Wie angedroht, mal was anderes zwischendurch.
Kurzvorstellung: Soldiers & Ghosts – A History of Battle in Classical Antiquity
Format: Paperback, nichts zum Hören
Autor: John E. Lendon
Erschienen New Haven/London 2005, 468 Seiten, ca. 25 Euro
Ich mache hier ja gern (Anti-)Werbung für historische Romane im Hörbuchformat. Die kann man beim Hobbying nebenher wegkonsumieren. Das ist aber nur eine Form, sich den
"Fluff" fürs historische Wargaming draufzuschaffen. Vielen Leuten macht es genauso viel Spaß, sich in die vermeintlich (!) harten Fakten zu stürzen, also sich durch Sach- und Fachbücher zu schmökern. Die Spanne ist groß, es gibt für jedes Level was,
wie hier schon mal angedeutet.
Vieles davon ist sehr klassische Militärgeschichte. Das heißt es geht um Strategie, Taktik und allerlei technische Details. Eben das, was man für die gewünschte Simulation am Spieltisch gebrauchen kann. Und, keine Frage, das kann interessant sein.
Das Buch von John Lendon hat einen ganz anderen Ansatz. Einen, der Knöpfchenzähler und Simulationisten ärgern dürfte. Er verwirft nämlich die ganzen funktionalistischen Erklärungsmodelle dafür, wie und warum militärische Konflikte in dieser und jener Art geführt wurden. Stattdessen versucht er,
ätzend kulturwissenschaftlich, Zustände und Entwicklungen aus "weichen Faktoren" wie Geschichtserzählungen, gesellschaftlichen Normen oder sozialen Dynamiken abzuleiten. Für ihn gelten also nur die Menschen ("Soldiers") und ihre Prägungen ("Ghosts").
Ein Beispiel: Dass Griechen gegen 300 v. Chr. immer seltener als schwergerüstete Hopliten kämpfen, sich lieber leichtbewaffnet oder beritten ins Getümmel stürzen, soll überhaupt nichts mit taktischen Erwägungen (wie dem modernen Prinzip der "verbundenen Waffen") zu tun gehabt haben. Dagegen erklärt Lendon die Veränderung damit, dass der Hoplitenkampf
zu erfolgreich geworden sei: Er sei immer professioneller, durch Training (
téchne) erlernbar geworden. Das aber lief dem uralten Männer-Ideal der ganz untechnischen, persönlichen "Eignung" (
aretḗ) zuwider. Wer die beweisen wollte, suchte deshalb Alternativen zum Kampf in disziplinierter, unheroischer Formation – als Plänkler, Scharfschütze oder gewandter Reiter.
In dieser Art durchwandert Lendon
die gesamte Antike, knapp 1200 Jahre, von den frühen Griechen bis zu den späten Römern. Man muss dabei nicht jeder Deutung folgen. Dass wirklich alles nur von Ideen und Traditonen abhängig gewesen sein soll, überzeugt mich auch nicht durchweg. Schlimmer noch, ich bekomme hier keine Bemalvorlagen, Anleitung, wie man Tabletop-Gefechte gewinnt, oder auch nur Input für Hausregeln. – Warum hab ich's dann aber, wie oben zu sehen, so zerlesen und gebe hier eine Empfehlung?
Ja, das Buch gibt's
nur auf Englisch. Nach knapp 20 Jahren wird auch keine deutsche Übersetzung mehr kommen. Doch wer sich sonst durch englische Regelbücher quält, wird es hier sogar leichter haben. Lendons Erzählstil ist launig, er verzichtet auf Faktenhuberei. Und wie jedes – gute – Fachbuch muss man es auch nicht von vorn bis hinten durcharbeiten, sondern kann einfach mal querlesen.
Vor allem aber kann der geneigte Wargamer sich bei Lendon ein
gesundes Erwartungsmanagement abgucken. Für meinen Geschmack viel zu oft brüsten sich Regelschreiber und Hobbygeneräle damit, wie "authentisch" ihre Spieltischerfahrungen seien und was man dadurch alles über "
die Geschichte" lernen könne. Gerne halten sie einem auch Vorträge über die kriegsentscheidende Dicke von Panzerplatten, den objektiven Sinn von Uniformfarben oder die absolut berechenbare Gradzahl erfolgreicher Angriffswinkel.
Lendon weist dagegen schlicht darauf hin, dass andere Menschen, vor allem die früher, nicht so ticken müssen wie wir. Und das nicht, weil diese anderen, früheren Leute irgendwie dümmer waren als wir, sondern bloß in völlig anderen Umständen lebten und damit umgehen mussten. Ihre Problemlösungen können wir prinzipiell erschließen und verstehen. Doch wir können sie niemals wirklich nachfühlen, uns hineinversetzen oder, anders gesagt, sie "reenacten". Schon gar nicht mit den Schnipseln, die wir wirklich "wissen".
Eine, wie ich finde, sehr wichtige Lehre. Und die einzige, die man aus Geschichte ziehen kann. Dafür dann auch gerne
10/10 Papyrusrollen