Das grundsätzliche Problem dabei wenn man eine/n „problematische/n“ Künstler/in durch Konsum dessen Kunst unterstützt sollte eigentlich nicht das vielleicht dadurch gestörte eigene Wohlgefühl sein, sondern dass man derjenigen eine Plattform verschafft - sei es durch Geld oder Einfluss - um das was auch immer problematisch ist weiter zu verbreiten und durch ihre Reichweite halt auch Anhänger hat die blind nachlaufen.
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Kunst ist nie ohne Kontext, sondern muss immer im zeitgeschichtlichen Kontext und in Zusammenhang mit der Person betrachtet werden. Das ist ein Grundsatz den man schon in der Schule im Geschichtsunterricht lernt.
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Ich habe mir diese Aussagen stellvertretend herausgesucht und versuche diese in einem etwas umfassenderen, institutionellen Rahmen einzuflechten, weil dort nach meinem Dafürhalten die eigentlich spannende Debatte stattfindet. Auf individueller Ebene findet eine Auswahl und ein Konsum von Gütern ohnehin nach einer Bandbreite von Kriterien statt, die moralische Beschaffenheit ist da genau so ein Faktor wie der Preis, die Verfügbarkeit, die momentane Gemütslage und ein ganzer Fächer von anderen Tatbeständen, das ist für mich folglich nicht wirklich aufregend.
Zum eigentlichen Zitat oben: der Ruch des Problematischen erwächst bedauerlicherweise nicht selten einer zirkulären Logik; weil das zugrundeliegende Werk bestimmten moralischen Ansprüchen nicht genüge, wird dem Urheber eine ebenfalls zweifelhafte Gesinnung unterstellt, welche wiederum Anlass ist, mit Bausch und Bogen die Verdammung auszusprechen. Als letztes Jahr der Nestor der Soziobiologie, Edward O. Wilson, verstorben ist, hat es sich der Scientific American nicht nehmen lassen, in seinem Nachruf zu behaupten, Wilson habe "racist ideas" verbreitet. Schon zuvor (ganz zu schweigen von der Gegenwart) wurde der gesamten Soziobiologie unterstellt, sie sei ein Instrument, rassische Hierarchie wissenschaftlich zu begründen, Imperialismus herzuleiten, gnadenlose Politik zu legitimieren, das ganze Spektrum eben. Dass Wilson schon in den Erstausgaben seiner "Sociobiology" und "On Human Nature" mehrfach betont, dass die (epi-)genetische Prägung des Menschen keineswegs deterministische Werturteile nach sich zieht und die ihn einbettende Kultur (im weitestmöglichen Sinne verstanden) sein Verhalten, seine persönliche Reifung und überhaupt seinen Charakter formt - es nutzte ihm ebenso wenig wie der Umstand, dass ein aufmerksamer Leser des Gesamtwerks ebenfalls schwerlich auf diese Schlußfolgerungen kommen kann.
Wenn man in den rein artistischen Kontext wechseln möchte, entsprechend der von Object303 hervorgebrachten Argumente: Vladimir Nabokov ist aufgrund der zutiefst verstörenden Perspektive, die in seiner "Lolita" eingenommen wird, samt des depravierten psychologischen Sittengemäldes, das sich dem Leser dabei entrollt, zumal in den letzten Jahren eine vergleichbar verdorbene Persönlichkeit unterstellt worden, mit entsprechenden Folgen bis hin zur akademischen Rezeption. Dass namentlich große Literatur den Leser herausfordern soll, in seiner Vorstellung von Sittlichkeit womöglich verletzen kann, dazu anhält, sich gewahr zu werden, was es bedeutet, einen unzuverlässigen Erzähler zu haben, ungewisse narrative Strukturen - geschenkt. Das offenliegende Motiv ist es, das die Erregung hervorbringt, und zu dem ganzen Strang an Konsequenzen führt.
Was mich dabei am meisten verblüfft, ist der beispiellose Verrat an den eigenen Idealen, der von (links-)liberalen Intellektuelle unbekümmert ausgeübt wird. Schon in seiner zarten Genese war es der Anspruch der Aufklärung, die gesammelten Wissensbestände um Theologie, Philosophie, Recht, Geschichte, Textauslegung usw. anzuwenden so, dass der buchstäbliche Freigeist zu Ergebnissen kommt, die aus der Sache selbst herrühren und nicht notwendig im Einklang mit den einschneidenden moralischen Erwartungshaltungen der Zeitgenossenschaft stehen. Ein Christian Wolff sah sich zeitweilig entsprechend einer binnen 48 Stunden zu vollstreckenden Todesstrafe ausgesetzt, weil er zu der Überzeugung kam, dass eine Vorbildlichkeit in der Theologie außerhalb des Christentums sehr wohl vorstellbar sei, so am Beispiel des Konfuzianismus. Gerade diese dramatische Wende hat nicht zuletzt zu seinem Ruhm beigetragen und es späteren Aufklärern wie Kant institutionell erheblich vereinfacht, vergleichbare Schriften zu verbreiten.
Ein Foucault oder ein Derrida - ganz gleich, was man sonst oder ganz allgemein von ihnen halten möge, ich bekenne mich da auch keiner unbotmäßigen Verbundenheit - haben ihre poststrukturalistischen bzw. dekonstruktivistischen Denkmodelle wesentlich dem Leitgedanken gewidmet, dass ein tiefes wie breites Lesen, ein Wiegen und Wägen von Worten, Silben und Satzzeichen, ein Für und Wider von sich gegenseitig beeinflussenden Begleitumständen unabdingbar dafür ist, dem Blatt Papier mühselig geronnene Erkenntnis abzutrotzen. Dass die gelebte Praxis da nicht selten andersartige Realisierungen erfahren hat, sei an dieser Stelle großzügig ausgeblendet.
Der Anspruch war mithin, sich von den konservativen oder sogar reaktionären Kräften abzugrenzen, die in der bloßen Grenzüberschreitung die Begründung dafür gefunden haben, Erzeugnisse der Kunst zu entschärfen, zu zensieren, zu strafrechtlichen Exempeln aufzubauen. Getreu dem schillernden "Kurz ist der Schmerz und ewig währt die Freude" hat sich der kritische Denker, der auch nur einen Pfifferling auf sich hielt, nicht davon abhalten lassen, die Komplexität der Kunst gegen die reduzierenden, banalen Einwürfe seiner Kritiker in Schutz zu nehmen. Wer sich beispielhaft mit den teils etwas abenteuerlichen Verteidigungsansätzen der frühen bundesrepublikanischen Tage auskennt (besonders der Gruppe 47 gegen, aber auch angelehnt an die Politik, Stichwort "Pinscher" von Ludwig Erhard), könnte mit leicht medisanter Zunge schon fast geneigt sein, mit Karl Kraus zu vermuten, dass die hehren Werte der Intelligenzija mehr gunst- als kunstbeflissen ausgefallen sind.
Jedenfalls könnte der Kontrast zu den heutigen Intellektuellen (nachgerade als Teil der akademischen Bollwerke) teilweise gar nicht größer ausfallen. Dass der ausgeübte Tugendwahn den so lange als negative Kontrastfolie hochgehaltenen Konservatismus nicht nur einzuholen, sondern teils noch zu überflügeln verstanden hat, ist eine Bankrotterklärung sondergleichen. Insonderheit Weltliteratur und philosophische Schriften anhand von an Schlichtheit nicht zu übertreffenden Etiketten (enthält frauenfeindliche, rassistische, gewalttätige... Aussagen oder Schilderungen, die einem unbeholfenen Leser zumindest diesen Eindruck vermitteln könnten, was dann notwendig auch den Autor selbst in Verruf zieht) abzuurteilen, kommt für mich einer strukturellen Barbarei gleich, die im eklatanten Widerspruch zu allem steht, was liberales Denken jemals verkörpert hat.