Moin,
ich bin bei Post #74 ausgestiegen, dennoch gibt es jetzt meinen Senf dazu. Sollte manches schon erwähnt sein, überlest es einfach oder was ihr sonst mit Doppelposts so macht.
Zuvor sei erwähnt, daß ich vom Fach bin (Theater/Film). Sollte manches sich anhören, wie von Oben herab doziertes Klugscheissen, dann ist es nicht so gemeint, es wirkt einfach oft so, wenn jemand konkret benennen kann, was er meint, so wie manch eine Regelinfo hier auf mich so wirkt, wenn ich die Regel falsch verstanden hatte.
Ich habe die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen, aber:
1. Offensichtlich haben viele Leute eine synchronisierte Fassung des Films gesehen. Leute, fahrt in die nächstgrössere Stadt, seht das Original, kommt zurück, setzt Euch an den Rechner und diskutiert.
Ein wesentlicher Bestandteil des Films ist die Dreisprachigkeit. Es ist kein Zufall, wenn ein Regisseur wie Quentin Tarantino (zu ihm später mehr) eine Geschichte erzählt, die von amerikanischen Soldaten handelt, die im von deutschen (reichsdeutschen, um genau zu sein) Truppen besetzten Frankreich spielt und originalsprachliche Dialoge nutzt, statt, wie in Hollywood üblicherweise praktiziert, amerikanische Dialoge auch für "fremdsprachliche" Figuren zu verwenden.
Die Dreisprachigkeit ist eine ästhetische Entscheidung und keine vom Plot aufgezwungene Notwendigkeit. Ich selbst spreche kein Französisch, muss und kann in diesem Fall aber mit Untertiteln leben. Wer dies nicht tut, verpasst einen Großteil des Films und er nimmt sich einen Teil der Möglichkeit, ernsthaft über die Ästhetik des Films urteilen zu können.
2. Quentin Tarantino ist erstens ein Regisseur, von dem jeder, der ein wenig Ahnung von jüngerer Filmgeschichte hat, wissen sollte, daß sich in seinem Kopf ein Gehirn aus der Kategorie "Das etwas andere Gehirn" befindet. Seine Filme laufen im Cinemaxx, weil sie auch für Leute interessant sein können, die nur eine Geschichte erzählt bekommen wollen. Das führt zu Zweitens: In erster Linie ist er einer derjenigen, die man nicht wegen ihrer Berufsbezeichnung, sondern ihrer tatsächlichen Arbeit als "Künstler" bezeichnet. Quentin Tarantino nutzt die Mittel des Films als Selbstzweck.
Wenn Picasso eine Frau malt, malt er keine Frau, sondern malt eine Frau. Ich hoffe, der Unterschied wird deutlich. Daß Tarantinos Filme auch "Mainstreamern" gefallen, ist sein großes Glück, da die Produktionsfirmen somit eine Menge Kohle in seine Arbeit stecken, ohne die er diese Arbeit nicht in dieser Qualität durchführen könnte. Und auch wenn mir nicht jeder seiner Filme gefällt, muss ich als jemand vom Fach anerkennen, daß sie ohne Ausnahme (Death Proof könnte eine sein, ich habe ihn nicht gesehen, daher kann ich ihn nicht beurteilen.) von hervorragender Qualität sind. Schlicht und ergreifend sauber gearbeitet.
3. In diesem Film geht es nicht um den zweiten Weltkrieg. Dieser wurde als Rahmenhandlung gewählt, da er als eines der "schlimmsten" Kapitel der Menschheitsgeschichte vieles erlaubt, was unter anderen Umständen nicht möglich wäre. Es wurde mehrfach das Beispiel des deutschen Soldaten aus Saving Private Ryan genannt, der nach seiner Freilassung erneut gegen die Amerikaner kämpft. Dies hat nicht immer (wenn auch sicher durchaus oft) mit der Behauptung die Deutschen seien "böse" zu tun. (Beachtet, daß wahrscheinlich auch unter den meisten Amerikanern angekommen sein dürfte Deutscher =/= Nazi, auch die Briten haben einen Heidenspass daran, Deutsche als Nazis zu bezeichnen, auch diejenigen, denen obiger Sachverhalt bewusst ist.) Ein Soldat der Wehrmacht, der in Gefangenschaft geriet und dieser wie auch immer entkommen ist, hatte die Wahl zwischen 1. erneut kämpfen und 2. falls er nicht erneut kämpft und gefunden wird, vom nächsthöheren Offizier wegen Desertion standrechtlich erschossen zu werden (Wers noch nicht gemerkt hat, weiß jetzt, woher die Sonderregel imperialer Komissare kommt).Dies weiß ich aufgrund familiärer Geschichtsrecherche. Da war 1. sicherlich oft die erste Wahl, denn in einem Gefecht hast Du hundert Freunde dabei, die es auch treffen kann, im Falle einer Exekution trifft es Dich.
4. Daß diese Epoche der Geschichte als Rahmenhandlung gewählt wurde ist dramaturgisch sinnvoll, da in dieser Zeit tatsächlich eine unheimliche Brutalisierung der Menschheit, auch der Zivilbevölkerung, stattfand, was mit den Mechanismen der damals "neuen" Art der Kriegsführung zusammenhing, ebenso wie mit der noch nicht existenten "Unabhängigkeit" und grenzenlosen Verfügbarkeit der Informationsmedien, insbesondere, was die Medien im dritten Reich angeht. Zudem liegt der zweite Weltkrieg noch nicht so lang zurück wie der erste oder gar der dreißigjährige, in denen, wie in jedem beliebigen anderen Kriegsszenario auch, die Handlung ebenso hätte situiert sein können, was dazu führt, daß man ein intensiveres "Gefühl" für die Handlung bekommen kann.
5. Wer behauptet, er brauche in Filmen, die vor einem historischen Hintrgrund spielen, einen unbedingten Anspruch auf "historische Korrektheit", sollte schleunigst Last Samurai von der Liste der von ihm präferierten Filme streichen und sich etwas näher mit der Geschichte der Öffnung des feudalen Japans gegenüber dem Rest der Welt befassen. Grüße an Xalgun.
6. Schauspieler. Ja, da sind wir an einem interessanten Punkt. Schauspielern, insbesondere "Stars" wird hier oft zu viel Selbständigkeit unterstellt. Ein SChauspieler spielt eine Figur gut oder schlecht, aber er spielt sie so, wie der Regisseur sie gerne hätte. Selbstverständlich findet eine Diskussion und ein "Finden" der Figur zwischen Regisseur und Schauspieler statt. Aber Brad Pitt spielt einen stupiden Südstaatentrottel, weil die Figur im Drehbuch so angelegt ist. Ob er ihn gut oder schlecht spielt, sei dahingestellt, aber den Trottel als solchen kann man ihm nicht vorwerfen. Ebenso wie die Hitlerparodie nicht die Schuld des Kollegen Wuttke ist.
Eine kurze Kritik meinerseits: Christoph Waltz hervorragend; bei Til Schweiger bin ich froh, daß man ihn kaum sieht und hört; Daniel Brühl gut wie immer, nicht großartig, aber eben auch nicht schlecht; Brad Pitt danke ich, daß er sich weiter im Komödienfach versucht, hier kann im Übrigen niemand ansatzweise die Leistung beurteilen, der eine synchronisierte Fassung gesehen hat; Mélanie Laurent könnte nicht besser sein; Diane Kruger selbst für diese Figur zu steif.
7. Wer trotz "Once Upon A Time ...in Nazi-Occupied France (...in the West)", der Wahl der Musik und diverser perspektivischer, dialogischer und sonstiger filmischer Anspielungen, nicht merkt, daß es in diesem Film um den Italo-Western, und um nichts anderes, geht, wie schon Kill Bill nichts anderes war als eine Hommage an den Genrefilm überhaupt, der sollte aufhören hier zu diskutieren und lieber nachsehen ob in seinem Multiplex-Kino nicht eventuell gerade "Nachts im Museum 7" anläuft.
Ich hatte noch drei Punkte, aber jetzt reicht es jawohl. Leute, diskutiert über Regeln, davon versteht ihr was, von Ausnahmen abgesehen, redet ihr hier am Thema vorbei.
Just my 2 cents.
Ach ja, wer jetzt Lust hat, mich zu flamen: tut Euch keinen Zwang an, in dieser Branche bekommt man ein dickes Fell.
Zuletzt: In the end, it is nothing more than entertainment...