40k Splitter einer Welt [Archiviert. Überarbeitete Version online]

18
Die meisten berichteten nachher, dass ihnen ein helles Pfeifen aufgefallen wäre. Sie sagten, dass sie nicht gewusst hätten, was dieses Geräusch bedeuten würde. Einige kampferprobte Soldaten, die dies zufällig mitgehört hatten, schüttelten ungläubig den Kopf.
Schon vorher hatten alle erwartet, das etwas, irgendetwas passieren würde. Vielleicht ein Stoßtrupp des Erzfeindes, deren Weg sie kreuzten, vielleicht ein Hinterhalt. Man erwartete, an diesem Tag noch zu kämpfen, sich die ersten Sporen zu verdienen. Viele blickten deshalb noch einmal sehnsüchtig auf die Chimären zurück, die hinter ihnen wendeten. Die Schützenpanzer, so die einhellige Meinung, würden ihnen im Gefecht fehlen.
Als sie sich durch die Ruine des riesigen Komplexes vorantasteten, verstummten auch die letzten Gespräche. Eine oder mehrere Artilleriegranaten, vielleicht auch Fliegerbomben, hatten den Wohnblock getroffen und eine Hälfte förmlich auf die Straße gedrückt. Stahlträger und Beton waren wie von einer riesigen Faust verbogen, verworfen und zerschmettert worden, um anschließend überall verstreut und aufgetürmt zu werden.
Schutt und Geröll waren schlüpfrig und erschwerten ein Vorangekommen. Mehr als einmal stürzte jemand und richtete sich mit einem unterdrückten Fluch wieder auf. Dazu kamen Asche und Staub, die schwer in der Luft hingen, in den Augen brannten und das Atmen erschwerten.
Die intakte Seite des Habitatsblocks erhob sich zu ihrer Rechten. Dium erinnerte es vage an ein überdimensioniertes Puppenhaus: man konnte in Zimmer hineinblicken, die vollkommen ausgebrannt waren, und in andere, die wie durch ein Wunder noch vollkommen intakt schienen. Sie sah Tische, auf denen noch Mahlzeiten standen, ein ganzes offengelegtes Treppenhaus, Schlafzimmer, Bäder und Flure. Fast erwartete man, einer der Bewohner des Komplexes könne in einen der Räume treten.
Den Soldaten war unbehaglich zumute. Geflüstert machte ein Wort die Runde, „Totenstadt“. Tatsächlich sahen sie nirgends auch nur ein Anzeichen von Leben, keinen Menschen, kein einziges Tier. Die Zimmer muteten an wie die Zeugnisse einer schon lange untergegangenen Zivilisation.
Dium kümmerte das alles wenig. Schon seit Anfang des Tages hatte sie pochende Kopfschmerzen, war schlecht gelaunt und reizbar. Als sie ob des Staubes ausspie, war der Speichel rot von Blut. Wenn sie von der Patrouille zurückkehrten, würde sie die Sanitäter aufsuchen. Nervös spielte sie mit dem Zigarettenstummel.
Sie sehnte sich nach Mitch. Im Gegensatz zu den Weichköpfen ihres Trupps würde ihr Freund Verständnis zeigen, sie beruhigen – und sie nicht einfach wegen ihrer nichtigen Sorgen zu verlachen. Insgeheim sorgte sie sich um ihn. Als sie das letzte Mal mit ihm geredet hatte, war er kurz davor, in eine sogenannte heiße Zone verlegt zu werden. Sie hatte ihm noch viel Glück wünschen wollen, doch dann war die Leitung zusammengebrochen.
Es war jemand aus Vanders erstem Trupp, der zuerst das Scharren Dutzender schlurfender Füße sowie dumpfes Stimmengemurmel bemerkte und Dium an das Hier und Jetzt erinnerte. Sie waren beinahe am Ende des Habitatsblocks angelangt. Vor ihnen erhob sich eine Halde aus Geröll, die sich an eine halb eingestürzte Mauer schmiegte.
In Abwesenheit Leutnant Estabans – jemand hatte einmal süffisant bemerkt, er sei „kein Frontoffizier“ – hatte Sergeant Vander den Befehl. Mit raschen Handbewegungen bedeutete er dem fünften und ihrem Trupp, sich den Hang hinaufzuarbeiten.
Mit leisem Klicken wurden neunzehn Lasergewehre entsichert. Leicht geduckt schlich Dium vorwärts. Zu den rasenden Kopfschmerzen kamen schweißnasse Hände. Ihr Atem und Herzschlag erschienen ihr mit einem Male unnatürlich laut in den Ohren.
Langsam tasteten sie sich den Abhang hinauf, vorsichtig einen Schritt vor den anderen setzend. Bei vielen glänzten die Gesichter fiebrig vor Schweiß und Aufregung.
Na, Hosen voll?“, zischte ihr Giftig von der Seite zu, den Mund zu einem Lächeln verzogen. Ran Razzac, aus gutem Hause stammend und bedauerlicherweise in beinahe allen Prüfungen mit Bestnoten, war einer der Ersten, der einen Spitznamen erhalten hatte.
Dium schwieg zur Antwort.
Man sieht's dir doch an der Nasenspitze an. Nicht nur schwächlich, sondern auch noch feige, was?“
Bevor sie zu einer Antwort ansetzen konnte, fiel ihr etwas hinter Giftigs Schulter auf. Mit dunkler Faszination sah sie zu, wie täuschend langsam ein Soldat aus dem Fünften wegrutschte, bei seinem Versuch, wieder auf die Beine zu kommen, mehr und mehr Geröll lostrat, wie sich mehr und mehr Steine lösten und laut vernehmlich zu den anderen Trupps herunter rollten. Die Soldaten auf dem Hang erstarrten. Auf der anderen Seite und außer Sicht verstummten nach und nach die Geräusche, erst die Stimmen, dann auch die Schritte.
Sie wagten es kaum zu atmen. Dium blickte wie die anderen aus ihrem Trupp zu Nereus. Der Sergeant bedeutete angespannt ihr, Giftig und Merioth, sich weiter nach vorne zu bewegen. In diesem Moment hasst Dium ihn inbrünstig.
Der Weg nach oben, obgleich nur ein Dutzend Meter lang, kam ihr unvorstellbar lang vor. Als sie schließlich dort ankam, klebte ihr der Drillich an der schweißnassen Haut. Giftig und Merioth kauerten bereits an der Mauer, neben einer rechteckigen Öffnung, die mal ein Fenster gewesen sein mochte.
Sie schob sich ebenfalls heran, das Gewehr vor sich haltend, um einen Blick hinaus zu erhaschen, jederzeit bereit, wieder zurück zu zucken. Der Wohnkomplex ging zu dieser Seite zu einer gut ausgebauten Straße hinaus, die quer zu der Einkaufsmeile verlief, die sie kürzlich passiert hatten. Dutzende, Hunderte Menschen schienen in ihre Richtung zu blicken: alte und junge, kränkliche und gebrechliche, Gesunde, Menschen in der groben Kleidung der hiesigen Industriearbeiter. Ein Flüchtlingstross. Dium entfuhr ein Stoßseufzer.
Während die anderen beiden ins Freie traten – langsam und bedächtig, um die Zivilisten nicht zu erschrecken – machte sich Dium auf den Weg nach unten, um Bericht zu erstatten. Beinahe wäre sie in ihrer Hast ebenfalls abgerutscht.

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Den erste Teil von Kapitel 18 gibt es schon mal heute. Der zweite wird in Kürze nachgereicht 😉
 
So, dann melde ich mich halt auch mal wieder.

Hab jetzt alles gelesen und muss sagen, ich bin echt begeistert. Auch wenn mir der Hintergrund (einfache Soldaten in düsterer Umgebung) nicht wirklich gefällt, machst du deine Sache wirklich gut, Rabenfeder. Mir gefallen auch diese zwischengeschobenen Mitteilungen sehr gut, aber das konntest du ja früher schon gut. (kam beim wettbewerb ja auch gut an)

Ansonsten gibt es von meiner Seite aus nicht mehr viel zu sagen. Vielleicht noch: Das Pfeifen wird noch erklärt, oder? Du solltest damit nicht zu lagen warten, sonst erinnert sich niemand mehr daran.
 
Der nackt daneben liegt, und was wir dann treiben ist beim letzten Geschichtenwettbewerb schon gut beschrieben worden.

oh man, ich hoffe, du meinst nicht die Geschichte, die ich grade denke, dass du sie meinst, weil du sie damals so oft mit freundlichen Kommentaren bedacht hast?

Na gut, ich hätte wohl nicht fragen sollen ...😀

Wann kommt denn nun der nächsten Teil?
 
Wer macht mit beim Quiz?

Wer errät, um wen es sich hier jeweils handelt, kriegt einen kostenlosen Muffin für 29,99€ fast geschenkt.

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Lippen und pupillenlose Augen sehen noch gruselig aus, das wird bei einer eventuellen Coloration behoben.
 
Mich persönlich stören rauchende Persönlichkeiten in Geschichten auch. Ich weiß, bei dir soll es vor allem ein Stilmittel zur Darstellung der düsteren Situation und zur Unterstützung der Atmosphäre sein. Aber ich fange dann eher an, am Verstand deiner Hauptcharaktere zu zweifeln. Und das ist, da sich der Leser ja mit den Personen identifizieren können sollte, ein wenig unproduktiv.

Das ist natürlich nur meine Meinung, schreib ruhig so weiter, wie du es magst und möchtest, Rabenfeder. Aber manchmal helfen ja auch die nicht ganz zum Thema passenden Meinungen der Leser.
Naja, kann auch sein, dass ich Raucher in den Geschichten unangemessen finde, weil ich selbst strahlende Helden bevorzuge. Aber ich denke mal, da bin ich hier in der falschen Geschichte, oder? Du schreibst ja lieber düster und über gewöhnliche Charaktere, nicht wahr?
 
Natürlich, die spiele ich auch im RP aus ;D
Düster und gewöhnlich finde ich persönlich insofern interessanter, dass man ein noch breiteres Feld an Identifizierungsmöglichkeiten hat, dass die Geschichten oft... hm, realistischer erscheinen und nachvollziehbarer.
Wie gesagt, rauchen tut nur eine. Und zwar eine Rekrutin. Ihr Sergeant heißt das nicht gut. Sowas nennt sich Sucht ;D