Hallo Leute. Ich hatte eigentlich vor, diese Geschichte vor zwei Wochen zu posten, aber mein PC (die alte Dreckskrücke) hatte beschlossen den Geist aufzugeben und es dauerte etwas, bis ich Ersatz fand und endlich wieder an meine Daten konnte.
Hoffe auf viele Kommentare.
Gods of War
Der Alte beugte sich über den knarrenden Tisch und grinste Igor mit einem schiefen Lächeln an. Sein faltiges Gesicht verunstaltete das Lächeln zu einer Grimasse, das wettergegerbte Antlitz mit seiner braunen, ledrigen Haut erinnerte an eine missglückte Karikatur. Seine gelben, aber geraden und erstaunlich vollständigen Zähne schienen den jungen Mann anzufallen, in seinen Augen blitze fast schon schelmische Freude, als würde ein kleiner Junge einem Älteren von einem Streich berichten. Igor war erstaunt und verunsichert über die Kraft und die Jugend der tiefen grünen Augen des alten Volodja, normalerweise waren sie nur zwei schmutzig grüne Flecken in einem greisen Gesicht. Die Hand, die eben noch mühsam einen Bierkrug gehalten hatte, krampfte sich nun förmlich um diesen, als müsse sie ihn zerdrücken, das Keuchen war aus dem Atem des Alten gewichen. Er strotzte vor Kraft, wie um Jahrzehnte verjüngt.
Igor wich einige Zentimeter zurück. Verwundert registrierte er, wie sich Köpfe in ihre Richtung drehten, Männer beim Kartenspiel innehielten oder ihre Blicke hinter massiven, hölzernen Bierkrügen verbargen. Der stämmige, kahle Wirt, der eben noch Geld in seiner altmodischen mechanischen Kasse sortierte, unterbrach sich und stellte das leise summende Radio ab. Das allgegenwärtige Raunen und Murren war verstummt, ebenso wie die lauten Ausrufe der Lagerarbeiter und Tagelöhner, die in den hinteren Sphären der Stube mit Würfeln und Karten spielten. Das gedämpfte Licht schien sich noch mehr zu verdunkeln. Igor ließ seinen Blick im Raum schweifen.
Anscheinend war nur er verwundert. Alles blickte auf den alten, pensionierten Soldaten, der ihm gegenüber saß, immer noch die Grimasse auf dem Gesicht und das Blitzen in den Augen. Der Wirt hatte sich an eine Wand angelehnt und scheinbar die Augen geschlossen, die Lagerarbeiter waren näher in die Stubenmitte gerückt. Alles horchte. Und plötzlich sprach der alte Volodja.
„Du meinst die Space Marines, mein Junge!“, schrie er förmlich aus. Seine laute Stimme dröhnte in der Stille, doch so laut war sie noch nie gewesen.
„E… echt?“, stammelte Igor.
Er hatte sich gerade mit einem niederen Raumhafenbeamten über ein merkwürdiges Landungsschiff unterhalten, welches er heute bei seiner Arbeit gesehen hatte. Als Raumhafenarbeiter sah Igor viele Schiffe und kannte die meisten von ihnen auch. Kleine Frachter und Personenmaschinen, die schnittigen Luftgleiter der hohen Beamten, Freihändlerkoggen und, an guten Tagen, Bomber der PVS oder Landungsboote der imperialen Armee. Aber das Fluggefährt des heutigen Tages ähnelte nichts, was er je zuvor gesehen hatte.
Es hatte eine natürlichere Form als die meisten imperialen Flugmaschinen, also hatte Igor im ersten Moment an einen gewaltigen Vogel gedacht, als der Schatten über ihn und seine Kollegen hinweg zog, während sie gerade eine Transportmaschine des Versorgungsministeriums entluden. Doch spätestens das Brausen der Triebwerke und der gewaltige Luftzug ließen den jungen Mann ein Flugzeug in dem Ungetüm erkennen. Bevor es im geheimen Hangar der planetaren Regierung verschwand, konnte Igor einige Details erkennen. Die Maschine war klobig, mit mindestens einer Maschinenkanone bewaffnet und in einem glänzenden Schwarz lackiert. Türen, Bullaugen und andere herausstechende Punkte waren mit goldener Lackierung umrandet.
„So ein Flugzeug habe ich schon mal gesehen.“, brüllte Volodja weiter.
„Damals als ich noch ein Feldwebel war, bei der Armee des Imperators.“
Igor horchte auf. Das klang interessant. Auf dieser Agrarwelt, auf der er leider beim Imperator geboren worden war, bekam man nur selten Geschichten über den Krieg zu hören, nur selten kamen samarianische Filme auf den Planeten. Russakov – Genie des Stellungskrieges, Die Schlacht bei Al Alemaro, Klassiker wie Cadia hält stand. Wie ein Space Marine aussah, dass wusste Igor nur aus Filmen, aus einem Film. Der Film hieß >3< und in ihm hielten nur drei Space Marines in vor Reinheitssiegeln und goldenen Effekten strotzenden Rüstungen irgendeinen Pass gegen eine Übermacht von dreißigtausend Orks. Letztendlich fielen alle drei und die Handlung des Films war plump, daher merkte sie sich eigentlich keiner, doch die Actionszenen waren unerreicht.
Igor tat es also den übrigen Männern in der Schankstube gleich, lehnte sich zurück und ließ den alten Kauz vor sich sprechen.
„Das ist jetzt dreiundvierzig Jahre her, es war der erste Feldzug um die Kravichsterne und ich war ein Feldwebel.“
Dröhnende, melodische Musik in seinem linken Ohr, sich überschlagende Funksprüche und Ausrufe in seinem rechten Ohr. So hatte er den Kampf am liebsten.
Zxeo, Meister der zweiten Veteranenkompanie und, mit kaum mehr als einhundert Jahren, jüngster Kompanieführer der Masters of War, befreite sein Energieklauenpaar aus dem zerfetzten Wesen vor ihm und schmeckte einen leichten Hauch von Salz und Platin auf der Zunge. Fast schon berauscht von dem exotischen Gestank und Geschmack des Alienblutes preschte er vor, sein Sprungmodul brüllte und bei jedem Schritt ging ein Beben durch den stark in Mitleidenschaft gezogenen Straßenbelag. Er war der einzige Space Marine an diesem Frontabschnitt, seine Kommandoeinheit war mangels Mut oder Wahnsinn weit zurückgefallen. Neben sich erkannte er religiöse Fanatiker und wagemutige Gardisten der imperialen Armee, zu seiner linken spaltete ein kahlköpfiger Feldwebel eines Unterstützungsregiments mit seinem Energieschwert eines dieser merkwürdigen Aliens. Eine Explosion aus silbrig schimmerndem Blut und blauen Energieblitzen brannte sich für eine Sekunde auf seine Netzhaut. Der Feldwebel war kein Samarianer, seine Rüstung war grau und die Uniform braun, doch definitiv war er vom selben Volksstamm mit den schmalen Zügen und den stechenden Augen, die Zxeo an den Samarianern hoch schätzte. Die Aliens vor ihnen hingegen boten einen eher unappetitlichen Anblick. Sabbernd, haarlos, mit vier Augen und Hufen statt Füßen. Die glitzernde, feuchte Haut strahlte in einem surreal grellen Gelbton und ausnahmslos alle trugen purpurne Einteiler, bei denen Schultern und Gliedmaßen frei blieben. Ob es sich um eine Uniform handelte, konnte Zxeo nicht beurteilen.
Eine Spezies, die nur auf diesem einen Planeten lebte. Doch das Imperium war auf einem Eroberungsfeldzug, um die Grenze dieses Subsektors zu den äußeren Sphären der Galaxie zu sichern und der Generalfeldmarschall wollte dieser Welt wegen ihrer vorgeschobenen Lage, keine bewohnbare Welt innerhalb von Lichtjahren lag so weit in unbekanntem Gebiet, keine Welt so perfekt in einer Gravitationsmulde, die es unbedingt zu halten galt. Er sollte sie haben. Dass seine Feinde ihn möglicherweise ebenso abstoßend fanden wie er sie, das kam Meister Zxeo nicht in den Sinn.
Das Musikstück in seinem linken Ohrhörer wechselte, eine Gitarre kreischte, Keyboards. Aber immer noch passend für einen Kampf.
Zxeo wirbelte herum und zerteilte mehrere Feinde auf einen Streich, verhakte sich eine Energieklaue in einer widerspenstigen oder übermäßig fettleibigen Kreatur, zündete der Space Marine einfach sein Sprungmodul, überwand dutzende Reihen seiner Feinde und stürzte sich sodann auf die nächsten Armseligen. Er machte reichlich Gebrauch von Fußtritten, seinen Schrotgewehren in den Klauen und dem Giftspeien der Space Marines. Zerteilte Körper und Kreaturen mit verätztem Gesicht pflasterten seinen Weg. Von einem Hochgefühl ergriffen wirbelte er immer schneller und immer tiefer in die feindlichen Linien, nur wenige seiner Mitstreiter konnten ihm folgen. Silbernes Alienblut vermischte sich mit dem Grau des Untergrunds und dem kräftigen Gelb der Haut seiner Feinde. Hier und dort sah er einen braunen Fleck, das Aufblitzen eines Energieschwertes, ein Stück Himmel in einer schier endlosen Ödnis aus Wolkenkratzern. Das stetige Gurren der Aliens, die Rufe und Freudenschreie der Zeloten, das Ächzen der Gardisten, seine verbesserten Gehörorgane nahmen jede einzelne Schwingung wahr, die sich in einer ihm zugänglichen Frequenz bewegte. Klar registrierte seine Nase Menschenblut, sporadisch und Alienblut, in überwältigendem Strömen. Die Musik in seinem Ohr mündete in ein reißendes Gitarrensolo.
„Zxeo, kommen!“, hallte es in seinem Ohr.
Die Welt kehrte zu ihm zurück. Bilder und Silhouetten wurden wieder deutlich, zeichneten sich klar ab. Oben und unten waren plötzlich wieder Begriffe für seinen Verstand und das Meer aus realitätsverleugnenden Farbkombinationen entwirrte sich zu Imperialen und Aliens. Der süße Duft des Todes stank nur noch nach Blut und Feuer. Seufzend stellte er die Musik in seinem Ohrhörer ab, bevor er antwortete.
„Ich höre, Andrelin.“
Plötzlich war er allein, umgeben von unzähligen von Kadavern. Der Kampf war in Windeseile um Meter nach vorne getragen worden, die Aliens waren anscheinend auf dem Rückzug. Die dunkelrote Sonne stieg über den Rand eines fernen Gebäudes und füllte das Dämmerlicht mit hellem Schein. Ihm war vorher gar nicht aufgefallen, wie tief sie sich in die Schluchten der Xenosstadt vorgekämpft hatten.
„Exzellente Arbeit, soll ich vom großen Chef ausrichten. Deine Fanatiker treiben die gesamte linke Seite der Alienfront vor sich her. Wir schicken mobile Infanterie, um die Verfolgung zu unterstützen. Wo sollen wir euch treffen?“
Zxeo war verwirrt. Er hatte einfach einen Feind um den nächsten abgeschlachtet und war in eine Raserei verfallen, wie schon lange nicht mehr. Wie seit seiner Zeit als Sergeant nicht mehr. Es war ein erhebendes Gefühl gewesen, ein Hochgefühl wie er sich kein zweites vorzustellen imstande war. Die Welt war zerflossen und nur der Rausch hatte seinen Verstand ausgefüllt. Jetzt, da es vorüber war, wusste er nicht, wo er war. Er blickte auf die Karte in seinem Helmvisier, doch ein Straßenzug erschien ihm wie der andere. Seine Erfahrung auf hunderten von Schlachten ließ ihn im Stich. Resignierend hob er den Blick, um besondere Merkmale in der Landschaft auszumachen. Und entdeckte, dass der Kahlkopf vom Unterstützungsregiment neben ihm stand, der Kahlkopf, der das letzte klar definierte Wesen in seiner jüngsten Erinnerung bildete.
„Feldwebel, teilen Sie mir Ihre Einschätzung der Lage mit.“, sagte der Meister vom Orden der Masters of War. Erst jetzt stellte er fest, dass der Unteroffizier aus einer Wunde in der Seite blutete.
„Wir haben siebenundvierzig Straßenblöcke hinter uns gebracht und die Aliens auf dieser größeren Straße überrannt. Die zahlenmäßige Überlegenheit konnte unser Feind nicht nutzen, da wir, die Gardisten und die Zeloten, Euch, mein Lord, in einem Keilangriff folgten und die von Euch geschlagene Bresche ausweiteten. Unsere Truppe befindet sich noch auf etwa sechzig prozentiger Stärke und hat dem sich zurückziehenden Feind weitere drei Straßenblöcke weit verfolgt. Die Verfolgung ist weiter im Gange. Verzeiht mein Zurückbleiben, mein Lord, aber meine Verwundung beginnt an meiner Ausdauer zu zehren.“
Zxeo hatte seinen Helm abgenommen und dem Feldwebel ohne eine Miene zu verziehen gelauscht. Als der Mann geendet hatte, nickte er.
„Sie haben Ihre Pflicht erfüllt, Feldwebel. Ihr Zurückbleiben ist gerechtfertigt. Halten Sie diese Position, Verstärkungen werden hier eintreffen, um von dieser Hauptader aus in sämtliche Richtungen auszurücken. Informieren Sie die ankommenden Verbündeten über die Richtung und wahrscheinliche Entfernung des Feindes und geben Sie meinen allgemeinen Sturmbefehl an diesen Frontabschnitt weiter. Und dann lassen Sie sich versorgen.“
Der Space Marine setzte seinen Helm wieder auf und zündete sein Sprungmodul, der salutierende Feldwebel blieb hinter ihm zurück. Bruder Andrelin antwortete er, indem er ihm eine Kartenmarkierung schickte, die Position des Feldwebels. Dann landete er einige Straßen weiter und konnte die Schlacht wieder hören. Mit einer weiteren Zündung seines Sprungmoduls brachte er sich wieder in die Luft und dem Kampf entgegen. In Gedanken dankte er dem Feldwebel für dessen Überblick über die Lage, denn so blieb ihm eine Blamage erspart. Außerdem hatte er wirklich keine Lust, dass der alte Octavius ihm wieder einmal einen Vortrag über Selbstbeherrschung in der Schlacht hielt. Der letzte hatte siebzehn Stunden gedauert und Zxeo war trotz härtester Bemühungen mehrere dutzend Male weggenickt.
Volodja endete mit seiner Geschichte, indem er beschrieb, wie der Engel des Todes in der Ferne immer kleiner wurde und schließlich weit entfernt wieder landete.
„Und wie ging es weiter?“, platzte es aus Igor heraus. Die Geschichte war das erstaunlichste und fremdartigste, was er in seinem Leben gehört hatte. Nicht einmal die teuren Spielfilme in den Kinos erzählten so lebendige Geschichten vom Töten.
Doch der alte Mann lehnte sich zurück und war plötzlich wieder der, als den Igor und vermutlich alle anderen Anwesenden ihn kannten. Das Gesicht erschlaffte, die Augen verloren ihr Feuer. Der ehemalige Soldat alterte in Sekunden wieder um Jahrzehnte und all die Spuren eines sehr, sehr langen Lebens traten wieder deutlich in den Vordergrund. Igor stellte mit leichter Enttäuschung fest, dass die Gesichte zu Ende war, doch noch immer tanzten die Bilder von Gardisten und Aliens, Blut und Feuer, Gebäuden hoch wie Bergen und das Bild eines glorreichen Space Marines, der sich titanengleich über das Schlachtfeld bewegte, vor seinen Augen. Volodjas Antwort war knapp und seine Stimme müde und krächzend.
„Die Verstärkung kam und ich erhielt einen Orden.“, sagte er. Seine Stimme ebbte zum Ende des Satzes hin ab, das Wort Orden hauchte er heraus. Sein Blick wurde glasig und ging in weite Ferne, seine Hand wanderte an seinen Hals, zu einem kleinen, silbernen Medaillon mit einem schwarzen Tatzenkreuz mit goldenen Rändern in der Mitte.
Die Aufmerksamkeit der Männer in der Schankstube wanderte zu anderen Dingen. Gespräche wurden fortgesetzt, Karten hämmerten auf den Tisch, der Wirt huschte zwischen Zapfanlage und Tresen hin und her, um all die leeren Krüge nachzufüllen. Keiner schien mehr den Alten zu beachten, der offenkundig auf seinem Stuhl eingeschlafen war, eine Hand seinem Orden, die andere immer noch um den Bierkrug geschlossen. Sein Gesicht hatte einen friedlichen Ausdruck angenommen und irgendwie schien es Igor, als würde der Greis vor sich hin lächeln.
Zu seiner Linken unterhielt sich der Raumhafenbeamte mit einem Polizisten über irgendetwas Belangloses und die Krüge waren in stetiger Bewegung von Mund zu Tisch zu Mund und so fort. Der junge Mann zögerte einen kurzen Moment, bis er den Polizisten an der Schulter fasste und seinen Stuhl näher zu denen der beiden Männer schob. Er würde in Erfahrung bringen, wo man sich zur Imperialen Armee einschreiben kann. Vielleicht würde er auch eines Tages wie Volodja in einer Stube sitzen und staunenden Jünglingen von der großen weiten Galaxie erzählen. Oder er würde irgendwo in der Ferne fallen, aber das kümmerte ihn nicht, zumindest nicht im Moment.