Okay, da bin ich wieder. Ich hoffe ihr verzeiht mir den kleinen Ausflug in Krügers Kopf, der jetzt folgt...
Die Tragegurte des schweren Gepäcks schnitten tief in Krügers Schultern, selbst durch den dick gefütterten Mantel hindurch. Nach einer halben Woche des auf sich allein gestellten Marschierens in der nuklearen Eiswüste, die diesen Teil der Oberfläche von Krieg bestimmte, wusste der junge Kadett nicht mehr, ob er noch bei Verstand war oder schon längst die Grenze zum Wahnsinn hinter sich gelassen hatte. Fast erstickend unter der Atemschutzmaske waren es nur zwei Gedanken, mit denen sich sein übermüdetes Hirn noch beschäftigte: Der Gedanke an Wasser und der sehnliche Wunsch, in der Ferne endlich das Leuchtfeuer des Sammelpunkts lodern zu sehen. Wenn es denn so etwas wie einen Sammelpunkt je gegeben hatte...
Den Kompass hatte der Vierzehnjährige vor zwei Tagen fortgeworfen. Die Strahlung störte den Ausschlag der Nadel, eine Orientierung war damit nicht möglich. Mit der Karte hatte er in letzter Not sein Lagerfeuer angezündet; auch sie war angesichts der kargen Landschaft unnütz.
Seine Beine waren unendlich schwer geworden in den langen Stunden seiner Wanderschaft. Wenn er jetzt aufgab und sich nur einen Moment lang erlaubte, die müden Glieder auf der Erde auszustrecken, so wäre er verloren, das wusste Krüger noch, und das war das einzige, was ihn noch dazu brachte, einfach weiterzugehen. Er wollte nicht hier draußen sterben, in dem Wissen darum, aufgegeben zu haben.
...
„Ihre Prüfungsergebnisse in Mathematik lassen in letzter Zeit zu wünschen übrig, Kadett Krüger.“, begann Hauptmann Kaltenbrunn unverhohlen das Gespräch, zu dem er den jungen Kadetten in sein Büro befohlen hatte. Als Krügers Tutor war es Kaltenbrunns Aufgabe, über die Leistungen des Kadetten zu wachen.
„Ja, Sir.“, entgegnete Krüger.
„Sind sie überfordert, Kadett?“
„Nein, Sir.“ Krüger wusste, dass ein „Ja“ bedeutet hätte, dass er seine Sachen packen und die Akademie hätte verlassen können, allerdings nicht um nach Hause zurückzukehren, sondern um den Rest seines kümmerlichen Daseins in einem Strafbataillon zu fristen. Er hatte zu viel darüber gelernt, was es bedeutete, ein Offizier der imperialen Armee zu sein, als dass man ihn noch zurück in die Freiheit des Zivillebens hätte entlassen können.
„Nun, mit diesen Leistungen ist es unwahrscheinlich, dass sie die Abschlussprüfungen dieses Semesters bestehen werden.“ Kaltenbrunn lehnte sich mit den Ellenbogen auf seinen aus importiertem Edelholz gefertigten Schreibtisch. „Was gedenken sie dagegen zu tun, Kadett Krüger?“
„Ich werde mehr lernen müssen, Sir...“, sagte Krüger kleinlaut. Sein tagesabauf war bereits zum Bersten gefüllt mit jeder Art von Studium und körperlicher Ertüchtigung, er hatte buchstäblich keine Freizeit. Er konnte nicht mehr lernen, aber dies einzugestehen hätte sein Ende bedeutet.
„In der Tat.“, brummte Kaltenbrunn. „Ihnen ist klar, dass sie deswegen ihre bisherigen Pflichten nicht vernachlässigen dürfen?“
„Ja, Sir.“
„Gut. Sie melden sich von nun an jeden Abend um 23.00 Uhr hier in meinem Büro. Ich werde ihnen persönlich Nachhilfeunterricht erteilen, bis sie ihre Leistungen auf einen angemessenen Stand zurückgebracht haben.“
„Sir, das fällt in die Ruhephase! Es wäre ein Verstoß gegen die Akademievorschriften, zu diesem Zeitpunkt noch außerhalb meines Quartiers zu sein.“
„Ich habe ihnen soeben eine Ausnahmegenehmigung erteilt, Kadett. Und falls sie sich um ihre Nachtruhe sorgen: Wir alle müssen Opfer bringen.“
...
Mit steifen Fingern griff Krüger nach dem Marker, der seine Kommandoabteilung in der im Modell nachgestellten Szenerie eines Dorfes repräsentierte. Seine Truppen waren rund um den Hauptplatz in ihren Stellungen gefangen, ihre einzigen Fluchtwege versperrt durch die Feuerbereiche zweier Leman Russ Kampfpanzer.
Das kaum merkliche Lächeln des Panzerkadetten, der Krüger gegenüberstand, ließ den Triumph erahnen, den der junge Mann schon jetzt empfand. Er stand stramm und streng vorschriftsmäßig da in seiner schwarzen Uniform, das weite Barett der Panzertruppen tief in der Stirn, und wirkte dennoch entspannt und erleichtert. Er hatte die Prüfung so gut wie bestanden, auf Kosten des Kadetten Krüger.
„Sie scheinen versagt zu haben, Krüger.“, stellte Kommissar Hahnekamp, der Prüfungsleiter, fest, so sachlich und beiläufig, als habe er eben einen Kommentar zum Wetter abgegeben. Hahnekamp schaute auf die silberne Taschenuhr in seiner Hand. „Ein letzter Versuch zur Rettung ihrer Note?“, fragte er.
Krüger nickte. Er setzte den Marker um.
Hahnekamp sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Meine Kommandoabteilung unternimmt einen Sturmangriff auf den Befehlspanzer des Feindes. Seine Vernichtung wird einen Fluchtweg für meine Truppen schaffen.“, erklärte Krüger das Manöver.
„Selbstmord, Krüger?“, fragte Hahnekamp nach.
„Pflichterfüllung, Sir.“
...
Krüger schlug die Augen auf. Schreie. Schüsse.
Seine Männer brauchten ihn. Er würde nicht versagen.
Eine neue Entschuldigung wäre wohl auch angebracht: Ich hatte angekündigt, hier jetzt wieder regelmäßig zu posten. Mir ist leider eine Abweichungsprüfung in Mathematik dazwischengekommen, die ich freiwillig in kauf genommen habe (und die ich gestern glorios versemmelt habe, soviel dazu... 😉 ), sodass ich nicht wirklich was schreiben konnte. Jetzt is' aber endgültg vorbei mit Abi, versprochen!