Na, es war ja doch recht still geworden hier. Ich spinn dann mal wieter am Geflecht. Wird etwa doch alles gut werden?
„Wir... sollten uns vielleicht in eins der Zelte setzen, Sir.“, gab Haller zu bedenken und deutete mit seinem bionischen Zeigefinger auf sein eigenes Zelt, während er unsicher zum grauen Himmel aufblickte, der hier und dort zwischen den Ästen der Bäume sichtbar war. Die Schneeflocken fielen dichter. Er blinzelte, als eine in sein Auge fiel, und spürte weitere auf seinen Wangen schmelzen. „Das Wetter wird zusehends schlechter, und außerdem...“
Krügers Hand tastete nach dem Helm auf seinem Kopf. Der in grünem Tarnanstrich gehaltene, sperrige Dreischichthelm stach inmitten einer masse von grauuniformierten Todeskorpslern nur zu deutlich hervor. „Ja.“, sagte Krüger und lächelte. „Es wäre eine Schande, jetzt einem Scharfschützen zum Opfer zu fallen.“
Haller nickte und ging zum Zelt hinüber. Er schlug die Plane zurück und hielt den Eingang für Krüger offen, um ihm dann ins Innere zu folgen. Mit hochgeschlagner Plane hatten sie genug Licht, und der ausgebreitete Schlafsack bewahrte sie einigermaßen vor der Kälte des Bodens.
Krüger rückte etwas zur Seite, um auch Haller noch Platz auf dem Schlafsack zu lassen. Der Hauptmann hatte den Helm abgenommen und neben sich gelegt, und Haller tat es ihm gleich. Krüger wirkte erschöpft, mit dunklen Ringen unter den Augen und schweißverklebtem Haar, aber Haller wusste, dass er selbst unrasiert und ebenfalls übermüdet keinen besseren Anblick bieten musste.
„Ich höre, Haller...?“, meinte Krüger und stützte die Ellbogen auf die Knie.
„Ja, Sir. Ich... überlege, wo ich wohl anfangen sollte.“
„So schlimm, Haller?“
Haller nickte nur. „Es begann mit dem Angriff auf den Landsitz, Sir.“
„Ich erinnere mich, Leutnant. Ich hatte noch keine Gelegenheit, ihnen für meine Rettung zu danken.“ Krüger senkte den Blick. Seine Stimme wurde merklich leiser. „Es scheint, als hätte ich selbst die Kompanie in Schwierigkeiten gebracht. Viele der Männer hätten nicht sterben müssen, wenn ich nicht in Gefangenschaft geraten wäre.“
„Sir“, wandte Haller ein, „wir hätten das Lager der Orks vielleicht nicht aufgespürt, wenn wir nicht nach ihnen gesucht hätten. Wir hätten wohl kaum Luftunterstützung gehabt, wenn Fahrenhorst sie nicht ihretwegen angefordert hätte. Und Oberst Körtzsnik wäre entkommen, wenn sie ihn nicht getötet hätten.“
Der Hauptmann nickte. „Danke, Haller. Aber wir haben einen hohen Preis dafür bezahlt. Sagen sie mir, wie hoch er wirklich war.“
„Leutnant Fahrenhorst ist tot, Herr Hauptmann. Van Bent ist bei ihrer Rettung gefallen, ebenso wie Sergeant Andresen. Der Überfall auf den Landsitz hat uns viele andere Dienstgrade gekostet. Von den Sergeants, die unter ihnen dienten, leben nur noch Gutjohn, Haverkamp und Buchner. Wir haben nur noch zwei Züge, einmal meinen eigenen und den von Strauß.“
„Strauß?“, fragte Krüger murmelnd. „Unkraut vergeht nicht, oder, Haller?“
Haller musste lächeln, gegen seinen Willen. Krüger mochte Strauß genauso wenig wie Haller selbst ihn einst gemocht hatte. „Nein, Sir.“
„Ich nehme an, dass Strauß eines ihrer Probleme ist, oder?“, vermutete Krüger. „Er hat immer versucht, gegen sie zu intrigieren. Wenn er gegen die Vorschriften verstoßen, sie sabotiert oder gegen ihre Autorität rebelliert haben sollte, dann sagen sie es mir, Haller. Ich werde ihn mit Freuden aus dem Weg schaffen.“
Haller schüttelte den Kopf. „Sie wissen, Sir, dass ich das nicht tun würde. Ich habe selbst manches mal Dinge getan, die zumindest meine Degradierung rechtfertigen würden. Es wäre ungerecht, Strauß mit anderen Maßstäben zu messen.“
„Er verdient andere Maßstäbe, Haller. Er ist kein Mann wie sie.“
Haller holte tief Luft. Er hätte niemals gedacht, dass einmal der Moment kommen würde, in dem er Strauß vor Krüger in Schutz nehmen würde. „Leutnant Strauß und ich...“, sagte er langsam und mit gedämpfter Stimme, weil er nicht wollte, dass jemand von den Männern außerhalb des Zeltes es hörte, „wir sind zu einem Waffenstillstand gelangt. Er hat in den vergangenen Wochen Qualitäten gezeigt, die ich nicht von ihm erwartet hätte. Es wäre vermessen von mir, ihn einen Freund nennen zu wollen, oder auch nur einen Kameraden, aber ich habe gelernt, ihn zu respektieren.“
Krüger stand der Unglaube ins Gesicht gemeißelt. „Sie haben gelernt... ihn zu respektieren?“, wiederholte er mit großen Augen. „Beim Imperator, Haller, man könnte meinen, dass meine Abwesenheit nicht so schlecht war, wie sie es mich haben vermuten lassen.“
„So einfach ist es leider nicht. Strauß wurde schwer verwundet. Er liegt im Lazarett.“
„Wird er es überleben?“
„Unkraut vergeht nicht, wie sie schon sagten, Herr Hauptmann.“ Haller zuckte mit den Schultern. „Es wuchert nur. Der Ersatzmann für Strauß ist ein Leutnant Bahrenberg.“
„Bahrenberg aus dem Regimentsstab?“, fragte Krüger nach. „Ich kenne ihn flüchtig. Sein Vater lehrte Literatur und Philosophie an der Akademie, als ich noch ein Kadett war. Was ist mit ihm?“
„Nun, er möchte Strauß erschießen, sobald der Leutnant sein Krankenbett verlassen kann.“
„Würden wir das nicht alle gern?“, fragte Sergeant Kruppke und räusperte sich. Er war näherkommen – offenbar so leise, dass Haller und Krüger ihn nicht bemerkt hatten - und stand nun neben dem Zelteingang, zwei dampfende Becher in den Händen. „Kaffee, Herr Hauptmann, Herr Leutnant?“
Krüger gluckste leise in dem Versuch, sein lachen zu unterdrücken, während Haller laut wurde: „Verdammt, Kruppke, können sie sich nicht bemerkbar machen?“ Leiser, aber ebenso wütend fügte er hinzu: „Das war nun wirklich nicht für ihre Ohren bestimmt, und ganz sicher nicht für den Rest der Kompanie.“
Krügers Hand legte sich beruhigend auf Hallers Arm. „Lassen sie, Leutnant. Kruppke, den Kaffee, bitte.“
„Ja.“ Kruppke reichte ihnen die Becher ins Zelt. „Ja, Herr Hauptmann. Die Männer lassen ausrichten, dass sie froh sind, sie zu sehen, Herr Hauptmann. Gilt natürlich auch für mich, Sir.“
„Richten sie den Männern aus, dass ich auch froh bin, wieder bei meiner Kompanie zu sein.“ Krüger nippte an dem Kaffee. „Selbstgekocht, Kruppke?“
Der Sergeant nickte eifrig. „Ja, Sir!“
„Könnte Tote aufwecken, das Zeug.“, murmelte Krüger anerkennend. „Wenn sie so gütig wären, uns dann wieder allein zu lassen, Sergeant?“
Kruppke gehorchte aufs Wort. Er drehte sich mit einer von Enthusiasmus beflügeltem Leichtigkeit um , die Haller bei einem Mann seines Umfangs nie für möglich gehalten hätte, und spazierte geradezu in Richtung der Männer davon.
„Ach, Sergeant?“, hielt Krüger ihn zurück.
Kruppke blickte unsicher über die Schulter.
„Kein Wort über diese Sache, verstanden?“
„Nein, Sir.“ Kruppke grinste breit und nickte. „Kein Wort darüber.“
„Es war mutig, ihn zum Sergeant zu machen, Leutnant.“, stellte Krüger fest, als Kruppke außer Hörweite war. „Ich hätte Angst gehabt, dass er mir die Streifen vor die Füße wirft. Kruppke wollte nie...“
„Ich hatte keine Wahl, Sir. Er und Burgsmüller waren die Einzigen, die ich hatte.“, unterbrach ihn Haller.
„Ich weiß.“ Krüger trank einen weiteren Schluck Kaffee. „Wir waren bei Strauß und Bahrenberg stehen geblieben, als wir unterbrochen wurden... Warum will Bahrenberg unseren freund Strauß unbedingt töten?“
„Es geht um eine Frauengeschichte. Ein Duell zur Wiederherstellung der Ehre.“ Haller räusperte sich. „Irgendeine Angelegenheit unter adligen Söhnen auf der Akademie. Ich verstehe nichts davon, wie mir zwei Experten unabhängig voneinander bescheinigt haben.“
„Sie sollten sich nicht mehr darum sorgen, Leutnant.“, meinte Krüger. „Ich werde mich ab jetzt um diese Angelegenheit kümmern und sie bei Oberst Kaltenbrunn zur Sprache bringen, wenn ich mich zurückmelde. Es könnte gut sein, dass Sergeant Kruppke uns hier noch eine große Hilfe sein wird.“
„Was... meinen sie damit, Sir?“
Krüger seufzte. „Sie sollten froh sein, dass sie nie die Akademie hinter sich bringen mussten, Leutnant. Aber scheinbar hatten die endlosen Lektionen in Protokollfragen auch etwas Gutes. Lassen sie es mich so zusammenfassen: Offiziere von Adel sind durchaus berechtigt, Ehrenangelegenheiten in einer bewaffneten Auseinandersetzung beizulegen. Diese Ausnahme vom normalen Umgang gleichrangiger Offiziere untereinander findet aber ihre Grenzen, wenn die Untergebenen der Offiziere in das Duell miteinbezogen werden oder auch nur durch vorherige Kenntniserlangung von diesem Duell zugunsten einer der Parteien beeinflusst worden sein könnten. Sie können sicher sein, dass dieses Duell nun nicht mehr lange ein Geheimnis bleiben wird.“
Haller blieb einen Moment lang stumm. War das alles wirklich alles so einfach? Gab es auf alle seine Probleme die Antwort in irgendeiner Vorschrift, die er nur nicht kannte?
„Na, was ist denn, Leutnant?“, fragte Krüger. „Ich nehme ihnen ganz sicher nicht übel, dass diese Angelegenheit ihnen Kopfzerbrechen bereitet hat.“
„Da.. wäre noch eine Sache, Herr Hauptmann.“
„Die wäre?“
„Erinnern sie sich an Schwester Calponia?“