So, jetzt wie versprochen das allerletzte Kapitel. Dieses ist, wie bereits angekündigt, bereits fast völlig auf den neuen Hintergrund übertragen und soll für euch auch eine Leseprobe sein. An sich hat dieser Teil mit der Geschichte um die Viermächteschlacht nicht mehr viel zu tun, er spielt ja auch ein Jahr später und kann entsprechend gerne als Epilog aufgefasst werden. Aber eben auch als Leseprobe, denn für einen reinen Epilog enthält er viel zu viele neue Informationen.
Achtung: Einige Begriffe, wie Ortsnamen habe ich beibehalten, damit ihr wisst, was gemeint ist. Also "Naggarond", "Naggaroth", "Ghrond", "Hag Graef" und eventuell weitere wird es dann später nicht mehr geben.
Alle anderen Übertragungen sollten klar sein und will ich hier nicht so genau aufführen.
Dann viel Spaß!
Die Macht der Drelai
„Zwischen Schwarz und Weiß kann es keinen Frieden geben. Doch wer zur Waffe greift und tötet, der verlässt das Licht und begibt sich in die Finsternis. Das ist unser Opfer, denn wir sind der Schatten, der nur im Licht sichtbar ist. Wir stellen uns der Dunkelheit, damit anderer Reinheit unberührt bleibt.“
- Glaubensschrift des Khaiha’Sil
Ort: Festung der Sil‘Vatari, Schildberge
Zeit: VZ - 2J - 8M - 15T - Vormittag
(Ein Jahr nach der Viermächteschlacht)
Person: Xiucalta Geisterauge
Heißes Blut floss zwischen ihren Schenkeln hinab und Xiucalta schloss genießerisch die Augen. Ihre Wange lag auf Yerills Schulter und sie konnte den Herzschlag der Unsterblichen hören. Inzwischen war er wieder so ruhig wie ihr eigener und die beiden Frauen schmiegten sich in stillem Glück aneinander. Xiucalta lag mit gespreizten Beinen auf ihrer Geliebten, deren Hände gedankenverloren ihren Rücken und Nacken streichelten.
Alle Wunden, die das Mädchen ihr in der letzten Stunde zugefügt hatte, waren längst verheilt. Nur der kleine Kratzer, den ein scharfer Fingernagel in ihrem Unterleib hinterlassen hatte, blutete noch immer und sorgte für einen steten roten Strom zwischen ihren Schenkeln. Heiß und feucht rann es ihre Haut hinab und floss dann über Yerills Schambereich in die Mulde zwischen ihren übereinandergeschlagenen Beinen, wo es sich sammelte und dann nach und nach in ihren Körper aufgenommen wurde.
Die beiden hatten eher versehentlich entdeckt, dass die Winde der Magie, solange Yerill sie berührte, nur ihre Haut heilen konnten. Damals hatte Xiucalta sich die Zunge an Yerills Zähnen aufgeritzt und die Wunde hatte nicht verheilen wollen, obgleich jeder Kratzer in ihrer Haut nach wenigen Sekunden verschwand. Erst, als sie sich aus den Armen ihrer Geliebten zurückgezogen hatte, hatte es plötzlich aufgehört zu bluten.
Als sie weiter darüber nachgedacht hatte, war es Xiucalta auch ganz vernünftig vorgekommen. Jeder Schnitt in ihrer Haut war für die Winde der Magie wie ein Riss, durch den strahlende Helligkeit strömte. Dem konnten sie nicht widerstehen und stürzten sich direkt darauf, sofern Yerill nicht ausgerechnet die Wunde verdeckte. Ihr Inneres aber war für die Ströme uninteressant, solange die Unsterbliche alle Kraft aufsog, die aus ihr heraus sickerte. Genauso wie sie damals nach der Viermächteschlacht nicht wieder zu Kräften gekommen war, solange das Mädchen ihre Hand gehalten hatte.
Yerill hatte ziemlich schnell vermutet, dass die verzögerte Heilung nicht nur Xiucaltas Mund, sondern auch ihre Scheide betreffen würde. Anfangs hatte die Seherin dem Vorschlag, das auszunutzen, recht skeptisch gegenüber gestanden, obwohl es ursprünglich ihre Idee gewesen war, Blut und Leidenschaft zu verbinden.
Doch allmählich genoss sie das ungewöhnliche und anfangs unangenehme Gefühl, mit dem das Blut aus ihr herausfloss. Sie lagen oft nach der Vereinigung noch lange Zeit so aufeinander, bis die Wunde in ihrem Innern dann schließlich auch ohne magische Hilfe verheilte. In letzter Zeit schlief Xiucalta sogar immer öfter mit dem Gefühl heißen Blutes zwischen ihren Beinen ein. Yerill legte sie dann irgendwann im Laufe der Nacht neben sich, deckte sie zu und ließ sie eine Weile los, um den Winden der Magie Gelegenheit zu geben, sie richtig zu heilen, damit die Wunde nicht versehentlich wieder aufriss.
Sie hatten herausgefunden, dass die Unsterbliche durchaus ein paar Tage überstehen konnte, ohne Blut zu trinken, allerdings wurde sie dann immer launischer und nach einer Woche zunehmend aggressiv. Außerdem nahm ihre körperliche Leistungsfähigkeit rapide ab.
Aber da sie inzwischen ohnehin wenigstens jeden Morgen und Abend miteinander schliefen und keine von ihnen mehr Lust auf Leidenschaft ohne Blut hatte, sollte es eigentlich niemals wieder soweit kommen, dass Yerill den Verstand verlor. Wichtig war nur, darauf zu achten, dass sie keine roten Flecken auf den Laken hinterließen, sonst würde irgendwann jemand die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Zum Glück konnte Yerills Haut auch dann noch Blut absorbieren, wenn es bereits in den Stoff eingedrungen war. Solange es noch nicht ganz getrocknet war.
Zufrieden mit sich und der Welt beobachtete Xiucalta, wie sich die Dunkelheit jenseits der dünnen Vorhänge langsam lichtete und in ein tiefes Rot überging. Bald würde die Sonne über der Ebene von Ghrond aufgehen. Zeit zum Aufstehen.
Tatsächlich war der Schnitt in ihrem Innern wohl inzwischen soweit verheilt, dass er nicht mehr blutete. Allmählich fiel die zufriedene Ruhe, die sie nach der Befriedigung ihrer leidenschaftlichen Lust immer verspürte, von ihr ab. Die Nacht war vorbei. Sie fühlte Yerills Finger an der Innenseite ihrer Schenkel, die das fast geronnene Blut verschwinden ließen. Das leichte Kitzeln ließ sie lächeln. Sie hob den Kopf, schob sich hoch und hauchte dem unsterblichen Mädchen einen Kuss auf die Lippen, bevor sie sich von ihr herunterrollte und fast in derselben Bewegung aus dem Bett beförderte.
Ihrem gewöhnlichen morgendlichen Ritual folgend, ignorierte sie das Schlachtfeld aus zerwühlten Laken und herumliegenden Kleidungsstücken und machte sich auf den Weg ins Bad. Am Anfang hatte Yerill zumindest die abgeworfenen Sachen in der Nacht beseitigt und ordentlich zusammengelegt, aber Xiucalta fand die Vorstellung, dass ihre Geliebte ihre gemeinsame Unordnung beseitigte, während sie allein im Bett schlief, irgendwie unangenehm. Seitdem blieb Yerill die ganze Nacht bei ihr, auch wenn sie selbst nicht schlafen konnte.
Xiucalta hatte sie einmal gefragt, ob es sie nicht langweilte, ihr jede Nacht vier bis fünf Stunden beim Schlafen zuzusehen, aber Yerill schien zufrieden damit zu sein. Nur gelegentlich fing sie an, nachts zu lesen, wenn die Nacht draußen ruhig und windstill war, sodass sie sich mit einer Kerze auf den Balkon setzen konnte. Es gab so viel, das die Unsterbliche noch nicht wusste, und seit Xiucalta ihr das Verständnis der Schrift beigebracht hatte, war sie begierig, ihre Wissenslücken zu schließen.
Wie jeden Morgen zauberte der Anblick ihres Bads ein Lächeln auf Xiucaltas Lippen. Das war ihr wichtigster Punkt bei der Planung des Turms gewesen. Seit sie das Bad der Ersten Meisterin in Naggarond gesehen hatte, hatte sie auch so eins haben wollen. Dieses war nun nicht ganz so riesig, aber auch hier waren die Wände aus nahspiegelndem, schwarzem Marmor. Es gab ein großes Becken und daran angrenzend ebenfalls einen separaten Duschbereich, der aber in diesem Fall deutlich größer ausfiel und zwei der runden Löcherscheiben in der Decke hatte.
Entlang der ganzen Außenwand zog sich ein Streifen munter prasselnden Öl-Feuers hinter einem unsichtbaren Kraftfeld, das Rauch und Ruß von ihr fernhielt. Das Licht der aufgehenden Sonne fiel durch riesige Fenster in der schrägen Decke, die wie von hauchzarten Wasserschleiern bedeckt glitzerten und so wirkungsvoll verhinderten, dass Szar’zriss oder einer der Kristalladlerreiter sie beim Baden beobachten konnte. Von außen, das hatte sie überprüft, war der Raum genauso wenig einzusehen wie die Tiefen eines schnell fließenden Flusses.
Wie jeden Tag ließ Yerill ihr ein paar Minuten für sich, in denen die Unsterbliche ihr gemeinsames Schlafzimmer wieder auf Vordermann brachte. Einmal hatte Xiucalta versucht, ihr dabei zu helfen, und war sanft, aber deutlich hinausgeworfen worden. Ihr sollte es recht sein. So hatten sie beide ein paar Augenblicke allein, um sich mental auf den Tag vorzubereiten. Wenn Yerill das mit Aufräumen tun wollte, warum nicht?
Sie war gerade dabei, sich mit Seife einzureiben, als ihre Geliebte sich zu ihr gesellte und ihr zur Hand ging. Wie immer genau zur rechten Zeit. Gemeinsam standen sie unter dem herab prasselnden, warmen Wasser und ließen sich sauberspülen. Das war der Grund dafür, dass die Fläche hier fast doppelt so groß war wie in Naggarond. Sie sollten beide darauf passen, ohne sich eng aneinanderschmiegen zu müssen.
Wenig später verließen sie das Bad und zogen sich ihre besten Kleidungsstücke an. In Xiucaltas Fall war das eine tiefschwarze, seidene Robe mit silbernen Drachen- und Flammenstickereien an Kragen, Ärmel- und Kapuzensaum, dazu gleichfarbige lederne Handschuhe und Stiefel. Der breite, pechschwarze Reif, den sie zu tragen hatte, verdeckte beinahe ihren ganzen Hals, war aber weit genug, dass sie den Kopf problemlos drehen konnte und auch nicht versehentlich daran ersticken würde. Yerill kämmte ihr die schwarzen Haare, bis sie ihr glatt über Schultern und Brust fielen.
Die Unsterbliche trug weiße, goldverzierte Leibchen, eine seidene, dünne Schleppe ab der Hüfte und durchscheinende Ärmel, von denen Hunderte dünner, weißer Bändchen herabhingen, die ihre Arme wie Flügel wirken ließen. Ihre langen, weißgoldenen Schwerter hingen ohne Scheiden überkreuzt auf ihrem Rücken. Die Hefte, die über ihren Schultern aufragten, waren der menschlichen Vorstellung von Aydari, die sie Engel nannten, nachempfunden. Federgeschmückte Schwingen formten zur Klinge gebogene Parierstangen und ihre schlanken Körper bildeten die Griffe, während ihr unmöglich langes Haar verspielt um die Schneiden lag.
Yerill schaffte es, mit ihren Bändchenflügeln wahrlich majestätisch auszusehen, auch wenn sie das niemals im Kampf tragen würde. Aber heute ging es ja auch nicht in die Schlacht. Xiucalta richtete nun auch noch das Haar ihrer Geliebten, schnappte sich ihren Stab und dann waren sie bereit zum Aufbruch.
Sie verließen das Schlafgemach über eine Wendeltreppe und kamen nun in ihren Arbeitsbereich. Das Stockwerk hatte drei Abschnitte. Der mittlere war der öffentliche Teil. Hier empfingen sie Besucher, die etwas mit ihr oder Yerill zu besprechen hatten. Von den beiden äußeren Teilen war einer für jede von ihnen vorbehalten. In Xiucaltas Bereich hatte sie eine beachtliche Bibliothek aus all jenen Büchern aufgebaut, die nur wenigen Personen zugänglich sein sollten. Texte voll tödlicher Magie, ketzerischer Anrufungen und schrecklicher Geheimnisse. Zuerst hatte Yetail sie im Turm der Kinder des Schattens unterbringen wollen, aber schließlich war Xiucalta die Geheimniswahrerin und könnte den Inhalt der Werke auch in Erfahrung bringen, ohne sie zu lesen. Deshalb waren sie nun in ihrer Obhut.
Yerills Seite dagegen war eine Mischung aus gemütlichem Besprechungsraum und effizientem Taktikzimmer. Es gab einen Kamin, bequeme Stühle und prächtige Schlachtengemälde, aber auch einen ordentlichen Schreibtisch, Dutzende von Karten und eine große Tafel, an der Berichte über Truppenstärke, Befestigungen und Verlegungen aus dem ganzen Reich hingen, die Yerill jeweils sofort auf ihre Karten übertrug. Vom Grenzwall im Norden über die Flotte der Hochgeborenen und die Lager der Autarii bis hin zu den Garden der Städte sammelte sie alles. Sie war die Heerführerin der Sil’Vatari, der Erwählten des Wachenden Gottes, und die Anführerin der Ewigen Wache, sie musste wissen, wo ihre Hilfe am ehesten gebraucht wurde. Und sie nahm ihre Aufgabe ernst.
Von jedem der beiden Bereiche führte eine Treppe in das oberste Stockwerk, sodass der Eindruck entstand, dass sie beide dort oben jeweils ein eigenes Gemach hatten. Es konnte ja keiner wissen, dass fast die Hälfte des verfügbaren Raums für ihr Bad draufging. Und Xiucalta hatte dafür gesorgt, dass sich der einzige vollständige Bauplan des Turms in ihrem Besitz befand.
Im mittleren Zimmer stand gegenüber der Tür eine beeindruckende Statue Khaiha’Sils. Die beiden Frauen neigten die Köpfe vor dem Abbild des Wachenden Gottes und dankten ihm dafür, eine so wichtige Rolle im Gefüge der Welt spielen zu dürfen. Sie versprachen, für immer in seinem Dienste zu handeln und zu leben.
Xiucalta hatte anfangs befürchtet, Yerill könnte geistig bereits zu reif gewesen sein, um noch zu lernen, an einen Gott zu glauben, aber sie hatte die Religion der Drelai mit beeindruckender Geschwindigkeit und Ernsthaftigkeit übernommen. Vielleicht hatte ihr die Tatsache dabei geholfen, dass sie selbst ein lebendes Zeugnis von überweltlicher Macht war. Wenn auch der falschen Götter.
In angemessener Eile liefen sie nun die Treppe des Turms hinunter. Alle Räume, an denen sie vorüberkamen, waren leer. Die meisten waren noch unbewohnt, die wenigen anderen bereits von ihren Bewohnern verlassen.
Draußen warteten die achtzehn Krieger, die bisher mit ihnen im Minir’Aydar lebten. Neun von ihnen gehörten zu Xiucaltas Geister-, die anderen zu Yerills Sturmgarde. Es waren ihre persönlichen Kämpfer, verantwortlich für ihren Schutz, ihnen aber auch zu Dienst verpflichtet. Wenn die Zahl der Ewigen Wache größer wurde, würden es irgendwann jeweils siebenundzwanzig sein. Drei mal drei mal drei Krieger für jede von ihnen.
Die Männer und Frauen in ihren schweren, grauen Pracht-Rüstungen nahmen Haltung an und salutierten vor den Aydari. Yerill nickte und gab ihnen mit einer Geste die Anweisung, ihnen zu folgen. Da sie den Oberbefehl über alle Wächter hatte, brauchte Xiucalta ihre Gruppe nicht selbst zu befehligen. Sie schritt ruhig, aber in angemessenem Abstand neben Yerill dahin, während ihnen die Kämpfer in makellosem Gleichschritt folgten. Außerhalb der Festung würden ihre Geistergardisten zumindest Xiucalta in die Mitte nehmen, aber hier im Innern war das überflüssig.
Die Seherin ließ den Blick über das weite Rund schweifen, während sie den Hang hinunter marschierten, auf dem der Minir’Aydar stand. Das Tal war kaum mehr wiederzuerkennen. Dort, wo einst Viverla’atars Stamm und ihr verfeindeter Clan gelebt hatten, hatten sich nun die Sil’Vatari niedergelassen. Aus den Trümmern der beiden Berge waren zwei beeindruckende Türme im Norden und im Süden entstanden. Xiucalta und Yerill hatten den südlichen für sich beansprucht, dessen Steine noch immer eine unnatürliche Schwärze abstrahlten, seit der Altar der Tiefsten Schatten infolge der Wende der Magie explodiert war. Das war der Turm der Dunkelheit oder auch des Wissens. Mehrere Stockwerke waren – zusätzlich zu dem verbotenen Teil – mit frei einsehbaren Bücherregalen gefüllt und wann immer es eine Frage gab, die kein Text beantworten konnte, kannte Xiucalta die Antwort.
Die Mauern des gegenüberliegenden Turms, passend als Minir’Flator, Turm der Flammen, bezeichnet, dagegen glühten noch immer in feurigem Rot, als würden sie unter unglaublicher Hitze stehen. Dort war der Großteil der Ewigen Wache untergebracht und auf der Spitze standen immer drei Posten und blickten über das Land, vor allem aber nach Norden.
Das beeindruckendste Bauwerk aber erhob sich im Westen des Tals, der Minir’Vatar, der Turm der Erwählten, wo die Kinder des Schattens lebten. Geschaffen aus Steinen von beiden eingestürzten Bergen, war er ein Monument aus Schatten und Glut, das sich über die Gipfel der Schildberge reckte. Ein Symbol für die Macht der Drelai. Durch ihn strömte die Magie der neugeschaffenen Quelle. Dort, wo sich sein Fuß in den Fels bohrte, hatte Nerglot das andere Ende seines Torzaubers platziert und dort wechselte reine Energie aus dem Wirbel in die Realität, woraufhin sie erst gerade in den Himmel stieg und dann in weitem Bogen nach Naggarond zurückfloss. Mächtige Bannzauber umgaben die Quelle und verwehrten allen Dämonen Zugang in diese Realität.
Wie bei allem, das die Drelai im Namen Khaiha’Sils bauten, versinnbildlichte auch diese Festung die heilige Dreigeteiltheit, die für den Gott des Gleichgewichts stand. Dabei waren die Türme mehr als nur ein Ausdruck für Feuer, Schatten und reine Magie, obwohl das Yetails liebste Interpretation war. Gleichzeitig standen sie auch für die drei Säulen, auf denen sich die Kampfkraft der Festung gründete: Weisheit und Glaube, also mentale Kraft, in Form der Aydari, zahlenmäßige Stärke in Gestalt der Ewigen Wache und das Können beziehungsweise die körperlichen Fähigkeiten der Kinder des Schattens. Überraschenderweise war diese Sichtweise von Yerill gekommen.
Sisrall hatte das Schema vorgezogen, das der Tempel und auch die Streitkräfte des Schattenkönigs verwendeten: Schnell vorstoßende Elitekämpfer, um die feindlichen Reihen zu brechen, nachrückende Masse, um die Bruchstücke zu zermalmen, und Unterstützung, um Zuversicht auf der einen und Furcht auf der anderen Seite zu verbreiten.
Xiucaltas persönliche Meinung dagegen war, dass das Tal die drei Facetten von Trizils Lied und damit die Frage der Wende der Magie wiederspiegelte: Macht, Leben und Tod. Für sie die reinste Entsprechung Khaiha’Sils. Während sie durch den erstarrten Wald liefen, verstärkte sich dieser Eindruck wieder einmal. Im letzten Winter hatten die Bäume ihre Blätter verloren und in diesem Jahr keine neuen ausgebildet, dafür war ihre Rinde grauschwarz und hart wie Stein geworden. Drohenden Fingern gleich ragten ihre kahlen Äste in den morgendlichen Himmel. Alles, was der Altar der Tiefsten Schatten berührt hatte, war tot. Der Minir’Aydar strahlte weithin Kälte und Leblosigkeit aus. Und seine Bewohner waren kaum besser.
Eine Unsterbliche, deren Haut aus Eis und Licht bestand und die fremde Lebenskraft brauchte, eine Drelai, deren ganze Bedeutung auf totem Wissen beruhte, zusammen mit grimmigen Soldaten, deren einzige Freuden Dienst und Kampf waren. Die Sturmgardisten gehörten zu den wildesten und tödlichsten Kriegern, die Xiucalta je zu Gesicht bekommen hatte. Ihre schweren Rüstungen verstärkten ihre Kraft und mit ihren langen Zweihandschwertern vermochten sie breite Schneisen des Todes zu hinterlassen und selbst die von den dunklen Göttern gesegneten, gerüsteten Elitekrieger der Neash’tai niederstrecken. Diese Drelai existierten, um Leben zu vernichten. Fast alle von ihnen waren Schwarze Gardisten oder Scharfrichter und Assassinen des Tempels gewesen, die sich nun als die persönlichen Vollstrecker von Khaiha’Sils richtendem Schwert, der Weißen Aydar, sahen. Frauen gab es in ihren Reihen bisher noch nicht.
Einzig Xiucaltas momentan ausschließlich weibliche Geistergarde war noch gefühlskälter als Yerills Leibwache. Jede einzelne der ehemaligen Klosterhexen war eine Traumleserin, deren Fähigkeiten die der wahren Seherin unterstützen konnten. Ihre Visionen waren zwar mehr als ungenau, dafür konnten sie deutlich weiter sehen als Xiucalta. Doch konnten sie einzig den Tod vorausahnen. Immer wieder erlebten und fühlten sie das Sterben von Personen, denen sie nie begegnet waren, und fanden erst dann Frieden, wenn sie den Zweck ihrer Gabe erfüllt hatten: Den vorausgesehenen Tod zu verhindern, wenn möglich, oder ihn selbst zu bringen, wenn nötig. Diese Frauen gehörten zu den besten Traumleserinnen, die man in Naggaroth finden konnte, und die einzige Erfüllung, die sie im Leben noch kannten, war der Dienst im Namen des Wachenden Gottes, der ihnen diese Gabe verliehen hatte. Manchmal dachte Xiucalta für sich, dass selbst Nerglot noch mehr Freude am Leben gehabt hatte. Diese Drelai waren so kalt und geisterhaft wie der Turm, in dem sie lebten.
Auf der anderen Seite des Flusses dagegen blühte das Leben. Die Asche, die die Zerstörung des Flammenbrunnens hinterlassen hatte, bildete die Grundlage für neues Wachstum. Überall vom Ufer bis zum Minir’Flator grünte junges, frisches Gras und die ersten Keime neuer Bäume und Sträucher wagten sich aus der Erde. Die gesamte Fläche war im Moment eine einzige riesige Wiese und es würde noch Jahrzehnte dauern, bis man es wieder einen Wald nennen konnte. Die Ewigen Wächter, die dort wohnten, gehörten zwar ebenfalls zu den diszipliniertesten und besten Kriegern der Drelai, aber dort konnte man zu jeder Tageszeit emsige Aktivität, aufregende Übungskämpfe und fröhliche Unterhaltungen erleben. All diese Männer und Frauen waren bereit, ihr Leben jederzeit im Namen Khaiha‘Sils zu opfern, aber bis dahin, so sagten sich die meisten, waren sie lebendige Drelai und keine wahnsinnigen Diener der Neash’tai, die nur zur Unterhaltung ihrer dunklen Götter töteten und starben. Sie waren Drelai, sie dienten mit Freude und sie kämpften mit Überzeugung. Sie waren Krieger, die für den Gott des Ausgleichs in die Schlacht zogen, Bewahrer des Gleichgewichts, Männer und Frauen, die Schönheit, Friede und Liebe aufgegeben hatten, um den Mächten der Zerstörung Einhalt zu gebieten, die aber dennoch wenigstens das Leben zu schätzen wussten.
Doch letztendlich gab es keine richtige oder falsche Art, dem Wachenden Gott zu dienen. Genau wie jede der Interpretationen bezüglich der drei Facetten, die die Talfestung wiederspiegelte, ihre Richtigkeit hatte, hatten auch die Sturm- und Geistergardisten ihre Berechtigung, ebenso wie die übrige Ewige Wache, die Aydari und die Kinder des Schattens. Jeder diente Khaiha’Sil auf seine Weise in Zeiten des Friedens und des Krieges. Der Wachende Gott wollte keine seelenlose und blinde Treue, er wollte aber auch keine geistlosen Freuden, wie sie die Anhänger des Gottes der Ekstase zelebrierten. Der Gott des Ausgleichs liebte Kampf und Tod ebenso wie Frieden und Schönheit. Deshalb waren sie Drelai, deshalb standen sie zwischen Dunkelheit und Licht. Sie töteten, damit andere leben konnten.
Und Xiucalta hatte viel Wert darauf gelegt, dass die Soldaten der Ewigen Wache das verstanden. Ja, sie waren hier, um zu kämpften und ihr Leben dem Krieg zu widmen, aber sie töteten nicht um des Tötens willen. Sie zogen in die Schlacht, um jene aufzuhalten, die nur blinde Zerstörung und wilden Hass kannten.
Fast das ganze letzte Jahr waren Yerill, Xiucalta, Artewu und eine wechselnde Anzahl von Kindern des Schattens durch Naggaroth gezogen und hatten nach Rekruten für die Ewige Wache gesucht. Die meisten stammten aus Tempel und Kloster, aber es gab auch ein paar Soldaten aus den Regimentern des Schattenkönigs und der Hochgeborenen. Jeder von ihnen gehörte zu den allerbesten, was Kampfkunst, Glaube und Treue anging und jeder von ihnen besaß zumindest das Potential zu einem Kampfmagier. Letztendlich war es die Schwarze Aydar, die bestimmte, wer von ihnen in die Reihen der Ewigen Wache aufgenommen wurde und wer nicht. Sie kannte die Vergangenheit und die Zukunft der Männer und Frauen.
Bisher waren es fast alles bereits ausgebildete Kämpfer oder Hexen, künftig würden sie dazu übergehen, jüngere, vielversprechende Krieger aufzunehmen und selbst auszubilden. Es war schwer, die noch immer teilweise falschen Prinzipien des Glaubens, mit denen diese Drelai aufgewachsen waren, zu korrigieren. Sechstausend Jahre war es her, seit der Kult des Khaiha’Sil mit Kerkil seinen Aufstieg begonnen hatte. Seitdem hatte sich die Sichtweise immer wieder verändert und erst jetzt hatten die Drelai ihren wahren Platz in der Welt gefunden. Das vierte Zeitalter war die Zeit der Suche gewesen, die Suche nach ihrer Bestimmung und nach dem Zweck ihrer Existenz. Und jetzt, da das fünfte Zeitalter begann, hatten sie die Antworten gefunden. Nicht zuletzt hatten sie das Sisrall zu verdanken.
In diesem einen Jahr des Reisens war in Naggaroth viel geschehen. Trotz der hohen Verluste in der Viermächteschlacht hatte es die Drelai lange nicht so hart getroffen, wie angenommen worden war. Die Bresche im Nordwall, die die Neash’tai geschlagen hatten, war schnell wieder geschlossen worden. Die zurückkehrenden Bewohner von Ghrond hatten ihre Stadt größtenteils unversehrt, wenn auch stark korrumpiert vorgefunden. Es hatte kaum ein halbes Jahr gedauert, die Schäden auszubessern und die Spuren der Ketzer zu beseitigen. Im Fall von Hag Graef war das schwieriger, aber auch dort waren viele Einwohner entkommen, die hatten zurückkehren können. Allerdings hatten die Orks wesentlich größere Zerstörung hinterlassen. Die Aufbauarbeiten waren noch immer im Gange. Das Gleiche galt für Naggarond, das sich noch immer von den Verwüstungen durch den Splitterdrachen erholte.
Allerdings war es erstaunlich leicht gewesen, die Verteidigungsstärke der Drelai wieder auf ein akzeptables Niveau zu heben. Auch hier hatte Xiucalta einen wichtigen Beitrag geleistet. In wochenlanger, konzentrierter Arbeit hatte sie die Städte durchforstet und dann die Personen vorgeschlagen, die in Frage kamen, um die fehlenden Stellen zu besetzen. So ziemlich alle der ausgesuchten Soldaten und etliche weitere Freiwillige hatten sich bereitwillig nach Ghrond, Hag Graef oder Naggarond versetzen lassen, um dort schnell aufzusteigen und Positionen einzunehmen, auf die sie in ihrer ursprünglichen Garnison noch Jahre hätten warten müssen. Umso wichtiger war es, dass Xiucalta jene auswählte, die angesichts einer raschen Beförderung nicht den Zweck ihres Daseins aus den Augen verloren.
Da zumindest von den gewöhnlichen Soldaten viele ihre Familie mitnahmen, hatten sich auch die Bevölkerungszahlen der zerstörten Städte rasch wieder mit denen der unversehrten ausgeglichen. So hatte es genug Kapazität gegeben, damit Sisrall Handwerker und Bauleute abziehen konnte, um die Pläne der Sil’Vatari in den Schildbergen umzusetzen. Nicht einmal ein Jahr hatte es gedauert, die zerstörten Berge abzutragen, die drei Türme zu errichten und auch mit der Freilegung und Wiederherstellung der alten Zwergenfeste zu beginnen, deren starke Mauern einst das ganze Tal umschlossen hatten.
Auch hier hatte man Xiucalta um Hilfe gebeten, weil sie Zugriff auf zum Teil längst vergessene Techniken hatte, die den Bau deutlich vereinfacht hatten, und weil sie in Erfahrung bringen konnte, wo die alten Mauern und vor allem die Tunnel darunter verliefen. Außerdem hatte sie natürlich ihren Turm selbst mit planen wollen.
Es war also ein sehr ereignisreiches Jahr für die junge Seherin gewesen und sie war froh, dass Yerill sie stets hatte begleiten können, wenn sie mal Aufgaben nicht von Naggarond oder später von hier aus hatte erledigen können. Die Kinder des Schattens dagegen waren kreuz und quer durchs Land gereist, hatten die Bauprojekte beaufsichtigt, die Versetzungen arrangiert, Höflichkeitsbesuche bei Hochgeborenen, Tempel- und Klostermeistern hinter sich gebracht und zahllose langwierige Verhandlungen mit Händlern, Adligen und auch dem Schattenkönig geführt.
Aber jetzt waren sie endlich alle hier, in diesem Tal, das ihnen, den Sil’Vatari, gehörte, zu denen sich auch Yerill und Xiucalta zählen durften. Schon während sie Rekruten gesucht hatten, hatte Artewu mit der Ausbildung begonnen. Das hatte natürlich den Nachteil, dass einige deutlich weiter waren als andere, aber das war ein Effekt, der ohnehin nicht vermeidbar war, weil sie im Moment Krieger aller drei Streitkräfte und jeden Alters aufgenommen hatten. Wenn diese ersten Gruppen erst einmal fertig ausgebildet waren, würden sie selbst die Lehre der dann deutlich jüngeren Adepten unterstützen. Künftig würden Xiucalta, Yerill und Artewu außerdem auch mit Zalandras Hilfe bei Autarii nach Kandidaten suchen.
Immerhin gehörten die Sil’Vatari und ihre Ewige Wache weder zu den Einheiten des Schattenkönigs noch zu denen der Bergclans, auch wenn sie nun hier in den Schildbergen lebten. Tatsächlich war mit ihnen endlich die heilige Dreiteiligkeit Khaiha’Sils auf das gesamte Volk der Drelai anwendbar. Bisher waren die Khainler die einzigen gewesen, die man als dritte, unabhängige Macht hätte zählen können, aber die wollte niemand gerne als solche ansehen, weil sie sich, anders als die Autarii, aktiv dem Schattenkönig widersetzt und ihn abgesehen von der Viermächteschlacht nie im Kriegsfall unterstützt hatten. Die Dreigeteiltheit bedeute aber, dass sie alle ein Teil eines Ganzen waren, so wie die Streitkräfte der Städte nur dann vollständig waren, wenn Garde, Tempel und Kloster gemeinsam in die Schlacht zogen. So wie die Garde niemals ohne die Vereinigung aus ihren drei Teilen – Nahkämpfern, Kavallerie und Unterstützung – ihre ganze Stärke entfalten konnte und so weiter.
Jetzt, da der Schattenkönig die herrscherlose Stadt der Khainler als Fürstentum seines Reiches anerkannt hatte, hatten die Sil’Vatari endlich den dritten Teil ihres Volkes bilden können. Es war bezeichnend, dass auch dies passend zum Beginn des neuen Zeitalters geschehen war. Es war, wie Xiucalta gerne widerholte: Die Zeit der Suche war vorüber, jetzt hatten die Drelai ihren Platz im Gefüge der Welt gefunden. Und den Veränderungen, die die Wende der Magie vielleicht noch auslösen würde, konnten sie nur als ganzes Volk begegnen, dreigeteilt, aber vereint unter der Hand des Wachenden Gottes.
Als sie die unnatürlichen Schatten des toten Waldes endlich hinter sich ließen, kam Xiucalta das Licht der Sonne, das auf ihren Rücken traf, wunderbar warm vor, obwohl es noch früh am Morgen war und eine frische Kühle über dem Tal lag.
Sie folgten dem Verlauf der befestigten Straße, die in Richtung des Minir’Vatar führte und dort auf eine große, gepflasterte Fläche mündete. Mit diesem Platz verband Xiucalta nicht unbedingt die besten Erinnerungen, denn dort fand unter anderem das Kampftraining der Ewigen Wache statt. Blutklinge hatte verlangt, dass auch sie wenigstens den Umgang mit dem Schwert lernte. Sie war nicht begeistert gewesen, hatte sich aber gefügt. Immerhin konnte sie mit Yerill üben. Das war praktisch, weil sie sich dann keine Sorgen machen brauchte, ihre Gegnerin versehentlich zu verletzen – nicht, dass sie das bei den Erwählten geschafft hätte. Außerdem war die Unsterbliche die einzige, deren Handlungen sie nicht vorhersehen konnte. So war es leichter, sich wirklich auf die zu erlernende Technik zu konzentrieren.
Auch ihre Geliebte hatte eine intensive Kampfausbildung bekommen, weil sie zwar fantastische Reflexe und übernatürliche Kraft besaß, ihr aber Technik und Erfahrung fehlten. Nachdem sie erst mühelos von Sisrall und wenig später auch von Yetail besiegt worden war, hatte sie das eingesehen. Xiucalta war überrascht gewesen, wie geschickt die Zauberin mit der Klinge war. Aber eigentlich hätte sie sich denken können, dass Yetail die Übungseinheiten zur körperlichen Ertüchtigung, wie das Hexenkloster sie so schon nannte, mit Kampftraining verbracht hatte – im Gegensatz zur jungen Seherin, die tanzen ansprechender gefunden hatte. Und dank der Marilim verfügte sie über die nötigen Reflexe, die Kraft und die Denkgeschwindigkeit, um Yerill besiegen zu können.
Nachdem sie die Grundlagen gelernt hatte, war Xiucalta dazu übergegangen, die Hälfte ihrer Übungsstunden mit Bluthand zu kämpfen. Eigentlich hätte sie lieber Trizil gehabt, weil sie der mächtigen Meisterin doch immer noch mit einem ziemlichen Respekt gegenüberstand. Aber von den Sil’Vatari war die Zauberin neben ihr nun einmal die schlechteste Nahkämpferin, nachdem Yerill beachtliche Fortschritte gemacht hatte. So lag es nahe, dass sich die beiden Hexen gegenseitig verbesserten.
Letztendlich zählte für Xiucalta auch nur, dass sie mit jemand anderem als ihrer Geliebten übte, um die Macht der Winde nutzen zu können. Und die war gewaltig. Schon nach einem Monat hatte sie Yetail zum ersten Mal besiegen können. Sie hatte gelernt, ihr eigenes Können mit dem Wissen der Ströme zu kombinieren, und konnte so auf jeden Angriff reagieren, bevor ihre Gegnerin ihn umsetzte, und Lücken in der Deckung ausnutzen, bevor es sie gab.
Sisrall hatte einmal lobend erwähnt, wie gegensätzlich der Kampfstil der beiden Aydari war. Yerill nutzte ihre unglaubliche Geschwindigkeit und ihre Gelenkigkeit, um rasch aus verschiedenen Richtungen anzugreifen, bis es schien, als wäre sie überall gleichzeitig. Xiucalta dagegen versuchte,
nirgendwo zu sein. Vor allem war sie nie da, wo der Angriff ihres Gegners landete. Die Seherin lächelte bei der Erinnerung. Ja, so waren sie, jede einzigartig auf ihre Weise und zusammen erst vollkommen.
Gegen die Kinder des Schattens konnte Xiucalta jedoch auch damit nicht gewinnen, weil sie einfach nicht schnell genug war, und auch bei Yetail gewann sie bisher höchstens jeden dritten Kampf, aber sie war zuversichtlich, jeden Krieger der Ewigen Wache schlagen zu können – von einer Sil’Vatar erwartete man das schließlich auch. Ein paar Mal hatte sie ihr Können auch schon unter Beweis stellen müssen, weil einige der möglichen Rekruten nicht hatten akzeptieren wollen, dass eine so junge Frau darüber entschied, ob sie würdig waren oder nicht. Dem Argument der Klinge hatten sie dann aber nicht widersprechen können.
Als Xiucalta den riesigen Platz betrat, war sie wie jedes Mal wieder vom Anblick des Minir’Vatar beeindruckt. Von Nahem war der ganze mächtige Turm eine kleine Festung für sich. Die Zwerge hatten einst drei riesige Staubecken in die Flanke des Berges getrieben, die sich terrassenartig und in keilförmiger Anordnung übereinander erhoben. Als die Autarii hier noch gelebt hatten, waren sie so zugewuchert und verfallen gewesen, dass man sie für natürlich entstandene Seen gehalten hatte. Die Baukunst der Zwerge tat ihr Übriges, um diesen Eindruck zu unterstützen.
Jetzt erstrahlten die uralten Mauern in neuem Glanz. Der Fluss verlief inzwischen beiderseits um die Dämme herum und bildete so eine Barriere zwischen der steinernen Fläche und den Wällen der Feste. Das kleinste der alten Becken beherbergte nun weitere Teile der Ewigen Wache, Waffenlager und Ställe. Schräg darüber erhob sich der Bereich, in dem ein Großteil der Dienerschaft ihr Quartier hatte. Außerdem gab es hier Lagerhäuser für Nahrungsmittel, große Küchen, Nähereien, Wäschereien und Badehäuser. Im größten, zentralen und obersten Becken stand nun der mächtige Turm. Darum waren Schmieden, zusätzliche Lager und Gebäude für alles Weitere, das eine Streitmacht brauchen konnte, untergebracht.
Der Turm selbst enthielt unter Anderem einen riesigen Schrein des Khaiha’Sil, Versammlungssäle, isolierte Räume für magische Ausbildungen, die Unterkünfte der Erwählten und auch einen Schlafplatz für Szar’zriss. Die im Schrein gesammelte mentale Energie der Betenden wurde zum einen für die Bannzauber genutzt, die die Quelle bewachten, und zum anderen, um einen kleinen Teil der Kraft des neuen Stroms für den Kuppelschild abzuzweigen, der die Talfestung schützte. Anders als in den großen Städten war die Bevölkerungszahl hier einfach zu klein, um den Schirm direkt zu speisen.
Eine einzige schlanke Brücke führte über den Wassergraben zum Tor im untersten Damm. Darüber waren zwei schwer befestigte Wachtürme errichtet worden, beide aus den Steinen der zerstörten Berge erbaut, der eine in schwarz, der andere in rot.
Heute führte ihr Weg sie jedoch nicht ins Innere der kleinen Festung. Auf dem weiten Platz, der die gesamte Anlage wie ein Halbbogen umschloss, hatten die bisherigen Truppen der Ewigen Wache Aufstellung bezogen. Xiucalta lächelte angesichts der militärischen Pracht, während sie und Yerill sich aufteilten und ihre Gardisten jeweils an ein Ende der Formation führten, Yerill nach Norden, Xiucalta nach Süden. Als ihre Leibwache hinter ihr an der ihnen zugewiesenen Position stehen blieb, ging die Seherin ruhig weiter, bis sie auf Höhe der wartenden Kinder des Schattens ankam, die den Soldaten gegenüber standen, mit dem Rücken zum Turm.
Sisrall stand ganz vorne. Rechts - also südlich – neben ihm Yetail, links Kerkil. Zalandra, Trizil und Lokira standen schräg hinter Kerkil, Dalehon und die beiden übrigen Krieger gleichermaßen versetzt auf Yetails Seite, sodass sie einen flachen Keil aus drei Dreiergruppen bildeten. Artewu dagegen stand als Leiter der Ausbildung im Süden des durch die Anwesenden gebildeten Rechtecks, exakt in der Mitte zwischen den Erwählten und der Ewigen Wache. Ihm genau gegenüber im Norden begab sich Yerill nun in Position und drehte sich Richtung Süden.
Xiucalta stellte sich auf eine Höhe mit Artewu, allerdings mit gleicher Blickrichtung wie die Kinder des Schattens, sodass sie genau auf der Ecke des gedachten Vierecks stand. Sie war dankbar für die Kapuze, die ihre Augen beschirmte, denn die im Osten aufgehende Sonne blendete mächtig. Sie stellte ihren Stab auf den Boden und konzentrierte sich auf ihre Magie. Finstere Schatten schoben sich aus dem Saum ihrer Ärmel und den Falten ihrer Robe, umspielten ihre Gestalt und krochen über das Pflaster. Sie liebte ihre Illusionsfähigkeiten.
Ohne ihre Augen zu enthüllen, betrachtete sie die Reihen der Ewigen Wache. Einundachtzig Drelai, aufgestellt in einer Linie aus neun Blöcken mit je drei mal drei Kriegern, allesamt herausragend in Magie- oder Schwertkampf, entschlossen, das jeweils andere zu lernen und zu vervollkommnen, treu im Glauben und jederzeit bereit, für jeden Sil‘Vatar – und damit auch Xiucalta – zu sterben. Jeder von ihnen hatte die verschiedensten Techniken zu meistern, die die Drelai kannten, egal ob Magie zur Heilung, zum Töten oder zur Täuschung, ob Kampf mit und ohne Waffen, offen oder heimlich, zu Fuß oder vom Rücken eines Tieres, ob reitend auf einem Pferd, einem Kriegslöwen oder einem Kristalladler. Jeder hatte erst einmal alles zu beherrschen und erst danach wurde entschieden, wessen Fähigkeiten wo am besten geeignet waren.
Entsprechend gleich waren die Soldaten ausgerüstet. Sie alle trugen heute ihre Prachtrüstungen aus dunklem Silberstahl, verziert mit schwarzen, kraftverstärkenden Runen, Vollhelme mit angedeuteten Gesichtszügen in Weiß und einem rotem Stachelkamm sowie einen grauen Umhang. Auf dem Rücken waren überkreuzte Kurzschwerter und eine Repetierarmbrust zu sehen, an der linken Hüfte je ein Zweihandschwert und ein kurzer Dolch, auf der anderen Seite ein anderthalbhändiges Langschwert und zwei etwas längere Dolche. In der rechten Hand hielt jeder eine eiserne Hellebarde, die – genau wie, je nach Vorliebe, die Lang- oder Kurzschwerter – dank der eingelassenen Katalysatorkristalle als Zauberstab verwendet werden konnte. Die magischen Eigenschaften der Kristalle würden dafür sorgen, dass das Metall weder rosten noch zerbrechen konnte, dass die Klingen auf ewig scharf blieben und dass die massiven Waffen gleichzeitig leicht genug waren, um sie einhändig tragen zu können. Um den linken Arm hatten die Krieger einen hohen Schild geschnallt, auf dem Abwehrzauber funkelten. Als Notwaffen verfügte jede der Rüstungen über verborgene Wurfmesser und Dornklingen an den Handgelenken.
Die Panzerungen der Krieger waren ein Beweis für die Macht, die die Drelai entfesseln konnten, wenn sie zusammenarbeiteten. Jahrtausendelang hatten Tempel und Kloster ihr Wissen erweitert und ihre Künste verbessert, ohne es miteinander zu teilen. Diese Rüstungen mit der vollen Bewaffnung waren ohne magische Hilfe unmöglich sinnvoll einzusetzen, andersherum war reine Magie für den Nahkampf zu langsam, weshalb auch die ehemaligen Klosterhexen nun schwer gerüstet vor ihnen standen.
In der Schlacht würde das Bild der Ewigen Wache deutlich anders aussehen. Einige Nahkämpfer, wie zum Beispiel Yerills Sturmgarde, und die Kampfmagier, zu denen auch Xiucaltas Geistergarde gehörte, würden wesentlich beweglichere, wenn auch nicht unbedingt leichtere Rüstungen einsetzen, die Kavalleristen, wie zum Beispiel die Kriegslöwenreiter, und der Großteil der Nahkämpfer dagegen noch dickere Panzer, weil die Prachtrüstungen letztendlich doch eher die Aufgabe hatten, gut auszusehen. Sie wurden nur innerhalb der Festung eingesetzt. Die Waffen allerdings würden dieselben sein, weil gerade auch die magischen Bestandteile zu wertvoll waren, um jedem Kämpfer mehrere zur Verfügung stellen zu können. Die Kristalladlerreiter und die sogenannten Knochensammler, die gleichzeitig als Späher, berittene Scharfschützen und Verwundetenberger fungieren sollten, würden nur leichte Rüstungen tragen.
Die einundachtzig Krieger, die Xiucalta nun vor sich hatte, waren größtenteils noch nicht eindeutig verteilt. Ihre und Yerills jeweils neun Wächter standen fest, da zumindest bei der Geistergarde einzigartige Fähigkeiten nötig waren. Der Rest war bisher noch eine ziemlich durchmischte Masse aus Nahkämpfern und Kampfmagiern. Es gab erst sieben, die wohl mit ziemlicher Sicherheit eines Tages Knochensammler werden würden, und nur zwei, die eine gute Chance hatten, irgendwann mit den Kristalladlern fliegen zu können.
Die Zahlen für die endgültige Verteilung standen aber schon fest. Wenn man die gesamte Streitmacht der Ewigen Wache in neun Teile teilte, würde es einen Teil geben, der zu je einem Drittel aus den Leibgarden von Xiucalta, Yerill und Bluthand bestand, je ein Kontingent Kristalladlerreiter und Knochensammler, einen Trupp Kampfmagier und eine feste Gruppe, die definitiv als Kriegslöwenreiter in die Schlacht ziehen würde. Die restlichen vier Neuntel würden je nach Bedarf als Nahkämpfer zu Fuß oder als Schwere Kavallerie eingesetzt werden.
Dabei würde die endgültige Menge der Ewigen Wache wesentlich beeindruckender sein als die einundachtzig Männer und Frauen, die jetzt auf dem Platz standen. Die ganze Streitmacht würde in die genannten neun Einheiten geteilt werden, die jeweils aus neun Gruppen zu je neun Drelai bestehen würden. Siebenhundertneunundzwanzig Krieger, die bereit waren, auf ein einziges Wort ihrer Meister den Tod zu bringen. Neun mal neun mal neun oder drei mal drei hoch drei, wie die heilige Zahl des Wachenden Gottes es verlangte. Zusammen mit den zwölf Sil’Vatari ergab das siebenhunderteinundvierzig heilige Streiter, eine Zahl, deren drei Ziffern sich jeweils um drei unterschieden. Das war die prächtige Manifestation von Khaiha’Sils Macht.
„Krieger der Ewigen Wacht.“, rief Artewu nun und augenblicklich salutierte die gesamte Formation. Der Erwählte marschierte bis fast genau zur Mitte der Aufstellung. Dort überkreuzte er die Arme vor der Brust und neigte kurz den Kopf in Richtung Yerill.
„Meisterin Sturmtanz, dies sind die ersten Eurer künftigen Krieger.“ Daraufhin ging die Unsterbliche auf ihn zu, bis sie etwa einen Meter vor Artewu stehen blieb. Auch sie legte die Hände über die Brust und nickte dem Krieger zu. Dann drehten sie sich gleichzeitig, bis sie den Ewigen Wächtern gegenüber standen.
„Krieger der Ewigen Wacht.“, rief Artewu abermals. „Dies ist Eure künftige Anführerin, die Heerführerin der Sil’Vatari, Khaiha‘Sils Weiße Aydar, Meisterin Sturmtanz.“ Yerill zeigte keine Regung, sondern ließ den Blick über die formierten Soldaten schweifen, als würde sie sich eine Meinung bilden. Natürlich kannte sie die Krieger bereits und die meisten hatten sie auch schon einmal gesehen. Allerdings waren auch ein paar unter ihnen, die erst seit einigen Wochen Teil der Ewigen Wacht waren. Außerdem war dies die erste offizielle Begegnung zwischen den Kriegern und all ihren Meistern.
„Ich grüße Euch, Krieger der Ewigen Wacht.“, rief Yerill nun und ihre Stimme war so hart wie Gold. Xiucalta beobachtete die Reaktion der Männer und Frauen, die fälschlicherweise glaubten, ihre Helme würden ihre Gesichter verbergen. Aber vor den Winden der Magie gab es keine Geheimnisse. Und es war deutlich, dass die Unsterbliche sich mit ihrem Auftreten bereits den Respekt und die Treue der Soldaten gesichert hatte. Sie war entschlossen und stark, das, was die Kämpfer von ihrer Anführerin erwartete. Dass sie außerdem unglaublich schön war, schadete allerdings auch nicht.
Als Antwort auf die Begrüßung schlug die gesamte Formation in perfektem Gleichklang dreimal mit den Hellebarden auf das Pflaster. Yerill nickte nur und dann wichen sie und Artewu jeweils noch einen Meter auseinander, während Sisrall vortrat, bis er fast zwischen ihnen stand.
„Krieger der Ewigen Wacht.“, übernahm nun die Unsterbliche das Wort. „Dies ist der Oberste der Sil’Vatari und der Kinder des Schattens, Euer und mein Herr, Neunter Erwählter des Khaiha’Sil, Meister Blutklinge.“ Damit neigten sie und Artewu vor Sisrall den Kopf, der ruhig zwischen ihnen hindurch trat und ebenso den Blick über die Formation schweifen ließ, wie die Unsterbliche zuvor.
„Ich grüße Euch, Krieger der Ewigen Wacht.“, wiederholte er nun Yerills Worte und erhielt dafür ebenfalls einen dreifachen Schlag der Hellebarden zur Antwort. „Ihr seid nun die ersten einundachtzig Männer und Frauen unserer Streitmacht im Dienste unseres Wachenden Gottes, Khaiha’Sils. Ihr seid die Besten und nicht weniger wird auch von euch erwartet, als dass ihr euer Bestes gebt, jederzeit und überall.
Vor euch stehen die zwölf Sil’Vatari, jeder von uns ein Held der Viermächteschlacht oder der Vergangenheit. Aber ich sehe noch einundachtzig weitere Helden. Ich weiß, dass jeder von euch Großes geleistet hat und noch Größeres vollbringen wird. Wenn ich euch sehe, dann verspüre ich Ehrfurcht und Mitleid. Mitleid mit jenen, die dumm genug sein werden, sich euch und uns entgegen zu stellen. Denn wir sind die reale Macht Khaiha’Sils!“
Er hielt inne und ließ seine Worte wirken. Begeistert schlug die ganze Formation noch einmal ihre Hellebarden auf das Pflaster. „Aber wir stehen hier heute nicht, um uns am Ruhm der Vergangenheit zu erfreuen oder der Zukunft unsere Entschlossenheit entgegen zu werfen. Dies ist nun das erste Mal, dass wir alle, die zwölf Sil’Vatari und die bisherigen Kämpfer der Ewigen Wacht, zusammenkommen. Denn heute ist der Tag, da euer Dienst in unserem Namen offiziell beginnt. Einige von euch sind schon beinahe ein Jahr dabei, andere erst seit ein paar Wochen. Doch jetzt haben wir die Zahl von neun mal neun Kriegern versammelt.
Jeder von euch wurde vor die Wahl gestellt und ein ums andere Mal gefragt, ob er sich seiner Entscheidung sicher sei. Dass ich euch hier alle vor mit stehen sehe, sagt mir, dass jeder einzelne von euch entschlossen ist, den eingeschlagenen Weg bis zum Ende zu gehen. Zu Ruhm, Krieg oder Tod. Dann ist es nun an der Zeit, den ersten Schritt dieses Weges zum höchsten Dienst in Khaiha’Sils Namen zu tun.“
Wieder ein Schlag der Hellebarden, dieses Mal entschlossen. Xiucalta trat vor und schritt, ohne sich allzu sehr um militärische Ordnung zu scheren, dorthin, wo Blutklinge, Yerill und Artewu standen. Sie hatte erwirkt, dass sie nun, nach dem Ausschluss aus dem Hexenkonvent, nicht mehr als Soldatin zählte. Schließlich war sie die Seherin und keine Kämpferin.
Während sie ruhig über den Platz ging, zog sie eine Spur aus Dunkelheit wie eine Schleppe hinter sich her. Und plötzlich lösten sich zwei weitere Gestalten von ihr und glitten wie Geister über das Pflaster. Die Illusionen mit den leeren Kapuzen stellten sich mittig vor den zweiten und den achten Block der Formation, während die echte Xiucalta vor dem fünften stehen blieb, sodass sie gleichmäßig verteilt standen.
„Ich grüße Euch, Krieger der Ewigen Wache.“, sprach sie in gewöhnlicher Lautstärke, wusste aber, dass jeder einzelne auf dem Platz sie klar und deutlich hören konnte. Sie sah das unmerkliche Erschaudern der Krieger. Jeder von ihnen wusste, was eine Illusion war, und einige konnten auch selbst welche beschwören, aber die Mühelosigkeit, die Xiucalta an den Tag legte, und der Anblick der geisterhaften Gestalten verfehlten ihre Wirkung nie. Der dreifache Hellebardenschlag, den sie zur Antwort bekam, klang ein wenig leiser als bisher.
„Ich bin Meisterin Geisterauge, Schwarze Aydar des Khaiha’Sil. Als Geheimniswahrerin und Wissenssammlerin des Ordens der Sil’Vatari und der Ewigen Wache ist es meine Aufgabe, euch den Schwur der Treue abzunehmen, mit dem ihr unwiderruflich eure Vergangenheit hinter euch lasst und euer Leben in diesen Streitkräften und unter unserem Befehl in den Dienst des Wachenden Gottes des Ausgleichs stellt. Graue Elfen, seid ihr bereit?“
Die letzte Frage stellte sie in der Alten Sprache, die das Wort Drelai nicht kannte, weshalb sie es übersetzen musste. Mit der Frage in dieser Sprache verlangte sie auch eine Antwort in derselben. Und die bekam sie auch. Wie ein Mann rief die ganze Formation:
„Die Ewige Wache ist bereit.“
Xiucalta schwieg einen Moment, während sie ihre Gedanken mit den Winden der Magie verband, dann nickte sie. „Ich bin die Hüterin der Wahrheit und vor mir könnt ihr keine Geheimnisse haben. Ich werde wissen, ob ihr den Schwur tatsächlich formuliert und aussprecht oder nicht. Dazu brauche ich euer Gesicht nicht zu sehen.“
Sie ließ ihre Worte wirken, auch wenn sie wusste, dass es keine Rolle spielte. Die Krieger hatten sich schon längst entschieden und genug Gelegenheiten gehabt, die Ewige Wache wieder zu verlassen. Nach dem Schwur würde es kein Zurück mehr geben.
„Jeder von euch“, fuhr die Seherin fort, „besitzt magisches Potential und ist der Alten Sprache mächtig. Deshalb werdet Ihr in der Alten Sprache schwören. Dieser Schwur ist bindend und unwiderruflich. Ihr steht damit in unserem Dienst und legt Euer Leben in die Hände des Wachenden Gottes, bis er Euch zu sich ruft oder die Sil’Vatari Euch freigeben. Die Winde der Magie werden Eure Zeugen sein. Brecht Ihr Euren Schwur, werden sie euch vernichten.“
Wieder gab sie den Männern und Frauen Zeit, das Gehörte zu verarbeiten, auch wenn sie ihnen nichts Neues erzählt hatte. Aber jeder sollte wirklich ganz genau verstehen, was ihm bevorstand. Doch natürlich blieben alle entschlossen. Sie lächelte und nickte.
„Ich werde euch den Schwur vorsprechen und ihr werdet nachsprechen.“ Das war der Grund, weshalb sie dies tun musste. Wenn einer der anderen versuchen würde, die Worte vorzusprechen, wäre es, als würde er selbst den Schwur ablegen. Nur ihre tiefe Verbindung mit den Winden der Magie erlaubte es ihr, ihnen beizubringen, dass sie es nicht so meinte, wie sie es sagte. In der Alten Sprache lügen konnte sie deshalb allerdings trotzdem nicht.
„Ich schwöre,“, begann sie in der Alten Sprache und hörte das Echo, mit dem einundachtzig Elfen ihre Worte wiederholten, „mein Leben dem Gott Khaiha’Sil zu widmen. Ich werde seinen auserwählten Dienern, den Sil’Vatari, dienen und gehorchen. Ich werde jedem ihrer Befehle mit aller Kraft und Entschlossenheit Folge leisten und nur ein höherstehender Erwählter oder Khaiha’Sil selbst kann mich davon entbinden. Unabhängig ihrer Verfügungen werde ich dem Gott Khaiha’Sil und seinem auserwählten Volk im Frieden wie im Kriege meine ganze Existenz widmen und nicht eher ruhen, bis auch der letzte Feind erschlagen ist. Dies schwöre ich bei meinem Leben.“
Die Stille, die den Worten folgte, war bedeutungsschwer und zog sich lange hin, während Xiucalta die Winde der Magie befragte und überprüfte, ob jeder einzelne der Kämpfer alles vollständig geschworen hatte. Sie wurde nicht enttäuscht und nickte schließlich zufrieden. Ihre beiden Illusionen verschwanden in schwarzem Nebel. Sie drehte sich um.
„Meisterin Sturmtanz, Meister Blutklinge.“, erklärte sie feierlich. „Diese Krieger stehen nun in Eurem und unserem Dienst. Verfügt über ihr Leben, wie es Euch angemessen und im Namen Khaiha’Sils nützlich erscheint.“
Damit zog sie sich zurück, bis sie wieder auf ihrer ursprünglichen Position stand. Auch Sisrall und Yerill kehrten an ihre Plätze zurück, bis nur noch Artewu vor der Formation stand. Xiucalta sammelte sich. Die Versammlung würde nun mit dem
Ruf der Drelai beendet werden.
„Wir sind die Drelai!“, rief Artewu.
„Wir bringen den Tod.“, fielen die Sil’Vatari ein, bevor die Ewige Wache übernahm: „Um das Leben zu schützen!“
„Wir bringen Krieg.“, kam wieder von den Erwählten. Und die Formation antwortete: „Um den Frieden zu sichern!“ Und so wechselten sie sich weiter ab.
„Wir bringen Schatten.“ „Um das Licht zu wahren!“
„Wir bringen den Ausgleich.“ „Für Khaiha’Sil!“
„Als Graue Kämpfer richten wir!“, riefen nun alle, bevor es wieder abwechselnd weiterging:
„Wir bekämpfen die Orks.“, fing dieses Mal die Formation an. „Damit die Zwerge Frieden haben!“, ergänzten die Sil’Vatari.
„Wir bekämpfen Beschwörer.“ „Damit die Menschen leben können!“
„Wir bekämpfen Dämonen.“ „Damit die Elfen Liebe finden!“
„Wir kämpfen.“ „Für Khaiha’Sil!“
„Als Graue Wächter töten wir!“, kam nun aus dreiundneunzig Kehlen.
„Wir wachen mit Feuer und Stahl!“, riefen alle zusammen.
„Wir wachen mit Glaube und Zorn!“
„Wir wachen über das Gleichgewicht!“
„Wir wachen für Khaiha’Sil!“
Ein lauter Schlag der Hellebarden auf den Boden begleitete den Namen ihres Gottes. Xiucalta schloss die Augen und fühlte das Vibrieren der Winde der Magie, als dreiundneunzig Elfen in die Alte Sprache wechselten und die Macht ihres Glaubens ihre Worte durchdrang:
„Als Graue Elfen wachen wir!“
Wem diese Leseprobe im Stil der überarbeiteten Fassung gefallen hat, der ist herzlich eingeladen, die Geschichte unter dem Titel „Die Macht der Drelai – Graue Wächter“ neu zu erleben, mehr über den Wachenden Gott Khaiha’Sil und das Volk der Drelai zu erfahren, tiefer in die Vorgeschichte von Sisrall, Yetail, Darmal und Xiucalta einzutauchen und eine Welt voll gewaltiger Magie und großer Helden zu erkunden.
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