Kapitel 5
„Das Grundprinzip der militärischen Moral besteht darin, dem gemeinen Soldaten alles zu verheimlichen, was ihm nicht gefallen könnte“
-General Ivan Pankau, 53. Valhalla bei der Belagerung der Iron Warrior Festung Eisentod-
Genau wie die große Kathedrale musste das Rathaus vor dem Krieg ein beeindruckendes Gebäude gewesen sein. Vier hohe, schmale Türme umrahmten einen mächtigen, goldenen Kuppelbau und das massive Hauptgebäude war komplett mit dem besten weißen Marmor des Planeten verkleidet worden. Doch auch hier hatte der Krieg dem Gebäude die Herrlichkeit größtenteils genommen. Zwei der vier Türme waren eingestürzt, ein dritter sah aus als ob er von gigantischen Holzwürmern befallen war. Der Kuppelbau war ebenfalls durchlöchert worden, aber, so wie der Großteil des Hauptgebäudes, noch erstaunlich intakt. An einigen Stellen schwelten immer noch Brände und das, obwohl Wochen seit der Zerstörung vergangen waren. Ein Zeugnis über die gewaltigen Ausmaße der Vernichtung, die über diese Stadt hereingebrochen waren.
Von alle dem sahen die Mitglieder des Einsatzkommandos in der absoluten Dunkelheit nichts.
Auf dem ereignislosen Weg, den sie überraschend schnell zurück gelegt hatten, war der Alte sehr sparsam mit Informationen gewesen und das wurmte Kraft gewaltig. Es war zwar die Masche des Majors die meisten Informationen zurück zu halten, aber in solchen Situationen fand Kraft diese Schweigsamkeit schon fast fahrlässig. Das einzige, was er herausgerückt hatte war, dass sie die Bibliothek des Rathauses schleunigst aufsuchen mussten um eine bestimmte Karte zu borgen, bevor der Feind dies tat, auch wenn dieser Fall wahrscheinlich schon eingetreten war. Mittlerweile war der Feldbericht des Stahllegionärs durch die Hände der Männer gegangen. Die Aussichten, dass sie nun einem Heer von Millionen und offensichtlich auch Warpmagie gegenüberstanden waren ein herber Schlag für die Moral und Kraft fragte sich wirklich, was eine einzelne Karte aus irgend einem verstaubten Regal im Angesicht dieser Tatsachen so wichtig machte, dass sie ihr Leib und Leben dafür riskierten, anstatt den sofortigen Rückzug zu organisieren. Aber Kraft und die anderen Rheinländer waren nicht die Art von Soldaten, die die Handlungen ihres Befehlshabers in so einer Situation anzweifelten, der Alte würde schon wissen, was er tat. Das hoffte Kraft zumindest inständig.
Jäger hob die Hand und der kleine Trupp ging umgehend in Deckung. „Jäger für Rossmann. Was ist los Herr Leutnant?“, es war Rossmanns Stimme, welche stark verzerrt durch das Helmkomm rauschte. „Ich sehe Lagerfeuer und Patrouillen Sir.“. Endlich Feindkontakt. Die Abwesenheit von Feinden seit dem Zwischenfall mit dem Heckenschützen hatte zur allgemeinen Nervosität beträchtlich beigetragen und auch wenn es gewiss keiner zugeben würde, wusste Rossmann, dass die meisten seiner Männer in diesem Moment sehr erleichtert waren. Er war es zumindest.
So leise wie möglich robbte der Major zu der Position des Spähers vor. Die Truppe war in einem der Trümmerfelder angelangt, welches direkt vor dem Haupteingang des Rathauses lag. Mit dem Feldstecher in Position erkannte der Alte das Problem. Der Platz vor dem Rathaus war ein Feindlager geworden. Nicht viele, vielleicht knapp einhundertundfünfzig Mann, aber trotzdem zu viele um sich den Weg frei zuschießen. „Die Frage ist jetzt, wie kommen wir in das Rathaus, ohne dabei draufzugehen?“, in Rossmanns Stimme lag ein für ihn, in solche Situationen typischer Sarkasmus. „Die Vordertür fällt denke ich flach, es sei den jemand von uns hat einen Leman mit geschmuggelt und uns nichts gesagt.“ Eine Kopfnuss von Kraft auf den Helm von De Vall beendete diese Intervention mit einem leisen 'klonk' im Kom. „Es gibt glaube ich einen Nebeneingang an der Westseite Herr Major. Dann wären wir auch näher an der Bibliothek.“ Rossmann konnte die Stimme nicht zu ordnen, auch wenn er durch den Akzent sofort einen jungen Rheinländer erkannte. „Wie heißen sie mein Junge?“ „Schütze Gregor Fieber von den Spähern Herr Major.“ „Sehr gut Schütze Fieber. Woher haben sie diese Informationen?“, Skepsis war ein weiteres Merkmal des Majors, auch wenn dieses nicht so häufig auftrat. „Ich war Leutnant Jägers Adjutant, als sie auf der ersten Einsatzbesprechung waren. Während sie im Besprechungsraum waren, habe ich mit einigen Stahllegionären das Gebäude besichtigt, na ja, was davon übrig war.“ „Was denken sie Jäger?“
Jäger zögerte kurz und schaute sich das Gelände noch einmal genau an, bevor er sich zu einer Antwort entschloss: „Ich denke, wenn sie da rein wollen, ist der Seiteneingang unsere beste Möglichkeit.“
Es wurde nicht weiter gesprochen, Rossmann setzte sich einfach in Gang und der Rest folgte ihm, alle bis auf Krieger. „Ich gehe keinen Schritt mehr weiter, bevor sie mir nicht erklären, was sie mit dieser verdammten Karte wollen.“, Kriegers Stimme war stark angespannt, aber trotzdem noch leise „Wir verplämpern hier nämlich wertvolle Zeit, die wir nutzen sollten, um Marschall Macaroth vor dieser Gefahr zu warnen und unsere letzte Stellung auf zu bauen, anstatt irgend welchen Pergamentfetzen hinterherzujagen!“
„Ich habe es ihnen schon einmal erklärt und ich werde es noch einmal tun Krieger, wenn sie dann ihr verdammtes Mundwerk halten. Diese Karte enthält für diesen Kriegsschauplatz womöglich wichtige Informationen, die...“. „'Womöglich' hilft dem Marschall nicht!“. „Wenn wir hier versagen hilft dem Marschall Nichts und Niemand mehr oder glauben sie wirklich, dass er in dieser Phase der Kämpfe ein Millionenheer hinter seinen Linien besiegen könnte? Wir brauchen diese Karte und ich sehe mich nicht genötigt, ihnen die Informationen des Kartenmaterials mitzuteilen. Wir brechen auf!“ „Herr Major! Sie hören mir jetzt zu...“, Krieger wurde abrupt unterbrochen, da ihm eine Boltpistole an den Kopf gehalten wurde. „Sie hören mir jetzt zu Krieger.“, Es war Kirov „Sie haben wohl vergessen, was ich ihnen am Hauptquartier gesagt habe? Halten sie jetzt ihre Schnauze oder ich unterschreibe mit Freuden unsere Todesurteile, nur um ihnen das Hirn bei einer Geheimmission heraus zu blasen. Der Major hat sich klar ausgedrückt, ich dulde keine Befehlsverweigerung und vor allem habe ich ihr Geschwätz satt!“, mit diesen Worten entfernte Kirov die Boltpistole wieder und setzte sich in Marsch.
„Danke!“, es war leise ausgesprochen und nicht über Komm gesendet. Kirov war nun knapp hundert Meter weiter neben Rossmann gelandet und Krieger hielt Abstand. „Danke, dass sie die Vorgänge beschleunigt haben.“
„Ich nehme ihren Dank gerne an Herr Major, jedoch stehe ich nicht ganz zu meinen Worten von vorhin. Wie Krieger würde ich auch gerne Wissen, welche Informationen Sie auf den Karten suchen.“
„Glauben sie mir Kirov, Sie wollen diese Informationen erst so spät wie möglich erfahren.“
Der Hintereingang war zwar bewacht, aber nur leicht. Während Rossmanns kleine Truppe im Schutze der nahegelegenen Ruinen ausharrten, näherten sich Jäger und seine verbliebenen Späher unerkannt den insgesamt drei Wachen, die vor dem kleinen Eingang herumlungerten. Es war wichtig, dass sie diese Kultisten möglichst leise ausschalteten, wenn sie nicht das ganze Lager auf sich hetzen wollten, aber Rossmann war überzeugt, dass Jäger dieser Aufgabe gewachsen war.
Durch ein vor ihnen liegendes Lagerfeuer waren die drei Wachen in ein unheimliches Licht gehüllt und warfen lange Schatten an die hinter ihnen liegende Rathauswand. Nur einer der drei schien wirklich die Umgebung zu beobachten, seine zwei Kameraden saßen nur am Feuer und betranken sich. Die Frage, ob es ihnen geholfen hätte, wenn sie aufmerksamer gewesen wären, würde wohl nie geklärt werden.
Von zwei Seiten her zuckten insgesamt sechs silberne Blitze durch den rauchigen Lichtkegel den das Feuer warf und alle fanden ihr Ziel in einem der drei Körper. Noch bevor auch nur einer von den mit Messern durchbohrten Wächtern zu Boden viel setzten sich die in den Ruinen lauernden Männer in Bewegung, um die Strecke zwischen ihnen und dem Durchgang sich zu bringen.
Rossmann hatte den Eingang gerade erreicht, als sich Jäger aus dem Schatten löste: „Sollen wir die Leichen wegräumen?“ „Ja aber beeilt euch. Wir haben nicht viel Zeit, wenn dieser Abschaum Patrouillen aufgestellt hat,“ der Alte wandte sich an den Rest der Truppe: „Ab hier müssen wir absolute Ruhe bewahren. Die Späher gehen fünfzehn Meter voraus. Von den Schusswaffen wird nur im absoluten Notfall Gebrauch gemacht. Los!“
Ohne weitere Fragen zu stellen, schlichen sich die Männer in das ehemalige Regierungsgebäude. Es war Fieber, der ihnen den Weg wies, da er sich von allen im Gebäude am besten aus zu kennen schien und die Zielstrebigkeit, die er an den Tag legte schien ihm recht zu geben. Ab und zu stolperte der hinter den Spähern laufende Haupttrupp über einzelne Kultistenleichen in dunklen Nischen und es war nicht schwer, an ihnen Jägers Handschrift zu erkennen.
So dauerte es nicht lange, bis sie eine große und herrlich verzierte Holztür erreichten, von der Rossmann wusste, dass sie in die Bibliothek führte. Mit entsicherten Waffen sammelten sich die Männer davor. Die dunklen Gläser der Gasmaske vom Alten schauten noch einmal in die Runde: „De Vall, Birkner,“ die beiden Adjutanten von Rossmann blickten sofort auf „Ihr zwei sichert den Zugang. Wenn irgendwas schief läuft, müsst ihr uns hier den Rückweg freihalten. Vielleicht müssen wir uns hier wieder raus schießen.“ Rossmann ergriff die schwere Eisenklinke der Tür. „Und wenn der Feind in diesem Moment selbst nach Dokumenten forstet?“, Krafts Stimme klang leicht nervös. „Wo ist ihr Vertrauen auf den Imperator geblieben Kraft?“, mit diesen Worten stoße Rossmann die schwere Tür auf und stürmte in den Raum.. Jahrelanger militärischer Drill und viel Erfahrung ließen die Rheinländer sofort in taktischer Aufstellung Position in der Bibliothek nehmen. Gewehre wurden suchend hin und her geschwenkt und Soldaten deckten sich gegenseitig den Rücken, für den Fall, dass es Feindkontakt geben würde, doch da war nichts dergleichen.
Die Bibliothek war ein riesiger, offener Raum, der über zwei Stockwerke ging. Tausende schwerer Regale säumten die Wände, aber nur noch wenige waren mit Büchern gefüllt. Millionen schwerer und teilweise unschätzbar wertvoller Bände waren zerrissen und besudelt auf den Boden geschmissen worden. Es war ein trauriger Anblick, aber für Rossmann kein unbekannter. Diese Zerstörung war nicht neu, tatsächlich wurde sie von den Kultisten beim Rückzug aus der Stadt angerichtet. „Wie sollen wir in diesem Schlachtfeld eine einzelne Karte finden?“, Kirovs Stimme war schwer von Skepsis. „Keine Sorge Herr Lordkommissar, Das Kartenmaterial befindet sich in einem Geheimraum an der Nordwand. Die Kultisten haben ihn glücklicherweise bei ihrer Orgie nicht gefunden. Die Tür ist zwischen den zwei zerbrochenen Statuen dahinten. Man muss einfach nur dagegen drücken. Wir sollten uns nebenbei gesagt etwas spurten.“ Im Laufschritt wurde die besagte Tür gefunden und es war Oberleutnant Kraft, welcher sie zuerst erreichte und öffnete. Dahinter öffnete sich ein relativ kleiner und schmuckloser Raum an dessen Wänden drei Große Regale angebracht waren, die über und über mit zusammengerollten Kartenbündeln vollgestopft waren. Einige dieser Karten waren scheinbar so wertvoll, dass sie in wunderbar verzierten Schachteln und Schatullen aufbewahrt wurden. Der Major hatte erst den halben Weg zurück gelegt als er über Helmkomm die nächsten Anweisungen durchgab: „Die Karte die wir brauchen ist in einer goldenen Schachtel, durch ein Schloss gesichert und heißt Industrieverzeichnis drei. Schaut im rechten Regal nach und beeilt euch, ich glaube unser Aufenthalt hier wird nicht mehr lange unentdeckt bleiben.“ Sofort machten sich Krafts und Rossmanns Adjutanten auf um die Karte zu suchen, während der Rest die Umgebung sicherte. Bei der Suche wurde nicht gerade zimperlich umgegangen und schnell flogen die ersten Karten und Schachteln umher.
Rossmann hingegen wurde abgelenkt. Eine steinerne Nische in der Wand, nicht weit von der Geheimtür entfernt beanspruchte seltsamerweise sein Interesse. Es gab viele dieser kleinen Einbuchtungen in der Bibliothek und früher enthielten sie besonders alte und wertvolle Bücher, die dort auf hölzernen Ständern aufbewahrt wurden. Es schien, dass eben diese Bücher den Kultisten zu erst zum Opfer gefallen waren, weil sie ihren Wert zu erkennen glaubten, nicht so hier. Merkwürdiger weise war das Buch dieser Nische noch vollkommen intakt auf dem Holzständer. Vielleicht war es diese besondere Ausnahmesituation, die Rossmann zu dem Buch hinzog, auf jeden Fall hielt er es mittlerweile in Händen, obwohl er eigentlich wichtigeres zu tun hatte. „Die Geschichte des heiligen Fausturnus“ kündigten goldene alt gotische Lettern auf dem Ledereinband an. Der Name kam dem Alten verdammt bekannt vor, aber der Imperator mochte ihn holen, wenn er wüsste weshalb. Er wollte gerade den schweren Einband öffnen, als ihn eine Berührung seiner Schulter zusammenzucken ließ. Vor Schreck ließ er fast das Buch fallen, doch als er sich umdrehte, war es nur einer der Rheinwächter. Ohne einen Ton zu sagen, zeigte er bloß auf den geheimen Kartenraum, vor dem ein winkender Soldat stand. Die Karte war gefunden und Rossmann rannte sofort los, jedoch nicht ohne das Buch ein zu stecken.