*blubb*
*blubb blubb*
*blubb blubb blubb*
Inmitten der Lichtung, deren Boden von einer dünnen Schneedecke überzogen war, blieb Haller stehen. Trotz der Kälte war er nassgeschwitzt, und seine Beine schmerzten. In der herabhängenden Linken hielt er seine Laserpistole. Die Waffe summte leise, geladen und entsichert für den Fall der Fälle.
Mit dem Ärmel der Rechten wischte Haller sich den Schweiß von der Stirn. Sein Blick glitt das düstere Dickicht der Bäume vor ihm entlang. Er bewegte sich auf das Kloster zu, aber abseits der Wege, so wie er vermutete, dass auch Calponia es tun würde. Die vergleichbar kurze Strecke durch das unwegsame Dickicht hatte ihn viel Kraft gekostet, ohne dass er auch nur den Ansatz einer Spur gefunden hätte. Er wusste nicht, ob er die junge Sororita schon längst verloren hatte oder ob sie sich nicht vielleicht doch ganz in seiner Nähe befand, versteckt im Unterholz.
Der Leutnant hatte keine Erklärung dafür, was in Calponia gefahren war, dass sie zwei Männer grausam getötet und Ziemke verstümmelt hatte, aber er war entschlossen, es heraus zu finden. Er fühlte sich schuldig, weil er es gewesen war, der Calponia ins Lazarett gebracht hatte, auf dessen Verantwortung hin sie überhaupt erst in Kontakt mit ihren Opfern gekommen war. Diese Männer waren gestorben, weil er eine Entscheidung getroffen hatte, die den Vorschriften zuwider lief. Hätte er es voraussehen müssen?
Er hatte immer wieder darüber nachgedacht, was Calponia zur Mörderin gemacht haben könnte. Für ihn stand fest, dass sie diese Taten nicht klaren Verstandes begangen haben konnte, dazu war sie eine zu fromme und ergebene Dienerin des Imperators gewesen. Er erinnerte sich aber auch daran, wie verändert sie im Lazarett gewesen war, wie bedrohlich und beängstigend sie gewirkt hatte. Hatten Ziemkes Schmerzmittel diese Veränderung bewirkt? War sie von einem Fieber befallen worden? Oder hatte, vor Grauen über all das Erlebte, der Wahnsinn von Calponia Besitz ergriffen?
Haller würde es aufklären. Er war es den Toten, Ziemke, sich selbst und in allererster Linie Calponia schuldig. Seit den Kämpfen auf Festinion, als er in der Kathedrale und bei ihrer Flucht durch das Abwassersystem an Calponias Seite gestanden hatte, ging ihm die Sororita nicht mehr aus dem Kopf. Es war nicht so, dass er in sie verliebt gewesen wäre, wie es ihm in seinem Leben schon gelegentlich mit gewöhnlichen Mädchen gegangen war, sondern eher so, dass er fasziniert davon war, mit welchem Mut und welcher stoischen Entschlossenheit sie und ihre Schwestern trotz ihrer Jugend den Feinden des Imperators entgegengetreten waren. Seit diesem Tag brannte die Kerze in seiner Seele, die sein Glaube war, etwas heller, und er bemühte sich, seinem Leben im Dienst des Imperators einen Sinn zu geben, seine Männer mit derselben Entschlossenheit und Zuversicht zu führen, die er bei Calponia so lebendig und unschuldig schön erlebt hatte.
Vielleicht würde er ihr helfen können, wenn er sie fand. Vielleicht würde er sie beruhigen können, zumindest ihr Leben retten können. Vielleicht, wenn selbst das ihm nicht gelang, würde er ihr zumindest einen schnellen Tod und ihrer Seele Frieden schenken können.
Die Waffe in seiner Hand wurde schwerer, als er daran dachte, Calponia vielleicht töten zu müssen. Während seines bisherigen Wegs hatte er den Gedanken daran unterdrückt, dass sie vielleicht irgendwo in einem Gebüsch oder hinter einem Baum lauerte, bereit, ihn wie ein Raubtier anzuspringen und mit der bloßen Gewalt ihrer servoverstärkten Hände in Stücke zu reißen, aber nun, da er die dunkle Grenze betrachtete, die die Bäume auf der anderen Seite der Lichtung bildeten, wurde die Vorstellung übermächtig. Er zitterte und wusste selbst nicht, ob es vor Grauen oder nur deshalb war, weil die Kälte seinen verschwitzten Leib schließlich doch ergriffen hatte.
Mit steifen Muskeln trat Haller einen Schritt auf den Waldrand zu, dann noch einen und noch einen. Er hob die Waffe auf Brusthöhe, ließ den Zielmarkerpunkt über die knorrigen baumstämme gleiten, während er näher und näher heranging.
„Calponia?!“, rief er, seine Stimme mit Mühe dämpfend. „Schwester Calponia, seid Ihr da?!“
Er bekam keine Antwort, wie schon so oft in den vergangenen Stunden. Es war so verflucht still in diesem Wald, dachte er. Umgeben von Kameraden, häufig in Scharmützel mit den Eldar verwickelt und dem Lärm der benachbarten Frontabschnitte ausgesetzt war ihm das in den vergangenen Wochen nie bewusst geworden, doch jetzt umgab ihn die Stille wie ein Tuch, das über ihn geworfen worden war. Nur wie aus weiter Ferne hörte er gelegentlich das Donnern von Explosionen, die Artilleriebeschuss oder Mörserfeuer verrieten. Eigentlich hätten diese Geräusche viel lauter sein müssen, dachte er, wenn man in betracht zog, was für eine geringe Distanz von der Frontlinie er seit seinem Aufbruch zurückgelegt hatte. Es war, als ob der Schneefall auch die Geräusche überdecken würde, so wie er ganz allmählich den Wald mit seinem Leichentuch überzog.
Haller trat zwischen die ersten Bäume. Er drehte sich noch einmal um, sah in den leeren, grauen Himmel über der Lichtung, dann verschwand er wieder im Wald.