Vorweg: Ich denke es ist nahezu unmöglich bzw. unrealistisch in allen Bereichen des Lebens durchgängig konsequent eine einzelne Vorstellung von Ethik zu verfolgen. Die Ambivalenz die dadurch entsteht, ist (vor allem im Diskurs mit anderen) ein Punkt, der Unverständnis und Missverständnisse erzeugen kann und wird; zumindest solange man sich in einer Gesellschaft bewegt, die nicht homogen in ihren Moral- und Ethikvorstellungen ist.
Wertungsfrei gesprochen ist es jedem Menschen selbst überlassen, wo Grenzen gezogen werden und in welchem Maß der eigene (Medien)-Konsum reflektiert wird. Weniger wertungsfrei wird es dann an dem Punkt, an dem sich der eigene Konsum auf die Öffentlichkeit auswirkt und man vom Konsumenten zum Reproduzenten wird, denn ab hier geht es dann auch um die Verantwortung über die weitergeleiteten Inhalte, oder zumindest um eine Bereitschaft sich darüber zu erklären.
Ich halte es für die Bewertung von Medien angemessen, diese in den Kontext ihrer Zeit einzuordnen und die Umwelt der Autoren oder Künstler zu berücksichtigen. In der klassischen Literatur lassen sich unzählige Beispiele finden, die nach heutigem Verständnis Rassismus sind, weil sie von einer "natürlichen Rangfolge" in der Menschheit ausgehen. Wissenschaftliche Belege, warum die Rassenlehre zweifelsfrei falsch ist, sind im Vergleich zur Literatur noch jung. Die Zeit davor basierte das Wissen über Menschen in anderen Ländern quasi ausschließlich auf Erzählungen Die Wissenschaftler dieser Zeit beschränkten sich vorwiegend auf das Zusammenfassen dieser Erzählungen, deren Behauptungen selten überprüft worden sind. Nicht ohne Berechtigung gibt es dafür die treffende Bezeichnung "Lehnstuhl-Ethnologie". Vor diesem Hintergrund ist es plausibel, dass Werke das damalige Weltbild und den Zeitgeist abbilden, weil sie dem Informationsstand entsprechen, der verfügbar war. Entsprechende Medien gehören mMn nicht verboten, ein kritisches Vorwort oder eine kommentierte Version halte ich für angebrachter, weil ich es wichtig finde in der Nachbetrachtung nichts auszublenden oder zu verfälschen.
Nun sind für uns in der technologisierten, aufgeklärten und globalisierten Welt weitaus mehr Informationen vorhanden, anhand derer wir Medien und deren Erschaffer mit unseren eigenen Wertevorstellungen vergleichen können. Dadurch ergeben sich weitaus mehr Möglichkeiten, eine kritischere Position einzunehmen und ggf. auch Konsequenzen zu ziehen. Gleichzeitig entsteht dadurch dann das Dilemma der Frage "wo ziehe ich die Grenze?" und "ist es überhaupt möglich, in dieser Sache konsequent zu sein?". Überspitzt gesagt:
halte ich mir die Hände auf die Ohren und mache 3:24 Minuten lang lalala, weil im Supermarkt R. Kelly läuft? Wie oben bereits erwähnt, halte ich das für unrealistisch und auch praxisfremd. In den Momenten im Leben, in denen man stattdessen die Möglichkeit hat, sich bewusst für oder gegen etwas entscheiden zu können, ist es aber möglich konsequent zu sein. Ich muss nicht dieses Lied anmachen, diesen Film anschauen oder dieses Bandshirt tragen. Insofern es keine Straftat darstellt, kann ich es aber trotzdem tun. In beiden Fällen ist es eine bewusste Entscheidung, die vordergründig nur mich betrifft. Sind andere Menschen involviert kann es aber durchaus zu Diskussionen über die Motivation kommen.
Das betrifft logischerweise erst mal die, die über ethisches Konflikpotential überhaupt Bescheid wissen. Es gibt keine Verpflichtung sich allumfassend über einen Künstler zu informieren, bevor man das neue Album kauft und ich muss kein polizeiliches Führungszeugnis raussuchen, bevor ich einen Film anschaue. Man kann nur über das reflektieren, was man weiß. Aber in dem Moment, wo normalerweise der Ethikkompass ausschlägt, sollte einem bewusst sein, dass man eine bestimmte Position vertritt, sobald man sich entscheidet. An der Stelle würde ich ein "das ist mir egal" eher zweifelhaft ansehen, es aber akzeptieren, wenn jemand einen anderen Bewertungsmaßstab zugrunde legt, als ich.
Und was ist jetzt mein tl;dr? Ich würde sagen, dass ein kritischer Konsum im Rahmen der eigenen Möglichkeiten möglich und auch eher positiv ist. Gleichwohl ist mir bewusst, dass eine vollkommene Konsquenz unrealistisch ist und es selten dazu kommt, dass sich ein Dilemma auf ein anderes übertragen lässt.
Wenn dem so wäre, dann gäbe es ja theoretisch keine Dilemmas