nur einem Moment davon entfernt gewesen war, zerfleischt zu werden. Gefressen zu werden. Zu sterben. Immer wieder sah er die Augen und die Zähne, wenn er die Lider schloss. Immer wieder hörte er das Grollen in der Brust der Kreatur, wenn jemand im Gang an seiner Kammer vorbei schritt und immer wieder sah er den Wolfsmenschen vor sich stehen, sobald er den Kopf wandte. Zornig. Bedrohlich. Tobend. Er konnte also nichts mehr tun, außer eisern auf die Wand vor ihm zu starren. Kein Wolf, kein Tod, nur nackter, kalter Stein. Keine Gefahr. Nur kalter Stein.
Letzte Nacht hatte er in aller Heimlichkeit einen Boten beauftragt, genau wie Meister Groll es ihm aufgetragen hatte, der einen eiligen Brief an den Rande des Gebirges brachte. Der oberste Sigmarpriester hatte nach jemandem geschickt, der aus Altdorf geflohen war, weil ihm der Galgen drohte. Aaron war davon überzeugt, dass der Alte ein stolzer und gutherziger Mann, mit einem ehrenvollen Geist und einem großen Herzen war, aber manchmal erschien ihm sein Vorgehen willkürlich, sonderbar und Sigmar überhaupt nicht gefällig. Er sagte sich selbst, dass er den Plan seines Meisters nicht immer verstehen könne, dass höhere Mächte walten würden, die seine Vorstellungskraft überstiegen, dennoch hegte er zeitweise stumme Zweifel gegen die Entscheidungen Walther Grolls. Die Gefahr, die von den gefangenen Wolfsmenschen ausging, hatte gestern einmal mehr ihre tückische Fratze gezeigt. Nun lief eines der Ungeheuer ungehindert innerhalb Altdorfs Mauern umher, um weiß Sigmar was anzurichten! Und nun wollte der Sigmarit einen Verstoßenen zurück in die Stadt holen. Einen Geächteten. Einen Leichenschänder, dem man das Übelste nachsagte. Schwarze Magie. Nekromantie. Ein gefährlicher Sonderling, der Schlimmes anrichten konnte. Die Verbindung, die Groll zu ihm hatte, spielte dabei keine Rolle. Es war riskant. Unberechenbar. Was, wenn der Mann späte Rache an den Menschen dieser Stadt nehmen wollte? Für sein nie vollstrecktes Todesurteil?
Ohne dass er es merkte, entspannte Aaron sich etwas, als seine Gedanken sich immer weiter von dem Wolfsdämon entfernten. Er löste die Umklammerung seiner Knie und rieb sich fröstelnd die Arme. Es war Herbst und es wurde kalt in den Gemäuern des Tempels. Bald würden wieder Feuer für den Winter geschürt werden, aber bis es soweit war, wurde es mit jedem Tag kühler und kühler. Frisch und erquickend, wie Groll es nannte. Bitterkalt, sagte Aaron dazu. Unangenehm kalt. Es würden wohl noch ein paar Wochen ins Land ziehen, ehe es hier so frostig wurde, dass der alte Theogonist veranlassen würde die Öfen zu entfachen und endlich wieder wohlige Wärme Einzug in ihre Kammern hielt. Immerhin geschah es mit jedem Jahr etwas früher. Das Alter schlich selbst Sigmars treuesten Dienern empfindlich in die Knochen und Gelenke.
So wie die Schwere der Jahre sich in den Körper Walther Grolls stahl, stahlen sich mehr und mehr Zweifel an dem Mann in Aarons Gedanken. Was, wenn mehr der Wölfe ausbrechen würden? Die Menschen in der Stadt anfallen würden? Tod und Verzweiflung säen würden? Die Söldner waren allesamt Nichtsnutze. Sofort nach dem der Dämon aus dem Tempel geflüchtet war, war Groll hinunter in die Gewölbe gestürzt und hatte jemanden für den Fehler zur Rechenschaft ziehen wollen. Aber da war niemand mehr unter den Söldnern gewesen, dem man die Verantwortung für den Unfall hätte anlasten können. Ihr Anführer, der Blondschopf selbst, war zum Wolf geworden, hatte seine rechte Hand ermordet, noch einige seiner weiteren Männer, war dann aus dem Keller geflüchtet und hatte beinahe noch ihn, Aaron, nach Herzenslust in Stücke gerissen. Kurz schloss der junge Mann die Augen und dankte Sigmar für seine Rettung. Auch seinem Meister galt sein Dank, doch das tapfere Einschreiten des Priester ließ ihn nicht über dessen Makel hinwegsehen. Über dessen Fehler.
Dessen Wahnsinn.
Seine Gedanken wurden zunehmend scharf und deutlich, ganz als würde sein Verstand direkt mit ihm reden, zu ihm reden. Er wunderte sich kurz, woher er diese harschen Worte nahm. Wahnsinn? War das nicht etwas übertrieben? Urteilte er vorschnell? Sicher, Grolls Handlungen waren tückisch und verworren, teilweise gar intrigant, aber sie verfolgten immer ein rechtes Ziel. Den Schutz der Menschen des Imperiums. Den Schutz des Imperators.
Der Mann ist wahnsinnig.
Nein. Nein, er war doch nicht wahnsinnig. Oder doch?
Komplett irre geworden.
Seine Gedanken kamen ihm selbst sonderbar vor, aber er konnte sich ihrer nicht erwehren. Es war, als hätte irgendetwas eine kleine Tür in seinem Kopf geöffnet und nun stürmten seine geheimsten Befürchtungen, Zweifel, denen er sich selbst nicht einmal bewusst gewesen war, in seine Überlegungen, beinahe so, als würde eine andere Person zu ihm reden. Er erkannte sich selbst kaum wieder. Aber die Stimmen in seinem Kopf entsprangen auch aus ihm. Er dachte das! Er! Und er hatte recht. Wieso hatte er es vorher nicht gesehen? Vorher nicht wahrgenommen? Alles was Groll tat, war reiner Wahnsinn. Ungefiltert. Gnadenlos. Die Gefahr für das Reich kam nicht von außen. Sie kam von innen.
Er steht nicht über dem Gesetz.
Gewiss! Der Alte hatte doch nicht das Recht zu tun und zu lassen was er wollte! Sich über Gesetze und Vorschriften hinweg zu setzen, nur weil die ihm nicht in den Kram passten, oder der Imperator, oder die Kurfürsten, oder sonst wer, nicht seiner Meinung waren! Was bildete er sich eigentlich ein? Sich gegen den Entschluss des Imperators, des Herrschers ihres Volkes aufzulehnen! Aaron hatte nicht bemerkt, dass er aufgestanden und zur Tür gegangen war. Verdutzt hielt er inne, öffnete sie dann aber und trat auf den Flur.
Der Imperator ist die höchste Macht!
Natürlich war der Imperator, genauso wie der Großtheogonist, von Sigmar direkt bestimmt und eingesetzt. Wie konnte es also sein, dass der eine den anderen anzweifelte. Ihm nicht traute. Ihn hinterging. Ja, sogar bereit war, ihn im Zweifelsfall zu verraten. Seine Autorität zu untergraben. Sich gegen ihn zu stellen. Ungeheuerlich. Ungeheuerlich! Entsetzlich sogar! Es stimmte. Aaron konnte es selbst kaum fassen. Aber so traurig es auch sein mochte, es entsprach der Wahrheit: Walther Groll litt an Größenwahn.
Halte ihn auf!
Niemand wusste von seinen Machenschaften. Nur ganz, ganz wenige ausgewählte Personen waren eingeweiht. Darunter er selbst, Aaron. Vielleicht sogar niemand sonst. Vielleicht sogar nur er! Nur er alleine! Damit hielt er, Aaron, den Schlüssel zur Rettung des Imperiums in den Händen. Nur er alleine! Er musste die Menschheit retten! Sie vor dem drohenden Unheil bewahren! Vor den Wölfen! Vor der Bestie! Vor dem Leichenschänder! Vor... vor Groll! Er musste ihn aufhalten! Ihn stoppen! Irgendwie! Ja, irgendwie!
Nur wie?
Befreie mich!
Der alte Sigmarpriester schloss die unheiligsten Artefakte und Waffen in seiner Kammer ein, das wusste Aaron. Walther versuchte stets es geheim zu halten, doch er hatte den jungen Diakon bereits so nah an sich heran gelassen, dass es diesem irgendwann zwingend hatte auffallen müssen. Hin und wieder hatte er einen Blick durch die Tür erhascht und entsetzliche Dinge gesehen. Verbotene Dinge! Außerdem machte Groll einen derartigen Wirbel darum, dass niemand außer ihm seine Kammer betreten durfte, dass es mehr als eindeutig war, dass dort etwas unheilvolles versteckt war. Etwas, das niemand sehen durfte. Weil es verboten war. Verbotene, okkulte Artefakte! Dinge, die eigentlich hätten vernichtet werden müssen! Die er unerlaubterweise behalten hatte! Ein Verbrechen vor Sigmar! Eine Schande! Wenn herauskam, was er alles in seinem verfluchten Kämmerchen lagerte, könnte ihm das das Genick brechen. Niemand würde ihm mehr glauben, es würden Untersuchungen angestellt werden und seine anderen Vergehen würden auch auffliegen. Er würde untergehen. Vernichtet werden. Wenn Aaron ihn einfach so des Verrats bezichtigte, würde das Wort eines Diakons gegen das des Großtheogonisten stehen und niemand würde ihm glauben. Nein, er musste ihn mit List bezwingen! Dafür sorgen, dass irgendwer Wind davon bekam, was für Unheiligkeiten er aufgehoben hatte!
Befreie mich!
Noch besser! Sicher würde er in der Kammer irgendeine Waffe finden, etwas, das er benutzten konnte um Walther Groll zu überwältigen! Ihn unschädlich zu machen. Zu beseitigen! Aaron erschrak. Sigmar, Herr, was er dachte er bloß für Dinge? Den Großtheogonisten angreifen? Darauf stünde mehr als die Todesstrafe! Folter. Leiden. Die ewige Verbannung der Seele aus Sigmars Hallen. Ein Richtspruch, den er nicht verkraften würde. Außerdem war Walther sein Herr und Meister, sich gegen ihn aufzulehnen bedeute Verrat und Aaron war eigentlich eine sehr treue Seele.
Schwerer wiegt der Verrat gegen das Reich!
Gegen das Reich?
Gegen die Menschen!
Das war richtig. Grolls Verrat gegen sein eigenes Volk war um einiges schlimmer! Es war geradezu furchtbar! Und wenn Aaron nicht handelte, dann machte er sich dieses Verrats mitschuldig! Dann würde er Schuld sein, an dem, was mit dem Imperium geschah! Er! Aaron! Nein, das durfte nicht sein! Auf keinen Fall! Sigmars himmlische Strafe würde dann ungleich schlimmer und ungnädiger ausfallen, als sie es auf dem anderen Weg täte. Er musste Groll beseitigen! Es war seine Pflicht! Sein Schicksal! Erneut glitten seine Gedanken zu der Kammer des Inquisitors. Er musste hinein gelangen und etwas finden, was ihm helfen würde den Alten zu überführen, oder noch besser, ihn zu überwältigen und dann wegzusperren. Oder zu töten, wenn es sein müsste. Im äußersten Notfall. Sicherlich wäre die Strafe in dieser Welt hart dafür, sicherlich würde man nicht verstehen, warum er es getan hatte. Aber das war ein notwendiges Übel. Sein Leben für das unzähliger Menschen. Frauen, Kinder, Familien.
Befreie mich!
Vielleicht gab es auch noch eine andere Möglichkeit! Vielleicht könnte er etwas finden in der Kammer. Etwas, das er freisetzen konnte, aktivieren. Das lauern würde, geduldig warten und seine grausame Wirkung erst entfalten würde, wenn der Sigmarit wieder in dem Raum wäre. Etwas, das ihm dabei helfen könnte, das Imperium zu retten. Etwas, das ihm helfen würde, Groll zu erledigen, während er selbst gar nicht im Raum, sondern weit entfernt war. Anschließend könnte er den Ahnungslosen mimen. So tun, als hätte er nie gewusst, was Groll im Schilde geführt hatte. Was er versteckt hatte. Verborgen hatte. Verheimlicht hatte. Die Artefakte. Die Wolfsmenschen. Den Leichenschänder. Er würde so tun, als hätte er nie die leiseste Ahnung vom Verrat des Großtheogonisten gehabt! Die Methode schien ihm die beste. Auf diesem Weg konnte er seine Seele retten und gleichzeitig sein Leben schonen. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Er musste nur etwas in dem Gemach finden, das diese Voraussetzungen erfüllte.
Befreie mich!
Etwas... oder jemanden. Wer weiß, was der Priester alles in seiner Kammer eingesperrt hielt? Vielleicht hatte er einen machtvollen Feind? Jemand, der auf Rache sann und dann einfach verschwinden würde. Weil ihn das Imperium so oder so nicht interessierte. Weil er nur wegen längst vergangener Untaten dort gefangen gehalten wurde. Und nun keine Gefahr mehr darstellte. Nicht für ihn, nicht für die Menschen von Altdorf. Nur für Walther Groll. Vielleicht würde er so jemanden dort finden, in der Kammer. Jemand, der ihm half. Vielleicht würde er jemanden finden, der das Unheil mit ihm zusammen verhindern konnte. Und dadurch seine Seele so oder so vor Sigmar wieder reinwaschen würde. Unabhängig davon, was er einst getan haben mochte.
Befreie mich!
Mit festen Schritten lief Aaron durch den Tempel, war sich seines Zieles sicher. Äußerst sicher. Es war, als würde eine heilige Macht ihn lenken. Ihm sagen, was er tun sollte. Gewiss, er tat das Richtige. Er rettete Altdorf. Er rettete den Imperator. Bewahrte die Menschen dieses Landes vor dem schlimmsten aller vorstellbaren Unheile. Doch er musste vorsichtig sein. Groll war gerissen und misstrauisch. Verrat und Lüge witterte er auf viele Meilen gegen den Wind. Falsche Zunge erkannte er mit bloßem Auge. Es war gefährlich, etwas gegen ihn zu unternehmen. Aaron musste unheimlich aufpassen, damit der Alte ihn nicht entlarvte, ihn nicht ertappte. Aber er hatte einen guten Lehrer gehabt, wenn es ums Lügen und Intrigen spinnen ging. Er war sich seiner Sache sicher. Er würde es schaffen!
Aaron würde sie retten! Er würde sie alle retten!
Seine Füße hatten ihn wie von Geisterhand zum Ort seiner Bestimmung getragen. Erschrocken sah er sich um. In seinem Wahn hätte er sich beinahe selbst verraten! Hätte Groll ihn beobachtet, es hätte bereits das erste Korn des Misstrauens im Herz des alten Mannes gesät. Vorsichtig sah der entschlossene Diakon sich um. Niemand war zu sehen, niemand in der Nähe. Er lauschte in die Stille des grauenden Morgens, doch er hörte auch keine nahen Schritte oder Stimmen. Er war allein. Allerdings hatte er nicht mehr viel Zeit, denn die Sonne war schon fast gänzlich über den Horizont gekrochen und bald würden alle Priester sich erheben, um die Morgenmesse und das Frühmahl vorzubereiten. Er wusste, dass Groll nachdem er die Söldner verhört hatte, direkt mit einer Gruppe Soldaten losgezogen war. Um die Bestie zu suchen, lautete die Lüge, die er ihnen aufgetischt hatte, doch in Wahrheit versuchte er den Söldneranführer zu stellen und umzubringen. Für die Menschen Altdorfs hoffte Aaron, dass diese eine ehrenvolle Tat dem Sigmariten gelang. Der Alte war also nicht in seinem Schlafgemach. Vorsichtshalber kontrollierte er noch einmal, dass wirklich niemand hier war, der ihn hätte beobachteten können, dann betrachtete er die Tür, die zur Kammer des Inquisitors führte. Sein Herz raste. Aufgeregter Schweiß trat ihm auf die Stirn. Er schluckte schwer. Ein leiser Zweifel an seinem Vorhaben beschlich ihn.
Befreie mich!
Aaron nahm all' seinen Mut zusammen und atmete tief durch, dann trat er an die Tür und griff nach dem Knauf. Gleich könnte es schon vorbei sein. In einem Augenblick. So schnell. Nur ein kurzer, tapferer Moment. Mit einem Handgriff das Imperium gerettet. Ein Held vor Sigmar! Auf ewig! Er zog an der Tür und wollte sie öffnen.
Doch er fand sie verschlossen vor.
Jemand musste noch warten.


Schneider hatte ein Reh erlegt, seinen unheiligen Durst befriedigt und war nun dabei, das Fleisch des Tieres über einem Feuer zu braten. Hell loderten die Flammen in den anbrechenden Morgen und erhellten die Schwärze, die sich noch immer hartnäckig weigerte, aus den letzten Winkeln zu weichen. Mit einem Ast hielt er ein großes Stück aus der Hüfte des Tieres in die Feuerzungen und warf aus den Augenwinkeln einen kurzen Blick auf das Mädchen. Odinoki war abgemagert, sah aus, als hätte sie seit Wochen fast nichts gegessen und musste sicherlich schrecklichen Hunger haben. Doch sie schien sich kaum für die Mahlzeit zu interessieren, die er für sie vorbereitete. Sie hatte sich an seinen Arm geklammert und starrte ihn aus weit aufgerissenen, bewundernden Augen an. Irritiert versuchte er ihren Blicken zu entgehen, erwiderte sie nur selten und lächelte unsicher, wenn sie sich trafen. Ihm war nicht klar, wie er auf diese Art der Bewunderung reagieren sollte, noch nie war ihm etwas vergleichbares zuteil geworden. Kurz erinnerte er sich an seine Zeit als Mensch, nur schwach und verschwommen, als eine Frau ihn einst mit eben solchen Augen angesehen hatte. Bewundernd. Etwas, dass er nicht nachvollziehen konnte. Nicht für sich selbst. Wie konnte man ihn nur bewundern? Für was denn? Angestrengt versuchte er die Erinnerung zu packen, klare Bilder zu sehen und wieder zu wissen, wie er sich damals gefühlt hatte, wie er damals reagiert hatte, aber das Gesicht dieser Frau war nur ein schwaches Flackern vor seinem Geist, entzog sich ihm, je mehr er danach greifen wollte. Es war zwecklos. Ein wenig enttäuscht schüttelte er matt den Kopf. Dichte, blonde Haarsträhnen fielen ihm auf die Stirn.
Erneut betrachtete er Odinoki: sie hatte ihren Blick nun auf die Glut gerichtet und schien sich in dem roten Glanz zu verlieren, dennoch hielt sie seinen Arm umklammert, wie das rettende Seil über einem bodenlosen Abgrund. Es mischten sich seltsame Gefühle in seinem Herzen, als er sie so ansah, doch zu seiner Erleichterung war keines davon Gier. Weder nach ihr, noch nach ihrem Blut. Das Mädchen schien noch sehr jung zu sein, vielleicht zählte sie dreizehn oder vierzehn Sommer, aber sicherlich nicht mehr. Sie war so jung und dennoch so verlassen. Wo sie wohl herkam? Anscheinend hatte sie niemanden mehr auf dieser Welt, zumindest hatte er nichts anderes aus ihr herauskriegen können. Nicht woher sie kam, noch wohin sie wollte, oder wer ihre Eltern waren, oder mal gewesen waren. Ob sie Geschwister hatte? Sie hatte ihm nur gesagt, sie heiße Odinoki und hatte immer laufen müssen, immer zu nur laufen, den ganzen Tag, immer nur laufen, laufen. Ansonsten erinnerte sie sich an nichts, so behauptete sie wenigstens. Sie wusste nicht, wer sie war, ob sie Freunde oder Verwandte hatte und was eigentlich ihr Ziel war. Wohin sie laufen musste. Sie wusste es nicht. Immer zu nur laufen, laufen.
Ob sie ihn anlog? Es ihm verheimlichte, weil sie ihm nicht traute? Sie hatte sicherlich allen Grund, ihm kein Vertrauen zu schenken, schließlich war sie noch mehr Kind als Frau und er ein fremder Mann. Ein unheimlicher, fremder Mann, mit Haut so weiß wie Schnee. Was ihr wohl geschehen war? Was man ihr angetan hatte, damit sie das alles vergessen musste? Schreckliche Dinge? Vielleicht um sich selbst zu schützen? Grauen, das ein Kind niemals begreifen konnte?
Sie erinnerte ihn an sich selbst. Auch er hatte sich verloren, hatte vergessen, nein, verdrängt was geschehen war. Immer weiter zog sich das Vergangene von ihm zurück, verbarg sich in den entlegensten Ecken seines Verstandes. Kaum noch erinnerte er sich an Albrecht, nicht mehr an die Stadt, in der er einst gelebt hatte, noch an den Namen seiner einstigen Geliebten, noch an seine Mutter. Er hatte das alles hinter sich gelassen. Es vergessen, weil der Verlust so schmerzte. Albrecht tot. Alle tot. Er war ganz allein. Alleine auf dieser Welt.
Auch er wusste nicht wohin er laufen sollte, oder wer er war. Immer zu nur laufen. Immer laufen, laufen. Ja, wer war er eigentlich nun? Wer? Ein einsamer Blutsauger ohne Sinn und Zweck. Alles was es gegeben hatte, als er noch Mensch gewesen war, all' das war nicht mehr. Es war tot, zerstört, verloren. Sein altes Leben, das als Klaus Peter Schneider, das gab es nicht mehr. Er war nun jemand anderes. Jemand völlig anderes. Er musste das Blut der Lebenden trinken, um selber nicht zu sterben und er konnte die Wärme der Sonne nicht mehr fühlen. Kalt fühlte er die wabernden Schatten von Archbalduins Zauber auf seiner blassen Haut. Der Feuerball warf leuchtendes Licht auf ihn und das Mädchen, tauchte hoffnungsvoll hinter dem schwarzen Horizont auf, doch in seinem Herzen blieb es finster. Ihre Wärme drang nicht bis zu ihm. Niemals wieder. Er fröstelte. Ein Schaudern lief kurz über seinen Rücken.
Odinoki schreckte auf und blickte ihn scheu an. Angst mischte sich in ihre Züge, Besorgnis. Sie ließ seinen Arm nicht los. Er schenkte ihr ein Lächeln, so gut es ihm möglich war und nickte zaghaft. Offensichtlich beruhigt, lehnte sie ihren Kopf wieder gegen seine Schulter.
Mit einem stummen Seufzer gab er sich weiter seinen trüben Gedanken hin. Nachdem ein Fremder, jemand, den er nie kennengelernt hatte, ihn zum Vampir gemacht hatte, hatte er nur beschlossen weiterzuleben, weil Abhorash ihm gesagt hatte, sein Schicksal sei noch nicht erfüllt. Er habe noch etwas zu bewirken in dieser Welt. Er hatte immer gedacht, dass er Grorr'bak Trollbeissa töten musste, den gewaltigen Schwarzork, der seinerzeit eine Flut aus Orks und Goblins ins Imperium geführt hatte. Die grüne Horde hatte gemordet und gebrandschatzt, Städte und Dörfer dem Erdboden gleichgemacht und unzählige Leben gefordert. So auch seins. Er selbst war damals im Kampf gegen Grorr'bak gefallen, den größten Ork, den das Gebirge jemals ausgespuckt hatte. Stets war er davon überzeugt gewesen, dass sein Ziel, sein Sinn in diesem Leben war, Rache an ihm zu nehmen. Ihn zu bestrafen und die Menschen von dieser Plage zu befreien. Das hatte er getan. Zwar hatte er ihn nicht im Kampf geschlagen, doch der Waaaghboss war schwer verstümmelt geflohen. Irgendeine unheilvolle Pest hatte ihn befallen. Oder ein Fluch? Schneider war sich nicht sicher. Konnte es sein, dass Grorr'bak zurück gekehrt war? Er glaubte nicht daran. Mit seinem Heerführer war damals die gesamte Streitmacht der Grünhäute zurück ins Gebirge geflohen und die imperialen Krieger hatten noch die meisten der fliehenden Kreaturen widerstandslos getötet. Noch wochenlang hatte Schneider anschließend verharrt, darauf gewartet, dass Grorr'bak vielleicht wieder kommen würde, um sein Werk zu vollenden. Aber nichts geschah. Nach Ewigkeiten, so war es ihm erschienen, gab es mehr und mehr Gerüchte über das Verscheiden des Orks. Sein Dahinsiechen an einer rätselhaften Krankheit. Schneider hatte den Geschichten bereitwillig geglaubt und sich endlich gestattet, Frieden zu finden. Sein Leben zu beenden. Ihm war egal gewesen, was mit seiner Seele geschehen würde. Es hatte ihn nicht gekümmert, ob er zu Sigmar ziehen durfte, oder ob er den Chaosgöttern anheim fallen würde, er hatte einfach nicht mehr durch dieses verfluchte Land ziehen wollen. Einfach nicht mehr einen Fuß vor den anderen setzen wollen. Ziellos. Er wollte Ruhe haben.

Doch Abhorash hatte ihn aus dieser Ruhe gerissen, hatte ihn gezwungen weiter über die Alte Welt zu wandeln. Doch wozu? Das Schicksal hat noch großes mit dir vor, hatte er zu ihm gesagt. Aber was? Was?! Hier war nichts! Nichts! Es gab nichts mehr, niemandem, zu dem er hätte gehen können, wo er hätte anfangen können zu suchen! Nichts! Niemanden! Er war alleine.
Kein Albrecht. Kein Grorr'bak. Niemanden.
Was war sein Ziel? Er hatte nicht den leisesten Schimmer.
Hoffnungslos starrte er in die Flammen, wartete darauf, dass das Fleisch gar wurde und nahm es dann aus dem Feuer. Er seufzte, kratzte ein bisschen schwarze Kohle von dem Stück ab und wollte es gerade Odinoki reichen, da stellte er fest, dass sie eingeschlafen war. Verwundert sah er sie an, ihr ruhiges, unschuldiges Gesicht, ihre kindlichen und reinen Züge und er verlor sich in ihrem Anblick. Ihr Atem kam ruhig und entspannt, nichts deutete darauf hin, dass etwas ihren Schlaf störte. Von was sie wohl träumte? Von schönen Dingen, so hoffte er. Erneut schlich sich dieses Gefühl in seine Brust. Dieses seltsame Ziehen. Düster erinnerte er sich daran. An Zuneigung. An das Gefühl von Verantwortung. Daran wie es war, dass sich jemand auf einen verlassen hatte. Ihm vertraut hatte. Er erinnerte sich an Glück.
Ein hoffnungsvolles Leuchten trat in seine roten Augen. Was, wenn sie es war, weswegen er zurückkehren musste? Um auf sie aufzupassen? Sie teilten dasselbe Schicksal, das eines verlorenen Lebens. Sie beide erlebten nun ihren zweiten Versuch, ihren zweiten Anlauf, mussten selbst sehen, wie sie damit zurecht kamen. Sie beide waren von allen verlassen worden, dazu verdammt, einsam auf dieser Welt zu sein. Waren sie dazu bestimmt, sich diese Einsamkeit zu nehmen? Gegenseitig? War er dafür bestimmt, Sorge zu tragen, dass aus ihr eine stattliche Frau wurde? Eine Frau, die an seiner statt die Welt verbessern würde? Leise Hoffnung schlich sich in sein Gemüt. Was, wenn es so war? Was, wenn die Lösung so einfach war? Und so perfekt? So vollkommen? Endlich erkannte er, dass er nichts mehr hatte, was ihn fest hielt. Was ihn zu irgendetwas zwang, zu irgendetwas verpflichtete. Endlich war er frei. Er musste nicht mehr wie besinnungslos den mörderischen Grorr'bak jagen, um ihn seiner gerechten Strafe zu zuführen, nein. Er war frei! Frei! Er konnte tun und lassen, was immer er wollte. Ein neues Leben beginnen. Noch einmal von vorne anfangen. Es besser machen. Alles besser machen! Ein Lächeln umspielte seine bleichen Lippen und zum ersten mal, seit er vom Tag zur Nacht gewechselt war, fühlte er so etwas wie echte Freude. Ehrliche Freude! Zum allerersten Mal, war ihm wieder zum Lachen zumute. Ja! Ehrliche Freude! Er grinste breit über das ganze Gesicht. Hoffnung. Endlich wieder Hoffnung! Er steckte den Batzen Fleisch zurück auf den Stock und legte ihn über die Glut, dann wandte er sich zu Odinoki um, betrachtete ihr schlafendes Gesicht mit einem gutmütigen Lächeln und strich ihr fürsorglich durch die Haare. Ja, so musste es sein. Füreinander geschaffen. Sie war sein Zweck, sein Ziel. Sein Kind. Er würde für sie sorgen, als wäre sie seine Tochter, ihr den Halt geben, der ihr genommen worden war und es sollte ihr an nichts fehlen. Er würde wieder leben. Leben wie ein Mensch. Odinoki und Archbalduins Zauber machten es möglich. Er konnte wieder Mensch sein. Er konnte wieder leben! Eine blutige Träne der Freude trat ihm in den Augenwinkel und säte Flammen in seinen Blick, brannte tückisch, ließ ihn blinzeln, aber er ließ sich sein Glück nicht nehmen. Es war alles so gekommen, wie es hatte kommen müssen. Seine Rolle in dieser Welt war noch nicht erfüllt. Nicht, ehe er den Ball an Odinoki abgegeben hatte. Das war sein Schicksal. Das war sein Zweck. Sein Sinn. Abhorash hatte Recht behalten. Unfassbar. Unfassbar!
Noch lange blickte er das kleine Mädchen an, ein väterlicher Zug lag auf seinem Gesicht, zusammen mit einem warmen Lächeln. Dann legte er sich hin und schlang seinen Arm um sie. Er schloss die Augen und wartete auf den Schlaf. Fast war ihm, als könnte er die Wärme plötzlich wieder fühlen, die der anbrechende Tag über das Land streute. Fast war ihm, als würde die Sonne ihm wieder Leben schenken. Er war frei. Er war glücklich.
Und endlich konnte er Grorr'bak vergessen.

Krommlonk lief ein kalter Schauer über den Rücken und er musste sich zusammen nehmen, damit seine Bosse sein Erschaudern nicht bemerkten. Argwöhnisch blickte er hinter sich, versuchte in ihren groben Gesichtern zu lesen, aber sie zeigten nur das übliche, leere Glotzen, wenn es nichts zu moshen gab. Seine kleinen Augen funkelten. Sie hatten nichts bemerkt. Ein wenig bekam Krommlonk es doch mit der Angst zu tun. Die Gerüchte, die in den Gebirgen ihr Unwesen trieben, waren unglaublich. Gewaltig. Doch er durfte sich von ihnen nicht einschüchtern lassen. Er wandte sich von seinen Kriegern ab, wedelte ein bisschen mit seinen Armen um die Schultern zu lockern und warf einen nervösen Blick in den Himmel. Das leuchtende Gestirn kroch soeben über die dunklen Schatten der Berge, warf warmes Licht in das Tal. Ein zufriedenes Grunzen drang aus seinem Maul. Die Kälte störte ihn nicht, aber warm war es ihm lieber. So oder so, der neue Tag hatte begonnen. Er musste es jetzt tun, die Stunde war günstig. Auf keinen Fall konnte er es sich jetzt noch anders überlegen, zugeben, dass er sich fürchtete kam überhaupt nicht in Frage. Er würde alles von dem Respekt verlieren, den er sich so hart erkämpft hatte. Er zog seinen groben Spalta vom Rücken, wog ihn prüfend in der Hand und fuhr einmal mit seinem wulstigen, grünen Daumen über die scharfe, eiserne Klinge. Sie war frisch geschliffen und bereit ihr Werk zu vollrichten. Ein weiteres mal. Ein letztes mal. Sieben der Bosse des großen Waaagh! hatte er bereits im Kampf erschlagen, sich ihre Hauer genommen und als Schmuck an seinem Helm befestigt. Prachtvoll ragten sie von seinem Kopf ab, streckten sich stolz dem Himmel entgegen. Es war das Zeichen seiner Macht. Mit jedem Schwarzork den er fällte, kam er seinem Ziel etwas näher: Waaaghboss. Nur noch einer fehlte.

Noch einmal warf er einen nervösen Blick über die Schulter, kaute dabei auf seiner Oberlippe rum. Hinter ihm standen Boskopp, Tanktank, Grarbotz und Rrraggatt, außerdem noch einer, den er nicht kannte. Die Schwarzorks waren seine obersten Bosse. Ihre Leute folgten ihm, doch er traute ihnen kaum über den Weg. Niemals durfte man seinem Volk über den Weg trauen. Niemals. Bei der ersten Gelegenheit, wenn er schwach und angreifbar war, würden sie versuchen, ihn herauszufordern, sich seine Hauer zu nehmen und die Herrschaft über seine Orks und Goblins beanspruchen. Etwas, worauf er keine Lust hatte. Tanktank warf ihm einen grimmigen Blick zu und schnaubte einmal wie ein Wildschwein. Der Ork hatte die Nase voll, war genervt, wollte, dass Krommlonk endlich anfing.
Doch Krommlonk hatte die Hosen voll. Er zögerte und wünschte sich, er hätte noch ein paar Umläufe gewartet, ehe er diesen Schritt tat, noch ein paar mehr der Orkse auf seine Seite gezogen, hinter sich vereint, ihnen klar gemacht, wer hier das Sagen hatte, wer ihr neuer Boss war. Aber er war voreilig gewesen und nun gab es kein Zurück mehr. Auch Boskopp und Grarbotz warfen ihm nun abfällige Blicke zu, verschränkten ihre breiten, vernarbten Arme und nickten ihm zu. Er musste beginnen, oder er galt als feige. Er schluckte schwer, wandte sich um und ging auf das gewaltige Zelt zu, dass in einiger Entfernung, fast genau in der Mitte des Tals aufgebaut worden war. Einige Orkse und Goblins lungerten davor herum, zeterten und zankten sich wegen irgendetwas, wie sie immer wegen irgendwas zeterten und zankten. Als sie Krommlonk und sein kleines Gefolge kommen sahen, machten sich die kleinen, spitzohrigen Grünhäute schleunigst aus dem Staub. Die Orks wichen zwar auch zur Seite, beobachteten allerdings gespannt, was passieren würde und räumten nur den Platz.
Wenn er ehrlich zu sich selbst war, war Krommlonk sich seiner Sache nicht wirklich sicher. Schon gegen Mokmok, den letzten der Schwarzorkbosse, den er getötet hatte, war es schwierig geworden und er hatte nur knapp gewinnen können. Und was jetzt kam, war noch eine viel größere Nummer. Er hatte üble Dinge über den Alten gehört. Dinge, die ihm Furcht vor dem bevorstehenden Kampf einflößten. Es würde hart werden. Sehr hart. Krommlonk war nervös. Schweiß trat auf seine Handflächen und ließ den Griff um seine Waffe rutschig werden. Verärgert grummelte er vor sich hin, schalt sich stumm selbst einen Feigling.
Er war noch ein ziemlich junger Ork und deshalb bei weitem noch nicht so groß, wie andere seines Volkes es waren. Tanktank überragte ihn um mindestens einen Kopf, Rrraggatt bestimmt um zwei, aber was ihm an Körpergröße und Kraft fehlte, hatte er bisher durch Gerissenheit und Geschick wieder wett gemacht. Konnte man einen Gegner nicht mit Kraft und Gewalt besiegen, ließ man halt Tücke und List walten. Griff Schwachpunkte an, frische Wunden, alte Narben, die Weichdinger zwischen den Beinen. Jeder war zu Fall zu bringen, wenn man nur wusste wie. Er ging mit seinen zwei Äxten ziemlich geschickt um. Seine Stärke lag in der Wendigkeit, nicht in der Kraft. Selten für Orks, aber wahr. Im Kampf hatte er sich damit behauptet und wenn der andere tot im Staub lag, stellte niemand mehr Fragen. Solange er wohlauf war, würde niemand seiner Leute es wagen, die Hand gegen ihn zu erheben.
Als sie sich dem großen Zelt näherten, wurde eines der Felle beiseite geschlagen und gab einen alten, gekrümmt schlurfenden Ork frei, der sich gerade die Hände an einem schmuddeligen Leinentuch abwischte. Frisches Blut befleckte den Stoff. Der Schamane trat ins Licht, blinzelte kurz in die Sonne und warf dann einen funkelten Blick zu Krommlonk und seinen Leuten. Böse Ahnung lauerte in seinen Augen. Er wartete noch, bis der Schwarzork und seine Bosse den Vorplatz erreicht hatten, ehe er die grunzende, schnarrende Stimme erhob: „Wat soll dat werdän?“
„Weißtä genau!“, gab Krommlonk knurrend und ohne ein Zögern zurück. Ein gefährliches Grollen drang aus seiner Brust. Es war soweit. Die Aufregung, die Nervosität ließ von ihm ab, gab ihn frei. Seine Muskeln spannten sich an. Er war bereit. Jetzt oder nie. Der Kampf konnte kommen. Mit einer eindeutigen Bewegung befreite er seine zweite Axt von seinem Gürtel, ließ sie schwungvoll ein kurzes Stück durch die Luft fliegen und fing sie dann geschickt mit seiner rechten wieder auf. Er nahm einen festen Stand an und schnaubte angriffslustig.
„Der nächstä also.“, antwortete der Schamane nickend, während er das blutige Tuch achtlos auf den Boden warf. „Hat ja lang gedauert.“, stellte er noch fest, dann räumte er das Feld und gesellte sich zu den anderen Orks, die einen weiten Ring um das Zelt gebildet hatten. Unter den Blicken aller hockte er sich gemächlich in das Geröll, stimmte einen leisen Gesang an und warf einige Knochensplitter auf den Boden. Mork und Gork sollten ihm den Ausgang des Kampfes vorhersagen. Interessiert beugten sich einige der anderen Orks zu ihm hinunter und verfolgten seine Weissagung. Krommlonk blickte noch ein letztes mal zu ihnen herüber und schluckte schwer. Zu gerne würde er wissen, was die Knochen vorausgesagt hatten. Leiser Zweifel schlich sich in seine Orkigkeit... Unfug! Trotzig schüttelte er sich einmal, stieß einen lauten Schrei in die kühle Morgenluft, dass ihn alle in Erwartung eines eindrucksvollen Kampfes anstarrten, dann hob er eine seiner Äxte, richtete sie auf den Eingang des Zeltes und rief:
„Grorr'baaaaak! Komm raaaaaus!“
 
Zuletzt bearbeitet:
Hi, gibt ja schon den nächsten Teil.
Ich bin dir noch ein Feedback vom vorherigen schuldig.
Eine sehr schöne Kampfszene. Muss ich aber nochmal in Ruhe lesen, um mehr dazu schreiben zu können.
mir ist aber ein Satz negativ aufgefallen:
"Die Kreatur verstand,
wirbelte ihren Kopf mit einem Fauchen herum, ohne auch nur den Hals zu bewegen
und schnappte mit ihren Reißzähnen nach dem Menschen, der hinter ihr mit seiner
Waffe zu stach."
Wie bewege ich den Kopf ohne den Hals zu bewegen?
Das Kapitel "Befreie mich" habe ich jetzt angefangen zu lesen: Ein sehr schön geschriebener Monolog von Aaron, für den Leser auch gut nachvollziehbar, wie der Vampir seine Gedanken beeinflusst und in die "Richtige" Bahn lenkt.
Aber,... für meinen Geschmack zu viele Wiederholungen:
"So knapp. So knapp. So knapp war er dem Tod entronnen." "..mit Haut und Haar aufzufressen. Zu zerfetzen. Zu töten. Zu töten!" (z.B.)
Werde aber am Wochenende eine Ausführlichere Kritik schreiben.
 
Hi, gibt ja schon den nächsten Teil.
Ich bin dir noch ein Feedback vom vorherigen schuldig.
Solange ich Feedback bekomme, hatte ich mir vorgenommen, eigentlich 1x die Woche einen Teil zu posten (die Frequenz ist von SHOKer gemopst). Das ist für mich vermutlich utopisch, aber erstmal ein Vorsatz. Bitte fühl dich nicht verpflichtet, diesen Anspruch jetzt alleine zu stemmen. Es ist schon Beweis genug, dass du dich offensichtlich nur deshalb im Forum angemeldet hast. Wie bist du eigentlich auf die Geschichte gekommen und hast dann auch noch angefangen, sie von vorne bis hinten zu lesen?
mir ist aber ein Satz negativ aufgefallen:
"Die Kreatur verstand,
wirbelte ihren Kopf mit einem Fauchen herum, ohne auch nur den Hals zu bewegen
und schnappte mit ihren Reißzähnen nach dem Menschen, der hinter ihr mit seiner
Waffe zu stach."
Wie bewege ich den Kopf ohne den Hals zu bewegen?
Ich bin damit auch nicht ganz zufrieden. Ich habe mir das sehr eulenartig vorgestellt, wenn du verstehst was ich meine. Natürlich bewegt auch die Eule dabei ihren Hals, nur nicht ihren Oberkörper, mir haben entsprechende Formulierung aber irgendwie nicht zugesagt. Ich wollte auch auf Formulierungen wie "hundertachtzig Grad" verzichten, da ich nicht finde, dass sie nicht passig klingen. Werde das noch ändern.

Aber,... für meinen Geschmack zu viele Wiederholungen: "So knapp. So knapp. So knapp war er dem Tod entronnen." "..mit Haut und Haar aufzufressen. Zu zerfetzen. Zu töten. Zu töten!" (z.B.)
Gut, das hat sich in meinen aktuellen Schreibstil irgendwie integriert. Ist ja auch schon bei dem Kapitel mit Aurora ähnlich, wo sie durch das Tal läuft. Ich finde, das erzeugt, wenn es gut gemacht ist, eine gewisse Intensivierung der Darstellung. Vielleicht sind die hier aber etwas schlecht gewählt, ich werde sie rausnehmen.
Werde aber am Wochenende eine Ausführlichere Kritik schreiben.
Über konstruktive Kritik freut man sich immer. 😉
Aber bitte fühl dich nicht im Zwang.

Danke für deine Rückmeldung.
Grüße
yinx
 
Zuletzt bearbeitet:
Mache ich doch gerne.
Und ja ich habe mich nur für die Geschichte hier angemeldet.
Gestöbert und gelesen habe voher hier im Forum auch schon, aber dazu wollte ich mich dann doch mal zu Wort melden.😉
Deine Geschichte habe ich mehr durch Zufall gefunden, habe pauschal nach guten Warhammer Geschichten gesucht.
Und ja ich habe sie in einem Rutsch von Anfang an gelesen.
Dann frohes Schaffen noch und lasse dir ruhig Zeit.

mfG
Eldoron
 
So, dann geb ich mal auch meinen senf ab.
Zu Feuerbrand: Gute Kampfszenen dass einzige was mich wundert ist wieso es sowenig verletzte bzw. Tote gab. Schließlich sind sie ja alle im grunde nur die einfache bürgermiliz oder? Doch ansonsten war alles gut und authentisch. Freu mich schon wenn rauskommt wer der werwolf ist der ihn verfolgt.
Zu Angmund weis ich eigentlich gar nicht was ich schreiben soll. Er ist einfach eine halbwegs intelligente und machthungrige Person. Mit der Kraft eines Werwolfes. Er wird höchstwahrscheinlich die aufmerksamkeit auf sich lenken und somit die andere Bestie in den schatten rücken lassen. So mal meine vermutung.
Zu Befreie mich: ich finde es wirklich gut wie Aaron sich vor Angst weidet. Doch das er so schnell die Kontrolle über seine gedanken verliert ist schon seltsam. Klar hällt er sie doch für seine eigenen, doch es ist merkwürdig wenn er in seinen überlegungen die ganze zeit mit einem Befreie Mich! gestört wird und es ihm nicht auffällt. Zu Schneider und Odinoki: Klaus Peter Schneider als Vaterfigur? Würde sicher in seinen Caracter pasen, obwohl ich mir nicht sicher bin was du genau meinst das sie das werk von schneider fortführen soll. Soll sie auch ein Vampire werden und gegen die feinde des imperiums kämpfen oder will er ihr ein einfaches und glückliches leben geben? Und was Gorrbaarrrk angeht: Frag mich wie er so einen fluch überlebt hat. Am meisten in einer gesellschaft der orks wo so ziemlich jede kleine verletzung schon anlass ist des Bozz zu töten.

Alles in allem zwei gute abwechslungsreiche teile die sehr flüssig sind und nach mehr verlangen lassen.
Also schreib bitte schnell weiter yinx.😀
 
Gute Kampfszenen dass einzige was mich wundert ist wieso es sowenig verletzte bzw. Tote gab. Schließlich sind sie ja alle im grunde nur die einfache bürgermiliz oder?
Ich selbst habe das gar nicht so als eigentliche "Kampfszene" wahrgenommen. Ich meine, natürlich wird gekämpft, aber die Szene ist nicht als Kampfdarstellung gestaltet. Es geht dabei eher um Gunthers Verwirrung, Irretation, dass er vor lauter Stress und Panik nicht mehr klar denken kann etc.
An sich ist der Kampf aber ziemlich kurz und nur durch eben Gunthers hektische Gedanken schriftlich lang ausgestaltet. Ich denke nicht, dass es länger als vielleicht zwei Minuten gedauert hat. Vielleicht drei. Ehrlich gesagt war am Anfang gar nicht geplant, jemanden sterben zu lassen, aber das kam mir dann auch arg unwahrscheinlich vor bei einer derart übernatürlichen Kreatur. Aber ja, an sich sind es nur einfache Stadtwachen, aber in großen Geschichten sind doch immer kleine Leute die Helden. 😉
Freu mich schon wenn rauskommt wer der werwolf ist der ihn verfolgt.
Hierzu würde ich empfehlen, die Beschreibung des Wesens aus dem Kapitel II "Die Bestie" noch einmal zu lesen.
doch es ist merkwürdig wenn er in seinen überlegungen die ganze zeit mit einem Befreie Mich! gestört wird und es ihm nicht auffällt.
Das "Befreie mich!" wird er nicht wortwörtlich in seinem Kopf hören. Es sind die Anstöße, die Abraxas ihm gibt, damit er den Gedanken immer weiterdenkt.
Befreie mich! -> Die Kammer.
Befreie mich! -> Ich muss etwas in der Kammer finden, um Walter Groll auffliegen zu lassen.
Befreie mich! -> Nein, ich muss etwas finden, um ihn zu überwältigen.
Befreie mich! -> Nein, nicht etwas, ich muss jemanden finden.
Befreie mich! -> Jemand ist in der Kammer eingesperrt und ich muss ihn befreien, damit er Walter Groll besiegt.
...
So war das gedacht, hab ich mir das vorgestellt. Wenn das falsch rüberkommt ist das natürlich mein Fehler und weniger schön.
Würde sicher in seinen Caracter pasen, obwohl ich mir nicht sicher bin was du genau meinst das sie das werk von schneider fortführen soll. Soll sie auch ein Vampire werden und gegen die feinde des imperiums kämpfen oder will er ihr ein einfaches und glückliches leben geben?
Ich denke, er will ihr eher ein einfaches glückliches Leben ermöglichen, was ihm ja in großen Zügen verwehrt blieb. Zum Vampir wird er sie vermutlich eher nicht machen wollen, schließlich verabscheut er ja schon seine eigene Existenz. Das "an seiner statt die Welt zu retten", entspringt eher seinen euphorischen Gedanken und der Andeutung Abhorashs "Das Schicksal hat noch bedeutsames mit dir vor". Er glaubt, er würde Odinoki darauf vorbereiten, diese bedeutsamen Dinge einst an seiner Stelle zu tun. Aber zu dieser Entwicklung mehr im Laufe der Story. 😉
Und was Gorrbaarrrk angeht: Frag mich wie er so einen fluch überlebt hat. Am meisten in einer gesellschaft der orks wo so ziemlich jede kleine verletzung schon anlass ist des Bozz zu töten.
Dazu mehr im nächsten Teil.

Alles in allem zwei gute abwechslungsreiche teile die sehr flüssig sind und nach mehr verlangen lassen.
Also schreib bitte schnell weiter yinx.😀
Vielen lieben Dank für das Feedback, so was ermuntert immer, denn im Endeffekt schreibt man halt doch nicht nur für sich selbst. Also immer schön, wenn du einen Kommentar hinterlässt. Ja, ich schreibe, schreibe, schreie. Bald gehts weiter!

Grüße
yinx
 
Problem ist nur, ich will jetzt auf jeden wissen, wie es weiter geht
greets%20(6).gif

Ich bin da! Ich bin da! Ich bin da! Ich bin da! Ich bin da! Puuuuh... ! :x


Kapitel XVII

Der Trollbeißer




Grorr'bak lag träge und schwach auf einem Lager aus Tierfellen. Eine nahe Ölfackel warf düstere, bebende Schatten auf seinen gewaltigen Leib. Kalter, fiebriger Schweiß glänzte im Schein der Flamme auf seiner Stirn, seine Augen waren glasig und blickten irgendwo vor ihm ins Nichts, hatten jeden Glanz von Vernunft und Gesundheit verloren. In schweren, rasselnden Zügen kam sein Atem, jeder Luftzug schien ihm eine Qual zu sein, ein Feuer, das seine Lunge verbrannte. Schillernder Speichel stand ihm auf den gesprungenen Lippen, funkelte im dämmrigen Glühen der matten Lichter. Mühsam wälzte er sich von der Seite auf den Rücken und stöhnte leise, grunzte dann leidvoll. Über ihm erstreckte sich dunkel und bedrohlich die Decke seines Zeltes, durchzogen von dünnen, weißen Rauchfäden, die sich aus der Asche einer Feuerstelle empor kräuselten. Verfluchter Schnazark! Sein Fluch hätte den monströsen Leib des Schwarzorks schon längst brechen sollen, aber Grorr'bak krallte sich panisch ans Leben, unwillig abzutreten hielt er die Flamme seines vergehendes Lichtes am Glimmen.

Sein ganzer Körper war übersät mit nässenden, fauligen Wunden, die ganz entsetzlich nach Trollkotze stanken. Die Hand, die er damals in der großen Schlacht verloren hatte, war vollkommen verschimmelt, zu einem schwarzen, verpesteten Stumpf verkommen, genau so wie der Rest seines Unterarms. Tot. Weg. Unbrauchbar. Ein stinkender, gammliger Klumpen. Die Wunden, die die Menschen, die Spitzzähne und der Wolfsmensch ihm geschlagen hatten, hatten ihm nicht viel anzuhaben vermocht, auch wenn er wulstige Narben davon getragen und einen seiner Hauer verloren hatte. So vorsichtig, wie es ihm möglich war, fuhren seine klobigen Finger über das verwucherte Gewebe auf seiner Brust, den einstmals tiefen Riss, den der Wolf ihm in die Brust geschlagen hatte. Er erinnerte sich gut an den Kampf. Ein knappes, verächtliches Schnauben war alles, was es ihm abverlangen konnte. Keine Wunde in der Schlacht hatte ihn zu fällen vermocht, doch nun raffte dieser tückische Fluch ihn dahin. Oder was auch immer es war. Dahinsiechend lag er, Grorr'bak Trollbeissa, der größte und mächtigste Ork, den Mork und Gork je geschaffen hatten, auf ein paar müffigen Fellen und würde früher oder später diese Welt im Schatten junger und großer Krieger verlassen. Ohne Glanz, ohne Ruhm. Sterben. Verschwinden. Ein großer, verwesender Haufen grünes Fleisch, kaum noch zu sagen, wo unten und wo oben war. Dennoch klammerte er sich voll Todesangst an dieses verwesende Leben. An das schier endlose Leiden. Er wollte nicht sterben. Nicht so. Er wollte nicht...
Er schreckte kurz auf, als ein Schamane unangekündigt das Zelt betrat. Misstrauisch folgten die kleinen, vom Fieber feurigen Augen des einst so stattlichen Waaaghbosses dem Tränkemischer, beobachteten was er tat, vertrauten ihm nicht eine Sekunde, nicht einen kurzen Augenblick. Der sehr viel kleinere Ork stand in einer Nische des Zeltes, werkelte mit irgendetwas herum und trat dann an Grorr'bak heran. Ein wütendes aber kraftloses Grunzen hieß ihm, sich lieber zu verziehen. Doch der Schamane ignorierte die klägliche Drohung, betrachtete die entzündeten Wunden des kranken Hünen und begann sie mit einem groben Leinentuch abzutupfen. Der Schwarzork biss die Zähne zusammen, als der kratzige Stoff seine aufgeplatzte Haut berührte. Sofort tränkten sich die Fasern mit Eiter und Blut. Heiße Qualen schossen durch seinen Körper, fluteten ihn wie flüssiges Eisen und zogen sich hinauf bis in seinen Kopf, wo sie von innen mit Stahlhämmern gegen seinen Schädel schlugen. Er schrie auf. Ein verzweifeltes Brüllen, zornig und gefährlich, ein kleiner Funke alter Kraft und Stärke, der sich seinen Weg aus dem erkrankten Gefängnis bahnte. Der Schamane warf ihm lediglich einen etwas abschätzigen Blick zu. Er wusste, dass er vor seinem Waaaghboss keine Furcht haben musste. Nicht mehr. Der bucklige, alte Ork kniff die Augen etwas enger zusammen, trat noch näher an Grorr'bak heran und legte ihm prüfend die Hand auf die Stirn. Erschrocken zog er sie zurück, dann schüttelte er seinen Kopf. Die faltige, tief von seinem Gesicht hängende Haut schlabberte wild umher. Heiß wie Feuer.
„Dauert nich mehr lang.“, bemerkte der Alte trocken und warf seinen rauen Lappen achtlos in einen Eimer mit blutschwangerem Wasser. Mitleidlos rieb er sich die Hände und grunzte gelangweilt. Ein entsetztes Keuchen drang aus der Brust des Schwarzorks, Panik griff nach seinem Blick, ließ die Augen wie verrückt in ihren Höhlen wirbeln und sie ängstlich das Zelt abtasten, so als würde es seine Rettung in irgendeiner Nische verbergen. Aber er fand sie nicht. Da war nichts. Selbst der Tränkemischer war mit seiner Weisheit am Ende. Er war am Ende! Sollte er nun sterben? Holten Mork und Gork ihn zu sich? Musste es so kommen?
Fast hatte er die Gewissheit des Sterbens hingenommen, doch dann wehrte sich plötzlich etwas in ihm gegen den Gedanken des nahenden Todes, begehrte mit aller Macht auf, zwang ihn etwas zu unternehmen. Mit einem Ächzen setzte er sich auf, frisches Blut brach aus seinen Wunden, spülte Eiter und Dreck über seine dunkle, grüne Haut und eine faulige Welle des Gestanks, die sogar den greisen Schamanen hustend zurückweichen ließ, schwappte aus seinem Leib und flutete das Zelt. Knurrend verengte er seine Augen zu funkelnden Schlitzen und warf die Stirn in zornige Falten. „Quatsch nich'!“, bellte er und schäumender, hellroter Speichel spritzte über seine Lippen. „Dann tu bessa wat! Denn wenn ich sterbä, dann nehm ich dich mit!“ Ein böses Grollen in seiner Brust unterstrich die Drohung.
Zwar wich der Alte vorsichtshalber ein paar Schritte zurück, schüttelte aber dennoch den Kopf. In seinem Blick lag eine erbarmungslose Härte. „Dein Lebän lang hastä allet gemosht und geprügält, wat diä im Weg stand, aba den Tod kannstä nich mosh'n! Er wird dich hol'n komm'!“ Er blinzelte und ein nahezu schadenfrohes Grinsen umspielte seine furchigen Lippen. „Noch heutä holta dich!“
Vor Wut sprang Grorr'bak auf die Füße, brüllte und versprühte blutigen Schaum, ballte seine verbliebene Hand zu einer gewaltigen Faust und machte einen taumelnden Schritt auf den Schamanen zu. Mit einem hörbaren, schauerlichen Geräusch riss seine bereits geschundene Haut weiter ein, gab noch mehr rohes, rotes Fleisch preis. Ströme aus Blut färbten die Arme und Brust des Giganten schwarz. Ein tiefes, drohendes Donnern kämpfte sich durch seinen Körper und brach zusammen mit einem sterbenden Pesthauch aus seinem aufgerissenen Schlund. Mit ängstlich geweiteten Augen stolperte der Schamane ein paar Schritte zurück und stützte sich dann schwer auf einen Tisch am Rande des Zelts. Hektisch tastete er nach einem Messer oder einem anderen scharfen Gegenstand, aber seine Finger krallten sich nur in eines der rauen Leinentücher, mit denen er sonst die Wunden des Schwarzorks versorgte. Der Fluch beginnt ihn zu verändern, schoss es ihm durch den Kopf, doch dann ging ihm auf, dass Grorr'bak eigentlich schon immer gefährlich und launisch gewesen war. Besonders für Schamanen. Wie eigentlich alle größeren Orks. Der Alte schluckte schwer. Vor ihm stand dieser gewaltige Koloss, ein Berg von einem Ork, groß wie ein Troll, getränkt mit seinem eigenen schwarzen Blut, auf der Schwelle des Todes, am Ende seiner Kräfte und am Ende seines Lebens. Dieses unwirkliche Bild hinterließ ein seltsames Gefühl in seiner Brust und schnürte ihm die Kehle zu. Vorsichtig trat er an den Waaaghboss heran, den schwer atmenden Riesen, dessen Schultern unter seinem eigenen Gewicht erbebten. Rasselnder, fauliger Atem schlug ihm ins Gesicht, als er behutsam begann, die frisch aufgerissenen Wunden an den muskulösen Armen des Trollbeißers mit dem Tuch abzutupfen, beruhigend auf ihn einflüsternd. Die Brust des Giganten hob und senkte sich so schwer, als müsste er mit jedem Luftholen einen Stein stemmen und seine Lungen rasselten, als wären sie gefüllt mit Kieseln und Knochensplittern. „Ich tu was ich kann, Boss!“, sagte der Schamane mit leiser, fast erstickter Stimme, doch Grorr'bak schien keine Notiz davon zu nehmen. Blut rann an seinem Körper hinab, tropfte auf den Boden und bildete rasch eine schlammige, schwarze Pfütze. Die Finger des Alten umklammerten den schmutzigen Lappen so krampfhaft, dass die Knöchel weiß hervortraten. Beißender Schweiß stand auf seiner Stirn, biss bösartig in seine faltige Haut. Der Gestank von Tod, Asche und Angst verpestete die Luft, lag wie ein dunkler, drohender Schatten über den zwei Orks. Der Rauch der Feuerstelle bildete geisterhafte Formen in der gespenstischen Stille, die nur vom Rasseln der kranken Lungen des Schwarzorks durchbrochen wurde. Die Anwesenheit des Todes erfüllte das Innere des Zeltes, tränkte jeden Hauch, der durch die Felle drang, mit einer unheilbringenden Gefahr. Vorsichtig trat der Schamane einen Schritt zurück, näherte sich langsam den Ausgang. Es würde nicht mehr lange dauern, nur noch wenige Augenblicke, dann wäre Grorr'bak nicht mehr. Und er wollte bestimmt nicht dabei sein. Schon viele Krieger, Weiber und Welpen hatte er sterben sehen, doch hier stimmte etwas nicht. Er hatte das Gefühl, dass hier nicht nur der Leib verenden würde, sondern mehr. Gork und Mork waren bergeweit entfernt von diesem Ort. Es ging hier nicht mit rechten Dingen zu. Die lauernden, misstrauischen Augen des Waaaghbosses verfolgten jede einzelne Bewegung, die der alte Schamane machte, während er schnaufend, mit zornig geballter Faust mitten im Zelt stand, eingehüllt von weißen Rauchschwaden. Die Augen des ergrauten Orks huschten kurz über seine Schulter, hin zum Ausgang. Es war nicht mehr weit. Und es würde nicht mehr lange dauern. Mit einem Stöhnen schlurfte Grorr'bak ein Stück auf einen großen Tisch zu, auf dem sein riesiger, verhexter Spalta lag. Unbeholfen grabschte er nach der Waffe und nahm sie an sich. Furchtsam versteifte sich der Schamane, aber war dennoch davon beeindruckt, dass der todkranke Ork die schwere Axt überhaupt noch anheben konnte. Was hatte Grorr'bak mit der Waffe vor? Wollte er ihn töten? Selbst wenn er die Absicht hatte, wäre er sicherlich viel zu langsam und träge. Der Alte hatte keine Angst vor seinem Boss, er hatte Angst ihn sterben zu sehen, oder was auch immer mit ihm geschehen würde. Er spürte, dass sie ganz nahe war, die eisige Hand des Todes. Die Luft war voll von ihr. Langsam hinkte Grorr'bak direkt auf ihn zu, den Spalta auf dem Boden hinter sich herschleifend. und er wich noch einen weiteren Schritt vor ihm zurück. Grummelnd bedeutete der Schwarzork ihm, den Weg freizumachen, wedelte mehr mit dem Kinn, als dass er tatsächlich sprach. Verdutzt stockte der Schamane. „Was hast du vor, Boss?“, fragte er ihn und legte beinahe neugierig den alten, runzeligen Kopf schief. Grorr'bak nickte matt in Richtung des Ausganges, durch den schwaches, graues Licht fiel. „'S kommt wieda eina.“, antwortete er mit erstaunlich ruhiger und besonnener Stimme. „Ich kann seinä Angst schnüffeln.“ Ein dunkles Feuer loderte in seinen Augen und dem Schamanen gefiel das nicht. Überhaupt nicht. Etwas ging in dem Waaaghboss vor. Irgendetwas bösartiges. „Wat? Wer kommt?“, fragte der Schamane, doch noch ehe er eine Antwort hätte bekommen können, donnerte ein kraftvoller Ruf wuchtig durch die Felle des Zelts und forderte den mächtigen Trollbeißer, den größten und stärksten Ork, den das Gebirge je ausgespiehn hatte, Boss und Gebieter des gewaltigsten Waaaghs aller Zeiten, durch seinen bloßen Klang zum Kampf auf Leben und Tod.
„Grorr'baaaaak! Komm raaaaaus!“


Der Schamane hatte sich verzogen und es war gespenstisch still geworden, lediglich der Wind ließ die Stimmen der Ahnen in den Tälern heulen. Die Sonne hatte sich fast gänzlich über die schwarzen Gipfel des Gebirges geschoben und warf ein graues, unangenehmes Licht in das Tal. Wolken waren aufgezogen und verdunkelten den Himmel, stahlen den warmen Glanz der hellen Scheibe, die nur noch als fernes Glimmen irgendwo hinter dem trüben Dunst wahrzunehmen war. Auf seiner straffen, grünen Haut fühlte Krommlonk nur feuchte Kälte. Das Wasser waberte in nassen grauen Schwaden durch die Luft, hüllte das ganze Tal in aufsteigenden Nebel und ließ die Sicht mit jeder Minute um ein paar Fuß schrumpfen. Erstaunlich schnell verzog sich das angenehme Wetter, das dem jungen Ork noch vor einer halben Stunde frischen Mut verliehen hatte. Der Wind trieb Kälte und Regen mit eisernen Peitschenschlägen vor sich her, blies immer dunklere Wolken über die Berge und formte sie am Horizont bereits zu gewaltigen Türmen. Über den Tag würde ein Sturm aufziehen, ein zorniger, gieriger Sturm, der einen Fluss auf sie ausspeien, mit hellem Himmelsfeuer nach ihren Hütten spucken und die späte Herbstluft mit grollenden Knurren erfüllen würde. Regen, Blitz und Donner, Wut, Zorn und Hass. Etwas unheilvolles bahnte sich an, Krommlonk konnte hören, wie der heulende Wind die Kunde an diesen Ort trug. Etwas großes, etwas gewaltiges. Grorr'bak Trollbeissas Fall. Davon sang der Wind. Ja, ganz genau davon!
Gespannt umschlangen seine klobigen Finger die Griffe seiner Äxte noch fester. Knarzend antwortete das Leder der Umklammerung seiner Hände. Er spürte, wie sie allmählich feucht von kaltem Schweiß wurden. Die Nervosität kehrte zurück, es dauerte ihm zulange. Sobald er erst einmal kämpfte wäre aller Zweifel vergessen, aber er hasste dieses elende Warten! Wo blieb der Waaaghboss nur? Er ließ sich gehörig Zeit! Was hielt ihn zurück? Vielleicht fürchtete er sich? Ein triumphierendes Funkeln trat in Krommlonks Augen. Grorr'bak versteckte sich vor ihm, weil er Angst hatte! Konnte das sein? Ja, bestimmt war es so! Innerlich brach er in höhnisches Gelächter aus. Sicher hatte er sich schon einen gewissen Namen gemacht, mit den sieben Orkbossen, die er bisher erschlagen hatte. Grorr'bak musste einfach schon von ihm gehört haben und sicher war ihm auch klar gewesen, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis er ihn selbst herausforderte! Der große Trollbeißer wurde herausgefordert von Krommlonk! Krommlonk! Krommlonk, dem... Krommlonk, der große... Krommlonk... Krommlonk, der... Krommlonk... ähh...
Besagter Krommlonk verfiel in ein kurzes Grübeln. Er hatte ja noch gar keinen zweiten Namen... Wie bekam man die eigentlich? Suchte man sie sich aus? Er grunzte verdutzt, als ihm auffiel, dass er sich darüber bisher keinerlei Gedanken gemacht hatte. Man musste sie sich verdienen! Ja! Oder doch nicht...? Oder...? Wie...? Er war sich nicht sicher. Kurz widerstand er dem Drang, sich bei Boskopp danach zu erkundigen. Er durfte jetzt keine so dummen Fragen stellen. Aber es ärgerte ihn schon. Was würden die Orkse über ihn sagen, wenn er erst Grorr'bak erschlagen hatte? Er brauchte doch einen Titel?! Würden sie ihn dann Krommlonk Trollbeissatöta nennen? Oder, wenn er den Waaaghboss im Kampf biss, vielleicht würden sie ihn dann Trollbeissabeissa nennen? Unzufrieden schüttelte Krommlonk kaum merklich den Kopf. Das gefiel ihm nicht. Trollbeissabeissa klang nicht gut. Nicht mächtig und nicht nach großer Kraft. Er wollte einen ganz eigenen Namen haben. Vielleicht konnte er nach dem Kampf einen Vorschlag anbringen, wie zum Beispiel „Krommlonk Siebentöter“. Weil er sieben Orks getötet hatte. Aber, fiel ihm ein, wenn er Grorr'bak getötet hatte, dann wären es ja schon... schon... naja... naja, einer mehr als sieben eben, wie die Zahl da auch immer heißen mochte. Da musste er dann einen Schamanen fragen. Im Gebirge erzählte man sich, Grorr'bak hätte so viele Hauer an seiner Kette, so viele, dass kein Ork sie zu zählen vermochte. Krommlonk konnte das kaum glauben. Das mussten ja mehr sein als... mehr als... ach vadammt! Da er zwei Äxte in den Händen hielt, hatte er seine Finger nicht zum Zählen frei. Vadammich! Immerhin mehr als sieben! Siehmuntswöltzich vielleicht, oder wie die Zahl auch immer hieß. Irgendwie so wat. Dann knurrte er.
Erneut schüttelte er den Kopf, diesmal allerdings verärgert. Er stand vielleicht nur einen kurzen Augenblick vor dem wichtigsten Kampf seines Lebens und zerbrach sich über solchen Unsinn den Kopf. Was war nur los mit ihm? Er schüttelte sich einmal kurz, um seine Muskeln zu lockern und um die sonderbaren Gedanken abzustreifen, wie ein altes, löchriges Fell. Sicherlich würde man ihm einen guten, mächtigen Namen geben, der ihm auch gefiel und wenn nicht, dann würde er mit Axt und Faust dafür sorgen, dass man ihm einen neuen gab. Sich Namen auszudenken war nicht seine Sache. Seine Sache war der Kampf. Seine Sache war es nur zu kämpfen und sich eben diesen Namen zu verdienen! Doch noch immer war Grorr'bak nicht erschienen, noch immer musste Krommlonk warten. Es schien ihm endlos lange zu dauern. Er schnaubte entnervt und warf einen verwirrten, misstrauischen Blick über die Schulter zu seinen Bossen hinüber, so als wollte er sie fragen, warum sein Gegner sich nicht zeigte. Boskopp nickte ihm zu, aber Tanktank grinste nur spöttisch und verschränkte die Arme vor der breiten Brust. Er musste was unternehmen. Kein Boss durfte es sich gefallen lassen, solange auf seinen herausgeforderten Feind zu warten, sonst galt er noch als schwach oder feige, ganz so, als wollte er den Rückzieher machen und nicht Grorr'bak. Er musste auf diesen Kampf bestehen, sonst befleckte er sich dabei mit Schande und nicht der Waaaghboss! Zornig und verärgert grunzte er, wog ein allerletztes mal seine Waffen ab und begann dann, auf das Zelt loszumarschieren. Doch gerade, als er sich in Bewegung gesetzt hatte, ging ein Raunen durch die Menge der Orks. Manche quiekten erschrocken, andere brüllten voll Vorfreude auf das kommende Gefecht. Krommlonk blieb wie angewurzelt stehen und starrte mit, vor Erstaunen aufgerissenen Augen seinen Widersacher an. Grorr'bak Trollbeissa trat aus seinem Zelt.
Er war so gewaltig, dass er einige der Stützpfeiler aus dem Boden riss, als er sich durch die Luke hinaus ins Freie zwängte. In einem staubigen Tosen fielen hinter ihm Felle, Planen und Stangen zusammen, doch es schien ihn überhaupt nicht zu kümmern, im Gegenteil, er beachtete es gar nicht. Sand und Dreck wirbelte in dem Chaos auf, legte sich auf den kolossalen Ork nieder und blieb an dem Blut kleben, das seinen Körper wie ein Mantel einzuhüllen schien, wie Haare an feuchtem Goblinmist. Es war, als würde es im Tal dunkler werden, schattiger und kälter, so riesig wirkte der Leib des Waaaghbosses, dass er sogar den schwindenden Schleier der Sonne zu verdecken mochte. Kleine, rote Augen starrten ihn voll Zorn und Hass an, drohten ihn mit einem qualvollen Ende. Ungläubig torkelte Krommlonk einen halben Schritt zurück, den Unterkiefer auf der Brust klebend. Noch nie hatte er so einen monströsen Ork gesehen. Grorr'bak... Grorr'bak war tatsächlich nahezu so groß wie ein ausgewachsener Bergtroll, mit Armen so breit wie zwei Weinfässer und einem Kreuz wie ein Mühlstein. Der junge Ork konnte es nicht fassen, nicht fassen, worauf er sich hier eingelassen hatte. Ängstlich schluckte er seinen Mut hinunter. Gork und Mork, was für eine Bestie!
Doch so überwältigend und furchteinflößend der Anblick des Trollbeißers auch sein mochte, so grauenvoll entstellt war auch sein Leib. Ihm war ein Hauer abgebrochen und eine seiner Hände war nur noch ein schwarzer Stumpf, bis kurz unter den Ellbogen, was auch immer mit ihr geschehen sein mochte. Den Spalta, der sicher so groß war wie Krommlonk selbst, zog er mit seiner verbliebenen Hand hinter sich her, wie ein klappriger Greis! Außerdem war sein ganzer Leib mit entsetzlichen Schnitten bedeckt, seine Haut hing in losen Fetzen herab und sein ganzer Leib schien ein einziger Strom aus schwarzem Blut. Das Schlimmste allerdings war der Gestank von Tod und Qual, der mit Grorr'bak aus dem Zelt gekrochen war. Wie eine todbringende Wolke stand er in der Luft und ließ selbst die jubelnden Orks, die auf das bevorstehende Gefecht brannten, entsetzt vor ihm zurückweichen. Die anwesenden Goblins machten sich augenblicklich laut kreischend aus dem Staub, als der verfallende Gigant auf das Schlachtfeld trat. Schwarz von Blut, todbringend und sterbend zugleich stand der Trollbeißer wie ein Fels vor dem jungen Krommlonk, ließ ihn trotz seiner Wunden klein und schwach wirken, wie ein Welpe. Die schauerlichen Gerüchte über den Herrn des Gebirges waren also wahr gewesen. Alle. Sowohl die von seiner gewaltigen Größe und Kraft, als auch die von dem Fluch, der ihn damals in den Tagen der großen Schlacht befallen hatte. Schnaubend thronte der hünenhafte Schwarzork vor ihm auf und erwartete ihn, erwartete seinen Angriff. Mit einer ächzenden Bewegung schwang er seinen Spalta vor sich und donnerte die Klinge in den Boden, dass die Berge zu erzittern schienen. Grorr'bak war bereit.
Doch Krommlonk rang mit sich. Die Größe seines Gegners schüchterte ihn ein, aber noch mehr fürchtete er sich vor der verfluchten Wolke des Todes, die ihn umgab. Ein Teil in ihm schrie danach, sofort das Weite zu suchen, sich in dem nächsten Erdloch zu verkriechen und nie wieder herauszukommen, schreiend zu flüchten und lieber verstoßen zu sein, als tot. Aber ein anderer Teil hielt ihn davon ab. Alles wofür er gekämpft hatte, hing an einem dünnen Faden und die nächsten Minuten würden darüber entscheiden, ob er reißen sollte oder nicht. Würde er sich dem Kampf nicht stellen, wartete ein Leben in Schande auf ihn, vermutlich mit einem raschen, unwürdigen Ende. Man würde ihn jagen wie einen Hund, wurde ihn prügeln, foltern und zuletzt fressen, genau wie einen Zwerg. Eigentlich hatte er keine Wahl. So oder so, ihm drohte ein ungnädiges Ende unter Lachern und Gespött. Ob er im Kampf gegen Grorr'bak versagte oder floh, spielte dabei eigentlich keine Rolle. Im Zweifelsfall hätte er sich nicht mit Feigheit befleckt und würde schnell sterben, wenn er jetzt kämpfte und vielleicht, ja vielleicht, konnte er ja sogar doch gewinnen? Der Waaaghboss mochte riesig sein und besaß gewiss enorme Kraft, aber er war auch schwer mitgenommen, verwundet und krank, müde und schwach und nicht zuletzt durch seine Größe auch sehr träge und langsam.
Krommlonk hingegen war ein junger und flinker Krieger, der fehlende Stärke mit Geschick und Schnelligkeit wett machte. Auch er würde mit der Zeit immer weiterwachsen, solange er nur nicht im Zweikampf geschlagen wurde und irgendwann ebenso groß sein wie der Trollbeißer. Die Größe sagte doch nichts über das Kampfgeschick aus! Nein! Er konnte gewinnen! Knirschend biss er die Zähne zusammen, nahm einen festen Stand an und bereitete sich vor. Gleich... gleich würde er angreifen. Es spielte keine Rolle, was er wollte. Wenn er diesen Kampf nicht gewann, dann wäre sein Leben verwirkt. Er musste kämpfen! Und er würde kämpfen! Wie der aufziehende Sturm würde er Grorr'bak einhüllen, in einen Regen aus Schlägen und Angriffen, dass der alte Ork gar nicht mehr wusste, wo ihm der verfluchte Kopf stand. Krommlonks Herz schlug mit mächtigen Schlägen in seiner Brust, schwer ging sein Atem und gespannt wie eine Bogensehne war sein Körper. Alles in ihm schrie nach Blut! Nach Kampf! Nach Sieg! Seine Ängste und Zweifel verebbten mit dem einsetzenden Regen, wurden vom ersten Donnerschlag beiseite gewischt und mit dem gleißenden Schrei des Blitzes griff er an. Ein furchtloses Brüllen schwoll aus seinem Rachen und drang auf Grorr'bak ein wie eine geballte Faust.
Der Schauer wusch Blut und Sand von dem massigen Waaaghboss, Wind und Lichtschlag ließen ihn wie einen schwarzen Felsen wirken, gleich einem wütenden Mahnmal, auf ewig eingehauen in kantigen Stein. Geduldig und besonnen erwartete er den rasenden Angriff des heranstürmenden, jungen Schwarzorks. Schmerz, Schwäche und Qual fielen in diesem einen Augenblick von ihm ab, auch wenn ihm klar war, dass es nur die Hitze der Schlacht war, die ihn bereits umklammerte, ein Gefühl, das er seit langen Jahren nicht gespürt hatte, das er vermisst hatte. Wie tot war er an sein Lager gefesselt gewesen, kaum fähig sich zu regen, von Angst und Krankheit betäubt, doch nun, für diesen letzten Morgen fiel all' das von ihm ab. Er würde wieder kämpfen! Endlich wieder kämpfen, seinen Spalta schwingen und vor Zorn und Freude brüllen, dass es noch die Menschen am Fuße seiner Berge in Angst und Schrecken versetzte! Er würde wieder kämpfen!

Der junge Krieger war bis auf ein paar Schritt heran, drang mit wütendem Rufen auf ihn ein und Grorr'bak hob seine Axt mit kaum geahnter Geschwindigkeit, parierte einen ersten hektischen Angriff und stieß seinem Feind einen Kampfschrei in die Fratze, laut und donnernd wie der Sturm. Funken flogen durch die Luft und erhellten die Schatten, als die surrenden Klingen aufeinander trafen. Es hatte begonnen. Der Trollbeißer trat seinen letzten Kampf an.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Gefällt mir. Das letzte aufbäumen eines einst gewaltigen Krieger vor dem Tod um noch einmal das Gefühl zu spüren seine Haut zu wehren. Obwohl ich das gefühl hab das ein gewisser anderer Fluch ihn am Leben hält. 😀

Zu dem kleinen herrausforderer. Ich schätze zwar das mit ihm der Boden aufgewischt wird und seine knochen als zahnstocher enden, doch irgendwie hof ich das er noch eine Zukunft vor sich hat 😉
Kann nur sagen das ich mordsmäßig gespannt bin und mich irssinig auf die Fortsetzung freue.😎