So, noch ein Teil, damit verabschiede ich mich fürs Wochenende.
Objekt 14-2 war sehr zufrieden mit der Arbeit, die er geleistet hatte. Er hatte die Frau getötet und nun war das kleine Mädchen beinahe so weit. Während er telepathisch Kontakt mit ihr aufgenommen hatte und sie ablenkte, indem er ihr Trost zusprach. Doch währenddessen wirkte er an ihrem Geist. Er konnte ihren Verstand nicht einfach auslöschen und den Körper übernehmen wie er es bei ihrer Mutter getan hatte. Dann würde sie nie ihr Potential entwickeln.
Er musste den Ausbruch ihrer Kräfte beschleunigen. Der Tod ihrer Mutter hatte Maria an den Rand des Zusammenbruchs gebracht, hatte aber nicht ganz ausgereicht. Das Mädchen war zäher, als Objekt 14-2 es vermutet hatte. Es fehlte noch ein Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringen sollte. Und dieser Tropfen sollte er werden.
Also manipulierte er die feinen Saiten ihres Verstandes. Er zerriss die feinen, glänzenden Fäden ihrer Menschlichkeit und sponn die dünnen, kaum sichtbaren Saiten ihrer dunklen Seite zu dicken Strängen. Er brachte die finstere Seite, die tief im Inneren eines jeden Menschen lauerte, an die Oberfläche. Und er brachte diese Seite dazu, die Oberhand in Marias Persönlichkeit zu gewinnen.
Es überraschte ihn, wie einfach es ging. Er hatte auf diese Weise noch nie ein Kind beeinflusst. Ihre Persönlichkeiten waren noch nicht völlig entwickelt und die dunkle Seite war noch nicht so stark verdrängt worden. Kinder konnten so grausam sein.
Der letzte Faden, an dem Marias Menschlichkeit gehangen war, riss und Objekt 14-2 fühlte, wie ihre Kräfte erwachten. Objekt 14-2 war überwältigt. So viel Macht hatte er nicht für möglich gehalten. Dabei hatte er immer gedacht, der mächtigste Psioniker der Welt zu sein. Er kicherte leise über seine Überheblichkeit. Dieses Mädchen war einfach unglaublich!
„Weißt du, was du tun musst?“, fragte er.
„Ja.“, antwortete Maria telepathisch.
Sie blieb stehen und die Wachen blickten sie verwundert an.
„Was ist los, Kleine?“, fragte einer der Soldaten.
„Ich sage dir, was los ist.“, antwortete Maria und die Soldaten sprangen entsetzt zurück.
Es war nicht die Stimme eines kleinen Mädchens gewesen. Die Stimme klang viel tiefer aber gleichzeitig auch höher. Es war, als hätte ein ganzer Chor gesprochen.
Die Männer fingen zu zittern an, als Marias Kräfte sich voll entfalteten. Blut lief aus ihren Nasen und Ohren. Einer der Soldaten fuhr sich mit dem Handrücken über das Gesicht und starrte das Blut darauf entsetzt an. Als er den Blick endlich von seiner Hand abwandte, schwebte Maria in Augenhöhe vor ihm. Zitternd wich der Mann vor ihr zurück, während der andere sich ängstlich gegen die Wand drückte. Sie ergriff ihr Halsband und riss es sich vom Hals. Das Metall zerriss, als wäre es Papier gewesen.
„Wir brachen Verstärkung!“, stammelte er in sein Funkgerät.
Maria blickte ihn belustigt an und wandte sich dann wieder dem Mann zu, vor dem sie schwebte.
„Töte ihn.“, sagte sie beiläufig und driftete zur Seite, um den Weg freizumachen.
Der angesprochene Wachmann knurrte wie ein Tier und machte einen Schritt auf den anderen zu.
„He, Mann, was machst du? Lass... lass das!“, stammelte der Wachmann und hob seine Waffe.
Doch er kam nicht dazu, sie abzufeuern. Der andere Wachmann machte einen Satz auf ihn zu und biss ihn in den Hals. Blut spritze auf die Wand als beide zu Boden gingen. Die Schreie des Sterbenden und das Knurren des besessenen Wachmannes hallten durch den Gang.
Als der Wachmann wieder aufstand, war sein Gesicht mit Blut verschmiert und seine Augen glänzten irre.
„Bravo, gutes Hündchen!“, sagte Maria und klatschte.
Dann schwebte sie langsam zu Boden und ging weiter. Doch nach ein paar Schritten blieb sie stehen, als ob ihr etwas, das sie vergessen hatte, wieder eingefallen war.
Sie drehte sich um und eine Korona als goldenem Licht umgab ihren Kopf als sie mit der Zeigefinger auf den Soldaten deutete.
„Ich brauche dich nicht mehr!“, sagte sie und setzte ihren Weg fort.
Hinter ihr verwandelte der Kopf des Soldaten sich in roten Sprühnebel. Der enthauptete Leichnam sank die Wand entlang zu Boden und hinterließ eine blutige Spur.
Der Boden der Zelle bebte heftig. Mik wurde zu Boden geworfen und Telk konnte sich gerade noch am Türgriff festhalten. Die Zelle erbebte ein weiteres mal und Staub rieselte von der Decke.
„Was war das?“, schrie Mik, als er auf die Beine kam.
„Ich weiß es nicht, aber hier, schau!“, antwortete Telk und deutete auf die Tür.
Sie war aufgesprungen.
„Was ist? Ich bleibe hier keine Sekunde länger!“, sagte Telk und verließ die Zelle.
Mik hastete hinterher.
Sie traten in den Gang und sahen, dass die Türen zu allen Zellen aufgegangen waren. Verwirrte Gefangene traten hinaus und blickten sich unsicher um. Irgendwo erklangen Explosionen und Mik hörte Schüsse.
„Los, alle raus hier!“, schrie irgend jemand und die Menschen liefen los.
Mik wollte ihnen hinterher aber Telk hielt ihn zurück. Beinahe im selben Augenblick bog ein Dutzend Wachen um die Ecke in den Gang. Sie trugen seltsamerweise alle Gasmasken.
„Halt! Zurück in die Zellen!“, brüllte ein Wachmann und schoss in die Luft.
Die Kugel schlug Splitter aus der Decke und die Menge blieb stehen. Dann ging einer der Gefangenen auf die Wachen zu.
„Lasst uns gehen! Ihr habt kein Recht...“, redete er auf sie ein, konnte den Satz jedoch nicht beenden.
Die kleine, schwarze Waffe des Soldaten bellte und der Gefangene ging zu Boden. Die Menge schrie auf. Einer der Gefangenen brüllte auf und ein greller Blitz schoss aus seinen Augen und setzte den Soldaten, der geschossen hatte, in Brand.
Die anderen Wachen eröffneten das Feuer und die Gefangenen stürzten sich auf sie.
Telk sprang in eine offene Zelle und zerrte Mik hinter sich her. Draußen, auf dem Gang vermischten sich die Schüsse der Soldaten mit den Schreien der Gefangenen und des brennenden Wachmannes.
Erst als es völlig still geworden war, wagte Telk es, nach draußen zu schauen. Die Wände waren mit Einschusslöchern übersät, Blut befleckt und an manchen Stellen verbrannt. Der Boden war bedeckt mit Leichen. Hier lebte niemand mehr.
„Los, lass uns verschwinden!“, sagte Telk und hob eine Waffe auf.
„Kannst du damit umgehen?“, fragte Mik und versuchte die Leichen nicht anzuschauen.
„Nein, aber wie schwierig wird es wohl sein...“
„Warte mal, wohin müssen wir überhaupt?“
„Keine Ahnung. Ich schätze mal, nach oben. Los, zum Aufzug!“
Sie liefen los während sich über ihnen weitere Explosionen ereigneten.
„Warte, wir sind fast da!“, sagte Telk und hob die Hand.
Hinter der nächsten Abzweigung war der Aufzug. Mik und Telk lugten vorsichtig um die Ecke.
„Verdammt!“, flüsterte Mik.
Vor dem Aufzug standen zwei Wachmänner.
„Wie sollen wir an denen vorbei kommen?“
„Keine Ahnung. Du hast doch die Waffe!“
„Was? Soll ich die einfach erschießen? Bist du verrückt geworden?“, fragte Telk.
„Du hast doch selber gesagt, dass es Mistkerle sind. Wir gehen hier unten drauf!“
„Na gut, geh zurück!“, flüsterte Telk und richtete die Waffe auf die Wachen.
Er drückte den Abzug durch, doch nichts geschah.
„Verdammt! Und jetzt?“, fluchte Mik.
„Ruhe!“, keuchte Telk.
Aus dem gegenüberliegenden Ende der T-Kreuzung tauchte eine halb nackte, vernarbte Gestalt auf. Mik sog entsetzt die Luft ein. Es war dieser entsetzliche Mann, der ihn immer wieder in seinen Visionen verfolgte.
Die Wachen hoben ihre Waffen und eröffneten ohne Vorwarnung das Feuer. Doch sie trafen nicht. Die Kugeln schlugen um den Gefangenen Brocken aus Wänden und Decke, doch keine einzige traf ihn. Er kam weiter auf die Wachen zu. Die Soldaten hatten ihre Magazine leergeschossen und luden schnell nach. Einer schoss aus wenigen Metern wider auf den vernarbten Gefangenen, doch selbst aus dieser geringen Entfernung traf keine einzige Kugel.
Sie schienen wie gelähmt, als der Gefangene an ihnen vorbei ging und den Aufzug betrat. Dann strömte plötzlich Blut aus den Nasen und Ohren der Soldaten. Schließlich schoss es auch aus ihren Augen und sie gingen zu Boden.