Na ja, ohne jede Ironie: 41,5% der Wähler - also bei einer Wahlbeteiligung von 71,5% immerhin 29,67% der wahlberechtigten Bevölkerung, fast jeder Dritte - sehen das wohl tatsächlich so. Zumindest sehen sie in der Union insoweit den Garanten für Wohlstand das sie dort ihr Kreuz machen.
Und jetzt bitte keine Klassenkampferzählung: mit Ausnahme der Arbeitslosen war die Union in allen Altersklassen und sozialen schichten stärkste Kraft.
Ich denke auch das war der wesentlichen thematische Fehler aller "linken" Parteien, das sie die soziale Lage wesentlich dramatischer und schlechter dargestellt haben als sie von den Menschen empfunden wird. Die meisten Leute empfinden ihre Situation als "gut". Sie wissen zwar das grade international/europapolitisch Probleme kommen werden, halten den Kurs der Kanzlerin (die Wahl war extrem personenbezogen: über 30% der Unionswähler haben angegeben der CDU wegen Merkel ihre Stimme gegeben zu haben -2005 waren es 8%) aber für richtig bzw. die CDU eher geeignet die Probleme anzugehen als SPD/Grüne/Linke.
Ist auch insoweit nachvollziehbar: wenn die sieben mageren Jahre drohen neigt der Mensch instinktiv zum sparen (=Haushalt konsolidieren) und nicht zum Geld ausgeben, was die Linken allesamt wollten.
Der Rest ist ein bunter Mischmasch aus unsympathischem Personal (Steinbrück kann bei Frauen nicht punkten, obwohl ich seine zynische Art wirklich mag, der Trittin ist einfach zu arrogant/oberlehrerhaft usw.) unglaubwürdigem Wahlprogramm (LINKE) bzw. mangelnde Fähigkeit die eigenen Kernkompetenzen zu vermitteln (die Grünen waren nur als Steuererhöher und Verbotspartei präsent, Umweltschutz - Fehlanzeige).
Prognosen
(1) Über die 5% Klausel wird man reden müssen. Im Rahmen der Erfahrungen von Weimar ist es sicher sinnvoll den Einzug von absoluten Miniparteien zu verhindern, aber der Rahmen von 5% mag zu Zeiten eines effektiven 2,5 Parteien Systems (Union, SPD, FDP) sinnvoll gewesen sein, heutzutage wo zusätzlich noch NPD, Linke, Grüne, AfD, Piraten und freie Wähler jeweils über 400.000 Stimmen erhalten und man von 5-6 wirksamen Parteien ausgehen muss ist das zu restriktiv.
Man mag streiten wo man die Schwelle ansetzen mag, aber es kann nicht angehen das effektiv knapp 15% aller gültigen Zweitstimmen keinen Einfluss auf die Parlamentszusammensetzung haben.
(2) SPD und Linke werden reden müssen, wenn man jemals in irgend einer Form außerhalb des Juniorpartners der Union wird regieren wollen. Insbesondere die "Teilung" der Linkspartei ist augenfällig: mit Ausnahme Berlins in ostdeutschen Bundesländer teilweise deutlich stärker als die SPD (nur in Brandenburg 0,7% schlechter) ist sie Westen eine 5% Partei.
Am sinnvollsten wäre es die SPD rückt etwas weiter nach links und im Gegenzug entledigt sich die Linke ihrer sektiererischen Radikalen, dann klappts auch mit dem regieren.
(3) es mangelt nicht an liberalen Wählern, abe rdie Zersplitterung ist ähnlich stark wie auf der Linken: FDP; AfD und Piraten sind im Kern alles liberale Parteien und haben zusammen 11,7% - aber eben so verteilt das es für keinen reicht.
Die Klatsche für die FDP ist gut. Da kann man jetzt wirklich mal mit dem konzeptionellen Neuaufbau beginnen, der schon lange gewollt ist aber auch wegen des Topergebnisses bei der Wahl 2009 ad acta gelegt wurde.
Vermutlich wird man auch die Konkursmasse der Piraten (ich bezweifle das die als Partei überleben) einverleiben und einige von deren vernünftigeren Forderungen (Schutz der Bürgerrechte, politische Transparenz, mehr direkte Demokratie) integrieren. Große Frage bleibt der Eurokurs: positioniert man sich eurokritischer, kann man der AfD das Wasser abgraben, bleibt man beim jetzigen Kurs wird das liberale Lager in pro- und Kontrafraktion in Form von AfD und FDP gespalten bleiben.
(4) die AfD ist mit den Ergebnis sicher im EU-Parlament nächstes Jahr, was schon eine gewisse Ironie hat. Das knappe scheitern dürfte wirklich primär auf die Demoskopie zurück zuführen sein, die die AfD bei 2-3% verortet hat - und die Leute verschwenden ungern Zweitstimmen. so knapp gescheitert gibt bei der nächsten Wahl Rückenwind.
Das langfristige Überleben wird davon abhängen wie sich eben die FDP neu aufstellt.
(5) man wettet nicht gegen Merkel. Sie ist sowas wie ne Bank: gewinnt am Ende immer. Man mag von ihr halten was man will, aber machtpolitisch ist die Frau instinktsicher wie kein Zweiter: Zustimmungswerte von 70%+ sind einfach beispiellos. Die Deutschen lieben ihren präsidialen, überparteilichen Stil Das ist aus zweierlei Gründen beachtenswert:
(5.1) sofern die Wahlkampfstrategen ihre Lektion gelernt haben werden sie ab jetzt tunlichst jede Personalisierung im Wahlkampf vermeiden und auf Inhalte gehen müssen, denn da können sie punkten: das paradoxe ist ja grade das die inhaltlichen Zustimmungen der Wähler zu den Linksparteien durchaus größer sind als zur Union - das Kreuz aber trotzdem bei der Merkel gesetzt wird. Also wird man den harten Weg wählen müssen und den Wählern tatsächlich erklären müssen warum sie Angie nicht wählen sollten - das kann der politischen Kultur durchaus gut tun, und bei FDP, SPD und Grünen sehe ich auch wenig Probleme diesen Kurswechsel zu vollziehen. Einzig die LINKE dürfte Probleme haben: ohne prominente Gesichter kann sie wenig arbeiten (man hat hier auf Wahlplakaten z.B. fast nie Wahlkreiskandidaten gesehen sondern immer Wagenknecht/Gysi/Lafontaine) und die Klassenkampfrhetorik, welche die Leute nicht mögen gehört auch dazu.
(5.2) Wir erleben hier grade "live" die Transformation unserer Republik. Wenn das Wahlergebnis eine Aussage hat, dann die das man den Bundespräsidenten abschaffen sollte und den Kanzler direkt wählen und mit entsprechender Machtfülle ausstatten. Nein, ich will keinen Staatsstreich, aber offensichtlich wollen die Menschen ein präsidiales Staatsoberhaupt - denn das ist Merkel.
Wer denkt "sowas geht doch nicht" - aber sicher, der Übergang der vierten zur fünften französischen Republik ging ja auch relativ problemlos...