40k Das Schwinden Band I bis III vollendet

Angefangen habe ich im September. Während den Wartezeiten zwischen zwei Filmen auf dem Fantasy Film Fest nahm die Geschichte langsam Form an. Eigentlich dachte ich, fünfzehn Seiten, dann bin ich fertig. Kein großes Ding. Aber während dem schreiben kamen mir immer mehr Ideen und mögliche Verwicklungen. Die Bücher sind so konzipiert, dass ich jederzeit aufhören kann, wenn ich keine Lust mehr habe und das meiste ist trotzdem erzählt.

Die Zeit? Ich nehm sie mir einfach. Ich arbeite Dreischicht und nach Acht Stunden ist halt Tutti. Dann habe ich noch meist vier Tage Woche wegen Kurzarbeit, weil Freitag ab 14.00 Uhr läuft nix mehr.

Wieder mal vielen Dank an Sarash für seine Mühe, sich durch meine Rechtschreibfehler zu quälen und sie zu korrigieren. :thumbsup:​


Kapitel III


Position:
Imperium
Segmentum Pacificus
Pilgerschiff „Gesegnete Erlösung der wahren Gläubigen“
Zeit: 2 245 996.M41
Person: Gavri Pilgerstochter


Sie sah auf einem hohen Hügel stehend in den strahlenden Sonnenaufgang einer gelben Sonne, keine Wolke trübte den klaren Himmel, wo gerade die Sterne der Nacht erloschen. Das Land unter ihr war karg, von der Sonne verbranntes Gras. Im Osten konnte sie einen großen See erkennen, zwei Städte waren zu sehen, eine davon lag direkt am See, die andere weiter im Innenland. Es waren primitive Städte, alle Gebäude, aus luftgetrockneten Lehmziegeln bestehend, hatten nur ein Erdgeschoss, die Straßen ungepflastert, die Stadtmauern nicht mehr als aufgeschüttete Wälle. Es gab einige mühsam bewässerte Gärten. Hirten, die kleine Herden auf verödete Weiden trieben. Das frühmorgendliche Leben erwachte gerade in den Städten. Mütter jagten ihre Kinder aus den Schlaflagern zu ihren Pflichten. Sie sah auf die Höhe der Sonne und wusste, dass es nun Zeit war. Sie zog ihr flammendes Schwert aus der Scheide. Die Zeit des Tötens war gekommen.


Gavri schreckte auf, knallte wie üblich gegen den Schaumstoff, den sie an die Decke ihrer Koje angebracht hatte und federte zurück auf ihr Kissen. Es war nicht der erste Traum dieser Art, aus dem sie abrupt aufschreckte. Ihr Körper bebte und war nassgeschwitzt. Ihr Blick suchte die Leuchtziffern ihres neuen mechanischen Chronos, es war kurz vor dem Ende des Nachtzyklus. Saphira lag wie ein Kätzchen zusammengerollt zu ihren Füßen, schlief aber weiter. Die anhängliche Kleine schlich sich immer wieder zu ihr in die Koje, wenn Gavri eingeschlafen war.


In letzter Zeit hatte sie diesen seltsamen Traum schon öfter gehabt. Ein anderer war, wie sie durch unendliche Labyrinthe aus Korridoren und Hallen irrte, gefüllt mit Mutanten und gewaltigen Kämpfern in schweren Rüstungen, die sie auf ihrer Suche allesamt erschlug. Manche Irrgänge enthielten auch nur mechanische Absonderlichkeiten, mit vielen scharfen Klingen und äußerst bizarren Waffen. Oder Träume von epischen Schlachten, riesige Maschinen ließen die Oberfläche von Planeten erbeben, gewaltige Armeen prallten im infernalischen Chaos der Schlacht aufeinander und der Tod hielt reichlich Ernte. Oder sie kämpfte gegen Wesen, die wirklich in einen Albtraum passten und hoffentlich niemals Realität werden würden.


Auf den Tag genau waren nun zwei Jahre seit den seltsamen Ereignissen vergangen. Noch immer wusste Gavri nicht, was in den sieben verlorenen Tagen passiert war. Nur, dass sie weitere Minuten, teilweise Stunden verloren hatte, an die sie keinerlei Erinnerung hatte. Bald nach ihrer wundersamen Rückkehr hatte das angefangen und in den letzten Monaten wurden diese Momente immer zahlreicher. War es früher nur einmal alle paar Wochen gewesen, wurde daraus schließlich einmal in der Woche. Inzwischen passierte es fast jeden Tag, dass es Momente gab, in denen sie einfach nicht wusste, was sie gerade getan hatte oder was sie hier eigentlich wollte. Wurde sie wahnsinnig? Hatte sie etwas aus der Gruft mitgebracht, dass niemals dort hätte raus dürfen? Und wie war sie überhaupt dort heraus gekommen? Fragen, auf die sie keine Antworten hatte. Fragen, die sie nie jemandem stellen durfte, wollte sie nicht im vernichtenden Feuer der Inquisition enden.


Vier weitere Planeten hatten die Pilger besucht. Vom letzten, dem ehrwürdigen Chiros, der Heimatwelt des heiligen Konfessors Dolan, waren sie erst vor drei Tagen gestartet. War sie früher eine inbrünstige Gläubige gewesen, hegte sie jeden Tag mehr Zweifel am imperialen Glauben. Viele der Rituale erschienen ihr unnötig grausam und blutig. Früher hatte sie Stolz ihre eingebrannten Buchstaben mit der Bitte um Erlösung getragen und hatte sich sogar gefreut, als sie mit acht Jahren endlich gebrandmarkt worden war. Es war eine religiöse Verzückung gewesen, als Buchstabe um Buchstabe die Bitte um Erlösung an den Gottimperator der da war auf Terra auf seinem Goldenen Thron für Ewig in die Haut ihres Rückens eingebrannt worden war, begleitet von inbrünstigen Gebeten und aufpeitschenden Gesängen, welche den brennenden Schmerz in heilige Verzückung transformierten. Jetzt ekelten sie diese Zeremonien nur noch an, wenn einem Kind das angetan wurde, egal ob es damit nun wider besserem Wissens einverstanden war oder nicht. Oder die Selbstgeißelungen mit Geißeln, die manchmal Widerhaken an den Enden hatten und stark blutende Wunden und später tiefe Narben hinterließen. Manche geißelten sich ekstatisch bis zur Bewusstlosigkeit und manchmal bis zum Tod. Hatte sie früher freudig mitgemacht, auf den erlösenden Schmerz gehofft, der sie von ihren Sünden und Unzulänglichkeiten befreite, denn das Gebet läuterte den Geist, der Schmerz den unreinen Körper, drückte sie sich inzwischen vor diesen Zeremonien. Das waren alles Auswüchse, die so nicht toleriert werden durften, aber doch als Ideal auf diesem Deck galten. Und auch sonst so in vielen Erlösergemeinden mehr oder weniger im Imperium im Namen des Gottimperators praktiziert wurden.


Die letzten zwei Jahre waren wie im Flug vergangen. Es schien, als würde sie seitdem alles bewusster wahrnehmen. Hatte sie früher alles als gegeben akzeptiert, versuchte sie nun Dinge zu ändern, wenn sie dazu in der Lage war. Sie hatte den desolaten Zustand dieses Bereiches beendet, allein indem sie sich darüber Gedanken gemacht hatte, wie sie verhindern konnte, dass unablässig Kondenswasser durch die Kabine tropfte und alles rosten oder schimmeln lies. Sie kaufte eine Plane, hing sie unter das Rohr, setzte am tiefsten Punkte eine Öffnung, in dem sie einen Schlauch mit einem Filter steckte, der das Wasser in eine Kanne lenkte, und so hatte sie auch immer Trinkwasser für ihre Kinder. Dann hatte sie sich entsprechendes Werkzeug von den Matrosen der Instandsetzung geliehen, hatte den ganzen Schimmel entfernt, den Rost abgekratzt, Teile der maroden Decke ersetzen lassen, das ganze verspachtelt und dann mit blauer Farbe gestrichen. Mit bunten Farben hatten ihre Kleinen dann Fische dazu gepinselt, sodass das Ganze wie ein Aquarium wirkte. Auch hatte sie für alle Kojen des Waisenhauses neue Matratzen, Laken und Decken von ihrem Geld besorgt. Minimaler Aufwand, große Verbesserung der Lebensumstände.


Auch das die gemeine Havilah nicht mehr bei den Erzieherinnen war, hatte einiges an Lebensqualität gebracht. Da dieses Mädchen das älteste der Erzieherinnen war, hatte sie gemeint, dass sie das Recht hatte, auch in anderen Gruppen mitreden zu dürfen. Der üppig gebaute Brünette hatte es überhaupt nicht gefallen, dass Gavri soviel änderte und auch andere Mädchen dazu brachte, die Probleme mit ihren Schutzbefohlenen erst mal in aller Ruhe zu bereden und nicht so lange drauf zu schlagen, bis das Problem vor Schmerz aus der Welt war wie es Havilah schon mehrmals praktiziert hatte. Schon kurz nach ihrer Rückkehr hatte sie die Lage zugespitzt, als Havilah die Renovierungsarbeiten verbieten wollte. Gavri hatte sogar zu Vater Medad müssen, der theoretisch für die Waisenbetreuung zuständig war, aber sich selten persönlich um seinen eigentlichen Arbeitsbereich kümmerte. An das Gespräch hatte sie keinerlei Erinnerung, aber danach war Havilah als zu alt eingestuft worden und hatte eine Dienststelle als Müllsammlerin bekommen, die niedrigste Arbeit auf dem Schiff. Nur Latrinendienst war noch mieser, aber das machten nur Missetäter als Buße.


Die Schiffsglocken hallten dreimal durch das Schiff, der Weckruf. Zeit für das Morgengebet. Leben kam in die Kojen um sie herum und sie begann mit dem morgendlichen Gebet, sie war die Vorsprecherin, die Kinder sprachen ihr nach. Hatte sie früher dieses Gebet mit heiligem Eifer zelebriert, kamen ihr die Verse des Rituals nur noch wie leere Worthülsen vor. Sie fand im Gebet keinen Glauben, keine Erlösung, keinen Trost. Ketzerische Gedanken quälten sie stattdessen, weil sie den Glauben an den Imperator bei sich hinterfragte. Sie konnte es sich nur so erklären, dass diese Bewusstseinsänderung mit den Erlebnissen in der Gruft zu tun haben musste. Nicht mal in ihren Träumen kamen Visionen davon aus ihrem Unterbewusstsein hoch.


Nachdem die letzten Worte verklungen waren, scheuchte sie ihre Schutzbefohlenen aus dem Bett, brachte Ordnung in den wuselnden Haufen und schaffte es, als eine der Ersten mit ihrer Gruppe den Hygieneraum zu betreten. Da es nur einen Raum in diesem Bereich gab und es keine wirkliche Geschlechtertrennung oder einen Sichtschutz gab, waren Zeiten vorgeschrieben, wo entweder nur Frauen oder nur Männer die Räume betreten durften. Eine laut tickende mechanische Uhr zeigte jeweils das Geschlecht an, das gerade Einlass bekam. Bei Kindern bis zu sieben Jahren gab es keine Trennung. Das Wasser war kalt und mit rostigen Partikeln durchsetzt, aber mehr war auf dem D Deck nicht zu bekommen. Und man musste schon froh sein, dass überhaupt Wasser aus den Hähnen floss. Sie achtete darauf, dass ihre Kleinen sich alle die Zähne putzten, sich das Gesicht wuschen und ihren Körper wenigstens oberflächlich an den Stellen reinigten, wo sie verschwitzt waren.


Dann richteten sie gemeinsam ihren Tisch und das Frühstück aus Brot und Wasser. Das Brot war zwar hart, aber wenigstens nicht verschimmelt. Natürlich dankten sie vorher dem Imperator und der Ekklesiarchie für diese üppige Mahlzeit. Jadon und zwei andere Jungen unterhielten sich mit vollem Mund über den Film, den sie gestern ihren Kleinen spendiert hatte. In einem der kleinen Kinos des Schiffes war "Die Helden von Höhe 495" gezeigt worden. Dort hatte ein Rekrutenzug der planetaren Verteidigungsstreitkräfte von Boonhaven eine ganze Orkhorde samt dem Waaghboss vernichtet. Am Ende waren bis auf einen Rekruten alle als Märtyrer gefallen. Der Film war ein einziges Gemetzel gewesen, Welle auf Welle von Grünhäuten, zu Fuß oder mit Fahrzeugen, war gegen die Höhe angestürmt und im peitschendem Lasergewitter oder vernichtendem Trommelfeuer gefallen. Gavri und die Mädchen ihrer Gruppe hatten sich gelangweilt, die Jungs der Gruppe waren jetzt noch Feuer und Flamme und waren zu der Erkenntnis gelangt, dass sie unbedingt in die Imperiale Armee mussten, um ebenfalls Grünhäute in Massen sterben zu lassen. Der einzige praktikable Weg, wie man mit Xenos zu verfahren hatte.


"Wenn ich sechzehn bin, gehe ich zur Imperialen Armee und töte Millionen von Grünhäuten!" verkündete Jadon im Brustton vollster Überzeugung, wie sie nur zehn Jahre alte Jungen haben können.
"Und ich werde ein Space Marine und töte noch mehr Grünhäute!" Saphira machte den Imperialen Adler vor ihrer Brust.
"Dumme Nuss! Mädchen können nämlich gar keine Space Marines werden. Die sind nämlich viel zu schwach und mickrig dazu", konterte Jadon mit vollem Mund.
"Gar nicht wahr! Oder Gavri?" Die Mädchen ihrer Gruppe schauten sie aus großen Augen fragend an.
"Jadon hat in dem Punkt recht, dass Mädchen wirklich keine Space Marines werden können. Aber er hat unrecht, wenn er Mädchen als klein und mickrig bezeichnet."
"Und warum können Mädchen keine Space Marines werden?"


"Weil der Imperator nur Neun Söhne hatte, davon stammen alle Space Marines ab." Das war das, was man in der Schule lernte, aber sie wusste, dass dies nicht der Wahrheit entsprach. Auch wenn sie nicht sagen konnte, was daran nun genau falsch war.
"Ja, die großen neun heiligen Pirmarchen! Der engelsgleiche Sanginius von den Blood Angels, der ritterliche Lion el Johnson von den Dark Angels, der ehrenhafte Roboute Guillaume von den Ultramarines, der listenreiche Jaghatai Khan von den White Scars, der edle Rogal Dorn von den Imperial Fists, der starke Vulkan von den Salamanders, der wilde Leman Russ von den Space Wolves, der trickreiche Corax von der Raven Guard und der eiserne Ferrus Manus von den Iron Hands!" zählte Jadon begeistert auf.


"Das ist gut Jadon! Wirklich gut! Ich sehe, bei Themen die dich interessieren, bleibt ab und zu mal was hängen." Jadon schaute sie an und man konnte ihm ansehen, dass er überlegte, ob das nun ein Lob oder ein Tadel war. Dann grinste er, da er ihre Worte für ein Lob hielt.
"Dann gehe ich halt auch zur Imperialen Armee und werde mehr Grünhäute platt hauen als du, Ätsch!" Saphira griff das ursprüngliche Thema wieder auf und streckte Jadon die Zunge heraus.
"Du bist dann immer noch ein mickriges Mädchen!"
"Gar nicht wahr! Gavri sagt nämlich, dass ich gar nicht mickrig bin!"
"Streitet euch nicht, Kinder, esst lieber auf, was die Gemeinde uns in ihrer unendlichen Güte gespendet hat."


Sie mussten sich beeilen, da die nächste Gruppe unter der rabenhaarigen Rhoda schon auf den Tisch wartete. Ihre Gruppe wusch gemeinsam das Geschirr in einem Eimer, trockneten es ab und stellte es in den Schrank zurück. Gavri las den Tagesablauf für diesen Tag durch.


5.00 Wecken, Morgengebete
5.05 Waschen und Ankleiden
5.15 Frühstück, Dankesgebet und Abwasch
5.45 Aufbruch zur Morgenmesse
6.00 Morgenmesse, Teilnahme am Chor
7.15 Körperertüchtigung und Kampftraining in verschiedenen Nahkampfdisziplinen bei Schwester Gerechter Zorn
9.30 Schule für ihre Schutzbefohlenen:
Heutige Fächer:
1 Stunde Lesungen über das Leben des Sebastian Thor,
1 Stunde Praktisch angewandte Mathematik,
1 Stunde Hochgotik,
1 Stunde Religionskunde, die Gebote 25 bis 36. Sie würde in der Zeit in der hintersten Reihe sitzend Bücher handschriftlich kopieren, da sie mit Vierzehn Jahren schon zu alt für die Schule galt.
13.30 Essen im großen Saal auf Deck 4
14.00 Dankesgebete
14.15 Arbeitsdienst, Reinigung der Lüftungsschächte auf dem C Deck, Sektionen 5 bis 8.
18.00 Abendmesse, Teilnahme am Chor
19.15 Anschließend Chorprobe für den nächsten Tag
20.00 Abendessen
20.30 Arbeitsdienst, gemeinschaftliches Kopieren heiliger Schriften in der Bibliothek
21.30 Freizeit
21.45 Waschen und Abendgebet
22.00 Nachtruhe


Glocken wurden zum Gottesdienst geläutet, es wurde Zeit aufzubrechen. Sie eilte mit ihren Schutzbefohlenen, die sie diszipliniert in einer Zweierreihe laufen lies, in die Hauptkathedrale Sankt Quaglia des Schiffes, die penetrant nach Weihrauch stank, um den Gestank der über zehntausend Gläubigen zu übertünchen, von denen manche sich das Gebot auferlegt hatten, sich erst wieder am Ziel ihrer Pilgerreise zu waschen. Die Kathedrale Sankt Quaglia bedeckte den größten oberen Teil des Schiffes. Sie war hundertfünfzig Meter lang und an der breitesten Stelle mit den Seitenschiffen fünfundsiebzig Meter breit. Im Kreuzungspunkt der Kirchenschiffe erhob sich auf einem Stufenförmigen Absatz der Altar. Über dem Altar erhob sich die Kanzel des obersten Predigers, des Pontifex Astral dieses Schiffes. Mehr als zehntausend Gläubige fasste diese Kathedrale. Zwei Emporen, auf denen weitere Gläubige aus den C und B Decks Platz hatten, waren an den hohen Wänden angebracht. An den Eckpunkten der Emporen waren steinerne Engel im Flug geformt, ihre Schwingen bildeten die Geländer der Emporen. Sie hielten mächtige Posaunen, in denen leistungsstarke Lautsprecher untergebracht waren.


Über dem Altar erhob sich hoch die Kuppel, in der sich die Schiffsbrücke und der Ausguck des Navigators befanden. Logen waren knapp unter der Kuppel befestigt worden, wo die privilegierte Brückenbesatzung den Gottesdienst verfolgen konnte. Servoschädel mit Lautsprechern, welche Gläubige mit Psalmen erquickten und geflügelte Cherubim mit qualmenden Weihrauchgefäßen in den Händen flitzten hektisch im Raum hin und her.


Beleuchtet wurde die Kathedrale der St. Quaglia von zehn mächtigen Kronleuchtern, auf denen unzählige Kerzen brannten. Die Kronleuchter waren gleichmäßig im Raum verteilt und jeder bestand aus einem anderen Material. Verarbeitet worden waren nur die edelsten Materialien wie Gold, Elektrum, Platin, Silber und andere wertvolle Edelmetalle. Einige Cherubim taten die ganze Zeit nichts anderes, als die makellosen Leuchter zu polieren, die abgebrannten Kerzen auszutauschen, Wachsflecken zu entfernen oder die neuen Kerzen wieder anzuzünden. Von den Kränzen der Leuchter hingen unzählige kleine Reliquien, wie in Kunststoff eingegossene Fingerknochen, Zähne und Knochensplitter von Märtyrern verschiedenster Welten und Epochen des Imperiums, herab. Oder auch Gebetsstreifen, Liturgiebänder und Glücksamulette.


Der Boden bestand aus mehreren bunten Mosaiken, deren bunte Steinchen von den Glasfenstern der Basilika St. Thor von der Welt Coronis Agaton stammten, die von Grünhäuten zerstört worden war. Die Scherben der zerborstenen Buntglasfenster waren gesammelt, in kleine gleichmäßige Stücke zerbrochen und als Mosaiksteinchen wieder verwendet worden. Vier mächtige Mosaikbilder bedeckten den Boden, das größte im südlichen Hauptschiff zeigte die Galaxis an den Grenzen des Imperiums. Hervorgehoben waren die heiligen Planeten, welche das Schiff auf seiner Route besuchte. So konnten Pilger den Pfad des Imperators abschreiten, in der Reihenfolge wie das Schiff die Systeme ansteuerte.


Das nördliche Mosaik zeigte die Welt Coronis Agaton, mit der Stadt Nordhafen im Zentrum. In dieser Stadt hatte die Basilika des St. Thor gestanden. Die Welt wurde von Gebetsbändern eingerahmt, auf denen dem Imperator für die Rettung der Stadt Nordhafen gedankt wurde. Dazu musste man wissen, dass vor knapp 850 Jahren eine gewaltige Orkinvasion die Welt Coronis Agaton heimgesucht hatte. Der Gouverneur rief um Hilfe und das Imperium schickte Dutzende von Regimentern, die sich zunächst vergeblich gegen die grüne Flut stemmten. Die Regimenter wurden zum Rückzug gezwungen und bald war Nordhafen die letzte Stadt im Besitz des Imperiums auf dem südlichen Kontinent von Coronis Agaton.


An die Basilika St. Thor war ein Hospital der Sororitas Hospitalerinnen angeschlossen und schon bald war die gesamte Basilika ein gewaltiges Verwundetenlager. Verteidigt wurde die Basilika von zehn greisen Kriegernonnen des Adeptus Sororitas, die als zu alt eingestuft worden waren, um aktiv noch im Feld kämpfen zu können. Es war ausgerechnet an Imperator Himmelfahrt, als die Orkhorde die äußeren Verteidigungsstellungen der Stadt durchbrach und die blutrünstige Meute in die, mit Flüchtlingen überfüllte, Stadt strömte. Auf ihrem Weg lag die Basilika. Die zehn verbliebenen Schwestern nahmen ihre heiligen Bolter auf und stellten sich der Grünen Flut entgegen. Hinter ihnen richteten sich die schwer verletzten Verwundeten und nur zum Sterben hergebrachten Soldaten des Imperiums auf, nahmen ihre Gewehre und bildeten eine undurchdringliche Schützenlinie. Kriegerbanden der Orks brandeten gegen die geheiligten Mauer, nur um von peitschenden Lasergewehrsalven getötet zu werden.


Immer mehr Grünhäute bestürmten die strategisch unwichtige Basilika, nur um im Lasergewitter zu vergehen, von Geschossen aus geheiligten Boltern niedergestreckt zu werden oder ihr verdientes Ende im feurigen Atem der Flammenwerfer zu finden. Das verschaffte den Verteidigern der Stadt die notwendige Zeit, einen Gegenangriff zu starten, der jedoch schon bald stecken blieb und zurückgeworfen wurde. Aber die Verteidiger der Basilika kämpften verbissen weiter, bereit, lieber zu sterben, als einer schmutzigen Grünhaut zu erlauben, den heiligen Ort zu entweihen, wo einst Sebastian Thor selbst gepredigt hatte. Ein Oberst des 7. Valhalla, der beide Beine, den linken Arm und ein Auge verloren hatte, lies sich an einen Sergeanten schnallen, der keine Arme mehr hatte. Aus seiner erhöhten Position koordinierte er die Verteidigung, streckte mit seiner Boltpistole Orks nieder, die es bis fast in die Kathedrale geschafft hatten.


Der südliche Turm wurde von einer Maschinengewehrstellung verteidigt, deren Schütze aller Sinne bis auf die zu hören beraubt worden war, als ein Flammenwerfer ihn in Brand setzte und sein Visier auf sein Gesicht schmolz. Seine Augen lieh ihm ein Soldat, der alle Glieder verloren hatte. Er wies den Schützen ein und gemeinsam töteten sie mehrere tausend Orks, während der Turm, auf dem sich ihr MG Nest befand, zerschossen wurde. Am Ende stand nur noch das Stück, wo sich die MG Stellung in den Stein krallte, denn die Hand des Imperators weilte schützend über ihnen und lies sie ihr heiliges Werk der Vernichtung verrichteten.


Verteidiger auf Verteidiger starb, ihre Waffen wurden von Flüchtlingen und Hospitalschwestern aufgehoben, welche verbissen weiter kämpften. Schließlich stand nur noch eine der Nonnen, ein Großteil der Basilika war durch massive Artillerietreffer eingestürzt und kaum noch ein Verteidiger war am Leben. Dann tauchte der Waaghboss persönlich auf. Groß wie ein Cybot der Space Marines, erfüllt von Wut und Kampfeslust. Er brüllte seine Herausforderung und die letzte der greisen Nonnen mit Namen Schwester Quaglia nahm an. Bewaffnet mit einem mächtigen Zweihänder, einer Reliquie aus uralter Zeit, stellte sie sich der wütenden Bestie ohne Furcht entgegen. Diese Szene zeigte das Mosaik im westlichen Seitenschiff. Die uralte Nonne stand mit hoch über den Kopf erhobenem Schwert auf einem Trümmerstück der Basilika, auf dem folgender Satz aus Sebastian Thors Predigten eingemeißelt war: "Ein einzelner Gläubiger kann über eine Legion Ungläubiger triumphieren". Das Zitat ging eigentlich noch weiter, aber mehr passte nicht auf das Trümmerstück. Darunter stapfte der Waaghboss heran, die eine Hand war eine gigantische Kralle, die andere hielt etwas, dass an die Kanone eines Panzers erinnerte. Es war ein überaus dynamisches Bild und wie jeder Gläubige wusste, zerteilte die Nonne ihn ein paar Sekunden später mit einem einzigen, mit der Kraft des Imperators geführten Hieb, sauber in zwei Hälften. Die Schwester Quaglia schritt erhobenen Hauptes zurück in die Basilika, um außer Sicht der Orks tot zusammen zu brechen. Später entfernte man aus ihrem Körper dreizehn großkalibrige Geschosse, welche sie im Laufe der vorgehenden Kämpfe um die Basilika abbekommen hatte, jedes einzelne wäre eigentlich sofort tödlich gewesen. Danach flohen die restlichen Orks panisch, verfolgt von der reorganisierten Imperialen Armee, um anschließend vor den Toren der Stadt bis auf die letzte Grünhaut niedergemacht zu werden. Auf gewaltigen Scheiterhaufen wurden die vernichteten Orks zu Asche verbrannt.


Siebzehn Verteidiger, darunter der Oberst, sein Träger und die beiden MG Schützen, hatten die Schlacht überlebt, jeder bekam den Stern von Terra verliehen, ein einmaliges Ereignis in der Geschichte der Imperialen Armee. Jeder dieser Helden war mit einem Mosaik im östlichen Kirchenschiff verewigt. Neben ihren Portraits zeigte eine Schrifttafel ihre Namen und Lebensdaten. Ausnahmslos alle von ihnen waren später im Dienst bei einer großen Heldentat gefallen und weilten nun an der Seite des Imperators. Welche zuvor ihre Glieder oder Sinne verloren hatten, waren mit den besten Bionics versorgt worden, welche das Adeptus Mechanicus zu bieten hatte. Die Portraits wurden von den Wappen und Namensbändern der an der Verteidigungsschlacht beteiligten Regimenter umrahmt. Darunter so berühmte Namen wie das 405. Cadia, 7. Valhalla und 34. Tallarn, oder vollständig unbekannte, wie 2. PVS Nordhafen, 1. Miliz Nordhafen, 3. Miliz Caledonia.


Schon am nächsten Tag begannen die Gläubigen die Trümmer der Basilika teilweise mit bloßen Händen weg zu räumen. Eine gewaltige Spendenbereitschaft versetzte die Gemeinde von Nordhafen in die Lage, die Basilika größer und schöner wieder aufzubauen. Dazu noch ein neues modernes Hospital, dass fortan nun den Namen St. Quaglia Hospital trug, denn die mutige Schwester war innerhalb kürzester Zeit heilig gesprochen worden, ihre neun Schwestern sprach man selig. Am Ende blieb noch eine gewaltige Summe an Spendengeldern übrig und der Dekan der Gemeinde beschloss, davon ein Pilgerschiff bauen zu lassen, um das ganze Imperium an ihrem Wunder teilhaben zu lassen. Eben die "Gesegnete Erlösung der wahren Gläubigen". In nur zwanzig Jahren wurde das Schiff gebaut und in die Kathedrale wurden nicht nur die Scherben der Buntglasfenster der Basilika als Mosaik eingebaut, sondern auch viele der ursprünglichen Steine fanden als Innenfassade wieder Verwendung. Auf ihrer ersten Reise brachte dieses Schiff ein Buch mit dem Namen der Verteidiger nach Terra, das dann dem Imperator vorgelesen wurde, die höchste Ehre, auf die ein Untertan des Imperiums hoffen durfte. Auch wurde das Herz von St. Quaglia in einer goldenen Kugel eingeschlossen in den Imperialen Palast gebracht und zu Füßen des Throns abgelegt, auf dass auch ihr Herz beim Imperator ruhte.


Mehrere der einhundertundacht Schreinnischen enthielten Reliquien der damaligen Schlacht. Im Ostflügel gab es einen brutal aussehenden Schrein, der aus Trophäensammlungen getöteter Orkanführer gebaut worden war. Siebzehn Bajonette aus Adamantium waren so arrangiert, als ob sie gerade auf den Schrein einstechen würden. Auf jedem Bajonett war der Name eines der Überlebenden graviert. Im westlichen Flügel gab es einen Reliquienschrein, der aus über zweitausend Bolterhülsen gefertigt worden war, welche die Nonnen bei der Verteidigung abgefeuert hatten. Jede Hülse war von einem anderen Künstler von Coronis Agaton individuell graviert worden. Die Hülsen umrahmten ein steinernes Weihwasserbecken, in dem die Schwestern ihre heißgeschossenen Bolter abgekühlt hatten. Ein anderer Schrein im Nordflügel enthielt den Helm von St. Quaglia, der aber immer hinter verschlossenen, goldbeschlagenen Türen ruhte. Nur zum Gedenkgottesdienst der Schlacht um die Basilika St. Thor an Imperator Himmelfahrt wurde der Schrank geöffnet und die Reliquie auf dem Altar präsentiert. Der Transport fand jeweils mit einer prächtigen Prozession statt, die über alle Balustraden führte, was natürlich ein großer Umweg war, aber die wenigen Meter vom Schrein zum Altar ließen den würdigen Rahmen einfach vermissen.


In den äußeren Wänden der Kirchenschiffe waren Runde Glasfenster angeracht. Das waren natürlich keine richtigen Fenster, da hinter ihnen der Stahl der Schiffshülle war. Das mächtigste Glasfenster im Nordschiff zeigte den doppelköpfigen Adler, welcher die Schlange Horus in seinen Schnäbeln und Klauen zerfetzte. Das Fenster im Osten zeigte den großen Reformator Sebastian Thor als noch jungen Ekklesiarchen, bekleidet mit einem einfachen weißen Gewand, als einziger Schmuck sein bescheidenes, silbernes Aquila auf der Brust. Das westliche zeigte den geschundenen Konfessor Dolan mit blutigem Oberkörper, der mit seinem Martyrium die Bucharis Häresie beendete. Das Fenster im Süden zeigte den stehenden Imperator, auf sein mächtiges Schwert gestützt. An seiner rechten Seite stand, stark verkleinert, die heilige Schwester St. Quaglia, wie sie wohl in jungen Jahren ausgesehen haben mochte, ebenfalls auf ein Schwert gestützt. Zur linken Seite stand der Dekan Lionus der St. Thor Basilika zu Coronis Agaton, welcher dieses Schiff hatte bauen lassen. Natürlich stützte er sich auch auf ein Schwert, was für einen Dekan eine recht merkwürdige Pose war.


Der Adel und die Betuchten hatten in den Seitenschiffen ihre eigenen Emporen, wobei die privilegierten Adligen sogar gepolsterte Sitze hatten, um die Messe zu verfolgen. Der Rest der Gläubigen hatte zu stehen. Gavri und ihre Schutzbefohlenen waren, wie alle halbwegs talentierten Waisen, Mitglieder des Kinderchors. Es gab vier Chöre, die jeder einen eigenen Platz auf der obersten Empore des Hauptschiffes hatten. Hier war auch die gewaltige Orgel untergebracht und bot sogar noch Platz für ein Orchester, welches erbauliche Stücke spielte.


Die Orgel spielte einen Eröffnungsakkord, dann sang der Kinderchor das erste Lied des Tages. Danach begrüßte der Pontifex Astral Nadab, ein spindeldürrer Mann jenseits der Sechzig mit einer viel zu großen Nase, seine Gemeinde und verlas die Namen heiliger Märtyrer und Heiliger, was meist das Gleiche war, die an diesem Tag einst für ihren Glauben, das Imperium und den Gottimperator gestorben waren. Dann sang der Frauenchor ein Trauerlied, um diesen Helden zu gedenken. Danach kam die eigentliche Morgenpredigt, diesmal ging Domherr Nadab auf den Märtyrertod ein. Das Fundament des Imperiums war auf dem Blut der Märtyrer errichtet und jetzt, in dieser wie immer schweren Stunde, wo die Imperiale Armee sich Heldenhaft gegen die Verräter, Ketzer und Xenos stemmte, war diese Opferbereitschaft mehr gefordert, denn je. Seit sie denken konnte, waren es schwere Stunden und die imperiale Armee schlug tapfer Aufstände und Revolten nieder, bekämpfte verbissen Xenos, verteidigte heldenhaft die Grenzen des galaxisweiten Imperiums vor schier übermächtigen inneren wie äußeren Bedrohungen.


Gavri verfolgte mit halbem Ohr die flammende Ansprache des Obersten Predigers des Schiffes und versuchte interessiert zu wirken. Aber ihre Gedanken schweiften immer wieder ab und sie folgte der Predigt nicht wirklich, mochte sie noch so einpeitschend sein. Sie hatte auch kein Auge für die wirklich prächtige Räumlichkeit, die mit Menschenknochen einstiger Pilger ausgekleidet war und in deren Nischen sich wertvolle goldverzierte Reliquienschreine von Heiligen aus dutzender besuchter Welten befanden. Ihre Gedanken drehten sich eher um sie selbst und was langsam aus ihr wurde. Das nahm alles bedenkliche Züge an.


Vor einem Jahr hatte sie angefangen, die Lehre der Ekklesiarchie in Frage zu stellen. Viele Passagen in den heiligen Schriften kamen ihr verdreht vor, falsch, nicht in sich schlüssig. Als wäre einst alles ganz anders gemeint gewesen, aber die Lehre im Laufe der Zeit einseitig zu Lasten des einfachen Gläubigen verändert worden sei. Der normale Mensch hatte nur zu glauben und zu geben, seine weltlichen Güter, sein Blut und letztendlich auch sein Leben. Das heilige Buch der Ekklesiarchie war in der ganzen Galaxis gleich aufgebaut. Das erste Drittel war die Imperatorgeschichte, also seine Geburt, sein Aufstieg zum Imperator von Terra, sein Kreuzzug und die Überwindung des Bösen in Form der Schlange Horus, für dessen Sieg er seinen sterblichen Körper opfern musste. Er saß nun für ewig auf dem goldenen Thron, erleuchtete die Galaxie mit seinem ewigen Licht und beschützte die Menschen seines Imperiums vor dem Bösen. Der heilige Senat herrschte nun in seinen Namen unter dem Vorsitz des Ekklesiarchen über Terra und das Imperium, den Willen des Imperators interpretierend und umsetzend.


Das zweite Drittel enthielt Psalmen, Gebote, Verbote und Pflichten der Gläubigen. Der Ritus der Gottesdienste wurde hier beschrieben und der Stand der einzelnen Menschen im Imperium definiert. Diese ersten beiden Abschnitte waren überall gleich, ein Buch vom westlichen Rand des Imperiums war identisch mit einem aus dem östlichen. Nur das letzte Drittel enthielt die regional genehmigten Abweichungen zum Ritus, band regionale Heilige oder zu Heiligen degradierte Götter in die Heilslehre ein. Oft gab es noch zusätzliche Bücher, wenn das letzte Drittel nicht ausreichte. Auf manchen Planeten, meist waren diese noch nicht so lange in der Familie des Imperiums, gab es das erste Buch gar nicht, sondern man hielt sich an die zusätzlichen, vom Ministorum abgesegneten, Bücher, die nur noch recht wenig mit der eigentlichen Imperatorgeschichte zu tun hatten. Diese Diözesen hatten meist die Auflage, ihren Ritus und Glauben im Laufe der Zeit an das erste Buch anzugleichen. Manchmal gab es im letzten Drittel des ersten Buches auch noch Abschnitte aus den Schriften des Sebastian Thor, des größten Ekklesiarchen, der jemals gelebt hatte. Der große Reformator, welcher das Imperium aus dem schrecklichen Zeitalter der Apostie geführt hatte, in welchem ein gar schrecklicher Usurpator den Willen des Gottimperators absichtlich missinterpretiert hatte.


Manches in der Imperatorgeschichte hörte sich für sie so unglaublich falsch an, als wüsste sie es aus irgendeinem Grund einfach besser. Sie hatte darüber mit der einzigen Erwachsenen geredet, die sie gut genug kannte, um so ein heikles, so ein todbringendes Thema zu erörtern, war doch Zweifel am Glaube gleichzusetzen mit Ketzerei. Mit Schwester Gerechter Zorn, die für eine Nonne ein recht umgänglicher Mensch war, besonders ihr gegenüber. Gavri sprach darüber, wie die Lehre sein sollte und was sie alles falsch fand. Während diesem Gespräch verlor sie wieder Zeit. Ihre fehlte eine komplette halbe Stunde, in der sie nicht wusste, was geschehen war. Das Verhalten von Gerechter Zorn ihr gegenüber war seitdem etwas reservierter, aber auch respektvoller.


Als sie sich das nächste mal mit Schwester Gerechter Zorn zu einem solchen Gespräch traf, waren weitere Nonnen aus dem kleinen Freundeskreis ihrer Lieblingsschwester anwesend und wieder verlor sie Zeit. Sie wagte nicht, die anderen zu fragen, was in der Zeit passiert war. Leise Zweifel an der Auslegung der Lehre zu haben und darüber zu debattieren war das eine, aber zuzugeben, nicht zu wissen, was man in der letzten Viertelstunde getan hatte, etwas ganz anderes. Wurde sie wahnsinnig? War sie verrückt? War sie etwa gar besessen? Darauf hatte sie keine Antworten.


Die Gespräche fanden in einem immer größeren Kreis statt. Einige ausgesuchte Pilger nahmen bald daran teil. Schon bald brauchten sie einen geeigneten Raum für ihre Zusammenkünfte, den sie in einer unverschlossen Lagerhalle im Unterdeck für Ersatzplatten für die Schiffsummantelung fanden. Alle drei Tage trafen sie sich und jedes mal wurden es mehr Zuhörer und die verlorene Zeit wurde immer größer. Eigentlich sollte dieser sehr gefährliche Gedankenaustausch in einem sehr kleinen Rahmen stattfinden und niemand sollte etwas darüber erzählen, aber mit jeder Zusammenkunft gab es trotzdem immer mehr Teilnehmer. Waren es zuerst nur Nonnen und Pilger des D Decks gewesen, kamen mit der Zeit auch Matrosen, ihre Angehörigen und sogar Pilger der höheren Decks hinzu. Auch ihre kleinen Schutzbefohlenen hatten irgendwann zu diesem Kreis gehört. Was sie da taten, war Ketzerei, sie stellten die Lehren in Frage, debattierten darüber, wie wohl die Gebote einst ausgesehen haben könnten und warum sie so strickt verändert worden waren. Ein Verbrechen, für das die Prügelstrafe nicht ausreichte, ein Verbrechen, das nur im Feuer gesühnt werden konnte. Im Büro des Zuchtmeisters Weißkopf gab es einen Rost, auf dem Ketzer verbrannt werden konnten und darauf wollte Gavri nicht enden.


Heute würden sie wieder eine Zusammenkunft haben. Und Gavri hatte Angst, dass diese Häresie bald auffliegen würde. Inzwischen gingen die Teilnehmer in die Hunderte und allein durch diese große Anzahl, musste doch das irgendwann den Glaubenswächtern auffallen. Die waren sicherlich nicht die hellsten, da sie eher nach körperlicher Größe und Stärke ausgesucht worden waren, aber so blöd waren die auch nicht. In der letzten Zusammenkunft waren sogar Pilger des A Decks anwesend gewesen. Und damit meinte sie nicht nur die Bediensteten, die dort wohnten, sondern Angehörige der imperialen Adelskaste. Sie hatte nur den Anfang und das Ende der Zusammenkunft mitbekommen. Als sie wieder da war, küsste gerade eine leibhaftige Tochter eines planetaren Gouverneurs ihre Hände und bat sie um ihren Segen. Gavri hatte geglaubt, sie müsste Ohnmächtig werden, hatte sich aber zusammengerissen und eine Segensformel gesprochen. Was tat sie nur in dieser Zeit?


Der Männerchor sang nun das Lied vom opferbereiten Märtyrer. Danach wurde ein Gebet gesprochen, in dem der Gottimperator angefleht wurde, den tapferen Truppen des heiligen Imperiums den verdienten Sieg zu schenken. Jetzt war wieder der Kinderchor dran und sie sangen ein Siegeslied über eine längst vergessene Schlacht. Danach wurden die Namen der Pilger verlesen, die seit gestern verstorben waren. Es waren nur zwei Namen, da es zu keinen Auseinandersetzungen gekommen war. Ein weiteres Trauerlied später, wurde daran erinnert, das es heute Nachmittag noch eine freiwillige Messe für einen herausragenden Heiligen geben würde und natürlich die tägliche Abendmesse. Der Gedanke des Tages wurde verlesen: Selbst ein Mensch der nichts besitzt, kann für das Imperium immer noch sein Leben geben. Der Satz wurde mehrmals immer lauter von der Gemeinde wiederholt. Zu guter Letzt sprach der Pontifex Astra Nadab sein Segen, die Gemeinde war entlassen, ihr heiliges Tagwerk zu beginnen, dann setzten Orgelmusik und die Glocken ein.


Gavri sorgte dafür, dass ihre Kinder wieder eine Reihe bildeten und schleuste sie durch das Gedränge in eine der Trainingshallen im Hauptdeck. Auch andere Kinder, nicht nur Waisen, hatten sich in der Halle versammelt und Gruppen nach Alter wurden gebildet. Nach einem Gebet, in welchem sie der Ekklesiarchie für ihre Großzügigkeit dankten, hier trainieren zu dürfen, fingen sie mit den Aufwärmübungen an. Danach begannen die eigentlichen Übungen, Unterweisungen und Trainingskämpfe.


Schwester Gerechter Zorn machte heute Morgen einen fröhlichen und beschwingten Eindruck, deswegen fingen die Aufwärmübungen vergleichsweise milde an. Fünfzig Liegestützen auf den geballten Fäusten, gefolgt von zweihundert Kniebeugen zum ausruhen, dann noch vierzig Klappmesser in sechzig Sekunden. Wer das nicht schaffte, durfte nochmal vierzig dran hängen. Nicht zur Strafe, nur zur Übung. Danach kamen dreißig Minuten lange verschiedene Kraftübungen, gefolgt von ein paar leichten Übungen am Balken, um den Gleichgewichtssinn etwas zu trainieren. Anschließend begannen individuelle Übungen.


Gavri übte gerade eine Kata mit einem Schwert, das in Form und Gewicht dem Schwert aus der Gruft glich. Diese Kata nannte man den unbarmherzigen Schlaghagel des Leman Russ. Eine recht brutale Abfolge kraftvoller Hiebe, die in kurzer Zeit auf ein Ziel niederhagelte. Die Drillnonne lies sie die Kata gerade zum vierundzwanzigsten Mal wiederholen, weil da mal ein Hieb nicht mit der notwendigen Stärke geführt wurde, da stimmte mal der Winkel um mindestens ein Grad nicht oder sie war etwas zu langsam, als ein Servoschädel in die Halle hinein geflogen kam und nach kurzem umsehen auf sie zugeschwebt kam.


„Gavri Pilgerstochter, folgen sie mir!“ plärrte der Schädel durch einen Lautsprecher, den er anstelle eines Unterkiefers trug. Es kam öfters vor, dass sie gerufen wurde. Bis jetzt ging es meist um administrative Aufgaben in Bezug auf ihre Waisenkinder. Es konnte reine Routine sein, aber auch bedeuten, dass sie in argen Schwierigkeiten steckte. Sie legte ihr Übungsschwert in den Ständer und folgte mit einem mulmigen Gefühl dem Schädel, der sie in Richtung des vorderen Teil des Schiffes führte. Über die große Haupttreppe betraten sie den Bereich des Schiffes, welcher der Verwaltung der Ekklesiarchie vorbehalten war. Dies hier war ein Bereich verwinkelter Schreibstuben voller Schreiber, staubiger Bibliotheken und klackender Cogitatoren. Sie entspannte sich, als sie den gewohnten Weg erkannte, der zu Priester Medad führte, dem Verantwortlichen für die Verwaltung der Waisen auf dem Schiff. Blicken lies der sich in den eigentlichen Bereichen nie, sondern zitierte die Erzieherinnen immer zu sich in sein kleines Büro.


Aber dann sah sie den obersten Zuchtmeister Weißkopf, dem dritthöchsten Vertreter der Ekklesiarchie nach dem Pontifex Astral und dem Dekan auf dem Schiff vor sich im Gang stehen. Zuchtmeister Weißkopf war ein großer, breit gebauter Mann, ihm fehlte offensichtlich ein Auge, da die leere Höhle gut sichtbar war. Gerüchten zufolge hatte er es sich selbst herausgerissen, weil er aus Versehen einen ketzerischen Satz gelesen hatte. Wo einst seine Nase gewesen war, befand sich jetzt eine nässende Wunde. Über den Verlust seiner Nase gab es ein Dutzend wilder Geschichten, eine unglaubwürdiger als die andere. In seine Wangen waren die heiligen Symbole seines Amtes eingebrannt. Er trug immer ein schweres Buch der erweiterten Gebote, Gesetze und Regeln der Ekklesiarchie für ihre Pilgerschiffe an einer Eisenkette um seine Schulter geschlungen mit sich herum. Seine einfache, vor Dreck starrende, ehemals weiße Kutte, die durch nie heraus gewaschene, unzählige Blutspritzer von Geißelhieben vorne nun dunkelrot war, wurde nur von einer ausgefranzten Schnur zusammen gehalten, in der eine schwere Geißel steckte. Mit der peitschte er nicht nur seine unreine Haut von dem Rücken, sondern auch von denen, die es an der nötigen Inbrunst missen ließen. Er war dafür berüchtigt, schon ein Dutzend Menschen zu ihrem eigenen Besten zu Tode gepeitscht zu haben, teilweise wegen nichtiger vergehen, wie dem Zuspätkommen bei der Morgenandacht. Und Gavri wusste, dass sie viel mehr als das getan hatte.


Sie war aufgeflogen, nur so war sein flammender Blick aus seinem verbliebenen Auge und eine wütende Haltung erklärbar. Alles in ihr schrie, wegzulaufen, sich zu verstecken. Aber wohin? Das Schiff war sicherlich riesig, aber endlich. Bevor sie aber überhaupt reagieren konnte, bekam sie von hinten eine Kapuze über den Kopf gestülpt, ein harter Schlag in die Kniekehle lies sie zu Boden stürzen, dann waren mehrere schwere Körper über ihr und hielten sie erbarmungslos fest. Der Schädel hatte sie offensichtlich in einen Hinterhalt gelockt, ihre Angreifer mussten sich in dem dunklen Schottbereich versteckt haben, den sie gerade passiert hatte. Sie spürte, wie ihr ein schwerer eiserner Kragen angelegt wurde, der ihre Hände vor sich fixierte. Solche Krägen hatten einen ganz speziellen Namen, nämlich Hexenkragen.
 
Erstens: Wann gibts eine gedruckte Form? Ich finds auf jeden Fall gut genug dafür. Das einzige, was in diesem Teil nicht perfekt war, war das auftauchen einzelner Wortwiederholungen, mit denen ich jedoch sehr gut leben konnte...wann kommt der nächste Teil? Ich denke (wie alle anderen) die ganze Zeit was wohl aus der Dame werden könnte....Anfangs tippte ich auf Sorrorita, dann auf Chaotikerin, jetzt bin ich mir da aber auch unsicher und Tippe auf eine "Heilige" des wahren Imperators (also so wie er als Mensch in den HHRomanen beschrieben wird), die sein Imperium reformieren soll. Wetten ich liege Falsch???
Apropos: Ich hab hier was für dich: http://blogs.myspace.com/chalice_of_evil
Ignoriere den großteil der Seite und scroll runter zu den Bildern der Knochenkirche in Sedlec (waren die ersten Bilder die ich auf die schnelle fand). Da kannst du dich für deine Raumbeschreibungen ein bisschen inspirieren.
Und das der Cliffhanger mal wieder saugemein war muss ich wohl nicht extra schreiben.....Böser Autor....ich wollte vor ner halben Stunde schlafen gehen....jetzt hast du mich wachgehalten weil ich lesen und schreiben muss.
 
Hujjujujuju! Ganz großes Tennis! Und zwar sowohl bezogen auf die Qualität, wie auf die Quantität. Da muss man sich schon fragen, was das für eine Schichtarbeit ist, die deine Phantasie so zum blühen bringt.
Ich hätte da nur einen Kritikpunkt: Im Warp vergeht die Zeit ja bekanntlich schneller oder auch langsamer als im Realraum. Da an Bord des Schiffes aber die Geburtstage von Heiligen gefeiert werden, erweckt das den Eindruck, der Zeitfluss auf dem Schiff und im Realraum wäre synchron.
 
Zuletzt bearbeitet:
@Wortwiederholungen:
Die sind mir beim Korrigieren aufgefallen, aber ich konnte mir auf die schnelle keine neuen Überlegen. Außerdem könnten meine Wörter nicht Nakagos Stil entsprechen.

Guter neuer Teil. Mich hat der Umfang des ganzen fast erschlagen^^. Nur frage ich mich, wie du das mit den Aussetzern erklärst. Wird das so wie im Stil von Butterfly Effect?
 
Tolle Fortsetzung. Hab nicht viel zu sagen. Über Sinn oder Unsinn einiger Erläuterungen kann man sich streiten, ich fand die Mosaike aber durchaus interessant.

Was mich stört ist eher die Art, wie der Tagesablaufplan dargelegt wird. Vor allem die Erläuterungen dazu. Entweder schreibst du, was Gavri dazu denkt ODER was dort wie steht. So ein Mischmasch aus Terminplan und Gedanken dazu passt einfach nicht.

ich meine vor allem die rotmarkierten Stellen:

9.30 Schule für ihre Schutzbefohlenen: (das könnte man noch ändern, indem man einfach "Ihre" schreibt, sodass der Plan Gavri direkt anspricht, weiß aber nicht, ob das sinnvoll ist)
Heutige Fächer:
1 Stunde Lesungen über das Leben des Sebastian Thor,
1 Stunde Praktisch angewandte Mathematik,
1 Stunde Hochgotik,
1 Stunde Religionskunde, die Gebote 25 bis 36. Sie würde in der Zeit in der hintersten Reihe sitzend Bücher handschriftlich kopieren, da sie mit Vierzehn Jahren schon zu alt für die Schule galt.
13.30 Essen im großen Saal auf Deck 4

ansonsten: super. Bin mal gespannt, wie sie da wieder rauskommt.
 
Ich habe die vage Vermutung, dass die Geschichte demnächst etwas blutig werden könnte. 😀

Aber vielleicht täusche ich mich auch - Hach, diese Spannung! ^_^

also wenn es so weiterginge wie mit den bisherigen Cliffhangern, dann würde man ihr jetzt sagen, das sei nur ei Scherz gewesen und man wolle ihr zu den hervorragenden Ideen bei der Auslegung der alten Schriften gratulieren. 😀

Aber uns wurde ja etwas mehr Spannung versprochen .... und ich glaube, die wird es auch geben.

Irgendwie hab ich keine Lust, ne Woche zu warten 😀
 
Moje lommt der nächste Teil. Und danach frühestens am nächsten Samstag, sofern Nakago nicht auf die Rechtschreibüberprüfung verzichten will. Bin (leider, meine ich ernst, ich will nicht mit) auf Klassenfahrt in Berlin.

wenns nur daran scheitert, kann er es auch mal mir schicken. Ich bin die Woche zu Hause ...
 
@ Malkavian

In gedruckter Form? Wohl überhaupt nicht. Als PDF? Grob geschätzt der erste Band wohl spätestens in einem Monat. Die Kirche ist mir wohlbekannt und habe mich davon schon inspirieren lassen. Trotzdem Danke.

@ flask03

Das mit dem Kalender und dem verstreichen der Zeit ist in der Tat etwas knifflig. Ich geh davon aus, dass im Schiff das Datum jeweils an den zu letzt besuchten Planeten angeglichen wird, die ja eher eine präziese Zeit haben dürften. Ist sicherlich nicht die beste Erklärung, aber Zeit ist in 40K eh so ein Thema. Ich halte es so wie in Star Wars, wo sich Raumschiffe in Plotgeschwindigkeit bewegen. :lol:

@ SHOKer

Gavri liest sich die Liste durch und denkt sich ihren Teil dazu. Ich habe mit dem Gedanken gespielt, ihre Gedanken deutlicher zu trennen, aber das Layout sah danach Scheiße aus.

Dein Angebot nehme ich gerne an, stell dich schon mal auf viel Arbeit ein. 😛 Ich setze mich dann wegen den Formalitäten mit dir in Kontakt.

@ Sarash

Mal wieder vielen Dank für die Korrektur. Normalerweise würde ich dir ja viel Spaß wünschen, da Berlin eigentlich immer eine Reise wert ist. Allein schon Battlefield Berlin und ein paar andere Läden, auch wenn der RPG Läden Kahlschlag auch vor Berlin nicht halt gemacht hat.

Yup, dieser Teil ist Brutal, spiegelt aber nur die typische Geisteshaltung dieser Art von Mensch in dieser Welt wieder.

@ Blackorc

Das Mosaik ist etwas weitschweifig gehalten, enthält eben auch etwas über die Hintergründe des Pilgerschiffes. Und da diese Örtlichkeit noch eine wichtige Rolle spielen wird, habe ich sie eben in diesem Segment sehr ausführlich beschrieben, um später die Handlung nicht mit Beschreibung der Location strecken zu müssen.

@ All

:bruce_h4h:ACHTUNG!!!! Dieser Abschnitt enthält explicite Gewaltdarstellungen!!! :bruce_h4h:

(Nicht das wieder jemand wie im Wettbewerb schlecht wird)



„Nein! Bitte nicht! Tut mir nichts!“, rief Gavri und versuchte verzweifelt frei zu kommen. Über ihre Fußknöchel schnappten eiserne Schellen ein, die mit einer schweren Kette zusammen gebunden waren. Dann lies man sie los, nur um kurz darauf sie an der Kette durch die Gänge zu schleifen. Das Mädchen schrie, aber ihre Stimme wurde durch den Sack über den Kopf stark gedämpft. Panik überkam sie, sie wand sich in den unbarmherzigen Fesseln, aber sie wurde gnadenlos weiter über den Boden geschleift. Gavri spürte, wie sich ihre Haut aufschürfte, sie mehrere harte Schläge abbekam, als man sie über Kanten von Schotten zerrte. Dann ging es über eine steile Treppe nach unten. Jede Stufe schien nach ihr zu schlagen und starke Schmerzen durchtobten ihren Körper, als sie endlich unten ankam. Das Mädchen war der Gnade von Männern ausgeliefert, die das Wort gar nicht kannten.


"Lasst diese verdammte Hexe brennen!" hörte Gavri eine gehässige weibliche Stimme rufen, die ihr bekannt vorkam. War das gerade die von Havilah gewesen, die nun als Müllsammlerin durch die Gänge zog?


Schließlich kam sie auf einem scharfkantigen Gitter zur Ruhe. Man zwang sie in eine demütig kniende Position, in dem sie mit dem unteren Teil des eisernen Hexenkragen an das Gitter gekettet wurde. Auch die Kette an ihren Füßen schienen durch eine Öse gezogen zu werden und sie hörte ein massives Schloss einrasten. Tief schnitten ihr die Kanten des Gitters in das Fleisch. Die Wunden mussten bluten. Sie hörte schwere Stiefeltritte um sich herum, jemand schnitt ihr das Kleid vom Leib, dann ihre Unterwäsche. Raue Stimmen unterhielten sich über ihren Körper, zu dürr, nichts dran, könnte man aber trotzdem mal anbohren. Es war demütigend. Einer betatschte sie unter lautem Gegröle, drückte ihre Brüste und machte dazu stöhnende Geräusche. Nur einer der Männer protestierte lautstark über ihre Behandlung, wurde von den anderen aber nur ausgelacht. Und das junge Mädchen hatte furchtbare Angst. Ihre schlimmsten Albträume waren gerade wahr geworden.


Vor diesem Moment hatte Gavri sich gefürchtet, seit sie auf das Schiff zurückgekehrt war. Manchmal hatte sie sich gefragt, ob es nicht besser wäre, dies alles hier hinter sich zu lassen. Aber dieses Schiff war ihre Heimat, hier war sie geboren worden. Hier lebten ihre Schutzbefohlenen, jeden den sie kannte.


Gavri schätzte, dass sie sich im runden Gerichtssaal befand, auch untertrieben als Büro des Zuchtmeisters genannt, in dem auch gleichzeitig die Todesurteile durch Verbrennen vollstreckt wurden. Mehrmals hatte sie in der Vergangenheit diesen Raum mit ihren Schutzbefohlenen gesäubert, dass letzte mal vor vielleicht zwei Wochen. Der Raum war Kreisrund, etwa zwanzig Meter im Durchmesser. Im Zentrum war das Rost, auf dem die Ketzer, Hexen und Schwerverbrecher verbrannt wurden. Das Rost konnte man auch zudecken und dann stand während der Verhandlung der Angeklagte in der Mitte des Raumes. Sechs mächtige Säulen in der Form von mit Kapuzen verhüllten Männern, die sich auf blank gezogene Richtschwerter stützten, trugen eine kreisrunde Empore auf ihren Schultern, auf dessen stufenförmigen Rängen Zuschauer Platz finden konnten. Verhandlungen gegen Ketzer fanden allerdings immer unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, deswegen waren die Ränge wohl jetzt auch leer. Ein Teil des Raumes wurde von der massiven steinernen Richterbank eingenommen, in dem auch ein Protokollservitor eingearbeitet war.


Die rauen Hände des Mannes wanderten unter den Zurufen der anderen Greifer weiter ihren nackten Körper entlang, dann war plötzlich Stille. "Keine Minute kann man euch alleine lassen! Gregor! Du verdammter Hurensohn! Ich werde dich lehren, ein Mädchen unzüchtig zu berühren!" Das war die Stimme des Zuchtmeisters und sie hörte das Pfeifen einer Geißel. Die rauen Hände ließen von ihr ab und dann hörte sie einen Mann laut aufschreien. "Mein Auge! Ihr habt mein Auge getroffen."


"Die Unzüchtigen sind in den Augen des Gottimperators ein Gräuel! In Zukunft wirst du jeden Tag daran denken, dass deine Hände nichts auf dem Leib einer Frau zu suchen haben, außer es ist dein angetrautes Eheweib!"
"Aber sie ist doch eine Hexe!"
"Und? Ist sie deswegen nicht unter fünfzehn Jahren? Ist sie deswegen nicht immer noch weiblich? Nur weil sie eine Hexe, Häretikerin und Demagogin falscher Götter ist, erlaubt das niemandem, ich wiederhole niemandem, sie unzüchtig zu berühren! Das Buch der Strafen und Ordnung duldet keine Ausnahmen! Und jetzt aus meinem Auge, du Hundsfott! Über deine angemessene Strafe werde ich später im Buch der Strafen nachschlagen! Und auch ihr werdet noch euer Fett wegbekommen. Ihr habt mich so enttäuscht! Raus, ihr unwürdiges Gewürm! Nur Jakob bleibt, da er als einziger Anstand bewiesen hat." Sie hörte das Trampeln von eisenbeschlagenen Stiefeln, dann wurde eine Türe zugeschlagen.


„Ist meine Anwesenheit hier wirklich vonnöten? Bringen wir die Sache schnell hinter uns, dass wir zurück in den Warpraum können. War es wirklich nötig, wegen einer Hexe die Reise zu unterbrechen?“


„Eine besessene Hexe auf eurem Schiff sollte euch interessieren. Kapitän Le Grange! Und ja, diese hier ist mächtig, gar nicht auszudenken, was sie für Dinge zu Hilfe rufen könnte, wären wir noch imImmaterium des Warpraums. Gellerfeld hin oder her.“ Der Kapitän war hier? Kapitän Le Grange war ein elfenbeinhäutiger Mann mit einem kahlen Schädel, aus dem metallene Buchsen ragten, die es ihm erlaubten, mit dem Maschinengeist ohne Verzögerung zu kommunizieren und das Schiff allein durch seinen Willen zu steuern. Sein grauer Bart war immer sorgfältig gestutzt und er trug eine grüne Uniform mit goldenen Epauletten. Normalerweise hatte er immer eine vergoldete Boltpistole im Holster und ein schlankes Schwert an seiner Seite hängen. Gavri konnte ihn jetzt natürlich nicht sehen, aber sie hatte ihn oft genug in ihrem Leben getroffen und sogar mal ein oder zwei Sätze mit ihm gewechselt, als sie mal die Brücke hatte säubern dürfen, was als große Ehre galt.
„Ist das sicher, hat sie gestanden?“
„Die Beweise sind eindeutig. Eure Anwesenheit ist nur eine Formalität, sobald sie geläutert ist, könnt ihr unser Schiff in den Warpraum gefahrlos zurückbringen. Ich will mich bei dieser Angelegenheit so Nah wie möglich an den Vorschriften halten.“


„Wäre es nicht besser, sie der Inquisition zu übergeben? Vor drei Tagen hätten wir noch dazu Gelegenheit gehabt.“
„Nun, mein lieber Kapitän, lasst euch folgendes Sagen. Einst war ich im Gefolge eines Inquisitors tätig. Diese Art von Menschen sind nie zufrieden, mit dem, was man ihnen freiwillig gibt. Sie würden die häretische Hexe nehmen, dann ihre Anhänger und sehr lange Zeit damit verbringen, ihnen Fragen zu stellen. Der Erfolg eines Inquisitors bemisst sich auch mit der Anzahl der von ihm dem reinigenden Feuer überstellten Personen. Er wäre nicht mit denen zufrieden, die ich ihm geben würde. Er würde weitere Namen verlangen und glaubt mir, ab einem gewissen Punkt würde auch mein Name fallen, und davor der Eure. Und selbst wenn nicht, der Ruf des Schiffes wäre ruiniert, der aller unschuldiger Pilger ebenfalls, die nichts von dieser Ketzerei wussten. Nein, wir erledigen das hier und jetzt, ohne Außenstehende. Wir halten uns an die vorgeschriebenen Richtlinien der interstellaren Raumfahrt, wenn Gefahr in Verzug ist. So hat alles seine Richtigkeit, die Schuldigen werden im Feuer geläutert und die Unschuldigen setzen ihre Pilgerfahrt ungestört fort.“
„Wenn man diese Fakten berücksichtigt, habt ihr sicherlich Recht, Zuchtmeister Weißkopf.“


„Nun, dann für das Protokoll, Servitor, beginne mit der Aufzeichnung!“ Sie hörte eine Mechanik klicken. „Protokoll beginnt, Erbitte Titel und Aktenzeichen.“ „Prozess der Ekklesiarchie gegen Gavri Pilgerstochter, Aktenzeichen 2 245 996 M41 K96/3/3-7. Ich, Zuchtmeister Weißkopf, walte meines, vom Gottimperator geheiligten, Amtes als Ankläger im Namen der Ekklesiarchie im Prozess gegen die Hexe, Ketzerin und Demagogin falscher Götter Gavri Pilgerstochter. Kapitän Le Grange fungiert als weltlicher Richter und Vertreter des Imperiums.


Das Verfahren gegen die Hexe, Ketzerin und häretische Demagogin Gavri Pilgerstochter, geboren auf diesem Schiff vor vierzehn Standardjahren, ist hiermit eröffnet. Angeklagt wegen Hexerei, Ketzerei und Aufwiegele in mehreren hundert Fällen. Beginnen wir mit der Beweisaufnahme. Wie ihr wisst, kopieren die Pilger heilige Schriften. Hier haben wir das Original, hier eines von Gavri Pilgerstochter mit ketzerischen Passagen gespickte Abschrift. Sie war sogar so perfide, ihren Namen ins Impressum zu schreiben. Ich habe hier eine Seite, die eine leichte Abweichung aufweist, seht ihr diesen Absatz? Weitere Abweichungen finden sich über das ganze Buch verteilt. Diese sind aber so schwerwiegend, dass ich sie nicht mal Euch zeigen kann, ohne das Eure Seele Schaden nehmen würde.


Beweis Nummer 2, die Hexe führt in einem Lagerraum geheime Zusammenkünfte aus. Ich war so frei, eine Spionagekamera dort zu postieren, als mir zugetragen wurde, dass sich dort gewisse Elemente alle paar Tage treffen. Hier ein kurzer Auszug ihrer ketzerischen Reden.“ Sie konnte ihre durch die Wiedergabe verzerrte Stimme hören, wie sie eine ihrer kleinen Predigten hielt. Allerdings konnte sie sich an diese Rede nicht erinnern. Sie sprach davon, dass das Imperium ein dem Tode geweihtes Konstrukt aus Irrglauben, Stagnation, Grausamkeit und menschenverachtender Bürokratie war.


„So, das dürfte reichen. Die Besucher sind inzwischen alle registriert und ich werde sie nach und nach dem reinigen Feuer übergeben, da alle diese Worte verstanden und keiner, wirklich keiner den notwendigen Anstand besessen hat, mich oder einen Verantwortlichen von diesem Treiben zu unterrichten. Nun, damit wären die Beweise auf dem Tisch. Diese sind so eindeutig, dass ein Geständnis der Angeklagten nicht nötig ist. Protokoll Stopp! Haben sie etwas anzumerken, Kapitän Le Grange?"


"Hm, auf der Liste stehen hier Zweihundertsiebenundneunzig Namen. Darunter sind Fünf Jahre alte Kinder!"
"Jugend schützt nicht vor Strafe. Für Häresie gibt es keine Gnade, keine Vergebung, nur den Tod durch das läuternde Feuer."
"Beim gütigen Imperator! Ich werde keine Kinder einfach so ins Feuer schicken. Diese Liste ist absurd! Hier stehen die Namen von Matrosen, die ich schon ihr ganzes Leben kenne und deren Frauen und Kinder. Was ihr mit euren eigenen Pilgern macht, ist eure Sache, aber meine Leute rührt ihr nicht so einfach an. Das fällt unter meine Zuständigkeit und allein der meinigen. Und ich sehe hier den Namen von Contessa Lolicia de Dokarra, einer Imperialen Hochadligen von Temperis. Ihr Vater ist der berüchtigte Gouverneur Großherzog Talbot de Dokarra, Herr über den Subsektor Cabulus. An der werdet ihr euch garantiert nicht vergreifen. Unter gar keinen Umständen, wenn ihr uns nicht alle umbringen wollt. Ihr Vater gilt als sehr rachsüchtig und maßlos."


"Wäre Euch eine inquisitorische Befragung aller Bewohner dieses Schiffes etwa lieber?"
"Droht Ihr mir etwa? Zuchtmeister Weißkopf?"
"Ich zeige Euch nur auf, was uns allen drohen könnte, wenn wir diese Häresie nicht mit Stumpf und Stiel ausrotten."
"Ich werde kein pauschales Todesurteil für alle ohne Befragung und Prozess unterzeichnen. Das könnt ihr vergessen. Arretieren ja, verhören ja und dann sehen wir weiter, Fall für Fall. Und der ehrwürdige Pontifex Astral Nadab persönlich sollte ihre Beichten abnehmen, wenn diese Schuld so schwer liegen sollte. Seinen Empfehlungen werde ich mich beugen, aber nicht den Euren. Wenn diese Hexe hier so mächtig ist, wie ihr behauptet, hat sie vielleicht die ganzen Leute ja verhext und sie sind gegen ihren Willen manipuliert worden. Dafür verdient niemand den Tod. Schon gar nicht einer von meinen Leuten oder kleine Kinder."
"Ich werde mich der Autorität des Pontifex natürlich beugen, auch wenn er auf seine alten Jahre hin sehr milde geworden ist." Wenigstens würden ihre Anhänger vielleicht noch mit dem Leben davon kommen, das war ein großer Trost für Gavri. Für sie selbst gab es wohl keine Gnade.
"Gut, dann wäre das ja geklärt. Ihr habt mir nun einige Beweise für ihre Häresie geliefert, aber wie kommt ihr darauf, dass sie eine Hexe ist?"
"Seht ihr dieses Gerät? Es ist eine tragbare Version eines Psionikmessers. Inquisitionsgardisten und Hexenjäger benutzen solche Geräte um Menschen mit psionischen Fähigkeiten aufspüren zu können. Ein Andenken an meine Zeit mit den Reisen des Inquisitors, von dem ich euch erzählt habe. Die kleine Hexe hier hat sich immer sehr gut abgeschirmt und ihre Kräfte nur sehr sporadisch eingesetzt. Das Gerät hat in den letzten Monaten immer wieder starke Ausschläge angezeigt. Ich dachte schon, es wäre defekt, obwohl ich die notwendigen Litaneien, um den Maschinengeist des Gerätes milde zu stimmen, immer buchstabengetreu ausgeführt und die Maschine mit dreifach gesegnetem Öl gesalbt habe. Aber als ich dann die Aufnahmen ausgewertet habe und ich mich in der Nähe ihrer Kabine auf die Lauer gelegt habe, konnte ich meinen Verdacht schließlich bestätigen, sie war es, die mit ihrer Anwesenheit meinen Psionikmesser ausschlagen lies. Durch die Nullfeldgeneratoren ist ihre Hexenkraft neutralisiert und so kann das Gerät sie nun zweifelsfrei erfassen. Seht selbst, wie es ausschlägt, wenn ich es auf sie richte."
"Ist das Gerät in Ordnung? Der Wert der angezeigt wird, ist absurd hoch."
"In der Tat, darum auch die ganzen Vorsichtsmaßnahmen. Aber nun gut, konzentrieren wir uns erst mal auf diesen schweren Fall von Häresie. Protokoll weiter. Hat die Angeklagte Hexe noch etwas anzumerken? Protokoll Stopp!“


„Bitte, hört mich an. Seit.“ Weiter kam sie nicht, ein harter Schlag mit einer Geisel traf sie auf dem Rücken. Mit Widerhaken besetzte Gewichte schnitten in ihr Fleisch und der Schmerz steigerte sich, als diese die Haut entlang gezogen wurden, bevor sie mit einem harten Ruck heraus gerissen wurden. Es tat furchtbar weh. Gavri hätte gerne dargelegt, welche Punkte sie in der Lehre für falsch hielt, mehr als sie töten konnten sie ja nicht. Glaubte sie jedenfalls in ihrer jugendlichen Naivität.


„Das war rein rhetorisch gemeint, Hexe! Dein Gewäsch interessiert hier niemanden. Nun, fürs Protokoll, die Angeklagte hat nichts anzumerken. Bevor wir zur Urteilsverkündung kommen. will ich noch erklären, warum das Strafmaß so milde ausfällt. Meiner Meinung nach hast du kleine Hexe, Häretikerin und Ketzerin so ziemlich jedes schwerwiegende Verbrechen begangen, dass man einem Menschen des heiligen Imperiums unseres geliebten Gottimperators anklagen kann. Du bist eine lebende Beleidigung für jeden Gläubigen. Eine verlogene Verräterin wie du am einzig wahren Glauben ist eine Perversion eines Menschen. Dein Leiden sollte Monate, wenn nicht gar Jahre dauern. Ich würde mir bei der schwere deiner Verbrechen viel Zeit lassen und ich habe bei der Inquisition gelernt, wie man selbst mit den einfachen Mitteln die mir hier zur Verfügung stehen, den Schmerz maximieren kann. Als erstes würde ich dir glühende Nadeln ins Nagelbett deiner Finger stoßen.“ Ein harter Schlag mit der Geißel traf sie ein weiteres mal. Wieder bissen die scharfkantigen Gewichte schmerzhaft in ihr Fleisch. „Dann würde ich dir die Nägel heraus reisen. Einen nach den anderen. Als nächste würde ich dir die einzelnen Fingerknochen mit einem Hammer zertrümmern und dann mit einer Zange dir Fingerglied für Fingerglied abzwicken.“ Ein weiter Schlag. Und er zählte mit großer Begeisterung weiter auf, was er alles mit ihr anstellen würde. Nach jeder detailreichen Schilderung schlug er ein weiteres mal mit der Geißel auf sie ein. Es tat unglaublich weh, als ihr Haut und Fleisch zerfetzt wurden. Früher hatte sie sich mit religiöser Verzückung selbst gegeißelt, aber die Gewichte waren rund gewesen und die Haut war nur ab und zu durch die Wucht des Schlages aufgeplatzt. Aber diese scharfen Gewichte an der Spitze der Geisel bissen sich schmerzhaft tief in ihr Fleisch und beim herausziehen rissen sie ihr das Gewebe auf.


„Und dann kurz bevor ich dich dem reinigenden Feuer übergeben würde, nachdem ich dich aller Gliedmaßen und Sinne beraubt hätte, würde ich dich pfählen. Aber langsam und mit Geduld, sodass der Pfahl deine wichtigen Organe nicht durchstößt, sondern wegdrückt. Mit einem stumpfen Messer würde ich dir deinen Bauch aufschneiden, sodass deine Innereien herausfallen. Als nächstes würde ich dir deine eigenen Gedärme zu Schmecken geben. Und erst kurz bevor du stirbst, würde ich dich mit dreifach gesegnetem Promethium übergießen und anzünden.“ Ein weiterer Schlag, weitere Schmerzwellen durchströmten ihren Körper. Inzwischen konnte sie nicht mal mehr schreien, nur noch wimmern. Es tat so schrecklich weh. Mindestens zwanzig Hiebe hatten sie getroffen. Ihr Rücken bis hinunter zum Gesäß schien eine einzige blutende Wunde zu sein.


„Aber leider muss ich das ganze auslassen, da ich dich für ein verdammt gefährliches Miststück halte, das mit der Zeit durchaus in der Lage wäre, die Bindungen des Hexenkragens, der Antipsimaske und des dreifach gesegneten Pentagramms, in dessen Zentrum du mit eisernen geweihten Ketten gefesselt bist, zu durchdringen. Vielleicht sogar die Nullfeldgeneratoren in diesem Raum zum Durchbrennen zu bringen. Aber wenigstens habe ich jetzt ein paar von deinen verderbten Knochen offen gelegt. Ich hoffe, du hast noch etwas gelitten, Hexe! Jakob, schüttet zwei volle Eimer des dreifach gesegneten Promethium über sie.“ Sie hörte etwas metallenes Scheppern, dann traf sie ein Schwall einer streng riechenden Flüssigkeit. Jemand verteilte das leicht entflammbare Öl gleichmäßig über sie. Auch ihre Kapuze wurde damit getränkt. Sie hatte Probleme zu Atmen und musste husten. Furchtbare Angst hatte ihr Herz im Griff und ihre Augen schwammen in Tränen. Sie hatte sich so vor diesem Moment gefürchtet und nun war er da.


„Protokoll weiterführen! Aufgrund der erdrückenden Beweislast und der nachgewiesenen Schwere der Schuld, kann es keine andere Strafe als den Tod geben. Kapitän Le Grange, euer Urteil?“
„Ähm, ja, den Tod. Die Beweislage ist eindeutig, ebenso die Messung ihrer verderbten Fähigkeiten. Verfahrt mit der Hexe, wie es das Gesetz des Imperiums und des Adeptus Ministorum vorschreibt.“
„Gut! Hiermit wird Gavri Pilgerstochter zu zwanzig schweren Hieben mit der Geißel und dem Tod durch das Feuer verurteilt! Protokoll Stopp! Hexe! Mögest du hier wie auch in der Hölle brennen! Vollstreckt das Urteil! Verbrennt die Hexe!“
„Nein!“ wimmerte Gavri mit letzter Kraft verzweifelt.
 
Soviel zum Thema imperiale Grausamkeit. Wie du sie wohl da rausholst. Platzt jetzt die Schwester herein und schießt alle über den Haufen? Schade, dass ich das wohl erst nächsten Freitag lesen kann.

Nakago, hiermit entziehe ich dir das Recht, zu sagen, meine nicht Geschichten seien brutal.😛 Auch wenn ich über die Realität geschrieben habe, was du hier produziert hast, schaffe ich nur, wenn ich schlechte Laune habe und gleichzeitig an Personen denke, die ich nicht hasse.

Was jetzt nicht heißen soll, dass ich diesen Geschichtsteil schlecht finde. Beim lesen (bezug auf den Wettbewerb😛) ist mir noch nie schlecht geworden.
 
Toller Teil. Einziges, was mich wundert: Man hört eigentlich zu wenig von Gavri selbst. Selbst wenn sie nichts sagt, um SChlägen zu entgehen, müssten ihr noch viel mehr Gedanken durch den Kopf gehen, gerade auch bei der Fast-Vergewaltigung. Im Moment klingt es so, als wäre sie nur eine unbeteiligte Zuschauerin und irgendwer anders würde verurteilt werden.

Aber spannend ist es, deshalb werde ich mich gleich mal an die Korrektur des nächsten Teils machen 😀
 
@ Sarash

Hm, die Brutalität und Gnadenlosigkeit die ich in deiner Geschichte anmerkte, ging ja hauptsächlich von den eigentlichen Hauptpersonen aus. Ich nehm einfach mal an, dass der Fokus auf dieser Truppe liegt.

@ Shoker

Stimmt, Gavri wirkt teilweise etwas unbeteiligt. Ich sollte irgendwo noch mal deutlich machen, dass sie vor Angst und Schmerzen wie gelähmt ist und nicht wirklich einen klaren Gedanken fassen kann. Und vielen Dank für die prompte Korrektur. :clap:

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Gavri roch das Promethium und schrie auf. Weg! Nur weg! Sie stolperte, kippte orientierungslos nach hinten um. Panisch versuchte sie sich irgendwo festzuhalten. Fahrig griff sie nach einem Vorhang, riss ihn aber nur aus der Halterung. Klatschnass und nackt landete das Mädchen auf ihrem Hintern und schaute sich erstaunt um. Sie befand sich in einer kleinen leeren Kabine, welche das Schiff für besser begüterte Pilger oder höhere Ränge der Ekklesiarchie bereitstellte. Vor ihr war eine Nasszelle und aus dem Duschkopf rauschte warmes sauberes Wasser. Grenzenlos verwirrt rappelte sie sich auf. Nur der intensive Geruch nach Promethium erinnerte das Mädchen an das Geschehene. Es wirkte alles so unwirklich. Eigentlich müsste sie brennen! Was war passiert? Wie war sie entkommen? Wie war sie hierher gekommen?

Sie versuchte sich daran zu erinnern, aber wie immer, wenn sie Zeit verlor, war da nichts, außer ihre letzte Erinnerung, wie sie zum Tode durch Verbrennen verurteilt worden war, dazwischen klaffte die übliche Lücke den Nichterinnerns. Frustriert schlug Gavri mit der Faust auf den Boden. Erst jetzt realisierte das Mädchen, dass sie keine Schmerzen mehr hatte, was sie von ihrem Körper sehen konnte, schien unverletzt zu sein. Vorsichtig tastete sie ihren Rücken ab, der von der Geisel in Fetzen geschlagen worden war. Nur glatte Haut konnte sie erfühlen. In der Kabine gab es einen großen Spiegel an einer der Schrankwände, in dem Gavri sich verwirrt betrachtete. Dort wo das Mädchen glaubte, sich verletzt zuhaben, war nur makellose Haut, sie drehte sich vorsichtig um und versuchte einen Blick auf ihren Rücken zu erhaschen. Der Anblick ihres Rücken lies das Mädchen erschreckt aufkreischen. Panisch taumelte Gavri zurück, bis sie in eine Ecke des Raumes stieß. Das Mädchen schlug schluchzend die Hände vors Gesicht und rutschte kraftlos zu Boden.

„Was passiert nur mit mir? Was passiert nur mit mir? Was passiert nur mit mir?“ Die Lautstärke steigerte sich mit jedem Satz, bis sie schrie. Sie schrie, bis sich ihre Stimme überschlug und nur noch ein anhaltendes Kreischen zu hören war. Aber niemand antwortete ihr, niemand kam zu ihr. War sie wirklich eine Hexe? War sie besessen von einem der unbeschreiblichen Wesen, dessen Existenz alleine schon zu wissen ein todeswürdiges Verbrechen war? War sie wirklich eine Psionikerin? Oder war sie einfach nur verrückt? Bildete sie sich dass alles vielleicht nur ein? Sie wusste es nicht! Sie wusste es einfach nicht. Gavri weinte, bis sie keine Tränen mehr zu glauben hatte.

Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis sie den Mut hatte, sich ein weiteres Mal vor dem Spiegel zu stellen. Sie sah eine durchtrainierte junge Frau mit einem flachen Bauch und Körper einer Athletin, deren Brüste für ihren Geschmack immer noch viel zu mickrig und Kleinmädchenhaft waren. Ihre Scham war mit einem dichten Busch aus hellem Haar bedeckt. Geblutet hatte sie immer noch nicht, obwohl alle anderen Mädchen sich in ihrem Alter damit schon herumschlugen. Schwester Gerechter Zorn hatte ihr erklärt, dass Mädchen, die sehr viel Sport trieben, später bluteten als solche, die wenig in dieser Beziehung taten. Dann drehte die junge Frau sich um und blickte ein weiteres mal auf ihren Rücken. Makellos wäre wohl die richtige Beschreibung. Kein Leberfleck, keine Narbe, keine eingebrannten Buchstaben waren zu sehen, mit denen sie vor sechs Jahren gebrandmarkt worden war, zur Feier ihres achten Geburtstages. Nur kurz ertrug sie den Anblick der Makellosigkeit. Dann schloss Gavri die Augen, atmete mehrmals tief durch und öffnete sie wieder. Der Rücken war immer noch der Gleiche. Makellos.

Und so langsam dämmerte ihr, dass, egal was passiert war, ihr Rücken das kleinste ihrer Probleme war. Wahrscheinlich durchsuchte man schon das Schiff nach ihr. Und nach ihren Freunden. Sie musste sie warnen, sie musste irgendetwas tun! Die Schränke der Kabine waren leer, die Koje hatte zwar eine Matratze, aber kein Laken. Blieb als einzige Alternative der Duschvorhang, mit dem sie ihre Blößen bedeckte. Als nächstes drehte Gavri das Wasser ab und lauschte. Sie hörte das leise Wummern der Maschinen, die man nur hören konnte, wenn alles ganz still war, spürte die üblichen Vibrationen des Schiffes unter ihren Fußsohlen. Alles schien normal zu sein. Mehrmals atmete Gavri tief durch, versuchte ihr inneres Gleichgewicht wiederzufinden, die Ruhe durch sich strömen zu lassen. Normalerwiese müsste sie längst verbrannt sein, aber sie lebte noch, auch wenn sie sich das nicht wirklich rational erklären konnte. Aber jetzt galt es erst mal die anderen zu warnen, alles andere hatte zu warten.

Es war Wahnsinn, über die Gänge zu laufen, aber die hatte Gavri noch nie gebraucht. Das Lüftungsgitter in der Kabine war zu klein, aber der Schacht über den Gang müsste sie aufnehmen können. Leise öffnete sie die Türe und lugte vorsichtig nach links und rechts. Die Luft war rein, kein Suchtrupp, kein Pilger, kein Matrose und kein Angehöriger der Ekklesiarchie war zu sehen. Gavri wertete das mal als gutes Zeichen.

Vermutlich befand sie sich noch im Bereich des Oberdecks im Teil der Ekklesiarchie, wahrscheinlich die siebte für Normalsterbliche abgeschottete Ebene, wo sich die Kabinen der geistlichen und administrativen Führung befanden. In diesem Deck des Schiffes war sie noch nie gewesen, jedenfalls außerhalb eines Lüftungsschachtes. Ein dicker roter Teppich bedeckte den Boden. Die Wände waren mit religiösen Reliefs verziert. Aber sie hatte nur Augen für das große Gitter der Lüftung an der Decke. Gavri stellte sich auf die Zehenspitzen und erreichte es gerade so, wenn sie kraftvoll hoch sprang. Es gelang ihr mit einigen komisch anmutenden Schlägen das Gitter soweit hochzudrücken, dass sie den Rand des Schachtes zu fassen bekam und sich hinein winden konnte. Das war jetzt vertrautes Gelände. Das Mädchen drückte das Gitter zurück in die Halterung, überlegte sich im Geist die schnellste Route, die zu dem Trainingsraum führte, wo ihre Schützlinge noch üben mussten, wenn man sie nicht schon längst verhaftet hatte, und nahm diesen Weg. Auf dem Weg dorthin passierte sie die Wäscherei des Klosters und da der Raum leer war, borgte sie sich einen Trainingsanzug einer Nonne, der ihr zwar etwas zu weit war, aber sie hatte nicht den Nerv, nach einer passenden Größe zu suchen. Zurück im Schacht versteckte Gavri dort den Duschvorhang und krabbelte weiter.

Nach etwa fünfzehn Minuten kam sie in dem Bereich an, wo tatsächlich das Training ungestört vonstattenging. Über einen Nebenraum, wo weitere Übungswaffen und Hilfsmittel gelagert wurden, drang sie in den Bereich ein. Sie öffnete vorsichtig die Türe und sah Schwester Gerechter Zorn in der Trainingshalle, wo sie immer noch die Fortgeschrittenenklasse unterrichtete. Sie winkte sie vorsichtig heran, konnte aber nicht vermeiden, von anderen gesehen zu werden. „Ich muss mit dir reden!“ Die Nonne im Trainingsanzug zog fragend eine Augenbraue nach oben und musterte leicht belustigt ihren Aufzug. „Das nicht witzig! Unser aller Leben ist Gefahr!“

„Also was hat dieser Aufzug zu bedeuten? Dieser Trainingsanzug einer geweihten Schwester gehört doch wohl offensichtlich nicht dir?“
„Wir sind aufgeflogen. Zuchtmeister Weißkopf weiß alles! Von unseren Versammlungen, wie viele wir sind, wer wir sind. In dem Augenblick sind wahrscheinlich Sicherheitskräfte des Schiffes unterwegs, um dich zu verhaften. Um alle zu verhaften! Sie haben eine Liste mit Zweihundertsiebenundneunzig Namen! Mich haben sie schon verhaftet!“
„So so? Und warum bist du dann hier?“
„Weil ich fliehen konnte! Ich weiß zwar nicht genau wie, aber wir müssen hier weg, die anderen warnen und dann uns irgendetwas überlegen, wie wir aus der Sache raus kommen. Oh Verdammt! Das ist alles meine Schuld! Hätte ich doch nie damit angefangen!“ Tränen rannen wieder über ihre Wangen und sie schluchzte laut.
„Beruhige dich erst mal, atme tief durch. Lasse die Ruhe durch dich strömen."
„Ich habe das Gefühl, wahnsinnig zu werden. Verstehst du denn nicht? Sie werden uns alle holen und wegen Ketzerei verbrennen! Zuchtmeister Weißkopf hat eine Kamera im Lagerraum installiert gehabt, er weiß von jedem den Namen! Und Kapitän Le Grange weiß das auch, und viele der Sicherheitsleute. Da bin ich sicher. Die werden uns alle umbringen! Verbrennen bei lebendigen Leib!“
„Psst! Du wirst schon dafür gesorgt haben, dass niemand etwas passieren kann. Also atme tief durch und beruhige dich endlich! Es ist sicherlich hart, was du hast durchmachen müssen, aber hysterisch zu werden ist in dieser Situation nicht gerade hilfreich.“
„Was meinst du damit, ich hätte dafür gesorgt? Wie kannst du nur so ruhig bleiben? Und ich bin überhaupt nicht hysterisch!“, kreischte Gavri laut.
„Wenn das nicht der Fall wäre, würden die Glocken schon läuten, Greifertrupps aus dem Dunstkreis des Zuchtmeisters wären schon hier. Also wirst du nicht nur geflohen sein, sondern auch alles unternommen haben, dass deine Flucht nicht auffällt.“
„Ich habe doch keine Zauberkräfte, um so was zu bewerkstelligen, oder etwa doch?“ Letztendlich war dies die einzige logische Erklärung, da wohl niemand anderes für ihre Befreiung gesorgt zu haben schien.
In diesem Moment wummerte es an der Türe und Gavri schrie erschreckt auf. Die Türe ging auf, bevor sie reagieren konnten und Jadon und Saphira kamen herein gestürmt.
„Was macht ihr hier drin?“, fragte Jadon neugierig.
„Hohl die anderen Kinder, wir müssen hier weg!“
„Nein, kommt herein, Gavri ist gerade etwas durcheinander“, wiegelte Schwester Gerechter Zorn ab.
„Gavri, du hast ja geweint! Was ist den los?“ Saphira kam zu ihr und drückte sie fest an sich. Normalerweise war es ja Gavri, welche Saphira tröstete. Es hatte etwas Rührendes an sich und sie streichelte zärtlich über den Kopf des Kindes.
„Ich habe das Gefühl verrückt zu werden!“ Gavri hatte eigentlich etwas ganz Anderes sagen wollen, wie, „mach dir keine Sorgen, mir geht es doch gut.“ Aber die Wahrheit drängte sich einfach nach oben.
„Keine Angst, dass ist nur..“ In dem Moment hielt Jadon ihr den Mund zu.
„Saphira! Die Lichtbringerin hat doch verboten, Autsch!“ Saphira hatte dem älteren Jungen so kräftig in den Finger gebissen, dass er blutete.
„Du bist doch so ein Idiot! Jetzt hast du Dumpfbacke es verraten! Ich hätte doch was ganz was anderes gesagt! Ich bin nämlich nicht so blöd wie du!“
„Ups! Tschuldigung!“ Jadon grinste idiotisch und lief rot an.
„Lichtbringerin? Was hat das zu bedeuten? Von was redet ihr da nur? Was wisst ihr? Los sagt schon!“
„Gavri, nun dein anderes Ich hat uns strickte Anweisungen gegeben, dir nichts von deinen Aktivitäten zu verraten, wenn sie nicht du bist. Aber da Jadon seinen Mund nicht halten konnte, darüber werden wir noch ein Wort reden, junger Mann, wird es wohl das Beste sein, dir die Wahrheit zu sagen. In dieser Situation ist es wohl auch angebracht. Dein anderes Ich nennen wir die Lichtbringerin. Jedenfalls sprechen wir dich so an. Manche nennen dich auch die Prophetin, die Gesegnete, die Erlösung bringende, die Wahrheitssprechende. Aber Lichtbringerin war die Bezeichnung, welche dein anderes Ich wollte. Ich weiß, dass du, als Gavri, in der Zeit davon nichts mitbekommst, was sie uns sagt und tut. Anfangs war es schon etwas unheimlich, was dein anderes Ich alles weiß und kann, aber ich bin von ganzem Herzen überzeugt, dass du und sie uns nichts Böses will.“
„Ich bin also besessen?“, hauchte Gavri. „Ich bin also doch eine Hexe! Eine verdammt gefährliche obendrein, wie es aussieht. Du als Nonne müsstest mich doch vernichten? Warum lebe ich noch?“

„Ich kenne dich jetzt schon fast dein ganzes Leben lang. Und ich muss sagen, du bist der außergewöhnlichste Mensch, der mir je untergekommen ist. Dein Lebensmut, deine Frömmigkeit, deine Hilfsbereitschaft, dein Mut fand ich schon immer sehr inspirierend. Du warst eine aufgeweckte und interessierte Schülerin mit Talent. Bis zu dem Tag, wo du verschwunden bist.

Ich habe geweint, als die Totenmesse um dich gelesen wurde, weil dieses Schiff etwas verloren hatte, was ich als unersetzlich fand. Und dann bist du wieder aufgetaucht. Du warst verändert, diese Tage, wo du verschwunden warst, haben dich wahrlich zu etwas Anderem gemacht. Warst du vorher nur eine gute Schülerin, warst du danach eine überragende. Denn du lernst nun nicht nur, du hinterfragst, suchst weiterführende Lösungen und kommst zu neuen Ergebnissen.

Das ist etwas, was im Imperium nicht erwünscht ist: ein freier Geist. Ein freier Geist ist wie eine unbewachte Festung mit offenem Tor, sagen sie. Aber wenn alte Wege nur in Sackgassen führen, braucht es frischen Wind, neue Wege, neue Ideen. Ich sah etwas in dir, was mir schon vor lange Zeit heraus geprügelt worden war.

Auf meiner Heimatwelt gehörte ich zur Oberschicht, der Gouverneur war sogar mit mir sehr entfernt verwandt. Ich lebte in einem goldenen Käfig, wo Langeweile oft in Grausamkeit und Dekadenz umschlägt. Ich hatte zu funktionieren, hübsch auszusehen und sonst das zu tun, was man mir sagte. Und meine Mutter sorgte mit sehr strenger Hand dafür, dass mir alle Flausen ausgetrieben wurden. Oh, sie war dabei sehr erfinderisch, eigentlich schon richtig sadistisch, da könnte manch Inquisitor sicherlich noch was lernen. Dann sollte ich heiraten, eine Vernunftheirat, um ein politisches Bündnis zu schließen. Mein Verlobter war ein ungehobelter Fettsack, der vier Zentner wog, wenn er gerade Diät hielt und dreimal so alt war wie ich. Der sich jedem legalen und illegalen Laster hingab. Letztendlich hätte ich wahrscheinlich nur einen goldenen Käfig gegen einen anderen Käfig getauscht. Hübsch aussehen, funktionieren und repräsentieren. Aber ich wollte nicht, ich begehrte auf. Diesmal nicht!

Mein Vater stellte mich vor die Wahl, Heirat oder Kloster. Ich tauschte den goldenen Käfig gegen einen eisernen. Glauben, Beten und Funktionieren. Ich meldete mich sofort, als dem Kloster angeboten wurde, ein Kontingent an Nonnen für eine Pilgerreise als kämpfende Begleiter zu stellen. Nur raus, von einem Käfig in den nächsten. Ich war am Verzweifeln, verzagte, dachte nur noch an den Tod, nicht an Erlösung. Doch dann kamst du, damals warst du sechs Jahre alt. Ein kleines lebensfrohes Ding mit einer breiten Zahnlücke. Wo du warst, war Fröhlichkeit, Leichtigkeit. Dein Glauben hatte eine Tiefe, den meiner nie erreicht hatte. Es machte Spaß, dich zu unterrichten, dir die Grundlagen der Selbstverteidigung beizubringen. Dich reden zu hören, wie du für andere eintratst. Wie du den Glauben lebtest, den andere nur nachäffen, ohne den Sinn darin zu verstehen, weil er inzwischen so verdreht wurde, dass vieles keinen Sinn mehr macht.“

„Und diesen Glauben habe ich inzwischen verloren. Und deswegen ist mein Leben verwirkt!“
„Ja, dein Glaube hat sich gewandelt, der Imperator ist ein Heiliger, ein großartiger Mensch, der Unvorstellbares bewirkt hat, aber eben nur ein Mensch, dessen Seele immer noch ihren ewigen Dienst für die Menschheit leistet. Aber ein wahrer Gott existiert im Licht und du bist seine Prophetin.“
„Du bist sicher, dass ich nicht nur einfach verrückt bin? Das in der Gruft mir nicht einfach zu oft den Kopf gestoßen habe?“
„Nein, verrückt bist du nicht. Aber du hast offensichtlich etwas aus der Gruft mitgebracht.“
„Du meinst die ganzen Sachen?“
„Nein, etwas was in dir ist.“
„Also bin ich doch eine besessene Hexe!“ Gavri seufzte schwer. Und sie konnte froh sein, dass dieses Ding in ihr, nur ihre vernarbte Haut mit makelloser Haut ersetzte. Es gab wilde Gerüchte, was Dämonen mit einem anstellen konnten. War ein Dämon in ihr? Würde sie zur Vernichtung dieses Schiffes werden? Beunruhigende Visionen durchzuckten sie.
„Ich würde dich eher als erleuchtete Heilige bezeichnen.“
„Wer hat schon von einer Heiligen gehört, die von ketzerische Reden hält, alles in Frage stellt und von einem Dämon besetzt ist?“
„Kein Dämon, etwas anderes, etwas wunderbar Schönes!“
In dem Moment setze das Geläut der Glocken ein und die Lautsprecher des Intercoms knackten. Alle hoben etwas überrascht die Köpfe und lauschten der Durchsage von Pontifex Astral Nadab.

„Der Imperator sei gepriesen und möge er uns segnen! Liebe Gemeinde der „Gesegnete Erlösung der wahren Gläubigen“, liebe Pilger, Brüder und Schwestern, Matrosen, geschätzte Passagiere. Ich habe eine äußerst traurige Botschaft zu verkünden. Ich habe gerade erfahren, dass der oberste Zuchtmeister dieses Schiffes, mein zweiter Stellvertreter und geschätzter Bruder im einzig wahren Glauben, Zuchtmeister Weißkopf von uns gegangen ist. Er starb an einem Herzinfarkt, als er sich gerade ereiferte. Mögen wir ihn stets als strengen, aber gerechten Lehrer und Führer in Erinnerung behalten. Seine Geisel sorgte nun fast ein Jahrzehnt für Gerechtigkeit und Strafe auf diesem Schiff. Unzählige wurden unter seiner schwieligen Hand zu besseren Menschen geformt. Sein Leichnam wird in der Kathedrale aufgebahrt werden und alle lieben Gläubigen erhalten die Gelegenheit, ihrem geschätzten und verehrten Zuchtmeister die letzte Ehre zu erweisen. Die Abendmesse wird um eine Stunde vorverlegt und um die Totenmesse erweitert. Ich bitte um vollständige Teilnahme. Möge der Imperator seinen treuen Diener freudig begrüßen und ihm eine Aufgabe zuweisen, die seinen irdischen Taten und Talenten zu Gute kommt. Und nun wollen wir für eine Minute schweigen und still gedenken. So sei es!“

Gavri versuchte zu ergründen, was diese Botschaft zu bedeuten hatte. Hatte sie den Zuchtmeister bei ihrer Flucht getötet? Aber warum sagte dann der Pontifex Astral Nadab, dass Zuchtmeister Weißkopf an einem Herzinfarkt gestorben war? Das war wirklich seltsam. War sie oder ihr anderes Ich, es fiel Gavri immer noch sehr schwer, diesen Umstand zu akzeptieren, in der Lage, einen Menschen zu töten? Ohne dass es auffiel? Man sagte Hexen viel nach. Manches klang zu fantastisch, um wahr zu sein, aber angeblich sollten manche Hexen in der Lage sein, einen Menschen mit einem einzigen Gedanken zu vernichten, auf die unterschiedlichste, oft äußerst schmerzhafte Art und Weise. Jemanden durch eine Herzinfarkt zu töten, hörte sich noch vergleichsweise milde an. War sie oder besser gesagt ihr anderes Ich zu einem Mord an einem Menschen fähig? So wie es aussah ja. Aber sie fühlte sich nicht besonders schuldig. Gavri dachte mit Grauen an das, was der Zuchtmeister ihr alles antun wollte, wenn er die Zeit dafür gehabt hätte. Sollte sie sich darüber Sorgen machen? Wohl ja, aber im Moment hatte sie noch viele andere Probleme zu bewältigen.

"Scheint so, als hätte ich wirklich dafür gesorgt, dass nichts weiter passieren kann", meinte Gavri mit einer gewissen Bitterkeit in der Stimme. Die ganzen Ereignisse zu verarbeiten würde Zeit brauchen.
"Wie ich schon sagte, dein anderes Ich wird schon dafür gesorgt haben und das hat es offensichtlich auch."
"Und jetzt? Was soll ich nur tun? Was kann ich tun?"
"Nun", weiter kam Gerechter Zorn nicht, da das Schiff inne zu halten schien, dann lief eine schwere Erschütterung durch das Schiff, dann in schneller Folge mehrere kleine Stöße und sie meinte eine gedämpfte Explosion zu vernehmen.
„Was war das gewesen?“ Gavri schaute fragend die Nonne an.
„Ich habe keine Ahnung, vielleicht ein kleiner Meteortreffer?“ Ein weitere spürbare Erschütterung lief durch das Schiff.
„Vielleicht gar ein Feld?“
„Verstümmeln! Vernichten! Verbrennen! Vertilgen!“, schrie eine raue heisere, ihr total unbekannte Stimme durch das Schiffscom. „Zerhacken! Zerstückeln! Zerfetzen! Zermalmen!“
„Was war das denn jetzt?“, fragte Gavri erstaunt und die Glocken der Kathedrale läuteten Sturm.
 
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@ Shoker

Stimmt, Gavri wirkt teilweise etwas unbeteiligt. Ich sollte irgendwo noch mal deutlich machen, dass sie vor Angst und Schmerzen wie gelähmt ist und nicht wirklich einen klaren Gedanken fassen kann. Und vielen Dank für die prompte Korrektur.

jo, das kannste machen. Ist zwar irgendwie ne faule Notlösung, einfach zu sagen, der Protagonist kannst gerade nicht denken, aber besser als gar nichts 😀

@ neuer Teil:

Die offenen Punkte habe ich dir ja schon erklärt. Ansonsten finde ich das ziemlich cool, dass sie jetzt über ihr alternatives Ich aufgeklärt wird. Die Lichtbringerin ist auch ein schöner Titel.

Nicht ganz so gut fand ich die Erzählung der Nonne, vor allem bezüglich Gavri. Mir selbst kam sie nie so lebensfroh und optimistisch vor, aber das liegt vermutlich einfach daran, dass die Geschichte ja erst in der Gruft anfängt.

Ansonsten bin ich mal gespannt, von wem sie da angegriffen werden. Klingt nach bescheuertem Chaos. Das könnte lustig werden.
 
„Verstümmeln! Vernichten! Verbrennen! Vertilgen!“, schrie eine raue heisere, ihr total unbekannte Stimme durch das Schiffscom. „Zerhacken! Zerstückeln! Zerfetzen! Zermalmen!“
„Was war das denn jetzt?“, fragte Gavri erstaunt und die Glocken der Kathedrale läuteten Sturm.

Na endlich....kommen die auf die ich schon lange gewartet habe.:wub:

*Freu wie ein Schnitzel*

Aber wenns Khorne Berserker sind,aufgrund der Kom-Mitteilung (siehe Zitat), sollten die kämpfe ziemlich hart sein....auch wenn es Kampfnonnen und Veteranen sind, ein Khorneanhänger ist ne harte nuss im CQC
 
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Huiii,
dieser Teil ist aus zweierlei Sicht faszinierend: Zum Einen erfahren wir nun endlich etwas mehr darüber, was mit Gavri geschehen ist. Wenn auch nicht viel, denn das sie von irgend etwas besessen ist konnte man sich ja zuvor bereits denken. Aber die Lichtbringerin scheint interessant zu sein. ^_^

Zum Anderen kam das Ende vollkommen unerwartet. Ich hätte damit gerechnet, dass Gavri sich vielleicht vom Schiff absetzt oder so, aber dass sie ausgerechnet jetzt angegriffen werden...
Im Moment erscheint mir das ein wenig arg viel des Zufalls. Aber vielleicht gibt es ja eine Erklärung dafür.

Ein kleines Manko, das ich gefunden habe:
keine eingebrannten Buchstaben waren zu sehen, welche ihr vor sechs Jahren eingebrannt worden waren
Wortwiederholung "eingebrannt"