Waffensymbionten
Jetzt komme ich zu einem Lieblingsthema, weil ich gerade hier die Ideen von Games Workshop sehr charmant und originell finde. Ich weiß nicht, ob sie das irgendwo herhaben, also ob es wirklich ihre Erfindung oder schon mal vorher in Büchern oder Filmen aufgetaucht ist. Jedenfalls hab ich für die vielen herrlich verrückten Ideen in diesem Kontext schon manche Kerze angezündet ? Der Erfindungsreichtum ist beeindruckend und verlangt nach ein paar Beispielen: Die Bohrkäferschleuder schießt durch einen Nervenimpuls aggressive Käfer auf den Gegner, der Neuralfresser Schauer von Würmern. Die Stachelfaust verschießt spitze Dornen durch Druckluft beim Ausatmen des Trägers. Der Stachelwürger feuert durch Muskelkontraktion eine Samenkapsel ab, die sich im Flug in eine wirbelnde Tentakelmasse verwandelt. Und die Harpunenkanone verschießt lebende Geschosse, an deren Basis ein Parasit nistet, dem beim Abschuss die Eingeweide herausgerissen werden und als „Flügel“ dienen wie die Federn an einem Pfeil. (Codex Tyranids, Games Workshop Ltd. 2022; S.18).
Spieltechnisch war die Motivation natürlich, einer Fraktion, die über keinerlei konventionelle Technologie verfügt, Fernwaffen zu verschaffen. Das hätte man aber auch einfacher haben können, denn es gibt genug Tiere mit abgefahrenen Waffen, ohne dass es Symbionten sein müssen. Die „Spei-Kobra“ z.B. schießt Gift in einem Strahl aus Öffnungen in ihren Zähnen, und zwar bis zu 3 Meter weit, wobei sie auf die Augen des Gegners zielt - nur mal als Beispiel. Aber man hatte bereits die Symbiose zu einem Leitmotiv bei den Tyraniden auserkoren, das Zusammenwirken verschiedenartiger Lebewesen zum beiderseitigen Vorteil. Und das hat man dann sehr fantasievoll ausgebaut.
In der irdischen Natur drehen sich die meisten Symbiosen um Vorteile bei der Ernährung. Mykorrhiza-Pilze wachsen mit Pflanzenwurzeln zusammen; Schlauchpilze mit Grünalgen bzw. Cyanobakterien („Flechten“). Bei den berühmten „Staatsquallen“ verschmelzen mehrere Individuen zu einem einzigen und differenzieren sich dann so, dass sie die Funktionen unterschiedlicher Organe übernehmen. Tiefsee-Anglerfische haben ein Leuchtorgan, in dem lumineszierende Bakterien leben, die Licht erzeugen und dem Fisch damit Beute anlocken. Noch eine Symbiose bei der gleichen Art: Das Männchen des Anglerfischs heftet sich an den Unterleib des (viel größeren) Weibchens und wächst mit ihm zusammen, wobei es dann sogar vom Blutkreislauf des Weibchens ernährt wird.
Andere Symbiosen drehen sich um Schutz oder Verteidigung. Zum Beispiel besiedeln Kolonien bestimmter Bakterien eine Käferart und produzieren ein Anti-Pilz-Gift, womit sie den Käfer vor Pilzinfektionen schützen. Echte „Waffensymbionten“ gibt es in der irdischen Tierwelt eigentlich nicht – aber immerhin Annäherungen. So gibt es eine bestimmte Art von Seeanemonen (blumen-ähnlichen Nesseltieren), die sich an die Gehäuse von Einsiedlerkrebsen anheften. Die Seeanemone hält dann mit ihren giftigen Nesselfäden Feinde von „ihrem“ Krebs fern, während der Krebs sie mit sich herumträgt und ihr seine aufgewirbelten Nahrungsreste überlässt. Es wurden sogar schon Krebse dabei beobachtet, wie sie sich aktiv eine solche „Biowaffe“ auf den Panzer setzten.
Aber die Tyraniden sind ja instinktive Bio-Ingenieure und nicht auf das angewiesen, was die Natur ihnen vorgibt. Sie instrumentalisieren alle möglichen Lebewesen, die sie auf verschiedenen Beutewelten vorgefunden haben, und machen Waffen aus ihnen. Einige mögen ganz simpel gezüchtet werden, zum Beispiel die „Munitions“-Organismen wie Käfer oder Würmer. Die komplexeren Organismen, die als „Abschussvorrichtungen“ dienen, wurden dagegen vermutlich durch Gen-Klau einverleibt.
Eine alte (und von GW nie geklärte) Frage ist, ob die Tyraniden mit ihren Symbionten bereits geboren werden, oder ob man sie ihnen später anwachsen lässt. Aber auch hier ist mal wieder der Tervigon Kronzeuge, denn er brütet Termaganten fertig samt Bohrkäferschleuder aus. Das wäre auch viel einfacher, als zwei selbständige Organismen nachträglich zur Verschmelzung zu bringen. Den Tyraniden traue ich zu, dass sie es auf direktem Weg hinkriegen und die Gene für ihre Symbionten längst in ihr eigenes Genom integriert haben, sodass diese Wesen gleich mit ihnen zusammen entstehen. Dazu würde die Information passen – ich weiß nicht mehr, aus welcher Quelle sie stammt - , dass zumindest einige Symbionten durch den Blutkreislauf ihres Wirts versorgt werden und sogar an dessen Nervensystem „angeschlossen“ sind, also als getrennte Wesen wahrscheinlich gar nicht überlebensfähig wären. Es gibt also vielleicht nirgends so etwas wie eine unabhängig existierende Bohrkäferschleuder, sondern nur als festen Bestandteil eines Tyranidenkörpers.
Möglich ist so etwas zumindest theoretisch, auch wenn es Beispiele dafür eher für Endo-(„innere“) Symbionten gibt. So geht man heute davon aus, dass sich bestimmte Organellen in unseren Zellen, nämlich die energieproduzierenden Mitochondrien, aus ursprünglich selbständigen Bakterien entwickelt haben. Diese Bakterien müssen von weit entfernten Vorfahren (mutmaßlich vor hunderten Millionen Jahren) absorbiert worden sein, gingen aber nicht zugrunde, sondern überlebten in den Zellen und wurden zu lebenswichtigen Bestandteilen. Noch heute haben Mitochondrien eine eigene DNA und vermehren sich selbständig durch Teilung, während interessanterweise ein Teil ihres Genoms ins Kerngenom der Wirtszelle eingebaut wurde. Insofern haben wir alle in unseren Zellen kleine Symbionten, deren Erbgut nirgends mehr selbständig existiert. Das heißt: Im Prinzip ist es möglich, das Erbgut eines Symbionten (oder doch Teile davon) in das Erbgut seines Wirts einzubauen.
Wenn es so wäre, wie können die Tyraniden dann in kürzester Zeit morphologisch gleiche Kreaturen mit ganz unterschiedlichen Waffensymbionten hervorbringen? Wie kann es sein, dass eine Brut von Tyranidenkriegern vier Sensenklauen hat und die nächste vielleicht nur zwei, plus einen Stachelwürger?
Da käme jetzt wieder die Epigenetik ins Spiel, denn das wäre, glaube ich, die Lösung mit dem geringsten Aufwand. Angenommen, ein Tyranidenkrieger hat sämtlich Gene für alle möglichen Waffensymbionten, für Stachelwürger, Biozidkanone etc. Nun wird durch eine besondere Behandlung des Brutorganismus, der die Tyranidenkrieger hervorbringt, eine Auswahl getroffen: Z.B. kriegt der Brüter eine spezielle Nahrung, wird mit besonderen Drüsensekreten eingenebelt oder bei veränderter Temperatur gehalten. Ähnliches gibt es auch bei Bienen und Ameisen, wo die Ausprägung bestimmter Merkmale und damit die Zugehörigkeit zu einer „Kaste“ durch die Art der Fütterung bestimmt wird („trophogene Determination“). Dabei werden epigenetische Prozesse in Gang gesetzt, durch die bestimmte Gene „abgeschaltet“ und die entsprechenden Merkmale beim fertigen Tier nicht ausgeprägt werden. So kommt es, dass Honigbienen aus einer durchschnittlichen Larve bloß durch Fütterung eine Königin machen können, die sich dann deutlich von den anderen Bienen unterscheidet. Sie ist nicht nur größer, sondern sie hat auch anders aufgebaute Drüsen und Fortpflanzungsorgane, besitzt kein Sammelorgan (für den Pollentransport) und keine Widerhaken am Stachel. Auch bei ihr wurden also Gene „abgeschaltet“. Ob man den Stachel mit Widerhaken deswegen als Waffenbiomorph gelten lassen will, ist eine andere Frage ?. Jedenfalls zeigen solche Beispiele, dass massive körperliche Veränderungen durch veränderte Nahrung möglich sind.
Bei den Tyraniden müssten solche Vorgänge wahrscheinlich schon pränatal eingeleitet werden, da einige Arten offenbar lebend geboren werden und weder ein Ei- noch ein Larvenstadium durchmachen. Deshalb favorisiere ich die Idee, dass es der jeweilige Brüter-Organismus ist, der das spezielle Futter bekommt und dann (vermutlich durch Hormone) die Ungeborenen beeinflusst. Ich stelle mir das so vor, dass die Tyraniden damit bei der Behandlung ihrer Brut planmäßig diejenigen Gene abschalten, die gerade nicht gebraucht werden, sodass sich nur die übrigen ausprägen. Z.B. schaltet man ein Sensenklauen-Paar plus die Biozidkanone ab, und dann entwickeln sich dasjenige Merkmal, dessen Gene noch aktiv sind; das wäre dann der Stachelwürger. Oder man schaltet umgekehrt sämtliche Gene für Waffensymbionten ab und bekommt einen Tyranidenkrieger mit vier Sensenklauen und weiter nichts.
Natürlich sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt, und es könnte auch sein, dass einige Waffensymbionten tatsächlich erst nach der Geburt mit ihrem Benutzer verbunden werden. Nur wie? – Durch Antackern wohl kaum^^. Es müsste sich dann bei den Symbionten um Organismen handeln, die eine wirklich hohe Affinität zu ihren Wirten haben und sozusagen nur darauf warten, dass ein Tyranide in ihre Nähe kommt und ihnen die Klaue entgegenstreckt, damit sie wie der Alien-Facehugger draufspringen und dranwachsen können. Unmöglich wäre das nicht, auch wenn man sich dann wirklich abgefahrene Dinge im Innern der Schwarmschiffe vorstellen müsste: Z.B. eine Brutkammer, in der Biozidkanonen aus dem Boden wachsen wie seltsame Pilze, oder Neuralfresser wie Früchte an einem Baum hängen. Ich glaube, GW hat das alles aus gutem Grund offengelassen: Es regt die Fantasie an.