So, weiterer Teil.
-----------------------------------------------------
Jenseits des Imperiums liegt das Grauen!
Scaevola erwachte mit diesem Gedanken, der in seit der Ankunft auf diesem Planeten nicht mehr losließ. Er erhob sich mühsam und setzte sich aufrecht hin. Langsam kamen Orientierung und Erinnerungsvermögen wieder. Er blickte kurz aus dem Fenster, um seinen noch stoßweise gehenden Atem zu beruhigen. Nach einigen Augenblicken richtete er seinen Blick wieder ins Abteil. In die Abteiltür war ein kleiner Monitor eingebaut. Er fuhr mit der Hand darüber und der Bildschirm erwachte surrend zum Leben. Zuerst zeigte er den Status des Zuges. Mit einer gewissen Befriedigung registrierte Scaevola, dass er bald sein Ziel erreichen würde. Etwas erregte jedoch seine Aufmerksamkeit. Der Bildschirm hatte währenddessen auf eine Übertragung der planetaren Nachrichten umgeschaltet. Scaevola holte vor Überraschung tief Luft, als er eine Person in der Ständeversammlung erkannte.
Konnte es möglich sein, dachte er sich und stellte die Lautstärke höher. Mit regem Interesse verfolgte er nun die dargebotenen Szenen auf dem Monitor.
Ein beständiges Klopfen versuchte Herr über den angeschwollenen Lärmpegel zu werden.
„Mein Herren! Ich bitte sie, die Würde unseres Hauses zu respektieren!“ Der Ordnungsruf des Vorsitzenden zeigte keinerlei Wirkung. Noch immer schrieen sich die zwei gegenüber stehenden Lager in der Ständeversammlung, Beleidigungen an den Kopf. Am Rednerpult stand der Anführer der bürgerlichen Fraktion und betrachtete die Szene mit einer gewissen Belustigung.
Hinter ihm saßen auf einer Erhöhung der Vorsitzende, sowie rechts davon der Gouverneur Ullrich von Wellersheim, dessen führende Berater und Regierungsmitglieder wie ein Rattenschwanz hinter ihm standen. Ullrich von Wellersheim war ein Mann von kleinerer Statur, dass genaue Gegenteil des Äußeren seines Vorfahren Ullrich von Horn. Obwohl böse Zungen behaupteten, dass er nie müde wurde, seine Abstimmung hervorzuheben, so entfernt sie auch sein mochte. Der Gouverneur nahm nicht an den lautstarken Protestrufen der Adelspartei teil, welche die Rede unterbrochen hatten. Sein hochroter Kopf zeigte jedoch, dass die Äußerungen bei ihm ebenfalls massiven Ärger hervorgerufen hatten. Inzwischen war es dem Vorsitzenden wieder gelungen, etwas Ruhe herzustellen, damit der Redner fortfahren konnte.
„… und ich bleibe dabei, dass es eine Schande ist. Unsere derzeitige Regierung ist nicht im Stande, die soziale Not auch nur annähernd in den Griff zu bekommen. Es ist soweit, dass wir private Organisationen bedürfen, wie der Gemeinschaft fürsorglicher Menschen, um diejenigen zu ernähren, die eine völlig verfehlte Politik an den Rand der Armut gebracht hat.“
„Die meisten dieser Armen leben aber in den von ihnen kontrollierten Städten“, unterbrach ihn Graf Wenden schreiend, der sich, wie andere Adelige, wieder von seinem Sitz erhoben hatte. Geschrei erhob sich wieder und der Vorsitzende hatte erheblich mehr Mühe, wieder Ruhe herzustellen.
„Deshalb.“ Lautstarke Proteste der Adeligen unterbrachen ihn, und der Vorsitzende musste Graf Wenden einen Verweis erteilen, bis der Anführer der Bürgerlichen fortfahren konnte. „Deshalb stelle ich im Namen meiner Fraktion einen Misstrauensantrag gegen Gouverneur von Wellersheim und sämtliche Mitglieder seines Regierungskabinetts.“
Die Szenen, die nun folgten, waren ein weiterer Beweis dafür, dass die Ständeversammlung Nova Autrias sich in ein Tollhaus verwandelt hatte. Dem Vorsitzenden kostete es erhebliche Mühe, um auch nur das Mindestmaß an Ordnung wiederherzustellen. Dennoch musste er beinnahe in sein Mikrofon brüllen, da beide Seiten sich gegenseitig mit lautstarken Zwischenrufen beflegelten.
„Gemäß Paragraph 4 der Verfassung wird der Antrag nun durchgeführt. Kommen wir nun zur Abstimmung“, schloss der Vorsitzende ab, bevor der Beitrag aus der Ständeversammlung ausblendete. Scaevola sah die Statistik mit den Ergebnissen. Der Antrag war durch die Mehrheit der Adeligen abgelehnt worden, aber die Mehrheit war denkbar knapp. Doch Scaevola ging anderes durch den Kopf, als Tagespolitik. Er hatte den Redner sofort wieder erkannt.
Wie lange war es her? Eine Ewigkeit, auf jeden Fall. Es war Cassius gewesen, der so eloquent am Redepult stand und sich nun ein kleines Lächeln genehmigte, da seine Rede solch einen Erfolg zeigte. Einst war er der charismatische Anführer der Studentenbewegung gewesen, in der er sich auch Scaevola selbst so engagiert hatte. Dann war es zu dem Vorfall gekommen. Er war zur Garde geschickt worden, Cassius hatte aufgrund seiner Familie ein einträglicheres Los bekommen. Dennoch überraschte es Scaevola, ihn als Anführer der Opposition wiederzusehen. Bevor er jedoch weiter über den Verlauf des Schicksals nachdenken konnte, hielt der Zug an seinem Ziel an. Scaevola packte seine Tasche und stieg aus.
Keinen Zweifel! Sie sieht noch genauso aus, wie am Tag meines Abschieds!
Diese Gedanken gingen Lohner durch den Kopf, als er sie zum ersten Mal wiedersah. Sie trug ihr Haar zwar ein wenig länger, aber er hätte sie auch mit einer Perücke und anderer Haarfarbe wiedererkannt. So oft hatte er ihr Gesicht während des Krieges vor sich gesehen. Die Hoffnung sie wiederzusehen, hatte ihm geholfen, das alles durchzustehen. Sie hatte ihn noch nicht bemerkt, und er blieb stehen und betrachtete sie einfach. Sein Herz raste, als sie ihn endlich erblickte. Die junge Frau erstarrte, als würde sie einen Geist erblicken.
Dann kam sie auf ihn zu.
Für Lohner schien eine halbe Ewigkeit zu vergehen, bis sie vor ihm stand. Er musste sich in Erinnerung rufen, sie nicht bloß anzustarren und endlich etwas zu sagen. All die großen Phrasen und Sätze, die er sich vorher ausgedacht hatte, schienen nun vergessen. Sein Mund fühlte sich so trocken an, seine Kehle war heiser.
„Hallo“, stammelte er. Unfähig, mehr zu tun oder zu sagen.
„Schön dich zu sehen, Richard“, antwortete sie und umarmte ihn dabei. Es war offensichtlich, dass zumindest sie nicht so gelähmt war.
„Was ist das?“, fragte sie, als sie sein Mitbringsel, dass er hinter dem Rücken versteckt hatte, berührte.
„Äh, ich hielt das für ein gutes Geschenk.“
Sie lachte wieder. Zumindest war es ein gutes Zeichen! Lohner hatte sich zuerst geärgert. Er hatte Blumen mitgebracht, nur um feststellen zu müssen, dass sie in einem Blumengeschäft arbeitete! Dennoch schien sie sich über das Präsent zu freuen, als er ihr es hastig überreichte.
„Wo gehen wir hin?“ Wieder eine Frage. Aber eine, auf die Richard Lohner gehofft hatte.
„Ich kenn da ein Restaurant in der Stadt. Ein Major aus dem 2. Bataillon meines Regimentes hat mir einen Tipp gegeben. Können wir?“
„Gleich! Ich mach noch den Laden zu.“ Richard hatte damit kein Problem. Schließlich hatte er auf diesen Moment Jahre gewartet.
Die Musik drang aus dem Ballsaal herüber. Aber sie war nicht zu laut, sodass die in lockeren Grüppchen stehenden Menschen sich normal Unterhalten konnten. Montecuccoli stand mit einem Glas Wein in der Hand am Rand und beobachtete die Menschen. Die Meisten kannte er seit seiner Kindheit, sie gehörten, wie er selbst, alle zu den oberen Zehntausend des Planeten. Früher hatte ihn diese Zurschaustellung von Prunk und Macht beeindruckt. Doch der Krieg hatte seine Prioritäten geändert. Nicht dass sich alles gewandelt hätte. Er hatte immer noch seinen Willen, genau wie die Anwesenden, nach Ruhm und Macht zu streben. Er war sich selbst gegenüber ehrlich genug, um sich einzugestehen, dass er genauso nach Macht strebte. Doch ohne die geringste Scham war sich gleichermaßen sicher, dass er diesen Menschen weit überlegen war. Vor sich sah er nur degenerierte, dekadente Weichlinge. Montecuccoli bezweifelte, dass auch nur einer der Ballgäste sich jemals in einer extremeren Situation als einer gesellschaftlichen, arrangierten Treibjagd befunden hätte. Während der letzten Jahre hatte Montecuccoli Männer kennen gelernt, die er für befähigter hielt, einen Planeten zu regieren. Zum Teil überraschte ihn dieser Sinneswandel noch immer. Er verachtete nun die Spitzen der Gesellschaft, die er früher so bewundert hatte. Und er bewunderte Männer aus dem einfachen Volk, die er früher verachtet hatte. Sein Blick schweifte durch den Raum, und er erblickte Marschall Klaren.
Lassen wir das Spiel beginnen! Festen Schrittes marschierte Montecuccoli auf sein Ziel zu. Klaren hatte ihn ebenfalls gesehen, und entließ gerade seinen Gesprächspartner mit einer höflichen Floskel.
„Herr Marschall!“
„Hallo Reinhardt! Wie gefällt Ihnen der Ball?“ Als Montecuccoli nicht sofort antwortete, fuhr er weiter fort. „Schon gut, Sie müssen sich wohl erst wieder akklimatisieren!“ Dann zog er ihn ein wenig beiseite um einen leiseren Ton anzuschlagen.
„Im Vertrauen mein Sohn, Sie müssen wieder lernen, ihre Gefühle besser zu verbergen. Sie sind hier nicht mehr auf Mitanni Sigma. Hier benötigen Sie mehr Diplomatie um ihre Zukunft zu sichern. Und Ihnen steht, wenn ich das so offen sagen darf, eine glänzende Zukunft vor sich. Sehen Sie, Sie sind jetzt schon Divisionskommandant, und wer weiß, was die Zukunft noch bringen kann.“ Montecuccoli verstand den Wink mit dem Zaunpfahl. Marschall Klatren war offenbar bereit, ihn zu protegieren. Doch dafür verlangte er sicher einen Gegengefallen. Und dann kam er auch schon. Beiläufig, im höflichen Plauderton, fragte ihn Marschall Klaren: „Da fällt mir ein, haben sie schon einen Nachfolger bestimmt?“
Montecuccoli nickte. Er hatte verstanden.
Seine Augen ruhten nur auf ihr, während sich beide zum Rhythmus der Musik bewegten. Nach dem Essen hatte sie ihn, trotz sanftem Widerstand seinerseits, auf die Tanzfläche geschleppt. Obwohl Lohner Tanzen nicht gerade zu seinen Lieblingsbeschäftigungen zählte, genoss er den Moment. Es machte ihn Freude wieder Musik zu hören. Wie lange hatte er darauf verzichtet? Auf jeden Fall zu lang, beschloss er, während sie sich leicht umschlungen umkreisten. Die gesamte Fläche war voll mit Menschen, das Licht flutete in kurzen Schüben den Raum, und das Knattern von Waffen drang leise an sein Ohr.
Das Knattern von Waffen?
Lohner blinzelte, weil sich die Situation so abrupt verändert hatte. Er öffnete die Augen und fand sich auf dem Schlachtfeld wieder. Das kurze Aufblitzen waren die Geschütze der Artillerie, die Musik war verstummt. Rings um ihn lagen Leichen und Verwundete, und das charakteristische Pfeifen erfüllte die Luft ebenso, wie hunderte umhersausende Leuchtspurgeschosse. Er konnte den Pulverdampf, sowie den süßlichen Gestank von verbranntem Fleisch, riechen. Rings um ihn war Tod und Verderben. Es war nur eine Frage der Zeit, bis es ihn erwischte. Eine Hand berührte leicht seine Schulter.
„Alles in Ordnung mit dir, Schatz?“
„Ich, ich denke nicht…“, keuchte Lohner der sich auf der Tanzfläche wieder fand. Livia sah ihn mit ihren großen Augen sorgenvoll an. Erst jetzt registrierte er, dass er nur stoßweise atmen konnte. Livia half ihm von der Tanzfläche, und an ihren Tisch zu kommen. Erst da bemerkte er, wie sie ihn genannt hatte. Freude durchströmte ihn, während er gleichzeitig mit seiner Atmung und den Bildern in seinem Inneren rang, die ungehemmt seinen Geist bestürmten.
-----------------------------------------------------
Jenseits des Imperiums liegt das Grauen!
Scaevola erwachte mit diesem Gedanken, der in seit der Ankunft auf diesem Planeten nicht mehr losließ. Er erhob sich mühsam und setzte sich aufrecht hin. Langsam kamen Orientierung und Erinnerungsvermögen wieder. Er blickte kurz aus dem Fenster, um seinen noch stoßweise gehenden Atem zu beruhigen. Nach einigen Augenblicken richtete er seinen Blick wieder ins Abteil. In die Abteiltür war ein kleiner Monitor eingebaut. Er fuhr mit der Hand darüber und der Bildschirm erwachte surrend zum Leben. Zuerst zeigte er den Status des Zuges. Mit einer gewissen Befriedigung registrierte Scaevola, dass er bald sein Ziel erreichen würde. Etwas erregte jedoch seine Aufmerksamkeit. Der Bildschirm hatte währenddessen auf eine Übertragung der planetaren Nachrichten umgeschaltet. Scaevola holte vor Überraschung tief Luft, als er eine Person in der Ständeversammlung erkannte.
Konnte es möglich sein, dachte er sich und stellte die Lautstärke höher. Mit regem Interesse verfolgte er nun die dargebotenen Szenen auf dem Monitor.
Ein beständiges Klopfen versuchte Herr über den angeschwollenen Lärmpegel zu werden.
„Mein Herren! Ich bitte sie, die Würde unseres Hauses zu respektieren!“ Der Ordnungsruf des Vorsitzenden zeigte keinerlei Wirkung. Noch immer schrieen sich die zwei gegenüber stehenden Lager in der Ständeversammlung, Beleidigungen an den Kopf. Am Rednerpult stand der Anführer der bürgerlichen Fraktion und betrachtete die Szene mit einer gewissen Belustigung.
Hinter ihm saßen auf einer Erhöhung der Vorsitzende, sowie rechts davon der Gouverneur Ullrich von Wellersheim, dessen führende Berater und Regierungsmitglieder wie ein Rattenschwanz hinter ihm standen. Ullrich von Wellersheim war ein Mann von kleinerer Statur, dass genaue Gegenteil des Äußeren seines Vorfahren Ullrich von Horn. Obwohl böse Zungen behaupteten, dass er nie müde wurde, seine Abstimmung hervorzuheben, so entfernt sie auch sein mochte. Der Gouverneur nahm nicht an den lautstarken Protestrufen der Adelspartei teil, welche die Rede unterbrochen hatten. Sein hochroter Kopf zeigte jedoch, dass die Äußerungen bei ihm ebenfalls massiven Ärger hervorgerufen hatten. Inzwischen war es dem Vorsitzenden wieder gelungen, etwas Ruhe herzustellen, damit der Redner fortfahren konnte.
„… und ich bleibe dabei, dass es eine Schande ist. Unsere derzeitige Regierung ist nicht im Stande, die soziale Not auch nur annähernd in den Griff zu bekommen. Es ist soweit, dass wir private Organisationen bedürfen, wie der Gemeinschaft fürsorglicher Menschen, um diejenigen zu ernähren, die eine völlig verfehlte Politik an den Rand der Armut gebracht hat.“
„Die meisten dieser Armen leben aber in den von ihnen kontrollierten Städten“, unterbrach ihn Graf Wenden schreiend, der sich, wie andere Adelige, wieder von seinem Sitz erhoben hatte. Geschrei erhob sich wieder und der Vorsitzende hatte erheblich mehr Mühe, wieder Ruhe herzustellen.
„Deshalb.“ Lautstarke Proteste der Adeligen unterbrachen ihn, und der Vorsitzende musste Graf Wenden einen Verweis erteilen, bis der Anführer der Bürgerlichen fortfahren konnte. „Deshalb stelle ich im Namen meiner Fraktion einen Misstrauensantrag gegen Gouverneur von Wellersheim und sämtliche Mitglieder seines Regierungskabinetts.“
Die Szenen, die nun folgten, waren ein weiterer Beweis dafür, dass die Ständeversammlung Nova Autrias sich in ein Tollhaus verwandelt hatte. Dem Vorsitzenden kostete es erhebliche Mühe, um auch nur das Mindestmaß an Ordnung wiederherzustellen. Dennoch musste er beinnahe in sein Mikrofon brüllen, da beide Seiten sich gegenseitig mit lautstarken Zwischenrufen beflegelten.
„Gemäß Paragraph 4 der Verfassung wird der Antrag nun durchgeführt. Kommen wir nun zur Abstimmung“, schloss der Vorsitzende ab, bevor der Beitrag aus der Ständeversammlung ausblendete. Scaevola sah die Statistik mit den Ergebnissen. Der Antrag war durch die Mehrheit der Adeligen abgelehnt worden, aber die Mehrheit war denkbar knapp. Doch Scaevola ging anderes durch den Kopf, als Tagespolitik. Er hatte den Redner sofort wieder erkannt.
Wie lange war es her? Eine Ewigkeit, auf jeden Fall. Es war Cassius gewesen, der so eloquent am Redepult stand und sich nun ein kleines Lächeln genehmigte, da seine Rede solch einen Erfolg zeigte. Einst war er der charismatische Anführer der Studentenbewegung gewesen, in der er sich auch Scaevola selbst so engagiert hatte. Dann war es zu dem Vorfall gekommen. Er war zur Garde geschickt worden, Cassius hatte aufgrund seiner Familie ein einträglicheres Los bekommen. Dennoch überraschte es Scaevola, ihn als Anführer der Opposition wiederzusehen. Bevor er jedoch weiter über den Verlauf des Schicksals nachdenken konnte, hielt der Zug an seinem Ziel an. Scaevola packte seine Tasche und stieg aus.
Keinen Zweifel! Sie sieht noch genauso aus, wie am Tag meines Abschieds!
Diese Gedanken gingen Lohner durch den Kopf, als er sie zum ersten Mal wiedersah. Sie trug ihr Haar zwar ein wenig länger, aber er hätte sie auch mit einer Perücke und anderer Haarfarbe wiedererkannt. So oft hatte er ihr Gesicht während des Krieges vor sich gesehen. Die Hoffnung sie wiederzusehen, hatte ihm geholfen, das alles durchzustehen. Sie hatte ihn noch nicht bemerkt, und er blieb stehen und betrachtete sie einfach. Sein Herz raste, als sie ihn endlich erblickte. Die junge Frau erstarrte, als würde sie einen Geist erblicken.
Dann kam sie auf ihn zu.
Für Lohner schien eine halbe Ewigkeit zu vergehen, bis sie vor ihm stand. Er musste sich in Erinnerung rufen, sie nicht bloß anzustarren und endlich etwas zu sagen. All die großen Phrasen und Sätze, die er sich vorher ausgedacht hatte, schienen nun vergessen. Sein Mund fühlte sich so trocken an, seine Kehle war heiser.
„Hallo“, stammelte er. Unfähig, mehr zu tun oder zu sagen.
„Schön dich zu sehen, Richard“, antwortete sie und umarmte ihn dabei. Es war offensichtlich, dass zumindest sie nicht so gelähmt war.
„Was ist das?“, fragte sie, als sie sein Mitbringsel, dass er hinter dem Rücken versteckt hatte, berührte.
„Äh, ich hielt das für ein gutes Geschenk.“
Sie lachte wieder. Zumindest war es ein gutes Zeichen! Lohner hatte sich zuerst geärgert. Er hatte Blumen mitgebracht, nur um feststellen zu müssen, dass sie in einem Blumengeschäft arbeitete! Dennoch schien sie sich über das Präsent zu freuen, als er ihr es hastig überreichte.
„Wo gehen wir hin?“ Wieder eine Frage. Aber eine, auf die Richard Lohner gehofft hatte.
„Ich kenn da ein Restaurant in der Stadt. Ein Major aus dem 2. Bataillon meines Regimentes hat mir einen Tipp gegeben. Können wir?“
„Gleich! Ich mach noch den Laden zu.“ Richard hatte damit kein Problem. Schließlich hatte er auf diesen Moment Jahre gewartet.
- „Die Politik ist wie eine Schlangengrube. Selbst als die Größte aller Schlangen, ist die Überlebenschance gering.“
Die Musik drang aus dem Ballsaal herüber. Aber sie war nicht zu laut, sodass die in lockeren Grüppchen stehenden Menschen sich normal Unterhalten konnten. Montecuccoli stand mit einem Glas Wein in der Hand am Rand und beobachtete die Menschen. Die Meisten kannte er seit seiner Kindheit, sie gehörten, wie er selbst, alle zu den oberen Zehntausend des Planeten. Früher hatte ihn diese Zurschaustellung von Prunk und Macht beeindruckt. Doch der Krieg hatte seine Prioritäten geändert. Nicht dass sich alles gewandelt hätte. Er hatte immer noch seinen Willen, genau wie die Anwesenden, nach Ruhm und Macht zu streben. Er war sich selbst gegenüber ehrlich genug, um sich einzugestehen, dass er genauso nach Macht strebte. Doch ohne die geringste Scham war sich gleichermaßen sicher, dass er diesen Menschen weit überlegen war. Vor sich sah er nur degenerierte, dekadente Weichlinge. Montecuccoli bezweifelte, dass auch nur einer der Ballgäste sich jemals in einer extremeren Situation als einer gesellschaftlichen, arrangierten Treibjagd befunden hätte. Während der letzten Jahre hatte Montecuccoli Männer kennen gelernt, die er für befähigter hielt, einen Planeten zu regieren. Zum Teil überraschte ihn dieser Sinneswandel noch immer. Er verachtete nun die Spitzen der Gesellschaft, die er früher so bewundert hatte. Und er bewunderte Männer aus dem einfachen Volk, die er früher verachtet hatte. Sein Blick schweifte durch den Raum, und er erblickte Marschall Klaren.
Lassen wir das Spiel beginnen! Festen Schrittes marschierte Montecuccoli auf sein Ziel zu. Klaren hatte ihn ebenfalls gesehen, und entließ gerade seinen Gesprächspartner mit einer höflichen Floskel.
„Herr Marschall!“
„Hallo Reinhardt! Wie gefällt Ihnen der Ball?“ Als Montecuccoli nicht sofort antwortete, fuhr er weiter fort. „Schon gut, Sie müssen sich wohl erst wieder akklimatisieren!“ Dann zog er ihn ein wenig beiseite um einen leiseren Ton anzuschlagen.
„Im Vertrauen mein Sohn, Sie müssen wieder lernen, ihre Gefühle besser zu verbergen. Sie sind hier nicht mehr auf Mitanni Sigma. Hier benötigen Sie mehr Diplomatie um ihre Zukunft zu sichern. Und Ihnen steht, wenn ich das so offen sagen darf, eine glänzende Zukunft vor sich. Sehen Sie, Sie sind jetzt schon Divisionskommandant, und wer weiß, was die Zukunft noch bringen kann.“ Montecuccoli verstand den Wink mit dem Zaunpfahl. Marschall Klatren war offenbar bereit, ihn zu protegieren. Doch dafür verlangte er sicher einen Gegengefallen. Und dann kam er auch schon. Beiläufig, im höflichen Plauderton, fragte ihn Marschall Klaren: „Da fällt mir ein, haben sie schon einen Nachfolger bestimmt?“
Montecuccoli nickte. Er hatte verstanden.
Seine Augen ruhten nur auf ihr, während sich beide zum Rhythmus der Musik bewegten. Nach dem Essen hatte sie ihn, trotz sanftem Widerstand seinerseits, auf die Tanzfläche geschleppt. Obwohl Lohner Tanzen nicht gerade zu seinen Lieblingsbeschäftigungen zählte, genoss er den Moment. Es machte ihn Freude wieder Musik zu hören. Wie lange hatte er darauf verzichtet? Auf jeden Fall zu lang, beschloss er, während sie sich leicht umschlungen umkreisten. Die gesamte Fläche war voll mit Menschen, das Licht flutete in kurzen Schüben den Raum, und das Knattern von Waffen drang leise an sein Ohr.
Das Knattern von Waffen?
Lohner blinzelte, weil sich die Situation so abrupt verändert hatte. Er öffnete die Augen und fand sich auf dem Schlachtfeld wieder. Das kurze Aufblitzen waren die Geschütze der Artillerie, die Musik war verstummt. Rings um ihn lagen Leichen und Verwundete, und das charakteristische Pfeifen erfüllte die Luft ebenso, wie hunderte umhersausende Leuchtspurgeschosse. Er konnte den Pulverdampf, sowie den süßlichen Gestank von verbranntem Fleisch, riechen. Rings um ihn war Tod und Verderben. Es war nur eine Frage der Zeit, bis es ihn erwischte. Eine Hand berührte leicht seine Schulter.
„Alles in Ordnung mit dir, Schatz?“
„Ich, ich denke nicht…“, keuchte Lohner der sich auf der Tanzfläche wieder fand. Livia sah ihn mit ihren großen Augen sorgenvoll an. Erst jetzt registrierte er, dass er nur stoßweise atmen konnte. Livia half ihm von der Tanzfläche, und an ihren Tisch zu kommen. Erst da bemerkte er, wie sie ihn genannt hatte. Freude durchströmte ihn, während er gleichzeitig mit seiner Atmung und den Bildern in seinem Inneren rang, die ungehemmt seinen Geist bestürmten.