Ruhmeshalle — Die bisherigen Gewinner
Es war, als kräuselte sich das Wasser. Ganz sanft, fast unmerklich kam Bewegung in das unstoffliche Nichts, in dem Es ruhte. Ein Geist ohne Körper, ein Wille ohne Struktur, eine Macht, eingesperrt seit Jahrhunderten. Bläuliches Licht überall und …. Stille. Das Wesen brauchte nicht zu hören. Es fühlte mit seinem Geist. Es hörte mit seinem Verstand, der sich tief in die Grundfesten der Welt gegraben hatte, es sah, indem es die Winde der Magie las, die sein Gefängnis durchdrangen.
Und die Winde der Magie brachten Nachrichten, die den uralten, ruhenden Geist zu neuer Aktivität veranlassten. Wie lange hatte das Warten gedauert? Für den Geist war es nur ein Augenblick, doch die Welt der Menschen hatte seither vierzehn weitere Jahre kommen und gehen gesehen. Vierzehn blutige, grausame Jahre, in denen aus einem Jungen ein Monster geworden war. Es hatte geplant und beobachtet. Es hatte die Erschütterungen der Welt gespürt, den Tod gerochen und Blut geschmeckt. Es hatte Ihn gesehen.
Erde bröckelte unter den gepanzerten Stiefeln, doch der Fuß fand Halt und drückte mit neuer Kraft auf den Untergrund, um festen Stand zu bekommen. Ein Schnauben war unter der schattigen Kapuze zu hören, dann ein befriedigtes Knurren. Die Gestalt streckte sich im Schein der untergehenden Sonne. Luft wurde eingesogen und wieder ausgestoßen, überbeanspruchte Knochen und Gelenke knackten leise. Aber das Ziel war nahe, das Blutvergießen konnte beginnen.
Fast instinktiv griffen zwei schmutzige Hände unter die Falten der zerschlissenen schwarzen Robe. Die Hefte der beiden Schwerter, die dort in dem abgenutzten Gürtel steckten, mochte einstmals silbern gestrahlt haben. Jetzt waren sie so sehr mit Blut und Dreck bedeckt, dass sie beinahe klebrig waren.
Die Hände hielten inne und wurden vor die Kapuze gehalten. Es war, als wolle der Krieger sie ein letztes Mal betrachten, ehe sie erneut mit Blut beschmiert würden. Blasse, rissige Haut spannte sich über strähnige Muskeln und dünne Knochen. Das Blut, das an dieser Haut klebte, war nur zu einem geringen Teil sein eigenes. Er hatte es längst aufgegeben, sich nach jedem Gemetzel zu waschen. Es gab niemanden, der sich daran stören konnte.
Zwei einstmals leuchtend blaue Augen starrten unter der Kapuze hervor. Inzwischen waren sie von so vielen Adern durchzogen, dass sie rot wirkten. Sie waren so trocken und rau, dass sie juckten und nur deshalb nicht tränten, weil er nicht mehr weinen konnte. Zu oft schon hatte er geweint, jetzt war es zu spät.
Langsam machte er sich an den Abstieg zu der Feste, die sich vor ihm an den Berg schmiegte. Aufgehängte Leichen und grausige Symbole schreckten ihn nicht ab. Dort gab es etwas, das seinen Rachedurst endlich stillen konnte, seiner Suche einen Sinn, seinem Leben einen Zwecken geben konnte.
All die Toten würden gerächt werden ….
Eine Erinnerung blitzte durch seinen Geist. Zeit spielte keine Rolle. Er maß die Zeit nicht mehr in Jahren, für ihn gab es nur noch ein Blutvergießen nach dem anderen, das waren die einzigen Ereignisse, an denen er den Lauf der Zeit festmachen konnte.
Es hatte beobachtet und erkannt. Die Möglichkeiten gesehen. Seine Macht war nicht gebrochen worden, schon immer hatte es Diener gegeben, die seinem Willen gehorchten, Schwache, die keinen anderen Schutz fanden, Starke, die sich noch mehr Macht erhofften. Er hatte sie ausgesandt, vor vierzehn Jahren.
Es war ein Dorf. Sein Dorf in der fernen Heimat. Der brennenden und blutgetränkten Heimat. Sie waren gekommen. Große, starke Krieger in schwarzen Rüstungen oder nackt, nur mit einigen Fellen bedeckt. Sie waren gekommen und waren gegangen. Zwei hatte er getötet, um seine Familie, seine Liebste zu schützen.
Er hatte ihren Namen vergessen, all ihre Namen. Zwei der Angreifer hatte er getötet, doch sie waren erst gewichen, nachdem all jene tot waren, die er gekannt hatte. Seine Eltern, seine Geliebte, seine Freunde. Heute waren sie Erinnerungen. Keine Wesen, keine Namen, keine Gesichter. Es gab nur die Erinnerung, dass dort etwas gewesen war, das ihm genommen wurde. Das es zu rächen galt.
Er hatte dort gestanden, allein in einem verwüsteten Dorf, während um ihn herum die Feuer tobten. Um ihn lagen seine Angehörigen, zerstückelt, ausgelöscht. Und zwei Feinde. Irgendwann war jemand gekommen, hatte gesehen, hatte ihn beschuldigt. Er hatte nicht reagiert. Der Fremde war auf ihn zugekommen, hatte gedroht, beschuldigt. Er hatte zugestoßen.
Als der Fremde fiel, hatte er ihn als Seinesgleichen erkannt. Er hatte einen Angehörigen seines Volkes umgebracht. Etwas war in ihm gestorben und er hatte geweint, geweint und geweint …. Und Rache geschworen, an den Angreifern, die ihn zum Mörder gemacht hatten. Damals war er fünfzehn Jahre alt gewesen.
Die Erinnerung verschwand. Zu Fäusten geballte Hände lösten sich wieder. Mit schwerem Schritt setzte er seinen Weg fort. Einst war er ein Elf gewesen. Ein Wesen voller Anmut, Geschmeidigkeit und Schnelligkeit. Jetzt war er ein Krieger. Anmut war zu Brutalität geworden, Geschmeidigkeit zu roher Kraft und Schnelligkeit … die Schnelligkeit war geblieben, doch wurde sie jetzt nur noch zu einem einzigen Zweck benutzt: Zum Töten.
Er stand vor dem gewaltigen Tor der Feste. Auf der anderen Seite wartete der Feind, das wusste er. Während er durch das Portal schritt, stieg eine weitere Erinnerung auf, die ihm fern und unwichtig vorkam.
Avelang. Nachdem er herausgefunden hatte, dass jene Feinde von einst zum Chaos aus dem Norden gehört hatten, war er von Rachedurst getrieben durch die Wildnis gestolpert, immer nach Norden, immer zum Meer. Er hatte von Dreck und Tieren leben müssen. Er hatte den Kampf ums Überleben geschlagen in der Wildnis. Er hatte gewonnen, doch der Preis war hoch gewesen. Als er wieder in die Nähe einer Stadt kam, war er völlig verändert.
Er hatte die Zivilisation hinter sich gelassen. Seine Nägel waren dreckig und gebrochen, seine Zähne brüchig, seine Haut wie seine Kleidung verkrustet und zerrissen. Nur seinen Schwerter hatte die Wildnis nichts anhaben können. Und seinem Willen.
Er war nicht alleine nach Avelang gekommen. Hunderte Orks hatten ihn begleitet. Er hatte zwei ihrer Bosse und vier Schamanen erschlagen und die anderen mit reicher Beute und großen Kämpfen gelockt. Sie waren ihm bereitwillig gefolgt.
Stunden später hatte die Stadt gebrannt und er in den Himmel geheult. Sein Volk hatte versagt. Die Orks hatten die Krieger beschäftigen sollen, damit er einen Weg nach Norden finden konnte. Doch sie waren den Grünhäuten zum Opfer gefallen. Er hatte in die Nacht gebrüllt und war so enttäuscht von der Stärke seines Volkes gewesen, dass er nicht gezögert hatte, an der Seite der Orks gegen die letzten Verteidiger vorzugehen, die letzten Häuser aufzubrechen und jeden Elfen bis zum letzten Kind abzuschlachten. Und er hatte geweint. Er hatte um alle geweint, die unter seiner Klinger starben, die zu schwach waren, um zu bestehen.
Etwas in ihm war dort gestorben, ein weiteres Opfer, das seinen Rachdurst anstachelte. Nach den Elfen hatte er selbst über die Orks gerichtet. Er hatte sie bezahlen lassen und niedergemacht, wie es die Aufgabe der Verteidiger gewesen wäre. Da hatte er nicht geweint. Er hatte gelacht und die verspottet, die unter seinen Hieben zu Boden gingen. Damals war er neunzehn gewesen.
Er trat in den Hof der Feste und sah, wie sich behelmte Gesichter zu ihm umwandten. Ein hünenhafter Krieger trat auf ihn zu. Er sah, wie sich der Mund öffnete, um eine Frage zu stellen, doch es sollte nie dazu kommen. Zwei Klingen zischten unter der Robe hervor, zerfetzten die Kehle des Mannes und verschwanden wieder.
Die Wellen im Gefängnis des Geistes wurden schneller und größer. Es war fast soweit. Die letzte Prüfung begann. All seine schwächlichen Diener waren zusammengezogen, um ihm einen letzten Kampf zu liefern, um seine Stärke zu testen. Bald würde es soweit sein. Bis dahin würde es beobachten und abschätzen.
Er blieb einfach stehen, während sich die anderen Kämpfer der Feste umwandten und auf ihn zugingen. Sie zogen ihre Waffen und machten sich zum Kampf bereit. Schließlich stürmte einer von ihnen vor. Er fiel ohne Chance, sich zu wehren. Dieses Mal verschwanden die Klinge nicht wieder. Er blieb stehen und wartete. Blut floss über den Hof der Feste und nacheinander fielen die Krieger. Keine Rüstung konnte widerstehen, keine Waffe an ihn herankommen. Er war schneller als sie alle, stärker, geschickter. Er brauchte sich nicht einmal von der Stelle bewegen.
Damals war es ähnlich gewesen. Von Avelang war er mit einem kleinen Boot aufgebrochen, nach Norden. Doch die Fahrt hatte lange gedauert, Tage waren zu Wochen geworden und Wochen zu Monaten. Er war hart, doch schließlich waren alle Nahrungsmittel aufgebraucht. Drei weitere Tage war er gesegelt, bis er schließlich beinahe kraftlos ein Schiff seines Volkes getroffen hatte. Er war an Bord geklettert und hatte seine Bitte vorgetragen.
Doch die Elfen hatten ihn für ein Monster gehalten, in ihm keinen Elfen mehr gesehen. Sie hatte ihn von Bord jagen wollen. Wie jetzt war er damals stehen geblieben, viel zu schwach, um sich großartig zu bewegen. Seine Klingen hatten ihn beschützt, ein Schild aus funkelndem Stahl. Dann war er unter Deck gegangen. Keiner hatte überlebt. Und er hatte geweint, um jene, die ihn verraten hatten, die sich ihm in den Weg gestellt hatten.
Er hatte die Tochter des Kapitäns getroffen. Sie hatte gewinselt vor Angst, sich ihm angeboten, ihm ihre Lenden und ihre Treue angeboten, wenn er sie nur am Leben ließ. Die Versuchung war groß gewesen, ein letzter Funke seiner sterblichen Natur hatte aufgeglommen. Doch der Durst nach Rache war zu groß gewesen. Er hatte geweint … und sie erschlagen.
Damals war der letzte Teil von ihm gestorben. Damals hatte er seinen Namen vergessen. Seit damals war er kein Elf mehr.
Er spalte den Schädel eines weiteren Kriegers und betrat den Tunnel, der ins Herz des Berges führte, an den sich die Feste schmiegte. Weiterer Widerstand, weiteres Blut, weitere Tote. Das war der Rhythmus seines Lebens. Einem Feind folgte der nächste in den Tod. Seine Klingen waren zerkratzt und schartig, seine Haut vernarbt und rissig, seine Robe zerfetzt. Doch er konnte kämpfen, seine Feinde richten, die ihm einst alles genommen hatten.
Er erinnerte sich an unzählige Festen, Dörfer, Lager und Städte auf seinem Weg durch die Chaoswüste, seit er an ihrer Küste gelandet war. Die Erde war mit Blut getränkt, mit jenen bedeckt, die versucht hatten, sich ihm zu widersetzen auf seinem Weg zur Rache. Beinahe neun Jahre irrte er durch das Reich des Verderbens, immer nach Norden, immer auf der Suche nach weiteren Opfern, nach Rache.
Und nun war er hier. Es spürte das. Der Geist erwachte vollends aus seinem Schlummer. Der Samen des Hasses war aufgegangen. Er war hier, voller Zorn, voller Blut und voller Kraft. Er war würdig. Nur noch wenige Krieger waren übrig. Der Geist schmeckte den Tod jedes einzelnen von ihnen. Er genoss es ebenso wie der Krieger, der sie niederstreckte. Beide waren am Ziel.
Er enthauptete den letzten Gegner und schritt weiter, ungerührt und unaufhaltsam. Seine Arme brannten vor Kraft, seine Augen glühten. Vor ihm stand ein Kristall, glatt und wunderschön anzusehen. Er konnte die Macht spüren, schmeckte die Anwesenheit des Geistes. Er wusste, dass hier die Quelle lag, die Wurzel seines Schicksals.
Mit einem zornigen Schrei hob er seine Schwerter und ließ sie auf die Oberfläche des Kristalls niederfahren. Für einen Augenblick brach sein Hass durch den Zauber, der den Geist gefangen hielt. Sofort strömte das Wesen aus seinem Kerker heraus und glitt sanft in den Körper des Kriegers. Er heulte auf vor Schmerz und eine einzige, letzte Träne rann ihm übers Gesicht. Er weinte ein letztes Mal, dieses Mal um sich selbst.
„Endlich, endlich bist du gekommen.“, wisperte der Geist in seinem Verstand. „Jetzt ist es an der Zeit, dass du erkennst, was dein wahres Ziel ist. Du bist hergekommen auf der Suche nach Rache, Tausende hast du unterwegs vernichtet, deines Volkes und meiner Diener. Es ist nicht der Durst nach Rache, der deine Klingen lenkt. Es ist einzig und allein der Durst nach Blut, nach Tod, nach Gemetzel, der dich antreibt.“
Eine Weile schwieg die Stimme und er sank zu Boden, unfähig, sich der Wahrheit dieser Worte zu stellen. Seit Avelang war es ihm egal, wer unter seinen Schwertern starb, solange es nur genug waren. Er war kein Elf mehr, er war ein Monster, die Seefahrer hatten recht gehabt. Er verdiente auch keinen Namen.
„Steh auf, mein Diener. Lass deine Vergangenheit hinter dir. Ein neues Schicksal liegt vor dir. Ich werde dich anleiten und dir Macht geben, Heerscharen von tapferen Seelen, die bereit sind, für dich zu sterben. Für sie wirst du beinahe ein Gott sein. Komm, nimm mein Geschenk an.“
Und der Geist zeigte ihm die Möglichkeiten. Er sah Sturzbäche aus Blut. Er sah, wie ganze Nationen unter seiner Klinge fielen, spürte ihre Angst. Er sah, wie ganze Welten verwüstet wurden, vernichtet von seiner Hand. Und er spürte seine Erregung. Er sah nicht enden wollende Gemetzel und labte sich daran. Er brauchte nichts zu sagen, der Dämon verstand ihn. Sein Leben gehörte dem Chaos.
Die letzte Träne fiel zu Boden.