„Wir teilen uns“, sagte General Montecuccoli. Rings um ihn stand die Kompanie mit Hauptmann Richard Lohner, dazu Major Fogler und Sergeant Qunitillian mit seinen beiden Space Marines vor einer Kreuzung. Ihr Weg kreuzte sich hier im rechten Winkel mit einem weiteren Gang.
Die Bezeichnung Kompanie war angesichts der Mannstärke von Lohners Soldaten allerdings bestenfalls nur noch ein Euphemismus. Die Hälfte der Männer hatten sie vor dem Palast als Rücksicherung bei Leutnant Wendtner gelassen. Also blieben ihnen vielleicht noch vierzig Soldaten. Nicht viele, doch Montecuccoli hatte schon unter schwierigeren Verhältnisse und in größerer Unterlegenheit bedeutende Siege errungen. Er wusste, dass er sich auf diese Männer verlassen konnte. Sogar Lohner schien sich gebessert zu haben. Noch vor kurzem hatte er sich Sorgen gemacht, als der junge Hauptmann alleine die Treppe hinauf gehechtet war. Anscheinend hatte der deswegen fast erfolgte Beinahe-Tod dem ungestümen Offizier den Kopf gewaschen. Montecuccoli war es nur recht. Er hatte jetzt keine Zeit für ein privates Seelsorge-Gespräch. Immerhin gab es Wichtigeres zu tun.
„Herr General, wie gehen wir jetzt vor?“, wollte Major Folger wissen.
„Sie nehmen die eine Hälfte der Männer und Lohner die andere. Suchen sie sich den Gang aus, der ihnen am besten gefällt.“
Lohner nahm einen Trupp und stürmte sofort los. Voller Zuversicht und Eifer, wie es sie nur die Jugend kannte. Fogler zögerte.
„Und sie General?“
Montecuccoli zeigte auf Sergeant Quintillian und die beiden anderen Astartes.
„Ich denke, ich bin in bester Gesellschaft! Los jetzt!“
Und so teilten sie sich. Zum letzten Akt.
***
8.) Keine Wiederkehr
Betrügt uns.
Bestiehlt uns.
Ignoriert uns:
Beutet uns aus.
Verachtet uns.
Knechtet uns.
Lasst uns eine Ruine als Erbe.
Belächelt uns.
Doch es wird der Tag kommen,
und es wird sein.
REVOLUTION!
Veröffentlichung des revolutionären Studentenkomitees Nova Autrias
Marschall Klaren hob mühsam den Kopf. Er hustete und spuckte Blut aus seinem Mund aus. Wellersheim hatte einen Nadler benutzt. Modell Avengo Nr. 34 um genau zu sein, eine violett gefärbtes Muster mit schwarz belegtem Griff. Ein Nadler war eine beliebte Handfeuerwaffe unter den Oberschichten. Klaren fand, dass sie zu Wellersheim Charakter passte. Lautlos, verschoss die Waffe mehre spitze Projektile, eine verschlagene Waffe, die nicht den charakteristisch-verräterischen Laut einer Pistole beim Abfeuern von sich gab. Wellersheim war nicht Manns genug für eine Laserwaffe oder gar eine Boltpistole. Wahrscheinlich verfügte der Verräter auch nicht über genug Kraft, um dem Rückstoß beim Abfeuern einer normalen Waffe standzuhalten.
Wellersheim hatte sein ganzes Magazin auf ihn geleert. 24 Projektile. Nur drei hatten ihn getroffen, zwei davon in die Brust, eine hatte seine rechte Wange gestreift. Das unterstrich, welch ein Dilettant Wellersheim in diesen Dingen war. Aus so kurzer Distanz noch so oft daneben zu schießen, war immerhin auch eine Leistung. Bei dem Gedanken lächelte der Marschall.
„Worüber lachen Sie?“, fuhr in Wellersheim an.
Klaren würdigte ihn keiner Antwort. Wellersheim stürmte auf ihn zu und hielt ihm seine Waffe vor die Stirn.
„Reden Sie, Herr Marschall! Los!“, brüllte Wellersheim ihn voller Erregung an, das Gesicht zu einer unansehnlichen Fratze aus Wut und Hass verzogen.
„Warum?“, wollte Klaren wissen. Die Schmerzen wurden stärker. Alles was er noch tun konnte, war Zeit zu schinden.
„Warum? Warum“, äffte ihn Wellersheim nach. “Wieso denn eigentlich nicht! Warum leben Sie eigentlich noch, Herr Marschall? Ich dachte, Lord Mitaugor hätte sich ihrer schon längst angenommen!“
„Also haben Sie …“, fragte Klaren empört. Wellersheim schnitt ihm das Wort ab.
„Natürlich. Ich habe Lord Mitaugor in den Palast gelassen. Denken Sie immer noch, dass es sich hier um eine kleine Rebellion handelt? Einen Unterschichten-Aufstand um bessere Rationen und Unterkünfte. Sie ignoranter Mistkerl! Sie wissen doch gar nicht mit welcher Macht Sie sich hier angelegt haben, Herr Marschall!“
Etwas an der Art, wie Wellersheim den Titel Klarens aussprach lag nahe, dass er ihn in keinster Weise respektierte.
Vielleicht ein Umstand, den ich zu meinem Vorteil ausnützen kann, dachte Klaren bei sich. Wo war eigentlich die eigene Pistole? Klaren drehte mühsam den Kopf. Da! Keinen halben Meter rechts von ihm lag sie, vielleicht konnte er sie ja erreichen! Besorgt blickte der Marschall nach seinem Gegenspieler. Doch Wellersheim hatte sich längst in Rage geredet und schritt erregt die Kammer auf und ab, wobei er mehr zu sich selbst redete.
„Sie haben meine Frage nicht beantwortet, Herr Gouverneur!“, goss Klaren weiter Öl ins Feuer, wobei er für den Titel denselben Tonfall gebrauchte, wie Wellersheim für seinen.
„Weil meine Zeit abläuft!“, brüllte Wellersheim mit schriller Stimme, das Gesicht zur widerwärtigsten Fratze verzogen, die Klaren jemals gesehen hatte. „Meine zweite Amtsperiode wäre in wenigen Monaten vorbei. Und diese kleinkarierten Bürokraten wollten mir keine weitere gewähren!“
„Es ist gegen die Gesetze unseres Planeten“, warf Klaren ein. Die rechte, vor Schmerzen, zittrige Hand wanderte langsam zu seiner Pistole.
„Gesetze, was sind schon Gesetze?“, entrüstete sich Wellersheim, der sich mit beiden Händen in einer Geste der Empörung an die Brust fuhr. Klaren hatte gehofft, dass sich vielleicht ein Schuss lösen würde. Doch es kam keiner. Anscheinend hatte Wellersheim die Waffe gesichert. Gut zu wissen.
„Mein Ahne Ullrich von Horn hat sich auch nie an das Gesetz gehalten! Ich bin das größte Genie meiner Zeit! Ich bin auf dem politischen Parkett das, was Ullrich auf dem Militärischen war. Etliche Petitionen habe ich nach Bakka geschickt. Und was habe ich bekommen? Nur Ausreden und bedeutungslose Floskeln! Man mische sich nicht in interne Prozesse ein. Regionale Politik falle nicht in die Belange der Segmentum-Verwaltung.“
„Sie haben uns für eine weitere Amtszeit an den Erzfeind verkauft!“
„
Verkauft!
Verkauft!“, ätzte Wellersheim und setzte seinen kleinen Marsch weiter fort. Klarens Hand wanderte weiter zu seiner Pistole. Langsam, nur keine Aufmerksamkeit erregen.
„Ich bin das größte Genie meiner Zeit!“, schrie Wellersheim. „Die Führungsgestalt, die Nova Autria durch die unsicheren Zeiten in einer sicheren Hafen gelenkt hätte. Nur noch eine weitere Periode und meine große Reform wäre vollendet gewesen. Ein Denkmal hätte ich mir damit gesetzt. Meine Statue wäre neben der Ullrich von Horns aufgestellt worden.“
„Sie machen sich da etwas vor!“
„Ich mache mir etwas vor?“, brüllte Wellersheim. Klarens Hand wanderte weiter, Zentimeter für Zentimeter über den kühlen Marmorboden. „Wer hat mich denn daran gehindert? Dieses kleinliche Parlament, diese Ständeversammlung mit ihren ewigen Zänkereien. Kleinkarierte, die nicht über ihren Tellerrand blicken können. Die würden wahre Größe nicht einmal erkennen, wenn man sie ihnen unter die Nase halten würde!“
„Und dieser Mitaugor kann es?“, wollte Klaren wissen. Seine Hand war jetzt fast neben der Pistole. Wellersheim drehte sich plötzlich um und fixierte ihn mit seinen Augen. Klaren erstarrte in seiner Bewegung. Wo sich auf Wellersheims Gesicht vorher noch Wut und Hass befanden hatte, fand der Marschall nun eine Ansammlung von religiöser Verzückung. Die Augen des Verräters strahlten fanatische Begeisterung aus. Er kam auf Klaren zu, bis er direkt vor ihm stand.
„Oh ja! Lord Mitaugor, Sieger von tausend Schlachten, erkennt wahre Größe. Er hat mir zugesichert, als sein Stellvertreter hier zu regieren! Ich werde meinen Plan in die Tat umsetzen. Das Imperium ist schwach, nur im Chaos liegt die Zukunft!“
„Sie Narr! Mitoguar wird niemals die Macht mit Ihnen teilen. Sie sind wirklich ein Idiot, wenn Sie das glauben!“
„Er wird es tun!“, brüllte Wellersheim vor Erregung und Speichel flog dabei in Klarens Gesicht.
„Sie unglückseliger Idiot, Sie haben ihre Seele für ein leeres Versprechen auf Macht verkauft.“
Mit diesen Worten griff Klaren nach seiner Waffe. Aber Wellersheim war schneller, eine Reaktion, die man einer solch plumpen Gestalt nicht zu getraut hätte. Er trat die Automatik beiseite, die scheppernd mehrere Meter flog und versetzte Klaren mit dem Lauf seiner Waffe einen fürchterlichen Schlag gegen das Gesicht.
Klaren wurde schwarz vor Augen. Er hörte das Geräusch eines Sicherungshebels, der zurückgeschoben wurde.
„Bringen wir es zu Ende“, sagte Wellersheim.
Ein Schuss ertönte. Das Zischen einer Laserpistole. Major Folger stand im Eingang und senkte seine Waffe. Er hatte nur einmal geschossen. Es hatte gereicht, er verstand sein Geschäft.
Fogler rannte zu dem verwundeten Marschall. Marschall Klaren öffnete schwerfällig den Mund. Fogler bedeutete ihm zu schweigen. Besorgt betrachtete er die Blutdurchtränkte Uniform.
„Alles wird gut. Sie sind in guten Händen!“
Doch Klaren hatte bereits das Bewusstsein verloren. Er konnte die verzweifelten Schreie Foglers nach einem Sanitäter nicht mehr hören.
***
Er war wieder er selbst. Ganz und gar. Da war keine hinterhältige Stimme mehr in seinem Bewusstsein, die nach Blut schrie. Er war frei und konnte sich wieder eine Zukunft vorstellen. Mit Livia, seiner Traumfrau. Da war Licht am Ende des Stollens, wie es in einem alten autrianischen Sprichworts hieß. Er konnte es schon fast sehen.
Sein Trupp bewegte sich mit geübter Präzision, erfahrene Soldaten, die sie alle waren. Immer abwechselnd ging die eine Hälfte vor, gedeckt durch die andere. Gegenseitiger Feuerschutz, in Fleisch und Blut eingegangen. Bis jetzt war es zu keinem weiteren Feindkontakt gekommen. Doch so etwas konnte sich schnell ändern. Die Männer seiner Einheit wussten es genauso, wie Hauptmann Lohner selbst. Jedes Mal, wenn sich im Gang eine Öffnung auftat, schmiegten sich die Führungssoldaten an die Wand, um vorsichtig um die Ecke zu spähen, ihre Gewehre im Anschlag. Doch bisher waren es immer nur kleine Kammern gewesen, eingelassen in die Wand und ohne Anzeichen von Leben.
Bis jetzt.
Ungefähr zehn Minuten, nachdem sie sich von General Montecuccoli getrennt hatten, gab Soldat Junah das non-verbale Signal zum Anhalten. Die linke Hand zur Faust geballt und erhoben, sichtbar für seine Hintermänner. Der Trupp hielt an und bildete eine Sicherungsformation. Zwanzig Gewehre starrten in alle Richtungen, aus denen ein etwaiger Angriff möglich war. Soldat Junah kam in geduckter Haltung zu Hauptmann Lohner geeilt.
„Lage, Junah?“, wollte dieser wissen.
„Der Gang mündet in einer großen Kammer. Wie lauten ihre Befehle?“
Lohner überlegte kurz. In diesem Bereich war er noch nie gewesen. Er zog seine Datentafel zu Rate. Auf ihr waren Pläne des Gouverneurspalasts eingespeichert. Major Fogler, die gute Seele ihres Regiments hatte sie in der für ihn typisch umsichtigen Art an alle Offiziere ausgeteilt.
„Anscheinend handelt es sich bei der Kammer um einen der Neben-Knotenpunkte der Eingangsebene, der uns zu verschiedenen Ebenen führt. Darunter auch ein Zugang für die Kellergewölbe!“
„Die Kellergewölbe!“, unterbrach ihn Junah voller Eifer, “Ist dort nicht die strategische Kommandozentrale der autrianischen Streitkräfte?“
Lohner blickte den Soldaten tadelnd an „Ein Pluspunkt dafür, dass Sie bei der Befehlsausgabe aufgepasst haben
Soldat. Allerdings war ich noch nicht ganz fertig! Wenn Sie die Güte hätten, mich ausreden zu lassen!“
Junah stieg die Schamesröte ins Gesicht. „Verzeihung, Herr Hauptmann“, stammelte er.
Lohner klopfte ihm auf die Schulter. „Wenigstens zeigen Sie Engagement. Wir gehen hinein. Sie übernehmen die Führung. Nehmen Sie drei Mann und sichern Sie den Eingang. Der Rest kommt nach. Machen Sie keinen Fehler, wir verlassen uns auf Sie!“
Junah nickte, mit einem Anflug von Stolz und eilte wieder an die Spitze der Einheit. Lohner blickt ihm nach. Thron von Terra! Wie lange war es her, seit er ein junger Soldat gewesen war? Augenblicklich fiel ihm ein, dass er auch jetzt noch nicht zum alten Eisen zählte. Junah war vielleicht nur ein paar Jahre jünger. Trotzdem, es schien eine Ewigkeit her zu sein, als er als grüngesichtiger Junge zum ersten Mal in die Armee eingetreten war. Zusammen mit einem Freund. So nervös und unerfahren! Wie sich doch die Zeiten geändert hatten. Unwillkürlich musste Lohner an seinen Freund denken. Wo er jetzt wohl war, der gute, alte Scaevola? Bei der Mobilisierung des Vierten, hatte er ihn nicht gesehen. Auch als Oberst Michaelis Klaren die Befehlsausgabe besprach, war er nicht dabei gewesen. Oberst Klaren - so viel hatte sich heute geändert! Er verdrängte das aufkommende Bild eines schreienden, mit Blut besudelten Offiziers, dessen untere Leibeshälfte völlig zerschmettert war.
Nicht zum ersten Mal dachte er an diejenigen, die ihm nahe standen. Wie es ihnen wohl ging? Ob sie noch lebten? Wie viele Freunde und Angehörige hatten seine Männer hier? Wie oft kamen ihnen dieselben Gedanken? Lohner spürte, wie seine Bewunderung für seine Männer wuchs. Sie alle wünschten sich, an einem anderen Platz zu sein. Und doch waren sie den Befehlen gefolgt, die sie von ihren Familien und Freunden getrennt hatten. Das war der Lohn des Soldaten. Um zu beschützen, was er liebte, musste er es verlassen.
Lohner bewegte sich in der Reihe seiner Männer vorwärts. Er würde den zweiten Drei-Mann-Trupp anführen. Unterwegs blickte er in die Augen der Gardisten. Ein Lächeln das erwidert wurde. Ein aufmunterndes Kopfnicken, ein Klopfen auf die Schultern. Hinter ihm machten sich die Soldaten bereit. Frische Magazine wurden in die Gewehre gerammt, Gurte festgezurrt, Bajonette aufgesetzt. Es war kein Befehl nötig, die Männer seiner Einheit wussten, was zu tun war.
Junah gab das Zeichen, das er bereit war. Lohner signalisierte;
Vorwärts. Junah und seine Männer eilten durch die Öffnung. Einer nach dem Anderen verschwanden sie aus Lohners Blickfeld. Einige Bange Augenblicke lauschte Lohner aufgeregt nach den charakteristischen Geräuschen von Waffenentladungen, dem Geschrei Verwundeter oder der Detonation einer Granate. Nichts war zu hören. Lohner führte den nächsten Trupp in die Kammer. Sie war groß, mehr als zwanzig Meter breit und mindestens ebenso lang. Auf ihrer, und der gegenüberliegenden Seite befand sich ein Säulengang. Durch ein großes, rundes Fenster auf der rechten Seite drang fahles Licht in die Kammer. Es verlieh den zahlreichen Fresken eine düstere, bedrückende Ausstrahlung.
Soldat Junah hatte in vorbildlicher Weise seine Männer hinter den Säulen postiert und sicherte so den Eingang. Lohner registrierte dies zufrieden. Junah war ein Mann mit Potential. Vielleicht würde er bald seine ersten Streifen bekommen. Lohners Männer verteilten sich ebenfalls hinter den Säulen. Weitere Soldaten strömten durch den Eingang und bezogen Stellung. Auf der anderen Seite kam plötzlich Bewegung in die Sache. Instinktiv eröffneten die Gardisten das Feuer. Sie sollten mit dieser Entscheidung Recht behalten. Die verdrehten Gestalten die aus der Deckung des Eingangs und der Säulen fielen, waren ausnahmslos mit Tätowierung bedeckt. Tätowierungen die die Macht des Chaos priesen und den Imperator verhöhnten. Tätowierungen, bei deren Anblick sich Lohners Magen umdrehte.
Er blickte kurz weg, um sich wieder zu fangen. Dann hob er sein eigenes Gewehr an die Wange. Er hatte ein HE-Lasergewehr Serie 5. Vom Aussehen her ähnelte es einem normalen Lasergewehr, die Durchschlagskraft seiner Waffe war jedoch erheblich stärker. Sein erster Schuss sprengte einen großen Teil einer Säule ein, hinter der ein Kultist Deckung gesucht hatte.
Zu weit rechts.
Der zweite Versuch traf den Kultisten und schleuderte ihn gegen die dahinter liegenden Wand wo er regungslos liegen blieb. Eine Salve aus einer Waffe mit fester Munition zwang Lohner, sich hinter seiner Säule zu kauern. Er spürte das leichte Trommeln von kleinen Gesteinsbrocken auf seinem Helm, die von seiner Deckung abgesprengt wurden.
Tapp-Tapp-Tapp!
Das Gefecht spannte sich zwischen beiden Seiten hin und her, ohne das eine der beiden Seiten einen Vorteil erringen konnte. Lohner war nicht bereit, dieses Patt länger hinzunehmen.
„Granatwerfer“, ordnete er über Helmkom an.
Nur Augenblicke später bekam er eine Antwort. Soldat Boshell war der Mann in diesem Trupp, der eine der tragbaren Spezialwaffen dieses Trupps trug. Es war ein Granatwerfer mit einem trommelförmigen Magazin. Solch eine Waffe war in vielen Situatoinen geradezu unentbehrlich. Der große Ullrich von Horn hatte seinerzeit angeordnet, dass die Gardeeinheiten mit schwerer, transportabler Bewaffnung versehen wurden. In jedem Zehn-Manntrupp gab es mindesten einen Flammenwerfer und eine andere Spezialwaffe wie einen Melter, einen Plasmawerfer oder eben einen Granatwerfer. Bis jetzt hatte sich seine Strategie als richtig erwiesen. Die weise Voraussicht der ruhmreichen Ahnen.
Soldat Boshell hatte ein Magazin mit Fragmentgranaten geladen. Es war eine gute Wahl. Drei Schüsse feuerte Boshell ab. Auf der gegenüberliegenden Seite explodierte die Welt einer Reihe von sich entfaltenden Feuerblüten. Eine Feuerlanze folgte und verwandelte den gegenüberliegenden Säulengang in ein Inferno. Die Schreie der Verwundeten hallten hinüber. Der süßliche Gestank von verbranntem Fleisch erfüllte die Luft. Sicherheitshalber warfen Soldat Junah und zwei weitere Soldaten, noch Granaten. Die Explosionen brachten die Verwundeten zum Schweigen. Stille breitete sich aus.
Fast zögerlich überquerten die ersten Soldaten den Zwischenraum der Kammer. Soldat Junah führte sie an. Wenige Augenblicke später kam über Helmkom die beruhigende Antwort: „Raum gesichert.“
Lohner erhob sich, ebenso wie der Rest seiner Einheit. Er nickte Soldat Boshell dankend zu und betrat die andere Seite der Kammer. Es sah aus, als hätte irgendein wahnwitziges Experiment mit explosiven Chemikalien hier sein unglückliches Ende gefunden. Verdampfte Blutrückstände klebten an Säulen, Boden und der Decke. Verkohlte Leichen, völlig unkenntlich, lagen verdreht am Boden. Die teuren, kunstvollen Stuckaturen der Decke und der Wand waren infolge des Granatbeschusses stellenweise ramponiert und durch die Hitze geschwärzt. Schwarze Cherubim -Gesichter starrten Lohner vorwurfsvoll an. Sehr wahrscheinlich von seiner eigenen Familie errichtet, nun durch einen Spross derselben demoliert. Ironie des Krieges!
„Wir gehen weiter“, ließ Lohner seine Männer wissen und winkte sie den Durchgang durch, der in die unteren Ebenen führte. Plötzlich zögerte Lohner. Er hatte etwas gesehen. Nur für einen kurzen Augenblick, eine schemenhafte Gestalt. Doch Lohner war sich sicher, dieses Etwas wieder erkannt zu haben.
Er rannte los.
„Sergeant Fenton, Sie übernehmen das Kommando!“ Lohner wartete erst gar nicht auf Proteste, seitens seiner Männer. Er rannte durch einen der anderen Gänge, der in eine Treppe mündete, die nach oben führte. Da! Ein Schatten, der um die nächste Ecke gebogen war! Lohner hörte Schritte hinter sich, und drehte sich um. Es war Soldat Junah.
Doch darum konnte sich Lohner jetzt nicht kümmern. Er jagte der Gestalt weiter hinter her. Ein doppeltes Echo von Schritten, die durch Gänge und kleine Kammern hallte, die sie bei ihrer Verfolgung durcheilten. Weit dahinter Soldat Junah, der sich redlich bemühte, Schritt zu halten und verzweifelt den Hauptmann zurief, doch zu warten. Doch Lohner konnte nicht warten, diese Angelegenheit hatte viel zu lange gewartet. Er war es einem Freund schuldig.
Nach etlichen Minuten, darunter weiteren Aufgängen und Stufenabschnitten, kam Lohner über eine Treppe in einem weitläufigen Gang an. Ehrwürdige Portraits und Statuen flankierten die beiden Seitenwände. Der Gang krümmte sich nach rechts, so, als folge er einer Biegung. In dieser das dichte Wolkenband am Himmel durchschien, beleuchtete ein schräg hereinfallendes, düsteres Licht durch große Seitenfenster auf die Szenerie.
Er hatte die Orientierung vollständig verloren. Wo er sich genau befand, konnte er nicht sagen. Das einzige was er wusste war, dass sie bereits relativ hoch waren. Vielleicht sogar direkt unter dem Dach, dafür würde die Krümmung des Daches sprechen. Demnach waren sie direkt unter der großen Kuppel des Gouverneurspalasts. Die Schritte vor ihm waren verstummt. Kein Echo kam mehr von vorne. Nur noch von hinten.
Keuchend erreichte Soldat Junah die untere Treppe. Lohner blickte zu ihrem Fuß, wo ein völlig erschöpfter Junah erst wieder zu Kräften kommen musste. Er warf ihm einen missbilligenden Blick zu in dem Wissen, dass er eigentlich nicht dazu berechtigt war. Immerhin hatte er gerade seine Männer in dem Moment im Stich gelassen, als sie einen Durchgang zur Kommandoebene gefunden hatten. Auf seiner Jagd nach der ominösen Gestalt, war ihm die Lächerlichkeit seines Handelns bewusst geworden. Doch er hatte es nicht übers Herz gebracht, einfach stehen zu bleiben. Er hatte eine Ahnung gehabt, und seine Ahnungen hatten in bis jetzt noch nie betrogen. Manchmal hatten sie ihm sogar das Leben gerettet.
„Kommen Sie, Junah! Wenn Sie schon da sind, können Sie sich auch nützlich machen!“, befahl Lohner dem erschöpften Soldaten, der mit scheinbar letzter Kraft die Stufen erklomm.
Die beiden Imperialen bewegten sich vorsichtig den Gang entlang, wobei sie sich gegenseitig Deckung gaben. Vorbei an den Büsten längst verstorbener imperialer Würdenträger. Selanus XV, der dreiundzwanzigste Gouverneur Autrias. Dann die Statue Marschall Stiven Defangis, und andere, die Lohner unbekannt waren. Scaevola hätte sie sicher gekannt. Lohners Gesicht verfinsterte sich. Gleich war es geschafft!
Die beiden hielten vor der Tür, hinter der Lohner die Gestalt vermutete. Wortlos schob sich Junah an Lohner vorbei und übernahm die Führung. Lohner ließ dies geschehen. Es war eine der Grundregeln. Niemals sollte der Höherrangige zuerst in unbekanntes Territorium vordringen. Lohner wusste auch, dass mehr dahinter steckte. Eine heroische Geste, die keiner Worte bedurfte.
Sie gingen durch. Zuerst Junah, dann Lohner. Der Raum entsprach in seinem Grundriss der Kammer, in der die Jagd begonnen hatte. Auf beiden Seiten gab es eine Säulenreihe, in den Abständen dazwischen befanden sich jedoch große Bottiche aus weißem Stein, in denen verschiedene exotische Pflanzen eingebettet waren. In der Mitte des Raumes, der durch ein Oberlicht reichlich Licht bekam, standen weiße, marmorne Steinbänke und Tische. Offenbar ein Erholungsraum für die in diesem Stockwerk arbeitenden Adepten. Verlassen und leer war der Raum, keine Gestalt war zu sehen, nicht einmal ein Schatten.
Lohner sah den zweifelnden Blick in Junahs Augen, als sich dieser zu ihm undrehte. Junah öffnete den Mund, um ihn eine Frage zu stellen. Lohner wusste die Frage bereits. Und was jetzt?
Aus Junahs Mund quoll ein Blutstrom. Lohner warf sich auf ihn. Die beiden Leiber überschlugen sich einmal, zweimal.
Lohner achtete nicht auf den protestierenden Schmerz seiner aufgeschürften Ellbogen und Schienbeine und zog Junah hinter die Deckung eines Pflanzenbottichs.
Der Nachhall der Laserpistole brach sich an den Wänden, verstärkte sich dadurch und verfolgte sie in ihre Deckung. Wie das Zischen einer erbosten Schlange.
Lohner kümmerte sich hastig um den verletzten Junah. Er hatte dunkles Blut erbrochen. Ein gutes Omen, wenn man so etwas in ihrer Lage sagen konnte. Das Blut einer Vene, wahrscheinlich eine oberflächliche Verletzung.
Lohner fand sie rasch. Eine Halswunde, fast nur ein Streifschuss. Mit festem Druck legte er eine Kompresse an die Wunde und legte zur Stabilisierung Junahs Hand daran. Es war kein Wort nötig, ein Blick in Junahs Augen reichte. Der Soldat wusste, dass sein Leben nun in seiner eigenen Hand lag. Er würde nicht loslassen. Und Lohner würde ihn nicht verlassen.
Ihre Hauptwaffen waren außerhalb ihrer Reichweite. Keine zwei Meter entfernt lag sie auf dem blanken, ornamentierten Fussboden. Übereinander gekreuzt, fast wie das Abzeichen einer Einheit. Lohner zog seine eigene Laserpistole und feuerte zwei Schüsse ab. Doch er wusste, dass er damit allein sein Gegenüber nicht schlagen würde.
„Cassius?“, fragte er in die anschließende Stille der Kammer.
„Wer will das wissen?“, kam die höhnische Antwort. Lohners Herz tat einen Sprung vor Aufregung. Also hatte er mit seiner Vermutung doch recht gehabt!
„Ich bin Hauptmann Lohner, vierte Garde. Ergeben Sie sich jetzt und ich werde Gnade walten lassen!“
Höhnisches Gelächter kam als Antwort.
„Ergeben. Ich soll mich Ihnen ergeben,
Hauptmann?“, spottete Cassius. Das Echo der Wände machte es für Lohner schwer, sein Ziel zu finden. Vielleicht hinter der vierten Säule von links? Was war das dort, nur ein Schatten oder doch mehr?
„Warum ergeben sich denn Sie nicht!“. Die Stimme schien von überall zu kommen. Von Rechts, vorne, hinten. Hastig blickte sich Lohner um.
„Wieso sollte ich?“, erwiderte Lohner und feuerte einen Doppelschuss auf den Ort, hinter dem er Cassius vermutete. Er traf nur nackten Stein, der Schuss prallte ab, und wurde zu einem Querschläger der schließlich wirkungslos an der Decke verpuffte.
„Na, na, Sie werden doch nicht versuchen mich umzubringen,
Imperiumsheld“, spottete Cassius. „Jetzt, wo wir uns gerade kennen gelernt haben.“ Die Stimme schien nun von einer anderen Stelle zu kommen.
„Wie war das noch mal? Lohner, vierte Garde, kennen Sie dann vielleicht einen gewissen Florjan …“
„Das ist nicht mehr seine Name“, unterbrach ihn Lohner scharf. Er konnte sich nur zu gut erinnern. „Er ist ihm genommen worden. Und ich kenne auch ihren Anteil daran. Sie haben ihn im Stich gelassen und sich fein aus der Affäre gezogen. Sie haben ihn zu seinem Schicksal verdammt!“ Vor lauter Wut feuerte Lohner weitere Schüsse aus seiner Pistole ab die auch ohne Wirkung blieben. Die Energieanzeige neigte seines Magazins neigte sich bedrohlich dem Ende zu.
Es war seiner Wut geschuldet, die er zügeln sollte. Doch so leicht war es nicht. Es schien wieder zurück zu kommen, all die unliebsamen Erfahrungen aus der Vergangenheit. Zwar hatte er es nicht selbst erlebt, aber er nahm Anteil an dem Schicksal seines Freundes Scaevola. Vor langer Zeit, war Scaevola ein Student an der hiesigen Universitas gewesen und Teil eines Studentenzirkels. Doch das Studium alleine hatte ihnen bald nicht mehr genügt. Zu viele Dinge fanden sie ungerecht, wie die Reichen die Armen mitleidlos ausnahmen. Das Imperium, so argumentierten sie, wäre grausam und bedürfe einer grundlegenden Reform, da es nicht mehr dem Willen des Imperators entspräche. Lohner hatte Scaevola ein paar Mal zu ihren Diskussionsrunden geleitet, doch schnell wieder davon Abstand genommen. Und er hatte auch versucht, seinen Freund davon abzuhalten, die Treffen weiter zu besuchen. Die Aussagen waren ihm zu radikal, besonders deren charismatischer Anführer war ihm schon damals unbehaglich gewesen. Und er war nicht der Einzige, der es so sah. Konfrontiert mit solch harscher Kritik, hatten die planetaren Behörden energisch durchgegriffen. Das Adeptus Arbites kannte keinerlei Pardon bei etwas, das verdächtig nach Rebellion roch. Scaevola hatte alles verloren. Seine Studiumsberechtigung, sogar seinen Namen und zur Strafe wurde er in den Armeedienst geschickt. Es gab in der autrianischen Kultur keine höhere Strafe, als sich des Namens seiner Familie nicht würdig zu erweisen.
„
Verdammt, was wissen Sie schon darüber?“, ätzte Cassius aus seinem Versteck. „ Ihr unwissenden Narren habt doch keine Ahnung, welche Dimension sich hinter diesem Wort verbirgt. Vielleicht sollte ich meinen Lord holen, damit er ihnen diese näher erläutert“, Cassius kicherte giftig bei diesem Gedanken. „Wollen Sie das,
Hauptmann? Soll ich Lord Mitaugor holen um Sie zu läutern?“
„Wer ist Mitaugor?“, fragte Lohner verwirrt.
„Unsere Erlösung!“, rief Cassius plötzlich so laut, dass sein Echo von allen Seiten auf Lohner einstürmte.
„Die Erlösung für einen vom unfähigen Adel in Knechtschaft gehaltenen Planeten. Die Erfüllung all unserer Träume. Lord Mitaugor wird uns in befreien. Etwas, wofür Florjan und andere damals gekämpft haben, wird nun wahr. Öffnen Sie ihre Augen Hauptmann und empfangen Sie die Wahrheit!“
„Welche Wahrheit?“, wollte Lohner wissen.
„Die universale Wahrheit, wie sie nur das Chaos bringen kann. Das Imperium ist ungerecht, es knechtet Milliarden von Menschen unter einer unfähigen Bürokratie beherrscht von einer kleinen, korrupten Elite. Der Schrei der Geknechteten und Gequälten hallt durch die Galaxis. Der Warp hat diesen Schrei gehört und uns Lord Mitaugor gesandt.“ Cassius hatte sich in Rage geredet. Bei der Erwähnung des Chaos drehte sich Lohner unwillkürlich der Magen um.
„Wachen Sie auf, Cassius! Das Chaos ist Verderben, es bringt keine Erlösung. Es befreit nicht, sondern knechtet. Um ihrer Seele willen, geben Sie auf, Cassius!“
„Meine Seele gehört dem Warp. Das Chaos alleine schafft Gleichheit. Es kennt keinen Klassen, und kümmert sich um seine Anhänger, nicht wie diese sterbende Marionette auf ihrem Thron zu Terra!“, erwiderte Cassius kreischend und stürmte aus seiner Deckung. In jeder Hand hielt er eine Laserpistole und feuerte damit auf Lohners Deckung.
„Dann stirb Ketzer“, brüllte Lohner, den die widerliche Lobpreisung des Chaos ebenfalls in Rage gebracht hatte. Er sprang ebenfalls aus seiner Deckung hervor, wobei er nicht auf die Einschläge neben ihn achtete, die seine Umgebung zerstörte.
Lohner hechtete über den großen Steinbottich vor ihm und bemerkte die durch Einschüsse aufgewühlte Erde nicht, die ihm ins Gesicht spritzte. Er rollte sich ab und hob seine Laserpistole auf den anstürmenden Cassius.
Letzten Endes entschied die Erfahrung. Cassius war ein begabter Reder, ein hervorragender Politiker mit dem dafür notwendigen Instinkt. Aber er war ein schlechter Schütze. Dazu kam noch der erschwerende Umstand, in der Bewegung zu treffen. Ein Anfängerfehler, den Lohner nicht machte. Er blieb in seiner knienden Position und feuerte zwei Schüsse. Die letzten in seinem verbrauchten Magazin. Sie trafen, ihm Gegensatz zu den etlichen Schüssen, die Cassius abgegeben hatte. Zwei saubere Treffer, in Hals und Brust. Cassius sank ungläubig zu Boden, die Pistolen fielen scheppernd aus seinen kraftlosen Händen.
Er wollte noch etwas sagen und öffnete den Mund. Blut quoll heraus, hellrot, arteriell. Dann hauchte der Führer der parlamentarischen Opposition und Nummer zwei in Mitaugors Gefolgschaft sein unwürdiges Leben aus. Das war alles, woran man sich in Zukunft erinnern würde.
Verräter, dieser Makel würde auf ewig an seinem Namen haften bleiben.
„Für Scaevola“, murmelte Lohner, der sich erheben wollte. Seine Beine versagten ihren Dienst. Ungläubig sah Lohner hinunter. Da sah er es zum ersten Mal. Ein roter Fleck im Unterleib. Deshalb also die besorgten Blicke seiner Männer! Lohner fuhr mit der Hand unter die Jacke. Eine rot durchnässte Hand zog er zurück und hielt sie entsetzt vor sein Gesicht. Wie war das passiert?
Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.
Auf der Treppe, im Gefecht mit den Kultisten. Der eine Hieb, dem er ausgewichen war, hatte ihn anscheinend doch getroffen!
Von anderen Veteranen hatte er schon davon gehört, dass man mit tödlichen Verwundungen und ohne Schmerzen weiterkämpfen konnte, bis man schließlich umkippte. Panik bemächtigte sich seines Verstandes. Nein, es durfte nicht sein! Es konnte nicht sein. Nicht jetzt, nicht jetzt, wo er alles wieder ins Lot gebracht hatte!
Eisige Kälte stieg seine Beine hoch. Langsam, unerbittlich. Mit letzter Kraft zog sich mit seinen Armen fort. So, als könnte er damit seinem Schicksal entkommen. Oder es doch für einige Minuten hinauszögern.
„Bitte“, flehte er den steinernen Engel an, der ihm von der Decke entgegenblickte. Das kalte, steinerne Gesicht blieb stumm. Die marmornen Augen blickten ihn emotionslos an.
Bilder stiegen vor seinem geistigen Auge auf. Seine Jugend, seine Familie, seine Freunde. Wie er Scaevola auf Mitanni Sigma aus diesem Habitatsgebäude getragen hatte, wobei sich Scaevola auf ihn gestützt hatte. Wie sie sich darauf im Kreis der Soldaten zur Feier betrunken hatten. Um ein Lagerfeuer, lachend und Lieder singend. Wie ihn Livia zum ersten Mal geküsst hatte, bei Vollmond. Wie sich an einem sonnigen Tag lachend über ihn gebeugt hatte und ihr die Haare ins Gesicht fielen, als sie im Gras eines Parks lagen. Wie er sie nach seiner Rückkehr zum ersten Mal wieder gesehen hatten.
Die Kälte stieg höher, seinen Unterleib hinauf. Lohner öffnete den Mund, er wollte etwas sagen.
„Livia“, brachte er mühsam heraus. Es war ihr Gesicht, das er als letztes sah. Eine Erinnerung an bessere Zeiten. Dann schlossen sich seine Augen und Dunkelheit umfiel ihn.
Und so fand ihn Scaevola schließlich. Ausgestreckt, am Boden liegend. Er nahm seinen Kopf mit beiden Händen, neben ihm kniend. Der schnell erkaltende Leichnam machte deutlich, dass keine Rettung mehr möglich war, wie damals auf Mitanni Sigma. Er konnte sich bei seinem Lebensretter nicht revanchieren.
Rings um ihn standen betroffen die Männer des 78. und sahen zu, wie Tränen den Boden rund um Lohner benässten, als Scaevola hemmungslos den Tod seines Freundes beweinte.