Als der Alte wieder bei den Gräben war, wurde er sofort von den Applaudierenden Männern der dritten Kompanie begleitet. Er hatte während des Gespräches die ganze Zeit sein Helmkomm an gehabt, damit alle Männer des Abschnittes zuhören konnten. Diese kleine Aktion würde die Moral auf jeden Fall eine ganze Weile aufrecht erhalten.
Er konnte die Gestalt von Hauptmann von Steinberg erkennen, der sich durch die jubelnden Männer vorkämpfte. „Ich glaube, jetzt haben sie die Typen richtig wütend gemacht.“ Hinter seiner Gasmaske schmunzelte Rossmann: „Dass will ich hoffen, wütend machen sie vielleicht mehr Fehler.“
Seit Jahrtausenden ist der Ablauf einer klassischen Belagerung in der Tactica Imperialis festgelegt und wird von Imperialen Belagerungsregimentern wie denen von Krieg oder Carax über die gesamte Galaxie verstreut tagtäglich praktiziert.
Alles beginnt mit einem gewaltigen Artillerietrommelfeuer, welches die vorrückenden Pioniere decken soll. Diese Einheiten haben dann die Aufgabe, die erste Grabenlinie direkt vor der Nase des Feindes zu errichten. Truppweise gehen sie vor und graben sich zuerst einzeln in Löchern ein, welche dann im Laufe von einem Tag, zu einem ersten, provisorischen Graben verbunden werden, indem die Soldaten sich auf einander zu graben. Während all der Zeit feuert die Artillerie weiter, um die noch sehr verwundbaren Stellungen zu Schützen.
Hinter der Linie Rücken dann weitere Infanterieeinheiten an, die damit beginnen, die zweite und dritte Grabenlinie zu errichten und vorgeschobene Artilleriestellungen für Frontmörser und ähnliches zu bauen.
Wenn die Befehlshaber dann denken, dass die erste Linie stark genug ist, verstummt das Trommelfeuer und die zweite Phase der Belagerung beginnt, der Abnutzungskrieg.
Große Mengen an Mensch und Material werden in den Gräben massiert, um dann wiederum nach einem vorbereitenden Trommelfeuer einen gewaltigen Sturmangriff loszubrechen, mit dem Ziel die feindliche Grabenlinie zumindest teilweise zu erobern. Schlägt dieser Versuch fehl, gibt es in der Regel einen feindlichen Folgeangriff, der dann wiederum abgewehrt werden muss. Danach fängt wieder alles von vorne an.
Solche Belagerungen können Dekaden dauern und unzähligen Millionen Menschen das Leben Kosten. Bei der Belagerung von Vraks durch das 88th Belagerungsregiment von Krieg als Beispiel, gab es Tage, an denen es ohne Besondere Kampfhandlungen zwanzigtausend Verluste auf Imperialer Seite gab. Das Vorgehen der Kultisten auf Sabbit I hatte nichts mit all dem zu tun.
Etwa vier Stunden nach dem Vorfall bei Posten Fünf Strich drei, es war gegen Mittag am dritten Tag der Kämpfe, läuteten die Glocken der großen Kathedrale des Hirtenberges zu ihrem ersten Generalalarm. Sofort brach ein großer Tumult in den Gräben aus. Überall pfiffen Zugführer ihre Trupps in die Gräben und brüllten Feldwebel ihre Männer an, dass sie doch gefälligst schneller machen sollen. Ein blauer Schimmer begann die Linien zu umschließen, da die Schildgeneratoren auf volle Leistung hoch gefahren wurden.
Feldwebel Kolbs Trupp war als erste Einheit der vierzehnten Kompanie vollständig in ihrer Stellung im Südsektor, da sie zu diesem Zeitpunkt Wachdienst hatten. Sie bemannten ein offenes Schützennest mit zwei Maschinenkanonen, sowie einen kleinen Teil der Gräben drum herum. Kolb stand in der Mitte des Schützennestes und beobachtete seine Männer bei den letzten Kampfvorbereitungen. Um ihn herum konnte man das beruhigende Klacken von Energiezellen hören, die vorsichtshalber noch einmal in die Gewehre gerammt wurden und auch das metallische Ratschen von Ladebügeln schwerer Maschinenkanonen war zu vernehmen. Aquila selbst hatte den Ladestand seiner Laserpistole bestimmt sechs Mal geprüft und das Gebet der Erhaltung an sein Kettenschwert gerichtet. Sollte der Feind tatsächlich bis zu den Gräben kommen, dann würden diese Waffen noch unbezahlbar werden.
„Irgendwas zu sehen Grever?“, Kolb wandte sich an seinen Funker, der mit dem Grabenperiskop die Feuerlinie im Auge hielt. Der Mann schüttelte den Kopf: „Ick hef nix aufm Schirm Chef.“ Kolb fluchte leise. Das nächste Auspex war sieben Trupps weiter rechts beim Leutnant des vierten Zuges und er hätte jetzt zu gerne ein paar Scannerdaten, aber wegen derlei Lappalien durfte der Funk nicht belastet werden.
„Bereithalten Männer, es muss jeden Moment los gehen.“ Heinrich, der Granatwerferschütze meldete sich plötzlich zu Wort: „Chef, wenn die Kerle schon so nah sein sollen, wo bleibt dann die feindliche Artillerie?“ Kolb drehte sich so schnell zu seinem Waffenspezialisten um, dass ihm der Hals weh tat. Wieder fluchte er, diesmal aber deutlich lauter und obszöner. Die Rheinländer hatten schon dermaßen viele Belagerungen miterlebt, dass ein vorbereitender Feuerschlag eigentlich zur Selbstverständlichkeit wurde. Das Einsatzsignal hatte sie aber gleich an die Front beordert, da der feindliche Angriff nach Scannerangaben kurz bevorstand. „Scheiße Heinrich, sie haben recht! Die werden doch wohl nicht Anfangen, während ihre eigenen Leute nur einen knappen Kilometer vor der Linie stehen.“
Alle umklammerten ihre Waffen fester, da sie nun die Situation erkannten. Die Schilde über ihren Köpfen waren nie dafür gedacht, starkes Artilleriefeuer ab zu halten. Es wäre zwar kein Todesurteil, in den Gräben zu stehen, während die Artillerie schoss, aber in den Mannschaftsunterkünften war es jedoch deutlich sicherer. Grever, der die ganze Zeit über weiter stur durch das Periskop gespäht hatte, stand plötzlich auf und griff sich sein Lasergewehr. Mit der freien Hand zeigte er auf den Waldrand: „Chef, ick glob die ham gar kene Ari.“
Hunderte, wenn nicht sogar tausende Kultisten rannten schreiend und mit schwingenden Waffen aus dem dichten grün der Bäume ohne Rücksicht auf die Todeszone. Grever traute seinen Augen nicht. Er war auch schon lange beim Militär, aber nicht einmal im Kampf gegen die Orks hatte er einen dermaßen Rücksichtslosen Angriff erlebt. Ohne Unterstützung von Panzern oder Artillerie stürmten die Kultisten blindlings über die Todeszone auf eine vollkommen intakte und voll bemannt Verteidigungslinie zu. Es war reiner Selbstmord, bei der Menge sogar eher ein gemeinschaftlicher Genozid.
Grever halfterte seine Laserpistole, er war sich ziemlich sicher, dass er sie nicht brauchen würde: „OK Männer, wie auf dem Schießstand. Lasst euch ruhig Zeit beim Zielen, weiter als bis zu den Drahtsperren kommen die armen Schweine so wie so nicht.“ Hinter dem ersten Graben begannen mittlerweile die Mörser der zweiten Unterstützungskompanie mit ihrem gleichmäßigen ‚Wumpf’ und schickten in schneller Folge Brand und Splittergranaten auf die vorher fein säuberlich abgemessenen Feuersektoren und die ersten Maschinenkanonen schickten ihre überschweren Schnellfeuergeschosse auf die Reise, auch wenn noch sehr wenige von ihnen schon mit dem Knattern angefangen hatten. Die spitze der Feindlichen Einheiten waren bereits zweihundert Meter in die neunhundert Meter Tiefe Todeszone gelaufen, aber der Strom an Kultisten war nicht einmal weniger geworden. Immer noch strömten etliche, grün gewandete Männer und Mutanten aus dem Wald um geifernd auf die Imperialen Linien ein zu stürmen.
Während die ersten Mörsergranaten zwischen den dicht gedrängten Reihen explodierten wurde in den Bunkern der Abschnittskommandanten diskutiert, wie stark der Angriff gekontert werden sollte. Man entschied sich letztendlich dazu, weder die Leman Russ Panzer der Cadianer, welche zwischen den zwei Gräben positioniert waren, noch die Basilisken der Jardi mit ein zu beziehen. Ein derartiger Angriff konnte schlichtweg nicht so ernst genommen werden, dass er so gewaltige Mengen an verschossener Munition rechtfertigen würde.
In den Gräben bekam man von diesen Debatten herzlich wenig mit. Die Männer der vierzehnten Kompanie waren in purer Routine übergegangen. Mörsergranaten pfiffen in Richtung Feind und wurden sofort mechanisch nachgeladen. Zwischen den Infanteriestellungen ratterten mittlerweile etliche Maschinenkanonen, die zusammen hunderte Geschosse pro Sekunde in die grüne Flut pumpten. Grever konnte von seiner Stellung schon den Roten Nebel über den Kultisten erkennen. Die pure Gewalt der Geschosse pulverisierte alles was sie trafen und ließ die Kultisten richtig platzen, was Blut und verflüssigte Organe in der Luft verteilten wo das alles als feiner, roter Nebel hängen blieben. Die Kultisten wurden auf diese Art Reihenweise vom schweren Kreuzfeuer in Luft aufgelöst, aber der Tod ihrer Vordermänner kümmerte die Kultisten im nächsten Glied kaum, wenn sie nicht auch von den durchschlagenden Kugeln zerfetzt wurden.
Die Brandgranaten der Mörser, die etwa im Verhältnis eins zu drei zu den Splittergranaten verschossen wurden, machten sogar fast noch mehr Spektakel. Die hochflüchtigen Chemikalien der Granaten waren dazu konzipiert, sich Sekundenbruchteile nach der Explosion auf ein möglichst großes Gebiet zu Verteilen, was dann in etwa ein Umkreis von fünf Metern war. Einige Sekundenbruchteile später hatte der Kontakt mit dem Stickstoff in der Atemluft dann eine katastrophale chemische Kettenreaktion zu Folge, die dazu führte, dass das Gemisch sich mit einer Hitze von mehr als achthundert Grad entzündete.
Der Ablauf war typisch und blieb einem ewig in Erinnerung, wenn man ihn einmal gesehen hatte. Nach dem Aufprall des Geschosses konnte man für einen winzigen Moment einen feinen grünen Sprühnebel erkennen. Kolb hatte es einmal aus nächster Nähe miterlebt und es war als ob die Zeit kurz anhielt. Keinen Augenblick später verwandelte der grüne Nebel sich in einen stechend weißen Blitz, der in einen grün-orange farbigen Feuerball auslief. Immer wenn das passierte, gab es ein lautes Sauggeräusch, da die hohe Hitze blitzschnell Sauerstoff ansaugte, der resultierende Luftzug saugte ab und an sogar noch weitere Opfer in die Flamme. Oft führten die Brandgranaten auch zu Folgeexplosionen, da Munition, Energiezellen und mitgeführte Granaten der Opfer in der gewaltige, wenn auch kurzen Hitze einfach verpufften und weiteren Schaden anrichteten.
„Anlegen und zielen ihr Hunde! Für den Imperator und Rheinland!!, Kolb war in seinem Element. Seine Tiefe Stimme hatte selbst unter derart lauten Bedingungen nie einen Künstlichen Verstärker gebraucht, damit man ihn hörte. Sofort bezogen die Männer seines Trupps Stellung am Grabenrand und legten ihre Gewehre auf Anschlag. Nach sieben Jahren des gemeinsamen Kampfes, brauchte Kolb nicht mehr viel machen. Der Drill saß seinem Trupp so tief in den Knochen, dass sie es auch ganz gut im Schlaf hätten schaffen können.
Links und rechts begannen die ersten Abschnitte schließlich mit dem Sperrfeuer und schickten Salven roter Energiestrahlen in Richtung Feind schießen. Auch Kolb gab nun das Feuersignal und die Männer legten los. Aufgehalten vom Stacheldraht und unter ständigem Kreuzfeuer aller Kaliber ohne Aussicht auf Deckung starben auf der Gesamten Länge des ersten Grabens hunderte Kultisten in der Sekunde. Doch trotz all der Gewalt, die ihnen entgegenschlug, gab keiner von ihnen auf, um zurück in den sicheren Wald zu rennen. Manche liefen mit Absicht in die dichten Drahtverhaue, nur um dort mitgeführte Granaten zu zünden, in der Hoffnung ein kleines Loch frei zu machen. Im Abschnitt der fünften Kompanie funktionierte diese Taktik sogar, was zum einzigen Handgemenge des Tages führte, bei dem einundzwanzig Rheinländer ihr Leben ließen.
Kolb konnte davon nichts wissen, da dieser Abschnitt auf der anderen Seite der Festung lag, er war lediglich damit beschäftigt, dass Feuer seiner Schützen zu dirigieren. Eine Hand, welche plötzlich auf seiner Schulter lag, ließ ihn zusammenzucken. Er hatte den Griff seiner Pistole schon umschlossen, bevor er merkte, dass es sich um einen rheinländischen Offizier handelte, genauer gesagt, um Major Schneider. Trotz des hinter ihm tobenden Massakers salutierte Kolb zackig vor seinem Offizier: „Herr Major, was machen sie den hier? Es ist viel zu gefährlich!“
Schneider wimmelte gereizt ab: „Mensch Kolb, führen sie sich nicht auf wie meine Frau Mutter! Ich war schon in deutlich tieferen Scheißhaufen drin, als sie sich überhaupt vorstellen können. Wie ist die Situation? Leutnant Thorn konnte mich nicht zufrieden stellen, da der nur in seinem Bunker hockt und aufs Auspex starrt.“ Aquila zeigte bloß mit ausgestrecktem Daumen hinter sich: „Sie stürmen an und wir schießen sie um. Ziemlich hirnverbrannter Sturmangriff wenn sie mich fragen Herr Major.“
Schneider schüttelte bloß den Kopf: „Ein Sturmangriff? Nein, dass ist kein Sturmangriff. Dieser Abschaum entledigt sich bloß der unbrauchbaren Mitesser und testet nebenbei noch unsere Verteidigung. Sehen sie sich doch die armen Teufel an, die dort im Stacheldraht in Fetzen geschossen werden.“
Kolb drehte sich wieder um und schnappte sich seinen Feldstecher. Mit bestürzen stellte er fest, dass tatsächlich keiner der Angreifer auch nur im entferntesten als gesund ein zu stufen war, nicht einmal für die zerstörerischen Maßstäbe des Chaos. Verwundete, Alte, Krüppel, Mutanten und Kranke wurden dort niedergemacht. Teilweise waren sie schon halb verhungert und doch stürmten sie ohne nennenswerte Bewaffnung auf sie ein. In den Augen des Erzfeindes waren diese Männer es nicht einmal mehr Wert, für weitere Zeit, Nahrungsmittel zu erhalten, weshalb er sich ihrer auf die effizienteste Art erledigte. Kolb konnte nicht fassen, was er sah.
Er schaute mit ungläubigem Gesichtsausdruck zurück zu seinem Major: „Wenn dass hier bloß ein Test ist...“
Zwei weitere Wellen brandeten im Laufe des Tages noch an den Imperialen Linien ab, bevor die Nacht ein Ende der Kampfhandlungen Diktierte. Auf Imperialer Seite blieb es bei den einundzwanzig Toten und vierzig Verletzten, die der Durchbruch bei der fünften Kompanie erbrachte. Die Verluste auf Seiten des Chaos konnten hingegen nur geschätzt werden und dürften im fünfstelligen Bereich liegen. Rheinländische Waffenteams und Trupps der Sororitas verbrachten zwei Stunden damit, die Leichen zu verbrennen.