Ys’ijan’khar fühlte die Nähe des gewaltigen Meteors, wurde davon angezogen wie von einem Leuchtfeuer. Das aus dem Warp selbst geborene Gestein rief mit jedem Schritt, den sie Calponias Körper tun ließ, drängender nach ihr. Die Haut ihrer sterblichen Hülle veränderte sich unter den Resten der Servorüstung, spannte sich über anschwellenden Muskeln und sich verlängernden Knochen.
Die Transformation war in vollem Gange. Bald würde es nicht mehr Calponia sein, die auf dieser Welt wandelte, sondern wieder voll und ganz Ys’ijan’khar, die Lichtbringerin, Dienerin des ewigen Verführers, des Prinzen der Freuden.
Es war einfach gewesen, in den geheimen Gang zu gelangen. Die ewige Finsternis im Inneren des Berges machte ihr nichts aus, ebenso wenig wie die vielen hundert Meter, die sie noch unteririsch zuruckzulegen hatte. Es gab nichts mehr, was noch zwischen ihr und ihrem Ziel stand.
Sie genoss die Schmerzen, die mit ihrer Verwandlung einhergingen, als Geschenk ihres Herrn. Ihre Finger betasteten die Krone aus Hörnern, die aus der glatten Haut ihrer Stirn wuchs. Ihre lange Zunge zuckte zwischen zwei Reihen spitzer Zähne hervor, um die vollen Lippen zu befeuchten, die nach der Süße schweren Schlafes schmeckten. Aus ihrem Rücken entsprangen unter Krämpfen ledrige, leuchtend rote Schwingen, die sich wie die Robe einer Hohepriesterin um ihren schlanken Leib legten.
Ys’ijan’khar war zufrieden. In der Ferne hörte sie bereits den Gesang ihrer Jünger, die vor dem Artefakt auf sie warteten. Sie beschleunigte den Schritt ihrer langen Beine, verfiel in einen leichten Trab, der die neuen Gelenke ihrer nun zweifach zu beugenden Gliedmaßen einer ersten Belastung unterzog. Das versklavte, in Form gebrachte Fleisch gehorchte ihrem Willen, und Ys’ijan’khar empfand eine Mischung aus Neid und Bedauern für den ersten Sterblichen, der das Vergnügen haben würde, zwischen ihren perfekten Beinen auf dem Höhepunkt seiner Freuden seine Seele für sie opfern zu dürfen.
Es wäre eine Lüge gewesen zu behaupten, dass Ys’ijan’khars Äußeres, so wie sie es in Jahrtausenden in wechselnden Variationen immer wieder gewählt hatte, wenn sie in der Welt der Sterblichen wandelte, nur ein Mittel zum Zweck war, um sich der Verehrung und der Leidenschaft ihrer sterblichen Diener zu versichern. Sie empfand es selbst als den nur zu passenden Rahmen für ihre eigene Göttlichkeit, für die ewige, unvergängliche Schönheit dessen, was sie im Warp war. Sie hatte Hunderte von Sterblichen besessen in all den Jahrtausenden, Menschen und Aliens, Männer, Frauen und andere Geschlechter, aber immer war es ihr ein besonderes Bedürfnis gewesen, ihre Erscheinung ihren eigenen Vorstellungen anzupassen, mit dem Fleisch ihres Wirts ein Kunstwerk zu formen. Wenn sie in dem kurzen Augenblick grenzenlosen Horrors, der dem Tod voraus ging, durch die Augen ihrer Opfer blicken konnte, sich selbst im Spiegel der Seele der Sterbenden sah, dann wollte sie zufrieden sein mit sich selbst.
Ja, Ys’ijan’khar war eitel, und es erfüllte sie mit innerer Belustigung, dass die verblendeten, kleingeistigen Diener des Leichengottes, zu denen auch ihre bemitleidenswerte Wirtin Calponia gezählt hatte, Eitelkeit als eine Sünde sahen. Der Kult um ihre eigene Erbärmlichkeit und Wertlosigkeit hielt die sterblichen Menschen davon ab, das unendliche Potenzial und das unvorstellbare Vergnügen zu erkennen, das ihre Körper boten. Sie waren auf jenseitige Wesenheiten wie Ys’ijan’khar angewiesen, die als Boten der großen Götter des Warp unter sie kamen und mit der Weisheit der Jahrtausende die sterblichen Völker des Universums dazu anleiteten, die Rollen zu spielen, die ihnen von den Göttern vorausbestimmt waren. Milliarden von Seelen hatte Ys’ijan’khar auf den Pfad der Freuden geführt und aus der Sinnlosigkeit ihrer bloßen Existenz befreit.
Heute würden es mehr werden. Sie würde Orellion dem Prinzen der Freuden zu Füßen legen, mit den Seelen aller Wesen, die sich auf dieser Welt befanden. Orellion würde ein Teil des Warp werden, eine Dämonenwelt des Slaanesh, und Ys’ijan’khar würde sie nach ihrem Geschmack verändern, so wie sie Calponias Körper veränderte.
Warmes Licht schien in den Gang. Ys’ijan’khar erschauderte vor Wonne, als die Strahlen des Warpgesteins auf ihren Leib fielen. Ein Gefühl der Geborgenheit überkam sie, so wie es auch von ihren Dienern beim Anblick des Artefakts Besitz ergriff. Sie hatte die unterirdische Kammer erreicht. Ein letzter Schritt ihrer nun übernatürlich verlängerten Beine trug sie in den vollen Glanz, der von dem Meteor ausging. Ihre Anwesenheit ließ den Stein noch hheller strahlen, das Licht pulsierend im Takt des Schlages ihres Herzens.
Ihre treuen Jünger warteten auf sie, nackt und schwitzend in der Glut des Meteors. Ein gebeugter Alter, der eine aus Holz geschnitzte Maske mit dem lachenden, langnasigen Antlitz eines niederen Dämons der Freuden trug, trat einen Schritt auf sie zu, seine schmale Brust sich heftig hebend und senkend vor Erregung ob ihres Anblicks. Seine Männlichkeit pulsierte halb aufgerichtet zwischen seinen sehnigen Schenkeln. Ys’ijan’khar schenkte ihm ein gütiges Lächeln, und er senkte den Blick, um seine Gier zu verbergen. Mühsam sank er auf die Knie nieder, und ihre anderen Jünger taten es ihm gleich.
Wohlwollend betrachtete sie die drei Dutzend Männer, die ihre Häupter vor ihr beugten, sich in den Staub drückten ob ihrer Schönheit und Erhabenheit. Sie musste sich eingestehen, dass sie diese Momente vermisst hatte in den Jahrhunderten ihrer Abwesenheit. Der Warp bot seine eigenen freuden, aber die Welt der Sterblichen verlor für einen Dämon nie an Reiz. Sie gab einem das Gefühl, selbst über die unendliche Macht der Götter zu gebieten – und in gewisser Weise stimmte das sogar.
„Ys’ijan’khar!“, intonierte der Alte in einem leiernden Singsang, und die anderen wiederholten es mit Inbrunst. „Bringerin des Lichts! Du bist zu uns gekommen.Ys’ijan’khar!“
Ys’ijan’khar störte sich am Klang seiner alten, krächzenden Stimme. Sie passte nicht recht zur Erhabenheit des Kultes, den sie verdiente. Mit gedämpfter Freude beschloss sie, für den Moment darüber hinwegzusehen und alsbald unter ihren Jüngern nach einer schöneren Stimme zu suchen. Der Alte mochte anderen Nutzen haben oder schon bald die Ehre erfahren, seine Seele auf dem Altar des Prinzen der Freuden zu opfern.
„Ich grüße euch, meine Kinder“, erwiderte sie schließlich und trat zwischen die Knieenden. Ihre langfingrigen Hände mit den Spitzen Klauen strichen behutsam über die gebeugten Häupter, nur oberflächliche Schnitte beibringend. Jeder Kratzer wurde von erregtem Keuchen begleitet, und als sie schließlich die Klauen an den Mund hob und mit spitzer Zunge das Blut kostete, wurden die leisen Laute der Lust zu einem wollüstigen Jauchzen. „Ich sehe, dass ihr alles bereitet habt für meine Ankunft.“
„Ja, Lichtbringerin“, erwiderte der Alte seufzend, als Ys’ijan’khars lange Klauen blutige Kratzer auf seinem Rücken hinterließen. „Und viele haben den Weg zu uns auf sich genommen, um zum wahren Glauben zu finden. Wir mussten sie fesseln, damit sie nicht ausreißen. Sie wissen noch nicht um ihr Glück.“ Er streckte den Arm aus, deutete aus dem Lichtschein des Meteors hinaus. Ys’ijan’khars Blick fiel auf eine Gruppe mit Ketten aneinander gebundener Menschen, die sich mit Furcht in den Augen und aufgerissenen Mündern aneinanderdrängten. Ihre gemurmelten Gebete drangen bis zu ihr herüber.
Ys’ijan’khars Mund weitete sich zu einem Lächeln, das all ihre Fangzähne entblößte. Es war noch etwas Zeit zu spielen, bevor sie Orellion ganz in ihren Besitz nehmen würde.