Vorüberlegungen (1): Hintergrund
Warum eine Abtei? Nun, jeder kennt die Abtei La Maisontaal, für die GW einst sogar ein eigenes (Studio-)Modell hatte, und bei der mehrere berühmte Schlachten stattfanden. Ihr Name bezog sich auf den Gott Taal, der sowohl in Bretonia als auch im Imperium verehrt wurde. GW hat allerdings nie erklärt, warum es in Bretonia „Abteien“ gibt, was freilich auch nicht nötig war; es muss ja nicht jedes Fitzelchen vom Hintergrund perfekt ausgearbeitet sein. Trotzdem fand ich es als Vorüberlegung wichtig, mal die Frage zu stellen, womit man es da eigentlich zu tun hat.
Eigentlich ist eine Abtei ja ein Kloster, das von einem Abt geleitet wird. Der Abt ist ein geistlicher Würdenträger und in die Hierarchie der Amtskirche eingebunden. Er wird von den Ordensangehörigen gewählt, muss aber formell vom Bischof eingesetzt werden. Das heißt: Eine Abtei setzt nicht nur die Existenz eines Mönchs- oder Nonnenordens, sondern auch einer organisierten Kirche voraus. Historisch waren Abteien zudem Teil des Feudalsystems, konnten also auch als Lehen vergeben werden, hatte eigene Landbesitzungen und durften in ihrem Herrschaftsbereich Abgaben einziehen und sogar Gerichtsgewalt ausüben.
Und genau da liegt das Problem, denn in Bretonia gibt es keine institutionalisierte Kirche. Anders als im Imperium, wo der Sigmar-Klerus eine eigene Organisation mit beamteten Würdenträgern und politischer Macht bildet, gibt es in Bretonia lediglich eine Art „Volksfrömmigkeit“ ohne beamtete Repräsentanten.
Die Bretonen verehren ja vor allem die mysteriöse „Herrin des Sees“, die manchmal mit der Elfengöttin Lileath in Verbindung gebracht wird. Sie erscheint auserwählten Rittern oft im Rahmen einer Queste und lässt sie aus dem Gral trinken, wodurch der Ritter zum Gralsritter wird und besondere Fähigkeiten erhält. Als weltliche Repräsentantin oder Botschafterin der Göttin dient die Feenzauberin, die fast ebenso geheimnisvoll ist, aber den Menschen etwas näher steht, denn sie erscheint oft im Rat des Königs und nimmt auch – nach eigenem Gutdünken – an Schlachten teil. Ansonsten wandert sie durchs Land und sucht nach Kindern mit magischen Talenten. Diese entführt sie dann in die „Anderswelt“, wobei die Mädchen später als zauberkundige Maiden der Herrin zurückkehren, während die männlichen Kinder nie wieder gesehen werden. Es geht das Gerücht, dass die Feenzauberin vom Volk der Waldelfen abstammen könnte. Jedenfalls ist sie zwar langlebig, aber sterblich, und nach ihrem Ableben taucht meist in Kürze eine neue Feenzauberin auf.
Religion in Bretonia kommt daher komplett ohne Kirche und Klerus aus. Es gibt keine Priester, denn die Feenzauberin ist die einzige Priesterin der Herrin. Frage: Wie ist unter solchen Voraussetzungen die Existenz von Klöstern, Mönchen und „Abteien“ möglich? GW scheint sich nicht weiter mit dieser Frage beschäftigt zu haben.
Ich habe mir jetzt einige Zeit Gedanken darüber gemacht und könnte mir eine bretonische Abtei am ehesten als private Stiftung eines begüterten Adligen vorstellen. Beispiel: Ein Ritter hatte an einer bestimmten Stelle eine Erscheinung der Herrin des Sees, durfte aus dem Gral trinken und will nun diesen Ort auf besondere Weise ehren und schützen. Das kann er nicht in eigener Person tun, weil seine Gefolgschaftspflichten ihn oft auf Kriegszüge und Quests durchs ganze Land führen. Deshalb lässt er am Ort der Erscheinung auf eigene Kosten eine klosterähnliche Anlage bauen und setzt Dienstleute und Bauern, die seiner Lehnsgewalt unterstehen, als Verwalter ein. Die Bewohner der Abtei sind also im strengen Sinn keine Mönche, sondern eher eine Art Wachmannschaft, die zwar aus frommen Gläubigen besteht, aber in erster Linie den Unterhalt und die Verteidigung der Anlage zu besorgen hat. Formeller Herr bleibt der Gralsritter, der aber nur hin und wieder Gelegenheit hat, die heilige Stätte aufzusuchen und nach dem Rechten zu sehen.
Der „Abt“ dürfte ein vom Ritter ausgewählter unfreier Dienstmann sein (historisch „Ministerialer“ genannt), der zwar dem Bauernstand entstammt, aber mit besonderen Rechten und Befugnissen ausgestattet ist. Dem Ritter ist er persönlich verantwortlich für den Erhalt der Abtei und alle Vorgänge darin, kann aber auf bescheidenem Niveau ein quasi gutsherrliches Leben führen und besitzt die Befehls- und stellvertretende Gerichtsgewalt über die Mönche, Knechte und Wachmannschaften. Dabei sind die „Mönche“ wohl am ehesten mit jenen fanatischen Bauern gleichzusetzen, die man sonst in Bretonia als umherziehende Gralspilger kennt.
Was geht nun in einer solchen Abtei vor sich? Sicherlich gibt es ein Denkmal oder Standbild der Herrin vom See an genau jener Stelle, wo sie dem Ritter erschien, und an diesem Ort werden vermutlich Anrufungen, Demutsbezeugungen, symbolische Dienste und vielleicht Opferungen ausgeführt. Außerdem werden in der Abtei wohl auch Reliquien zusammengetragen und aufbewahrt (Reliquienverehrung ist von den Gralspilgern her bekannt). Darüberhinaus dient der Ort der Familie des Gralsritters vielleicht auch als Familiengruft. Denkbar ist weiterhin, dass Schreiber und Künstler hier bebilderte Manuskripte erstellen, die die Herrin des Sees preisen, ähnlich wie in den Scriptorien mittelalterlicher Klöster. Dies würde zumindest bei einigen Bewohnern der Abtei einen Bildungsstand voraussetzen, wie Bauern ihn gewöhnlich nicht besitzen. Vielleicht lässt der Ritter zu diesem Zweck Spezialisten anwerben, die dauerhaft in der Abtei leben: Schreiber, Zeichner, Gelehrte. Für all die Leute muss natürlich auch gesorgt werden, daher gibt es sicherlich Gärten, Viehhaltung und Ackerfelder im Umkreis der Abtei, zuzüglich einer großen Zahl von Bauern und Knechten, die sich um die Bewirtschaftung kümmern.
Folgende Bestandteile hätte ich daher gerne in meiner Abtei:
Eine Statue der Herrin des Sees auf einem zentralen Platz
Ein kirchenähnliches Hauptgebäude
Eine Unterkunft für die Mönche mit Schlafsaal, Küche (Refectorium) und Schreibsaal (Scriptorium)
Eine umlaufende Mauer mit (eher bescheidenen) Wehranlagen
Einen Friedhof
Stall und Garten
Eventuell ein Hospital mit Herbarium