Das Facebook-Problem
Hadmut
15.9.2015 0:33
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Warum Juristen am Internet scheitern.
Es ging heute durch die Presse, dass Justizminister Maas heute ein Gespräch mit Facebook hatte und darauf drängte, dass Facebook „Hasskommentare” löschen möge.
Das Ergebnis war anscheinend ein typischer Polit-Kompromiss: Herausgekommen ist eigentlich gar nichts, aber Facebook betreibt ein paar Pro-Forma-Gesten, um so zu tun als hätte man guten Willen, und die Politik verkauft es natürlich als Erfolg.
Dabei hat mich schon die Problemstellung als solche verwundert. Denn seit Jahren beschweren sich Prominente, Journalisten, Politiker über die berüchtigen „Shitstorms”. Erinnert Ihr Euch noch dran, dass kürzlich mal Markus Lanz geshitstormt wurde, weil er einer Frau die falsche Frage gestellt hat? Alle jammern über „shitstorms”, aber die fallen nicht unter den Verbotsversuch. Gelöscht werden sollen aber nur rassistische Kommentare, die anderen shitstorms können weiterlaufen.
Wie auch immer. Ich habe schon oft beschrieben, worin ich das bundesdeutsche Probleme sehe, nämlich darin, dass wir eine Juristenregierung haben. Nicht, dass ich grundsätzlich etwas gegen Juristen hätte, aber deren Problem ist eben, dass sie eine extrem eingeschränkte Sichtweise haben und damit niemals geeignet sind, etwas alleine oder maßgeblich zu steuern. Juristen denken rein destruktiv. Sie bauen nichts auf, sondern warten, bis irgendetwas passiert, und versuchen dann, es zu verbieten. Dabei fragen sie nicht, ob sie es überhaupt verbieten können und wem, sondern sie gehen vom gewünschten Ziel des Verbotes oder Verhinderns aus, und stellen dann einfach den ihnen am einfachsten erscheinenden Weg als richtig hin, irgendeiner muss dann halt auf Unterlassung haften, irgendeinen wird man schon drankriegen. Juristen tun zwar gerne so, als betrieben sie Rechtsfindung. Tatsächlich betreiben sie aber nur Begründungsfindung. Letztlich machen sie, was sie wollen, und haben gelernt, dazu so zu reden, als wäre es so richtig.
Vor diesem Problem stehen sie bei Internet-Themen. Sie überlegen nicht, wie sie ein rechtskonformes Internet zustandebringen, sondern prügeln halt mal nach der Devise „wir wollen es, also muss es irgendwie gehen” einfach mal drauf. Und das geht schief. Habe ich schon oft miterlebt. Und ich habe fast vier Jahre in einer großen Rechtsabteilung in einem großen Rudel Juristen gearbeitet. Und verfolge seit 20 Jahren die Rechtsprechung zu verschiedenen Themen, vor allem Internet, Vorratsdatenspeicherung und so weiter. Schon die damalige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung war eine Farce, ging völlig daneben, sie haben es nicht verstanden. Und bis heute nicht gemerkt. Neulich war ich bei einem Vortrag eines der Richter, der glaubt heute noch, dass es eine Spitzenentscheidung gewesen wäre.
Nun also hat Maas versucht, Facebook zur Filterung von Kommentaren zu bewegen. Dazu kann man etwa
Heise,
SPIEGEL oder nochmal
SPIEGEL oder auch
Tagesspiegel lesen. Oder
Tagesschau. Ist eigentlich egal, denn schon allgemein schreiben die Blätter ja heute fast immer das gleiche, aber wenn’s um’s Regierungsjubeln geht, dann erst recht. Jedenfalls berichten sie davon, dass Facebook nun eine Task Force einrichten will und die Gegenrede („counter speech”) gefördert werden soll.
Begründet wird das mit dem üblichen Spruch, den ich schon nicht mehr hören kann, dass das Internet kein rechtsfreier Raum sein dürfe.
Das hört sich nicht nur nach Stammtischparole an, das ist es auch.
Ist Euch mal aufgefallen, dass die immer nur sagen, was das Internet
nicht sein dürfe, aber nie sagen, was es sein solle?
Das liegt daran, dass sie selbst nicht wissen, was sie eigentlich wollen. Sie beschweren sich nur, aber obwohl sie selbst eigentlich die sind, die das lösen müssten, und die dafür bezahlt werden, fällt ihnen nichts ein. Facebook soll’s richten. Das ist verblüffend, denn die Bundesregierung und ihre Ministerien bezahlen ganze Kompanien von „Internet-” und „Social-Media-Beratern”, die aber offenbar alle miteinander nicht in der Lage sind, irgendwelche Ideen zu liefern. Man hat den Eindruck, dass die Bezeichnungen nur Vorwand zum Zuschanzen von Geld sind.
Warum sonst ist ein Justizminister gezwungen, bei Facebook betteln zu gehen?
Darf er das überhaupt? Ich glaube nämlich nicht. Der Staat muss alle Regelungen
im Wesentlichen selbst treffen und darf sie nicht delegieren, schon gar nicht an die Privatwirtschaft. Zudem ist es dem Staat verboten, sich seinen verfassungsrechtlichen Verpflichtungen durch Umwege durch das Privatrecht zu entziehen.
Dazu gehört beispielsweise der Rechtsweg. Wer durch die öffentliche Gewalt – und dazu gehören sowohl Gesetze, als auch solche Aktionen von Ministern – in seinen Rechten verletzt wird, dem steht der Rechtsweg offen.
Wie aber sieht der Rechtsweg aus, wenn jemand aufgrund dieser Methoden in seinen Rechten verletzt wird? Welche Zuständigkeit ist dann gegeben? Muss man dann deutsches Recht vor einem amerikanischen Gericht einklagen?
Und was hat es mit dieser ominösen counter speech auf sich? Wir haben ja schon mehrfach Social-Media-Manipulation durch PR-Agenturen und Geheimdienste betrachtet. Muss Face-Book dann Kommentarfälscher einstellen, die sich als normale Personen ausgeben?
Ist Facebook jetzt also verpflichtet, eine politisch korrekte Meinung zu haben und aktiv vorzutragen?
Welches Recht ist anzuwenden?
Aber von all diesen Problemen mal abgesehen: Welches – genauer gesagt:
wessen – Recht ist denn da überhaupt anzuwenden? Wieso gerade deutsches Recht?
Facebook ist ein amerikanisches Unternehmen. Die Server stehen in den USA. Warum sollen die sich um deutsches Recht kümmern? Und warum soll deutsches Recht wichtiger sein als das anderer Länder?
Ich habe seit ein paar Jahren eine Frage, die ich Juristen gerne stelle, und die mir noch nie ein Jurist vernünftig oder konkret beantworten konnte:
Stellt Euch vor, ich stehe als Deutscher in Singapur und fotografiere über die Grenze hinweg eine Frau aus Namibia, die in Malaysia steht. Dann fahre ich nach Deutschland und publiziere das Bild mit einem türkischen Text, indem ich es auf Server in den USA packe. Das Recht welchen Landes ist anzuwenden um zu klären, ob ich das darf oder nicht?
Zugegeben, etwas an den Haaren herbeigezogen, aber ich bringe noch ein einfacheres Beispiel aus meiner Praxis: Stellt Euch vor, ich fotografiere den höchsten Turm der Welt, den Burj Khalifa in Dubai (habe ich wirklich gemacht), und möchte das Bild hier in Deutschland verwerten. Nach deutschem Recht darf ich das, nach dem Recht von Dubai darf ich es nicht, weil es dort kein allgemeines Panorama-Recht gibt, neue Gebäude sind davon ausgenommen. Man muss eine Lizenz kaufen. Darf ich nun oder darf ich nicht? Wessen Recht ist anzuwenden?
Warum also sollte auf einen Facebook-Artikel deutsches Recht anwendbar sein? Und warum sollte es stärker sein als das Recht anderer Länder, etwa der USA? Reihenweise haben sich Journalisten, auch Nachrichtenmoderatoren, darüber aufgeregt, dass Facebook nackte Brüste löscht, Hasskommentare aber nicht. Denn die amerikanische Mentalität sieht es genau andersherum. Woher kommt die Arroganz zu glauben, dass deutsches Recht über amerikanischem Recht steht?
Man könnte vermuten, dass es an der Sprache liegt. Denn Maas hat ja gefordert, dass Facebook eine deutschsprachige Task-Force einrichtet. Die Sprache scheint also das ausschlaggebende Kriterium zu sein.
Haben wir die deutsche Sprache gepachtet, ein Monopol darauf? Warum sollte nicht etwa schweizerisches oder österreichisches Recht darauf anwendbar sein?
Und was ist, wenn solche Kommentare beispielsweise auf türkisch gepostet werden? Gilt dann türkisches Recht?
Und falls ja: Welches Land wäre dann zuständig, wenn die Kommentare auf englisch oder arabisch erscheinen?
Und was ist, wenn es gar keinen Text gibt, sondern der Inhalt durch Bilder, Zeichnungen, Piktogramme oder in Gebärdensprache dargestellt wird?
Kommt es vielleicht darauf an, wo der Urheber des Hasskommentars seinen Sitz hat? Woher kennt man den? Da müsste man zuerst die Vorratsdatenspeicherung bemühen, die Maas ja eigentlich ablehnte. Und was ist, wenn der Kommentar aus dem Ausland kam? Gilt dann deren Recht?
Oder gilt nach deutscher Lesart jedes Recht jeden Ortes, an dem man die Äußerung zur Kenntnis nehmen kann (was man ja in Deutschland als Begründung für den fliegenden Gerichtsstand hernimmt, um dann immer die extremste Rechtsprechung in Hamburg zu wählen)? Gelten dann alle Gesetze der Welt gleichzeitig? Etwa die amerikanische Verfassung, die freedom of speech sehr exzessiv gestattet? Könnten die Amerikaner sich dagegen wehren, dass ihnen der Zugriff verwehrt wird, weil man deutsches Recht anwendet?
Und selbst wenn man irgendwie – wie? – zu der Aufassung käme, dass deutsches Recht anwendbar ist – welches denn? Das ganze Gesetzeszeugs zu dem, was man nicht sagen und schreiben darf, ist völlig diffus und eigentlich mehr Richterrecht. Vorhin wies mich jemand auf einen
alten Artikel in der ZEIT hin, wonach drei Gerichtsinstanzen „Ausländer raus” als strafbare Volksverhetzung ansahen, das Bundesverfassungsgericht dies dann aber verneint hat, das sei für sich betrachtet noch keine Volksverhetzung. Die deutschen Juristen sind sich ja nicht mal selbst einig und nicht in der Lage, das greifbar zu formulieren. Und sie erwarten tatsächlich, dass ein amerikanisches Unternehmen ein paar Leute einstellt, die Deutsch sprechen, und die das dann entscheiden können?
Finde ich seltsam. Denn normalerweise weisen Juristen die Arroganz und Überheblichkeit auf, dass nur ein Volljurist Rechtsfragen auch nur verstehen, gar beantworten könnte. Und nun soll eine „Facebook-TaskForce” das entscheiden?
Das Despoten-Problem
Überhaupt ist die Ansicht komisch, dass ein Land selbst entscheiden können sollte, was in den Social Media erscheinen darf.
Warum?
Erinnert Ihr Euch noch an den „arabischen Frühling”?
Damals fanden das alle sehr gut, dass es da Facebook und Twitter gibt, und die die amerikanische weitreichende freedom of speech pflegen, und nicht etwa das agyptische oder libische Regime bestimmen kann, was da kommt. Man hielt das für Freiheits- und Menschenrechte. Nachzulesen nicht nur in der Presse, sondern ausgerecht – es ist grotesk – bei der
Bundeszentrale für politische Bildung, die die Rolle der neuen Medien preist:
Medien als Instrumente der Selbstermächtigung?
Noch dauern die Umbrüche in der Region an, und es ist daher zu früh für ein abschließendes Fazit über die Rolle der Medien. Trotzdem lassen sich einige vorläufige Schlüsse ziehen. “Als ich zum ersten Mal meine Meinung frei im Internet äußern durfte, fühlte ich mich wie ein anderer Mensch. Ein ganz neues Gefühl, etwas bewirken zu können, kam auf – vor allem als ich gemerkt habe, dass ich nicht der einzige bin, der so denkt.” Diese Aussage eines jungen Bloggers verweist auf eine der wichtigsten Schlussfolgerungen. Das Phänomen, das der junge Ägypter hier beschreibt, ist das der Selbstermächtigung. Menschen, die bisher nur passiv erlebten, wie über sie bestimmt wurde, wurden allmählich zu Akteuren, und zwar über das Bewusstsein, sich äußern zu können und nicht alleine zu sein. Damit halfen die neuen, nur schwer zu zensierenden Medien, jungen Araberinnen und Arabern, sich selbst als aktiv wahrzunehmen, als diejenigen, die Prozesse in Gang setzen und gestalten.
In der Tat können die neuen Medien eine Art dialektischen Prozess der Selbstermächtigung und Ermächtigung fördern. Menschen, die sich im virtuellen Raum zusammenfinden und ihre Ansichten teilen, werden zu einer sozialen Gruppe. Finden sie sich gemeinsam auf der Straße zu Protesten zusammen, wird dieser Prozess der Selbstermächtigung und der Identitätsbildung durch andere Faktoren wie Kollektiverlebnisse weiter verstärkt. Das Zusammenspiel verschiedener Medien und vor allem die Wechselwirkung zwischen virtuellem und realem Raum können dann zur tatsächlichen Ermächtigung und zu realem Wandel führen. Personen, die ehemals nur Konsumenten von Medien waren, werden, indem sie selbst Videos oder Handy-Filme drehen und Nachrichten verbreiten, zu Produzenten. Diese sogenannten “Prosumenten”, also Menschen, die sowohl Produzenten als auch Konsumenten sind, machen durch ihre schiere Anzahl und eine extrem schnelle Kommunikation eine völlige Kontrolle durch den Staat unmöglich. Durch die Umgehung der Kontroll- und Zensurmechanismen werden die Medien zu Instrumenten, die staatliche Gewalt und Missbrauch denunzieren. Auch hierbei ist die Symbiose klassischer und neuer Medien entscheidend.
Vergleicht mal diesen Text mit dem, was Maas gerade von Facebook verlangt. Schon gruselig, oder?
Und nun stellt Euch mal vor, die Machthaber in Ägypten, Nordkorea, China und so weiter verlangen auch eine entsprechende Filterung durch Facebook. Natürlich würde deren Filterung viel weiter gehen als hier jetzt bei uns. Aber hey, würden die sagen, ihnen geht es auch nur darum, ihre lokalen Gesetze anzuwenden. Und sie würden sich auf Maas berufen.
In diesem Artikel – übrigens eines Autors arabischen Namens – wird auch beschrieben, wie wichtig diese ungehinderte Kommunikation gerade auch in Syrien war. Und nun liefert ausgerechnet Maas, in dem Ansinnen, sich für den Schutz von Flüchtlingen einzusetzen, Schlächtern wie el-Assad den moralischen Vorwand, Medien zu filtern.
Schon wieder diese notorische Anwendung von zweierlei Maßstäben.
Bei mir hinterlässt das den Eindruck, als sei Maas mit seinem Amt hoffnungslos überfordert.