Kapitel 2: Erwachen / Teil 2.4
„Zentrum. Die Makropolverwaltung wünscht Ihnen einen angenehmen Aufenthalt und empfiehlt den Besuch der berühmten damasischen Kathedralen, des Schreins von Lysande und des Imperialen Museums. Die blecherne Stimme, die verschiedene Sehenswürdigkeiten lustlos pries, war kaum zu verstehen. In den letzten Stationen waren zahlreiche andere Menschen hinzugestiegen, die angeregt miteinander schwatzten, sich über mehrere Sitzreihen hinweg etwas zuriefen und allgemein nervenaufreibend laut waren. Unter ihnen waren wohlhabende Händler, Adligen oder deren Wachen – kaum ein Arbeiter setzte je einen Fuß ins Makropolzentrum, und während der Schichten sah man überhaupt nie welche. Zudem sah ich aus den Augenwinkeln einige Soldaten, die großspurig beieinander standen, und mehrere blasse Gestalten, stumm und mit Aktentaschen auf den Knien.
Als auch körnige Bildschirme den nächsten Halt verkündeten, standen viele von ihnen auf, um sich zu den Ausgängen zu drängen. Die meisten von ihnen waren wohl weniger an altehrwürdigen Gebäuden als an den schier endlos langen Einkaufsmeilen interessiert.
Ich selbst stand seit Langem an den Türen, gedankenversunken die vorbeiziehende Makropole betrachtend, verschwommene Streifen aus Licht und Beton. Als der Bahnsteig schließlich in Sicht rückte, war ich somit auch die Erste, die nach draußen trat. Mit schnellen Schritten hastete ich davon, hinter mir das scheinbar wütende Brummen der lärmenden Menge.
Es war ein sonderbares Gefühl, zu dieser Zeit durch die Straßen der Stadt zu wandern. Nicht oft fand ich hierher, nur frühmorgens und wieder am Abend durchmaß ich das Zentrum mit schnellen Schritten. Es war eine Sache reiner Zweckdienlichkeit, der erforderliche Weg zwischen Bahnstation und Behörde. Die Geschäfte hier reizten mich nicht, auch jetzt weckten die von Wachmännern behüteten, prächtigen Auslagen kaum meine Aufmerksamkeit. Sie waren weder mit meinem Geschmack noch mit meinem Geldbeutel vereinbar.
Das Zentrum hatte seinen Namen nicht auf Grund seiner Lage. Es lag am Westhang, während die tatsächliche geographische Mitte von den Palästen des örtlichen Adels und reicher Händler eingenommen wurde. Das öffentliche Leben der wohlhabenderen Bürger spielte sich jedoch hier ab. Man sah und wurde gesehen, während man auf den Bürgersteigen flanierte, sich in Schwebern durch die Schluchten zwischen den turmhohen Gebäuden fliegen ließ oder in einem der Cafés in den Galerien hoch über den Köpfen der Passanten saß.
Wenn die Straßen wie Flüsse waren, die durch das Makropolzentrum schnitten, dann war der Platz des himmlischen Gott-Imperators die See, in die sie mündeten. Obwohl ich nicht das erste Mal auf ihn hinaustrat, war es doch ein Anblick, der mir den Atem verschlug und den Glanz des Imperiums vor Augen führte.
Der Platz maß Tausende von Fuß in Länge und Breite, sodass selbst die Sonne ihren Weg hierher fand. Ihr fahles Licht bekränzte die zahlreichen Statuen imperialer Helden, deren Namen kaum einem noch bekannt waren, und schuf komplizierte Schattenmuster unter den künstlichen Bäumen, die kleine, schattige Haine bildeten. Ich hatte es nie nachvollziehen, warum man sie hier aufgestellt hatte, doch schien ein Architekt vor langer Zeit geglaubt zu haben, man würde unter ihnen Frieden finden können. Tatsächlich war der Platz für den zivilen Verkehr gesperrt, doch strömten aus allen auf ihn zulaufenden Straßen Pilger.
Um ihn im Karree angeordnet waren zwar wahrlich beeindruckende Gebäude – wie das Repräsentantenhaus des Adeptus Minostorum oder die Niederlassung der Detrian-Händlergilde, deren Erker und Spitzbögen weit in den Himmel ragten. Sie alle wirkten jedoch nichtig im Vergleich zu der Kathedrale der Ekklesiarchie, die den Platz beherrschte und Ziel all der Menschen um mich herum war. Schon von meinem Standpunkt aus, vielleicht eine Meile von ihr entfernt, musste ich den Kopf in den Nacken legen, um ihre Ausmaße auch nur erahnen zu können. Die zwei riesigen Türme fielen als Erstes ins Auge, wolkenverhangen und – so sagte man – höher als selbst Titanen. Die beiden stachen wie Stacheln aus dem Rücken der Makropole, sie waren über Hunderte von Meilen zu sehen. Neben ihnen gab es jedoch dutzende weitere Türme, die in allen Größen und Formen in verschiedenen Epochen imperialer Herrschaft entstanden waren. Jeder von ihnen trug einen oder mehrere riesige Lautsprecher, aus denen unablässig Gebete an den geheiligten Gott-Imperator dröhnten. Selbst soweit entfernt spürte man noch ein leises Summen in der Luft.
Die Pracht Terras war zumindest zu erahnen, wenn man dieses Monument Ihm zu Ehren sah.
Ich überlegte nur einen kurzen Augenblick, ehe ich mich auf den Weg zur Kathedrale machte, Teil eines Tausende umfassenden Stroms von Gläubigen, mit dem ich mich einfach treiben ließ.
Als ich schließlich in den Schatten der gewaltigen Bögen trat, die wie für Riesen geschaffenen, gusseisernen Torflügel passierte, als ich langsam von der Menge an Gedenktafeln für die Leistungen des dreiundzwanzigsten Damasia und anderer Regimenter vorbeigeschoben wurde, ergriff mich Ehrfurcht ob der gewaltigen Ausmaße der Kathedrale.
Von außen war die Größe und Pracht des Gebäudes kaum zu erfassen, drinnen waren sie jedoch unbegreiflich. Unzählbar viele Elektrokerzen erfüllten den Innenraum mit einem unsteten Licht, von einer Galerie hoch über unseren Köpfen schmetterte ein Chor Hymnen an den Imperator, während ein Prediger etwas abseits eine kleine Menge um sich scharrte. Stetig wiederholend sah ich in kleinen Schreinen, auf Fresken und monumentalen Statuen das Antlitz Sankt Galards, Schutzheiliger von Damasia und im gesamten Sektor bekannter Märtyrer, dessen Gebeine im östlichen Seitenschiff zu besichtigen war. Der Großteil der Pilger schob sich dorthin, in Richtung eines Durchgangs, an dem zwei ganze Trupps Soldaten der damasischen planetaren Streitkräfte standen. Sie würden die Pilger filzen und zu einem Angestellten der Ekklesiarchie vorlassen, der einen unverschämt hohen Betrag fordern würde, damit sich die Besucher auf einige Dutzend Schritt den Gebeinen nähern durften. Ich hatte sie erst ein einziges Mal gesehen und als schrecklich uninteressant empfunden. Dennoch sagte man ihm Heilkräfte und diverse andere Wunderfertigkeiten nach, ein Umstand, den die Ekklesiarchie mit Sicherheit förderte.
Ich löste mich von den übrigen Gläubigen und suchte mir einen ruhigen Platz auf Gebetsbänken im Hauptschiff. Der Weihrauch betäubte meine Sinne und ließ die Gedanken zäh werden. Ich begrüßte diese Taubheit. Ich setzte zu einem Gebet an, doch vermochte ich es nicht, es in Worte zu fassen. So starrte ich stattdessen stumm in die Schwärze über mir, die Rechte um den Anhänger an meinem Hals.
[FONT="]Ein belegtes Räuspern erklang neben mir. „Ähem. Darf ich mich zu Ihnen setzen?“
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Och. Wenn schon...
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