Hallo, Liebe Stargazer-Leser,
soooo: Nach einem längeren, durch verschiedene Faktoren bedingten Ausfall ist nun der Endspurt für Stargazer angesagt. Drei neue Kapitel habe ich in Petto. Wie viele danach noch kommen, weiß ich nicht – je nachdem, wie rasant sich alles entwickelt. Es werden aber nicht mehr viele sein. Wir dürfen also gespannt sein, wie die Geschichte endet. Jetzt aber erst einmal Kapitel 42!
Film ab!
42
Der Abend brach an. Zumindest kroch eine unheimliche Dunkelheit aus der Ferne heran und krallte sich mit den düsteren Klauen langer Schatten hinter jeder Erhebung fest, so als würde sie die Kämpfenden daran erinnern wollen, dass ihre Reise in das Herz der Finsternis führen würde. Eine Reise, an deren Ende das Grauen wartete.
Heftiges Flackern brach durch die improvisierten Barrikaden, mit denen die Basteter die zerborstenen Fenster des Beinhauses versperrt hatten und malte fehlfarbene Lichtmuster an die schwach beleuchteten Wände des arkanen Raums.
Schwere Donnerschläge, kaum bis gar nicht gedämpft, echoten durch die kalte Nachtluft, ließen die Kathedrale bis auf die Grundmauern erbeben.
Eigenartiger Weise erinnerte die Lage Ekko an den Tag, an dem die Orks den Angriff auf die Himmelskathedrale begannen. Die Nacht, in der sie den Außenwall beschossen hatten, ohne dass die Imperialen die Möglichkeit gehabt hätten, ihnen gebührend zu antworten.
Dieses Mal gab es allerdings einen kleinen, jedoch entscheidenden Unterschied: der Platz war deutlich weniger geworden.
Hatte sich das Trommelfeuer des Gegners während der ersten Tage noch über eine größere Fläche verteilt, trafen die Geschoss- und Strahlwaffen nun punktiert auf einen begrenzten Bereich der zweiten Schutzmauer. Und wenn er ehrlich sein sollte musste Ekko zugeben, dass im Grunde er die Orks in diesem Gebiet konzentriert hatte.
Aber hätte es eine andere Möglichkeit gegeben, den Feind zu bekämpfen? Die Chance, all dem zu entgehen, hatten sie längst verspielt.
Er wandte sich um und setzte dort ein, wo er kurz zuvor geendet hatte. »Also, meine Herren, das ist die Situation. Ihre Gedanken dazu?«
Drei Paar Augen blickten ihm mehr oder minder ratlos entgegen.
»Wir müssen sie aufhalten«, brummte Major Carrick, nachdem er eine Weile lang darüber gebrütet hatte, ob er diese Tatsache – offensichtlich für ihr Überleben – wirklich aussprechen, oder sie lieber für sich behalten und etwas anderes, intelligenteres, hätte erwidern sollen.
Ekko schoss ihm einen kurzen Blick zu, bevor er seine Aufmerksamkeit auf den neben ihm stehenden Captain Solmaar richtete. Aber der schien so tief über der Karte versunken, dass er den geräuschlosen Seitenhieb seines Vorgesetzten gar nicht bemerkte.
Also blieb es dem Colonel überlassen, die unliebsame Aufgabe der nächsten Worte zu übernehmen. Aber Ekko wäre beileibe nicht Ekko gewesen, wenn er sich so einfach in sein Schicksal ergeben hätte. Stattdessen leistete er hartnäckig Widerstand, wandte sich an den letzten Mann der Runde, und versuchte, die bösen Geister des Imperators an ihn weiterzuleiten.
Gren Krood erwiderte die stumme Aufforderung mit finster zusammengekniffenen Augen. Auch wenn er sich bisher eher vernünftig verhalten hatte, so waren die Taten Colonel Ekkos nicht vergessen. Immerhin hätte der Colonel das gesamte Kasrkin-Kommando um seiner eigenen Leute Willen geopfert.
Und das würde der Elitegrenadier dem Normalen nie vergeben. Dass der Basteter am liebsten selbst bei ihnen geblieben und gestorben wäre, war ihm nicht klar. Vermutlich hätte es ihn auch gar nicht interessiert.
»Ja«, riss Regimentskommandeur die Umstehenden schließlich aus ihren Gedanken. »Wir müssen sie aufhalten. Aber wie?«
Jetzt endlich kam Bewegung in den Körper von Captain Solmaar. Er richtete sich auf, offensichtlich von einem plötzlichen Gedankenblitz getroffen.
Ekko hatte ihn als Berater für seinen neuesten Plan hinzugezogen, um seinen bisherigen Vertrauten nicht weiter zu belasten. Balgors Laune nach zu urteilen würde der nämlich keine weitere Wahnvorstellung seines Vorgesetzten verkraften.
Doch auch der Hüne Solmaar war für seinen scharfsinnigen Verstand und seine treffenden Einwürfe bekannt.
»Wie groß sind denn unsere Verluste?«, erkundigte er sich nun, um die ersten Grenzen des noch Möglichen abzustecken.
Ekko sah zu Carrick, der sich entnervt über die Nase strich. »Wir versuchen noch, die genauen Verlustzahlen festzustellen, aber einer vorsichtigen Schätzung nach würde ich glatt behaupten, dass wir noch so um die neunhundert bis eintausend Mann in der Festung sind – exklusive der Miliz und Zivilisten.«
»Was? Wir haben in einer Nacht fast eintausend Mann verloren?«, brach es aus Solmaar heraus.
»Na ja«, erwiderte Ekko beinahe schon fröhlich. »Nicht ganz verloren, denn eine beträchtliche Streitmacht steht draußen vor dem Tor und begehrt Einlass. Wir hatten ja erst auf etwa fünfhundert gehofft, aber irgendwie werden es immer mehr.«
Der Captain starrte ihn entgeistert an. Carricks Augen hingegen zeigten ganz deutlich, was er in diesem Moment dachte.
Der Colonel ignorierte ihn. »Da wir nicht davon ausgehen können, dass diese Truppen in nächster Zeit für offensive Operationen zur Verfügung stehen, sollten wir uns darauf konzentrieren, mit den verbliebenen Einheiten solange wie möglich Widerstand zu leisten.«
»Wie … wie darf ich das verstehen?«, erkundigte sich der Schrank von einem Captain. »Das Tor wurde geschlossen und wir haben noch Einheiten draußen?«
Jetzt endlich wandte sich Ekko direkt an seinen Stellvertreter. »Major Carrick?«
Der bissige Blick, der ihm antwortete, konnte nur schwerlich falsch verstanden werden. Dennoch besann sich Carrick auf jene Werte, die man ihm als Offizier einst beigebracht hatte und entschied (zum widerholen Male), den Kern der Mission vor seine persönlichen Gefühle zu stellen. »Zu der Zeit, als das Tor geschlossen wurde, befanden sich noch mehrere Kampfgruppen im Kontakt mit dem Feind«, begann er. »Aufgrund des starken Drucks, den diese Truppenverbände erfuhren, war es unmöglich, sie in die laufende Räumungsoperation einzubeziehen. Die Einheiten sind also aufgefordert worden, ihre Stellung zu halten und den Verteidigungsperimeter in diesem Bereich zu erhalten.« Er wies auf die oberste Karte, deren Ausschnitt den Zugang in den zweiten Ring portraitierte und zeichnete die ungefähre Form der neuen, improvisierten Defensive mit den Fingern nach. Einen Halbkreis bildend, zog sie sich über mehrere Gebäudeblöcke hinweg wie eine Beule um das Eingangstor des zweiten Rings. »Aufgrund der Bedrohungslage ist eine Rückführung der Verbände bisher nicht in Betracht gezogen worden.«
»Kurzum: Wir sind im Augenblick zu feige, das Tor aufzumachen«, warf der dunkelhaarige Basteter ein. »Und das wird sich auch nicht ändern, bevor wir keine Möglichkeit gefunden haben, den Druck auf unsere Stellungen zu mindern. Erst, wenn das geschehen ist, können wir eine Repatriierung dieser Einheiten in die Festung in Betracht ziehen.«
»Klingt, als hätten Sie einen Plan«, bemerkte der hochgewachsene Captain das Offensichtliche.
»Richtig.« Ekko löste sich von seinem Platz, nur um die Männer zu umwandern. »Meine Herren, verraten Sie mir eines: was nimmt einem den Halt?«
»Den Halt?«
»Richtig«, widerholte der Colonel. Seine Augen fokussierten jeden den drei Soldaten. »Wenn das, auf das man sich fokussiert, das man gewöhnt ist, dem man vertraut, einfach nicht mehr da ist. Futsch. Wenn man erlebt, wie es vor den eigenen Augen vernichtet wird.«
»Ich … habe keine Ahnung«, stellte Solmaar fest, nachdem er verfolgt hatte, wie Ekko seine erste Runde um den Plottisch beendete und zur zweiten ansetzte. »Worauf wollen Sie hinaus?«
Rastlos wanderte der Colonel umher, holte seine eigenen Gedanken dabei ein und überrundete sie schließlich. »Was hält den Kampfgeist einer Truppe zusammen?«, erkundigte er sich bei seinem Stellvertreter, obwohl ihm die Antwort längst klar war.
Carrick, durchgehend damit beschäftigt, Blickkontakt zu seinem Bonusmeilen sammelnden Vorgesetzten zu halten, überlegte eine Zeit lang. »Die Moral?«
»Richtig«, erhielt er zur Antwort. »Aber auf wen konzentriert sich die Moral?«
»Auf den Anführer?«
»Richtig.« Ekkos Gesicht hellte sich auf, erfreut über den Funken Verständnis, der nun allmählich das Feuer der Strategie in seinen Untergebenen entfachte – ein Feuer, das in seinem Kopf inzwischen alle Barrieren der Vernunft niedergebrannt hatte. »Was passiert, wenn man uns den Anführer wegnimmt?«
»Unsere Kommandokette bricht zusammen«, erklärte der stellvertretende Regimentskommandeur. »Ohne einen Kommandeur ist der Stab weitestgehend handlungsunfähig – sieht man von einzelnen Offizieren ab, die ihre Einheiten mit Elan und Klugheit führen.«
»Genau.« Ekko nickte. »Aber jetzt kommt der Clou. Denn was passiert, wenn man Orks den Anführer wegnimmt?«
Verwirrung stahl sich auf die Gesichter der beiden Offiziere, die seinen Worten bisher aufmerksam gelauscht hatten. Einzig Krood schien zu verstehen (oder zumindest zu vermuten), worauf Ekko anspielte, denn er versteifte sich unmerklich.
Carrick und Solmaar hingegen verstanden immer noch nicht.
»Also?«, wollte der dunkelhaarige Basteter wissen.
»Sie kämpfen darum, wer der neue …«, begann der Major, brach jedoch gleich wieder ab und ließ verstehend die Schultern sinken. »Aber, Colonel! Das kann nicht Ihr Ernst sein!«
Ekko verzog die Lippen zu einem durchtriebenen Lächeln. »Warum nicht? Krood!«
»Sir!«, sprang der Grenadier an seine Seite.
»Was denken Sie? Machbar?!«
Der Elitesoldat musterte seinen Vorgesetzten mit einem prüfenden Blick, dann griff er nach seiner Seitenwaffe.
Als der Kasrkin-Sergeant die HE-Laserpistole zog, ratschten weitere Holster. Nahezu lautlos richteten sich die Standard-Laserpistolen von Solmaar, Carrick und mehreren anderen Offizieren auf ihn, die bisher abseits der vier um den Plot Stehenden mit der Organisation der Verteidigung der Kathedrale beschäftigt gewesen waren.
Doch zu aller Überraschung versuchte der Grenadier-Sergeant gar nicht, Ekko zu töten. Stattdessen prüfte er seelenruhig den Ladezustand seiner Waffe, bevor er sie mit einer schwungvollen Bewegung zurück ins Holster gleiten ließ.
»Wie sagen Sie immer, Colonel? Tod und Verderben?« Er lächelte finster. »Na dann, lasst sie kommen.«
»Das klingt gut!«, klatschte der Colonel in die Hände. Sein Lächeln verrutschte um keinen Millimeter, auch wenn sich die Gedanken hinter seiner Stirn schlagartig verdüsterten. Er erinnerte sich an eine Situation, deren Basis auf eine ganz ähnliche Weise gelegt worden war – und an deren Ausgang. Denn das letzte Mal, als das jemand zu ihm gesagt hatte, war er kurz danach wirklich tot gewesen.
Schwere Schritte hämmerten auf den kalten Fliesen, die den Fußboden des Hauptgangs vor der Krypta bedeckten, weckten den Colonel aus dem Alptraum der Erinnerung, der sich wie ein Gewitter in seinem Geist zu entladen drohte. Mit einem Rascheln glitt der blickdichte Vorhang des Eingangs zur Seite, entließ einen Neuankömmling in die kühle, vom Summen der Geräte und dem Knistern der Funksprüche erfüllte Luft. Es war Nurin.
»Entschuldigen Sie, dass wir so spät sind, Sir. Es dauerte eine Weile, bis ich die beiden anderen Teilnehmer gefunden hatte.«
Hinter ihm trat Demetrian Gantis durch die unkonventionelle Tür, in seinen olivgrünen, einteiligen Pilotenanzug gehüllt, wich aber postwendend zur Seite aus, um den Weg für einen dritten Neuankömmling Platz zu machen.
»Colonel Ekko?«, röhrte die von Lautsprechern verstärkte Stimme Sergeant Numitors.
Alles wandte sich um. Urplötzlich war es totenstill.
Lediglich die dunkle Stimme Galard Ekkos antwortete, zwar nicht so lautsprecherverstärkt, aber genauso unheimlich wie der Bass des Space Marine. »Schön, dass Sie es einrichten konnten.«
»Es war nicht einfach, den Sergeant zu überzeugen, an dieser Besprechung teilzunehmen«, stellte Nurin sachlich fest.
»Ich bin sowieso überrascht, dass er auf den Herweg nicht einfach durch den Boden gebrochen ist«, bemerkte Ekko trocken.
Während Nurin verwirrt die Augenbrauen zusammenzog und einen Blick zu Carrick warf, der allerdings jeglichen Augenkontakt zu den anderen Anwesenden vermied und Gantis damit beschäftigt war, seine Vorstellungkraft unter Kontrolle zu halten und nicht lauthals loszulachen, schwiegen Krood und Numitor mit ausdruckslosen Gesichtern. Entweder hatten sie entschieden, die Bemerkung zu überhören oder sie einfach nicht verstanden, was aufgrund ihrer stark militärisch-korrekten, teils bereits asozialen Prägung absolut im Bereich des Möglichen lag.
»Also«, kam der Panzerkommandant auf das Thema zu sprechen, wegen dem Ekko sie in die Kommandozentrale bestellt hatte. Er wollte die Situation nicht noch mehr der Lächerlichkeit preisgeben, der sie sowieso schon anheim zu fallen drohte. »Was haben Sie geplant, Colonel?«
Ekko lächelte, nur um zu wiederholen, was er bereits zuvor gesagt hatte. »Oh, Sie werden begeistert sein!«
Die Begeisterung hielt nicht lange an.
»Nein«, widersprachen Pilot und Panzerkommandant entschieden im Chor. »Ich fliege Frachttransporter, keine Kampfflugzeuge«, fügte ersterer an.
»Ich hatte befürchtet, dass Sie das sagen würden«, erhielt er zur Antwort. »Leider konnte ich keinen der anderen Piloten überreden, eine derartige Irrsinnsaufgabe zu übernehmen. Daher brauche ich Sie.«
»Sie verlangen von mir, mit einer Walküre den Schutz der Kathedralenstadt zu verlassen und mich direkt zwischen die Orks zu stürzen?«
»Nein, nicht direkt. Eigentlich sollen Sie hinter den Orks landen.«
»Das ist doch Wahnsinn! Das könnte nicht mal ein Fliegerass schaffen!«
»Das ist wirklich nicht, was ich hören will«, schoss der Colonel zurück. »Sie sollten eigentlich sagen: ‚Ich lege mein Wohl in die Hände des Imperators. Halte Er Seine schützende Hand über mich. Und wenn die Maschinengeister gnädig sind, sollte auch die Maschine heilbleiben. Bla bla.«
»Sir, damit kann ich nicht dienen. Meine Maschine ist ein Frachttransporter und trägt zweiundzwanzig Tonnen. Darauf bin ich ausgebildet und das kann ich auch transportieren.«
Dass Ekko über diese Aussage nach wie vor nicht glücklich war, konnte man dem Basteter deutlich ansehen. Dass er diese Tatsache allerdings schließlich auf seine eigene, recht eigensinnige Weise kundtat, davor hätte ein umsichtiger Offizier den Flieger warnen sollen. »Sie machen mir gerade einen ganz großartigen Plan kaputt, Gantis. Ein Plan, über dem ich sehr lange gebrütet habe. Und ich meine: sehr lange. Ich habe diesen Plan so gut geplant, dass ein Trainer des Bloody Bowl neidisch auf mich wäre.« Seine braunen Augen nahmen einen undefinierbaren Ausdruck an, als er sich über den ehemaligen Holoplot lehnte. »Und dass Sie darauf beharren, dass Sie die abgeforderte Leistung nicht erreichen, ist …« – hier zögerte er kurz, um das richtige Wort zu finden – »… doof.«
»Das tut mir sehr leid, Sir«, erwiderte Gantis, als er sich ebenfalls vorlehnte. Piloten konnten stur sein.
Sie konnten sogar sehr stur sein – vor allem, wenn es sich bei ihren Gesprächspartnern oder Diskussionsgegnern um Offiziere der Armee handelte, die ihnen und den ihnen anvertrauten Fluggeräten wahnwitzige, sogar undurchführbare Aufgaben angedachten. »Ich sehe aber keinen Weg, dieses Problem zu lösen.«
»Ja, das ist wirklich doof.« Ekko ließ sich davon nicht beeindrucken. Er beugte sich noch ein wenig weiter vor und senkte seine Stimme verschwörerisch. Die bitterböse Ironie, die in seinem Tonfall mitschwang, hallte wie ein Peitschenschlag durch den Raum. »Doch keine Sorge. Ich habe einen Plan.«
»Wirklich?«, fragte der Pilot in demselben sarkastisch-verschwörerischen Ton zurück, mit dem er angesprochen wurde.
»Ja«, nickte der Colonel. »Und er wird Sie begeistern, Gantis.« Mit diesen Worten richtete er sich auf. »Ich befehle Ihnen das Ganze einfach. Das ist ein Angebot, das Sie nicht ablehnen können.«
»Und was, wenn ich es doch tue?«
»Das wäre Befehlsverweigerung – darauf steht die Todesstrafe.«
Fassungslosigkeit grassierte. »Warum haben Sie keinem der anderen Piloten befohlen, die Operation auszuführen?«
»Weil ich die anderen Leute nicht kenne. Sie hingegen sind Basteter, daher habe ich eine grobe Ahnung davon, wie weit ich Ihnen vertrauen kann.«
»Das ist verrückt.«
»Nein, verrückt ist es, einem verlorenen Regiment einen eigenen Planeten zu versprechen. Das hier ist höchstens … ambitioniert.«
»Colonel, Sie haben mir gerade befohlen, mich selbst umzubringen!«, brachte der Pilote hervor.
»Nein«, wiederholte Ekko. »Ich habe Ihnen nur befohlen, mit einem Flieger über die Außenmauer der Kathedrale zu fliegen und meinen Auftrag auszuführen. Was Sie danach machen, bleibt Ihnen überlassen.«
»Ich …«, versuchte Gantis zu sagen, brachte jedoch kein weiteres Wort heraus. Dafür war er selbst viel zu perplex.
Ekko, der die Situation des Piloten richtig erkannte, übernahm das freundlicherweise. »Wenn Sie sonst keine Fragen haben, werden Sie jetzt austreten, in die Flugbereitschaft gehen und sich die entsprechenden Anweisungen dort abholen. Das Personal ist instruiert. Sonst noch was? Nein? Dann ‚bzzzt‘!«, scheuchte er den rangniederen Flieger mit hysterischem Winken seiner Hände aus dem Raum, bevor er sich dem nächsten Störenfried zuwandte: Nurin.
»Und was ist Ihr Problem?«, wollte der Basteter von dem vollkommen verblüfften Desposianer wissen, der (genau wie alle anderen Anwesenden) noch zu verdauen versuchte, was er gerade miterlebt hatte.
»Das fragen Sie? Sie wollen, dass ich mich zwischen die Gehöfte stelle und mit meinem Jagdpanzer auf ein Ziel außerhalb der Kathedrale schieße.«, stellte der Mann zögerlich fest. Es klang mehr wie die etwas unsicher vorgetragene Strophe eines alten Gedichts.
»Ja, und?«, wollte der Colonel wissen. »Bis zur Außenmauer sind Sie doch gekommen, also sollten Sie die paar Meter mehr auch schaffen.«
Das brachte den Kampfeswillen des Desposianers zurück. »Aber das waren Panzerfahrzeuge. Das hier hingegen ist doch Wahnsinn! Was, wenn uns das nicht gelingt?«
»Ich verstehe Ihr Problem nicht.«
»Colonel!«, rief Nurin entrüstet. »Sie reden davon, mit meinem Jagdpanzer einen Orkboss zu erschießen!«
»Bezeichnet man die Jagdpanzer nicht als Scharfschützen?«, schoss Ekko zurück. »Jetzt sagen Sie mir nicht, dass Sie die Erfolgsaussichten dieser Operation anhand einer Machbarkeitsstudie überprüfen wollen.«
Glücklicherweise war Nurin nicht so dumm, des Colonels Aussage in Zweifel zu ziehen. Eine Diskussion mit einem ranghöheren Offizier war nämlich – zumindest, wenn man von imperialen Offizieren sprach – nicht unbedingt als erfolgsversprechend zu betiteln. Und Machbarkeitsstudien, selbst von gesegneten Maschinen durchgeführt, konnten sehr, sehr lange dauern.
»In Ordnung«, gab der Desposianer daher klugerweise nach. »Und wie soll das Ganze ablaufen? Ich meine – die Orks werden Gantis und Sergeant Kroods Leute nicht einfach aus der Festung herausfliegen lassen.« Er schüttelte den Kopf. »Wie wollen Sie die Truppe aus der Stadt rausbringen?«
»Wir können den Schild nur für eine kurze Zeit senken. Dieses Fenster muss reichen«, erklärte der Colonel. »Ich weiß, es ist wenig, daher wird die Ionenkanone mehrere Schüsse abgeben, um ihren Abflug zu decken.«
»Bitte, was?«, stieg Solmaar in das Gespräch ein. »Eine Ionenkanone?«
»Ich wollte nur sehen, ob Sie es bemerken«, klärte der andere Basteter ihn auf, bevor er seinen Blick zurück auf Nurin richtete. »Wir werden den Schild senken, die Nebelwerfer einsetzen und nicht nur die Front des Gegners treffen, sondern eine mächtige Wolke erzeugen, durch die sie dann die Festung verlassen können.«
»Ihren Wahnsinnplan in allen Ehren, Sir, aber … wie machen wir danach weiter?«
»Wir leiten die nächste Phase ein!«
»Wenn es nach mir ginge, würde ich gerne aussteigen.« Nurin kratzte sich am Kopf. »Aber ich habe wohl keine andere Wahl.«
Ekko nickte, selbst schicksalsergeben. »Ich fürchte, da haben Sie Recht. Krood?«
Der Kasrkin trat zwischen die versammelten Offiziere, beugte sich über die auf dem Plottisch ausgelegten Karten und begann, sie großzügig mit dem Finger zu überfahren. »Nachdem uns die Walküre in der Wüste abgesetzt hat, werden wir uns zum Wegpunkt Null begeben. Hier.« Er wies auf eine Stelle, auf der Karte nicht weit entfernt von der Darstellung der Stadtmauer. »Dort werden wir uns vom Träger lösen und eine Gegenbewegung durchführen. Entlang einer abgesteckten Frontlinie infiltrieren wir das Gelände, um in einer Aufklärungsoperation das Zielobjekt auszumachen. Sobald dies geschehen ist, werden wir das Objekt per Entfernungsmesser designieren. Sobald die Jagdpanzer ihre Sichtgeräte mit dem Designator synchronisiert haben, werden Sie das Ziel auf weite Entfernung neutralisieren. Danach wird die Einsatzgruppe über Wegpunkt Null exfiltrieren. Der Träger wird in der Zeit nahe dem Wegpunkt Null warten.«
»Das verstehe ich«, gab Solmaar zu, bevor er den Blick zu Carrick schweifen ließ. »Aber wofür die Jagdpanzer? Ich meine, birgt es nicht ein Risiko, wenn wir den Feind durch eine Dritt-Erfassung bekämpfen?«
Die Dritt-Erfassung, eigentlich eher im artilleristischen Bereich bekannt, bezeichnete ein Verfahren, bei dem die Zielerfassung durch eine dritte Partei erfolgte. Dabei waren weder der Schütze, noch die Waffe an sich aktiv an der Auswahl eines Ziels beteiligt, sondern wurden durch einen abseits von ihnen stehenden Körper eingewiesen.
Das beste Beispiel dafür waren Luftschläge, bei denen Raketen oder Flugkörper anhand eines vom Boden geführten Laserstrahls ins Ziel gelenkt wurden.
Auf jenen Laserstrahl spielten Ekko und Krood an. Das Auspex des Destroyer-Jagdpanzers war in der Lage, den Strahl zu erfassen und sich mit diesem zu synchronisieren. Auf diese Weise konnte ein Destroyer die Laserentfernungsmesser feindlicher Panzerfahrzeuge anvisieren und auf diesen wie ein Blitz Energie ins gegnerische Ziel leiten – meist mit demselben Ergebnis.
Allerdings hatte noch nie zuvor jemand versucht, einen einzelnen Ork mit einem Laser zu designieren und danach zu bekämpfen.
»Ein Jagdpanzer ist immer gut«, erklärte der Colonel, als sei das selbstverständlich. »Aber abgesehen davon geht es mir darum, dafür zu sorgen, dass der Feind auch wirklich stirbt. Es ist nicht sicher, wie weit sich die Kasrkin an den Feind heranarbeiten können, bevor sie in der Lage sind zu bekämpfen, daher möchte ich auf Nummer sicher gehen.«
»Es ist dennoch sehr risikoreich«, gab Nurin zu verstehen. »Ich meine: wir wissen doch noch nicht einmal, wo sich das Gemüse aufhält. Warum pusten wir die Grünhäute nicht einfach mit einer Atomwaffe in den Äther?«
Ekko schüttelte den Kopf. »Kommt gar nicht in Frage. Ich habe da fast eintausend Mann vor dem Tor.«
»Zehntausende gegen eintausend. Ich denke, da muss die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben, Sir. Dieses Opfer lässt sich nicht verhindern.«
»Und wenn es in die Hose geht, fehlen uns die eintausend Mann.« Erneut schüttelte der Colonel den Kopf. »Denn eine wichtige Sache haben Sie vergessen: Wie bringen wir die Ladung an den Feind? Das steht nämlich offen. Ein geeignetes Transportmittel haben wir nicht.« Er meinte eine Rakete. »Nein. Ich will, dass der Feind abgelenkt ist, damit wir uns etwas Neues ausdenken können.«
»Verstehe«, gab der Panzerkommandant nach. »Und wie geht es dann weiter?«
»Rückzug der Kasrkin und der vor dem Tor befindlichen Einheiten. ‚Fliehe weit und schnell‘, heißt es doch in einem alten Soldatensprichwort.«
»Ja, aber bei dem geht es um Desertation, Sir«, wandte Solmaar ein.
Ekko sah ihn an. »Seien Sie froh, dass unser geliebter Kommissar verschieden ist. Der würde jetzt die Ohren spitzen.«
»Wir werden nicht vollgepanzert vorgehen«, erklärte der Elite-Grenadier und trat damit als Diskussionsfraktion erneut in Erscheinung. »Dadurch werden wir mobiler und können uns schneller bewegen.«
»Aber«, fuhr Ekko fort, »da mir klar ist, dass der Plan gewisse Risiken birgt, habe ich Sergeant Numitor dazu geholt.« Er wandte sich an den ehernen Hünen. »Ich weiß, dass Sie über ein entsprechendes Waffenarsenal verfügen, das der Imperialen Armee nicht zur Verfügung steht. Ich bitte Sie, uns eines Ihrer Scoutgewehre zur Verfügung zu stellen«, bat er den Riesen.
»Ich verstehe«, gab der Golem mit rasselnder Stimme zurück, bevor er verstummte.
»Es wäre eine große Ehre«, versicherte ihm der Colonel, auch wenn er wusste, dass dies den Marines nichts bedeutete. »Und eine große Hilfe.«
Zu seiner Überraschung war die Reaktion recht eindeutig.
»Ich denke, Sie sollten eine leistungsfähigere Waffe mit sich führen«, schlug der Marine vor. »Es wird Ihnen möglich sein, diese auch im ungepanzerten Zustand mit sich zu führen. Aber behalten Sie ihre Schulterplatten an«, riet er. »Sie werden sie brauchen.«
»Ich bin überrascht«, gestand der Colonel. »Ich hätte nicht gedacht, dass Sie einfach zustimmen.«
»Ihre Art zu kämpfen und die Fähigkeiten ihrer Männer sind beeindruckend«, erklärte der Marine. »Es ist in der Tat eine Ehre, Sie bei ihrem Tun zu begleiten und Ihnen die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen, Ihre Aufgabe zu erfüllen.«
»Das geht runter wie Promethium«, freute sich der Regimentskommandeur. »Ich wünschte, das Munitorium wäre dermaßen überzeugt von der eigenen Aufgabe. Sind Sie sicher, dass Sie die richtige Bestimmung gefunden haben?«
Numitor schwieg.
Ekko wartete einen Moment, dann nahm er diese Entwicklung als gegeben hin und wandte sich wieder seinem Stab zu.
»Bestehen noch Fragen? Keine? Na, dann Tod und Verderben.«
Sie trennten sich.
»Denken Sie, dass das eine gute Idee ist, Sir?«, wollte Carrick wissen.
»Haben Sie eine bessere?«, gab sein Vorgesetzter müde zurück. »Ich hatte gehofft, dass unser Entsatz irgendwann eintreffen würde, aber es lässt sich nicht länger leugnen: Uns geht allmählich die Kraft aus. Ginge es nur nach Munition, dann könnten wir vermutlich noch ewig kämpfen. Aber geht es nach Moral und verbliebenem Kampfgeist, dann werden wir bei derzeitigem Stand nicht mehr lange durchhalten.« Er zuckte die Achseln. »Wir brauchen Zeit, um zu verschnaufen.«
Als hätte er lediglich darauf gewartet, sprang einer der Funker auf. »Colonel! Colonel Ekko!«
Es war Gireth. Wie genau er das Massaker in der improvisierten Kommandozentrale überlebt hatte, würde wohl immer ein Rätsel bleiben, aber im Augenblick war er einer der wenigen Anker, an den sich der Basteter ketten konnte.
Im Augenblick allerdings wäre es ihm lieber gewesen, der junge Soldat hätte gar nicht existiert.
»Oh, nein«, grummelte der Basteter und fuhr sich mit den Händen erschöpft über das Gesicht. »Die Stimme des unweigerlichen Endes.«
»Colonel!«, rief der Regimentsfunker atemlos, als er schlitternd neben dem Major und dem Colonel zum Halten kam.
»Wie Sie sehen, Gireth, bin ich hier.«
»Captain Blake für Sie; Sir«, meldete der Untergebene und wies in Richtung seines Platzes.
Der Colonel trat an den Tisch, nahm den Handapparat und hielt ihn sich ans Ohr. »Ja?«
Eine schreiende Stimme, teilweise vom Krachen vieler Waffen und dem Donnern von Explosionen überdeckt, antwortete ihm. »Colonel, wir werden überrannt.«
Der Basteter sah auf, dann wandte er sich um. Major Carrick, der ihm gefolgt war, erkannte den Blick, reichte zum Funkgerät und aktivierte den Lautsprecher. Urplötzlich hallten Waffenlärm und Detonationen im Beinhaus wieder. Sämtliche Bewegungen um die beiden Offiziere erstarben. Hätte man das Funkgerät ausgeschaltet, man hätte die Steine atmen hören können.
»Wiederholen Sie«, ordnete Ekko an.
»Mein Zug hat sich im Minarett dreiundvierzig verschanzt, Sir, aber wir wurden vom Feind eingeschlossen. Uns geht die Munition aus. Wir werden überrannt.«
»Ich werde Ihnen eine Truppe zur Unterstützung schicken!«
Carrick schüttelte den Kopf, als er sich zu seinem Vorgesetzten herunterbeugte. »Sir, wir haben derzeit keine Einheiten in ausreichender Stärke.«
Ekko richtete seine braunen Augen auf den blonden Basteter. Ein Ausdruck der Verlorenheit residierte in ihnen. »Ich weiß.«
Offensichtlich wusste auch Blake, dass Ekkos Versprechen nicht erfüllt werden konnte. Er schien es zumindest zu ahnen.
»Sir«, regte er sich, nachdem eine Weile nur Rauschen aus den Lautsprechern gedrungen war. »Ich bitte Sie: Sprengen Sie, Sir.«
Die Welt atmete vor Schreck ein.
»Das meinen Sie nicht ernst«, platzte es aus Ekko heraus.
Ursprünglich hatten die Basteter Möglichkeiten einkalkuliert, im Falle einer unkontrollierten feindlichen Ausbreitung im ersten Ring der Kathedralenstadt bewegungsregulierende Maßnahmen einzuleiten, um das Einströmen des Gegners in die Verteidigungsanlage wieder unter Kontrolle zu bringen.
Neben Straßensperren und Sprengfallen waren große Gebäude, hauptsächlich Türme und Minarette, Teil dieses Plans gewesen. Man hatte sie mit Detonationsvorrichtungen versehen, mit denen sie ‚gelegt‘ werden konnten, sei es nun kabelgesteuert oder per Fernzündung.
Dieses Legen, also die gerichtete Sprengung zu einer Seite weg hätte in jedem Fall genügend Masse auf die Erde gebracht, um jede vorrückende Armee umzulenken – nahm man einmal außen vor, dass die Armee genügend Pionierpersonal und Zeit aufbringen konnte und wollte, um sich durch den Schutt zu graben.
Doch da die Orks sich freundlicherweise immer direkt den imperialen Truppen entgegengestellt hatten, waren diese Verteidigungsmöglichkeiten nicht genutzt worden.
Dennoch existierten die Sprengkörper und deren Zünder nach wie vor. Und sie waren auch verbunden.
Allerdings hatte Ekko bisher keinen Grund darin gesehen, irgendeine der geplanten Sprengungen durchzuführen.
Immerhin gab es eine Tatsache, die sich beim besten Willen nicht ignorieren ließ: Wenn er die Bewegung des Gegners einschränkte, reduzierte er gleichzeitig die Mobilität der eigenen Truppen. Und Mobilität war eine entscheidende Komponente des Häuserkampfs.
Jetzt allerdings rang, nein, nötigte man ihm eine Entscheidung ab, die er am Liebsten weit von sich gewiesen hätte.
Nicht nur, dass er gezwungen wurde, einen Teil jener Männer zu opfern, die er doch retten wollte. Nein, es geschah nicht einmal auf seinen eigenen Willen hin. Vielmehr opferten sich diese Männer, um ihn zu retten. Um dem größeren Wohl zu dienen. Das konnte er nicht zulassen.
»Ich …«, begann er, um dann zu zögern. Er wusste, dass seine restlichen Soldaten die Entscheidung tragen würden. Sie würden sie vielleicht nicht verstehen oder sie gar befürworten, aber sie würden sie tragen.
Die Frage war: konnte er es ihnen gleich tun?
»Für Bastet. Für unsere Lieben …«, begann er schließlich jenen Vers, der ihnen im Kampf gegen die Feindes des Imperators Wegweiser und Trost zugleich gewesen war.
»… für den Imperator«, beendete Blake die Strophe.
Ekko legte das Handgerät zögerlich auf den Tisch, bevor er aufstand.
»Sprengen Sie das Minarett«, ordnete er leise an, dann wandte er sich ab und verließ den Raum.
»Ja, Sir«, erwiderte Carrick grimmig, bevor er seinerseits den Funker an seiner Seite adressierte. »Befehl an den Sprengtrupp: Minarett vier drei sprengen.«
»Jawohl«, bestätigte Gireth mit brechender Stimme. Man konnte ihm ansehen, dass er die Last der Leben spürte, die nun an den Worten aus seinem Mund hingen.
Als hätten sie jemals eine Chance gehabt.
soooo: Nach einem längeren, durch verschiedene Faktoren bedingten Ausfall ist nun der Endspurt für Stargazer angesagt. Drei neue Kapitel habe ich in Petto. Wie viele danach noch kommen, weiß ich nicht – je nachdem, wie rasant sich alles entwickelt. Es werden aber nicht mehr viele sein. Wir dürfen also gespannt sein, wie die Geschichte endet. Jetzt aber erst einmal Kapitel 42!
Film ab!
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Der Abend brach an. Zumindest kroch eine unheimliche Dunkelheit aus der Ferne heran und krallte sich mit den düsteren Klauen langer Schatten hinter jeder Erhebung fest, so als würde sie die Kämpfenden daran erinnern wollen, dass ihre Reise in das Herz der Finsternis führen würde. Eine Reise, an deren Ende das Grauen wartete.
Heftiges Flackern brach durch die improvisierten Barrikaden, mit denen die Basteter die zerborstenen Fenster des Beinhauses versperrt hatten und malte fehlfarbene Lichtmuster an die schwach beleuchteten Wände des arkanen Raums.
Schwere Donnerschläge, kaum bis gar nicht gedämpft, echoten durch die kalte Nachtluft, ließen die Kathedrale bis auf die Grundmauern erbeben.
Eigenartiger Weise erinnerte die Lage Ekko an den Tag, an dem die Orks den Angriff auf die Himmelskathedrale begannen. Die Nacht, in der sie den Außenwall beschossen hatten, ohne dass die Imperialen die Möglichkeit gehabt hätten, ihnen gebührend zu antworten.
Dieses Mal gab es allerdings einen kleinen, jedoch entscheidenden Unterschied: der Platz war deutlich weniger geworden.
Hatte sich das Trommelfeuer des Gegners während der ersten Tage noch über eine größere Fläche verteilt, trafen die Geschoss- und Strahlwaffen nun punktiert auf einen begrenzten Bereich der zweiten Schutzmauer. Und wenn er ehrlich sein sollte musste Ekko zugeben, dass im Grunde er die Orks in diesem Gebiet konzentriert hatte.
Aber hätte es eine andere Möglichkeit gegeben, den Feind zu bekämpfen? Die Chance, all dem zu entgehen, hatten sie längst verspielt.
Er wandte sich um und setzte dort ein, wo er kurz zuvor geendet hatte. »Also, meine Herren, das ist die Situation. Ihre Gedanken dazu?«
Drei Paar Augen blickten ihm mehr oder minder ratlos entgegen.
»Wir müssen sie aufhalten«, brummte Major Carrick, nachdem er eine Weile lang darüber gebrütet hatte, ob er diese Tatsache – offensichtlich für ihr Überleben – wirklich aussprechen, oder sie lieber für sich behalten und etwas anderes, intelligenteres, hätte erwidern sollen.
Ekko schoss ihm einen kurzen Blick zu, bevor er seine Aufmerksamkeit auf den neben ihm stehenden Captain Solmaar richtete. Aber der schien so tief über der Karte versunken, dass er den geräuschlosen Seitenhieb seines Vorgesetzten gar nicht bemerkte.
Also blieb es dem Colonel überlassen, die unliebsame Aufgabe der nächsten Worte zu übernehmen. Aber Ekko wäre beileibe nicht Ekko gewesen, wenn er sich so einfach in sein Schicksal ergeben hätte. Stattdessen leistete er hartnäckig Widerstand, wandte sich an den letzten Mann der Runde, und versuchte, die bösen Geister des Imperators an ihn weiterzuleiten.
Gren Krood erwiderte die stumme Aufforderung mit finster zusammengekniffenen Augen. Auch wenn er sich bisher eher vernünftig verhalten hatte, so waren die Taten Colonel Ekkos nicht vergessen. Immerhin hätte der Colonel das gesamte Kasrkin-Kommando um seiner eigenen Leute Willen geopfert.
Und das würde der Elitegrenadier dem Normalen nie vergeben. Dass der Basteter am liebsten selbst bei ihnen geblieben und gestorben wäre, war ihm nicht klar. Vermutlich hätte es ihn auch gar nicht interessiert.
»Ja«, riss Regimentskommandeur die Umstehenden schließlich aus ihren Gedanken. »Wir müssen sie aufhalten. Aber wie?«
Jetzt endlich kam Bewegung in den Körper von Captain Solmaar. Er richtete sich auf, offensichtlich von einem plötzlichen Gedankenblitz getroffen.
Ekko hatte ihn als Berater für seinen neuesten Plan hinzugezogen, um seinen bisherigen Vertrauten nicht weiter zu belasten. Balgors Laune nach zu urteilen würde der nämlich keine weitere Wahnvorstellung seines Vorgesetzten verkraften.
Doch auch der Hüne Solmaar war für seinen scharfsinnigen Verstand und seine treffenden Einwürfe bekannt.
»Wie groß sind denn unsere Verluste?«, erkundigte er sich nun, um die ersten Grenzen des noch Möglichen abzustecken.
Ekko sah zu Carrick, der sich entnervt über die Nase strich. »Wir versuchen noch, die genauen Verlustzahlen festzustellen, aber einer vorsichtigen Schätzung nach würde ich glatt behaupten, dass wir noch so um die neunhundert bis eintausend Mann in der Festung sind – exklusive der Miliz und Zivilisten.«
»Was? Wir haben in einer Nacht fast eintausend Mann verloren?«, brach es aus Solmaar heraus.
»Na ja«, erwiderte Ekko beinahe schon fröhlich. »Nicht ganz verloren, denn eine beträchtliche Streitmacht steht draußen vor dem Tor und begehrt Einlass. Wir hatten ja erst auf etwa fünfhundert gehofft, aber irgendwie werden es immer mehr.«
Der Captain starrte ihn entgeistert an. Carricks Augen hingegen zeigten ganz deutlich, was er in diesem Moment dachte.
Der Colonel ignorierte ihn. »Da wir nicht davon ausgehen können, dass diese Truppen in nächster Zeit für offensive Operationen zur Verfügung stehen, sollten wir uns darauf konzentrieren, mit den verbliebenen Einheiten solange wie möglich Widerstand zu leisten.«
»Wie … wie darf ich das verstehen?«, erkundigte sich der Schrank von einem Captain. »Das Tor wurde geschlossen und wir haben noch Einheiten draußen?«
Jetzt endlich wandte sich Ekko direkt an seinen Stellvertreter. »Major Carrick?«
Der bissige Blick, der ihm antwortete, konnte nur schwerlich falsch verstanden werden. Dennoch besann sich Carrick auf jene Werte, die man ihm als Offizier einst beigebracht hatte und entschied (zum widerholen Male), den Kern der Mission vor seine persönlichen Gefühle zu stellen. »Zu der Zeit, als das Tor geschlossen wurde, befanden sich noch mehrere Kampfgruppen im Kontakt mit dem Feind«, begann er. »Aufgrund des starken Drucks, den diese Truppenverbände erfuhren, war es unmöglich, sie in die laufende Räumungsoperation einzubeziehen. Die Einheiten sind also aufgefordert worden, ihre Stellung zu halten und den Verteidigungsperimeter in diesem Bereich zu erhalten.« Er wies auf die oberste Karte, deren Ausschnitt den Zugang in den zweiten Ring portraitierte und zeichnete die ungefähre Form der neuen, improvisierten Defensive mit den Fingern nach. Einen Halbkreis bildend, zog sie sich über mehrere Gebäudeblöcke hinweg wie eine Beule um das Eingangstor des zweiten Rings. »Aufgrund der Bedrohungslage ist eine Rückführung der Verbände bisher nicht in Betracht gezogen worden.«
»Kurzum: Wir sind im Augenblick zu feige, das Tor aufzumachen«, warf der dunkelhaarige Basteter ein. »Und das wird sich auch nicht ändern, bevor wir keine Möglichkeit gefunden haben, den Druck auf unsere Stellungen zu mindern. Erst, wenn das geschehen ist, können wir eine Repatriierung dieser Einheiten in die Festung in Betracht ziehen.«
»Klingt, als hätten Sie einen Plan«, bemerkte der hochgewachsene Captain das Offensichtliche.
»Richtig.« Ekko löste sich von seinem Platz, nur um die Männer zu umwandern. »Meine Herren, verraten Sie mir eines: was nimmt einem den Halt?«
»Den Halt?«
»Richtig«, widerholte der Colonel. Seine Augen fokussierten jeden den drei Soldaten. »Wenn das, auf das man sich fokussiert, das man gewöhnt ist, dem man vertraut, einfach nicht mehr da ist. Futsch. Wenn man erlebt, wie es vor den eigenen Augen vernichtet wird.«
»Ich … habe keine Ahnung«, stellte Solmaar fest, nachdem er verfolgt hatte, wie Ekko seine erste Runde um den Plottisch beendete und zur zweiten ansetzte. »Worauf wollen Sie hinaus?«
Rastlos wanderte der Colonel umher, holte seine eigenen Gedanken dabei ein und überrundete sie schließlich. »Was hält den Kampfgeist einer Truppe zusammen?«, erkundigte er sich bei seinem Stellvertreter, obwohl ihm die Antwort längst klar war.
Carrick, durchgehend damit beschäftigt, Blickkontakt zu seinem Bonusmeilen sammelnden Vorgesetzten zu halten, überlegte eine Zeit lang. »Die Moral?«
»Richtig«, erhielt er zur Antwort. »Aber auf wen konzentriert sich die Moral?«
»Auf den Anführer?«
»Richtig.« Ekkos Gesicht hellte sich auf, erfreut über den Funken Verständnis, der nun allmählich das Feuer der Strategie in seinen Untergebenen entfachte – ein Feuer, das in seinem Kopf inzwischen alle Barrieren der Vernunft niedergebrannt hatte. »Was passiert, wenn man uns den Anführer wegnimmt?«
»Unsere Kommandokette bricht zusammen«, erklärte der stellvertretende Regimentskommandeur. »Ohne einen Kommandeur ist der Stab weitestgehend handlungsunfähig – sieht man von einzelnen Offizieren ab, die ihre Einheiten mit Elan und Klugheit führen.«
»Genau.« Ekko nickte. »Aber jetzt kommt der Clou. Denn was passiert, wenn man Orks den Anführer wegnimmt?«
Verwirrung stahl sich auf die Gesichter der beiden Offiziere, die seinen Worten bisher aufmerksam gelauscht hatten. Einzig Krood schien zu verstehen (oder zumindest zu vermuten), worauf Ekko anspielte, denn er versteifte sich unmerklich.
Carrick und Solmaar hingegen verstanden immer noch nicht.
»Also?«, wollte der dunkelhaarige Basteter wissen.
»Sie kämpfen darum, wer der neue …«, begann der Major, brach jedoch gleich wieder ab und ließ verstehend die Schultern sinken. »Aber, Colonel! Das kann nicht Ihr Ernst sein!«
Ekko verzog die Lippen zu einem durchtriebenen Lächeln. »Warum nicht? Krood!«
»Sir!«, sprang der Grenadier an seine Seite.
»Was denken Sie? Machbar?!«
Der Elitesoldat musterte seinen Vorgesetzten mit einem prüfenden Blick, dann griff er nach seiner Seitenwaffe.
Als der Kasrkin-Sergeant die HE-Laserpistole zog, ratschten weitere Holster. Nahezu lautlos richteten sich die Standard-Laserpistolen von Solmaar, Carrick und mehreren anderen Offizieren auf ihn, die bisher abseits der vier um den Plot Stehenden mit der Organisation der Verteidigung der Kathedrale beschäftigt gewesen waren.
Doch zu aller Überraschung versuchte der Grenadier-Sergeant gar nicht, Ekko zu töten. Stattdessen prüfte er seelenruhig den Ladezustand seiner Waffe, bevor er sie mit einer schwungvollen Bewegung zurück ins Holster gleiten ließ.
»Wie sagen Sie immer, Colonel? Tod und Verderben?« Er lächelte finster. »Na dann, lasst sie kommen.«
»Das klingt gut!«, klatschte der Colonel in die Hände. Sein Lächeln verrutschte um keinen Millimeter, auch wenn sich die Gedanken hinter seiner Stirn schlagartig verdüsterten. Er erinnerte sich an eine Situation, deren Basis auf eine ganz ähnliche Weise gelegt worden war – und an deren Ausgang. Denn das letzte Mal, als das jemand zu ihm gesagt hatte, war er kurz danach wirklich tot gewesen.
Schwere Schritte hämmerten auf den kalten Fliesen, die den Fußboden des Hauptgangs vor der Krypta bedeckten, weckten den Colonel aus dem Alptraum der Erinnerung, der sich wie ein Gewitter in seinem Geist zu entladen drohte. Mit einem Rascheln glitt der blickdichte Vorhang des Eingangs zur Seite, entließ einen Neuankömmling in die kühle, vom Summen der Geräte und dem Knistern der Funksprüche erfüllte Luft. Es war Nurin.
»Entschuldigen Sie, dass wir so spät sind, Sir. Es dauerte eine Weile, bis ich die beiden anderen Teilnehmer gefunden hatte.«
Hinter ihm trat Demetrian Gantis durch die unkonventionelle Tür, in seinen olivgrünen, einteiligen Pilotenanzug gehüllt, wich aber postwendend zur Seite aus, um den Weg für einen dritten Neuankömmling Platz zu machen.
»Colonel Ekko?«, röhrte die von Lautsprechern verstärkte Stimme Sergeant Numitors.
Alles wandte sich um. Urplötzlich war es totenstill.
Lediglich die dunkle Stimme Galard Ekkos antwortete, zwar nicht so lautsprecherverstärkt, aber genauso unheimlich wie der Bass des Space Marine. »Schön, dass Sie es einrichten konnten.«
»Es war nicht einfach, den Sergeant zu überzeugen, an dieser Besprechung teilzunehmen«, stellte Nurin sachlich fest.
»Ich bin sowieso überrascht, dass er auf den Herweg nicht einfach durch den Boden gebrochen ist«, bemerkte Ekko trocken.
Während Nurin verwirrt die Augenbrauen zusammenzog und einen Blick zu Carrick warf, der allerdings jeglichen Augenkontakt zu den anderen Anwesenden vermied und Gantis damit beschäftigt war, seine Vorstellungkraft unter Kontrolle zu halten und nicht lauthals loszulachen, schwiegen Krood und Numitor mit ausdruckslosen Gesichtern. Entweder hatten sie entschieden, die Bemerkung zu überhören oder sie einfach nicht verstanden, was aufgrund ihrer stark militärisch-korrekten, teils bereits asozialen Prägung absolut im Bereich des Möglichen lag.
»Also«, kam der Panzerkommandant auf das Thema zu sprechen, wegen dem Ekko sie in die Kommandozentrale bestellt hatte. Er wollte die Situation nicht noch mehr der Lächerlichkeit preisgeben, der sie sowieso schon anheim zu fallen drohte. »Was haben Sie geplant, Colonel?«
Ekko lächelte, nur um zu wiederholen, was er bereits zuvor gesagt hatte. »Oh, Sie werden begeistert sein!«
***
Die Begeisterung hielt nicht lange an.
»Nein«, widersprachen Pilot und Panzerkommandant entschieden im Chor. »Ich fliege Frachttransporter, keine Kampfflugzeuge«, fügte ersterer an.
»Ich hatte befürchtet, dass Sie das sagen würden«, erhielt er zur Antwort. »Leider konnte ich keinen der anderen Piloten überreden, eine derartige Irrsinnsaufgabe zu übernehmen. Daher brauche ich Sie.«
»Sie verlangen von mir, mit einer Walküre den Schutz der Kathedralenstadt zu verlassen und mich direkt zwischen die Orks zu stürzen?«
»Nein, nicht direkt. Eigentlich sollen Sie hinter den Orks landen.«
»Das ist doch Wahnsinn! Das könnte nicht mal ein Fliegerass schaffen!«
»Das ist wirklich nicht, was ich hören will«, schoss der Colonel zurück. »Sie sollten eigentlich sagen: ‚Ich lege mein Wohl in die Hände des Imperators. Halte Er Seine schützende Hand über mich. Und wenn die Maschinengeister gnädig sind, sollte auch die Maschine heilbleiben. Bla bla.«
»Sir, damit kann ich nicht dienen. Meine Maschine ist ein Frachttransporter und trägt zweiundzwanzig Tonnen. Darauf bin ich ausgebildet und das kann ich auch transportieren.«
Dass Ekko über diese Aussage nach wie vor nicht glücklich war, konnte man dem Basteter deutlich ansehen. Dass er diese Tatsache allerdings schließlich auf seine eigene, recht eigensinnige Weise kundtat, davor hätte ein umsichtiger Offizier den Flieger warnen sollen. »Sie machen mir gerade einen ganz großartigen Plan kaputt, Gantis. Ein Plan, über dem ich sehr lange gebrütet habe. Und ich meine: sehr lange. Ich habe diesen Plan so gut geplant, dass ein Trainer des Bloody Bowl neidisch auf mich wäre.« Seine braunen Augen nahmen einen undefinierbaren Ausdruck an, als er sich über den ehemaligen Holoplot lehnte. »Und dass Sie darauf beharren, dass Sie die abgeforderte Leistung nicht erreichen, ist …« – hier zögerte er kurz, um das richtige Wort zu finden – »… doof.«
»Das tut mir sehr leid, Sir«, erwiderte Gantis, als er sich ebenfalls vorlehnte. Piloten konnten stur sein.
Sie konnten sogar sehr stur sein – vor allem, wenn es sich bei ihren Gesprächspartnern oder Diskussionsgegnern um Offiziere der Armee handelte, die ihnen und den ihnen anvertrauten Fluggeräten wahnwitzige, sogar undurchführbare Aufgaben angedachten. »Ich sehe aber keinen Weg, dieses Problem zu lösen.«
»Ja, das ist wirklich doof.« Ekko ließ sich davon nicht beeindrucken. Er beugte sich noch ein wenig weiter vor und senkte seine Stimme verschwörerisch. Die bitterböse Ironie, die in seinem Tonfall mitschwang, hallte wie ein Peitschenschlag durch den Raum. »Doch keine Sorge. Ich habe einen Plan.«
»Wirklich?«, fragte der Pilot in demselben sarkastisch-verschwörerischen Ton zurück, mit dem er angesprochen wurde.
»Ja«, nickte der Colonel. »Und er wird Sie begeistern, Gantis.« Mit diesen Worten richtete er sich auf. »Ich befehle Ihnen das Ganze einfach. Das ist ein Angebot, das Sie nicht ablehnen können.«
»Und was, wenn ich es doch tue?«
»Das wäre Befehlsverweigerung – darauf steht die Todesstrafe.«
Fassungslosigkeit grassierte. »Warum haben Sie keinem der anderen Piloten befohlen, die Operation auszuführen?«
»Weil ich die anderen Leute nicht kenne. Sie hingegen sind Basteter, daher habe ich eine grobe Ahnung davon, wie weit ich Ihnen vertrauen kann.«
»Das ist verrückt.«
»Nein, verrückt ist es, einem verlorenen Regiment einen eigenen Planeten zu versprechen. Das hier ist höchstens … ambitioniert.«
»Colonel, Sie haben mir gerade befohlen, mich selbst umzubringen!«, brachte der Pilote hervor.
»Nein«, wiederholte Ekko. »Ich habe Ihnen nur befohlen, mit einem Flieger über die Außenmauer der Kathedrale zu fliegen und meinen Auftrag auszuführen. Was Sie danach machen, bleibt Ihnen überlassen.«
»Ich …«, versuchte Gantis zu sagen, brachte jedoch kein weiteres Wort heraus. Dafür war er selbst viel zu perplex.
Ekko, der die Situation des Piloten richtig erkannte, übernahm das freundlicherweise. »Wenn Sie sonst keine Fragen haben, werden Sie jetzt austreten, in die Flugbereitschaft gehen und sich die entsprechenden Anweisungen dort abholen. Das Personal ist instruiert. Sonst noch was? Nein? Dann ‚bzzzt‘!«, scheuchte er den rangniederen Flieger mit hysterischem Winken seiner Hände aus dem Raum, bevor er sich dem nächsten Störenfried zuwandte: Nurin.
»Und was ist Ihr Problem?«, wollte der Basteter von dem vollkommen verblüfften Desposianer wissen, der (genau wie alle anderen Anwesenden) noch zu verdauen versuchte, was er gerade miterlebt hatte.
»Das fragen Sie? Sie wollen, dass ich mich zwischen die Gehöfte stelle und mit meinem Jagdpanzer auf ein Ziel außerhalb der Kathedrale schieße.«, stellte der Mann zögerlich fest. Es klang mehr wie die etwas unsicher vorgetragene Strophe eines alten Gedichts.
»Ja, und?«, wollte der Colonel wissen. »Bis zur Außenmauer sind Sie doch gekommen, also sollten Sie die paar Meter mehr auch schaffen.«
Das brachte den Kampfeswillen des Desposianers zurück. »Aber das waren Panzerfahrzeuge. Das hier hingegen ist doch Wahnsinn! Was, wenn uns das nicht gelingt?«
»Ich verstehe Ihr Problem nicht.«
»Colonel!«, rief Nurin entrüstet. »Sie reden davon, mit meinem Jagdpanzer einen Orkboss zu erschießen!«
»Bezeichnet man die Jagdpanzer nicht als Scharfschützen?«, schoss Ekko zurück. »Jetzt sagen Sie mir nicht, dass Sie die Erfolgsaussichten dieser Operation anhand einer Machbarkeitsstudie überprüfen wollen.«
Glücklicherweise war Nurin nicht so dumm, des Colonels Aussage in Zweifel zu ziehen. Eine Diskussion mit einem ranghöheren Offizier war nämlich – zumindest, wenn man von imperialen Offizieren sprach – nicht unbedingt als erfolgsversprechend zu betiteln. Und Machbarkeitsstudien, selbst von gesegneten Maschinen durchgeführt, konnten sehr, sehr lange dauern.
»In Ordnung«, gab der Desposianer daher klugerweise nach. »Und wie soll das Ganze ablaufen? Ich meine – die Orks werden Gantis und Sergeant Kroods Leute nicht einfach aus der Festung herausfliegen lassen.« Er schüttelte den Kopf. »Wie wollen Sie die Truppe aus der Stadt rausbringen?«
»Wir können den Schild nur für eine kurze Zeit senken. Dieses Fenster muss reichen«, erklärte der Colonel. »Ich weiß, es ist wenig, daher wird die Ionenkanone mehrere Schüsse abgeben, um ihren Abflug zu decken.«
»Bitte, was?«, stieg Solmaar in das Gespräch ein. »Eine Ionenkanone?«
»Ich wollte nur sehen, ob Sie es bemerken«, klärte der andere Basteter ihn auf, bevor er seinen Blick zurück auf Nurin richtete. »Wir werden den Schild senken, die Nebelwerfer einsetzen und nicht nur die Front des Gegners treffen, sondern eine mächtige Wolke erzeugen, durch die sie dann die Festung verlassen können.«
»Ihren Wahnsinnplan in allen Ehren, Sir, aber … wie machen wir danach weiter?«
»Wir leiten die nächste Phase ein!«
»Wenn es nach mir ginge, würde ich gerne aussteigen.« Nurin kratzte sich am Kopf. »Aber ich habe wohl keine andere Wahl.«
Ekko nickte, selbst schicksalsergeben. »Ich fürchte, da haben Sie Recht. Krood?«
Der Kasrkin trat zwischen die versammelten Offiziere, beugte sich über die auf dem Plottisch ausgelegten Karten und begann, sie großzügig mit dem Finger zu überfahren. »Nachdem uns die Walküre in der Wüste abgesetzt hat, werden wir uns zum Wegpunkt Null begeben. Hier.« Er wies auf eine Stelle, auf der Karte nicht weit entfernt von der Darstellung der Stadtmauer. »Dort werden wir uns vom Träger lösen und eine Gegenbewegung durchführen. Entlang einer abgesteckten Frontlinie infiltrieren wir das Gelände, um in einer Aufklärungsoperation das Zielobjekt auszumachen. Sobald dies geschehen ist, werden wir das Objekt per Entfernungsmesser designieren. Sobald die Jagdpanzer ihre Sichtgeräte mit dem Designator synchronisiert haben, werden Sie das Ziel auf weite Entfernung neutralisieren. Danach wird die Einsatzgruppe über Wegpunkt Null exfiltrieren. Der Träger wird in der Zeit nahe dem Wegpunkt Null warten.«
»Das verstehe ich«, gab Solmaar zu, bevor er den Blick zu Carrick schweifen ließ. »Aber wofür die Jagdpanzer? Ich meine, birgt es nicht ein Risiko, wenn wir den Feind durch eine Dritt-Erfassung bekämpfen?«
Die Dritt-Erfassung, eigentlich eher im artilleristischen Bereich bekannt, bezeichnete ein Verfahren, bei dem die Zielerfassung durch eine dritte Partei erfolgte. Dabei waren weder der Schütze, noch die Waffe an sich aktiv an der Auswahl eines Ziels beteiligt, sondern wurden durch einen abseits von ihnen stehenden Körper eingewiesen.
Das beste Beispiel dafür waren Luftschläge, bei denen Raketen oder Flugkörper anhand eines vom Boden geführten Laserstrahls ins Ziel gelenkt wurden.
Auf jenen Laserstrahl spielten Ekko und Krood an. Das Auspex des Destroyer-Jagdpanzers war in der Lage, den Strahl zu erfassen und sich mit diesem zu synchronisieren. Auf diese Weise konnte ein Destroyer die Laserentfernungsmesser feindlicher Panzerfahrzeuge anvisieren und auf diesen wie ein Blitz Energie ins gegnerische Ziel leiten – meist mit demselben Ergebnis.
Allerdings hatte noch nie zuvor jemand versucht, einen einzelnen Ork mit einem Laser zu designieren und danach zu bekämpfen.
»Ein Jagdpanzer ist immer gut«, erklärte der Colonel, als sei das selbstverständlich. »Aber abgesehen davon geht es mir darum, dafür zu sorgen, dass der Feind auch wirklich stirbt. Es ist nicht sicher, wie weit sich die Kasrkin an den Feind heranarbeiten können, bevor sie in der Lage sind zu bekämpfen, daher möchte ich auf Nummer sicher gehen.«
»Es ist dennoch sehr risikoreich«, gab Nurin zu verstehen. »Ich meine: wir wissen doch noch nicht einmal, wo sich das Gemüse aufhält. Warum pusten wir die Grünhäute nicht einfach mit einer Atomwaffe in den Äther?«
Ekko schüttelte den Kopf. »Kommt gar nicht in Frage. Ich habe da fast eintausend Mann vor dem Tor.«
»Zehntausende gegen eintausend. Ich denke, da muss die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben, Sir. Dieses Opfer lässt sich nicht verhindern.«
»Und wenn es in die Hose geht, fehlen uns die eintausend Mann.« Erneut schüttelte der Colonel den Kopf. »Denn eine wichtige Sache haben Sie vergessen: Wie bringen wir die Ladung an den Feind? Das steht nämlich offen. Ein geeignetes Transportmittel haben wir nicht.« Er meinte eine Rakete. »Nein. Ich will, dass der Feind abgelenkt ist, damit wir uns etwas Neues ausdenken können.«
»Verstehe«, gab der Panzerkommandant nach. »Und wie geht es dann weiter?«
»Rückzug der Kasrkin und der vor dem Tor befindlichen Einheiten. ‚Fliehe weit und schnell‘, heißt es doch in einem alten Soldatensprichwort.«
»Ja, aber bei dem geht es um Desertation, Sir«, wandte Solmaar ein.
Ekko sah ihn an. »Seien Sie froh, dass unser geliebter Kommissar verschieden ist. Der würde jetzt die Ohren spitzen.«
»Wir werden nicht vollgepanzert vorgehen«, erklärte der Elite-Grenadier und trat damit als Diskussionsfraktion erneut in Erscheinung. »Dadurch werden wir mobiler und können uns schneller bewegen.«
»Aber«, fuhr Ekko fort, »da mir klar ist, dass der Plan gewisse Risiken birgt, habe ich Sergeant Numitor dazu geholt.« Er wandte sich an den ehernen Hünen. »Ich weiß, dass Sie über ein entsprechendes Waffenarsenal verfügen, das der Imperialen Armee nicht zur Verfügung steht. Ich bitte Sie, uns eines Ihrer Scoutgewehre zur Verfügung zu stellen«, bat er den Riesen.
»Ich verstehe«, gab der Golem mit rasselnder Stimme zurück, bevor er verstummte.
»Es wäre eine große Ehre«, versicherte ihm der Colonel, auch wenn er wusste, dass dies den Marines nichts bedeutete. »Und eine große Hilfe.«
Zu seiner Überraschung war die Reaktion recht eindeutig.
»Ich denke, Sie sollten eine leistungsfähigere Waffe mit sich führen«, schlug der Marine vor. »Es wird Ihnen möglich sein, diese auch im ungepanzerten Zustand mit sich zu führen. Aber behalten Sie ihre Schulterplatten an«, riet er. »Sie werden sie brauchen.«
»Ich bin überrascht«, gestand der Colonel. »Ich hätte nicht gedacht, dass Sie einfach zustimmen.«
»Ihre Art zu kämpfen und die Fähigkeiten ihrer Männer sind beeindruckend«, erklärte der Marine. »Es ist in der Tat eine Ehre, Sie bei ihrem Tun zu begleiten und Ihnen die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen, Ihre Aufgabe zu erfüllen.«
»Das geht runter wie Promethium«, freute sich der Regimentskommandeur. »Ich wünschte, das Munitorium wäre dermaßen überzeugt von der eigenen Aufgabe. Sind Sie sicher, dass Sie die richtige Bestimmung gefunden haben?«
Numitor schwieg.
Ekko wartete einen Moment, dann nahm er diese Entwicklung als gegeben hin und wandte sich wieder seinem Stab zu.
»Bestehen noch Fragen? Keine? Na, dann Tod und Verderben.«
Sie trennten sich.
»Denken Sie, dass das eine gute Idee ist, Sir?«, wollte Carrick wissen.
»Haben Sie eine bessere?«, gab sein Vorgesetzter müde zurück. »Ich hatte gehofft, dass unser Entsatz irgendwann eintreffen würde, aber es lässt sich nicht länger leugnen: Uns geht allmählich die Kraft aus. Ginge es nur nach Munition, dann könnten wir vermutlich noch ewig kämpfen. Aber geht es nach Moral und verbliebenem Kampfgeist, dann werden wir bei derzeitigem Stand nicht mehr lange durchhalten.« Er zuckte die Achseln. »Wir brauchen Zeit, um zu verschnaufen.«
Als hätte er lediglich darauf gewartet, sprang einer der Funker auf. »Colonel! Colonel Ekko!«
Es war Gireth. Wie genau er das Massaker in der improvisierten Kommandozentrale überlebt hatte, würde wohl immer ein Rätsel bleiben, aber im Augenblick war er einer der wenigen Anker, an den sich der Basteter ketten konnte.
Im Augenblick allerdings wäre es ihm lieber gewesen, der junge Soldat hätte gar nicht existiert.
»Oh, nein«, grummelte der Basteter und fuhr sich mit den Händen erschöpft über das Gesicht. »Die Stimme des unweigerlichen Endes.«
»Colonel!«, rief der Regimentsfunker atemlos, als er schlitternd neben dem Major und dem Colonel zum Halten kam.
»Wie Sie sehen, Gireth, bin ich hier.«
»Captain Blake für Sie; Sir«, meldete der Untergebene und wies in Richtung seines Platzes.
Der Colonel trat an den Tisch, nahm den Handapparat und hielt ihn sich ans Ohr. »Ja?«
Eine schreiende Stimme, teilweise vom Krachen vieler Waffen und dem Donnern von Explosionen überdeckt, antwortete ihm. »Colonel, wir werden überrannt.«
Der Basteter sah auf, dann wandte er sich um. Major Carrick, der ihm gefolgt war, erkannte den Blick, reichte zum Funkgerät und aktivierte den Lautsprecher. Urplötzlich hallten Waffenlärm und Detonationen im Beinhaus wieder. Sämtliche Bewegungen um die beiden Offiziere erstarben. Hätte man das Funkgerät ausgeschaltet, man hätte die Steine atmen hören können.
»Wiederholen Sie«, ordnete Ekko an.
»Mein Zug hat sich im Minarett dreiundvierzig verschanzt, Sir, aber wir wurden vom Feind eingeschlossen. Uns geht die Munition aus. Wir werden überrannt.«
»Ich werde Ihnen eine Truppe zur Unterstützung schicken!«
Carrick schüttelte den Kopf, als er sich zu seinem Vorgesetzten herunterbeugte. »Sir, wir haben derzeit keine Einheiten in ausreichender Stärke.«
Ekko richtete seine braunen Augen auf den blonden Basteter. Ein Ausdruck der Verlorenheit residierte in ihnen. »Ich weiß.«
Offensichtlich wusste auch Blake, dass Ekkos Versprechen nicht erfüllt werden konnte. Er schien es zumindest zu ahnen.
»Sir«, regte er sich, nachdem eine Weile nur Rauschen aus den Lautsprechern gedrungen war. »Ich bitte Sie: Sprengen Sie, Sir.«
Die Welt atmete vor Schreck ein.
»Das meinen Sie nicht ernst«, platzte es aus Ekko heraus.
Ursprünglich hatten die Basteter Möglichkeiten einkalkuliert, im Falle einer unkontrollierten feindlichen Ausbreitung im ersten Ring der Kathedralenstadt bewegungsregulierende Maßnahmen einzuleiten, um das Einströmen des Gegners in die Verteidigungsanlage wieder unter Kontrolle zu bringen.
Neben Straßensperren und Sprengfallen waren große Gebäude, hauptsächlich Türme und Minarette, Teil dieses Plans gewesen. Man hatte sie mit Detonationsvorrichtungen versehen, mit denen sie ‚gelegt‘ werden konnten, sei es nun kabelgesteuert oder per Fernzündung.
Dieses Legen, also die gerichtete Sprengung zu einer Seite weg hätte in jedem Fall genügend Masse auf die Erde gebracht, um jede vorrückende Armee umzulenken – nahm man einmal außen vor, dass die Armee genügend Pionierpersonal und Zeit aufbringen konnte und wollte, um sich durch den Schutt zu graben.
Doch da die Orks sich freundlicherweise immer direkt den imperialen Truppen entgegengestellt hatten, waren diese Verteidigungsmöglichkeiten nicht genutzt worden.
Dennoch existierten die Sprengkörper und deren Zünder nach wie vor. Und sie waren auch verbunden.
Allerdings hatte Ekko bisher keinen Grund darin gesehen, irgendeine der geplanten Sprengungen durchzuführen.
Immerhin gab es eine Tatsache, die sich beim besten Willen nicht ignorieren ließ: Wenn er die Bewegung des Gegners einschränkte, reduzierte er gleichzeitig die Mobilität der eigenen Truppen. Und Mobilität war eine entscheidende Komponente des Häuserkampfs.
Jetzt allerdings rang, nein, nötigte man ihm eine Entscheidung ab, die er am Liebsten weit von sich gewiesen hätte.
Nicht nur, dass er gezwungen wurde, einen Teil jener Männer zu opfern, die er doch retten wollte. Nein, es geschah nicht einmal auf seinen eigenen Willen hin. Vielmehr opferten sich diese Männer, um ihn zu retten. Um dem größeren Wohl zu dienen. Das konnte er nicht zulassen.
»Ich …«, begann er, um dann zu zögern. Er wusste, dass seine restlichen Soldaten die Entscheidung tragen würden. Sie würden sie vielleicht nicht verstehen oder sie gar befürworten, aber sie würden sie tragen.
Die Frage war: konnte er es ihnen gleich tun?
»Für Bastet. Für unsere Lieben …«, begann er schließlich jenen Vers, der ihnen im Kampf gegen die Feindes des Imperators Wegweiser und Trost zugleich gewesen war.
»… für den Imperator«, beendete Blake die Strophe.
Ekko legte das Handgerät zögerlich auf den Tisch, bevor er aufstand.
»Sprengen Sie das Minarett«, ordnete er leise an, dann wandte er sich ab und verließ den Raum.
»Ja, Sir«, erwiderte Carrick grimmig, bevor er seinerseits den Funker an seiner Seite adressierte. »Befehl an den Sprengtrupp: Minarett vier drei sprengen.«
»Jawohl«, bestätigte Gireth mit brechender Stimme. Man konnte ihm ansehen, dass er die Last der Leben spürte, die nun an den Worten aus seinem Mund hingen.
Als hätten sie jemals eine Chance gehabt.