2.Return of the Warlord
Merkwürdig. Dies dachte er. Merkwürdig, dass er denken konnte, denn seinen eigenen Tod hatte er noch gut vor Augen. Die riesige Chaosbestie, die wie aus dem Nichts auftauchte, dann ein dumpfer Schlag, dieser seltsame Blick im Gesicht des Epistolarius Brutus. Danach nichts mehr.
Erinnerungen überfluteten ihn, Bilder vergangener Schlachten und ehemaliger Brüder. Immer neue Szenen schlugen auf ihn ein. Es ging alles so unmenschlich schnell. Ein Alien mit zerschossenem Leib, dann ein Bild seines Ausbilders Sergeant Aunar, ein explodierender Rhino, ein Schlachtkreuzer der Imperatorklasse, ein Exarch von Biel Tan, sein ehemaliger Truppkamerad Andrelin, der später selbst zum Captain wurde, das Gesicht Waquegas. Waquega, der Erzfeind ihres Ordens. Genannt „Der Flüsterer“. Ihr Orden hatte diesen Chaosbastard von der Black Legion schon bekämpft, als Meister Tiberius noch ein junger Bruder war und seinen ersten Ork erlegte. Tiberius. Die hässliche, vernarbte Fratze des Chaos- Kriegsherrn mit der krummen Nase wich den schönen und reinen Zügen von Tiberius. Tiberius Augustus, Ordensmeister und Gründer ihres jungen Ordens. Er hielt sich an dieser Erinnerung fest, so lange es ging. Dann wurde auch dieses Bild ihm entrissen und es folgte Stille.
Er konnte nichts riechen, auch nichts fühlen. Er fühlte keinen Körper, so als schwebe sein Geist frei in der Luft. Er sah nichts, schmeckte nichts. Doch er hörte. Er hörte ein Rauschen, oder glaubte zumindest eines zu hören. Es erinnerte ihn an das Geräusch von gestörtem Kom. Oder wenn das Funkgerät eines Panzer nicht justiert war.
Er wusste nicht weiter, also versuchte er zu sprechen.
„Ich bin Bruder Captain...“
Er hielt inne, obwohl er noch mehr zu sagen gewollt hatte. Seine Stimme dröhnte und war unglaublich tief. Noch tiefer als durch die Terminatorrüstung, stellte er fest. Durch seine Terminatorrüstung war seine sowieso tiefe, dröhnende Stimme stets zu einem Orkan angewachsen, praktisch, wenn man Befehle über die Hölle des Schlachtfeldes brüllen musste.
War er gar nicht tot? Lag er mit seiner Rüstung nur verwundet auf dem Schlachtfeldern Samaras? Doch woher dieses Wüten in seiner Stimme, und warum konnte er sich nicht bewegen. Und warum kam ihm sein Leben so fern, schon so lange vorüber vor? Er fühlte sich, als habe er Jahre geschlafen.
Und dann setzte das Rauschen plötzlich aus. Er hörte stattdessen auf einmal ein tiefes Surren. Und eine emotionslose Stimme, einen Servitor, erkannte er.
„Voxregulatoren eingestellt, keine weitere Justierung erforderlich.“
„Er kann dich jetzt hören.“
Die letzte Stimme kam ihm bekannt vor. Doch sie klang tiefer als früher. War es wirklich…
„Ich weiß, wer du bist. Bruder Captain Aurelius Augustus, einst Meister der ersten Kompanie.“
„Ich höre dich und ich glaube dich zu erkennen.“, antwortete Aurelius, auch wenn er weiterhin nichts sehen konnte.
„Moment, ich bin gleich mit den visuellen Rezeptoren fertig. Noch eine Verkabelung und ein Gebet.“ Jetzt erkannte Aurelius die veränderte Stimme. Andrelin, oberster Techmarine ihres Ordens.
„Kannst du das Gebet nicht irgendwann nachholen?“, fragte derjenige, der seinen Namen genannt hatte. Meister Tiberius.
„Du kennst doch die Maschinengeister. Und wenn du sie nicht kennst, kannst du dich freuen. Die sind länger beleidigt als eine Frau Lebensjahre hat. Und jetzt halt den Mund und lass mich die Verse rezitieren.“
Ja, das war Andrelin. Niemand sonst würde so mit dem Ordensmeister reden. Ein leises Flüstern in einer unverständlichen Sprache setzte ein. Andrelin, dann zwei weitere Stimme, eine hellere und eine dunklere. Die hellere kannte er ebenfalls, Techmarine Vargas.
Schließlich hörte das Gebet irgendwann auf. Für ihn hatte es eine Ewigkeit gedauert. Und dann war es da, sein Augenlicht.
Vor ihm stand er, Ordensmeister Tiberius. Der erst etwas über einhundert Jahre alte Ordensmeister sah ihn an, in seinem Blick das Vertrauen erweckende, das so viele an ihm bewunderten. Sein Gesicht war immer noch von langen, hellbraunen Haaren eingerahmt. Die schwarzgoldene Rüstung des Ordensmeisters trug Tiberius nicht. Er trug eine schwarze Robe mit goldenen Besätzen und dem Ordenssymbol, einem Löwen in Flammen, auf der Brust. Er wirkte irgendwie klein. Kleiner als sonst. Sie waren schon immer zu klein gewesen, erinnerte sich Aurelius belustigt. Gensaatschwäche, so sagten die Apothecarii. Wobei er sich selbst nie schwächer fühlte, als ein Space Marine eigentlich sein sollte.
Nur den Stab, den Tiberius trug, kannte er nicht. Ein Psistab, fragte er sich. Auf dem langen, goldenen Stab saß ein Wolf. Tiberius dachte also immer noch an die Brothers of Metal, den Orden, aus dem die Masters of War hervorgegangen waren.
Neben Tiberius trat nun auch Andrelin. Dieser trug den vollen Servoharnisch mit vier Servoarmen, an jedem ein Gerät, das unnatürlicher als das andere wirkte. Außerdem trug er einen rostroten Umhang. Seine langen, pechschwarzen Haare hatte er zu einem Zopf gebunden. Neben Andrelin stand der kleine, alte Vargas. Er war vierhundert Jahre alt, hatte es aber nie zum Meister- Techmarine geschafft. Seit bestehen der Masters of War wurde er von einem hundertsiebzehn Jahre altem Emporkömmling, also Andrelin, kommandiert. Doch Vargas hatte Andrelin sofort anerkannt und nie gegen ihn aufbegehrt. Der Emporkömmling hatte schließlich alle seine Meister schnell übertroffen.
Und dann stellte Aurelius fest, was mit ihm geschehen war. Plötzlich schien ihm alles klar, warum ihm die Erinnerungen so fern vorkamen, warum die Techmarines anwesend waren, nicht die Apothecarii. Er erblickte seinen Arm, groß und gefährlich, mit eingebautem Flammenwerfer.
„Gefallen bin ich und wieder auferstanden. Du lässt mich also noch nicht ziehen, Ordensmeister?“, sagte Aurelius langsam.
„Dein Tod war sinnlos. Weder heroisch noch schlachtentscheident. Ich möchte dir die Möglichkeit bieten, als Space Marine zu sterben.“, antwortete Tiberius.
„Ich bin schon tot. Ich bin eine Leiche. Nun, zum Glück war ich nie wie ihr alle. Wie der Stab des neuen Ordens.“
„Sagt der einzige Veteranensergeant, der die Vernichtung der Brothers of Metal überlebte? Oder sagt dies der Captain, ehemalige Captain, der ersten Kompanie der Masters of War?“
„Wahrscheinlich beide.“, antwortete der Cybot. „Ich werde weder Trunk, noch Prunk vermissen, da ich mir sowieso niemals etwas daraus machte.“
„Ja! Du warst der langweiligste Langweiler, den der Orden je hatte.“
„Klappe Andrelin. Müsst du nicht noch irgendetwas reparieren?“, wies ihn Tiberius zurück.
„Oh ja, mein Herr und Meister. Da fällt mir doch wirklich ein, dass ich den Toaster im Land Raider Zerberus reparieren muss. Du weist doch, wenn die Panzerbesatzungen nicht ihren morgendlichen Toast kriegen, fahren sie immer irgendwo gegen.“
Damit verabschiedete sich der Captain der ersten Kompanie und verließ, gefolgt von Vargas, mit wehendem Umhang die Kammer. Der Luftzug, der beim Öffnen der Tür entstand, ließ das Feuer in der Mitte der Kammer flackern.
„Ist dies unsere neue Ordensfestung? Hm, unsere Raumstation war prunkvoller.“, sagte Aurelius, nachdem alle außer Tiberius fort waren.
„Wir sind nicht in der Ordensfestung. Unsere Ordensfestung steht auf Samara.“
Aurelius hätte eine Augenbraue angehoben, hätte er noch eine besessen.
„Wir sind mitten im Einsatz. Ungewöhnlich, für die Inbetriebnahme eines Cybots, besonders für die Inbetriebnahme des mächtigsten Cybots, den wir je hatten, aber notwendig.“
„Tiberius. Hast du Waquega auf Samara zur Strecke gebracht?“
„Nein.“, antwortete der Ordensmeister nach einem kurzen Moment.
„Meine Schwester sucht nach ihm. Bis sie ihn gefunden hat, kämpfen wir einfach gegen den nächsten Feind, der seinen Fuß, oder was auch immer es zur Fortbewegung einsetzt, auf Imperialen Boden setzt.“
Wieder konnte Aurelius seine Regung, einen Seufzer, nicht umsetzen. Doch Tiberius verstand ihn wahrscheinlich sowieso. Vor einem so mächtigen Scriptor konnte man nicht viel verbergen.
„Wo ist der Feind?“, dröhnte der Cybot.
„Das ist der Aurelius, den ich kenne.“
Aurelius schleuderte den nächsten Ork beiseite. Der Schlag seiner Cybotnahkampfwaffe beförderte das grüne Alien durch die nächste Mauer und wahrscheinlich bis ins Treppenhaus des hohen Gebäudes zu seiner Linken. Nach einigen, anfänglichen Schwierigkeiten konnte er nun mit seinen Cybotwaffen umgehen, wie kein zweiter. Ehrlich gesagt, war es kaum anders als mit einer Terminatorrüstung.
Sein schwerer Flammenwerfer brannte eine Schneise in einen anstürmenden Orkmob. Zu schade, dass er den angenehmen Geruch von gebratenen Pilzen nicht riechen konnte, dachte er. Sein Multimelter im anderen Arm vernichtete derweil einen Schrotthaufen von Leman Russ, den die Orks erbeutet hatten.
Tiberius hatte ihn geweckt, ging es ihm durch den Kopf. Oder Gehirn, oder was noch übrig war. Cybots der Masters of War schliefen nicht zwischen den Kämpfen, also konnte er sich schon mal neue Trainingsmethoden suchen. Das Kommando über die erste Kompanie blieb bei Andrelin, doch erhielt Aurelius nicht nur seinen Rang als Meister, es gäbe auch keinen Grund, warum er ihn nicht hätte behalten können, sondern bekam auch eine Beförderung. Er löste Bruder Leutnant Salius als Sturmführer der ersten Kompanie ab, welcher den Posten selbstverständlich ohne Beschwerden abgab. Ein Space Marine beschwerte sich eben nicht, dachte er.
Nebenbei hatte er einen weiteren Orkmob gebraten und den Terminatoren und den Cybots hinter sich den Befehl gegeben, auf der Straße weiter vorzurücken.
„Gefallen dir deine neuen Freunde, oder soll ich etwas umtauschen?“
Andrelin stand plötzlich neben ihm, in vollem Servoharnisch. Einer der Servoarme hielt einen angenagten, verkohlten Orkarm, der Meister der ersten Kompanie genehmigte sich eine Feldration.
„Es ist alles in bester Ordnung, Bruder.“
„Wie langweilig. Nun gut, wir sehen uns heute Abend zur Wartung, bis dahin sollten wir den Pilzbefall in dieser Stadt größtenteils beseitigt haben.“
Aurelius neigte den Cybotkörper und stapfte dann in eine Seitenstraße. Andrelin blickte ihm nach, bis er um die Ecke verschwunden war.
„Er hat sich überhaupt nicht verändert“
Hast du etwas Anderes erwartet?, sendete Tiberius psionisch.
„Nicht wirklich. Hoffnung ist der Anfang vom Ende.“
Seit wann so wortgewandt?
„Es sind die Pilze. Eindeutig die Pilze.“