Der Turm des Necrarch: Eine Kampagne nach Mordheim-Regeln in Sylvania

Er ist besessen!“, rief Ivana und deutete auf Helmuth, als die letzten Feinde die Flucht ergriffen hatten. „Habt ihr es gesehen? Er ging auf seinen Nebenmann los.“ Sie hob ihre Kampfhämmer, und ihre hellen Augen flammten vor Zorn.

Helmuth wich vor ihr zurück und streckte abwehrend eine Hand aus. „Ivana! Wovon redest du?“

Die Hexenjäger sammelten sich um die beiden. Zwei Männer hielten Ivana fest, die Anstalten machte, sich auf Helmuth zu stürzen.

„Das Chaos hat ihn berührt!“, schrie sie und schüttelte ihre Hände ab. „Er kann sich jederzeit in einen Feind verwandeln! Er muss sterben!“

Helmuth war ganz blass geworden und hielt seine Axt schützend vor sich. Offenbar hatte er keine Ahnung, wovon die Rede war.

„Ivana!“ Das war Dariya, die eben erst den Schauplatz erreichte. „Was ist hier los?“

„Er ist besessen!“, wiederholte Ivana und deutete mit einem ihrer Hämmer auf Helmuth. „Hast du die Kultisten in den Reihen unserer Feinde gesehen? Es waren Menschen, verführt und gelenkt durch unheilige Magie! Und er …„ Sie deutete auf Helmuth. „… ist auf dem besten Weg, das gleiche Schicksal zu erleiden! Mitten im Kampf fing er an, auf einen seiner Kameraden zu schlagen!“

„Auf wen?“

Einer der Zeloten trat vor. „Es stimmt. Er wandte sich plötzlich gegen mich. Ich war furchtbar erschrocken. Zum Glück konnte ich ausweichen.“

„Ich habe nichts getan!“, beteuerte Helmuth. „Zumindest… nichts, woran ich mich erinnern könnte.“

„Umso schlimmer!“, fauchte Ivana. „Wer sagt uns, dass das nicht jederzeit wieder passieren kann? Offenbar ist er anfällig für die Zauber unserer Feinde.“

„Ivana…“, begann Dariya.

„Wenn ihr ihn nicht töten wollt, dann legt ihn wenigstens in Ketten! Er darf nicht mehr frei herumlaufen!“

Ivana!“, sagte Dariya streng und stellte sich zwischen die beiden. „Ich werde ganz sicher nicht einen meiner treuesten Kämpfer in Ketten legen. Offenbar war es ein Zauber, doch der hätte jeden treffen können. Wie lange hat es gedauert?“

„Nur kurz“, sagte der Mann, der beinahe Helmuths Opfer geworden wäre. „Vielleicht zwanzig Herzschläge lang.“

„Und du kannst dich an nichts erinnern?“, wandte sich Dariya an Helmuth.

Er schüttelte den Kopf, noch immer bleich vor Schrecken. Ausgerechnet von Ivana angeklagt zu werden – die er sehr bewunderte – machte ihm offensichtlich schwer zu schaffen. „Ich war wohl einen Moment lang nicht ich selbst. Ich weiß nicht, was geschehen ist. Wenn ich wirklich getan habe, was Ivana sagt, dann… wollte ich es nicht.“

Inzwischen schien die Kriegernonne sich ein wenig beruhigt zu haben. Sie ließ ihre Hämmer sinken, doch ihre Züge wirkten noch immer versteinert.

„Du gehst ein großes Risiko ein“, sagte sie zu Dariya. „Wer einmal von der Verlockung des Chaos berührt wurde, wird ihr früher oder später erliegen. Du selbst könntest es sein, gegen die er beim nächsten Mal die Waffe erhebt.“

„Dieses Risiko werde ich eingehen“, sagte Dariya, „denn ich kann auf Helmuth nicht verzichten – genauso wenig wie auf dich. Ich führe diese Gruppe an, und ich treffe die Entscheidungen. Kannst du dich damit abfinden?“

Einen Moment lang maßen die beiden Frauen einander mit Blicken. Endlich trat Ivana einen Schritt zurück.

„Also gut“, sagte sie. „Aber ich fürchte, dass du einen Fehler machst.“

Die Szene wurde unterbrochen, als Roban, der Schmied, zu den Hexenjägern herüberkam. Er trug seinen Schmiedehammer locker in der Hand, und sein nackter Oberkörper war mit Blut bespritzt.

„Schade, dass ihr diese Biester so schnell vertrieben habt“, sagte er großspurig. „Ich hätte gern noch mehr von ihnen erwischt.“ Dabei deutete er hinüber zu den zwei toten Ungors, die vor seiner Haustür lagen.

„Wie könnt Ihr so reden?“, empörte sich Martin, der den Schmied von Anfang an nicht gemocht hatte. „Sie haben mehrere Eurer Nachbarn verschleppt! Wenn sie nicht geflohen wären, hätte es noch weitere treffen können.“

„Wurden sie lebend davongeschleppt?“, fragte Dariya alarmiert.

Martin nickte, und ebenso einer der Zeloten, der es mit eigenen Augen gesehen hatte.

„Dann müssen wir sie verfolgen“, entschied Dariya. „Und zwar unverzüglich. Wenn diese Leute noch am Leben sind, möchte ich mir lieber nicht vorstellen, was man ihnen antun könnte.“

„Gewöhnlich fressen die Tiermenschen ihre Gefangenen“, sagte der Schmied trocken. Offenbar hielt sich sein Mitleid mit den weniger wehrhaften Dorfbewohnern in Grenzen.

„Wollt Ihr uns begleiten?“, fragte ihn Dariya. „Wir könnten Eure Stärke gut gebrauchen.“

Doch Roban winkte ab. „Ich bleibe lieber hier und beschütze das Dorf. Irgendjemand muss es ja tun, wenn Ihr Euch in die Wälder aufmacht. Es gibt hier niemanden außer mir, der eine Waffe zu führen weiß.“

„Helmuth sollte auch hierbleiben“, sagte Ivana. „Ihn mitzunehmen, wäre zu gefährlich. Wenn er wieder in die Nähe dieses Zauberers gerät...“

„Helmuth kommt mit!“, widersprach Dariya. „Wir brauchen seine Kampfkraft – und ich werde das nicht mit dir diskutieren.“

Ivana biss sich auf die Lippen. „Wie du willst. Aber sag später nicht, du wärst nicht gewarnt worden.“


* * *


[Damit ist das Setting für das nächste Spiel gesetzt: Die Hexenjäger werden in die Wälder aufbrechen und die Spuren der Tiermenschen verfolgen – in der Hoffnung, die vier gefangenen Dorfbewohner zu retten.}
 
Erst mal passiert etwas ganz anderes, womit ich auch nicht gerechnet hatte...

Spiel 3
Hinterhalt


Auf den Spuren der geflohenen Tiermenschen drangen die Hexenjäger in den Wald ein. Ihr Ziel war, die vier verschleppten Dorfbewohner zu retten. Sie kamen aber nicht weit, denn die Geflüchteten hatten sich gesammelt und drehten den Spieß um, indem sie einen Hinterhalt legten.

Die Hexenjäger waren gerade einmal 20 Zoll weit gekommen, als ihre Feinde von allen Seiten aus dem Wald brachen und sie umzingelten. Ein erbarmungsloser Nahkampf brach aus. Bereits in dessen erster Runde fielen zwei Zeloten. Besonders verhängnisvoll war, dass der Minotaurus inzwischen dazugelernt hatte: Er hielt sich nämlich von seiner Nemesis – Ivana – bewusst fern und schaffte es, stattdessen an Dariya heranzukommen.

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Zwar bezahlten auch die Tiermenschen einen hohen Blutzoll (5 Verluste bei Ungors und Kultisten), doch den Hexenjägern erging es nicht besser. Sie verloren weitere Zeloten sowie einen Flagellanten, und dem Minotaurus gelang es, Dariya mit einem heftigen Schlag zu betäuben.

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Die Verluste erzwangen einen Rückzugstest, und weil Dariya betäubt war, hatte ihn das Modell mit dem höchsten Moralwert abzulegen. Das war Ivana mit MW 10, weshalb ich mir eigentlich keine Sorgen machte. Doch ich irrte mich gewaltig, denn ich würfelte eine 11!

Die gesamte Hexenjägertruppe ergriff die Flucht – und Dariya blieb bewusstlos vor den Hufen des Minotaurus liegen. Dieses Ergebnis konnte nicht anders interpretiert werden, als dass Dariya gefangengenommen wurde.

Ergebnis: Sieg der Tiermenschen. Sie haben ihre Gegner vertrieben und eine höchst wertvolle Gefangene gemacht. Darüberhinaus ist es den Hexenjägern misslungen, die vier verschleppten Dorfbewohner zu befreien, womit deren Schicksal besiegelt ist.

Was bleibt mir nun anderes übrig, als augenblicklich eine erneute Rettungsaktion zu versuchen? Es wird vereinbart, dass es diesmal (auf beiden Seiten) keine Rückzugstests geben wird. Dariyas Truppe wird notfalls bis zum letzten Mann kämpfen, um ihre Anführerin zu befreien.
 
Als Dariya wieder zu sich kam, war ihre erste Wahrnehmung ein abscheulicher Geruch. Dem folgte das Gefühl einer schmerzhaften Verspannung an Armen und Beinen, die offenbar gefesselt waren. Erst als sie die Augen öffnete, begriff sie die ganze Aussichtslosigkeit ihrer Lage. Sie war mit groben Stricken an einen Baum gebunden – einen von mehreren Bäumen, die eine dunkle Lichtung im Wald umgaben. An die anderen Bäume waren weitere Gefangene gefesselt: Drei Männer und eine Frau, allesamt Menschen aus dem Dorf. Sie waren in einem erbärmlichen Zustand, zerschunden und zerkratzt von unzähligen Klauen, die sich an ihren Körpern zu schaffen gemacht hatten.

In der Mitte der Lichtung spreizte ein riesiger, kahler Baum seine verdrehten Äste über einem aufrecht stehenden Findling, der mit blasphemischen Runen beschmiert und von angehäuften Schädeln umgeben war. Tiermenschen drängten sich um die Ritualstätte – Dutzende oder eher Hunderte von ihnen: Mächtige Gors mit gewundenen Hörnern und geifernden Schnauzen; bocksbeinige Ungors mit Ziegenbärten und schmutzigem Fell. Alle schrien und blökten mit erhobenen Waffen, und es hörte sich nach Triumphgeschrei an. Hinter ihnen schlichen mutierte Chaoshunde umher und balgten sich um einige Fleischreste. Etwas abseits lagerte ein Dutzend menschlicher Gestalten, die allesamt Kapuzen trugen. Dariya erkannte sie wieder: Es waren die Kultisten, die zusammen mit den Tiermenschen gekämpft hatten. Offenbar standen sie in der Hierarchie dieser wilden Wesen weit unten, denn sie befanden sich ganz am Rand der Versammlung und stimmten auch nicht in das allgemeine Triumphgeheul ein.

Unmittelbar vor dem Herdenstein stand ein besonders großer Tiermensch, der durch seinen verzierten Stab als Schamane erkennbar war. Doch nicht er schien der Anführer der Bestien zu sein. Neben ihm nämlich stand eine viel kleinere Gestalt, die von einer dunklen Kutte mit Kapuze verhüllt war und nichts von ihrem Körper sehen ließ als die Hände, die aus viel zu weiten Ärmeln hervorragten. Eine dieser Hände war menschlich, wenn auch verkrümmt und mit überlangen Fingern. Aus dem anderen Ärmel züngelte etwas Wurmartiges wie ein Tentakel hervor, der leuchtend blau war und sich mal in diese, mal in jene Richtung wandte.

Nun hob die kleine Gestalt ihre menschliche Hand, und das Geschrei erstarb augenblicklich. Eine Stimme drang unter der Kapuze hervor, die fast nur ein Flüstern war. Dennoch war sie weithin zu hören, als würde sie durch irgendeine unheimliche Macht verstärkt.

„Ihr habt gut gekämpft, meine Brüder und Schwestern“, raunte die Stimme. „Meine wahre Familie! Zum Lohn sollt ihr Anteil an dem Opfer haben, das ich nun vollziehen will.“

Er wandte sich dem Schamanen zu, der ihm einen geschwungenen Dolch reichte. Die Waffe war schartig und glanzlos, der Griff aus Knochen geschnitzt und mit eingekratzten Runen bedeckt.

Ein schnaubendes Gebrüll unterbrach die Szene. Es war ein Gor, der sich schlagend und rempelnd einen Weg durch die Menge bahnte. Er hatte zwei Waffen gezogen: Eine Keule und dazu eine grobe Klingenwaffe, die nach einem geplünderten Ork-Spalta aussah. Fünf Schritte vor dem vermummten Sprecher blieb er stehen, warf sich in die Brust und reckte beide Waffen, wobei er die haarige Schnauze zum Mond erhob und ein erneutes Brüllen ausstieß.

„Schon wieder ein Herausforderer“, flüsterte die Stimme unter der Kapuze. „Wieder jemand, der glaubt, er könnte diese Herde besser führen als ich. Komm nur näher! Heran, heran!“ Und dabei machte der Tentakel in seinem linken Ärmel eine Bewegung, als winkte er den rebellischen Stammesgenossen zu sich.

Dariyas Herz klopfte heftig, während sie zusah. Offenbar wurde sie Zeuge einer rituellen Herausforderung, wie sie bei den Tiermenschen üblich war. Da bei diesen Kreaturen gewöhnlich der Stärkste und Rücksichtsloseste die Führung beanspruchte, gab es häufig Duelle. Der Sieger wurde zum neuen Herrscher des Stammes; der Verlierer – so behaupteten zumindest die Bücher in der Bibliothek ihres Vaters – wurde gefressen. War dies vielleicht eine Chance, den gefährlichen Zauberer loszuwerden, der die Tiermenschen anführte?

Der Gor, der seinen Gegner um zwei Kopfhöhen überragte, ging siegessicher auf den Vermummten los. Dieser machte keine Anstalten, den Dolch zu gebrauchen, den er gerade erst entgegengenommen hatte. Stattdessen hielt er ihn waagerecht vor sich und deutete nur mit einem ausgestreckten Finger auf den Herausforderer.

Der Gor hob seine Waffen, wollte angreifen – und schaffte es nicht. Es sah aus, als kämpfte er gegen einen unsichtbaren Widerstand, der seine Beine lähmte und seine Arme herabsinken ließ. Einen Moment lang schwankte er auf der Stelle, und man sah, dass er schwer atmete. Ein Zittern lief durch seinen Körper, und das schmutzige Fell sträubte sich. Dann begann Blut aus seinen Nasenlöchern zu rinnen, Augenblicke später auch aus seinen Ohren und sogar aus seinen Augen. Er stieß ein qualvolles Grunzen aus, während sein Kopf anschwoll und dadurch noch unförmiger wirkte. Schließlich gab es ein Geräusch, das dem eines plötzlich zerschlagenen Tonkrugs voller Wasser ähnelte. Der Kopf des Tiermenschen platzte, und ein Sprühregen von Blut, vermischt mit Knochensplittern, sprenkelte alles in seiner Umgebung: Die Kutte des Vermummten, den Stein, den Stab des Schamanen und die Gesichter der nächststehenden Gors, die erschrocken zurückwichen.

Der Körper des Herausforderers stand noch einen Moment aufrecht, während dunkles Blut aus dem durchtrennten Hals pulste. Dann sackte er im Gras zusammen und rührte sich nicht mehr.

Die Versammlung verharrte eine Weile totenstill. Endlich stieß der Schamane einen meckernden Ruf aus und deutete mit seinem Stab auf den Vermummten. Es mochten Worte in jener grobschlächtigen Sprache sein, die von den Tiermenschen benutzt wurde. Der kleinwüchsige Zauberer jedoch benutzte die Menschensprache, wobei sich sein vormaliges Flüstern zu einem gellenden Krächzen erhob:

„Ich bin euer Anführer! Tzandrok Ghargrûn! Ich bin das Herz dieser Herde!“

Nun brandete Jubelgebrüll auf, und erneut reckte die ganze scheußliche Gesellschaft triumphierend ihre Waffen. „Ghargrûn! Ghargrûn! Ghargrûn!“, skandierten sie im Chor – und Dariya, die durch ihre Studien einige Worte der dunklen Sprache kannte, verstand die Bedeutung dieses Namens: Herdenherz.

Der Zauberer wartete, bis die Beifallsbekundungen verstummt waren. Dann deutete er mit seiner menschlichen Hand auf den Körper des geköpften Gors. „Ihr dürft ihn fressen, ebenso wie die anderen. Doch beherrscht euch noch einen Moment, denn töten werde ich sie!“

Er ging auf einen der Bäume zu, an die die Gefangenen gefesselt waren. Die Tiermenschen wichen ihm respektvoll, fast furchtsam aus dem Weg. Niemand schien ihm zu nahekommen zu wollen. Selbst die Chaoshunde kniffen ihre Schwänze ein und trotteten mit gesenkten Schnauzen zur Seite.

Der Zauberer hielt vor dem Baum, an dem ein Bauer aus dem Dorf gefesselt war. Es war der vierte Baum, von Dariyas Platz aus gesehen.

„Lachst du noch immer über mich?“, flüsterte er dem Mann zu, der ihn keuchend und zitternd vor Schrecken anstarrte. „So wie damals? Nein? Dann werde ich dir einen zweiten Mund schneiden, der für immer lacht.“

Er schnitt dem Gefangenen vom einen bis zum anderen Ohr die Kehle durch, sodass der Schnitt wie ein grotesk lachender Mund aussah. Die Tiermenschen johlten vor Vergnügen – während Dariya entsetzt den Kopf wegdrehte, um es nicht mit ansehen zu müssen.

Der Zauberer ging weiter und näherte sich der Bäuerin, die am nächsten Baum angebunden war.

„Weißt du noch, wie du mich einst mit faulem Gemüse beworfen hast? Jetzt tut es dir wohl leid. Schade, dass deine Reue zu spät kommt.“ Und mit einer fast beiläufigen Bewegung richtete er die Frau auf die gleiche Weise wie zuvor den Mann.

Dariya konnte nicht mehr hinsehen – auch nicht, als der dritte und schließlich der vierte Gefangene an der Reihe waren. Sie schloss die Augen und fragte sich, ob ihr das gleiche Schicksal bevorstand. Ein bitteres Ende würde es sein, mitten zwischen diesen kreischenden und johlenden Bestien, umnebelt von ihrem Gestank, hilflos wie ein Schlachtopfer. Der einzige Trost bestand in der Hoffnung, dass Sigmar sie in sein himmlisches Reich aufnehmen würde, wo sie vielleicht ihren Vater wiedersah.

Irgendwann trat eine gespannte Stille ein, und diese Stille dauerte so lange, dass sie schließlich doch die Augen öffnete. Vor ihr stand der Zauberer in seiner dunklen Kutte, das Gesicht unsichtbar unter der Kapuze. Er blickte zu ihr herauf, denn sein Kopf befand sich auf Höhe ihrer Brust. Ein Mondstrahl ließ ein einzelnes, hellgrünes Auge im Schatten aufblitzen.

„Wer du bist, weiß ich nicht“, raunte die Flüsterstimme. „Doch ich sehe, dass du einen Gott anbetest, der dem meinen Feind ist.“

„Aber ich ahne, wer du bist!“, stieß Dariya hervor. „Einst lebtest du in demselben Dorf, das du jetzt vernichten willst. Ist es nicht so?“

„Wenn du das weißt“, entgegnete der Zauberer, „dann hast du wohl mit dem Mann gesprochen, der einst mein Vater war.“

„Allerdings“, sagte Dariya. „Er stieß dich gefesselt in einen Abgrund. Irgendwie musst du überlebt haben, und diese gehörnten Scheusale nahmen dich in ihre Herde auf…“

„Sie sind meine Familie“, flüsterte der Vermummte. „Die einzige Familie, die ich je hatte. Sie erwählten mich – und ich erwählte mir einen neuen Vater. Einen Vater, der mich stark und mächtig machte. Einen Vater, der mir bei meiner Rache hilft.“

„Also habe ich recht? Du willst alle Menschen im Dorf töten?“

„Sie haben nichts anderes verdient! Sie handelten schändlich an mir.“

„Ich weiß, was dir angetan wurde, aber…“

„Du weißt es nicht!“, zischte der Zauberer und hob drohend seinen Dolch. „Ich war unschuldig! Ich war ein ganz gewöhnliches Kind! Doch der Mann, der mich zeugte, verleugnete mich – selbst als er das Muttermal entdeckte, das seine Vaterschaft bewies! Er sperrte mich in einen Käfig wie ein Tier. Er ließ mich mit Abfällen füttern. Er prügelte und verachtete mich, weil ich klein und schwächlich war. Und auch alle anderen im Dorf quälten und verspotteten mich. Es kam der Tag, da man mich über eine Klippe in die Tiefe warf, und nahezu alle meine Knochen waren gebrochen. Doch eine höhere Macht wollte, dass ich am Leben blieb. Sie fragte mich: Willst du weiterleben und Rache für das nehmen, was sie dir angetan haben? – Und ich wollte es. Es war das Einzige, was ich wollte.“

„Du hast dir also einen neuen Vater gewählt“, begriff Dariya. „Doch er ist genauso brutal wie dein erster Vater. Es ist einer der Dunklen Götter, und er wird dich betrügen, wie er all seine Anbeter betrügt.“

„Tzan betrügt nicht! Tzan gewährt. Tzan belohnt. Er schenkte mir die Herde, und er machte mich zu Tzandrok Herdenherz, seinem Günstling. Er ist der Herr des Wandels und der Veränderung. Er macht, dass die Letzten zu den Ersten werden, die Niedrigen zu den Mächtigen, die Verachteten zu den Geehrten.“

„Zu einem Ungeheuer hat er dich gemacht!“, schrie Dariya und sträubte sich heftig gegen ihre Fesseln. „Sieh dich doch an! Du bist kein Mensch mehr! Dein Körper und deine Seele sind verdorben!“

„Verwandelt!“, zischte der Zauberer und deutete mit der Dolchspitze auf Dariyas Kehle. „Nicht verdorben. Die Welt braucht einen Wandel. - Sieh sie dir an, diese Welt! Sieh dir an, was man mit einem unschuldigen Kind getan hat, aus lauter Verblendung und falschem Eifer! Verdient das nicht, gewandelt zu werden? Ist nicht alles andere besser als solche Dummheit und Grausamkeit?“

„An Grausamkeit stehst du deinem menschlichen Vater nicht nach“, sagte Dariya kalt. „Du wolltest Wandel… aber du bist genauso geworden wie er. Er tötete ein Kind, und du schneidest hilflosen Gefangenen die Kehlen durch.“

„Du weißt die Gaben meines Gottes nicht zu würdigen“, stellte der Zauberer fest. „Aber das kann sich ändern. Tzan kann alles verändern… auch dich.“ Er bewegte die Klingenspitze so, dass sie das Lederband berührte, an dem Dariya das Amulett ihres Vaters mit dem zweischweifigen Kometen trug. „Du wirst meinem Zauber zugänglicher sein, wenn ich dich von diesem Zeichen befreie.“

Er zerschnitt das Band, woraufhin das Amulett herabfiel und vor Dariyas Füßen im Gras landete.

„Und jetzt: Sieh in meine Augen!“, flüsterte der Zauberer. Er beugte sich vor und schob seine Kapuze gerade so weit zurück, dass neben dem grünen Auge ein zweites, hellblaues sichtbar wurde. „…und umarme den Wandel!“
 
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Tzandroks Herde
(Tiermenschen Bandenliste)

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Tzandrok Ghargrûn („Herdenherz“)

4

3

3

2

2

3

3

1

9
Ausrüstung: Dolch. Darf keine weitere Ausrüstung erhalten.

Günstling des Tzeentch: Tzandrok besitzt einen 4+ Rettungswurf und erhält einen Bonus von +1 auf alle Zauberversuche. Wenn er eine Steigerungsstufe erreicht, darf er, statt eine neue Fertigkeit zu erlernen, diesen Bonus um +1 verbessern (bis zu einem Maximum von +3).

Meisterzauberer: Tzandrok kennt sämtliche Rituale des Chaos aus dem Mordheim-Regelbuch):

Vision der Schrecken (10+):
Der nächststehende Gegner in 6 Zoll wird automatisch betäubt.
Auge der Götter (7+): Kann einmal pro Spiel auf ein einzelnes Modell der eigenen Bande gezaubert werden. Bei 2-5 wird für den Rest des Spiels ein beliebiger Eigenschaftswert dieses Modells um +1 erhöht. Bei 6 werden alle Werte um +1 erhöht. Bei 1 (=Fehlschlag) wird das Modell sofort ausgeschaltet.
Schwarzes Blut (8+): Der Zauberer erbricht einen Schwall schwarzen Blutes, der W3 Treffer der Stärke 5 an einem gegnerischen Modell in bis zu 8 Zoll Entfernung verursacht. Danach muss der Zauberer für den eigenen Blutverlust würfeln (bei 1-2 ist er zu Boden gegangen; bei 3-6 betäubt)
Verlockung des Chaos (9+): Kann auf einen Gegner in bis zu 12 Zoll Entfernung gezaubert werden. Der Zauberer und der Gegner werfen W6+Moralwert. Wenn der Zauberer die höhere Summe hat, kann er das gegnerische Modell kontrollieren, bis diesem ein Moralwerttest gelingt.
Schwingen der Finsternis (7+): Der Zauberer darf sich sofort 12 Zoll weit bewegen und dabei auch angreifen.
Wort der Qual (7+): Alle Modelle in 3 Zoll Umkreis (Freund und Feind) erleiden je einen Treffer der Stärke 3, der keinen Rüstungswurf erlaubt.

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Gor-Held #14433/541317Schwere Rüstung, Zweihandwaffe,
Talisman (5+ Rettungswurf)



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Gor-Held #244334131/27Mittlere Rüstung, 2 Äxte



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Gor-Held #3443341317Leichte Rüstung, Schild, Axt


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Minotaurus540543437Natürlicher 4+ Rüstungswurf,
erregt Angst


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5 Ungors433331316Schilde, Speere


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7 Kultisten443331317Handwaffen


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Oger540442327Natürlicher 4+ Rüstungswurf
 
Zuletzt bearbeitet:
Spiel 4
Keine Rücksicht auf Verluste


Es war klar, dass die Hexenjäger in diesem Spiel bis zum letzten Mann kämpfen würden, um ihre Anführerin zu befreien. Wir legten deshalb fest, dass keine Seite gezwungen sein würde, Rückzugstests auszuführen. Die Möglichkeit des freiwilligen Rückzugs blieb bestehen, aber ich schwor mir, nicht davon Gebrauch zu machen, bevor Dariya in Sicherheit war.

Die Aufstellung war simpel. Die gesamte Tiermenschenbande musste sich auf der Lichtung befinden. Bei den Hexenjägern wurde vorausgesetzt, dass sie die Lichtung ausgespäht hatten und sich in 20 Zoll Entfernung verteilen durften, um einen Überraschungsangriff zu führen. Ich bildete vier Gruppen, wobei ich jeder einen der verbliebenen Helden zuteilte, also Martin, Helmuth, Odo und Ivana. Begleitet wurden sie jeweils von 2 Zeloten und/oder Flagellanten.

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Dariya, symbolisch gefesselt

Die Hexenjäger stürmten die Lichtung von allen vier Seiten gleichzeitig, um die Tiermenschen zur Aufteilung ihrer Kräfte zu zwingen. Das gelang auch; allerdings schickten sie nur die relativ entbehrlichen Ungors und Kultisten. Der stärkste Gor-Held und auch der Minotaurus blieben im Zentrum, um ihre Gefangene zu bewachen. So wurden alle vier Gruppen erst einmal aufgehalten und konnten sich nicht vereinigen.

Tzandrok, der Anführer der Tiermenschen, schätzte Ivana als die größte Bedrohung ein. Deshalb warf er ihr mehrere Gors und Kultisten entgegen, um sie abzubremsen und festzuhalten. Auch versuchte er mehrfach, sie mit seinem Kontrollzauber zu belegen. Das scheiterte jedoch zweimal an der Schwierigkeitsstufe des Zaubers (9+) und ein weiteres Mal an Ivanas starkem Moralwert, den er nicht überwürfeln konnte. Dafür allerdings verwundete ein Gor Ivana, die ihren Rüstungs- und Rettungswurf verpatzte und einen Lebenspunkt verlor.

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Währenddessen wurde Helmuths Gruppe in einen Kampf verwickelt, wobei sich ihm zuerst der Oger und dann auch noch ein Helden-Gor mit Zweihandwaffe entgegenstellte. Beide Monster droschen auf Helmuth ein, dessen eigene Schläge mehrfach fehlgingen. Seine Zeloten-Begleiter wurden getötet; er selber ging zu Boden – und der Helden-Gor schaltete ihn mit einem mächtigen Hieb aus. Das war bitter, denn Helmuth war einer der stärksten Nahkämpfer, und diesmal erreichte er nicht einmal den eigentlichen Kampfplatz auf der Lichtung. Seine Gruppe wurde vollständig ausgelöscht.

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Odos Gruppe dagegen schlug mehrere Kultisten nieder und schaffte es, den Baum zu erreichen, an den Dariya gefesselt war. Nun allerdings stürzte sich der Minotaurus auf sie, unterstützt von einem Ungor und weiteren Kultisten. Odo kämpfte tapfer und schaffte es, dem Minotaurus einen Lebenspunkt abzunehmen – dann allerdings wurde er selbst von einem besonders heftigen Schlag betäubt.

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Dies war der kritischste Moment des Spiels, denn nun näherten sich auch der Oger und sein Gefolge, die ihre Gegner soeben ausgeschaltet hatten. Im allerletzten Moment schaffte es dann Martins Gruppe, den Menschenfresser abzufangen.

Nach 6 Spielzügen gelang es endlich auch Ivana, sich von ihren Gegnern zu befreien, und mit einer wütenden 8-Zoll-Bewegung warf sie sich von der Seite auf den Minotaurus. Erneut also kam es zum Duell dieser beiden Nahkampf-Giganten – und das rettete Odo, der wieder auf die Beine kommen und sich aus dem Kampf zurückziehen konnte.

Die Kriegernonne und der Minotaurus lieferten sich einen wilden Schlagabtausch mit beiderseitigen schweren Treffern. Ivana verlor einen weiteren ihrer 3 Lebenspunkte, doch am Ende gelang es ihr, die tobende Bestie erst zu Boden zu schicken, dann zu betäuben und endlich auszuschalten. Puh…

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Inzwischen stand Odo frei und war zu Dariya hinübergelaufen, um sie zu befreien. Es war vereinbart, dass dieser Vorgang einen Spielzug lang dauern sollte und nicht gestört werden durfte – was gelang. Dariya war frei, wenn auch zu geschwächt, um in den Kampf einzugreifen.

Mittlerweile waren drei Hexenjäger gefallen, aber auch ein großer Teil der Tiermenschenhorde. Tzandrok, der in diesem Spiel keinen einzigen Zauber durchbekommen hatte, wurde von Kampfhund Frado zu Fall gebracht und wehrte sich mehrere Spielzüge lang verzweifelt gegen das Tier, bis er schließlich mit Mühe davonkam und die Flucht ergriff. Auch die verbliebenen Ungors und Kultisten flohen.

Am Ende stand nur noch der Oger, weil er umzingelt war und nicht fliehen konnte. Die ganze Hexenjägertruppe hieb auf ihn ein; selbst Dariya hatte sich angeschlossen (durfte aber wegen ihres desolaten Zustands nur eine einzelne Attacke ohne Waffenboni ausführen.) Den entscheidenden Treffer landete zuletzt einer der Flagellanten.

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Ergebnis: Sieg der Hexenjäger. Sie haben Dariya befreit und nur drei Modelle verloren; unter diesen allerdings befindet sich Helmuth. Der Wurf für schwere Verletzungen nach dem Spiel bestimmt, dass er das nächste Mal aussetzen muss, um seine Wunde zu heilen.

Bei den Tiermenschen allerdings sieht es übler aus. Der Helden-Gor mit der Zweihandwaffe ist gleichfalls schwer verletzt und muss ein Spiel aussetzen. Ein weiterer Gor, der gerade erst gesteigert hatte, wurde von Ivana glatt enthauptet und ist endgültig tot, ebenso wie zwei Kultisten. Der Oger kommt unglaublicherweise knapp mit dem Leben davon; allerdings sinkt sein Widerstand von 4 auf 3 („Brustverletzung“).

Wir werden den Tiermenschen genug Punkte gutschreiben, damit sie ihre Reihen wieder auffüllen können. Die Hexenjäger erhalten die gleiche Punktzahl zum Ausgleich und investieren sie in eine Armbrust für Martin sowie einen zusätzlichen Zeloten.

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Die Sieger
 
Als der letzte Gegner zu Boden gegangen war, ließ sich Dariya keuchend ins Gras fallen. Ihr war schwindlig, und ihr ganzer Körper zitterte. Noch immer spürte sie die Nachwirkungen des Zaubers, dessen Vollendung sie nur knapp entgangen war: Es war wie ein Geknister blauer und grüner Blitze in ihrem Kopf, das ihre Wahrnehmung trübte und an ihrem Verstand zerrte.

Martin eilte zu ihr und fing sie auf. „Dariya! Was hat er dir angetan?“

„Es ist schon gut“, keuchte sie in seinen Armen. „Ihr kamt genau im richtigen Moment, um ihn zu unterbrechen.“

Die Kämpfer sammelten sich um sie. Fast keiner war unversehrt. Zwei der Zeloten hatten üble Fleischwunden, ebenso ein Flagellant. Odo schwankte im Gehen, denn er hatte vom Minotaurus einen furchtbaren Schlag auf den Schädel erhalten und mehrere Minuten bewusstlos am Boden verbracht. Am schlimmsten allerdings erging es Helmuth: Er musste von zwei Männern gestützt werden und schaffte es kaum, auch nur den Kopf zu heben.

„Kümmert euch um Helmuth!“, bat Dariya. „Ich komme schon zurecht.“

Zur Überraschung aller war es ausgerechnet Ivana, die dieser Bitte nachkam. Sie ging auf Helmuth zu, den seine Träger rücklings ins Gras legten, und kniete sich neben ihn. Alle hörten, wie sie ihre Gebete murmelte, während sie ihre Hände an verschiedene Stellen auf seinem zerschundenen Körper legte.

Helmuth schien wieder zu Bewusstsein und sogar zu Kräften zu kommen. Er wandte den Kopf, erkannte Ivana – und zuckte erschrocken zurück.

„Schon gut“, sagte die Kriegernonne. „Ich habe es begriffen.“

„Was… begriffen?“, stammelte Helmuth.

„Dieser Zauberer...“ Ivana verzog den Mund. „Er hat es auch bei mir versucht. Mehrere Male. Ich konnte es spüren wie ein Zerren in meinem Kopf. Jetzt weiß ich, wie es sich anfühlt… und dass er es nicht speziell auf dich abgesehen hatte. Offenbar wählt er immer das Opfer, das ihm gerade als die größte Gefahr erscheint.“

Helmuth atmete tief aus. Dass Ivanas Verdacht gegen ihn verflogen war, schien ihn mehr zu erleichtern als die Behandlung seiner Wunden. Ivana half ihm auf, und es stellte sich heraus, dass er stehen konnte, auch wenn er immer noch schwach auf den Beinen war.

„Was ist mit dir?“, fragte Ivana und kam zu Dariya herüber. „Hat der Zauberer dich berührt?“

Dariya schüttelte stumm den Kopf.

„Aber er hat versucht, dich mit einem Zauber zu belegen?“

„Ja. Ich kann es immer noch fühlen… als würden irgendwelche ekelhaften Würmer in meinem Kopf herumkriechen.“

Ivana musterte sie scharf, legte eine Hand auf ihre Wange und schloss die Augen, als lauschte sie auf etwas Unhörbares. Dann hob sie das Kästchen mit der Reliquie, das sie stets am Gürtel trug, und berührte damit Dariyas Stirn.

„Besser?“

Dariya nickte erstaunt.

„Es sollte keine Nachwirkungen haben“, meinte Ivana. „Ich kann nichts Böses in dir spüren… auch in Helmuth nicht. Dieser Zauberer besitzt große Macht, doch offenbar kann ein reiner Geist ihn abwehren.“

In der Tat fühlte Dariya, dass ihr Kopf klarer war und sie die Kontrolle über ihre Glieder wiedererlangt hatte. Mit Martins Hilfe stand sie auf und blickte der Sigmarschwester gerade in die Augen.

„Danke“, sagte sie. „Und bitte verzeih mir, dass ich so streng zu dir war. Ich weiß, du wolltest nur das Beste für uns alle.“

Ivana quittierte die Entschuldigung mit einem knappen Nicken.

„Und euch allen danke ich auch“, fügte Dariya hinzu und blickte reihum auf ihre Kämpfer. „Ihr habt alles gewagt, um mich zu befreien.“

„Ich konnte leider wenig tun“, sagte Martin und ließ die Schultern hängen. „Dieser verdammte Oger hielt mich auf.“

„Du hast es versucht“, sagte Dariya und küsste ihn. Dann umarmte sie Odo – und schließlich sogar Helmuth. Dieser nahm die unerwartete Zuwendung mit einem erfreuten Lächeln zur Kenntnis.

„Dabei lag ich doch die halbe Zeit am Boden“, sagte er verlegen.

„Nur, weil du mich retten wolltest“, sagte Dariya ernst und küsste ihn auf die Wange.

Helmuth wurde so rot, dass man seine blutigen Striemen kaum noch vom Rest seiner Haut unterscheiden konnte. „Also… wenn ich jedes Mal so eine Belohnung bekomme“, sagte er grinsend, „lasse ich mich gerne noch zehnmal für dich umhauen.“

„Was tun wir jetzt?“, fragte Odo. „Die Tiermenschen sind geflohen, aber sie werden zurückkehren. Wir sollten hier nicht bleiben. Dies ist ihr Versammlungsplatz – und dieser blutbeschmierte Findling dort strahlt eine unheimliche Aura aus.“ Er deutete auf den Herdenstein.

Ivana nickte. „Wir müssen fort von hier. Lasst uns zum Turm zurückkehren und die Verwundeten versorgen.“

„Und wir müssen die Leute im Dorf warnen!“, fiel Dariya ein. „Ich weiß jetzt, wer der Zauberer ist.“

„Du weißt es?“, staunte Martin.

„Es ist der Sohn des Schmieds. Der Junge, von dem er selber uns erzählt hat.“

Alle starrten sie ungläubig an.

„Aber…“, fragte Helmuth, „sagte er nicht, er habe den Jungen in eine Schlucht gestürzt?“

„Das hat er“, bestätigte Dariya, „doch der Junge überlebte. Die Tiermenschen müssen ihn gefunden und in ihre Herde aufgenommen haben. So etwas tun sie manchmal, wenn sie an einem ausgesetzten Kind ein Zeichen des Chaos bemerken. Sie betrachten es dann als ein Geschenk ihrer dunklen Götter. Normalerweise wäre so ein Findling nur ein ‚Unhorn‘, wie die Tiermenschen es nennen: Ein geduldeter Mitläufer auf der untersten Stufe ihrer Rangordnung. Doch mit diesem Jungen muss es anders gewesen sein. Er schloss einen Pakt mit jenem dunklen Gott, den wir Tzeentch nennen, und erhielt mächtige magische Kräfte. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie er einen viel größeren Gor ohne Waffen besiegte: Er sah ihn nur an und brachte seinen Schädel zum Platzen.“

„Tzeentch…“ Ivana nickte düster. „In meinem Orden kannte man ihn als das pure Böse, den Verdreher und Verderber, den Betörer und Betrüger, den listenreichsten aller Intriganten. Was immer er berührt, verwandelt sich wie eine Pflanze, die plötzlich Blätter voller Augen und Mäuler austreibt und nach Fleisch giert. Er kann große Macht verleihen, doch sein Preis ist die unberechenbare Mutation an Geist und Körper.“

„Und warum müssen wir die Dorfleute warnen?“, fragte Martin.

„Versteht ihr nicht? Er hat es gar nicht auf uns abgesehen“, erklärte Dariya. „Er will Rache an den Leuten im Dorf, die ihn so abscheulich behandelt haben – und vor allem Rache an seinem Vater. Das ist der Grund, warum er seine Zauberkräfte nie gegen die Dorfbevölkerung gerichtet hat: Sie will er nicht verderben und zum Chaos bekehren, nein! Er will sie auf möglichst scheußliche Weise sterben sehen. Die Besatzung des Wachturms hat er wahrscheinlich nur deshalb mit seinem Zauber belegt, weil die Soldaten das Dorf beschützten und ihm bei seiner Rache im Weg waren. Sie sind die Kultisten, die wir gesehen haben.“

„Glaubst du?“

„Ganz sicher. Deshalb verließen sie ihren Turm und gingen ohne ihre Waffen und Uniformen in die Wälder. Der Zauberer drang in ihren Geist ein und ließ sie mutieren. Sie wurden zu Verehrern des Chaos und gehorchten seinem Willen. Mit uns allerdings hat er nicht gerechnet – und vor allem nicht mit dem magischen Schutz, den uns unsere Insignien und Ivanas Reliquie verleihen. Wenn ihn jemand aufhalten kann, dann sind wir es.“

Dem folgte ein allgemeines Schweigen. Es war Ivana, die als erste wieder das Wort ergriff.

„Ich stimme dir zu“, sagte sie und wirbelte einen ihrer Hämmer locker in der Hand. „Wir müssen ihn zur Strecke bringen… und das werden wir.“
 
Spiel 5
Eine durchschaute Finte


Für dieses Spiel gilt folgende Ausgangslage:

Da die Hexenjäger nun wissen, dass ihr Feind es nicht auf den Turm, sondern auf das Dorf abgesehen hat, warnen sie die Dorfbevölkerung. Die Nachricht, dass der feindliche Anführer der Sohn des Schmieds ist, sorgt für große Aufregung. Erst jetzt begreifen die Dorfbewohner, dass es um Rache geht – und die allermeisten hatten sich seinerzeit an der Misshandlung des Jungen beteiligt. Nun ist die Furcht groß, auch beim Dorfältesten Karl Katner. Einzig Roban, der Schmied, nimmt die Neuigkeit stoisch auf.

Da mit einem weiteren Angriff auf das Dorf sicher zu rechnen ist, schlägt Dariya eine List vor: Die Dorfbewohner sollen ihre Häuser verlassen und sich im Wachturm versammeln, wo sie gut geschützt sind. Die Hexenjäger tauschen mit ihnen den Platz und verbergen sich in den Häusern des Dorfs. Wenn die Tiermenschen kommen, werden sie also keine wehrlosen Bauern vorfinden, sondern die entschlossenen Kämpfer der Inquisition. Dariya hofft, die Feinde zu überraschen und ihnen schwere Verluste zuzufügen, während die Dorfbewohner im Turm in Sicherheit sind.

Roban, der Schmied, will sich den Hexenjägern zunächst anschließen und im Dorf bleiben. Dariya bittet ihn aber, mit den anderen zum Turm zu gehen, um sie zu beschützen. Auch Helmuth bleibt im Turm zurück, da er verletzt ist und in diesem Spiel aussetzen muss.

* * *

Vor dem Spiel wird ein Würfelwurf für Tzandrok durchgeführt. Dieser Wurf soll entscheiden, ob es dem Zauberer gelingt, mithilfe der Weitsicht seines Gottes Tzeentch die Falle vorauszusehen (was bei einer 5 oder 6 der Fall wäre.) Und …..

Pech! Es fällt eine 5. Die Tiermenschen durchschauen den Plan ihrer Feinde und greifen den Wachturm an. Die Hexenjäger haben sich im Dorf aufgestellt und werden mehrere Spielzüge brauchen, um den belagerten Dorfleuten im Turm zur Hilfe zu kommen.
 
Spiel 5 - Verlauf

Das Spiel begann mit dem Moment, als die Hexenjäger Kampflärm hörten und begriffen, dass die Feinde ihre List durchschaut hatten und den Wachturm angriffen. Nun hieß es, die Häuser im Dorf zu verlassen und möglichst schnell wieder zum Wachturm zu kommen, bevor es den Tiermenschen gelingen würde, dort die Tür einzuschlagen. Die Tür hatte zu diesem Zweck ein Profil mit Widerstand 6 und 6 Lebenspunkten.

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Spielfeld

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Die Dorfbewohner im Turm


Tzandrok entschied, die Tür nicht vom Minotaurus einschlagen zu lassen, obwohl dieser es wahrscheinlich am leichtesten gekonnt hätte – doch der Stiermensch war ein viel zu wertvoller Kämpfer, um seine Angriffskraft damit zu verschwenden. Stattdessen übernahm ein Gor mit Zweihandwaffe die Rolle des Türbrechers und drosch auf das mit Eisenbeschlägen verstärkte Holz ein.

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Die Hexenjäger rannten so schnell wie möglich zum Wachturm zurück, aber da sie aus verschieden weit entfernten Häusern kamen, trafen sie erst nach und nach am Schauplatz ein. Das hatte zur Folge, dass die Tiermenschen sie relativ leicht abfangen konnten. Sie warfen ihnen den Minotaurus entgegen (der inzwischen wegen mehreren Steigerungen durch ein größeres Modell dargestellt wird). Das Monster schickte gleich beim ersten Zusammentreffen zwei Gefolgsleute der Hexenjäger zu Boden; einzig Odo stand noch aufrecht und schaffte es nicht, die riesige Bestie zu verwunden.

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Als die anderen Hexenjäger eintrafen, wurden sie von einem Schirm aus Ungors und Kultisten abgefangen, und es gelang ihnen mehrere Spielzüge lang nicht, zum Turm vorzudringen. Dort ließ der Gor wieder und wieder seine Zweihandaxt gegen die Tür krachen und schaffte es, der Konstruktion 3 Schadenspunkte zuzufügen.

Der Kampf verlief schlecht für die Hexenjäger. Odo, zwei Zeloten und ein Flagellant wurden ausgeschaltet. Martin geriet in die Schusslinie Tzandroks, der den Zauber „Schwarzes Blut“ auf ihn wirkte und einen ätzenden Blutstrahl verschoss. Da dieser Zauber Rüstung ignoriert, wurde Martin betäubt und konnte nicht mehr in den Kampf eingreifen.

Andererseits gelang es aber auch den Tiermenschen nicht, die Tür des Turms zu zertrümmern. Es blieb bei 3 von 6 Schadenspunkten, da dem unablässig zuschlagenden Gor offenbar langsam die Kraft ausging.

Nach hohen Verlusten auf beiden Seiten wurde das Spiel abgebrochen (d.h.: beide Seiten entschieden sich einvernehmlich für den Rückzug, um ihre verbliebenen Kämpfer zu schonen). Wir werten dies als Ergebnis: Unentschieden. Die Tiermenschen haben es nicht geschafft, in den Turm einzudringen – aber auch die Hexenjäger haben es nicht geschafft, sie vom Turm fernzuhalten. Daher geschieht in den letzten Momenten des Kampfes noch etwas sehr Unerfreuliches bei den Dorfleuten im Turm…
 
Die drei Dutzend Dorfbewohner hatten sich über mehrere Stockwerke des Turms verteilt und lauschten angstvoll den Schlägen gegen die Tür. Bei jedem Schlag erzitterte des ganze Gemäuer; die Fenster klirrten in ihren Rahmen, und die Kerzen flackerten in ihren Haltern. Auch die Menschen zitterten. Eine Mutter hatte sich zwischen den Etagenbetten der Turmbesatzung zusammengekauert und drängte ihre weinenden Kinder, unter die Bettgestelle zu kriechen, um sich zu verstecken. Ein Säugling schrie gellend.

„Es sieht nicht gut aus“, sagte ein Mann, der eben von der Balustrade hereinkam, wo er das Geschehen draußen beobachtet hatte. „Die Hexenjäger sind da – aber sie kommen nicht an den Turm heran. Die Tiermenschen sind zu viele.“

„Verdammtes Geschmeiß!“, fluchte Roban, der Schmied. Er war der Einzige, der eine Waffe hatte – seinen Schmiedehammer – und ging unruhig auf und ab. „Am liebsten würde ich hinausgehen und diese Biester mit eigenen Händen zur Strecke bringen.“

„Versucht das lieber nicht!“, warnte Helmuth. Er war wegen seiner Verletzung im Turm zurückgeblieben und lag auf einem der Betten. „Wahrscheinlich ist es der Minotaurus. Gegen dieses Monster hättet Ihr keine Chance.“

„Herr Sigmar, hilf!“, murmelte Karl Katner, der Dorfälteste. Er gehörte zu jenen, die mit aschfahlen Gesichtern in einer Ecke kauerten und sich mit Gebeten zu helfen versuchten.

„Roban hat recht“, sagte plötzlich einer der Dorfleute, ein Bauer namens Huno. „Er sollte die Sache in Ordnung bringen! Schließlich ist dies alles seine Schuld.“

Roban fuhr herum. „Was soll das heißen?“

„Es ist dein Sohn, der diese Bestien anführt!“, sagte Huno. „Du hast ihn jahrelang wie ein Haustier gehalten, ihn mit Abfällen gefüttert und ständig geprügelt. Was glaubst du, was er von uns will? Er will dich! Tu, was du gesagt hast: Geh hinaus und stell dich ihm! Vielleicht lässt er uns andere dann in Ruhe.“

Ein besonders heftiger Schlag traf die Tür, und alle zuckten zusammen. Erst als das Geräusch verklungen war, kam der Schmied zu einer Antwort.

„Mächtig starke Töne, Huno!“, spottete er und baute sich vor seinem Kontrahenten auf, den er um eine Kopfhöhe überragte. „Und was ist mit dir? Warst du damals etwa nicht dafür, den Jungen zu töten?“

„Wir alle waren einverstanden“, murmelte einer der anderen Bauern.

„Aber er…“ Huno wies auf den Schmied. „…er hat den Jungen am übelsten behandelt! Und das, obwohl es sein eigenes Kind war.“

„Er war nicht mein Kind!“, schrie Roban. „Er war ein Wechselbalg, und nichts anderes!“

„Trotzdem bist du es, der all dieses Unglück über uns gebracht hat!“, konterte Huno und wandte sich den Versammelten zu. „Oder etwa nicht?“

Wieder donnerte es an der Tür, doch in der nachfolgenden Stille sagte jemand mit ziemlich leiser Stimme: „Das stimmt.“

„Wer hat das gesagt?“, schrie Roban und blickte wild um sich.

Nun aber erhoben sich mehrere Stimmen zugleich, und manch ein ausgestreckter Finger deutete auf den Schmied.

„Er ist es! Der Feind will ihn!“ - „Dann soll er ihn doch bekommen!“ - „Der Schmied ist schuld!“ - „Noch ist Zeit! Schickt ihn hinaus, bevor es zu spät ist!“

Roban stand mit verdutztem Gesicht da, bebend vor Zorn, doch unschlüssig, gegen wen er sich wenden sollte. Zu viele waren plötzlich gegen ihn. Drohend schwang er seinen Hammer in der Luft, doch seine Gegner, ermutigt durch ihre Überzahl, ließen sich nicht einschüchtern.

„Hört auf mit diesem Unsinn!“, rief Helmuth dazwischen. „Ich weiß, dass ihr Angst habt, aber verliert jetzt nicht die Nerven!“

Auch der Dorfälteste versuchte zu schlichten. „Brüder!“, rief er, „Nachbarn! So haltet doch ein! Der Feind steht draußen vor der Tür, nicht hier vor euch!“

„Und was ist mit dir, Karl Katner?“, rief Huno, den die allgemeine Zustimmung ermutigt hatte. „Du warst doch dabei, als der Junge in die Schlucht geworfen wurde! Du hast dich mit dem Schmied zusammengetan und das Urteil gefällt!“

Der Dorfälteste erbleichte.

„Jetzt reicht es aber!“, stieß Helmuth hervor und versuchte sich vom Bett zu erheben. Doch er trug straffe Verbände und eine Schiene am Bein, sodass er sich nur schwer aufrichten konnte.

„Hinunter mit dem Schmied!“, schrie irgendjemand. „Werft ihn von der Balustrade! Dann haben die Tiermenschen ihren Willen!“

Und plötzlich war eine allgemeine Keilerei im Gange. Mehrere Männer stürzten sich auf den Schmied. Er verteidigte sich wütend, stieß einen der Angreifer mit seinen Bärenarmen von sich und ließ seinen Hammer auf den Kopf eines zweiten niederfahren. Irgendwie jedoch gelang es Huno, hinter ihn zu kommen und ihm einen gusseisernen Kerzenständer über den Schädel zu schlagen. Der Schmied taumelte. Blut lief ihm ins Gesicht und über die Augen, sodass er nur noch ziellos mit dem Hammer fuchteln konnte. Dies nutzten seine Gegner, um ihn zu Fall zu bringen, ihm die Waffe zu entwinden und ihm damit einen zweiten Kopfschlag zu verpassen. Bewusstlos stürzte der Schmied zu Boden.

„Schnell! Bringt ihn nach draußen!“, schrie Huno.

Sinnlose Wut übermannte die verängstigten Dörfler. Zahllose Hände packten mit an und schleiften den Schmied nach draußen auf die Balustrade. Sie lag rund fünf Mannslängen über dem Erdboden, und allen musste klar sein, dass ein Sturz aus dieser Höhe sehr wahrscheinlich den Tod bedeutete. Doch niemanden schien das in diesem Moment zu kümmern.

„Ihr Verrückten!“, rief Helmuth ihnen nach, während er abermals versuchte, aus dem Bett aufzustehen. Doch es war vergebens: Er knickte ein, als er sein geschientes Bein auf den Boden setzte, und sank keuchend wieder auf die Bettkante. In seinem Zustand hatte er keine Chance, den wütenden Mob von seinem Vorhaben abzubringen.

Wenige Momente später war das Donnern an der Tür nicht mehr das einzige laute Geräusch: Ein heftiger Aufschlag draußen kündete vom Schicksal des Schmieds, dessen Körper im Gras gelandet war.
 
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Nach dem Kampf


„Wir sind es!“, rief Odo, der mit der Faust gegen die Tür des Wachturms schlug. „Macht auf! Die Tiermenschen sind fort.“

Es dauerte eine Weile, bis der schwere Riegel gelöst wurde und der Schlüssel sich im Schloss drehte. Ein bleicher, sichtlich verstörter Mann ließ die Hexenjäger ein. Dariya drängte sich an ihm vorbei und stieg eilig die Treppe hoch. Im Schlafraum angekommen, wo sich die meisten der Dorfbewohner versammelt hatten, blickte sie fragend in die Runde.

„Wie konnte das passieren? Wie kam es, dass der Schmied über das Geländer fiel?“

Es war Helmuth, der antwortete. „Er ist nicht gefallen. Diese Verrückten haben ihn hinuntergeworfen.“

Was?“ Fassungslos blickte Dariya den Dorfältesten an. „Und niemand hat etwas dagegen unternommen?“

Karl Katner starrte betreten zu Boden. Auch die anderen Männer schwiegen. Fast alle hatten sich an der mörderischen Tat beteiligt, doch nun wollte es offenbar keiner gewesen sein. Nur eine der Frauen machte Dariya unauffällig ein Zeichen und deutete auf Huno.

„War das Eure Idee?“, fragte Dariya und ging drohend auf den Bauern zu.

„Der Schmied war doch an allem schuld!“, rechtfertigte sich Huno. „Die Tiermenschen wollten ihn, also haben sie ihn bekommen. Ich sah selbst, wie sie ihn fortschleppten und verschwanden. Also haben wir das Richtige getan.“

„Ich sah es auch“, sagte Dariya. „Und er hat noch gelebt! Er bewegte sich, wenn auch schwach. Wahrscheinlich hat er sich die Hälfte seiner Knochen gebrochen – und wer weiß, was diese Bestien jetzt mit ihm anstellen.“

Die Dorfleute tauschten betretene Blicke. Offenbar wurde ihnen jetzt erst klar, was sie getan hatten.

„Roban hat es nicht anders verdient“, murrte einer. „Dieser böse Zauberer war sein Sohn, auch wenn er das immer geleugnet hat. Wenn er ihn besser behandelt hätte…“

Dariya schüttelte ungläubig den Kopf. „Ihr seid ja alle wahnsinnig! Ihr habt einen eurer Mitbürger den Tiermenschen buchstäblich zum Fraß vorgeworfen. Seid froh, dass ich noch nicht die Vollmachten eines Inquisitors besitze, sonst würde ich euch allen den Prozess machen.“

Inzwischen waren auch die anderen Hexenjäger heraufgekommen. Odo, der im Kampf verletzt worden war, ließ sich auf eines der Betten sinken. Martin trat an Dariyas Seite und fragte leise: „Für den Schmied können wir nichts mehr tun, oder?“

Dariya seufzte. „Wir müssen es versuchen… so wenig Aussicht auch bestehen mag.“

„Was?“ Das war Helmuth, der sich mühsam aufrichtete. „Dariya! Ich bin noch immer kampfunfähig, und Odo sieht nicht viel besser aus. Willst du das Leben aller anderen riskieren, um den Schmied zu retten?“

„Wahrscheinlich ist er längst tot“, murmelte Huno in sich hinein.

„Wenn er es ist“, sagte Dariya scharf zu ihm, „dann infolge Eurer schändlichen Handlungsweise! Ich leugne nicht, dass Roban seinen Anteil von Schuld an all diesem Ungemach trägt. Dennoch ist er ein Bürger des Imperiums und ein gläubiger Anhänger unseres Herrn Sigmar. Wenn die Möglichkeit besteht, dass er gerettet werden kann, müssen wir es versuchen.“ Sie blickte in die Runde. „Und euch anderen stünde es gut zu Gesicht, eure Schuld abzutragen, indem ihr uns begleitet! Wir haben Verluste, und jeder Mitkämpfer wäre uns willkommen. Nutzt die Gelegenheit und versucht wieder gutzumachen, was ihr angerichtet habt!“

Dem folgte langes Schweigen. Keiner wagte Dariyas Blick zu erwidern. Schließlich aber erhoben sich zwei jüngere Männer, die ängstlich und blass, aber halbwegs entschlossen wirkten.

„Also gut“, sagte Dariya. „Besser als nichts. Ihr bekommt Waffen. – Und ihr anderen bleibt hier, bis wir zurück sind!“

* * *


[Damit ist das Szenario für das nächste Spiel gesetzt. Die Hexenjäger werden in den Wald eindringen und erneut zu der Lichtung ziehen, wo die Tiermenschen lagern. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass sie den Schmied noch lebend vorfinden, doch Dariya hält es für ihre Pflicht, zumindest einen Versuch zu seiner Befreiung zu wagen.]
 
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Auf der Waldlichtung

R
oban, der Schmied, war beim Versammlungsplatz der Tiermenschen an den Herdenstein gefesselt worden. Er stöhnte vor Schmerzen. Grobe Stricke umschlangen seinen muskulösen Körper, dessen gebrochene Glieder keinen Widerstand mehr zustande brachten.

Die Tiermenschen im Umkreis schenkten ihm keine Beachtung. Sicher hätten die Gors gerne die eine oder andere Folter angewandt, wie es ihrem bestialischen Temperament entsprach. Auch die Chaoshunde leckten sich hungrig die Lefzen. Doch dieser Gefangene gehörte nicht ihnen. Das hatte Tzandrok in aller brutalen Klarheit deutlich gemacht. Ein Ungor, der versucht hatte, ein Bein des Unglücklichen anzuknabbern, war von einem Zauber getroffen und rücklings gegen einen Baum geschleudert worden.

Tzandrok selbst stand neben dem Gefangenen und betrachtete ihn stumm. Er hatte seine schwarze Robe abgelegt, was er selbst im Kreis seiner Herde nur selten tat, und zeigte sich in all seiner verstörenden Körperlichkeit. Mit viel Fantasie mochte man ahnen, dass er seiner Herkunft nach ein junger Mann war, wenn auch von niedrigem Wuchs. Seine Beine allerdings waren schief und verdreht; Folge des einstigen Sturzes in die Schlucht, nach dem seine Knochen nicht mehr richtig zusammengewachsen waren. Doch nicht nur die Verletzungen hatten Spuren an seinem Körper hinterlassen. Tzeentch hatte den Jungen, der zeitlebens klein und schmächtig gewesen war, mit zahlreichen Veränderungen bedacht. Einige der geborstenen Knochen hatten die Haut durchstoßen und sich zu spitz herausragenden Stacheln verlängert. Der linke Arm war fast vollständig verschwunden und durch ein Bündel bläulicher Tentakel ersetzt, die sich unruhig wanden. Am unheimlichsten wirkte der Schädel: Er war vollständig kahl und hatte stumpfe Ausbuchtungen, die wie Ansätze von Hörnern wirkten, während die beiden verschiedenfarbigen Augen aus tief eingefallenen Höhlen leuchteten.

„Es tut weh, nicht wahr?“, raunte der Zauberer mit seiner Flüsterstimme. „Ich weiß, wie sich gebrochene Knochen anfühlen. Mir ging es genauso… damals, als du mich von der Klippe geworfen hast.“

Roban mied seinen Blick und presste die Lippen aufeinander, um sein Leiden zu verbergen. Er wollte dem verhassten Ziehkind nicht die Befriedigung gönnen, sich an seinen Schmerzen zu weiden.

„Doch das war nicht das Schlimmste“, fuhr Tzandrok mit sanfter Stimme fort. „Denn Tzan hat mich geheilt. Heute spüre ich keinen meiner zerschlagenen Knochen mehr. Tzan besitzt die Macht, Schmerz in Triumph und Verkrüppelung in Segnung zu verwandeln. Das Schlimmste aber, das du mir hinterlassen hast, vergeht nicht: Der Hass eines verleugneten Kindes auf seinen grausamen Vater.“

„Ich war nie dein Vater!“, presste Roban zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Du warst ein Eindringling in mein Leben… ein Fluch… eine Heimsuchung!“

„Tatsächlich?“ Der Zauberer streckte seinen rechten Arm aus, auf dem ein auffälliges Muttermal zu erkennen war. „Sieh hier! Erzähl mir nicht, dass du es nie bemerkt hast. Du hast das gleiche Muttermal, und es beweist deine Vaterschaft.“

„Das hat der Dämon so gefügt, der dich gezeugt hat!“, knurrte der Schmied. „Eine plumpe Täuschung!“

„Du willst es nicht wahrhaben“, erwiderte Tzandrok. „Umso schlimmer für dich.“

„Was hast du mit mir vor? Wirst du mich töten?“

„Oh nein! All die anderen im Dorf – ja, sie werden sterben. Aber nicht du. Ich möchte mich noch lange… lange… an deinem Anblick erfreuen. Dazu aber muss ich diesen Anblick ein wenig verändern.“

Tzandrok strich mit einem seiner Tentakel über die mächtige Brust des Schmieds. „Du bist groß und stark… etwas, das ich nie war. Tzan wird erfreut sein: Viel Fleisch, das verwandelt werden kann. Viel Kraft, die nach Veredelung ruft.“

Er hob die menschliche seiner beiden Hände zum Nachthimmel und stimmte etwas an, das wie die perverse Parodie eines Gebets klang.

„Tzan, großer Gott! Wandler der Wege, allsehendes Auge, Meister des Schicksals! Nimm das Opfer an, das ich dir bringe, und wandle den Leib dieses Mannes! Er mag deiner Gunst nicht würdig sein, doch bitte ich dich: Gieß die ganze Fülle deiner Geschenke über ihn aus, auf dass kein sterbliches Auge ihn wiedererkennen möge! Segne ihn in deiner Gnade mit allen Gaben deiner überreichen Hände! Lass ihn ein Gefäß deiner verschwenderischen Güte sein, ein Hort alles herrlich Abscheulichen, ein Abbild der glorreichen Auflösung und Verwandlung!“

Der Schmied wand sich wie unter plötzlich verdoppelten Schmerzen. Seine Haut begann Blasen zu werfen, während sein Brustkorb sich dehnte und streckte wie unter dem Zug einer unsichtbaren Gewalt. Sein Kopf schwoll an, und die Augen traten ihm aus den Höhlen.

„Nein!“, stöhnte er. „Herr Sigmar, hilf mir…“

„Und sorge dafür“, fuhr Tzandrok mit ruhiger Stimme fort, „dass sein Mund nicht mehr diesen verhassten Namen ausspricht.“

„Sigmar! – Sig…“

Der Schmied verstummte gurgelnd, und im nächsten Moment platzte etwas Fleischiges wie eine riesige Zunge aus seinem Mund hervor und verschloss ihm die Lippen. Die Zunge war drei Handspannen lang, leuchtend blau und wand sich wie eine Schlange. Dann platzte die Haut an den Schultern, und knöcherne Stacheln schoben sich heraus, die zur Länge von Schwertern heranwuchsen. Die gebrochenen Beine blähten und verformten sich; neue Gelenke brachen knackend heraus, und die Füße schwollen zu krallenbewehrten Tatzen. Ein Arm spaltete sich der Länge nach in mehrere peitschenartige Auswüchse, während der andere zu etwas wurde, das der Schere eines riesigen Krebses ähnelte.

„Ist Tzans Macht nicht wunderbar?“, fragte Tzandrok gerührt. „So gefällst du mir schon viel besser, mein sogenannter Vater.“
 
Wieder mal eine sehr coole Wandlung der Geschehnisse. Hmm, "Wandlung" passt hier ja wunderbar. 😁 Mir gefällt es außerordentlich wie ihr der Story immer wieder mit überraschenden Wendungen weiteres Leben einhaucht. Langeweile sucht man hier vergebens. Selbst wenn der letzte Kampf nicht besonders spektakulär war, die Geschichte ist es durchaus.

Super, und gerne weiter so. 👍
 
Wieder mal eine sehr coole Wandlung der Geschehnisse. Hmm, "Wandlung" passt hier ja wunderbar. 😁 Mir gefällt es außerordentlich wie ihr der Story immer wieder mit überraschenden Wendungen weiteres Leben einhaucht. Langeweile sucht man hier vergebens. Selbst wenn der letzte Kampf nicht besonders spektakulär war, die Geschichte ist es durchaus.

Super, und gerne weiter so. 👍
Die Geschichte ist eigentlich längst zur Hauptsache geworden. Und die Spiele werden irgendwie immer kürzer. 😄 Ein wenig liegt es daran, dass beide Banden schon so stark sind: die Hexenjäger wegen ihrer langen Steigerungs-Karriere, und die Tiermenschen hatten auch von Anfang an starke Monster. So gibt es immer schnell Verluste und frühzeitige Rückzugstests. Wir wollen aber auf jeden Fall noch ein Spiel ganz ohne Rückzugstests machen; wahrscheinlich das letzte.

Das "heimliche" Hauptthema ist im Grunde die Entwicklung Dariyas. Ich fragte mich von Anfang an, wie es möglich sein könnte, dass ein (gerade-noch-) Teenager zur Inquisitorin wird. Deshalb entstehen nach und nach Situationen, in denen sie lernen muss, schwere Entscheidungen zu treffen und ihre Autorität zu behaupten; z.B. der Streit mit Ivana oder jetzt der Konflikt mit den Dorfleuten. Ein wesentlicher Lernschritt steht noch aus und wurde in der Einleitung schon "angeteasert"... mal sehen, was daraus wird.