40k Jenseits des Imperiums

4.) Der Sturm

In einem viereckig angelegten Gebäude mit Innenhof schien alles noch so verlassen zu sein, wie seit langem. Einige Ebenen unterhalb des Bodens war der geräumige Saal jedoch dicht gefüllt mit Menschen unterschiedlichster Herkunft. Maron Mitaugor lächelte in sich hinein, als er den Raum betrat und die stickige Luft einatmete. Er konnte die darin pulsierende Bosheit spüren, die anscheinend eine neue, unentbehrliche Komponente für den Sauerstoff bildete. Mitaugor wusste, dass es zumindest bald so sein würde. Sein Wille würde überlebensnotwendig für diese Welt werden. Dieser Planet würde nur für ihn existieren, ein Manifestation seiner Macht, die eine ewige Botschaft in die Weiten des Alls verkünden, so alt wie die Zeit selbst. Ein Zeichen seiner Macht und Stärke, und die seiner Legion, den erwählten Alpha Marines. Dies war der Tag. Das Datum, mit dem die neue Zeitrechnung beginnen würde. Sein Blick schweifte über die Menge und fiel auf Nummer eins und zwei, die pflichtschuldig und ehrfürchtig ihre Köpfe beugten, als sie seinen blick auf ihnen spürten. Wieder konnte sich Mitaugor ein Lächeln nicht verkneifen. Nummer eins hatte sehr schnell nach dem Vorfall seinen wahren Platz kennen gelernt. Nicht dass dieser Emporkömmling eine Gefahr für ihn, den Sieger von Tausend Schlachten bedeutete.

Aber es war so lästig, sich mit Ungeziefer zu beschäftigen, während die Beute zum Greifen nah war. Mitaugor ging durch die Gasse der Menge, stets flankiert von seinen Marines. Er setzte sich auf den bereitgestellten Thron. Dann sagte er einen einzigen Satz, aber der enthielt eine fürchterliche Drohung für diese Welt.
„Willkommen meine Söhne in der Bluthorde.“

***
Ein weiterer Tag war vergangen. Obwohl es zu keinen weiteren Vorkommnissen seit dem fehlgeschlagenen Attentat gekommen war, behielt Montecuccoli ein ungutes Gefühl. Die meisten Taktikbücher und Generäle betonten zwar immer wieder, dass man letzten Endes alles auf rationale Faktoren und logische Prozesse zurückführen könne, doch Montecuccoli hatte von seinen Feldoffizieren gelernt, auf seinen Bauch zu vertrauen. Dieses Universum bot zu viele Möglichkeiten, um es endgültig berechnen zu können. Als er ein junger Absolvent der Akademie war, hatte er noch anders gedacht, aber der Krieg hatte ihn eines Besseren belehrt. Und an diesem Abend hatte er dieses ungute Gefühl in der Magengrube. Er konnte es zwar nicht erklären, aber es war da, und diese Tatsache beunruhigte ihn zutiefst. Marschall Klaren hatte zwar die besprochenen Maßnahmen angeordnet, und Montecuccoli hatte sie mit ihm zusammen die Posten inspiziert, aber seine Sorgen wollten nicht abflauen.

Aber vielleicht lag es auch an seinem Büro, in dem sich nur noch die restlichen Akten in großen Boxen befanden. Sein Tisch und alle Schränke waren leer geräumt, der Großteil seines Materials war schon in seinen neuen Räumen im Divisionskommando. Es war ein deprimierender Anblick für Montecuccoli, als er so im Halbdunkel des Zimmers stand. Es wunderte ihn, dass er diese Räume bereits jetzt so vermisste. Immerhin stand ihm der große Karrieresprung bevor! Jüngster Divisionskommandant seit Ullrich von Horn, und er hatte noch nicht einmal die dreißig Jahre überschritten.
Seine Zukunft lag buchstäblich in den Sternen.
Klaren hatte in den letzten Tagen schon mehrmals angedeutet, dass seine Leistungen nicht nur auf Nova Autria, sondern auch im Segmentum-Kommando bereits für Aufsehen sorgten. Vor seinem geistigen Auge konnte er bereits die Uniform eines Feldmarschalls sehen. Nur wenige Offiziere pro Segmentum wurden dazu befördert, die Chancen waren minimal, nahezu unwahrscheinlich.
Doch Montecuccoli war zuversichtlich. Sein Studium an der Akademie zeigte eine Gemeinsamkeit all dieser Erwählten. Sie alle waren bereits in jungen Jahren zu ihren Generalsstreifen gekommen.
So wie er.
Natürlich war er sich des Neides seiner älteren Amtskollegen bewusst. Der Neid, dass ihm scheinbar alles einfach in den Schoß flog. Und Montecuccoli bestritt nicht, dass er ein Talent dafür hatte. Manche waren für den Krieg geboren, er war zum Krieg führen geboren. Ein Strategietalent, das in seiner Generation nach Seinesgleichen suchte, und bis jetzt keinen ebenbürtigen Rivalen fand. Außer Ullrich von Horn. Aber der tröstete sich Montecuccoli immer, war ein Mensch aus einer anderen Ära.

Und doch spürte Montecuccoli diesen Druck. Oder hatte ihn zumindest gespürt. Ein Nachteil der sehr gut überlieferten Geschichte von Nova Autria war die fortschreitende Erwartungshaltung an die folgenden Generationen. Wie jeder Sprössling einer adeligen Familie, spürte auch Montecuccoli dieses ungeschriebene Gesetz, an die Taten der glorreichen Vorfahren anknüpfen zu müssen. Die Legende und Erzählungen dieser „Halbgötter“, die man seit Kindesbeinen immer wieder vorgehalten bekam. Eine Hürde, an der viele scheiterten, und ihr Heil schließlich in diversen Vergnügungen und Drogen suchten. Doch Montecuccoli hatte die Hürde gemeistert. Ihm war erst klar geworden, wie groß der Druck gewesen war, als er vor einigen Tagen in der öffentlichen Zeremonie befördert worden war. Und nun hatte er die Messlatte für die nächsten Generationen gelegt! Er war es, der in den Geschichtsbüchern stehen würde, dessen war er sich sicher. Der neue Pulsar der Familienchronologie, die unerreichbare Legende. Hoffnung von Nova Autria, Liebling der Massen, Hochdekorierter Kriegsheld. Montecuccoli war bereit für die Zukunft! Doch etwas blieb bestehen, selbst nun, als die Last großteils von seinen Schultern geglitten war. Montecuccoli war zum Erfolg geboren und auch gleichermaßen verdammt. Und darin lag eine Bürde, die ihm niemand im Universum abnehmen konnte.

***
Es war ein einsamer Ort. Irgendwo krächzte ein Vogel. Scaevola kam es so vor, als würde dieser Platz in einer anderen Wetterzone existieren. Während ihm die Sonne in der Stadt noch warm und freundlich vorgekommen war, hatte sie hier eine unnahbare, kalte Ausstrahlung. Doch angesichts der Funktion dieses Gebietes, kam ihm diese Veränderung angemessen vor. Scaevola schritt über den sauber gepflegten Weg, dessen weiß leuchtenden Kiesel das satte, kurz gehaltene Grün des beiderseitig angrenzenden Rasens nur noch mehr betonten. Wie in der Armee standen die mannshohen Steine in regelmäßigen Abständen, zwischendurch nur unterbrochen von sauber gestutzten Bäumchen mit runden Laubkronen. Es war ein Ambiente, dass Schönheit vermitteln sollte, gepflegten Stil. Doch Scaevola vermittelte es eine andere Botschaft. So einsam und ruhig gelegen, konnte sich kein Besucher jemals einer stillen Trauer und einer Melancholie der Vergänglichkeit erwehren. Doch vielleicht war gerade das der Sinn. Vielleicht hatten die Planer dieses Ortes genau die Übermittlung dieser Art von Gefühlen gewollt. Denn seine Funktion hatte wenig lebensbejahendes, vielmehr mit dem Ende allen Lebens zu tun. Die Inschrift eines Steines riss Scaevola aus seinen inneren Gedankengängen. Es war der Moment, vor dem er sich immer gefürchtet hatte. Er bemerkte, dass seine Hände leicht zitterten, als er die eingravierte Inschrift zu lesen begann.
„Hier ruht ….“, dann versagte seine Stimme.

„Florjan, Florjan“, sagte eine wohltuende Stimme.
Scaevola blickte auf, und sah einen wohl proportionierten Mann mittleren Alters mit ergrauten Schläfen vor sich. Scaevola blinzelte und rieb sich die Augen. Diese Umgebung war so vertraut. Die alte Werkbank, samt der darauf herrschenden Mischung aus geordnetem Chaos. Scaevola wusste selbst, dass das ein Widerspruch in sich war, doch seit seiner Kindheit war ihm keine bessere Beschreibung dafür eingefallen.
„Alles in Ordnung mit dir?“, fragte der Mann und legte behutsam einen Arm auf Scaevolas Schulter.

„Ja, ich war nur kurz abgelenkt.“
„Gut, dann sei doch so lieb und gib mir den Sensorschlüssel von der Bank.“
Scaevola wandte sich der Bank zu und fand nach einigem Suchen das gewünschte Werkzeug. Er nahm es in die Hand und überreichte es dem Mann, der sich wieder der Maschine zugewandt hatte. Es war ein Bike, Typ 34 „Stormwind“, die zivile Variante der in der imperialen Armee eingesetzten militärischen Bikes, und ein Geschenk des Grafen. Jahre später würde Scaevola es als ein Almosen bezeichnen, um seine Familie bei der Stange zu halten. Eine Äußerung, die er seitdem immer bedauert hatte.
„Hier ist der Schlüssel, Vater.“
„Danke, mein Junge.“
Sein Vater wandte sich wieder seiner Arbeit an der Maschine zu, doch nicht ohne ihm vorher ein Lächeln zu schenken. Und dann kam etwas, was Scaevola an seinem Vater immer so geschätzt hatte. Obwohl er so mit der Reparatur beschäftigt schien, stellte er doch die entscheidende Frage.

„Was bedrückt dich, mein Großer?“
Scaevola zögerte zuerst. Konnte dies hier real sein? Doch in seinem Innersten wusste er, dass es ihm in diesem Augenblick egal war. Diese Frage trug er schon zu lange mit sich herum, als dass er diesen kostbaren Moment einfach so verstreichen lassen konnte. Selbst wenn er Gefahr lief, dass das alles nur reine Einbildung war.
„Bist du stolz auf mich?“
Sein Vater unterbrach die Arbeit, legte den Sensorschlüssel beiseite und drehte sich zu Scaevola um. Es war eine stille Geste die aber zeigte, dass er sich voll dieser Frage stellte. Dann blickte ihm sein Vater tief ihn die Augen, und Scaevola konnte erkennen, dass es ihm mit der folgenden Antwort absolut ernst war.
„Mein Sohn, ich bin immer stolz auf dich, und werde es immer bleiben!“


***

Es war, als hätten sie nur auf ein Zeichen gewartet. Ein Signal, dass all die angestaute Wut losließ, die sich hinter einem Damm lange gestaut hatte. Doch nun war alles anders, der Respekt vor der staatlichen Ordnung, den Stellvertretern des Imperators auf Nova Autria, war endgültig geschwunden. Die Proteste nahmen ihren Ausgang in den südlichen Elendsvierteln, wo die Menschen wie Vieh zusammengepfercht in den heruntergekommen Habitaten ihr unwürdiges Dasein fristeten. Ein Leben, ständig bedroht durch die Gangs und Banden der Kriminellen, selbst ständig an der Grenze zur Kriminalität. Eine Welt wo Recht und Ordnung nur durch Stärke erlangt wurde, wo Gerechtigkeit schon lange ein Fremdwort war.

Es hatte den Anschein, als würden sich die Hunderttausenden von Arbeitern ihre Frustration und den Ärger von der Seele schreien. Ihrem Protest Luft verschaffen, über ein System in dem der Imperator eine Elite als Herrscher einsetzte, die sich in völliger Verkennung der Lebenswelt der Mehrheit, in Sichtweite gigantische Makropoltürme errichten ließen, die sich einen Wettbewerb in Höhe und prunkvoller Architektur lieferten. Und im Schatten dieser gigantischen Bauwerke entlud sich nun der Zorn der Massen. Überall im Elendsviertel rotteten sie sich zusammen. Als erstes spürten die kleinen Händler den Zorn. Läden wurden gestürmt, geplündert und meistens angezündet. Die brennenden Geschäfte beruhigten die Gemüter keineswegs, vielmehr schienen sie die lodernden Flammen anzustacheln.

Überall in der Makropole ertönten nun die Sirenen. Ihr auf und abschwellendes Signal verbreitete die Kunde vom Ausbrechen der Gewalt. Auf tausenden Schirmen und aus allen Lautsprechern erteilte eine mechanisch, monoton klingende Stimme die Anweisung sich ruhig zu verhalten und nach Hause zu begeben. Eine Botschaft, die bei den aufgewühlten Massen nicht ankam.
Nun zeigte endlich auch das Imperium seine Zähne.
Schwarz gepanzerte Mitglieder des Adeptus Arbites stiegen in ihre schweren Rhino-Transporter und fuhren zu ihren Sammelpunkten. Es würde sich nur um eine Frage von Stunden handeln, um die aufgebrachten Demonstranten wieder unter Kontrolle zu bringen. Doch wider alle Erwartungen, erwies sich der Gegner als äußerst zäh. Es schien als würden die verschiedenen Gruppen der Demonstranten von einer zentralen Instanz gesteuert. Mehrfach kam es vor, dass sie Absperrungen auswichen und schlagartig die Richtung änderten, nur um plötzlich auf anderen Strassen wieder aufzutauchen.

Hektik machte sich in der Kommandozentrale, die sich etliche Etagen unter dem Gouverneurspalast befand, breit. Die Wände waren schlichter, fast deprimierender grauer Plastbeton, frei von jedweden Verzierungen oder Dekorationen. Die mehr als fünf Meter dicken Wände bildeten einen kreisrunden Raum von mehr als zwanzig Meter Durchmesser und drei Meter Höhe. Mehrere kreisförmige senkten sich zur Mitte stufenförmig ab. Jede der Zonen wartete mit einer Reihe von Cogitatoren und Apparaten auf, die alle nun besetzt waren. In der Mitte befand sich die hololitische, taktische Karte. Klaren selbst saß in einem der äußeren Ringe, der sich jedoch weit, bis direkt an die Mitte heranreichte, und so einen direkten Blick auf die Karte ermöglichte. Sein Cogitator war ebenfalls aktiviert und sprudelte vor Aktivität nur so über.

Der erste Verteidigungsring hatte sich als wirkungslos erwiesen. In aller Eile wurden die Arbites Einheiten zurückbeordert, um eine engere Stellung rund um den inneren Kern der Makropole zu verteidigen. Nur mit Mühe konnte ein Chaos bei der Umgruppierung verhindert werden. Offiziere verlangten mit gereizter Stimme die Leitstelle zu sprechen, da sie weder Transportmittel, noch die neuen Instruktionen für ihren Bereitstellungsraum hatten. Auch das sporadische Ausfallen der Kom- Verbindung trug wenig zur Bewahrung der Ordnung bei.
Marschall Klaren ließ sich, im Gegensatz zu seiner Umgebung, nicht aus der Ruhe bringen. Immerhin war er schon zu lange Soldat, um sich wegen solcher Eventualitäten überraschen zu lassen. Und schon lange genug Kommandant, um mit diesem Problem fertig zu werden. Aber er wusste auch, dass viele der hier anwesenden Offiziere und Tacticae-Mitglieder nicht über diese Erfahrung verfügten. Selbst nach all den Jahren spürte er jedes Mal wenn es Ernst wurde, diesen kleinen Adrenalinschub.

Wie viel nervenaufreibender musste es da für Leute sein, die erst ein oder zwei Einsätze hinter sich gebracht hatten? Ein Blick durch die Runde ließ Klaren allerdings zweifeln, dass die meisten über so viel Erfahrung verfügten. Er konnte es ihren blassen Gesichtern, der zittrigen Stimme und ihren nervösen Blicken die sie ihm zuwarfen, ansehen. Deshalb versuchte er auch möglichst gelassen auszusehen. Und es schien zu wirken. Ein freundliches Nicken, ein kameradschaftliches Schulterklopfen und Klaren konnte spüren, wie seine Männer ihre anfängliche Nervosität überwanden. Ein Blick auf die hololithische, blau scheinende Karte allerdings gab Klaren da schon mehr Grund zur Besorgnis. Sie erstrahlte im Zentrum des Kommandoraums über den in einem Kreis angeordneten Bildschirmen und Stationen, sodass sie jeder Anwesende sofort erblicken konnte.

Zu seinem Glück waren die meisten Personen jedoch gerade in ihre Arbeit vertieft. Klaren dankte im Stillen dem Imperator dafür, denn das sich ihm präsentierende Bild war alles andere als optimistisch zu nennen. Das Feld zeigte ein zweidimensionales Grundrissschema der Stadt an. Rote und grüne Einheiten blinkten darauf, von denen sich manche bewegten und andere auf ihren Positionen verharrten. Selbst einem Laien wäre sofort aufgefallen, dass die roten Symbole bei weitem agiler waren. Ihr Tempo war schneller, und manchmal brach ihre Position unvermittelt ab, nur um einige Straßen entfernt wieder aufzutauchen. Die grünen Lichter hingegen schienen immer nur zu reagieren, nie zu agieren. Meist konnten sie den gegnerischen Bewegungen nicht folgen. Bei diesem Anblick wünschte sich Klaren im Stillen, dass seine eigenen Einheiten die rote Signatur hatten. Doch er wusste genau, dass das Gegenteil der Fall war. Immerhin schien sich eine Verbesserung abzuzeichnen. Die Bewegungsmuster der grünen Einheiten schienen nun koordinierter abzulaufen. Nach und nach bildeten sie weiter im Zentrum der Karte eine neue kreisförmige Verteidigungslinie.

Trotz dieser Teilerfolge wollte Klaren auf Nummer Sicher gehen. Er winkte seinen Adjutanten zu sich, der dem Befehl sofort Folge leistete.
„Herr Marschall?“
„Alarmieren sie die Garde.“ Sein Adjutant blickte verwirrt, angesichts des Befehls. Noch bevor er es aussprach, wusste Klaren, welcher Einwand nun kommen würde.
„Darf ich zu bedenken geben, dass Gouverneur Wellersheim strikte Anweisungen gegeben hat … “
Klaren unterbrach ihn mit einer kurzen Handbewegung.
„Ich weiß. Alarmieren sie die Garde.“
Doch was dann kam, ließ sogar einen routinierten Veteran wie Klaren aufschrecken. Die Astropathen, die im Halbdunkeln auf ihren Stühlen saßen, begannen sich plötzlich zu bewegen. Klaren wollte sich zwingen wegzusehen, doch trotzdem blickte er sie beim ersten Geräusch an. Zwei Männer, geschnallt auf ihre Sessel, mit unzähligen Kabeln in ihrem kahl rasierten Schädel verbunden mit den zentralen Maschinen des Kommandoraums. Ihre milchig-weißen blinden Augen schienen ihn direkt anzusehen, obwohl Klaren wusste, dass er sich dies einbildete. Doch mehr als ihr Aussehen ließen ihre Botschaft unbehaglich werden. Wieder und wieder wiederholten sie stöhnend dieses eine Wort.
„Bluthorde. Bluthorde. Bluthorde.“
 
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Das hier war etwas, das er am Meisten vermisste.
Als Lohner in die Runde seiner Familie blickte, wurde ihm diese Einsicht wieder schmerzlich bewusst. Bereits sein Großvater hatte mehrere Söhne gehabt, die wiederum alle mehrere Kinder in die Welt gesetzt hatten. Die Familienähnlichkeit stand ihnen buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Und was sie noch teilten, und nach Richard Lohners Meinung Familienfeiern so erfreulich machte, war ihr gemeinsamer Sinn für Humor. Diese Treffen sprühten geradezu von Pointen und Witzen, wobei sich sein Vater und seine Brüder ständig selbst die Vorlagen gaben. Außenstehende mochten es vielleicht zu sarkastisch und trocken erscheinen, doch das hatte seine Familie noch nie gekümmert. Deshalb war Lohner auch so erfreut darüber, dass sein Gast mehrmals in das Lachen eingestimmt war. Es war ein weiterer Grund für seine Freude. Livia hatte zugestimmt mitzukommen! Nicht dass sie noch nie einer Familienfeier beigewohnt hatte. Aber dies war eben vor seiner Einberufung in die Garden von Nova Autria gewesen. Vor einer fühlbaren Ewigkeit, wie sich Lohner leicht melancholisch erinnerte. Doch er verdrängte diesen Gedanken gleich. Das Leben war zu schön, als das er es sich jetzt dadurch verderben lassen wollte. Als Mitglied der imperialen Armee hatte er schnell gelernt, diese kostbaren Momente zu genießen. Auch wenn er nicht wusste, wie es um seine Beziehung, falls man es so nennen durfte, mit Livia stand, genoss er doch diesen Augenblick. Die Frau, die er liebte, hier mit ihm im engsten Kreis seiner Familie. Rund um ihn saßen seine Cousins und Cousinen, die aßen und sich dabei lebhaft unterhielten. Er erblickte seinen um zwei Jahre älteren Cousin, der ebenfalls in der Garde diente. Auch er war ein Opfer des Zehn-Männersystems. Es war seit Urzeiten auf Nova Autria in Gebrauch. Rein theoretisch hatte es sogar den Hauch von Gerechtigkeit.

Jeder zehnte Mann wurde zu den Garderegimentern einberufen oder zur PVS, den Planetaren Verteidigungs-Streitkräften. Man musste schon absolutes Pech haben wie Lohner, um die Garde zu treffen. Er konnte sich sogar erinnern, dass Scaevola in einem Gespräch erwählt hatte, dass die Garde ursprünglich von Regimentern anderer Planeten gestellt worden war. Der gute alte Scaevola hatte mit einem sarkastischen Unterton erklärt, dass man damit wenigstens eine loyale Garnison auf einem Planeten haben wollte. Mit der Zeit hätte es sich aber dann so eingebürgert, dass auch die Garde ihr Reservoir aus den jungen Männern von Nova Autria bezog. Und nicht zu vergessen, die Space Marines. Man munkelte, dass sie ebenfalls ihre Rekruten von hier bezogen. Zwar war dies nur ein unbestätigtes Gerücht, das in den Straßen kursierte. Aber Angesichts des gewaltigen blau-weißen Astartes bei der Siegesparade, zweifelte Lohner nicht über den etwaigen Wahrheitsgehalt.

„Wir sind ein einziges Rekrutierungsbüro“, murmelte er sarkastisch. Er schaute sich um. Zum Glück hatte es keiner gehört. Das letzte was er brauchte, war noch eine Gardinenpredigt über die Ehre dem Imperium zu dienen. Natürlich war es das, aber keiner seiner Familienangehörigen hatte einen richtigen Krieg erlebt. Nicht diese kleinen Auseinandersetzungen der Arbites oder, wenn es richtig schlimm war, sogar die der PVS, mit den Gangern. Eine echte Schlacht. Gewaltige Kriegsschiffe, die den Orbit füllten. Brennende Horizonte und kilometerlange Frontlinien. Die Bilder, die er nachts nicht aus seinem Kopf kriegte. Es war leicht, wie seine Onkel über die Ehre zu reden.

Seit Jahrhunderten war seine Familie damit beschäftigt, die Makropoltürme der Reichen und Mächtigen zu erbauen, zu restaurieren oder zu verschönern. Eine Arbeit, die nie endete, dem Imperator sei’s gedankt, wie sein Vater immer mit einem befriedigenden Lächeln anmerkte. Allein diesem Umstand war es bisher zu verdanken gewesen, dass seine Familie von der Einberufung verschont geblieben war. Denn so gerecht es schien, das System hatte seine Lücken. Die Einberufung hing von den lokalen Verwaltungsstellen ab. Am Land waren dies die Komitats-Herren und in der Stadt die Mitglieder der einflussreichsten Händlergilden. Das Pech seiner Familie hatte nur darin bestanden, dass es vor einiger Zeit einen politischen Machtwechsel gegeben hatte. Ihr einflussreichster Auftraggeber war von seinem heftigsten Konkurrenten an der politischen Spitze verdrängt worden. Es war Lohner immer wie ein besonderer Hohn vorgekommen, dass er nun dem neuen Gouverneur Ullrich von Wellersheim diente. Immerhin war es gewesen, der ein Einberufungskontingent aus Lohners Familie angefordert hatte. Ein kleiner Racheakt, wie jedermann wusste. Wellersheim konnte seine alten Rivalen nicht direkt angreifen, also musste ihre Gefolgschaft dafür stellvertretend büßen.

Und wie ich dafür gebüßt habe, dachte sich Lohner mit einem sauren Lächeln. Er nahm noch einen Schluck Wein, um den Gedanken wegzuspülen. Während er das Brickeln des Alkohols auf seiner Zunge genoss, blickte er sich noch mal in der Runde um. Seine Augen blieben bei der kleinen Gruppe an der Tür haften. Besonders eine Person zog ihn förmlich an. Sie war neu, denn sonst hätte er sie sofort bemerkt. Der Ankömmling trug Kleidung die ihm so seltsam vertraut vorkam. Sie waren khaki-grün, eine Farbmischung die Lohner zu oft gesehen hatte. Genau wie die kurz geschnittene Stoppelfrisur, und den stählernen Körperbau. Es war das Paradebild der Garde. Der Prototyp des imperialen Soldaten. Er stand dort mit seinem Vater und einem seiner Onkel und unterhielt sich. An den Mienen der drei konnte Lohner erkennen, dass es sich um nichts Gutes handeln konnte.
„Was ist mit deiner Hand Richard?“

Lohner blickte Livia so verblüfft an, als habe sie gerade offenbart, die Tochter des Imperators zu sein. Er hatte keine Ahnung, wovon sie sprach, bis er auf seine zittrigen Finger schaute.
„Oh nein“, stöhnte er und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Livia legte ihm fürsorglich ein Hand um die Schulter und kam mit ihrem Gesicht so nahe, dass er ihr duftendes Haar riechen konnte.
Was für eine bittersüße Wiederholung. Wieder einmal spielt mir das Schicksal einen Streich, doch gleichzeitig zeigt sich das Leben auch von seiner schönen Seite.
„Es ist alles in Ordnung, Livia. Bitte mach dir keine Sorgen.“
Dann erhob er sich und ging zu dem wartenden Soldaten.
***

Die neue Verteidigungslinie hielt dem Ansturm stand. Dennoch zeigte sich, dass man die Gegner unterschätzt hatte. Denn der erste Angriff erfolgte mit einer Wucht, die man normalen Zivillisten nicht zugetraut hatte. Und hatte man es nicht nur mit einfachen Bürgern zu tun, die keinerlei militärische Ausbildung hatten?
Als Montecuccoli die ersten Aufnahmen sah, die ein Servoschädel gemacht hatte, befielen ihn Zweifel. Er sah, wie sich die Menge, wie ein drohender Lindwurm, der Linie aus schwarzgekleideten Arbites näherten, die einen Wall mit ihren Schilden bildeten. Immer noch dröhnte aus den Lautsprechern die Anweisung, sich nach Hause zu begeben. Doch die Masse ignorierte sie immer noch und skandierte lauthals einen unverständlichen Slogan. Und es war unwahrscheinlich, dass diese aufgebrachten Menschen so weit gegangen waren, nur um jetzt einfach umzudrehen. Die Gewalt entlud sich wie ein Blitz. Steine und andere Wurfgeschosse flogen gegen die Arbites, doch die meisten prallten wirkungslos an den Schildern. Dann plötzlich gab der Kommandant den Befehl zum Vorrücken. Schritt für Schritt marschierten die Arbites vorwärts, bis sie auf die Demonstranten trafen, die in Wellen leicht vor und zurückgeschwappt waren. Es kam zum Handgemenge, wobei die geschulten Angreifer mit ihren Schockstäben klar im Vorteil waren. Die Meute zerstreute sich rasch, als die imperialen Truppen wie ein Keil in sie fuhren und sie aufsplitterten. Bald waren nur noch Trupps der Arbites am Feld, die Gefangene zu den gepanzerten Rhinos führten, um sie in Verwahrung zu bringen.
Doch Montecuccoli sah auch etwas anderes, als den eindeutigen Sieg, der einen Jubel bei den Offizieren und Tacticae-Mitgliedern hervorrief. Er hatte sich die Augen der Menschen gemerkt. Sie wirkten so fremd und kalt, fast so, als wären sie ferngesteuert. Und bei manchen mussten die Arbites zwei bis drei Stromstöße verwenden, um sie auszuschalten. Normalerweise reichte ein einzelner Treffer mit dem Elektrostab aus, um einen ausgewachsenen Menschen zu Boden zu bringen. Montecuccoli erkannte, dass sie zwar eine Schlacht gewonnen hatten, aber noch lange nicht den Krieg. Es war ein Teilerfolg, und nicht mehr.
***

„Jim“ Riccioli hielt den Befehl in seiner Hand und war kurz davor, die Inneneinrichtung seines Büros zu zertrümmern. Stattdessen entschied er sich dafür, seine Wut an dem Stück Papier auszulassen. Es landete zerknittert im Papierkorb. Er konnte es nicht glauben, dass Wellersheim oder Klaren diesen Befehl erlassen hatten! General „Jim“ Riccioli war ebenso wie sie Angehöriger des führenden Adels von Nova Autria. Doch im Gegensatz zu anderen Angehörigen seines Standes, teilte er nicht dessen Verachtung für diejenigen, die das Schicksal nicht in die Wiege einer Adelsfamilie gelegt hatte. Bereits sein Vater hatte ihm diese Einstellung gelehrt, und war deshalb auch in den höheren Kreisen als Liberaler verschrien gewesen, wenn nicht gar als Verräter. Höchstens der alte Montecuccoli und sein Freundeskreis hatten Verständnis für seine politischen Ansichten gehabt.
Es war kein leichter Weg für „Jim“ Riccioli gewesen, mit solch einem Erbe. Doch er hatte es geschafft und war der General des dritten Regiments geworden, welche die eisernen Falken genannt wurden. Eines von zwei Panzerregimentern und deshalb eine heiß begehrte Karrieremöglichkeit für viele junge Adelige. Er hatte es sich aus eigener Kraft verdient, seine Leistungen waren immer seine beste Empfehlung gewesen.

Deshalb widerstrebte es ihm umso mehr, dieser Anordnung Folge zu leisten. Sollte das sein Vermächtnis an die Zukunft sein? Der Panzergeneral, der eine Demonstration der Geknechteten mit Panzern niederwalzte? Er konnte es nicht, auch weil er die Motive der Demonstranten verstand. Seine Familie hatte seit Jahrzehnten immer wieder diese Anliegen in die Ständeversammlung eingebracht. Jetzt bekam man eben die Rechnung für Ignoranz und Überheblichkeit präsentiert. Ein Klopfen unterbrach seine Gedanken. Sein Adjutant trat ein. Er hatte ihn nach Empfang der Nachricht losgeschickt, um mehr über die ganze Sache zu erfahren.

„Also, Major! Was spielt sich da draußen ab?“ Schon am blassen Gesicht hätte er sich die Antwort denken können.
„Herr General, es herrscht absolute Konfusion. Wir haben versucht eine Nachricht zur Klärung unserer Order abzuschicken, doch die Kom-Frequenzen waren … blockiert. Wir konnten nur Funksprüche hören.“
„Und? Lassen Sie sich nicht alles aus der Nase ziehen. Jetzt sagen Sie schon, was Sie sich denken.“
„Es ist pure Anarchie, Sir. Das gesamte südliche Habitat-Viertel ist außerhalb unserer Kontrolle. Unsere eigenen Kräfte haben sich auf Linie rund um die inneren Bezirke zurückgezogen.“
Riccioli faltete die Hände über seinen Kopf und atmete aus. In diesem Moment wünschte er sich etwas anderes, als General zu sein. Doch er wusste, dass er keine Wahl war. Die Uniform die er trug erinnerte ihn, dass er einst einen Eid geschworen hatte.
„Major! Lassen Sie die die erste Brigade ausrücken. Die zweite Brigade soll sich in Reserve halten und ….“

Eine Explosion unterbrach ihn. Der Major stand fassungslos da und deutete mit seiner Hand auf das Fenster hinter Riccioli. Riccioli drehte sich um und sein Gesicht erstarrte in einer Maske aus blankem Entsetzen. Im Innenhof erschütterte eine Explosion nach der anderen. Jeder Feuerball ließ einen der geparkten Panzer in die Luft fliegen.
„Nein, Nein, oh Nein“, schrie Riccioli immer lauter werdend, als sich einige Gestalten dem Fenster näherten und einen brennenden Gegenstand hindurch warfen. Augenblicke später stand alles in Flammen. Alles, was Riccioli im Sterben hörte, war ein frenetischer Jubel, bei dem immer wieder ein Wort wiederholte wurde.
„Bluthorde. Bluthorde. Bluthorde.“
***

„Es sind zu viele! Das ist Wahnsinn! Das ist purer Wahnsinn!“
Ein Offizier der Adeptus Arbites, kurz bevor der Kontakt zu seiner Einheit abbrach.


Ein ungleiches Paar stand an einem Hügel und beobachtete die Stadt, während die hereinbrechende Nacht bereits fast ihren Siegeszug vollendet hatte. Die Feuer in den südlichen Vierteln erhellten die Umgebung und die brütende Stille verstärkte nur den Eindruck auf die beiden Beobachter.
„Was tun wir jetzt?“, fragte Loren, während er sich ungeduldig an seinem rechten Arm kratzte, als könnte er nicht mehr ertragen. Der Schein des Feuers verlieh seinem gestählten Körper nur eine noch gefährlichere Aura. Wenn sein Begleiter besorgt war, so ließ er es sich nicht anmerken. Auch das Licht der brennenden Stadt vermochte nicht das Dunkel der Kapuze zu durchdringen.
„Wir gehen weiter vor, wie geplant. Hast du alles über das erste Ziel erfahren Loren?“
Statt einer Antwort überreichte ihm der Gefragte eine Datentafel, die dieser sorgsam zu studieren begann.
„Keinen Hund? Tut mir Leid Loren, dann wird es dir wohl weniger Freude bereiten“, sagte der Vermummte schließlich mit einem sarkastischen Unterton. Loren wollte gerade antworten, als eine gewaltige Explosion den Nachthimmel schlagartig komplett erhellte.
„Was war das“, fragte er schließlich perplex. Der kleinere Mann drehte sich um, und nun konnte auch Loren Besorgnis in der Stimme seines Gegenübers hören.
„Sieht so aus, als würde es nicht wie geplant laufen.“


Signale jaulten hoch, und Montecuccoli schreckte aus seinem Halbschlaf hoch.
„Was ist passiert?“, fragte er einen Offizier, der hektisch an einer Station stand und Daten auf einem Bildschirm betrachtete.
„Sir, es sieht so aus, als wären die Raffinerien ausgefallen. Wir bekommen keine Meldungen mehr von dort.“
Montecuccoli packte den Mann in seiner Erregung an der Brust und herrschte ihn an:
„Was soll das heißen, Mann? Versuchen Sie jemanden zu erreichen!“

Der Offizier stammelte nur einige Worte und Montecuccoli wurde klar, dass sein eigenes Verhalten kontraproduktiv war. Innerlich schämte er sich dafür. Er war Angehöriger des Adels, und hatte sich vor seinen Untergebenen zu einer unkontrolliertem Aktion hinreißen lassen! Er ließ den Mann los und setzte sich wieder auf seinen Sessel. Montecuccoli sah sich im Kommandoraum um. Überall blickte er in gereizte und übermüdete Gesichter. Die letzten Stunden waren sehr anstrengend gewesen. Die Astropathen hatten die ganze Zeit gestöhnt und immer wieder dieselben Worte von sich gegeben. Diese grauenhafte, nicht abstellbare Monotonie hatte erheblich zur schlechten Stimmung unter den Anwesenden beigetragen. Es war ihm fast wie eine Erlösung vorgekommen als die beiden Astropathen schließlich Blut gespuckt und ohnmächtig zusammengesackt waren. Auch wenn es Montecuccoli innerlich beunruhigte, dass irgendeine telepathische Übertragung auf diesem Planeten so etwas zustande bringen konnte. Doch er hatte versucht, seine Furcht so gut es ging zu verbergen. Die drei Space Marines dagegen, die sich auch im Kommandoraum aufhielten, schienen jedoch von der ganzen Sache unberührt zu bleiben. Ihre versteinerten Mienen zeigten eine Entschlossenheit, in der Angst keinen Platz zu haben schien. Allein der Anblick der drei Giganten, einer Schöpfung des erwählten Imperators, hatte eine beruhigende Wirkung auf die Männer. Auch Montecuccoli ging es so. Jedes Mal wenn er das edle Gesicht von Quintillian ansah, wurde ihm klar, welche Mächte und Gewalten auf ihrer Seite standen. Welche Macht des Universums konnte es schon mit den Elitekriegern der Menschheit aufnehmen?
 
So, entschuldigt mein längeres Schweigen. Der Dezember hatte sich für mich zu einem ereignisreichen Monat entwickelt.^^

Ich habe die letzten vier Teile am Stück gelesen und war jetzt fast schon traurig, als ich fertig wurde. Ich könnte jetzt locker noch einen fünften und sechsten Teil lesen. Sowohl Scaevola (dessen Verhalten endlich an Tiefe und Glaubwürdigkeit gewonnen hat), als auch Montecuccoli sind wieder mal perfekt in Szene gesetzte Charaktere, dagegen ist die "Bluthorde" mir in ihren Ambitionen eigentlich zu plump als Gegner.
Etwas Kritik muss ja sein und so möchte ich fast schon sagen, dass das Chaos in seinen vorhersehbaren Motiven als Gegner deinen genialen Protagonisten unwürdig ist.
Jetzt aber zurück zum Lob.
Die Übertragung der späten Habsburgermonarchie ins Warhammeruniversum ist mit den letzten Teilen noch authentischer geworden; so kann ich mich sogar damit abfinden, von "Össis" zu lesen😛. Zur Figur "Lohner" stehe ich übrigens noch neutral gegenüber. Wenngleich er eine Art Protagonist sein soll, machen seine Teile doch kein solch großes Lesevergnügen wie die der (darf ich das so sagen?) tatsächlichen Protagonisten. Vielleicht hatte er aber auch einfach noch zu wenig "Screentime". Nichtsdestotrotz ist die Figur im Kontext der Handlung nachvollziehbar. Ich hoffe allerdings, dass deine wichtigsten Figuren in ihren Handlungssträngen zusammenfinden, sprich sich in der Abwehr des Chaos zeitweise ein übergeordneter Handlungsstrang ergibt. Vor allem der Wechsel zwischen Scaevola und Lohner wirft mich immer für einen kleinen Moment raus, sodass ich mich orientieren muss. Vielleicht sind mir die Figuren in ihrem möglichen Handlungshorizont aber auch einfach zu ähnlich. Zwei Soldaten abseits der Generalsränge haben auch nicht mehr Einfluss als einer. Letztlich sind eben beide Befehlsempfänger.

Und wie alt ist Montecucolli eigentlich? Ich habe zuerst gedacht er seit in den späten Vierzigern, kam eben so rüber, dann heißt es aber er hätte die Dreißig nicht vollendet. Nebenbei leben die höheren Klassen im Imperium sowieso länger, somit auch 40 bis 50 noch als relativ jung vertretbar wäre.

Und wenn mein Geschreibsel irgendwie an Zusammenhang vermissen lässt, sag ich mächtig sorry :lol:. Ich werde nebenbei gerade zugelabert.
 
Haha der Großmeister, er lebt!! Der Seitenhieb auf meine Landsleute sei ihm verziehn, diesesmal.

Sag was hast du an der Bluthorde zu bekritteln? Ich finde es ist eine gute klischeehafte chaosinvasion wie aus dem lehrbuch, durchschaubar aber wenn man sie erkennt meistens viel zu spät. (Ich konnte ihm den seitenhieb wohl dich nicht vergeben XD )
 
Haha der Großmeister, er lebt!! Der Seitenhieb auf meine Landsleute sei ihm verziehn, diesesmal.

Sag was hast du an der Bluthorde zu bekritteln? Ich finde es ist eine gute klischeehafte chaosinvasion wie aus dem lehrbuch, durchschaubar aber wenn man sie erkennt meistens viel zu spät. (Ich konnte ihm den seitenhieb wohl dich nicht vergeben XD )

Ich kann dich beschwichtigen, dass ich Hesse bin. Im Gegensatz zu den Preußen sind meine Seitenhiebe in eure Richtung eher pro forma anzusehen:lol::lol:.


Du hast meine Kritik an der Bluthorde eben selbst wiederholt. Eine klischeehafte Invasion des Chaos. DIe muss man zwar auch erstmal entdecken, aber die Antagonisten sind den genialen Protagonisten des Kameraden Scaevola (ich meine diesmal den Herrn Autor und nicht die Figur😛) doch nicht gewachsen. Er kann und soll uns natürlich zeigen, wie seine glorreichen Imps die Chaoten von ihrer Welt jagen, ich wollte eher einen unscheinbaren Wink in Richtung einer möglichen dritten Geschichte mit diesen Protagonisten geben, da raffiniertere Gegner zu verwenden, wo Montecucolli und co nicht nur gegen schiere Massen und Fanatismus anzukämpfen haben, sondern gegen Finten und Intriegen. Also Eldar oder Tau oder Dark Eldar. Montecuccoli wird zwar als Genie und Nachfolger des als Genie bezeichneten Ulrich von Horn geführt, aber die Genialität im militärischen Handwerk muss uns pingeligen Lesern erstmal demonstriert werden😛😛.

>Insert Össi Seitenhieb<

Wie hieß nochmal der Chaosgeneral in dieser Geschichte?
 
Jenseits des Imperiums liegt das Grauen!
Der Gedanke war wieder gekommen, nachdem sich Scaevola in der Bar geprügelt hatte. Er hatte ihn durch die Straßen getrieben, wie ein Rudel Wölfe ein junges Reh.
Vielleicht lag es auch an der Menge des konsumierten Alkohols. Oder einer Mischung aus beiden, dachte sich Scaevola, bevor er durch die vertraute Seitentür wieder das Anwesen des Grafen betrat. Obwohl der Alkohol seine Sinne beeinträchtigte, sondierte Scaevola vorsichtig seine Umgebung. Eine alte Angewohnheit, die ein Soldat nie mehr loswerden konnte.

Wie diesen Gedanken, schoss es ihm hämisch durch den Kopf. Er spielte mit der Idee, sich der Ekklesiarchie zu stellen. Denn das, was in seinem Verstand vorging, konnte nicht mehr normal sein. Vielleicht hatten sie eine Heilmöglichkeit. Notfalls würden sie ihm zu einem willenlosen Werkzeug des Imperiums machen. Aber alles war bessern, als der Ist-Zustand. Bedächtig und ein wenig schwankend schlug Scaevola den Weg zum Haus seiner Familie ein. Ein weiterer Ort, den er nie wieder betreten konnte. Das Haus war leer, und ein Teil von Scaevola atmete erleichtert auf. Er ging in sein Zimmer und begann die Sachen einzuräumen, die er erst vor ein paar Tagen ausgepackt hatte. Irgendwie war es ein Sinnbild seines Lebens. Es war ein stetiger Wandel, und jede Sicherheit hatte er sich selbst zerstört. Scaevola schrak aus seinen Gedanken hoch, als eine Stimme hinter ihm erklang. Ein Mann in der Hausuniform der Montecuccolis stand vor ihm.
„Herr Major? Der Graf wünscht sie zu sprechen!“


***
Die Dunkelheit hatte ihre Vorteile, und sie war ihm stets hold gewesen. Mit Befriedigung begrüßte er ihre allumfassende Umarmung. Hinter sich konnte er die schlagenden Herzen seiner Anhänger förmlich hören. Diese Idioten würden noch alles verderben, wenn sie weiter so einen Lärm veranstalteten. Mitaugor beruhigte sich wieder, als er sich bewusst machte, dass nur sein überlegenes Gehör das Schnaufen und das Echo der Schritte so deutlich wahrnehmen konnte. Außerdem war er unmöglich, dass diese ignoranten Sklaven des falschen Imperators seine Pläne durchschauten. Diese Würmer waren zu sehr mit den Vorgängen an der Oberfläche beschäftigt. Keiner würde die Zeit haben, die Tunnel unter der Stadt zu inspizieren. Diese Narren hatten immer noch keine Ahnung! Wie kleine unmündige Kinder, die sie eindeutig waren, reagierten sie genau so, wie es Mitaugor von ihnen erwartet hatte. Irgendwie bedauerte er es, dass unter seiner Beute nicht einen halbwegs würdigen Gegenspieler gab. Doch wer von ihnen könnte sich auch mit jemand messen, der aus über tausend Schlachten siegreich hervorgegangen war und der schon Jahrtausende existierte? Er blickte zurück, ohne sein Tempo zu verlangsamen und erfreute sich an dem Bild. Seine überlegenen Augen konnten die unzähligen Gestalten wahrnehmen, die versuchten ihm möglichst schnell zu folgen. Mitaugor zog die Luft in seine riesigen Lungen ein. Es roch nach Sieg!

***
Seine Sicherheit war schon längst wieder verflogen. Klaren war immer noch abwesend, um den Gouverneur zu suchen. Wellersheim war seit Beginn der Krise unauffindbar. Und durch den totalen Ausfall der Kommunikationswege war auch der Kontakt zum Marschall abgebrochen. Es war nur ein kleiner Trost, dass die Gardeeinheiten ihren Platz in der Verteidigungsstellung eingenommen hatten. Zumindest alle bis auf das dritte Regiment. Von den eisernen Falken fehlte bisher jede Spur. Und wenn Montecuccoli zur Funkstation und dem hektischen Treiben dort hinsah, bezweifelte er, dass in absehbarer Zeit eine Nachricht von General Ricciolis Einheit kommen würde. An der Verteidigungslinie hatte es nur noch kleine Scharmützel gegeben, die aber wieder schnell legten. Die anderen Mitglieder des Generalstabes hatten dies als ein Anzeichen für das Ende des Aufstandes gefeiert. Montecuccoli sah dies anders. Auf Mitanni Sigma hatte er schon ähnliche Situationen erlebt. Seiner Meinung nach war es punktuelles Abtasten nach Schwachstellen um einen Angriff vorzubereiten. Als er seine Meinung mitgeteilt hatte, war die Reaktion eindeutig gewesen. Die anderen Stabsoffiziere hatten ihn mit einem Lächeln bedacht. Innerlich wurmte es Montecuccoli immer noch! Er war von Schreibtischoffizieren ausgelacht worden. Doch die Sache hier war anders! Montecuccoli war der einzige Anwesende mit echter Kampferfahrung.

Eine Stimme unterbrach seine Gedanken.
„Herr General! Wenn Sie sich bitte diese Nachricht ansehen würden.“
Montecuccoli nahm die Datentafel und erstarrte, nachdem er die ersten Zeilen durchgelesen hatte.
„Ist die Meldung bestätigt?“, fragte er sein Gegenüber.
„Jawohl!“, antwortete der Soldat mit einem traurigen Tonfall, „General Ricciolis Regiment wurde vernichtet. Die Meldung kam erst vor wenigen Minuten, aufgrund der Interferenzen vollständig herein.“
Montecuccoli wollte gerade neue Befehle erteilen, als die Sirenen wieder zu läuten begannen. Er spürte, wie sich sein Magen verkrampfte. Was konnte nun noch Schlimmer laufen? Ein Blick auf die hololithische Karte belehrte ihn eines Besseren. Die roten Symbole waren wiedergekommen und griffen die imperialen Stellungen an. Im östlichen Teil des Verteidigungsringes war die Lage besonders ernst. Montecuccoli spürte eine Hand auf der Schulter.
„Wie ist die Lage, Reinhardt?“, sagte Marschall Klaren.
„Es könnte wirklich besser sein. Wo ist der Gouverneur?“ Montecuccoli konnte sich die Antwort denken. Im Stillen verfluchte er Wellersheim, der in so einer kritischen Lage wieder seine Unzuverlässigkeit bewies. Klaren zuckte mit der Schulter:
„Er ist wie vom Erdboden verschwunden. Was soll man sagen? Politiker! Soldat, Vergrößern sie Koordinate 4/X!“

Der Angesprochene befolgte den Befehl und Montecuccoli konnte nun auch die Beobachtung Klarens erkennen. Der angesprochene Sektor wurde vergrößert. Die rote und grüne Einheit splitterten sich in weitere Symbole auf. Nach einer weiteren Vergrößerung entsprachen die farbigen, blinkenden Runen einzelnen Trupps. Gerade eben gelangte eine rote Einheit in die Flanke der grünen Linien. Eine grüne Rune verlosch endgültig, andere verließen die Stellungen, zwei weitere Trupps wurden beim Rückzug vernichtet. Entsetzensschreie ertönten im Kommandoraum als die Anwesenden dies mit ansehen mussten. Aus Montecuccolis Gesicht wich das Blut aus den Adern, als er den Namen des Regimentes sah, dass so einen herben Rückschlag erlitten hatte: IV. AUTRIANISCHES GARDEREGIMENT. Es traf ihn mitten ins Herz. Wie viele der Toten hatte er persönlich gekannt? Klaren drehte sich zu ihm um.
„Na los, gehen Sie schon. Wir kommen hier zurecht“, sagte er die für Montecuccoli so erlösenden Worte.
„Wir würden uns gerne anschließen, General“, ertönte die volle Stimme von Quintillian. Montecuccoli nickte nur. Er wollte gerade aufbrechen, als ihm einfiel, dass er noch etwas in der Hand hielt.
„Marschall?“
„Was ist denn noch Reinhardt?“
„Es geht um Riccioli. Ich weiß, sie waren Kameraden an der Akademie. Er ist, … nun er ist gefallen. Es tut mir leid, Sir.“
Klaren nahm die Datentafel von Montecuccoli entgegen und senkte seinen Kopf. Montecuccoli konnte nur erahnen, wie es seinem Vorgesetzten nun ging. Klaren und Riccioli waren enge Freunde und Weggefährten gewesen. Vielleicht war der Schmerz dem ähnlich, den er vorher beim Anblick des Angriffes auf sein Regiment empfunden hatte. Schließlich hob Klaren wieder seinen Kopf. Montecuccoli konnte in die Augen sehen, die mit Tränen angefüllt waren.
„Los Reinhardt! Und verhindern Sie, dass noch mehr gute Männer sterben!“
 
Sowohl Scaevola (dessen Verhalten endlich an Tiefe und Glaubwürdigkeit gewonnen hat), als auch Montecuccoli sind wieder mal perfekt in Szene gesetzte Charaktere, dagegen ist die "Bluthorde" mir in ihren Ambitionen eigentlich zu plump als Gegner.

Ja, Danke für das Kompliment einerseits. Andererseits gebe ich Dir Recht. Die Bluthorde selber ist nicht der Antagonist, den ich vorgesehen habe (deshalb die fehlende Tiefe). Das so was Dir, als alter Renegat sauer aufstößt, kann ich nachvollziehen. Aber mir als treuem Imperialen bleibt es ohnehin schleierhaft wie man dem Chaos angehören kann (außer geistiger Infantilität, Wahnsinn, etc.) 😛😉
 
Das so was Dir, als alter Renegat sauer aufstößt, kann ich nachvollziehen. Aber mir als treuem Imperialen bleibt es ohnehin schleierhaft wie man dem Chaos angehören kann (außer geistiger Infantilität, Wahnsinn, etc.) 😛😉


Aber, aber, mein Bester. Ich bin Separatist, kein Renegat. Ich habe mich vom Imperium abgewendet, doch dem Chaos bin ich nicht anheim gefallen...
Aber Wahnsinnig bin ich schon ein wenig.:lol::lol:

Den neuesten Teil lese ich morgen, hab heute schon den ganzen Tag Kopfschmerzen. Oder vielleicht später.
 
5.) Jenseits des Imperiums …

Scaevola betrat den Raum, der immer noch so wie in seinen Kindheitserinnerungen aussah. Es war immer noch dasselbe Mobiliar wie damals, doch zeigten sich daran keinerlei Spuren eines Verfalls, was ein eindeutiges Indiz für sorgsame Pflege war. Einfache klare Formen, ohne unnötige Verzierungen, wie bei der Fassade des Anwesens. Ein großer Tisch mit eingebauter Konsole vor dem ausladenden Balkon mit seiner langen Bleiglasfensterreihe. An der linken Wand das bis zur Decke reichende Bücherregal aus dunklem Walnussholz, welches die gesamte Seite einnahm. Am Kamin stand immer noch der große, beige Ledersessel, auf dem er als kleines Kind manchmal Platz nehmen durfte, um den Geschichten des Grafen zu lauschen oder einfach in das Feuer zu starren. An der Decke hing ein Fresko, auf dem der Imperator und Ullrich von Horn zu sehen waren, wie sie die Feinde der Menschheit durch die Sterne jagten.

Majordomus Lothar stand neben dem Sessel und beugte sich hinunter um der dort befindlichen Person etwas ins Ohr zu flüstern. An seiner feindseligen Miene konnte Scaevola entnehmen, dass es sich wahrscheinlich nicht um Komplimente handelte. Er erinnerte sich daran, dass Lothar immer der große Gegenspieler seines Vaters gewesen war, aufgrund ihrer verschiedenen Ansichten über die Führung des Komitats. Lothar nun hier zu sehen, ließ Scaevola auf keine entspannte Atmosphäre hoffen. Doch er sollte eines Besseren belehrt werden.
Die sitzende Person drehte sich vom Feuer weg, und Scaevola konnte nun darin den alten Grafen erkennen. Er trug die Kennzeichen seines hohen Alters, Altersflecken, weißes Haar und runzlige Haut, doch seine Augen hatten nichts von ihrer Intensität verloren. Scaevola glaubte sogar für einen Moment, seinem Sohn General Reinhardt Montecuccoli gegenüber zu stehen. Doch der Schein währte nur einen kurzen Augenblick, denn es erhob sich ein alter, gebeugter Mann und nicht ein junger Athlet in der Blüte seiner Kraft. Scaevola konnte den Suspensorgürtel um die Hüfte des Grafen erkennen der ihm half, auf beiden Beinen zu stehen. Dennoch benötigte der Graf einen Stock um die Balance zu wahren. Der Graf musterte ihn kurz und bat ihn dann mit einer Handgeste näher zu kommen. Scaevola folgte der Aufforderung und registrierte Lothar, der sich drohend hinter ihm aufbaute um zu bedeuten, dass er alles überwachte. Die Vorstellung, dass der Majordomus glaubte, sich mit einem ausgebildeten Gardeoffizier messen zu können, rang Scaevola ein kleines Lächeln ab.
„Es ist schön dich zu sehen, Florjan“, begann der Graf mit so schwacher Stimme, dass Scaevola seinen Kopf beugen musste, um die einzelnen Silben verstehen zu können.
„Es ehrt mich, Exzellenz, dass Sie sich noch an mich erinnern“, antwortete Scaevola, wobei er aus seinem Gedächtnis rechtzeitig die korrekte Einleitungsfloskel gekramt hatte.
„Womit kann ich dienen, Excellenz?“, fragte er.
Die Augen des Grafen studierten ihn, so als könnten sie seine Gedanken lesen, Und so unwahrscheinlich war es nicht. Es gab immerhin die Technik dazu, Scaevola hatte dies auf der Schola Progenium einst gelernt. Es gab Sensoren für die Entschlüsselung und Dechiffrierung der Gehirnströme, die Gedanken entschlüsseln konnten. Wenn es im Raum solche Systeme gab, so ließ sich der Graf nichts anmerken. Vielmehr legte der Graf seine Hand auf Scaevolas Gesicht, so als würde er damit eine tiefere Einsicht erlangen können. Scaevola war zuerst perplex und wollte bereits reagieren, als der Graf zu sprechen begann.

„Man wollte dich exekutieren. Damals, gab es viele Stimmen, die sich für diese Lösung aussprachen.“ Scaevola warf einen Blick zum Majordomus und konnte sich an der feindseligen Erwiderung denken, für welchen Vorschlag dieser damals plädiert hatte. Der Graf fuhr fort, wobei er seine Hand von Scaevolas Gesicht nahm und sich stattdessen bei ihm einhakte.
„Doch ich konnte das nicht zulassen. Immerhin hatte ich dich seit deiner Geburt gekannt, und dich aufwachsen sehen. Und außerdem“, und bei diesen Worten nahm seine Stimme eine Unterton an, mit dem Großväter ihren Enkeln immer einen Witz erzählten, “waren mir immer die Männer lieber, die aufrichtig ihre Meinung sagten. Ich sah, dass du Potential hattest. Deshalb habe ich dich für die Garde vorgeschlagen. Ich wusste, dass du es zu etwas schaffen würdest. Und wenn ich dich so in deiner Offiziersuniform sehe, denke ich, dass es die richtige Wahl war. Und nun komm mein Junge, geleite mich auf den Balkon.“

Scaevola tat, wie ihm geheißen und bemerkte, dass Lothar im Raum zurückblieb. Kaum hatten sie den Balkon betreten, schien es, dass alle Schwäche vom Grafen abfiel. Seine Haltung war aufrechter in seiner Stimme lag Entschlossenheit anstelle der Schwäche.
„Florjan es gibt einen guten Grund warum ich dich habe rufen lassen. Es scheint etwas vorzugehen. Wir haben seit einiger Zeit keine Nachrichten mehr aus Quellstadt erhalten. Alle Möglichkeiten sind unterbrochen. Die letzten Meldungen berichten von einem lokalen Aufstand, doch ich glaube nicht daran. Es ist zuviel vorgefallen als ihr weg wart. Und ich bin schon zu lange auf der Welt, um mich täuschen zu lassen. Auch aus dem südlichen Kontinent kommen Meldungen über Unruhen. Außerdem zwickt mich mein Fuß schon seit geraumer Zeit, und der war bisher immer mein bester Warnsensor, wenn sich Probleme anbahnten.“

Der Graf holte eine Urkunde aus seiner Jackentasche und drückte sie Scaevola in die Hand.
„Dies ist eine Beglaubigung, die dir eine vorläufige Kommandostelle im 78. PVS-Regiment zuweist. Ihr reist noch heute Nacht nach Quellstadt, um die dortigen Kräfte zu unterstützen.“

Graf Montecuccoli machte eine Handbewegung und ein wartender Servitor kam herbeigesurrt. In seinen künstlichen Händen hielt er ein Tablett, auf dem ein längliches Bündel lag. Der Graf nahm die Verkleidung ab und enthüllte ein meisterlich gearbeitetes Energieschwert. Er war lang, vielleicht eineinhalb Meter. In die breite Klinge waren Szenen aus der Familiengeschichte der Montecuccolis eingearbeitet. Sie waren sehr klein, fast mikroskopisch, da die Montecuccolis einer langen Reihe bedeutender Staatsmänner und Offiziere abstammten. Besonders interessierte Scaevola das letzte Bild. Es handelte von den Leistungen des Mannes, der ihm gerade den Säbel überreicht hatte.

„Es wird in meiner Familie von Generation zu Generation weitergegeben. Ich bitte dich darum, es meinem Sohn zu bringen. Mein Herz befürchtet, dass er es in den kommenden Tagen benötigen wird“, sagte der Graf, wobei sich seine Augen mit Tränen füllten. In diesem Moment bedauerte Scaevola ihn. Er war ein Vater, der seinen Sohn in einer Gefahr wusste, ihm aber nicht selbst helfen konnte. Augenblicklich fiel ihm sein eigener Vater ein, der gestorben war, als er weit entfernt auf einem fremden Planeten um sein eigenes Überleben hatte kämpfen müssen.

Scaevola verbeugte sich und wollte gerade gehen, als der Graf noch mal zu sprechen begann.
„Und Florjan! Pass auch auf dich selbst auf!“
***

Mitanni Sigma war die Hölle gewesen. Bis jetzt zumindest. Lohner hatte dort die „grüne Flut“ erlebt. So hatten die Soldaten auf diesem vom Imperator vergessenen Planeten die orkoiden Xenos genannt. Eine Flut, die vor keinerlei Hindernis zurückgeschreckt war, selbst vor dem stärksten Sperrfeuer nicht. Doch gegen das hier, war Mitanni selbst ein Spaziergang. Es hatte schon viele Situationen gegeben, die Lohner für Aussichtslos gehalten hatte. Im Krieg war hatte er sich mit seinem Trupp einmal völlig verlaufen. Es war kurz vor einem Generalangriff seines Abschnittes gewesen und Lohner war mit seinen Männern in völlig freier Fläche herumgeirrt. Und es war nicht erstrebenswert, kurz vor dem Ausbruch eines solchen Spektakels auf dem Präsentierteller herumzuspazieren.

Doch das war nichts verglichen mit dem Wahnsinn hier. Sie waren als Ersatz und Verstärkung für die Arbites und PVS gekommen. Lohner hatte es gleich wissen müssen, als er vom Lastwagen gestiegen war und in die Gesichter der ausgelaugten Männer geblickt hatte. Er kannte diesen Gesichtsausdruck von Mitanni. Es war der Blick von Männern, die in den letzten Stunden durch die Hölle gegangen waren. Da hätte er sich denken können, dass das keine leichte Nummer werden würde!
Lohner fluchte und rammte eine neue Energiezelle in sein Gewehr, während er seinen Rücken fest an die Wand presste um nur ja kein Ziel für die Gegner abzugeben. Als ob die eigene Desorientierung nicht genug wäre, versuchten auch nun irgendwelche Rebellen sein Leben entscheidend zu verkürzen.

Typisch Richard! Wenn es eng wird, packst du den Komiker aus! Ein Schuss direkt neben seine Stellung unterbrach die Gedanken Lohners. Schnell riskierte er einen Blick, um sich besseren Überblick zu verschaffen. Belohnt wurde er dafür mit einer Salve aus Schüssen, die jedoch im Boden oder an der Deckung verpufften. Während das Adrenalin in seinem Körper abebbte, gab Lohner seinen hinter ihm wartenden Männern Anweisungen um den Gefechtslärm zu übertönen. Leutnant Wenden nickte und nahm sich vier Männer. Andere Truppmitglieder bildeten eine Räuberleiter und halfen Wenden und den Soldaten in die Fenster einzusteigen. Lohner sah zu, wie der letzte durch die Öffnung verschwand und ihm der Raketenwerfer nachgereicht wurde, dann konzentrierte er sich auf das Geschehen vor ihm. Seine Kompanie stand hier an der Häuserecke, oder das, was er davon hatte sammeln können. Auf der gegenüberliegenden Seite war ein Gebäude, in dem man den neuen Regimentskommandant Michaelis Klaren vermutete.
Doch wer kannte sich hier schon aus?
Nur mühsam konnte Lohner sich ein Kraftwort verkneifen, wenn er an das ganze Durcheinander hier dachte. Ein frischer Kommandant, der Zusammenbruch der Funkverbindung und die Tatsache, dass sein Regiment direkt aus dem Urlaub an die Front gebracht worden war. Allein der letzte Umstand hatte dazu geführt, dass ein Drittel der Männer sich nicht an den Mobilisierungspunkten eingefunden hatten. Wenn sogar Leute wie Scaevola fehlten, wie konnten dann Gardisten aus weiter entfernten Gebieten rechtzeitig einrücken?

Das Glück der 4. Garde war, dass das Gros ihrer Truppe direkt aus Quellstadt kam. Doch andere Regimenter hatte nur die Hälfte ihrer Kampfstärke. Lohner fragte sich ob das Oberkommando das berücksichtig hatte. Er hatte seine Zweifel und die wurden nur bestärkt wenn er in das gegenüberliegende Haus blickte. Lohner schätzte Klaren. Immerhin war „Klaren junior“, wie er in der Truppe genannt wurde, lange sein Bataillonskommandant gewesen. Doch das hieß noch lange nicht, dass man damit ein guter Regimentskommandant war. Lohner hatte immer schon den Eindruck gehabt, dass Klaren versuchte aus dem Schatten seines großen Bruders zu treten. Und nun war er zu weit vorne gewesen, als der gegnerische Angriff ihr Regiment überrascht hatte. Dadurch war die 4. Garde ohne ihre Führung. Montecuccoli wäre dieser Fehler wohl nicht unterlaufen.

Ein Knall unterbrach Lohner in seinen Gedanken. Er blickte mit seinem Kopf um die Ecke und sah ein riesiges Loch in dem Haus, aus dem sie beschossen worden waren. Eine zweite Rakete flog mit einem Donnern in die Fassade und richtete einen weiteren irreparablen Schaden in dem Gebäude an. Lohner gab seinen wartenden Männern ein Zeichen. Dann hechtete er los, um seinen Kommandanten zu finden. Oder was von ihm übrig war.
 
Montecuccoli blickte aus dem Rhino und seine Stimmung sank noch tiefer. Die Stadt war eine brennende Ruine, zumindest bekam man von hier diesen Eindruck. Riesige Rauchsäulen erhoben sich aus dem Süden der Stadt Aus den großen Raffinerien stiegen immer noch gewaltige Flammenzungen empor und beleuchteten die Nacht mir ihrem unheimlichen Licht. Montecuccoli kannte diese Kulisse von anderen Orten. Doch es war anders als früher, weil dies nicht irgendein fremder Planet war. Er war hier aufgewachsen, hatte hier seine Kindheit verbracht. Und nun lag seine Vergangenheit, der Ort seiner Herkunft in Trümmern. Und Menschen, die er persönlich kannte, waren in Gefahr verletzt zu werden oder sogar schlimmer.
„Es ist nicht leicht.“
Montecuccoli blickte nach hinten. Sergeant Quintillian stand hinter ihm und blickte ihn mit seinen stählernen Augen an. „Was meinen Sie, Sergeant?“
„Ich stelle mir vor, dass es schwer ist, wenn die eigene Heimat angegriffen ist. Wie geht es Ihnen damit?“ In der vollen Stimme des Astartes schwang ein Klang mit, in dem Montecuccoli zu seiner eigenen Verwunderung etwas wie Mitgefühl entnehmen konnte. Er hatte eigentlich nicht gedacht, dass ein Space Marine dazu fähig war.
„Ich habe gerade an meine Kindheit gedacht. Als Junge hat mich mein Vater oft mitgenommen, wenn ihn die Geschäfte nach Quellstadt geführt haben… Ich kann kaum glauben, dass dies dieselbe Stadt ist.“
Stille legte sich nach diesem Satz über die Beiden, bis Quintillian wieder zu sprechen begann und seine volle Stimme mühelos den Lärm des Motors übertönte.

„Ich habe euch normale Menschen immer bewundert!“ Bei diesen Worten wusste Montecuccoli nicht, wie er reagieren sollte Auf der einen Seite verletzte es seine patrizischen Gefühle, als ein normaler Mensch angesehen zu werden. Auf der anderen Seite konnte er sich nicht vorstellen, dass ein Astartes, einer der unsterblichen Krieger des Imperators, einen Sterblichen bewundern konnte. Ihr ganzes Auftreten und ihr Verhalten waren darauf ausgelegt zu betonen, dass sie nicht in den Sphären der normalen Menschen wandelten. Doch dieser Sergeant schien anders zu sein, zumindest nach Montecuccolis Beurteilung. Quintillian sprach weiter, sodass sich Montecuccoli nicht entscheiden konnte, welches seiner Gefühle die Oberhand erlangen konnte.
„Wir sind verschieden! Ein Astartes lebt für den Krieg. Meine Gene sind auf den Kampf ausgerichtet, mein Leben ist eine ständige Vorbereitung für die Schlacht. Der Codex unseres gesegneten Primarchens Guillaume stählt unseren Geist und unseren Körper um all den Gefahren des Universums zu trotzen. Wenn ich Menschen sehe, erblicke ich nur zerbrechliche Hüllen, die von der leichtesten Brise des Schicksals gebrochen werden können. Darum habe ich Respekt, dass sie trotz allem kämpfen. Sich der Gefahr zu stellen im Bewusstsein seiner Schwäche ist ein Zeichen von Mut. Wie hat es doch von Horn gesagt? Doch in all seinen Fehlern und Ängsten ist er ein gewaltiges Bollwerk gegen die Feinde des Imperiums.“

Der Sergeant beendete seinen Monolog und richtete seinen Blick auf die Luke, so als müsste er sich das Gesagte ebenfalls erst durch den Kopf gehen lassen. Montecuccoli schwieg ebenfalls und wandte sich wieder dem Geschehen außerhalb des Transporters zu. Je näher sie der Front kamen, umso sichtbarer wurden die Anzeichen dafür. Einige der mehrstöckigen Prunkhäuser wiesen Schäden in ihrer überladenen Fassaden auf, die man eindeutig auf Schusswechsel zurückfuhren konnte. Neben einem Haus konnte Scaevola eine Gruppe ausmachen, die sich hinter einer Barrikade verschanzt hatte. Einer der Männer drehte sich zu ihnen und hob die Hand um auf sich aufmerksam zu machen. Der Fahrer hatte dies offensichtlich bemerkt und änderte die Richtung, sodass Montecuccoli den Sichtkontakt zur Gruppe verlor. Mit einem harten Ruckeln stoppte der Rhino-Panzer und die Heckluke öffnete sich mit einem lauten Quietschen. Eine Gestalt trat an die Luke und Montecuccoli erkannte darin seinen ehemaligen Bataillonskommandanten, Major Klever. Klever hatte eine Verbandsschlaufe, in der sein rechter Arm lag. Der Schmerz stand ihm ins Gesicht geschrieben, und sein Wettergegerbtes Gesicht hatte eine blassere Farbe als sonst.
„Major Klever! Wissen Sie, wo sich der Oberst Klaren befindet?“
Der Major nickte nur auf die Frage des Generals, doch die grimmige Art wie er es tat, ließ Montecuccoli nichts Gutes erahnen. Von hinten kam Sergeant Quintillian mit seinen Männern und stieg aus dem Transporter aus, wobei sich die staunenden Blicke aller Männer auf sie richteten. Der Sergeant drehte sich zu dem General um und sagte.
„Wir sollten gehen General. Ich habe den Eindruck, dass uns nicht mehr viel Zeit bleibt!“

***

Hauptmann Lohner wählte seine nächsten Schritte sehr sorgfältig. Der Boden war bedeckt mit herabgefallenen Stücken der Deckenverzierung und Teilen, die man mit einiger Phantasie als Gegenstände für die Inneneinrichtung identifizieren konnte. Lohner konnte kaum glauben, dass dies noch wenigen Tagen eines der Prunkgebäude dieser Makropole gewesen war. Etwas in ihm fand bei diesem Anblick aber auf seltsame Weise gerecht, dass der Krieg keinen einen Unterschied zwischen Arm und Reich machte. Vor zwei Tagen war er noch an Häusern in den Elendsvierteln der Stadt vorbeigegangen, die ohne ein Gefecht einen ähnlichen Zustand aufwiesen.
War dies wirklich schon zwei Tage her? Für Lohner wäre es auch glaubhaft gewesen, wenn man hundert Jahre gesagt hätte. Der Krieg war eine andere Dimension, die alles anderen Erinnerungen in den Hintergrund verdrängte. Ein Soldat rief seinen Rang und Namen und Lohner folgte dem Ruf zu einer großen Doppeltür, durch die er hindurch ging.

Hatte Lohner schon vorher geglaubt, in einem zerstörten Haus zu sein, so fand er diese nur umso mehr bestätigt. Ein Großteil der Vorderseite war buchstäblich herausgesprengt worden, sodass man auf die Straße herunterblicken konnte, die den Frontverlauf bildete. In einer Ecke war eine Autokanone untergebracht, die beständig das gegenüberliegende Haus beharkte. Auf der anderen Seite standen und knieten mehrere Männer neben einem Verwundeten, der unter einem großen Stück der herabgefallenen Decke lag. Lohner näherte sich der Gruppe und sah, wie sich Hauptmann Fogler aus dieser löste und ihm entgegenkam.

Unwillkürlich musste Lohner daran denken, dass sein Freund Scaevola Fogler einmal im Scherz als die „Menschgewordene Variante eines Geiers“ bezeichnet hatte. Foglers Aussehen lud natürlich zu diesem Vergleich ein, besonders seine zu große schnabelartige Nase. Doch sein Charakter stand in krassestem Gegensatz zu seinem hässlichen Aussehen. Fogler war die gute Seele des Regiments, einfühlsam und höflich. Außerdem war er der beste Organisator, den man sich nur wünschen konnte. Und wer als Soldat schon einmal erlebt hatte, wie einem mitten im Gefecht die Munition ausging, der konnte ermessen, wie sehr man Foglers Fähigkeiten schätzte, die eben solche Pannen verhinderten.

An dem Ausdruck in Foglers Gesicht konnte Lohner erkennen, dass irgendetwas gewaltig schief gelaufen war. Lohners Blick wanderte zu dem am Boden liegenden Verwundeten und erstarrte in ungläubigem Entsetzen, als er das Gesicht erkannte. Vor ihm lag bewusstlos sein Kommandant, Michaelis Klaren. Mehrere Leute versuchten, die blutenden Wunden zu stillen, doch die rote Lache am Boden zeugte von ihrem Misserfolg. Bei diesem Anblick kamen Lohnen Tränen in den Augen, wodurch sein Blick verschleiert wurde. So konnte er die Gestalt nicht vollständig wahrnehmen, die durch die Tür herein trat und sich der Gruppe näherte. Erst ihre Stimme riss Lohner aus der Lethargie.
„Was ist hier geschehen?“, fragte sie, und Lohner spürte wie ein Funken Hoffnung aufkeimte, als er in dem Sprecher Montecuccoli erkannte.


Fassungslos blickte Montecuccoli die Szenerie an, die sich ihm bot. Er hatte mit einer schwierigen Situation gerechnet, doch nicht gedacht, dass es so schlimm stehen würde. Vor seinen Füssen lag Michaelis Klaren unter einem großen Brocken und blutete aus mehreren Wunden, die trotz aller Bemühungen der Sanitäter nicht aufhören wollten zu versiegen. Es war etwas ganz anderes die Folgen eines Rückzugs mit eigenen Augen zu sehen, als das Zurückweichen und Erlöschen von Symbolen auf dem hololithischen Bild im Kommandobunker.
Verlust hatte hier eine greifbare, persönliche Note und Montecuccoli spürte, wie sich der Schmerz von Neuem in ihm ausbreitete. Doch er wusste auch, dass es später eine Zeit dafür geben würde. Er wandte sich Fogler zu, der ihm mit einem gewissen Erstaunen anblickte fast so, als wäre nicht er, sondern eine der sagenhaften Heldengestalten des Imperiums eben zu Tür hereingekommen. Schließlich riss sich Fogler los und schaffte es mühsam Bericht zu erstatten. Und was er sagte, war auch nicht gerade hoffnungsvoll. Zwei Trupps waren vollständig ausgelöscht worden. Ein Großteil des Regiments war verstreut, zu manchen Segmenten hatte man den Kontakt verloren. „Klaren junior“ war gerade dabei gewesen, die Reorganisation zu befehlen, als er von der herabstürzenden Decke getroffen worden war.
„Und was machen wir jetzt mit Klaren“, fragte Fogler leise am Ende des Berichts.
„Wir müssten den Stein anheben um ihn anständig medizinisch versorgen zu können, doch wir haben nicht genug Kraft dafür und über eine geeignete Maschine verfügen wir nicht.“
Auf Montecuccolis Lippen spielte sich ein kleines Lächeln, als er seine Antwort formulierte.
„Mein Lieber Freund. Mir scheint, ich habe die richtige Lösung dafür mitgebracht.“

***

Lohner schien es, als würde er heute nicht mehr aus dem Staunen herauskommen. Erst vor einigen Minuten noch hatte es so ausgesehen, als würde ihr aller Ende unerbittlich näher kommen. Doch dann war ihr ehemaliger Kommandant gerade am Tiefpunkt, wie in den Geschichten aus seiner Kindheit, auf den Plan getreten, und Lohner hatte wieder etwas Hoffnung geschöpft. Immerhin hatte sie der General sicher durch die Hölle von Mitanni gebracht. Und als er so den General sich mit seinem ehemaligen Adjutanten besprechen sah, verspürte er zum ersten Mal seit einiger Zeit wieder Zuversicht das alles hier zu überstehen. Es hatte etwas ungemein beruhigendes, diesem eingespielten Team bei der Arbeit zuzusehen. Und nun waren, einige Augenblicke nachdem der General etwas in sein Kommgerät gemurmelt hatte, drei Space Marine in den Raum gekommen! Drei echte Space Marines in ihren blau-weißen Rüstungen. Ein jeder von ihnen überragte Lohner um mehr als eine Kopflänge und in ihrer Aura lag etwas ungemein Ermutigendes. Lohner dankte dem Imperator dafür, dass diese gigantischen Krieger auf ihrer Seite standen. Der Gedanke, dass solche Kampfmaschinen vielleicht ihr Gegner sein konnten, ließ ihn frösteln. Sein Dank wuchs noch mehr, als er sie in Aktion sah. Der General hatte einen von ihnen, offenbar den Anführer gefragt, ob sie mit diesem Stein fertig werden würden.

Der Mann hatte mit einem Lächeln auf den Lippen geantwortet, dass das kein Problem sei. Diese Stimme! Obwohl der Space Marine mit normaler Lautstärke gesprochen hatte, war sie Lohner durch Mark und Bein gegangen. Wie es sich wohl anhören und fühlen musste, wenn diese Krieger im Schlächtenlärm vor Erregung brüllten. Der Marine hatte seinen beiden Gefährten Anweisungen und sich dann mit ihnen ans Werk gemacht. Sie hatten ihre gewaltigen muskulösen Arme angespannt. Sehnen, so dick wie Kabelstränge, traten hervor und ihre gewaltigen Brustkörbe hoben und senkten sich unter der Anstrengung, doch schließlich hatten sie den Brocken auf die Seite gehoben. Lohner konnte kaum glauben, was er eben gesehen hatte! Einen Stein, an dem mehr als ein Dutzend Männer gescheitert war, hatten diese drei Krieger angehoben. Insgeheim sandte Lohner noch ein weiteres Dankgebet zum Imperator, dass diese drei Giganten auf ihrer Seite waren.
 
Montecuccoli blickte auf den zertrümmerten Körper von „Klaren junior“ und fühlte wie im dabei der Inhalt seines Magens hochkam. Er wunderte sich, wie die Sanitäter damit fertig wurden, die nun fieberhaft begannen, die Quetschwunden mit Verbänden zu behandeln. Als sie fertig waren sandte Montecuccoli einem von ihnen einen fragenden Blick zu. Der Sanitäter sah es und nickte. Mit Erleichterung nahm er auf, dass Klaren durchkommen würde, obwohl er Angesichts der Anzahl von Verbänden erkannte, dass dies kein leichter Heilungsprozess werden würde. Nun galt es, sich um andere Dinge zu kümmern.

„Meine Herren!“
Fogler reagierte, ebenso wie Sergeant Quintillian und andere anwesende Offiziere, auf die Einladung zur Befehlsplanung. Montecuccoli legte eine Karte auf einen leicht ramponierten Tisch, während sich um ihn der Kreis schloss.
„Ich habe Major Klever bereits in meine Strategie eingeweiht und losgeschickt, um Verbindung zu anderen Elementen des Regiments aufzunehmen. Wir werden an den von mir markierten Stellen die Schwerpunkte unserer Verteidigung errichten! Aufgrund unserer unterbrochenen Kom-Verbindungen müssen wir alle anderen Häuser auf unserer Seite zerstören um einen besseren Überblick, sowie ein freies Schussfeld zu haben.“ Es regte sich kein Widerspruch, doch Montecuccoli konnte an den Gesichtern einiger Offizier erkennen, dass ihnen nicht wohl bei dem Gedanken war, die Häuser der eignen Stadt in Schutt und Asche zu legen.
„Ich weiß meine Herren, dass manche bei diesem Schritt Bedenken haben, doch uns bleibt keine andere Wahl! Ansonsten riskieren wir, dass feindliche Truppen unbemerkt durch den Verteidigungsring schlüpfen könnten, um uns in den Rücken zu fallen!“
„Aber überschätzen wir damit nicht den Gegner? Wir haben es doch immerhin mit nicht ausgebildeten Rebellen zu tun, die zu solch komplexen Manövern nicht fähig sind“, warf ein Offizier ein. Montecuccoli blickte jeden einzelnen der Runde an, bevor er seine Antwort sehr sorgfältig formulierte.
„Ich denke, sie alle haben in den letzten Stunden viel besser als ich erfahren, wozu unser Gegner in der Lage ist. Schärfen sie ihren Männern ein, den Feind nicht zu unterschätzen! Ich habe noch mit Marschall Klaren vor meiner Abfahrt gesprochen. Wir müssen diese Stellung halten. Wir haben keinerlei Kontakt zu Einheiten außerhalb der Front, vor allem nicht zur 3. Garde, auf deren Verstärkung vielleicht einige gehofft haben. Wenn wir hier Siegen wollen, dann nur aus eigener Kraft. Erinnern sie die Männer daran, was sie bereits hinter sich haben und wozu sie in der Lage sind! Auf geht’s. Wir haben noch viel zu tun!“

***
Jenseits des Imperiums liegt das Grauen!

Es ist nur ein Gedanke, nicht mehr! Doch so sehr sich Scaevola auch dies einredete, wusste er, dass dies nicht stimmte. Dieser Impuls in seinem Gehirn war ein Symbol für das, was in seinem Leben schief gelaufen war. Er hatte sich selbst immer der besten Chancen beraubt und sich damit buchstäblich in die Scheiße geritten. Der Krieg auf Mitanni war auch nicht mehr als eine Flucht vor seiner verkorksten Vergangenheit gewesen. Keine freiwillige Entscheidung aber auch eine Möglichkeit, seine persönlichen Probleme hinter sich zu lassen, ohne sie zu lösen. Das hatte sich gerächt! Fast kam es ihm so vor, als hätte das Schicksal nur seinetwegen all die Ereignisse der vergangenen Tage ausgelöst. Fast so, als müsste er noch mehr für die Verfehlungen seiner Vergangenheit büßen.

Der alte Graf hatte definitiv nicht gelogen, als er ihm zu einem „neuen“ Regiment zugewiesen hatte. Ein Blick durch den Laster bestätigte dies. Lauter unerfahrene, junge Männer, für die Krieg ein abstraktes Phänomen weit außerhalb ihrer eigenen Erlebniswelt war. Bei den Offizieren stand es auch nicht besser. Mit einigem Entsetzen hatte Scaevola festgestellt, dass er der einzige Mann im Regiment war, der bereits über Kampferfahrung verfügte. Deshalb hatte er sich auch hinten in den Laster gesellt und einem jungen Soldaten den Platz vorne neben dem Fahrer überlassen. Er wollte durch seine Anwesenheit seinen Männern eine emotionale Stütze bieten. Immerhin konnte er sich noch vage an seinen ersten Einsatz erinnern. Und die Gefühle von damals wünschte er nicht einmal seinem schlimmsten Feind! Der Soldat ihm gegenüber, ein junger Kerl mit rotblondem Haar von vielleicht neunzehn Jahren, sprach ihn an.
„Jenseits des Imperiums liegt das Grauen!
Scaevola schüttelte den Kopf, um wieder zu klarem Verstand zu kommen. Der Soldat wiederholte seine Bemerkung und Scaevola strengte alle seine Sinne an, um ihn dieses Mal zu verstehen.

„Sir, was ist das?“
Scaevola drehte seinen Kopf aus dem Laster, um zu sehen, was der Soldat sah. Auch hier hatte der alte Graf nicht gelogen! Scaevola sah die nächtliche Silhouette von Quellstadt. Im Süden brannten gewaltige Feuer, die der Stadt eine gespenstische, bedrohliche Beleuchtung verliehen. Scaevola stand auf, um einen besseren Überblick zu bekommen und erkannte, dass wohl im ganzen südlichen Habitat riesige Feuer am Brennen waren. Mit einem Knirschen hielt der Laster an und Scaevola musste sich an der Deckenstrebe festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Er blickte nach vorne, entlang ihrer Kolonne, und entdeckte eine kleine Gruppe von Menschen neben dem Führungsfahrzeug, die sich angeregt unterhielten. Scaevola gab Anweisungen und sprang aus dem Laster um der Gruppe entgegen zu gehen.

Vorne angekommen, sah Scaevola, dass die Gruppe aus dem Regimentskommandanten, seinem Stellvertreter, sowie zwei ziemlich übel aussehenden Männern bestand. Zu seinem Entsetzen musste er feststellen, dass die beiden Angehörige der „eisernen Falken waren“. Ihre Uniform war an mehreren Stellen verbrannt und sie wiesen auch mehrere Wunden im Gesicht und an den Armen auf. Der Regimentskommandant nickte Scaevola zu.
„Kommen Sie näher, Hauptmann! Diese beiden Soldaten sind Überlebende des dritten Garderegiments.“
Überlebende! Allein bei diesem Wort schossen Scaevola panische Gedanken durch den Kopf. Wie es wohl seinem eigenen Regiment ging? Was erwartete sie, wenn sogar ein vollständiges Panzerregiment von den Aufständischen vernichtet werden konnte? Als ob er seine Gedanken lesen konnte, fuhr der PVS -Kommandant fort.
„Die Zentralkaserne ist gefallen. General Riccioli ist vermisst. Die beiden Soldaten haben uns jedoch von etwas berichtet, dass unsere Aufmerksamkeit erlangt hat!“
Nach einem aufmunternden Nicken seitens des Offiziers begann schließlich einer der Überlebenden.
„Wir haben sie beobachtet, wie sie so ein Ding in die Kaserne gebracht haben! Es hatte viele Knöpfe und Schalter und wir hörten Stimmen daraus …“
Der PVS –Kommandant wandte sich an Scaevola
„Was glauben Sie, was das für ein Ding ist? Haben Sie so etwas schon einmal auf ihrem Feldzug auf Mitanni Sigma gesehen.“
Augenblicklich wurde Scaevola die Situation klar. Ein ranghöherer Offizier wandte sich an ihn, weil er über mehr Erfahrung verfügte. Scaevola konnte förmlich den Druck spüren, der ihm damit aufgebürdet worden war. Das Schicksal eines gesamten Regiments lag nun auf seinen Schultern. In diesem Moment beneidete er Kommandeure wie Montecuccoli nicht mehr, die jeden Tag mit solchen Entscheidungen konfrontiert waren. Sehr sorgfältig wählte Scaevola die folgenden Worte.
„Ich denke, Herr Oberst, wir sollten uns dieses Ding mal genauer ansehen!“