4.12 Makel
Die Wachen am Tor waren hartgesottene Kerle, die keinerlei Pardon kannten, Doch die jämmerliche Gestalt, die sich ihnen auf einem dahin trottenden Maultier näherte, entlockte ihnen doch ein Lächeln. In einen klatschnassen Umhang gehüllt, hing diese Gestalt mehr schlecht als recht im Sattel. Das Maultier wieherte ausgiebig, und die Gestalt fiel den beiden Wachen vor die Füße. Eine der Wachen streckte die Hand aus und half dem bedauernswerten, triefenden Bündel wieder auf die Beine. Schnaufend kam die Gestalt hoch und entpuppte sich als ein Mann mit krummen Rücken, der diesen stöhnend aufrichtete.
Wäre der nasskalte Schneeregen nicht gewesen, dann hätten die beiden Wachen und der Ankömmling vielleicht das Panorama bewundert. Burg Belvoir verdankte ihren Namen der atemberaubenden Aussicht und bewachte auf einem Hügel thronend ein fruchtbares Tal, das sich noch viele Meilen hin in das Herz des Grauen Gebirges zog und dabei auf beiden Seiten von einigen der mächtigen Gebirgsketten des Grauen Gebirges flankiert wurde, und an steil aufsteigenden Felswänden schließlich endete. Der schroffe, von einigen verkrüppelten Nadelbäumen bewachsene Hügel war ein Vorsprung dieser Ketten, doch im Vergleich zu seinen eindrucksvollen Vettern wirkte er geradezu schmächtig. Dennoch war der Aufstieg zur Burg ein hartes Stück Arbeit, dass seinen Tribut forderte. Ein Beweis dafür war der heftige Atem der Gestalt, der stoßweise in die feuchte, kalte Luft aufstieg. Im Hintergrund ragten die Umrisse der hohen Berge in den Himmel, stumm und ohne Anteilnahme am Schicksal der Menschen.
„Was führt Euch hierher?“, fragte die eine Wache.
Der Ankömmling beugte sich vor und hielt die Hand nach oben, weil er immer noch außer Atem war.
„Nun kommt schon, wir haben in diesem Unwetter nicht ewig Zeit“, sagte die Wache und stieß die Gestalt verärgert von sich. Der Stoß, obwohl nicht mit voller Stärke, brachte den Fremden aus dem Gleichgewicht und ließ ihn erneut in die Pfütze fallen. Ein Anblick, der beide Krieger erneut in Gelächter ausbrechen ließ. Die eine Wache beugte sich hinab und zog die bemitleidenswerte Gestalt wieder auf die Beine.
„Also, nennt euren Namen und den Grund eures Besuchs“, sagte er, wobei er den Arm seines Gegenübers nicht los ließ sondern den Druck sogar ein wenig verstärkte, um sein Argument zu untermauern. Derart gefragt, blickte die Gestalt hoch und zog artig die Kappe vom Kopf. Dabei klirrten zahlreiche Schellen, die an den Enden befestigt waren.
„Mein Name ist Blondel und ich bin ein fahrender Hofnarr und Sänger, zu euren Diensten“, sagte Blondel und verbeugte sich tief und hofartig.
„Und wie wollt ihr beweisen, dass ihr seid, was ihr behauptet?“, fragte die zweite Wache misstrauisch und näherte sich, wobei ihre Hand den Speerschaft fester umklammerte.
„Ganz einfach!“, sagte Blondel und schlug den Umhang zur Seite, sodass sein buntes Kostüm und eine Laute zum Vorschein kamen. Mit geübten, und dennoch klammen Fingern schlug er die Saiten an und begann zu singen. „Die Ballade vom Drachentöter“ war ein im ganzen Land bekanntes Lied. Von Lyonesse bis Parravon, von Couronne bis Carcassonne kannte jeder Adelige und Bauer die drei Strophen, welche von einem edlen Ritter handelten, der die Geißel des Grauen Gebirges, einen gewaltigen Drachen, suchte und schließlich unter Aufbietung all seiner Kräfte besiegte. Hell drang seine klare Stimme durch den stillen Winternachmittag, begleitet von der Melodie, eng umschlungen wie zwei Liebende, welche die Kälte von sich abhalten wollten.
Von einem Fenster, das einsam und alleine hoch oben in die Mauer eingelassen war, drang eine zweite Stimme heraus und fiel in das Lied ein. Gemeinsam mit Blondel ergab es einen lieblichen Chor, der schließlich mit dem letzten Ton der Melodie endete.
„Wer ist denn das? Er soll sich zu uns gesellen, damit wir ein zweites Lied spielen“, forderte Blondel sichtlich verzückt.
„Das wird nicht geschehen, denn er ist unser …“, antwortete die eine Wache.
„-Unser Gast, der unserer besonderen Pflege bedarf“, unterbrach ihn rasch der zweite Soldat und sah seinen Kameraden streng an. Dann wandte er sich an Blondel. „Ihr dürft passieren! Willkommen auf Belvoir. Spielt heute Abend so gut wie jetzt, und unser Herr wird sich erkenntlich zeigen.“
Es war tiefe Nacht und es schneite immer noch, als Blondel sichtlich betrunken in den kalten, spärlich beleuchteten Innenhof torkelte, begleitet vom rauen Gelächter amüsierter Burgbewohner. Sir Velos, der Herr von Burg Belvoir war ein vierschrötiger Geselle, dessen Wesen dem abweisenden Charakter seiner trutzigen Feste entsprach. Blondel wankte, sich schwer auf seinen Stab stützend, zu den Ställen, wobei er ständig etwas von seinem Maultier murmelte. Die Burgbewohner sahen ihn in dem Gebäude verschwinden und erinnerten sich dann daran, dass die Nacht kalt und das Fest im Saal noch immer weiterging. Lautes Gelächter trug ein Weiteres dazu bei, dass sie rasch wieder in die Burg eilten, um sich ihren Saufkumpanen anzuschließen.
Kaum war Blondel unbeobachtet und im Inneren des Stalls, fiel die Trunkenheit schlagartig von ihm ab. Graf Adalbert, in Montfort auch Blondel genannt, ging zielsicher zu seinen Satteltaschen. Mit flinken Fingern holte er ein Seil hervor und knotete es an seinem Stab fest. Dann entledigte er sich seines Narrenkostüms, der Kappe mit den Schellen und tauschte sie gegen einfache, braune Kleidung. Als alles zu seiner Zufriedenheit erledigt war, spähte er vorsichtig in den Innenhof und verschwand schließlich im Dunklen.
Die Außenmauer von Burg Belvoir erhob sich hoch in die Dunkelheit. Beinnahe sieben Ellen hoch, wurde sie noch dadurch verstärkt, dass der Felsen an den meisten Stellen schroff und senkrecht herab fiel. Kein Angreifer hatte es je versucht, an dieser Stelle die Festung zu attackieren, da es ein offensichtlich sinnloses Unterfangen war. Dementsprechend befand sich die Wachmannschaft auch beim sensibleren Burgtor. Außerdem hatte es den Vorteil, dass man durch die Schießscharten der weitaus wärmeren Wachturms ein Auge auf sich nähernde Personen haben konnte. Doch wer sollte um diese Zeit und bei diesem Wetter so tollkühn sein, und sich im Freien aufhalten?
Adalbert/Blondel dankte den Göttern dafür, dass das Wetter so war, wie es war. Schnell klemmte er den Stab zwischen zwei der mächtigen Zinnen der Außenmauer und ließ das Seil hinab. Mit festem Griff schwang er sich in das bodenlose Dunkel hinab und begann seinen Abstieg. Das Seil war verknotet um ihm besseren Halt zu geben. Doch in der kalten Nacht wurden seine Finger rasch klamm und der Wind ließ ihn hin und her baumeln. Unter Aufbietung seiner Kräfte kletterte Adalbert so rasch hinab, wie es ihm seine eigene Sicherheit erlaubte. Er konnte den Boden in der Dunkelheit nicht sehen, aber man musste kein Narr sein, um sich zu denken, was bei mit ihm beim geringste Fehler passieren würde. Graf Adalbert lächelte über dieses Gedankenspiel und machte sich dann wieder mit voller Konzentration ans Werk.
Eiskalter Wind pfiff ihm durch die Ohren, und das Seil schnitt sich in die langsam taub werdenden Finger. Adalbert wusste, dass ihm nur noch wenig Zeit blieb. Schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte er das Gitter. Mit vor Kälte zitternder Hand fasste er die eisernen Stäbe an. Zweimal stieß sein Fuß ins Leere, dann fand er die Schlaufe und bekam so einen sicheren Stand. Langsam kam Adalbert wieder zu Atem und schließlich konnte er ohne Keuchen in das Dunkel der Zelle hinein rufen.
Ein Gesicht erschien am vergitterten Fenster, blass und ausgezerrt. Aber trotz der widrigen Umstände konnte Adalbert darin Sir Wilguric erkennen, den gefangen genommenen Sohn des Herzogs Folcard von Montfort. Sir Wilgurics Gesicht zeigte trotz der Dunkelheit deutlich sichtbare Spuren seines Martyriums als Gefangener. Die Frisur war zu einer zotteligen Mähne verkommen, verfilzt und verdreckt.
„Sir Wilguric?“, fragte Adalbert, um auf Nummer Sicher zu gehen.
„Ich bin es“, antwortete dieser mit gebrochener Stimme. „Träum oder wach ich? Oder ist dies nur ein weiterer übler Scherz meine Kerkermeister?“
„Dies ist wahr, kein Traum. Und nicht eure Feinde haben mich gesandt, sondern die, welche auf Montforts Seite stehen.“
„Seid Ihr etwa gekommen, um mich zu befreien?“, fragte Wilguric und Adalbert konnte den Anflug verzweifelter Hoffnung darin deutlich hören. Wie oft musste der arme Herzogssohn in den langen, einsamen Stunden auf Rettung gehofft haben.
Adalbert hasste, was jetzt kommen musste.
„Nein“, sagte er und konnte seine eigene Traurigkeit darüber nicht verbergen. „Ich bin nur ein Mann. Doch nun wissen wir, wo man Euch gegangen hält. Bleibt standhaft, Sir Wilguric, die Rettung naht. Euer Vater wird Euch entsetzen, notfalls mit Gewalt.“
„Ihr habt leicht reden. Nicht Ihr schmort in diesem Kerker, sondern ich. Ratten sind meine einzigen Gefährten und sie gehören nicht zu den fürsorglichen Gesellen“, erwiderte Sir Wilguric und ließ seinen Kopf hängen.
Adalbert ergriff die Hand Wilgurics, die sich an die Gitterstäbe klammerte, als könnte bloße Verzweiflung ihm zu seiner Freiheit verhelfen.
„Haltet stand“, appellierte Adalbert erneut. „Hilfe kommt!“
Wilguric blickte auf und ein wenig Hoffnung war erneut in seinen Blick gekehrt. Adalbert machte sich bereit für de Aufstieg und verabschiedete sich. Ein Griff hielt ihn zurück.
„Sagt mir noch Euren Namen“, bat Wilguric.
Adalbert lächelte. „Ich bin, was Ihr so lange zu vermissen glaubtet. Ein Freund.“
Dann kletterte er das Seil hinauf und verschwand in der Dunkelheit.
***
Das Gasthaus ähnelte eher einer kleinen Festung. Hinter hohen Palisaden aus grob behauenen, aber sorgfältig zugespitzten Holzstämmen lag das massiv gebaute, zweistöckige Wirtshaus, welches zudem auf einem festen, aus Steinen gefertigten Fundament ruhte. Den Eingang erreichte man nur über Treppe wie bei Reynalds heimatlichem Wachturm, wodurch der Angriff zusätzlich erschwert wurde. Auch die Wirtschaftsgebäude beiderseits des Gasthauses waren massiv und die Fenster waren eher Schießscharten und weit oben angebracht, wodurch ein Eindringen praktisch unmöglich gemacht wurde.
Das Innere des Gasthauses präsentierte sich jedoch als weitaus heimeliger, als es die abweisende Außenfront erwarten ließ. Von den schweren Querbalken aus massiver Eiche hingen Würste, Kräuter und sogar ganze Schinken hinab. Ein warmes, einladendes Feuer prasselte in dem offenen Kamin, und ausnahmsweise zog dieser auch, wodurch der Raum nicht die Eigenschaften einer Rauchhütte hatte. Tische und Stühle aus festem Holz, eine riesige Theke hinter der demonstrativ riesige Eichenfässer platziert waren und sogar kleine Nischen an der Längsseite komplementierten die Einrichtung des Gasthauses. Eine verzierte Treppe führte in das obere Stockwerk, wo sich die einzelnen Zimmer befanden. Der Wirt war eine riesige, beinahe kugelrunde Gestalt, aus dessen feistes, hochrotes Gesicht Freude versprühte.
Mehrere Stunden später saß Bertrand gesättigt und so zufrieden wie der Wirt in einer Badewanne. Dies war wahrlich ein Luxus, den sich Bertrand nicht zu erträumen gewagt hatte. Bertrand hielt sich selbst für reinlich und war einem Bad niemals abgeneigt. Er kannte Menschen aus seinem Dorf, die sich nur zweimal im Jahr badeten, und dementsprechend rochen. Doch Bertrand war erstaunt über die Menge an Schweiß und Dreck, die sich durch das ausgiebige Bad von seinem Körper gelöst hatten. Das Wasser, nun lauwarm, war zu einer trüben Brühe verkommen auf dem die Seifenflocken schwammen und so glücklicherweise einen eindringlicheren Blick auf die Farbe verwehrten. Bertrand hätte schon längst aufstehen und sich abtrocknen sollen, vor allem wegen des schmutzigen Badewassers. Doch die Anspannung des Tages hatte nachgelassen, und trotz aller Bedenken war das Bad immer noch entspannend. Bertrand legte den Kopf in den Nacken und genoss die Ruhe.
Zierliche Finger strichen sanft über seinen Nacken und wanderten darin hinab. Bertrand fuhr überrascht hoch, doch eine Hand drückte ihn sanft wieder hinab. Eine schlanke Gestalt trat in sein Blickfeld, wobei sie ihn nicht ansah und den Rücken zukehrte. Die Hand jedoch wanderte von seinem Nacken über die Schulter weiter. Die Person war eindeutig weiblich, ein einfacher, silbern glänzender Überhang bedeckte den Körper, wobei er die Kurven dabei sogar noch mehr betonte.
„Ich wusste, dass ich Euch hier finden werde“, sagte die weibliche Person, wobei sie ihm immer noch ihre äußerst ansehnliche Rückenpartie präsentierte. Der Umhang flatterte im Wind, als er zu Boden fiel, fast wie in Zeitlupe kam es Bertrand vor, der seine Augen nicht abwenden konnte.
„Ich konnte meine Augen nicht von Euch abwenden, seitdem ich Euch zu erstem Mal erblickte habe“, gestand die Frau ein. “Ihr sollt mein Kämpe sein.“
Mein Kämpe.
Bertrand erinnerte die Wortwahl an seine Träume. Auch die Herrin vom See hatte diese Worte verwendet, doch bei ihr war Bertrand in einem weitaus weniger erregten Zustand gewesen. Die Frau drehte sich zu ihm um, splitterfasernackt. Bertrand sah in ihr Gesicht, es war Lady Yoanne.
„Ihr? Was macht Ihr hier?“, rief sie überrascht mit schriller Stimme und versuchte mit ihren Händen die intimsten Stellen zu bedecken. „Wo ist Sir Reynald?“
„Ich nehme nur ein Bad, Milady, und Reynald war vor einer Stunde daran“, antwortete Bertrand entschuldigend. Er wollte sofort aus der Wanne steigen, doch dann fiel ihm ein, dass dies wahrscheinlich unpassend wäre. Stattdessen platzierte er möglichst viel Seifenschaum vor seinem eigenen Intimbereich.
Lady Yoanne beugte sich hinab und zog eilig ihren Umhang hoch um sich zu bedecken.
„Verschwindet, auf der Stelle“, herrschte sie Bertrand an.
„Verzeiht, Milady, aber Ihr seid wohl in den Raum gekommen, während ich ein Bad genommen habe.“
Bertrand sah an ihrem Gesichtsausdruck, dass Yoanne die Wahrheit in seinem Punkt erkannte. Sie wollte gerade an ihm vorbei gehen, als Bertrand etwas erblickte, das seine Zurückhaltung sofort verschwinden ließ. Er schoss hoch, und hielt Yoanne an ihrem nackten Oberarm fest.
„Was ist das?“, fragte er scharf und vergaß, dass sie eine Adelige, und sie beide mehr nackt, denn bekleidet waren.
„Lasst mich sofort los!“, protestierte Yoanne und wand sich wie eine Schlange. Doch Bertrand gehorchte nicht und blieb eisern.
„Was ist das?“, fragte er erneut. Dieses Mal sah er nicht weg, sondern genauer hin. Auf dem linken Ansatz ihrer Brust war ein Muttermal.
Ein Muttermal in Form eines Kleeblattes.
„Lasst mich sofort los, Flegel“, zischte Yoanne wenig damenhaft und stürmte zur Tür, als sie schließlich freikam. Doch Bertrand war ihren ungestümen Aufforderungen nicht Folge geleistet, sondern hatte schließlich die schreckliche Wahrheit erkannt. Yoanne öffnete die Türe und sofort hörten beide, den Lärm. Es war dieser Aufruhr, der Yoanne inne halten ließ.
„Was bedeutet dies?“, fragte sie zaghaft und blieb am Türrahmen stehen.
Bertrand stieg aus der Wanne, Wasser floss in Hunderten Tropfen auf den Boden und zog sich ebenfalls seinen Mantel an, der sofort auf der nassen Haut kleben blieb. Er trat neben sie und vergaß sogar die knisternde Anspannung, die unwillkürlich zwischen zwei jungen Menschen, die jeweils nur mit einem leichten Tuch bekleidet waren, entstehen musste. Bertrand hörte schwere Schritte und gedämpfte Rufe, die von außerhalb der Mauern dieses Gasthauses stammten, aber dennoch laut genug waren, um durch diese zu durchdringen. Bertrand kannte diese Geräusche, und sie versprachen nichts Gutes.
„Geht in euer Zimmer“, befahl er Lady Yoanne. Sie sah ihn, als würde sie ihm widersprechen. Von draußen drangen laute Schreie an ihre Ohren.
Das gab den Ausschlag, Lady Yoanne verschwand in den Gang, mit so viel Würde, wie aufzubringen im Stande war. Bertrand drehte sich um und versicherte sich, dass die Türe wirklich verschlossen war. Kurze Zeit später kam er wieder hinaus. Es war ein ungutes Gefühl, in seinen ungewaschenen Kleidern zu stecken, aber seine Zweitwäsche war in ihrem Zimmer und dafür war keine Zeit mehr. Er rannte die Treppe hinab und wäre fast mit einem Bediensteten des Gasthauses zusammengestoßen. Der Mann wirkte sichtlich angespannt, der sich zutiefst erschrak, als er auf Bertrand traf.
„Was ist los?“, wollte Bertrand wissen, doch der Mann rannte weiter um seinen Auftrag zu erfüllen, und gab ihm keine Antwort.
Bertrand ging weiter und trat ins Freie.
Die sich ihm bietende Geräuschkulisse erschlug Bertrand fast förmlich. Etwas brannte lichterloh hinter der Holzpalisade, deren qualmende Feuerzungen für eine dramatische Beleuchtung sorgten.
Von außen drangen Rufe an Bertrands Ohr, die unmöglich aus menschlichen Kehlen stammen konnten. Eine Menschentraube stand in der Nähe des Tores und Bertrand hielt zielstrebig darauf zu. Die Gruppe bestand aus dem Wirt, Jerome de Montfort, Reynald le Durie und dem Baron Benoit de Bosquet und zwei seiner Männer.
„Wir sollten einen Ausfall machen“, schlug der Wirt gerade vor, als Bertrand ankam.
„Nein, auf keinen Fall!“, konterte der Baron leidenschaftlich. „Wir dürfen meine Tochter und Erbin keinerlei Gefahr aussetzen.“
„Aber meine Gebäude schon“, erwiderte nun der Wirt ungehalten.
„Das Leben einer hochgeborenen Dame ist wichtiger, als einige Gebäude. Ich bin mir sicher, dass Euch der Herzog für den Verlust entschädigen wird“, sagte der Baron, der sich des Rückhalts seiner beiden Krieger sicher war. Bertrand schnaubte nicht hörbar, ob solcher Arroganz. Der Wirt sah die beiden Wachen und rollte nur mit seinen Augen.
Es wäre sicher zu einer Konfrontation gekommen, wenn nicht eine feindliche Horde ein dringenderes Problem dargestellt hätte.
„Wie gehen wir nun vor?“, fragte Reynald le Durie. Von außerhalb untermalte das animalische Gebrüll seine Frage.
„Wir kämpfen an den Palisaden“, sagte Jerome de Montfort und beendete damit den Zwist. Der Wirt und der Baron fügten sich in diesen Entschluss.
„Bertrand“, sagte Jerome und wandte sich seinem Knappen zu.
Mehr benötigte Bertrand nicht. Er nahm seinen Langbogen und machte sich bereit. Mehrere der Männer des Barons folgten ihm. Die Palisaden hatten im Abstand von ungefähr zehn Ellen Abstand Plattformen, auf denen man in halbwegs sicherer Deckung stehen konnte. Bertrand ging zur nächsten, die sich direkt neben dem Tor befand. Der Blick über die Palisade glich einem Albtraum. Bertrand sah das Feuer, doch dies war nicht das Bedrohlichste. Ein wogendes Meer aus muskelbepackten, schweißnassen menschlichen Oberkörpern, die in bestienartigen Schädeln endeten, brandete gegen die Befestigung. Rotglühende Augen blickten voller Hass empor, in ihnen loderte der Durst nach menschlichem Fleisch. Die Tiermenschenhorde hatte die Fährte wieder aufgenommen und ihre Beute schließlich gestellt. Ein wildes, triumphierendes Heulen erklang und die Horde strömte erneut vorwärts.
„Große Götter!“, stammelte ein Stallknecht neben Bertrand voller Entsetzen.
Bertrand sah ihn mitleidsvoll an. Es war lange her, seitdem ihn ein solcher Anblick ebenso tief getroffen hätte. Er legte einen Pfeil an die Sehne seines Langbogens.
„Vergesst nicht“, rief er. „Auch diese Bestien sind sterblich. Für die Herrin!“
„“Für die Herrin!“, erschallte der Schlachtruf der Bretonen aus zwei Dutzend Kehlen. Sämtliche Plattformen auf dieser Seite der Palisade waren inzwischen mit Männern besetzt. Ein Pfeil- und Speerhagel regnete auf die Angreifer herab und forderte einen hohen Blutzoll unter den Kindern des Chaos. Bertrand erster Pfeil senkte sich seitlich in den Hals eines Tiermenschen, dessen Kopf eine krude Mischung aus Hirsch und Schwein darstellte. Ein Schwall dunkelroten Blutes sprudelte heraus und mit einem schwachen Blöken sank der Getroffene zu Boden, wo er von seinen Artgenossen mitleidslos niedergetrampelt wurde. Bertrand schoss seinen zweiten Pfeil ab.
Dann den Dritten.
Wieder und wieder feuerten er und die anderen Bogenschützen ihre todbringenden Geschosse auf die Feinde. Der Angriff erlahmte. Dutzende Feinde lagen auf der Wallstatt, die Horde zog sich zurück, außerhalb ihres Sichtfeldes. Nur das Prasseln des Feuers erklang und der Schein beleuchtete lediglich das eben noch heiß umkämpfte Schlachtfeld.
Doch Bertrand ahnte, dass diese Sache noch nicht zu Ende war. Aus der Dunkelheit erklang erneut Gebrüll. Dieses Mal weniger zuversichtlich, doch dafür umso wutentbrannter. Schatten löste sich aus der Dunkelheit, zuerst wenige, dann immer mehr.
„Macht euch bereit“, erklang der Befehl an die Verteidiger. Es war Jerome de Montforts Stimme. Die feindliche Horde griff erneut an. Es waren mehr Tiermenschen, als Bertrand auf die Schnelle zählen konnte. Sicher fast einhundert dieser unheiligen Geschöpfe. Und sie hatten dazu gelernt. Ein grob behauener Stamm diente als Rammbock, der von etlichen Tiermenschen getragen wurde. Weitere Angreifer beförderten andere Stämme, in die Kerben gehauen waren, und die offensichtlich als Leiter dienen sollten. Bertrand fragte sich noch, wann die Tiermenschen diese angefertigt und warum sie sie nicht beim ersten Angriff verwendet hatten. Doch dann waren die Feinde in Reichweite und solche Fragen wurden obsolet.
„Zielt auf die Träger des Rammbocks!“, rief Bertrand den Männern auf seiner Plattform zu. Sein erster Pfeil war zu niedrig gezielt. Statt der anvisierten Stelle im Hals traf er die Rippen. Der Getroffene blökte auf, doch blieb er auf seiner Position und der Rammbock kam dem Tor näher. Seinen Mitstreiter lächelte die Herrin vom See mehr zu. Drei der Träger fielen zu Boden, gefällt von Speeren und Pfeilen. Der Rammbock donnerte mit einem gewaltigen Krachen gegen das massiv gebaute Tor aus Eichenstämmen. Bertrand konnte den Aufprall sogar auf seiner Plattform spüren. Er schoss einen zweiten Pfeil ab und dieses Mal verstummte der Tiermensch für immer. Doch schon sprang ein weiterer Feind herbei, um dessen Platz einzunehmen. Wieder donnerte der Rammbock gegen das Tor, das in seinen Angeln ächzte. Mehrere Bohlen begannen zu splittern. Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann es nachgeben würde. Mit bangem Herzen erkannte Bertrand, dass sie kurz vor der Niederlage standen.
Ein Schwall dunkler Flüssigkeit regnete auf die Träger des Rammbocks hinab und benetzte ebenso den Untergrund. Die Tiermenschen beachteten es nicht, und verdoppelten sogar ihre Anstrengungen, das Tor zu zerstören.
Eine Fackel fiel hinab.
Innerhalb von einem Wimpernschlag explodierte die Welt. Der Feuerschein blendete Bertrand, der sich eine Hand schützend vor die Augen halten musste, um nicht seine Sicht zu verderben. Alles brannte. Der Rammbock, die sich in Schmerz windenden Träger, sogar der Boden wurde ein Raub der Flammen. Es roch plötzlich sehr eindringlich nach verbranntem Fleisch, Fell und Fett.
Bertrand sah hinüber, auf die Plattform auf der anderen Seite. Der Bedienstete, mit dem er in der Halle fast zusammengestoßen war, lächelte ihn an, während er mit beiden Händen noch das große Gefäß hielt. Dann traf ihn ein Kurzspeer mit voller Wucht und schleuderte ihn von der Plattform.
„Sie sind an der Mauer“, erschallte der Warnruf und erinnerte Bertrand daran, dass es immer noch genug Feinde gab. Ein zu einer hässlichen Fratze verzogener Tierschädel tauchte unvermittelt vor Bertrand auf. Der warf seinen Langbogen zur Seite und zog sein Schwert. Der bretonische Stahl bewies seine Qualität als er den Schädel des Tiermenschen ohne Mühe spaltete. Die Klauen erschlafften und der Tiermensch fiel hinab. Doch schon erklomm der nächste von ihnen die Mauer. Einer der Männer lehnte sich über die Brüstung und stach mit dem Speer hinab. Ein unmenschlicher Schmerzenslaut belohnte sein Bemühen. Der Kampf verkam zu einem Abschlachten. Bertrand dachte nicht mehr bewusst nach. Wieder und wieder schlug er nach den auftauchenden Angreifern, so wie der Rest der Männer auf den Plattformen. Sein Schwertarm schmerzte, doch sein Training und der schiere Überlebenswille übernahmen. Er hätte wohl noch ewig so weiter gekämpft, wenn ihn eine vertraute Stimme nicht aus dieser Lethargie gerissen hätte.
„Bertrand!“
Der Angesprochene schrak hoch und drehte sich zu der Stimme um. Jerome de Montfort stand mit dem gezogenen Schwert Oriflammè unter seiner Plattform. Seine Rüstung war über und über mit Blut und Seim besudelt, ein Beweis, dass auch der Ritter nicht untätig gewesen war. Bertrand gehorchte augenblicklich und ein Mann nahm sofort seinen Platz ein. Wortlos wandte sich der Ritter ab und vertraute darauf, dass ihm sein Knappe folgte. Bertrand gingen viele Fragen durch den Kopf, vor allem, weil sie sich vom Kampfplatz entfernten. Rasche Schritte waren zu hören und Bertrand sah Reynald le Durie, der sich ihnen im vollen Lauf anschloss.
Jerome de Montfort ging weiter zielstrebig voran, der Kampflärm verebbte. Der hünenhafte Ritter führte sie an die andere Seite der Palisade, die nur merklich vom Feuerschein beleuchtet war. Die Kühle und Dunkelheit bildeten einen frappierenden Kontrast zu der Hektik und Hitze des Schlachtfeldes. Bertrand wollte bereits fragen, doch Renald le Durie kam ihm zuvor.
„Warum sind wir hier?“, fragte der junge Ritter.
Jerome de Montfort drehte sich zu den beiden Anderen um. Seine Stimme war leise, bedächtig. „Habt ihr die Angreifer begutachtet?“
Bertrand nickte, und Reynald tat es ihm gleich.
„Dann sagt mir, was ihr gesehen habt“, sagte Jerome, dessen Stimme in ihrem Tonfall Bertrand an seine Lehrmeister Meister Rainheim und Gervaise Haughey erinnerte.
„Tiermenschen“, sagte Reynald einsilbig, als wäre es das Selbstverständlichste der Alten Welt.
„Und?“, lockte Jerome de Montfort.
Reynald zuckte ahnungslos mit der Schulter.
„Der Häuptling“, sagte Bertrand schließlich, als ihm ein Licht aufging.
„Wer?“, fragte Reynald verwundert.
„Der Häuptling“, wiederholte Bertrand. „Die Bestie, die den Angriff auf den Baron angeführt hat. Sie fehlt, und mit ihm die mächtigsten seiner Tiermenschen.“
„Und du hast in der Hitze des Kampfes die Zeit gehabt, die Feinde nach einer bestimmten Bestie abzusuchen“, erwiderte Reynald giftig. „Das ist doch blanker Unsinn! Dieser Häuptling ist sicher mitten unter seinen Mutanten.“
„Es stimmt“, stellte Jerome fest und erstickte damit den Disput im Keim. Auf Reynalds Gesicht war sichtlicher Widerwille erkennbar, trotz der spärlichen Lichtverhältnisse der Nacht. Das Auftauchen mehrerer dunkler Gestalten auf der Palisade war jedoch Beweis für die Richtigkeit von Bertrands Vermutung. Der Häuptling und seine Leibgarde, allesamt mächtige Bestigors sprangen mühelos herab. Ihre Waffen funkelten bedrohlich glänzend im fahlen Lichte Morrsliebs. Oriflammè leuchtete hell auf, als würde die gesegnete Klinge die Bösartigkeit der sich rasch nähernden Gegner spüren.
„Für die Herrin vom See!“, rief Jerome de Montfort und seine mächtige Stimme übertönte mühelos das Brüllen der Tiermenschen. Dann prallten die beiden Reihen aufeinander. Bertrand fand sich gleich mit zwei Gegnern konfrontiert. Schritt für Schritt wich er zurück, während er mit Schwert und Dolch den Regen aus Schlägen und Hieben mühsam abwehrte. Auch den beiden anderen Bretonen erging es ähnlich, da ihre Feinde weit in der Überzahl waren. Jerome de Montfort bildete dennoch einen Ruhepol, an dem die Wellen der Angreifer zerbrachen. Langsam bewegte sich Bertrand auf seinen Herrn zu während er sorgsam darauf bedacht war, die blitzenden Klingen seiner Gegner immer noch zu parieren. Seine beiden Arme schmerzten unter der enormen Belastung, doch seine von ihm oft verwünschte Ausbildung übernahm die Führung. Offensichtlich lächelte die Herrin vom See immer noch auf Bertrand herab, denn schließlich stand er Rücken an Rücken mit Jerome de Montfort und Reynald le Durie, dem auch nur dieselbe Option geblieben war. Ein Kreis wilder, unbändiger Gestalten mit grobschlächtigen Waffen umzingelte sie. Dahinter konnte Bertrand erkennen, wie der Häuptling mit seinem Kleeblatt-Muttermal samt drei seiner Untergebenen in Richtung des Gasthauses stürmte.
Augenblicklich fiel ihm Lady Yoanne ein. Doch ein Durchkommen durch den Belagerungsring schien unmöglich, da jeder Versuch sofort unterbunden wurde.
„Wir müssen den Häuptling stoppen!“, rief Bertrand.
Jerome de Montfort nickte und stürmte augenblicklich vorwärts. Oriflammè sang, als es in weitem Bogen durch die Luft schnitt. Das Langschwert spaltete Eisen, Fleisch und Fell. Zwei Tiermenschen fielen tödlich getroffen zu Boden. Die Lücke war da.
Bertrand hielt sich rechts, Reynald links von Jerome, gemeinsam wehrten sie jeden Angriffsversuch auf Jerome de Montfort ab, den dieser nicht selbst blockte. Tiermenschen fielen dem bretonischen Stahl zum Opfer, während sich das Trio weiter seinen Weg bahnte. Der letzte der Tiermenschen, eine muskulöse Bestie mit einem Stierschädel sprang mit erhobener Axt auf den Rücken Jerome de Montforts. Dieser schüttelte sich wie ein wildes Pferd. Bertrand wirbelte herum und sein Schwert zerschmetterte den Rücken der Bestie, die lautlos von Jerome abfiel.
„Habt Dank“, sagte Jerome und Bertrands Brust schwoll vor Stolz fast an.
Ein schriller Schrei aus dem Gasthaus holte sie schlagartig wieder in die Realität zurück. Gemeinsam stürmten sie in das Gebäude. Im großen Saal war es unheimlich ruhig, das Feuer prasselte immer noch im Kamin, fast heimelig mutete die Szenerie an. Wäre da nicht zwei erkaltete Leichen gewesen, die beide den Waffenrock des Barons de Bosquet trugen. Eine riesige, und stetig größer werdende Lache Bluts unterstrich die Dringlichkeit schnellen Vorankommens. Wildes Gebrüll, Klirren von aufeinanderprallenden Waffen und als Krönung das Kreischen einer weiblichen Person verstärkten ihre Bemühungen. Die drei Bretonen flogen die Treppe fast empor, die Bretter ächzten unter der Belastung ihrer eisengepanzerten Stiefel.
Sie bogen um die Ecke und sahen eine furchterregende Szene. Baron de Bosquet rang mit dem Häuptling und zwei weiteren gewaltigen Tiermenschen im Korridor, während sich seine Tochter Lady Yoanne mit schreckensgeweiteten Augen verzweifelt an die Holzwand presste, als würde sich dadurch ein neuer Fluchtweg auftun. Der Anführer der Tiermenschen, mit seinem raubtierähnlichen Widderschädel sah die neu auftauchenden Menschen, und unstillbarer Hass blitzte aus seinen tiefroten Augen hervor. Er rief etwas in der harschen Sprache der Tiermenschen, und seine beiden Begleiter wandten sich um sich der neuen Bedrohung entgegen zu stellen.
„Kümmert euch um die Beiden“, befahl Jerome de Montfort und stürmte an den verwunderten Tiermenschen vorbei, die er achtlos zur Seite rammte. Die Tiermenschen erholten sich rasch und attackierten nun Bertrand und Reynald. Eine Axt wirbelte umher und Bertrand warf sein Schwert verzweifelt nach vorne. Die Attacke war so stark, dass sein Schwert zur Seite geschleudert und aus seiner Hand gerissen wurde. Es prallte klirrend gegen die Wand und blieb am Boden, weit außer seiner Reichweite, liegen.
Dann traf etwas mit unwiderstehlicher Wucht sein Gesicht und warf ihn zu Boden. Blut, sein eigenes Blut, floss ihm über das Gesicht und vernebelte seine Sicht. Er blickte auf und sah ein Paar Hufe, und darüber einen sich triumphierend aufbauenden Tiermenschen, der ihm den Todesstoß versetzen wollte. Die Axt senkte sich in einem wilden, beschleunigenden Bogen, und Bertrand sah sein letztes Stündchen gekommen. Brüllend warf sich Reynald le Durie dazwischen, indem er den Feind mit seiner Schulter rammte. Die Aktion verschaffte ihnen jedoch nur für einen kurzen Moment eine Ruhepause, denn nun warfen sich beide Feinde ungestüm in den Kampf. Durendal blitzte wieder und wieder auf, und wehrte die Hiebe und Schläge der beiden Tiermenschen ab, die sich in ihrem Bestreben Reynald zu töten, in dem engen Korridor sogar behinderten. Dennoch war es offensichtlich, dass der junge Ritter auf Dauer unterliegen würde.
„So steht doch auf und helft mir“, rief Reynald Bertrand frustriert zu.
Doch der angesprochene Knappe war immer noch benebelt von dem Prankenschlag und in seinem Kopf drehte sich alles. Er musste dagegen ankämpfen, sich auf Magen. In seiner linken Hand spürte er Widerstand und trotz seiner konfusen Lage erfasste den Grund dafür. Bertrand stach mit Durak Angril von oben zu. Es war eine unbeholfene Aktion und sein fehlender Gleichgewichtssinn führte dazu, dass er unkontrolliert auf den Boden knallte. Aber der lange Dolch fand sein Ziel und nagelte den Huf eines Tiermenschen fest. Der Getroffene blökte wie ein abgestochenes Schwein, während sich seine Pranken in Richtung des Schmerzes bewegten.
Mehr benötigte Reynald nicht.
Durendal blitzte, und schlitzte die Kehle des Feindes auf. Röchelnd sank dieser zu Boden, während Blut aus der Wunde hervorquoll. Das Blatt hatte sich wieder zu ihren Gunsten geändert. Reynald drängte den verbliebenen Feind vor sich her. So hatte Bertrand die Gelegenheit das Duell zwischen dem Häuptling und Jerome de Montfort zu sehen. Es war als würden zwei Naturgewalten aufeinanderprallen. Zwei Champions von überirdischen Mächten, wie sie unterschiedlicher nicht sei konnten. Steinaxt gegen Langschwert, Mensch gegen Geschöpf des Chaos, Ritter gegen Bestie.
Jerome de Montfort führte sein Klinge meisterhaft, Parade folgte auf Attacke, Konter wurden abgewehrt, nur um im nächsten Augenblick wieder selbst eine Angriff zu führe. Oriflammè leuchtete bei jedem Kontakt mit der Steinaxt hell auf, deren verderblichen Chaosrunen grell aufblitzten. Es war, als könnte das gesegnete Schwert spüren, gegen welche Verderbnis es ins Feld geführt wurde. Heller und heller leuchtete es, bis sich Bertrand zum Schutz eine Hand vor die Augen halten musste.
Schließlich wirkte sich der Segen der Herrin aus. In einem furchtbaren Aufwärtshieb schnitt Oriflammè singend durch die Luft. Es traf die Axt und entzweite sie, das steinerne Blatt flog rotierend weg und blieb zitternd in der Wand stecken, nur wenige Handbreit von Lady Yoannes Gesicht. Der Tiermensch warf den nutzlosen Stiel zur Seite und brüllte ein letztes Mal. Es war ein wilder, hasserfüllter Laut, wobei die Sehnenstränge an seinem Hals hervortaten und sich die gewaltigen Muskeln seines Oberkörper und seiner Arme wölbten.
„Stirb, Bestie“, knurrte Jerome, den Bertrand noch nie zuvor so emotional gesehen hatte. Ein einzelner Schlag und drang tief in den Brustkorb ein. Langsam knickte der Häuptling ein, sein Gesicht hatte einen schmerzerfüllten Blick, der zuletzt auf Baron Benoit de Bosquet weilte. Eine Hand hob sich in dessen Richtung.
„Vater“, stammelte der Mutant, dann verschied er.
Der Kampflärm verstummte abrupt, als Reynald auch seinen Gegner zur Strecke brachte. Taumelnd erhob sich Bertrand, dessen Schädel wie ein Bienenstock summte und brummte.
„Vater!“, schrie Lady Yoanne und eilte zu dem Baron, der mit bleichem Gesicht zu Boden gesunken war. Ein sich ausbreitender blutroter Fleck auf seinem Waffenrock verriet den Grund dafür.
Das Gesicht des Barons war eingefallen und leichenblass, man musste kein Heiler sein um zu wissen, dass es mit dem alten Adeligen zu Ende ging. Mit zittriger Hand hielt er die zierlicheren Hände seiner Tochter.
„Mein Kleines“, stammelte er, dann versagte ihm die Stimme und er sank zu Boden. Zuletzt war sein Blick auf den toten Tiermenschen fixiert.
„Mein … mein Sohn.“ Der Baron bekam einen fürchterlichen Hustanfall und erbrach einen Schwall Blut. „Meine Schande.“
Es waren die letzten Worte des Barons Benoit de Bosquet.
Reynald ging nach zu Lady Yoanne um sie zu trösten, unterwegs bedachte er Bertrand mit einem vielsagenden Blick.
Jerome stützte seinen Knappen. Gemeinsam standen sie vor der Leiche des Tiermenschen, der sich als der Sohn des Barons entpuppt hatte.
„Ich frage mich, ob es wohl einen anderen Weg gegeben hätte“, murmelte Bertrand leise vor sich hin. Dann schrak er hoch, als ihm aufging, was er gesagt hatte.
„Jedweder Makel muss gesühnt werden“, sagte der hünenhafte Ritter. Dann drehte er sich um, und verschwand. Bertrand stöhnte, ob seines brummenden Kopfs. Dann sah er sich selbst an. Er war über und über mit Blut und noch unangenehmeren Körperflüssigkeiten verdreckt. Offenbar war es wieder an der Zeit ein Bad zu nehmen. Nur dieses Mal hoffte er, von niemandem gestört zu werden.