*Hallo liebe Leserschaft. Mit voranschreitendem Semester werden die Abstände zwischen den Geschichtsabschnitten länger. Aber vor dem allgemeinen Klausurenwahnsinn gibt es nun noch den endgültigen Abschluss des zweiten Kapitels, der gleichzeitig auch ein Teaser auf das Kommende darstellt. Frohe Weihnachten zusammen
🙂*
II7
Koloss Teamführerin Or´es
Shas´vre Or´es
Alter: 28 Tau´Cyr
Heimatsept: Sa´cea
Rang: Shas´vre
Status: [unzureichendes Informationslevel]
Standort: [unzureichendes Informationslevel]
Der Wechsel in diese Simulation hatte sich merkwürdig angefühlt. Ihr war schwindelig und sie fühlte sich nicht gut. Die Sicht vor ihren Augen verschwamm und Shas´vre Or´es stolperte, landete mit dem Gesicht voran in Etwas weichem, kalten. Mit einem Stöhnen drehte sie sich auf den Rücken. Langsam kam sie wieder zu sich.
Schnee – Es war Schnee in dem sie lag. Bedächtig fuhr sie mit den behandschuhten Fingern durch die weiche, pulverige Masse, formte einen Schneeball und zerdrückte ihn. In langen, ruhigen Zügen atmete sie ein und aus, beobachtete die kleinen Wölkchen kondensierter Luft, die sie ausstieß. Schritt für Schritt wurde sie wieder sich selbst und ihrer Umwelt gewahr. Fasziniert registrierte sie, dass das Netzwerk ihr die Kleidung eines Kampfanzugpiloten spendiert hatte. Deren integrierte Wärmetauscher waren wohl auch der Grund, warum sie nicht fror. Lediglich an ihrem unbehelmten Kopf spürte sie die eisige Kälte.
Behutsam stand sie auf, sondierte die Lage. Vor Ihr erstreckte sich eine schneebedeckte Landschaft von atemberaubender Schönheit. Sanfte, bewaldete Hügelketten glitzerten in der hellen Nachmittagssonne. In der Ferne ragte eine Gebirgskette dem azurblauen Himmel entgegen. Es gab keinerlei Anzeichen von Zivilisation, nur die Anmut einer natürlichen, unberührten Landschaft in all ihrer Pracht. Nachdem sie diesen Anblick für kurze Zeit genossen hatte, drehte sie sich um und ihr Herz machte einen Luftsprung. Einsam, alleine und verlassen inmitten dieser frostigen Wildnis stand hinter ihr ein deaktivierter XV 88 Koloss-Kampfanzug.
Schon sehr lange hatte sie nicht mehr am Steuer einer solchen Maschine gesessen. Freudestrahlend stapfte sie darauf zu. Der Koloss war in einem weiß-blauen Schneetarnmuster bemalt und überragte die Taukriegerin um etwa das Doppelte ihrer Größe. An den Armen waren Massebeschleuniger montiert, von denen Eiszapfen hinab hingen. Zusammen mit der abgelagerten Schneedecke auf dem Anzug zeugten sie davon, dass dieser hier schon eine Weile stand. Doch Or´es ließ sich davon nicht abschrecken; die Kampfanzugpilotin war ganz in ihrem Element. Sie kramte in den Beintaschen ihrer Hose und fand ein kleines Enteisungsgerät, mit dem sie eine Klappe an der Seite des Torsos der Maschine freilegte und öffnete. Diese offenbarte einen biometrischen Scanner, welcher nach wie vor aktiv war. Der Anzug war also abgeschaltet, aber vermutlich funktionstauglich. Sie legte die vier Finger ihrer Hand auf das Gerät und bestätigte ihre Identität. Mit einem frostigen Knirschen verschob sich das mittlere Brustpanzersegment des Kolosses nach oben und gab das Cockpit des XV 88 frei. Behände sprang sie hinein, nahm im Schneidersitz platz und verband die in ihren Rücken implantierten neuronalen Schnittstellen mit den Systemen der Maschine. Der Koloss war nun lediglich eine Erweiterung ihres Körpers, gesteuert von den Gedanken und Reflexen seiner Pilotin. Die Brustpanzerung schloss sich wieder und riegelte sie hermetisch von der Außenwelt ab.
Ihre Verbindung zur Umwelt waren nun die Systeme des Kampfanzuges, welche in diesem Moment mit einem Summen starteten. In blaues Dämmerlicht getaucht wartete die Feuerkriegerin geduldig, während die Maschine einen Selbsttest absolvierte. Vor ihr flackerte ein Halbkreis aus holografisch projizierten Fenstern auf, über die eine Flut von Daten wanderte. Währenddessen war das Knirschen und Knacken der auf der Hülle abgelagerten Eisschicht zu hören. Gemäß der Hauptanzeige war der Koloss zu 92 % funktionsbereit. Kleinere Hilfssysteme verweigerten offenbar aufgrund des längeren Aufenthaltes in der Kälte ihren Dienst, doch alle zum Betrieb des XV 88 notwendigen Funktionen waren einsatzbereit. Sie schaltete auf die dreidimensionale Außenansicht um und aktivierte die Antriebssysteme. Mit einem sanften Vibrieren starteten die Stabilisatoren des Anzuges und die Arme rasteten in Kampfposition ein. Vorsichtig drehte sie erst den linken und dann den rechten Fuß der Maschine ein wenig, um sich zu vergewissern, wie fest der Stand des Kolosses im Schnee war. Nachdem sie sicher war, bei dem Versuch nicht zu straucheln wagte sie einen ersten Schritt. Knirschend sank der Kampfanzug ein wenig im Schnee ein, fand jedoch festen Halt. Die Soldatin nickte zufrieden, dann breitete sich ein Grinsen auf ihrem Gesicht aus. Endlich war sie wieder im Inneren eines Kolosses. Das Gefühl, im Inneren einer solch mächtigen Maschine Tod und Vernichtung über die Feinde des Sternenreiches regnen zu lassen, war überwältigend, war das wofür sie lebte.
Doch Feinde schienen keine hier zu sein. Die Anzeigen offenbarten ihr keinerlei Informationen, weder über diesen Ort, noch über mögliche Ziele, auf den Funkkanälen erhielt sie keinerlei Resonanz. Shas´vre Or´es rief eine Karte der Umgebung auf und vergrößerte den Erfassungsbereich mehrmals. Bei einem Radius von 15 Tor´kan wurde sie fündig. Ein rotes, rotierendes Symbol markierte eine Landezone im Nordwesten. Offenbar hatte die Simulation vorgesehen, dass sie sich dorthin in Bewegung setzte, also tat sie es.
Behäbig stapfte die einsame Kriegerin durch Schnee und Eis. Die endlose Weite der Landschaft und die Stille reinigten Ihre Gedanken. Sie war nicht nur eins mit der Maschine, sie war wieder eins mit sich selbst. All die Zeit in der Matrix, die zurückliegenden Simulationen, welche sie mit den dunkelsten Seiten ihrer Psyche und ihrer Vergangenheit konfrontiert hatten, kamen ihr plötzlich vor wie ein weit zurück liegender Albtraum vor. Hier gab es nur sie selbst und ein klar definiertes Ziel. Als sie sich der Landezone auf fünf Tor´kan genähert hatte, erwachte die Funkschnittstelle plötzlich mit einem Rauschen zum Leben. Sie erkannte das charakteristische Geräusch atmosphärischer Störungen eines aus dem Orbit sendenden Schiffes, welche eine leicht verzerrte Stimme überlagerten:
„Ol Tau´va, Feuerkriegerin! Wir dachten schon, wir hätten Sie verloren. Es tut gut, euch wieder auf den Sensoren zu haben. Macht euch bereit zum Abholen in sechs komma zwei Rai´Kor.“
Die Kampfanzugpilotin war vollkommen verdutzt. Wer sendete da? Und warum hatte er noch nie etwas von Funkdisziplin gehört? Offenbar schien man sie obendrein auch noch zu kennen. Doch sie beschloss, dieses kleine Rätsel nicht weiter in Frage zu stellen und antwortete mit einem knappen. „Verstanden, ich bin auf dem Weg.“ Die Simulationen hatten sie bereits häufig mit surrealen Situationen konfrontiert und dies war anscheinend eine weitere davon.
Sie konnte die die Landezone nun als große, freie Fläche vor sich erkennen. Im Sommer hätte sich hier vermutlich eine große Wiese erstreckt. Der aus der Umlaufbahn fallende Orca-Truppentransporter erschien auf Ihren Sensoren. Ebenso wurde seine geschätzte Landeposition als sanfte Silhouette vor ihr angezeigt, so dass sie eine leichte Kurskorrektur vornehmen konnte. Kurze Zeit später konnte sie das vom herannahenden Schiff verursachte Donnern hören. Sie befand sich direkt vor der Landezone, das Timing war perfekt. Dann kam der Orca in ihr Sichtfeld und setzte zur Landung an. Das kastenförmige Schiff wirkte im Vergleich zu anderen Taufahrzeugen unförmig, war jedoch zweifelsohne zweckmäßig gebaut. Mit seinen vier nach unten geschwenkten Triebwerken an Bug und Heck verlangsamte der Transporter seinen Fall bis er knapp über dem Boden schwebte, dann setzte er auf. Zischend schmolzen dabei die Schneemassen, eine Dampfwolke breitete sich aus und verdeckte die Sicht. Doch die Systeme des Kampfanzuges ließen sich davon nicht beirren, gaben ihr einen genauen Zielkorridor vor. Langsam schritt der Koloss durch den Nebel erst über Schnee, dann über Matsch und plötzlich über blankes Metall. Routiniert steuerte die Shas´vre den XV88 zur vorhergesehenen Andockvorrichtung und ließ ihn einrasten. Der Pilot meldete sich wieder über Intercom:
„Shas´vre Or´es, eure Zeit in der Katharsis-Simulation ist beendet. Ich habe die ehrenvolle Aufgabe, euch nach Hause zu bringen.“
Bei dieser Eröffnung verschlug es der Kriegerin die Sprache. Sie wollte antworten, brachte jedoch keinen Ton heraus, als der Transporter mit einem Ruck abhob und sie dem Himmel entgegen flogen. Was sie fühlte war unbeschreiblich, eine Flut an Emotionen und Gedanken brach über sie herein, vermengte sich zu einem Schock, der sie traf wie ein Faustschlag ins Gesicht. Während sie sich Tausende von Fragen auf einmal stellte, schien es ihr, als würde sie einen leuchtenden Tunnel hinauf gleiten. Und dann fiel sie plötzlich in einen tiefen Schlaf.
Als sie erwachte, lag eine Hand auf ihrer Schulter, drückte sie sanft nach unten, verhinderte dass sie sich zu schnell aufsetzen konnte. Die Feuerkriegerin blickte sich um. Offenbar befand sie sich auf einer Krankenstation, neben ihr stand der Himmlische Shas´Is und sah sie mit einem milden Gesichtsausdruck an.
„Willkommen zurück, Shas´vre Or´es. Willkommen zurück in der Realität.“