4.) Der Sturm
In einem viereckig angelegten Gebäude mit Innenhof schien alles noch so verlassen zu sein, wie seit langem. Einige Ebenen unterhalb des Bodens war der geräumige Saal jedoch dicht gefüllt mit Menschen unterschiedlichster Herkunft. Maron Mitaugor lächelte in sich hinein, als er den Raum betrat und die stickige Luft einatmete. Er konnte die darin pulsierende Bosheit spüren, die anscheinend eine neue, unentbehrliche Komponente für den Sauerstoff bildete. Mitaugor wusste, dass es zumindest bald so sein würde. Sein Wille würde überlebensnotwendig für diese Welt werden. Dieser Planet würde nur für ihn existieren, ein Manifestation seiner Macht, die eine ewige Botschaft in die Weiten des Alls verkünden, so alt wie die Zeit selbst. Ein Zeichen seiner Macht und Stärke, und die seiner Legion, den erwählten Alpha Marines. Dies war der Tag. Das Datum, mit dem die neue Zeitrechnung beginnen würde. Sein Blick schweifte über die Menge und fiel auf Nummer eins und zwei, die pflichtschuldig und ehrfürchtig ihre Köpfe beugten, als sie seinen blick auf ihnen spürten. Wieder konnte sich Mitaugor ein Lächeln nicht verkneifen. Nummer eins hatte sehr schnell nach dem Vorfall seinen wahren Platz kennen gelernt. Nicht dass dieser Emporkömmling eine Gefahr für ihn, den Sieger von Tausend Schlachten bedeutete.
Aber es war so lästig, sich mit Ungeziefer zu beschäftigen, während die Beute zum Greifen nah war. Mitaugor ging durch die Gasse der Menge, stets flankiert von seinen Marines. Er setzte sich auf den bereitgestellten Thron. Dann sagte er einen einzigen Satz, aber der enthielt eine fürchterliche Drohung für diese Welt.
„Willkommen meine Söhne in der Bluthorde.“
Aber vielleicht lag es auch an seinem Büro, in dem sich nur noch die restlichen Akten in großen Boxen befanden. Sein Tisch und alle Schränke waren leer geräumt, der Großteil seines Materials war schon in seinen neuen Räumen im Divisionskommando. Es war ein deprimierender Anblick für Montecuccoli, als er so im Halbdunkel des Zimmers stand. Es wunderte ihn, dass er diese Räume bereits jetzt so vermisste. Immerhin stand ihm der große Karrieresprung bevor! Jüngster Divisionskommandant seit Ullrich von Horn, und er hatte noch nicht einmal die dreißig Jahre überschritten.
Seine Zukunft lag buchstäblich in den Sternen.
Klaren hatte in den letzten Tagen schon mehrmals angedeutet, dass seine Leistungen nicht nur auf Nova Autria, sondern auch im Segmentum-Kommando bereits für Aufsehen sorgten. Vor seinem geistigen Auge konnte er bereits die Uniform eines Feldmarschalls sehen. Nur wenige Offiziere pro Segmentum wurden dazu befördert, die Chancen waren minimal, nahezu unwahrscheinlich.
Doch Montecuccoli war zuversichtlich. Sein Studium an der Akademie zeigte eine Gemeinsamkeit all dieser Erwählten. Sie alle waren bereits in jungen Jahren zu ihren Generalsstreifen gekommen.
So wie er.
Natürlich war er sich des Neides seiner älteren Amtskollegen bewusst. Der Neid, dass ihm scheinbar alles einfach in den Schoß flog. Und Montecuccoli bestritt nicht, dass er ein Talent dafür hatte. Manche waren für den Krieg geboren, er war zum Krieg führen geboren. Ein Strategietalent, das in seiner Generation nach Seinesgleichen suchte, und bis jetzt keinen ebenbürtigen Rivalen fand. Außer Ullrich von Horn. Aber der tröstete sich Montecuccoli immer, war ein Mensch aus einer anderen Ära.
Und doch spürte Montecuccoli diesen Druck. Oder hatte ihn zumindest gespürt. Ein Nachteil der sehr gut überlieferten Geschichte von Nova Autria war die fortschreitende Erwartungshaltung an die folgenden Generationen. Wie jeder Sprössling einer adeligen Familie, spürte auch Montecuccoli dieses ungeschriebene Gesetz, an die Taten der glorreichen Vorfahren anknüpfen zu müssen. Die Legende und Erzählungen dieser „Halbgötter“, die man seit Kindesbeinen immer wieder vorgehalten bekam. Eine Hürde, an der viele scheiterten, und ihr Heil schließlich in diversen Vergnügungen und Drogen suchten. Doch Montecuccoli hatte die Hürde gemeistert. Ihm war erst klar geworden, wie groß der Druck gewesen war, als er vor einigen Tagen in der öffentlichen Zeremonie befördert worden war. Und nun hatte er die Messlatte für die nächsten Generationen gelegt! Er war es, der in den Geschichtsbüchern stehen würde, dessen war er sich sicher. Der neue Pulsar der Familienchronologie, die unerreichbare Legende. Hoffnung von Nova Autria, Liebling der Massen, Hochdekorierter Kriegsheld. Montecuccoli war bereit für die Zukunft! Doch etwas blieb bestehen, selbst nun, als die Last großteils von seinen Schultern geglitten war. Montecuccoli war zum Erfolg geboren und auch gleichermaßen verdammt. Und darin lag eine Bürde, die ihm niemand im Universum abnehmen konnte.
„Hier ruht ….“, dann versagte seine Stimme.
„Florjan, Florjan“, sagte eine wohltuende Stimme.
Scaevola blickte auf, und sah einen wohl proportionierten Mann mittleren Alters mit ergrauten Schläfen vor sich. Scaevola blinzelte und rieb sich die Augen. Diese Umgebung war so vertraut. Die alte Werkbank, samt der darauf herrschenden Mischung aus geordnetem Chaos. Scaevola wusste selbst, dass das ein Widerspruch in sich war, doch seit seiner Kindheit war ihm keine bessere Beschreibung dafür eingefallen.
„Alles in Ordnung mit dir?“, fragte der Mann und legte behutsam einen Arm auf Scaevolas Schulter.
„Ja, ich war nur kurz abgelenkt.“
„Gut, dann sei doch so lieb und gib mir den Sensorschlüssel von der Bank.“
Scaevola wandte sich der Bank zu und fand nach einigem Suchen das gewünschte Werkzeug. Er nahm es in die Hand und überreichte es dem Mann, der sich wieder der Maschine zugewandt hatte. Es war ein Bike, Typ 34 „Stormwind“, die zivile Variante der in der imperialen Armee eingesetzten militärischen Bikes, und ein Geschenk des Grafen. Jahre später würde Scaevola es als ein Almosen bezeichnen, um seine Familie bei der Stange zu halten. Eine Äußerung, die er seitdem immer bedauert hatte.
„Hier ist der Schlüssel, Vater.“
„Danke, mein Junge.“
Sein Vater wandte sich wieder seiner Arbeit an der Maschine zu, doch nicht ohne ihm vorher ein Lächeln zu schenken. Und dann kam etwas, was Scaevola an seinem Vater immer so geschätzt hatte. Obwohl er so mit der Reparatur beschäftigt schien, stellte er doch die entscheidende Frage.
„Was bedrückt dich, mein Großer?“
Scaevola zögerte zuerst. Konnte dies hier real sein? Doch in seinem Innersten wusste er, dass es ihm in diesem Augenblick egal war. Diese Frage trug er schon zu lange mit sich herum, als dass er diesen kostbaren Moment einfach so verstreichen lassen konnte. Selbst wenn er Gefahr lief, dass das alles nur reine Einbildung war.
„Bist du stolz auf mich?“
Sein Vater unterbrach die Arbeit, legte den Sensorschlüssel beiseite und drehte sich zu Scaevola um. Es war eine stille Geste die aber zeigte, dass er sich voll dieser Frage stellte. Dann blickte ihm sein Vater tief ihn die Augen, und Scaevola konnte erkennen, dass es ihm mit der folgenden Antwort absolut ernst war.
„Mein Sohn, ich bin immer stolz auf dich, und werde es immer bleiben!“
Es war, als hätten sie nur auf ein Zeichen gewartet. Ein Signal, dass all die angestaute Wut losließ, die sich hinter einem Damm lange gestaut hatte. Doch nun war alles anders, der Respekt vor der staatlichen Ordnung, den Stellvertretern des Imperators auf Nova Autria, war endgültig geschwunden. Die Proteste nahmen ihren Ausgang in den südlichen Elendsvierteln, wo die Menschen wie Vieh zusammengepfercht in den heruntergekommen Habitaten ihr unwürdiges Dasein fristeten. Ein Leben, ständig bedroht durch die Gangs und Banden der Kriminellen, selbst ständig an der Grenze zur Kriminalität. Eine Welt wo Recht und Ordnung nur durch Stärke erlangt wurde, wo Gerechtigkeit schon lange ein Fremdwort war.
Es hatte den Anschein, als würden sich die Hunderttausenden von Arbeitern ihre Frustration und den Ärger von der Seele schreien. Ihrem Protest Luft verschaffen, über ein System in dem der Imperator eine Elite als Herrscher einsetzte, die sich in völliger Verkennung der Lebenswelt der Mehrheit, in Sichtweite gigantische Makropoltürme errichten ließen, die sich einen Wettbewerb in Höhe und prunkvoller Architektur lieferten. Und im Schatten dieser gigantischen Bauwerke entlud sich nun der Zorn der Massen. Überall im Elendsviertel rotteten sie sich zusammen. Als erstes spürten die kleinen Händler den Zorn. Läden wurden gestürmt, geplündert und meistens angezündet. Die brennenden Geschäfte beruhigten die Gemüter keineswegs, vielmehr schienen sie die lodernden Flammen anzustacheln.
Überall in der Makropole ertönten nun die Sirenen. Ihr auf und abschwellendes Signal verbreitete die Kunde vom Ausbrechen der Gewalt. Auf tausenden Schirmen und aus allen Lautsprechern erteilte eine mechanisch, monoton klingende Stimme die Anweisung sich ruhig zu verhalten und nach Hause zu begeben. Eine Botschaft, die bei den aufgewühlten Massen nicht ankam.
Nun zeigte endlich auch das Imperium seine Zähne.
Schwarz gepanzerte Mitglieder des Adeptus Arbites stiegen in ihre schweren Rhino-Transporter und fuhren zu ihren Sammelpunkten. Es würde sich nur um eine Frage von Stunden handeln, um die aufgebrachten Demonstranten wieder unter Kontrolle zu bringen. Doch wider alle Erwartungen, erwies sich der Gegner als äußerst zäh. Es schien als würden die verschiedenen Gruppen der Demonstranten von einer zentralen Instanz gesteuert. Mehrfach kam es vor, dass sie Absperrungen auswichen und schlagartig die Richtung änderten, nur um plötzlich auf anderen Strassen wieder aufzutauchen.
Hektik machte sich in der Kommandozentrale, die sich etliche Etagen unter dem Gouverneurspalast befand, breit. Die Wände waren schlichter, fast deprimierender grauer Plastbeton, frei von jedweden Verzierungen oder Dekorationen. Die mehr als fünf Meter dicken Wände bildeten einen kreisrunden Raum von mehr als zwanzig Meter Durchmesser und drei Meter Höhe. Mehrere kreisförmige senkten sich zur Mitte stufenförmig ab. Jede der Zonen wartete mit einer Reihe von Cogitatoren und Apparaten auf, die alle nun besetzt waren. In der Mitte befand sich die hololitische, taktische Karte. Klaren selbst saß in einem der äußeren Ringe, der sich jedoch weit, bis direkt an die Mitte heranreichte, und so einen direkten Blick auf die Karte ermöglichte. Sein Cogitator war ebenfalls aktiviert und sprudelte vor Aktivität nur so über.
Der erste Verteidigungsring hatte sich als wirkungslos erwiesen. In aller Eile wurden die Arbites Einheiten zurückbeordert, um eine engere Stellung rund um den inneren Kern der Makropole zu verteidigen. Nur mit Mühe konnte ein Chaos bei der Umgruppierung verhindert werden. Offiziere verlangten mit gereizter Stimme die Leitstelle zu sprechen, da sie weder Transportmittel, noch die neuen Instruktionen für ihren Bereitstellungsraum hatten. Auch das sporadische Ausfallen der Kom- Verbindung trug wenig zur Bewahrung der Ordnung bei.
Marschall Klaren ließ sich, im Gegensatz zu seiner Umgebung, nicht aus der Ruhe bringen. Immerhin war er schon zu lange Soldat, um sich wegen solcher Eventualitäten überraschen zu lassen. Und schon lange genug Kommandant, um mit diesem Problem fertig zu werden. Aber er wusste auch, dass viele der hier anwesenden Offiziere und Tacticae-Mitglieder nicht über diese Erfahrung verfügten. Selbst nach all den Jahren spürte er jedes Mal wenn es Ernst wurde, diesen kleinen Adrenalinschub.
Wie viel nervenaufreibender musste es da für Leute sein, die erst ein oder zwei Einsätze hinter sich gebracht hatten? Ein Blick durch die Runde ließ Klaren allerdings zweifeln, dass die meisten über so viel Erfahrung verfügten. Er konnte es ihren blassen Gesichtern, der zittrigen Stimme und ihren nervösen Blicken die sie ihm zuwarfen, ansehen. Deshalb versuchte er auch möglichst gelassen auszusehen. Und es schien zu wirken. Ein freundliches Nicken, ein kameradschaftliches Schulterklopfen und Klaren konnte spüren, wie seine Männer ihre anfängliche Nervosität überwanden. Ein Blick auf die hololithische, blau scheinende Karte allerdings gab Klaren da schon mehr Grund zur Besorgnis. Sie erstrahlte im Zentrum des Kommandoraums über den in einem Kreis angeordneten Bildschirmen und Stationen, sodass sie jeder Anwesende sofort erblicken konnte.
Zu seinem Glück waren die meisten Personen jedoch gerade in ihre Arbeit vertieft. Klaren dankte im Stillen dem Imperator dafür, denn das sich ihm präsentierende Bild war alles andere als optimistisch zu nennen. Das Feld zeigte ein zweidimensionales Grundrissschema der Stadt an. Rote und grüne Einheiten blinkten darauf, von denen sich manche bewegten und andere auf ihren Positionen verharrten. Selbst einem Laien wäre sofort aufgefallen, dass die roten Symbole bei weitem agiler waren. Ihr Tempo war schneller, und manchmal brach ihre Position unvermittelt ab, nur um einige Straßen entfernt wieder aufzutauchen. Die grünen Lichter hingegen schienen immer nur zu reagieren, nie zu agieren. Meist konnten sie den gegnerischen Bewegungen nicht folgen. Bei diesem Anblick wünschte sich Klaren im Stillen, dass seine eigenen Einheiten die rote Signatur hatten. Doch er wusste genau, dass das Gegenteil der Fall war. Immerhin schien sich eine Verbesserung abzuzeichnen. Die Bewegungsmuster der grünen Einheiten schienen nun koordinierter abzulaufen. Nach und nach bildeten sie weiter im Zentrum der Karte eine neue kreisförmige Verteidigungslinie.
Trotz dieser Teilerfolge wollte Klaren auf Nummer Sicher gehen. Er winkte seinen Adjutanten zu sich, der dem Befehl sofort Folge leistete.
„Herr Marschall?“
„Alarmieren sie die Garde.“ Sein Adjutant blickte verwirrt, angesichts des Befehls. Noch bevor er es aussprach, wusste Klaren, welcher Einwand nun kommen würde.
„Darf ich zu bedenken geben, dass Gouverneur Wellersheim strikte Anweisungen gegeben hat … “
Klaren unterbrach ihn mit einer kurzen Handbewegung.
„Ich weiß. Alarmieren sie die Garde.“
Doch was dann kam, ließ sogar einen routinierten Veteran wie Klaren aufschrecken. Die Astropathen, die im Halbdunkeln auf ihren Stühlen saßen, begannen sich plötzlich zu bewegen. Klaren wollte sich zwingen wegzusehen, doch trotzdem blickte er sie beim ersten Geräusch an. Zwei Männer, geschnallt auf ihre Sessel, mit unzähligen Kabeln in ihrem kahl rasierten Schädel verbunden mit den zentralen Maschinen des Kommandoraums. Ihre milchig-weißen blinden Augen schienen ihn direkt anzusehen, obwohl Klaren wusste, dass er sich dies einbildete. Doch mehr als ihr Aussehen ließen ihre Botschaft unbehaglich werden. Wieder und wieder wiederholten sie stöhnend dieses eine Wort.
„Bluthorde. Bluthorde. Bluthorde.“
In einem viereckig angelegten Gebäude mit Innenhof schien alles noch so verlassen zu sein, wie seit langem. Einige Ebenen unterhalb des Bodens war der geräumige Saal jedoch dicht gefüllt mit Menschen unterschiedlichster Herkunft. Maron Mitaugor lächelte in sich hinein, als er den Raum betrat und die stickige Luft einatmete. Er konnte die darin pulsierende Bosheit spüren, die anscheinend eine neue, unentbehrliche Komponente für den Sauerstoff bildete. Mitaugor wusste, dass es zumindest bald so sein würde. Sein Wille würde überlebensnotwendig für diese Welt werden. Dieser Planet würde nur für ihn existieren, ein Manifestation seiner Macht, die eine ewige Botschaft in die Weiten des Alls verkünden, so alt wie die Zeit selbst. Ein Zeichen seiner Macht und Stärke, und die seiner Legion, den erwählten Alpha Marines. Dies war der Tag. Das Datum, mit dem die neue Zeitrechnung beginnen würde. Sein Blick schweifte über die Menge und fiel auf Nummer eins und zwei, die pflichtschuldig und ehrfürchtig ihre Köpfe beugten, als sie seinen blick auf ihnen spürten. Wieder konnte sich Mitaugor ein Lächeln nicht verkneifen. Nummer eins hatte sehr schnell nach dem Vorfall seinen wahren Platz kennen gelernt. Nicht dass dieser Emporkömmling eine Gefahr für ihn, den Sieger von Tausend Schlachten bedeutete.
Aber es war so lästig, sich mit Ungeziefer zu beschäftigen, während die Beute zum Greifen nah war. Mitaugor ging durch die Gasse der Menge, stets flankiert von seinen Marines. Er setzte sich auf den bereitgestellten Thron. Dann sagte er einen einzigen Satz, aber der enthielt eine fürchterliche Drohung für diese Welt.
„Willkommen meine Söhne in der Bluthorde.“
***
Ein weiterer Tag war vergangen. Obwohl es zu keinen weiteren Vorkommnissen seit dem fehlgeschlagenen Attentat gekommen war, behielt Montecuccoli ein ungutes Gefühl. Die meisten Taktikbücher und Generäle betonten zwar immer wieder, dass man letzten Endes alles auf rationale Faktoren und logische Prozesse zurückführen könne, doch Montecuccoli hatte von seinen Feldoffizieren gelernt, auf seinen Bauch zu vertrauen. Dieses Universum bot zu viele Möglichkeiten, um es endgültig berechnen zu können. Als er ein junger Absolvent der Akademie war, hatte er noch anders gedacht, aber der Krieg hatte ihn eines Besseren belehrt. Und an diesem Abend hatte er dieses ungute Gefühl in der Magengrube. Er konnte es zwar nicht erklären, aber es war da, und diese Tatsache beunruhigte ihn zutiefst. Marschall Klaren hatte zwar die besprochenen Maßnahmen angeordnet, und Montecuccoli hatte sie mit ihm zusammen die Posten inspiziert, aber seine Sorgen wollten nicht abflauen.
Aber vielleicht lag es auch an seinem Büro, in dem sich nur noch die restlichen Akten in großen Boxen befanden. Sein Tisch und alle Schränke waren leer geräumt, der Großteil seines Materials war schon in seinen neuen Räumen im Divisionskommando. Es war ein deprimierender Anblick für Montecuccoli, als er so im Halbdunkel des Zimmers stand. Es wunderte ihn, dass er diese Räume bereits jetzt so vermisste. Immerhin stand ihm der große Karrieresprung bevor! Jüngster Divisionskommandant seit Ullrich von Horn, und er hatte noch nicht einmal die dreißig Jahre überschritten.
Seine Zukunft lag buchstäblich in den Sternen.
Klaren hatte in den letzten Tagen schon mehrmals angedeutet, dass seine Leistungen nicht nur auf Nova Autria, sondern auch im Segmentum-Kommando bereits für Aufsehen sorgten. Vor seinem geistigen Auge konnte er bereits die Uniform eines Feldmarschalls sehen. Nur wenige Offiziere pro Segmentum wurden dazu befördert, die Chancen waren minimal, nahezu unwahrscheinlich.
Doch Montecuccoli war zuversichtlich. Sein Studium an der Akademie zeigte eine Gemeinsamkeit all dieser Erwählten. Sie alle waren bereits in jungen Jahren zu ihren Generalsstreifen gekommen.
So wie er.
Natürlich war er sich des Neides seiner älteren Amtskollegen bewusst. Der Neid, dass ihm scheinbar alles einfach in den Schoß flog. Und Montecuccoli bestritt nicht, dass er ein Talent dafür hatte. Manche waren für den Krieg geboren, er war zum Krieg führen geboren. Ein Strategietalent, das in seiner Generation nach Seinesgleichen suchte, und bis jetzt keinen ebenbürtigen Rivalen fand. Außer Ullrich von Horn. Aber der tröstete sich Montecuccoli immer, war ein Mensch aus einer anderen Ära.
Und doch spürte Montecuccoli diesen Druck. Oder hatte ihn zumindest gespürt. Ein Nachteil der sehr gut überlieferten Geschichte von Nova Autria war die fortschreitende Erwartungshaltung an die folgenden Generationen. Wie jeder Sprössling einer adeligen Familie, spürte auch Montecuccoli dieses ungeschriebene Gesetz, an die Taten der glorreichen Vorfahren anknüpfen zu müssen. Die Legende und Erzählungen dieser „Halbgötter“, die man seit Kindesbeinen immer wieder vorgehalten bekam. Eine Hürde, an der viele scheiterten, und ihr Heil schließlich in diversen Vergnügungen und Drogen suchten. Doch Montecuccoli hatte die Hürde gemeistert. Ihm war erst klar geworden, wie groß der Druck gewesen war, als er vor einigen Tagen in der öffentlichen Zeremonie befördert worden war. Und nun hatte er die Messlatte für die nächsten Generationen gelegt! Er war es, der in den Geschichtsbüchern stehen würde, dessen war er sich sicher. Der neue Pulsar der Familienchronologie, die unerreichbare Legende. Hoffnung von Nova Autria, Liebling der Massen, Hochdekorierter Kriegsheld. Montecuccoli war bereit für die Zukunft! Doch etwas blieb bestehen, selbst nun, als die Last großteils von seinen Schultern geglitten war. Montecuccoli war zum Erfolg geboren und auch gleichermaßen verdammt. Und darin lag eine Bürde, die ihm niemand im Universum abnehmen konnte.
***
Es war ein einsamer Ort. Irgendwo krächzte ein Vogel. Scaevola kam es so vor, als würde dieser Platz in einer anderen Wetterzone existieren. Während ihm die Sonne in der Stadt noch warm und freundlich vorgekommen war, hatte sie hier eine unnahbare, kalte Ausstrahlung. Doch angesichts der Funktion dieses Gebietes, kam ihm diese Veränderung angemessen vor. Scaevola schritt über den sauber gepflegten Weg, dessen weiß leuchtenden Kiesel das satte, kurz gehaltene Grün des beiderseitig angrenzenden Rasens nur noch mehr betonten. Wie in der Armee standen die mannshohen Steine in regelmäßigen Abständen, zwischendurch nur unterbrochen von sauber gestutzten Bäumchen mit runden Laubkronen. Es war ein Ambiente, dass Schönheit vermitteln sollte, gepflegten Stil. Doch Scaevola vermittelte es eine andere Botschaft. So einsam und ruhig gelegen, konnte sich kein Besucher jemals einer stillen Trauer und einer Melancholie der Vergänglichkeit erwehren. Doch vielleicht war gerade das der Sinn. Vielleicht hatten die Planer dieses Ortes genau die Übermittlung dieser Art von Gefühlen gewollt. Denn seine Funktion hatte wenig lebensbejahendes, vielmehr mit dem Ende allen Lebens zu tun. Die Inschrift eines Steines riss Scaevola aus seinen inneren Gedankengängen. Es war der Moment, vor dem er sich immer gefürchtet hatte. Er bemerkte, dass seine Hände leicht zitterten, als er die eingravierte Inschrift zu lesen begann.
„Hier ruht ….“, dann versagte seine Stimme.
„Florjan, Florjan“, sagte eine wohltuende Stimme.
Scaevola blickte auf, und sah einen wohl proportionierten Mann mittleren Alters mit ergrauten Schläfen vor sich. Scaevola blinzelte und rieb sich die Augen. Diese Umgebung war so vertraut. Die alte Werkbank, samt der darauf herrschenden Mischung aus geordnetem Chaos. Scaevola wusste selbst, dass das ein Widerspruch in sich war, doch seit seiner Kindheit war ihm keine bessere Beschreibung dafür eingefallen.
„Alles in Ordnung mit dir?“, fragte der Mann und legte behutsam einen Arm auf Scaevolas Schulter.
„Ja, ich war nur kurz abgelenkt.“
„Gut, dann sei doch so lieb und gib mir den Sensorschlüssel von der Bank.“
Scaevola wandte sich der Bank zu und fand nach einigem Suchen das gewünschte Werkzeug. Er nahm es in die Hand und überreichte es dem Mann, der sich wieder der Maschine zugewandt hatte. Es war ein Bike, Typ 34 „Stormwind“, die zivile Variante der in der imperialen Armee eingesetzten militärischen Bikes, und ein Geschenk des Grafen. Jahre später würde Scaevola es als ein Almosen bezeichnen, um seine Familie bei der Stange zu halten. Eine Äußerung, die er seitdem immer bedauert hatte.
„Hier ist der Schlüssel, Vater.“
„Danke, mein Junge.“
Sein Vater wandte sich wieder seiner Arbeit an der Maschine zu, doch nicht ohne ihm vorher ein Lächeln zu schenken. Und dann kam etwas, was Scaevola an seinem Vater immer so geschätzt hatte. Obwohl er so mit der Reparatur beschäftigt schien, stellte er doch die entscheidende Frage.
„Was bedrückt dich, mein Großer?“
Scaevola zögerte zuerst. Konnte dies hier real sein? Doch in seinem Innersten wusste er, dass es ihm in diesem Augenblick egal war. Diese Frage trug er schon zu lange mit sich herum, als dass er diesen kostbaren Moment einfach so verstreichen lassen konnte. Selbst wenn er Gefahr lief, dass das alles nur reine Einbildung war.
„Bist du stolz auf mich?“
Sein Vater unterbrach die Arbeit, legte den Sensorschlüssel beiseite und drehte sich zu Scaevola um. Es war eine stille Geste die aber zeigte, dass er sich voll dieser Frage stellte. Dann blickte ihm sein Vater tief ihn die Augen, und Scaevola konnte erkennen, dass es ihm mit der folgenden Antwort absolut ernst war.
„Mein Sohn, ich bin immer stolz auf dich, und werde es immer bleiben!“
***
Es war, als hätten sie nur auf ein Zeichen gewartet. Ein Signal, dass all die angestaute Wut losließ, die sich hinter einem Damm lange gestaut hatte. Doch nun war alles anders, der Respekt vor der staatlichen Ordnung, den Stellvertretern des Imperators auf Nova Autria, war endgültig geschwunden. Die Proteste nahmen ihren Ausgang in den südlichen Elendsvierteln, wo die Menschen wie Vieh zusammengepfercht in den heruntergekommen Habitaten ihr unwürdiges Dasein fristeten. Ein Leben, ständig bedroht durch die Gangs und Banden der Kriminellen, selbst ständig an der Grenze zur Kriminalität. Eine Welt wo Recht und Ordnung nur durch Stärke erlangt wurde, wo Gerechtigkeit schon lange ein Fremdwort war.
Es hatte den Anschein, als würden sich die Hunderttausenden von Arbeitern ihre Frustration und den Ärger von der Seele schreien. Ihrem Protest Luft verschaffen, über ein System in dem der Imperator eine Elite als Herrscher einsetzte, die sich in völliger Verkennung der Lebenswelt der Mehrheit, in Sichtweite gigantische Makropoltürme errichten ließen, die sich einen Wettbewerb in Höhe und prunkvoller Architektur lieferten. Und im Schatten dieser gigantischen Bauwerke entlud sich nun der Zorn der Massen. Überall im Elendsviertel rotteten sie sich zusammen. Als erstes spürten die kleinen Händler den Zorn. Läden wurden gestürmt, geplündert und meistens angezündet. Die brennenden Geschäfte beruhigten die Gemüter keineswegs, vielmehr schienen sie die lodernden Flammen anzustacheln.
Überall in der Makropole ertönten nun die Sirenen. Ihr auf und abschwellendes Signal verbreitete die Kunde vom Ausbrechen der Gewalt. Auf tausenden Schirmen und aus allen Lautsprechern erteilte eine mechanisch, monoton klingende Stimme die Anweisung sich ruhig zu verhalten und nach Hause zu begeben. Eine Botschaft, die bei den aufgewühlten Massen nicht ankam.
Nun zeigte endlich auch das Imperium seine Zähne.
Schwarz gepanzerte Mitglieder des Adeptus Arbites stiegen in ihre schweren Rhino-Transporter und fuhren zu ihren Sammelpunkten. Es würde sich nur um eine Frage von Stunden handeln, um die aufgebrachten Demonstranten wieder unter Kontrolle zu bringen. Doch wider alle Erwartungen, erwies sich der Gegner als äußerst zäh. Es schien als würden die verschiedenen Gruppen der Demonstranten von einer zentralen Instanz gesteuert. Mehrfach kam es vor, dass sie Absperrungen auswichen und schlagartig die Richtung änderten, nur um plötzlich auf anderen Strassen wieder aufzutauchen.
Hektik machte sich in der Kommandozentrale, die sich etliche Etagen unter dem Gouverneurspalast befand, breit. Die Wände waren schlichter, fast deprimierender grauer Plastbeton, frei von jedweden Verzierungen oder Dekorationen. Die mehr als fünf Meter dicken Wände bildeten einen kreisrunden Raum von mehr als zwanzig Meter Durchmesser und drei Meter Höhe. Mehrere kreisförmige senkten sich zur Mitte stufenförmig ab. Jede der Zonen wartete mit einer Reihe von Cogitatoren und Apparaten auf, die alle nun besetzt waren. In der Mitte befand sich die hololitische, taktische Karte. Klaren selbst saß in einem der äußeren Ringe, der sich jedoch weit, bis direkt an die Mitte heranreichte, und so einen direkten Blick auf die Karte ermöglichte. Sein Cogitator war ebenfalls aktiviert und sprudelte vor Aktivität nur so über.
Der erste Verteidigungsring hatte sich als wirkungslos erwiesen. In aller Eile wurden die Arbites Einheiten zurückbeordert, um eine engere Stellung rund um den inneren Kern der Makropole zu verteidigen. Nur mit Mühe konnte ein Chaos bei der Umgruppierung verhindert werden. Offiziere verlangten mit gereizter Stimme die Leitstelle zu sprechen, da sie weder Transportmittel, noch die neuen Instruktionen für ihren Bereitstellungsraum hatten. Auch das sporadische Ausfallen der Kom- Verbindung trug wenig zur Bewahrung der Ordnung bei.
Marschall Klaren ließ sich, im Gegensatz zu seiner Umgebung, nicht aus der Ruhe bringen. Immerhin war er schon zu lange Soldat, um sich wegen solcher Eventualitäten überraschen zu lassen. Und schon lange genug Kommandant, um mit diesem Problem fertig zu werden. Aber er wusste auch, dass viele der hier anwesenden Offiziere und Tacticae-Mitglieder nicht über diese Erfahrung verfügten. Selbst nach all den Jahren spürte er jedes Mal wenn es Ernst wurde, diesen kleinen Adrenalinschub.
Wie viel nervenaufreibender musste es da für Leute sein, die erst ein oder zwei Einsätze hinter sich gebracht hatten? Ein Blick durch die Runde ließ Klaren allerdings zweifeln, dass die meisten über so viel Erfahrung verfügten. Er konnte es ihren blassen Gesichtern, der zittrigen Stimme und ihren nervösen Blicken die sie ihm zuwarfen, ansehen. Deshalb versuchte er auch möglichst gelassen auszusehen. Und es schien zu wirken. Ein freundliches Nicken, ein kameradschaftliches Schulterklopfen und Klaren konnte spüren, wie seine Männer ihre anfängliche Nervosität überwanden. Ein Blick auf die hololithische, blau scheinende Karte allerdings gab Klaren da schon mehr Grund zur Besorgnis. Sie erstrahlte im Zentrum des Kommandoraums über den in einem Kreis angeordneten Bildschirmen und Stationen, sodass sie jeder Anwesende sofort erblicken konnte.
Zu seinem Glück waren die meisten Personen jedoch gerade in ihre Arbeit vertieft. Klaren dankte im Stillen dem Imperator dafür, denn das sich ihm präsentierende Bild war alles andere als optimistisch zu nennen. Das Feld zeigte ein zweidimensionales Grundrissschema der Stadt an. Rote und grüne Einheiten blinkten darauf, von denen sich manche bewegten und andere auf ihren Positionen verharrten. Selbst einem Laien wäre sofort aufgefallen, dass die roten Symbole bei weitem agiler waren. Ihr Tempo war schneller, und manchmal brach ihre Position unvermittelt ab, nur um einige Straßen entfernt wieder aufzutauchen. Die grünen Lichter hingegen schienen immer nur zu reagieren, nie zu agieren. Meist konnten sie den gegnerischen Bewegungen nicht folgen. Bei diesem Anblick wünschte sich Klaren im Stillen, dass seine eigenen Einheiten die rote Signatur hatten. Doch er wusste genau, dass das Gegenteil der Fall war. Immerhin schien sich eine Verbesserung abzuzeichnen. Die Bewegungsmuster der grünen Einheiten schienen nun koordinierter abzulaufen. Nach und nach bildeten sie weiter im Zentrum der Karte eine neue kreisförmige Verteidigungslinie.
Trotz dieser Teilerfolge wollte Klaren auf Nummer Sicher gehen. Er winkte seinen Adjutanten zu sich, der dem Befehl sofort Folge leistete.
„Herr Marschall?“
„Alarmieren sie die Garde.“ Sein Adjutant blickte verwirrt, angesichts des Befehls. Noch bevor er es aussprach, wusste Klaren, welcher Einwand nun kommen würde.
„Darf ich zu bedenken geben, dass Gouverneur Wellersheim strikte Anweisungen gegeben hat … “
Klaren unterbrach ihn mit einer kurzen Handbewegung.
„Ich weiß. Alarmieren sie die Garde.“
Doch was dann kam, ließ sogar einen routinierten Veteran wie Klaren aufschrecken. Die Astropathen, die im Halbdunkeln auf ihren Stühlen saßen, begannen sich plötzlich zu bewegen. Klaren wollte sich zwingen wegzusehen, doch trotzdem blickte er sie beim ersten Geräusch an. Zwei Männer, geschnallt auf ihre Sessel, mit unzähligen Kabeln in ihrem kahl rasierten Schädel verbunden mit den zentralen Maschinen des Kommandoraums. Ihre milchig-weißen blinden Augen schienen ihn direkt anzusehen, obwohl Klaren wusste, dass er sich dies einbildete. Doch mehr als ihr Aussehen ließen ihre Botschaft unbehaglich werden. Wieder und wieder wiederholten sie stöhnend dieses eine Wort.
„Bluthorde. Bluthorde. Bluthorde.“
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