Hermiles steuerte den Frachter, wie in Trance. Er konnte immer noch nicht fassen, was er in den letzten Minuten mit ansehen musste. Nicht genug, dass er aus der Gefangenschaft der offensichtlich gewalttätigen Dark Angels befreit worden war. Nein, Lars und Sam waren ebenfalls Mitglieder dieses Ordens, wenn man den Insignien ihrer schwarzen Rüstungen Glauben schenken durfte. Er hatte die ganzen vergangenen Monate in Begleitung der zwei Hünen verbracht und nicht das geringste geahnt, bevor sie ins Dahlemsystem gekommen waren. Und nun hatte Lars mit den Sensoren des BOTEN das schwarze Thunderhawk-Landungsschiff, mit dem die Dark Angels vom Schlachtkreuzer LICHTBRINGER gekommen waren, entdeckt. Er hatte Hermiles befohlen, zur Position des Schiffes zu fliegen und war dann in dessen Innern verschwunden.
Kapitän Le Counte hatte zu all dem nichts weiter gesagt und sich allen Anweisungen von Lars gefügt. Offenbar überlegte er schon seit geraumer Zeit, wie er und sein Schiff wieder heil und am sichersten aus dieser Misere heraus kamen. Dann war Lars wieder aufgetaucht. Er hatte einen Antigrav-Stapler im Schlepptau, der mit allerlei Ausrüstungsgegenständen beladen war und schob ihn in den Ladehangar des BOTEN. Danach war er wieder in der Brücke erschienen und hatte Hermiles befohlen, zurück zur Absturzstelle zu fliegen. Da der Kapitän weiterhin schwieg, hatte sich auch Hermiles entschieden, Lars, der ihn jederzeit mit seinen Fingern, wie eine Fliege, zerquetschen konnte, wenn er gewollt hätte, nicht zu widersprechen.
Kurz darauf explodierte das Thunderhawk an mehreren Stellen und brannte lichterloh. Lars hatte es zerstört. Ein Fahrzeug der Space Marines, das mit den wohl besten und stärksten Waffen ausgerüstet gewesen war, die für diese Schiffsklassen zu bekommen waren. Einige dieser Landungsschiffe waren schon tausende von Jahren alt und wurden fast religiös verehrt und gewahrtet. Es war einfach ein Sakrileg, ein Stück solch alter und seltener Technologie zu zerstören. Zu verschwenden!
Als sie dann etwa die Hälfte der Strecke zur Absturzstelle zurück gelegt hatten, wurde der Horizont von einem gleißenden Lichtblitz erhellt und alle Sensoren fielen für einige Sekunden aus. Hermiles hatte mit der Steuerung zu kämpfen, bevor der BOTE wieder in ruhiger Bahn durch die Luft glitt. Etwas Gewaltiges musste explodiert sein. „Liegt da etwa die Absturzstelle?“ Johanns Stimme klang ungläubig, als er die pilzförmige Rauchwolke sah, die sich unmittelbar nach dem Blitz am Horizont erhob. „Ja, Kapitän. Die Sensoren zeigen an, das die Wolke aus Sand, Gestein, und Metall besteht. Keine Strahlung oder chemische Kampfstoffe. Es ist ganz einfach aufgewirbelter Dreck!“, hauchte Hermiles, der sich nicht vorstellen konnte, was an der Absturzstelle eine solche Explosion hervorrufen konnte. „Was, beim Imperator, kann eine solche Explosion verursachen, ohne ein taktischer Atomsprengkopf zu sein?“, fragte der Kapitän. Seine Stimme klang fast ehrfürchtig. „Ich kann es mir denken.“, antwortete Lars und verlies die Brücke in Richtung des Ladehangars. Kapitän und Navigator warfen sich viel sagende Blicke zu und richteten dann wieder ihre Aufmerksamkeit auf die Sensoren. Beide hatten beschlossen, das sie gar nicht wirklich wissen wollten, was genau passiert war. Und Lars schien auch nicht die geringste Lust zu verspüren ein weiteres Wort darüber zu verlieren.
Viele Minuten später hatten sie die Absturzstelle überflogen und sahen ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Ein tiefer Krater und verbrannte Erde. Viel verbrannte Erde. Im Umkreis von mehreren hundert Metern, würde so bald nichts mehr wachsen. Alles war schwarz und mit Ruß und Asche bedeckt. Kein Stein war auf dem anderen geblieben und die einstige Schürfrinne, die der abgestürzte Raumfrachter in den Boden von Dahlem gepflügt hatte war ebenso verschwunden, wie einige leichte Hügel, die vorher die karge Landschaft geprägt hatten. Hier waren Kräfte am Werk gewesen, die weit über dem lagen, was Hermiles und Johann je gesehen hatten. Nichts Lebendiges konnte diese Katastrophe überstanden haben.
Mit einem leichten Anflug von Trauer dachte Hermiles an Sam, der sich für sie geopfert hatte, damit sie den Dark Angels entkommen konnten. Er war wahrlich ein Space Marine gewesen. Einer jener Helden, über die Geschichten erzählt wurden und um die sich Legenden rankten. Etwas, dass Hermiles mit den brutalen Dark Angels in keinster Weise verbinden konnte. Sie waren ganz anders gewesen, als er es gedacht hatte. Lars war inzwischen an seine Station zurückgekehrt und scannte die Umgebung. Das Schicksal seines Bruders schien ihn nicht im geringsten nahe zu gehen. Schweigsam und kühl, wie eh und je, stand er da und beobachtete die Bildschirme. Was suchte er? Hier gab es nichts mehr zu sehen oder zu holen. „Hermiles fliege in nördliche Richtung. Aber langsam.“ Fragende Blicke vom Kapitän. Hatte der Space Marine etwas entdeckt, was zwei erfahrenen Schmugglern entgangen sein könnte? Hermiles zuckte mit den Schultern und steuerte nach Norden. Lars schaltete seine Konsole auf den reparierten Hauptschirm. Karge Steppe und sanfte Hügel. Nichts Besonderes. Die Außenkameras schwenkten hin und her. Dann schien Lars etwas entdeckt zu haben. Das Bild zoomte um ein Vielfaches heran. Fast wäre der Frachter abgesackt, als Hermiles erstaunt die Steuerung losließ. Auch dem Kapitän fielen fast die Augen aus dem Kopf, als er sah, was Lars entdeckt hatte.
Es war Sam in seiner schwarzen Servorüstung, der sich langsam durch die Einöde schleppte.
***
Gessel hatte sich unauffällig abgesetzt, als die Männer eine weitere Rast eingelegt hatten. Sie waren nun in den Randbereichen der ehemaligen Makropole und der imperiale Funkverkehr hatte wieder zugenommen. Es würde nicht mehr lange dauern und die Männer würden auf weitere imperiale Truppen stoßen. Aber er hatte sich seinen Anteil aus den Gütern gesichert, welche die Panzertruppe vor zwei Tagen zurückgelassenen hatte, und würde sich so ein paar Tage lang allein durchschlagen können. Um ihn herum die Ruinen seiner Heimat. Das tote Gerippe der einstigen Makropole, die alles gewesen war, was ihn ausmachte. Nun fühlte er sich wie diese zerstörte Stadt. Besiegt, verlassen und ausgebrannt. Mit einem ironischen Lächeln dachte er zurück an die Zeit bevor das Imperium kam, um sich seinen ihm zustehenden Teil zu holen. Bevor die imperiale Armee landete und die Black Angels als Verstärkung nachholten. Wie hochnäsig sie doch alle gewesen waren. Wie arrogant, zu glauben sie seien gewappnet, gegen alles was da kommen würde. Sie hatten angenommen sie seien zu unwichtig, als das der Arm des Imperators mit ganzer Härte zuschlagen würde. Keiner hatte damit gerechnet sich gegen einen unbekannten Dritten zu verteidigen. Jemand, der den Bürgerkrieg auszunutzen wusste, um Dahlem alles zu nehmen, was sich noch irgendwie verwenden lies. Keiner hatte mit den Massen von Xenos und Piraten gerechnet, die wie Heuschreckenschwärme über die sich bekämpfenden Menschen herfielen. Keiner hatte gewusst, dass es möglich war, plötzlich den Himmel zu verdunkeln.
Er hatte ein angeschlagenes Stabstagebuch der Dahlem-Miliz aus den Fingern eines Toten geborgen und den Speicherchip aktiviert. Die Makropole, die einst das Herz von Dahlem war, war nur eines von vielen Zielen gewesen. Die mysteriösen Fremden waren auch über anderen wirtschaftlichen Zentren Dahlems aufgetaucht und hatten geplündert und getötet. Einige Meldungen waren noch von dem verbliebenen zwei Kontinenten herüber gekommen, bevor jegliche Verbindung zu ihnen abgebrochen war. Diese Invasion war der Todesstoss für das Dahlem-Militär gewesen, dass nun auch aller Nachschubwege und Rohstoffquellen beraubt war. Die Imperiale Armee würde sich in ihre Raumschiffe zurück ziehen, die sie abholen und zu neuen Welten bringen würden. Aber Gessel und sein Volk, oder das was davon noch übrig war, mussten nun wieder von ganz vorne anfangen. Alles was sie sich in Jahrtausenden nach der ersten Kolonisierung von Dahlem erarbeitet hatten, war nun vergessen. Das Imperium würde seinen Griff um Dahlem nie wieder lockern. Die Rebellion war gescheitert.
Der ehemalige Korporal war sich sicher, dass er, sobald er mit Mitters Männern eines der Imperialen Lager erreicht hätte, sofort als Verräter erschossen worden wäre. Irgendein ehrgeiziger Kommissar oder Offizier fand sich immer für eine solche Aufgabe. Nein, dann lieber allein durchschlagen und versuchen zu überleben. Irgendwo waren weitere versprengte Dahlem-Rebellen. Irgendwer würde wissen, wie es weiterging. Ja, er würde für Dahlem kämpfen. Er würde sich dem Imperium nie geschlagen geben. Keiner würde das Volk diese Planeten wirklich unterdrücken können. Er schwor sich dafür zu kämpfen, solange er lebte. Verdammtes Imperium! Zum Chaos mit dem Imperator!
>Klick<
Klick? Gessel schaute zu Boden. Doch da explodierte die versteckte Mine auch schon.
***
Plantan rannte durch den langen dunklen Tunnel, der sich ewig hinzuziehen schien. Schon unzählige Male hatte er geglaubt, die richtige Abzweigung zum Ausgang gefunden zu haben, war aber jedes Mal in einen noch dunkleren Gang gelangt. Hinter sich die Geräusche seiner Verfolger, immer, wenn er sich ihnen stellen wollte, verschwanden. Manchmal hörte er vor sich Kampflärm, Schreie und Schüsse aus Bolterwaffen. Doch auch diese verschwanden sofort, wenn er glaubte sie gleich erreicht zu haben. Er war allein. Keiner seiner Brüder war bei ihm. Nicht einmal Forius, sein Mentor. Wie vermisste er jetzt seinen wissenden Rat und seine befehlende Stimme. Die Tunnelwände wurden enger und schwärzer. Seine Helmsensoren zeigten absolut nichts an. Die Dunkelheit verschlang jegliches Licht und Geräusch. Nur die leisen Pieptöne der Rüstungssysteme, die ihm Herzschlag und Körperfunktionen anzeigten, waren die einzigen Geräusche die er wahrnahm. Und sein eigener Atem. Die Wände waren nun so dicht beieinander, dass er sich nicht mehr umwenden konnte, selbst wenn er es gewollt hätte. Nicht einmal mehr rückwärts gehen konnte. Seine Rüstung verkantete sich dann so sehr, das er befürchten musste, stecken zu bleiben. Auch wenn er stehen blieb um zu versuchen, sich zu orientieren, spürte er wie sich hinter ihm die Wände zu schließen begannen. Wenn er nicht eingeschlossen werden wollte, musste er weiter. Immer weiter, immer vorwärts. Die Enge schien ihn nun erdrücken zu wollen. Schneller! Schneller! Die Herztöne beschleunigten sich und seine servounterstützten Muskeln versuchten gegen die immer enger werdenden Tunnelwände anzukämpfen. Es war fast als würde er durch Sirup laufen. Etwas scharrte über seine Rüstung. Die Innentemperatur begann anzusteigen. Zwischen die schnell piependen Herztöne mischten sich nun Warntöne, die von der Überlastung einiger Rüstungssysteme kündeten. Rote Runen wurden in sein Sehfeld eingeblendet. Der Maschinengeist schien in Schwierigkeiten. Irgendetwas hatte die Kühlsysteme überlastet und die Entlüftungsschlitze verstopft. Plantan spürte, wie verschiedene implantierte Drüsen anfingen ihre Hormone auszuschütten. Sein Körper reagierte mit dem ihn antrainierten Reflexen auf die Gefahr. Doch Plantan konnte nicht sagen, aus welcher Richtung nun die Gefahr kam. Alles schrie nach Gefahr, doch wo war sie. Die Rüstung schien ihn kochen zu wollen. Sein genmanipulierter Körper reagierte darauf. Es war ganz so, als würde er nun gegen seinen eigene Rüstung kämpfen. Einer der Aktivatoren für den Servomotor im linken Bein fiel aus. Er musste es nun nachziehen. Es schien eine Tonne zu wiegen. Irgendwo vernahm er ein leises Zischen. Sein hyperempfindliches Gehör filterte das ungewöhnliche Geräusch aus der nun schon nervenden Kakophonie von Piep- und Warntönen heraus. Entwich da etwa Sauerstoff? Hatte er ein Leck? Es war heiß. Plantan fühlte wie ihn der schweiß an jeder nur erdenklichen Stelle seines Körpers ausbrach. Er klebte nun an den Innenseiten der gepolsterten Rüstungskomponenten und verspürte immer mehr den Drang, sich von ihnen zu befreien. Ja, Das war die Lösung! Er musste aus seiner Rüstung, die ihn gefangen hielt und dem immer enger werdenden Tunnel nur behinderte. Doch er konnte seine Arme kaum bewegen. Das Dunkel um ihn herum war noch eine Spur schwärzer geworden. Konnte er überhaupt noch weiter? Was wenn er in einer Sackgasse gelandet war? Panik überfiel ihn. Doch zum Schreien blieb ihm kaum Luft. Die war jetzt schon so aufgeheizt, dass sie in den Lungen brannte.