Kurzgeschichte:
Mein Siegerbeitrag (?) mit dem Motto/Titel
"Dreh dich nicht um" im
Geschichten-Wettbewerb (lest auch die anderen Geschichten, sie sind es wert)
Noch 400 Meter
Der Angriff rollte. Er konnte nicht sagen, ob das Zittern seiner Hände und das Klappern seiner Zähne durch das Vibrieren des Sturmfahrzeugs oder seiner Angst ausgelöst wurden. Er blickte sich im Truppenabteil des Gorgon-Sturmpanzers um. Vier Dutzend Gestalten, jedem die Individualität durch die identischen Gasmasken genommen, standen stumm Schulter an Schulter während sie durch das Niemandsland auf den Feind zurollten. Er wollte nicht hier sein. Er wollte einfach nur weg. Aber wo sollte er auch hin? Dicht gedrängt konnte er sich nicht umdrehen und einfach wegspazieren.
Noch 200 Meter
Ein lautes Pfeifen übertönte das Brummen des Panzers, gefolgt von einer Explosion und dem Kreischen gequälten Metalls. Das Fahrzeug machte einen Satz und die Insassen wären übereinander gestürzt, wenn sie sich nicht gegenseitig Halt gegeben hätten. „Wir wurden lahmgelegt. Auf Ausstieg vorbereiten“, erklang nach einem Glockengeräusch die verzerrte Stimme des Zugführers im Vox. Die große Frontluke senkte sich bereits herab und mit dem Signal einer Pfeife stürmten die Soldaten aus dem Fahrzeug. Er wurde von seinen Kameraden einfach mitgezogen wie in einem Strom aus Leibern. Draußen brannte der Himmel blutrot und ein trüber Nebel waberte über das zerschossene Niemandsland. Um ihn herum stoben Fontänen aus Dreck und Schlamm in die Luft, als Granaten und Minen explodierten. Er blieb nach wenigen Schritten stehen und sah durch die trüben Linsen seiner Gasmaske, wie tausende Soldaten nach vorne in den Tod rannten. Er wollte das nicht. Er wollte hier weg. Im Begriff sich umzudrehen, spürte er plötzlich eine kräftige Hand auf seiner Schulter und den scharfen Druck eines Waffenlaufs in seinen Rippen. „Bewegung, Soldat. Der Imperator kennt keine Gnade für Feiglinge“, sprach der Batallionskommissar und übertönte mit seiner Stimme sogar das Rattern und Knallen der Maschinengewehre und Mörsergranaten. Er wollte nicht sterben. Zögernd machte er einen Schritt, die Waffe des Kommissars löste sich ebenso langsam wie seine Stiefel aus dem klebrigen Morast. Noch einen Schritt, und noch einer. Er wagte nicht, sich noch einmal zum Kommissar umzudrehen und er trabte los.
Noch 100 Meter
Kleinkalibrige Geschosse schlugen um ihn herum ein. Er wich zerschossenen Stacheldrahtverhauen und Kratern aus, die die unablässigen Salven der Artillerie in die Erde rissen, während er das Geschrei der Verwundeten, das Zischen von Laserfeuer und das dumpfe Grollen der Minenwerfer ausblendete. Nur so konnte er hoffen, hier nicht sein Ende zu finden. Und vor allem nicht den Verstand zu verlieren. Ausweichen. Rennen. Ausweichen. Rennen. Darin bestand seine Welt. Immer vorwärts, die feindlichen Gräben waren bereits in Sichtweite. Plötzlich gab der Boden nach. Er war zu dicht an einem Krater, dessen Rand nun nachgab und den Soldaten mit sich zog. Er rutschte aus und landete mit dem Gesicht voran in einer Pfütze. Kaltes, schlammiges Wassers durchdrang seinen Trenchcoat, sickerte ihm unter die Gasmaske und verklebte seine Gläser. Der faulige Geschmack von Blut füllte seinen Mund und würgend riss er sich die Maske vom Gesicht. Auf allen Vieren kniend wanderte sein Blick über den Grund des Kraters. Neben seiner Maske schwamm eine zweite im braunen Wasser. Nein, sie schwamm nicht. Sie saß noch auf einem Gesicht, das ihn direkt anzustarren schien. Der Rest des Körpers war um ihn herum im Krater verteilt, der Armaplast-Helm fehlte gänzlich und gab stattdessen den Blick auf eine abgesprengte Schädeldecke preis. Bittere Galle hing ihm in Fäden vom Mund, der in einem stummen Schrei offenstand. Die Geräusche des Krieges wichen einem körperlosen Rauschen, sein Sichtfeld engte sich ein während er weiterhin die Maske anstarrte. Er wollte sich abwenden, sich umdrehen, aber er konnte nicht. Die Maske starrte weiter zurück. Er spürte es fast nicht als Hände ihn packten und aus dem Krater zogen. Erst ein kräftiger Hieb in den Kiefer riss ihn zurück in die Realität, die ihn sofort mit lautem Kanonenfeuer und dem Gestank nach abgebranntem Kordit umspülte. Er war umringt von Kameraden, deren Regimentsabzeichen sie als Veteranen kennzeichnete. Einer von ihnen rieb sich die Faust und packte den Soldaten an den Schultern. „Reiß dich zusammen, Mann. Wir sind fast am Ziel! Bleib in Bewegung und du wirst am Leben bleiben!“ Er nahm eine Hand des Soldaten und führte sie auf seine Brust, auf der ein Medaillon auf dem ein goldener Adler prangte. „Der Imperator beschützt.“ Mit diesen Worten drückte der Veteran dem Soldaten ein Gewehr in die Hand, drehte sich um und rannte mit seinen Kameraden wieder auf die feindlichen Linien zu. „Der Imperator beschützt…“ wiederholte der Soldat leise. „Der Imperator kennt keine Gnade für Feiglinge. Aber der Imperator beschützt!“ Rechtschaffender Mut durchfloss ihn plötzlich. Das Zittern in seinen Händen ließ nach. Er fühlte sich wie in goldenem Licht gebadet. „DER IMPERATOR BESCHÜTZT!“, rief er laut auf, hob seine Waffe und rannte mit neuer Energie den Veteranen hinterher.
Noch 50 Meter
Der Soldat hatte sie fast eingeholt. Die Veteranen waren hinter einer Gruppe geschwärzter Baumstümpfe in Deckung gegangen. Der Veteran mit dem Medaillon drehte sich zu ihm um, nickte und winkte den Soldaten zu sich. Ein Jaulen erfüllte die Luft und die Gruppe Baumstümpfe mit den Veteranen verschwanden in einer Fontäne aus Rauch und Dreck. Der Soldat wurde von der Druckwelle erfasst und wie von der Faust eines Riesen beiseite gewischt. Er rappelte sich auf. Bis auf ein Klingeln in den Ohren war er unverletzt geblieben. Aber dort, wo eben noch die Baumstümpfe waren, klaffte nur ein weiterer Krater. Von den Veteranen keine Spur. Nein, nicht ganz. Der Soldat bemerkte ein Glitzern neben seiner Hand. Es war das Medaillon des Veteranen. Er nahm es in die Hand und betrachtete es. Es war abgegriffen und die Inschriften waren unleserlich. Er wiederholte die Worte, die sich wie ein Mantra in seine Seele gebohrt hatten. „Der Imperator kennt keine Gnade für Feiglinge. Aber der Imperator beschützt. Der Imperator kennt keine Gnade für Feiglinge. Aber der Imperator beschützt.“ Er legte das Medaillon an, stand auf und blickte in Richtung Feind.
Noch 40 Meter
Der Imperator kennt keine Gnade für Feiglinge. Aber der Imperator beschützt. Diese Worte gaben ihm Mut.
Noch 30 Meter
Der Imperator kennt keine Gnade für Feiglinge. Aber der Imperator beschützt. Er konnte bereits die Gräben sehen. Er hatte sich gefürchtet, aber jetzt nicht mehr. Der Imperator war bei ihm.
Noch 20 Meter
Er stolperte. Sein Fuß hatte sich in einem Stück Stacheldraht verfangen. Das würde ihn nicht aufhalten. Er befreite sich und lief weiter. Schüsse schlugen um ihn herum ein. Das würde ihn nicht aufhalten. Er würde nicht umdrehen.
Noch 10 Meter
Ein Schemen im Graben kam in Sicht. Ohne innezuhalten schoss der Soldat aus der Hüfte und die Laserstrahlen bohrten sich in sein Ziel und fällten es.
Noch 5 Meter
Nur noch ein kleines Stück. Nur noch wenige Schritte und er erreichte die feindlichen Gräben. Er würde sein Ziel erreichen. Doch das goldene Licht schwand und mit ihm seine Kraft. Er stolperte ein paar zaghafte Schritte und blickte verwundert an sich hinab. Dort wo vor wenigen Sekundenbruchteilen noch das Medaillon hing, klaffte nun ein blutrotes Loch. Er sackte zusammen und fiel mit dem Gesicht voran in den Schlamm. Mit letzter Kraft hob er den Kopf und streckte den Arm aus. Seine Hand griff ins Leere, sie hing in den Graben hinein. Er lächelte, während sein ganzer Körper taub wurde. Er hatte Angst gehabt. Er wäre fast gescheitert.
Er hatte sich nicht umgedreht.