40k Stargazer (Abgeschlossen 17.04.2015)

Und natürlich darf die Offiziersfehde nicht fehlen! Wo gibt es keine? Sogar in der Realität findet man mehr als genug Beispiele dafür! Von daher (außerdem ist das immer ein toller Aufhänger für ein paar


Ich muss unwillkürlich an den Abgang des letzten Generalinspekteurs Schneiderhahn denken. Da flogen im Hintergrund sicher die Schrapnelle.


Und:
In meiner Geschichte (parodie) gibt es eine verheiratete Sororita^^.
(Auch wenn m,ein dritter Band sich nicht gerade parodisierend entwickelt...)
 
Salve,

Erinnere mich nicht daran. bei den Ministern ist es sogar noch am Schlimmsten ... sfz. Na ja. Hier kommt das nächste Kapitel.

10

»Also, was ist los?«, erkundigte sich Ekko, als er auf die attraktive Figur von Doktor Calgrow zusteuerte. Trotz ihres bereits fortgeschrittenen Alters wirkte sie noch immer recht anziehend und er konnte sich vorstellen, dass die Frau, die nun in einem Alter von fast fünfzig Jahren vor ihm stand, als junges Mädchen kein Problem gehabt haben musste, einen Verehrer zu finden.
»Ich habe einen von Ihren irren Armaplast-Trägern, der in meinem Lazarett Amok läuft. Das ist los.«
Ekko hob überrascht und ärgerlich die Augenbrauen. Er hatte keine Zeit für dämliche Spielchen, die die War-mal-Kommissarin-bin-jetzt-Doktor-(aber-eigentlich-noch-immer-Kommissarin)-Ärztin gern zu spielen pflegte.
Er legte übermäßig starke Betonung in seine nächsten Worte, eine Präzisierung der ursprünglichen Frage: »Also, Doktor, was genau ist mit Rahael los?«
»Sie wissen es genau, Colonel«, sagte sie mit anklagender Stimme. »Wir bezeichnen es als ›Spontan-Häresie‹.«
»Ja, natürlich«, brummte Ekko zurück. »Ein junger Cadianer voller Illusionen über ein gerechtes Universum und mit einem unerschütterlichen Glauben an den Gott-Imperator entscheidet sich spontan, zu einem Ketzer an seinem Glauben zu werden und gerade in Ihrem Lazarett zu randalieren. Nehmen Sie sich nicht so wichtig.« Er funkelte sie an. »Sie wissen genau, was es ist, Doktor.«
»Natürlich.« Ihre Stimme war wissend, voller Ruhe und aus ihren Augen strahlte Mitleid für den jungen Mann, der sich gerade anschickte, sein Leben zu verwirken. »Es ist einfach nur Stress, Colonel.«
»Also behandeln Sie es auch so!«, herrschte er sie an. »Sie sind Ärztin. Ich dachte, Ihr Dasein gilt dem Leben von Patienten, nicht deren Exekution.«
Er brauchte nicht zu sagen, was er ihr wirklich an den Kopf hatte schleudern wollen. Sie wusste, dass Ekko Kommissare verachtete, nicht nur Kolwa Ligrev. Und Sie wusste, dass er sie wegen ihrer Vergangenheit höchstens tolerierte.
Sie hatte stets versucht, sich Colonel Ekko nicht zum Feind zu machen, denn er war ein unberechenbarer Mensch, den nicht einmal ein Politischer Offizier kontrollieren konnte. Und er war sehr beliebt bei seinen Leuten.
Das wichtigste Argument jedoch war, dass er recht hatte – von einem menschlichen Standpunkt aus.
Und das war nun einmal Ekkos Problem. Er war manchmal zu menschlich.
Sie folgte ihm, als er durch die Tür und sofort in den Gefahrenbereich trat.
Rahael fuhr herum, die Augen weit aufgerissen. »Verräter!«, schrie er und wies auf Ekko.
Die Menschentraube wandte sich um. Es waren hauptsächlich Sanitäter und leicht verletzte Soldaten unterschiedlicher Regimenter, die wortlos im Halbkreis um den wütend um sich schlagenden Cadianer standen und gafften, aber auch Wachsoldaten, die alarmiert ins Lazarett gestürmt waren.
»Raus!«, ordnete Ekko an. »Schicken Sie alle raus!«
»Sie haben den Colonel gehört!«, befahl Calgrow mit vernehmlicher Stimme. »Alle verlassen sofort den Bereich. Kommt schon, Leute! Raus mit euch!«
Man merkte sofort, dass sie vor langer Zeit Kommissarin gewesen war, denn ihre Stimme war befehlsgewohnt und mit warnendem Unterton.
Sie hielt ein gutes Dutzend Sanitäter zurück, die bei den Schwerverletzten bleiben sollten und für den Fall, dass man sie benötigte.
»Was ist mit den Wachen?«, erkundigte sie die Ärztin, als die Soldaten sich weigerten, es ihren Kameraden gleichzutun.
»Auch raus. Ich will hier niemanden, den er als Bedrohung auffassen könnte.«
»Aber, Colonel!«, wehrte sich ein Sergeant gegen den Befehl.
Ekko schwang herum und wehte die Männer mit erhobener Hand zur Tür hinaus. »Raus!«
Die Männer stolperten an belegten Betten vorbei zum Eingang und verließen das Lazarett, um davor für alle Fälle in Position zu gehen.
Trotzdem kam es Ekko so vor, als wäre der Raum nach wie vor brechend voll. Er warf einen kurzen Blick auf die Betten und entdeckte Captain Solmaar, einen Riesen, der beinahe so breit wie groß war und mit einem dicken Verband um seine rechte Kopfhälfte aufmerksam auf seinem Bett saß und verfolgte, was geschah.
»Colonel!«, rief Rahael. »Sie haben versprochen, dass Sie jeden retten.«
»Das habe ich«, antwortete der Colonel. »Alle sind am Leben. Sergeant Lenhim, Corporal Rebis, Gorak und Melbin – und Sie, Rahael.«
»Das meine ich nicht«, sagte er verzweifelt.
Ekko hob fragend die Hände. »Was meinen Sie denn?«
Rahael starrte ihn für einen Moment an, dann schien er sich zusammenzureißen. »Sie wissen, was ich meine.«
Wieder hob der Colonel die Hände. »Sagen Sie es mir, Rahael.«
»Wo ist sie?«, schrie der junge Cadianer. »Wo ist der Engel?«
»Welcher Engel?«
»Oh, nein«, sagte Calgrow leise. »Jetzt verstehe ich, was er meint.«
Ekko warf ihr einen fragenden Blick zu.
»Die Prioris«, erklärte sie. »Er hat mich vorhin gefragt, ob die Sororita überlebt hat. Da waren Sie mit der Schwester beschäftigt.«
Ein resigniertes Seufzen entfuhr Ekko. »Und Sie haben ›Nein‹ gesagt.«
»Nein«, gestand sie. »Ich habe ihm gesagt, es hätte nie einen Engel gegeben.«
Der Colonel musterte sie einen Augenblick, dann seufzte er abermals. Scheiß Ex-Kommissare. »Erinnern Sie mich daran, dass ich Sie bei nächster Gelegenheit tot schlage, Doktor.«
Er wandte sich wieder Rahael zu und versuchte, den jungen Cadianer zu beruhigen, kam aber nicht mehr zu Wort.
»Wo ist der Engel!«, schrie Rahael abermals.
»Ich bin hier.«
Stille breitete sich aus.
Die Stimme, auch wenn sie so unspektakulär und weich klang, dass man sie leicht hätte überhören können, hatte die Wort kraftvoll und so entschieden eingeworfen, dass sämtlichen Anwesenden verstummten.
Ekko spürte einen heißkalten Schauer über seinen Rücken laufen und drehte sich um. Leitis Sile stand im Eingang zum Lazarett und fixierte den jungen Cadianer mit ihrem Blick. Sie sah entschlossen aus. Irgendetwas an ihr war komisch.
Ekko musste kurz an Ligrevs Konfrontation mit der Sororita denken und versuchte sich zu erinnern.
Die restlichen Anwesenden, vor allem Rahael, waren gefangen von ihren Augen.
Sie machte einige Schritte auf ihn zu und öffnete einladend ihre Arme.
»Du lebst«, flüsterte Rahael.
Sie lächelte und kam näher. »Ja.«
Die Anwesenden wichen zurück, als würde eine magische Aura sie auseinander drängen.
Keiner konnte die Augen von ihr abwenden.
Rahaels Stimme klang so dünn, dass man glauben konnte, seine Stimmbänder wären gerade im Begriff zu reißen. »Ich dachte, du bist tot.«
»Ich bin nicht tot.« Fast zärtlich schloss sie die Arme um ihn und ließ seinen Kopf an ihre Brust sinken. »Siehst du? Alles wird gut.«
Ihre Hand wanderte beruhigend über seinen Rücken und streichelte seinen zitternden Körper.
Herr auf dem Thron, es waren ihre Augen – der kalte Blick in ihren Augen!
Irgendetwas blitzte in ihrer Hand auf.
Ein Skalpell, schrie Ekkos Geist. Ein verdammtes Skalpell!
»Vorsicht, sie ist bewaffnet!«, rief einer der Sanitäter aus.
Stirb, du Ketzer! Die Sororita wollte gerade zustechen, als sein Arm heranschoss und ihre Hand wegschlug. In einer grazilen Bewegung wirbelte sie herum und versetzte dem Colonel einen Schlag auf den Hinterkopf, der ihn in einen Beistelltisch schleuderte.
»Er muss sterben!«, schrie sie und wandte sich wieder Rahael zu, der auf dem Boden gefallen war und vor Panik brüllte. »Das Chaos hat ihn … das Chaos!«
Im selben Moment sprang einer von Calgrows Sanitätern sie an. Der Mann war muskulös und fasste sie sofort so, dass es kein Entrinnen für sie geben konnte.
Im nächsten Augenblick segelte er quer durch den Raum.
»Wache!«, brüllte Solmaar und warf sich auf den Boden, als das Skalpell aus ihrer Hand in seine Richtung sauste.
Ekko kam wieder auf und Beine und stürzte sich auf die Frau. Seine Faust ging auf sie nieder und traf sie direkt am Kopf. Sie taumelte zurück und bekam ein Instrumententablett zu fassen. Nur wenige Herzschläge später flog das Tablett dem Colonel in die Rippen und warf ihn auf den Boden.
Von der anderen Seite griffen zwei leicht verletzte Soldaten des 512. in den Kampf ein. Sie waren bei Ausbruch des Kampfes von ihren Betten gesprungen und hatten auf die nächste Möglichkeit gewartet, ihren Colonel zu unterstützen.
Jetzt warfen sie sich auf die Prioris und drängten sie mit einem Hageln an Faustschlägen nach hinten.
Sie zuckte zusammen und keuchte auf, als hätte sie einen schweren Schlag hinnehmen müssen, dann ging einer der Männer stöhnend zu Boden, einen Augenblick später wurde der zweite von einem gut platzierten Fußtritt zurückgeschleudert.
Ekko sprang auf und wischte das Blut, das aus seiner Nase lief, mit dem Handrücken ab. Dann griff er wieder an.
Er setzte so viel Energie wie möglich in seinen nächsten Schlag, um sie außer Gefecht zu setzen, doch er griff ins Leere. Ein Schmerz zuckte durch sein Bein und ließ ihn wieder stürzen.
Hinter ihm kam Sile aus ihrer Drehung und fuhr auf der Suche nach dem nächsten Gegner herum.
Starke Hände fassten sie von hinten und versuchten sie zu fixieren. Es war der muskulöse Sanitäter. Er ließ seine breiten Arme um ihren Körper gleiten und presste sie fest aneinander, damit sie sich aus der Umklammerung nicht lösen konnte, doch er hatte nicht mit ihrer Agilität gerechnet.
Wie ein Aal glitt sie aus seinen Händen, fiel auf den Boden und rollte sich ab, nur um ihm dann die Beine wegzutreten. Er heulte auf und schlug hart hin.
Zwei Wachposten stürzten durch den Eingang. Die beiden rissen ihre Lasergewehre hoch und wollten gerade auf die Sororita schießen, als Ekkos Stimme aus dem Kampfgetümmel brach. »Ich will sie lebend!«
Vollkommen erstaunt verfolgten sie, wie Captain Solmaar der Furie entgegen rannte und sie mit aller Kraft zu Boden zu drücken versuchte, jedoch selbst stürzte, als sie seinen Schwung abfederte und sich mit ihm fallen ließ, nur um ihm dann in den Magen zu schlagen und mit einer schneller Drehung wieder auf die Beine zu kommen.
Jetzt stürzten sie sich ebenfalls in den Kampf.
Rund um sie herum flohen die übrig gebliebenen Patienten und Sanitäter, soweit es ihnen möglich war, aus dem Raum.
Zwei weitere Wachsoldaten stürzten durch die Tür und sprangen ins Getümmel.
Vor ihnen ging einer ihrer Kameraden nach einem Kinntreffer zu Boden, der zweite erlitt einen Schlag in den Bauch und taumelte zurück.
Die neu Eingetroffenen warfen sich sofort in den Kampf und bearbeiteten die Prioris mit ihren Gewehrkolben. Sie wehrte die ersten Schläge mit ihren Armen ab, dann griff sie einen der Gewehrkolben und rammte dem Träger den Lauf ins Gesicht. Er schrie auf und ließ seine Waffe los.
In einer schnellen Drehung ließ die Sororita die Waffe herum schwingen und schlug sie dem zweiten Soldaten ins Gesicht. Er stolperte und fiel ebenfalls.
Im gleichen Moment jedoch kam Solmaar von links und tauchte unter dem heran schwingenden Gewehr durch. Er wollte gerade zum Schlag ausholen, als ihn der Lauf im Nacken traf und er sein Gleichgewicht verlor.
Er wäre beinahe in sie gefallen, hätte sie nicht im letzten Augenblick einige Schritte zur Seite gemacht.
Ekko nutzte diesen Moment der Unachtsamkeit aus und riss ihr das Gewehr aus den Händen, um es wegzuschleudern.
Ein Schlag traf ihn ins Gesicht und warf ihn nach hinten. Er fiel hin und bemerkte, dass die Regimentsärztin hinter ihm stand, wie paralysiert auf den Kampf starrend.
»Haben Sie sie vorhin Drogen gesetzt?«, fuhr Ekko Calgrow an und rappelte sich auf. Sie schüttelte den Kopf, die Augen weit aufgerissen. »Ich … ich!«
»Tun Sie endlich was!« Eine Hand fasste ihn von hinten. Er fuhr herum, um sich aus dem Griff winden, doch eine grazile Bewegung verwendete seinen Schwung gegen ihn.
»Oh, neeeein!«, konnte Ekko noch rufen, dann krachte er in die ihm nächsten Krankenbetten.
Die Tür flog wieder auf und noch mehr Soldaten stürmten ins Lazarett.
Calgrow, durch die Worte des Colonels endlich aus ihrer Schreckstarre erwacht, griff nach einem bereitliegenden Injektor mit einem Betäubungsmittel, da schoss ein neues Skalpell heran. Die Prioris setzte ihre komplette Kraft in den Stoß und versuchte, die kleine Waffe zwischen Calgrows Brüste zu rammen.
Solmaar schlug ihr in die Seite. Sie fuhr zusammen. Ihre Hand rutschte mit dem Skalpell weg und schnitt dem Captain in den Arm.
Die Ärztin taumelte zurück, als ihr Mantel aufgeschlitzt wurde und fiel zitternd auf den Boden.
Zeitgleich schoss einer der Wachsoldaten heran und griff Siles Arme. »Weg mit dem Ding!«, schrie er.
Die Prioris rammte ihren Kopf in seinen Bauch und warf ihn über den Rücken. Dann stürzte sie sich auf Rahael, der etwas abseits des Kampfes kauerte.
Sie hatte ihn beinahe erreicht, als eine große Masse sie traf und aus dem Gleichgewicht brachte. Ekko rollte sich über die linke Schulter ab, wirbelte herum und ignorierte seinen schmerzenden Körper.
Sile schüttelte den Kopf und taumelte. Er musste sie hart getroffen haben.
Ein weiterer Gewehrkolben ging auf die Schwester nieder, die sich heftig zur Wehr setzte. Sie stürzte zu Boden. Das Skalpell glitt aus ihrer Hand.
Einer der Wachsoldaten wollte sie gerade greifen, als ihre Hand in tödlicher Wut nach oben schoss. Er seufzte auf und sank in sich zusammen. Sein Lasergewehr fand sich in ihren Händen wieder und spie kohärentes Licht in die Luft.
Alle warfen sich in Deckung.
»Nicht auf sie schießen!«, bellte Ekko nachdrücklich hinter einem vom Kampf umgeworfenen Krankenbett. »Ich will sie lebend.«
Solmaar neben ihm schüttelte den Kopf. »Was haben Sie vor, Colonel?«
»Fragen Sie mich nochmal, wenn ich Zeit hatte, mir was zu überlegen«, gab er zurück.
Vor ihnen schrie die Sororita wie in Trance und zerstrahlte den Raum.
»Ihr Magazin ist bald verbraucht«, versicherte der Colonel.
Der Captain presste sich noch enger an den Boden. »Hoffentlich.«
Plötzlich zerriss ein Stoffvorhang. Sile warf den Kopf herum, da wurde sie auch schon in die Luft gehoben. Ein riesiger Arm schloss sich um ihren Hals. Es knackte hässlich.
Sie erschlaffte.
»Tut mir leid, Sir«, entschuldigte sich Melbin. »Ich bin etwas spät.«
Ekko keuchte auf und versuchte, seine malträtierten Rippen zu reiben. »Schon okay. Ist sie tot?«
»Nein, Sir, nur betäubt«, sagte der Cadianer leise und legte die Prioris vorsichtig auf eines der Betten, wo sie sofort von in den Raum flutenden Sanitätern und Soldaten umschwärmt wurde, die sich bemühten, sie ausbruchsicher zu fixieren.
»Ein Hoch auf ihre Sanftheit, Melbin. Hipp, hipp – Hurra.«
Calgrow trat zu Ekko und half ihm, sich richtig aufzurichten, bevor sie begann, seinen Brustkorb abzutasten. »Sie haben sich ganz schön ins Zeug gelegt, Colonel«, stellte sie sachlich fest. »Das würde ich gerne genauer untersuchen.«
Ekko sah die Ärztin an und schüttelte langsam den Kopf. »Und sie kam mir so nett vor«, sagte er.
Calgrow warf ihm einen mitleidigen Blick zu und reichte ihm ein Tuch, damit er seine blutende Nase abwischen konnte.
»Es kommt noch besser«, murmelte Solmaar, dessen Arm von einem Sanitäter verbunden wurde, und deutete auf den Zelteingang. Dort stand Ligrev.
Der Kommissar ließ seinen Blick angewidert durch das Lazarett schweifen, bis er Ekko entdeckte und ohne Umschweife auf ihn zutrat. »Wie ich sehe, wäre es wohl besser gewesen, sie sofort zu erschießen, oder?«
»Was wollen Sie?«, brummte Ekko ungehalten.
Der Kommissar lächelte selbstgefällig. »General Iglianus fordert Sie auf, sich sofort zu ihm zu begeben.«
»Sehr gut«, antwortete Ekko und verfolgte befriedigt, wie Ligrevs Züge entgleisten. »Captain Solmaar, bitte informieren Sie Major Carrick, dass Prioris Leitis Sile bis auf weiteres in der Kommandozentrale festgehalten wird. Ich will, dass es ihr gut geht, wenn ich zurückkomme.«
»Verstanden.«
Ekko nickte bestätigend und wandte sich zum Gehen, da bemerkte er den zitternden Rahael, der von zwei Sanitätern auf eine Liege gesetzt wurde. Der arme Junge hatte wirklich viel mitmachen müssen in den letzten Tagen.
Mit dieser Aktion hatte er in den Augen dieses abartigen Schweins von Kommissar sicherlich sein Leben verwirkt. Ligrev würde ihn erschießen, so viel war sicher – so sicher, wie er es bei Lenhim versucht hatte.
»Ach ja«, fügte Ekko leise an. »Soldat Rahael wird auch nichts geschehen.«
Ligrev versteifte sich. »Colonel!«, mahnte er.
Ekko verengte die Augen und nickte Ligrev zum Abschied zu. »Kommissar Ligrev.«
Dann verließ er das Zelt.
Der Kommissar brauchte nur ein oder zwei Sekunden länger, dann fasste er den Griff der Boltpistole in seinem Holster und schickte sich an, Ekko zu folgen. Jetzt würde er es zu Ende bringen. Der Colonel war zu weit gegangen.
»Lassen Sie es, Ligrev.« Die starke, weibliche Stimme, die ihn in Verbindung mit dem Arm stoppte, war die von Calgrow. Die Ärztin musterte ihn aus ihren energischen, klaren Augen und forderte ihn so auf, Ekko nicht nachzulaufen. »Es wird Ihnen nichts bringen.«
»Das stimmt«, ertönte eine andere Stimme. Beide wandten sich um.
»Er hat nur versucht, Sie aufzuhalten, als Sie die Prioris erschießen wollten«, bemerkte Melbin, der sich wieder auf seinem Bett niedergelassen hatte. »Wir haben es alle gesehen.«
Ligrev funkelte ihn hasserfüllt aus seinen dunkelbraunen Augen an.
Auch Calgrow erschoss ihn mit ihren Blicken. »Halten Sie die Klappe, Melbin.«
Der große Cadianer verzog eingeschnappt den Mund und wandte sich von den beiden ab.
Calgrow wartete, bis der Cadianer ihnen nicht mehr zusah, dann adressierte sie Ligrev wieder. Obwohl sie ihre Stimme gesenkt hatte, schrie das Feuer in ihren Augen ihn regelrecht an.
»Herr Kommissar, wenn Sie wirklich gut sind, wissen Sie, wer ich bin. Und im Zuge dieses Wissen dürfte Ihnen bekannt sein, was zu tun ich in der Lage bin. Versuchen Sie also nichts, was Ihnen oder uns in irgendeiner Weise schaden könnte. Colonel Ekko wird sicherlich zu gegebener Zeit diszipliniert werden – aber dieser Tag wird nicht heute sein, haben Sie mich verstanden?«
»Wie können Sie es wagen, Doktor?«, platzte es aus Ligrev heraus. »Sich so vermessen zu geben und zu glauben, dass Sie mir etwas vorschreiben könnten. Das wird Konsequenzen für Sie haben, glauben Sie mir!«
»Ligrev, Sie sind ein himmelschreiender Idiot und wissen gar nicht, was Sie sich gerade antun.« Calgrow klang gelangweilt und sonderbar gereizt, als habe sie gerade den schlechtesten Sex ihres Lebens gehabt. »Ich könnte Sie einfach verschwinden lassen, Kommissar, so als wären Sie von mir eingesaugt worden wie ein Planet von der Gravitation eines Schwarzen Lochs, und niemand würde je wieder Ihre Existenz auch bloß erwähnen. Selbst mein Tod würde Sie verfolgen wie ein Albtraum und schließlich in Blut und Tränen für Sie enden. Ich hoffe, Sie denken daran, wenn Sie sich entscheiden, sich gegen mich zu stellen.«
Ligrev wollte etwas erwidern, doch ihm fiel nichts ein, sodass er nur seine Boltpistole zurück ins Halfter gleiten ließ und wutschnaubend aus dem Lazarett stapfte.
»Doktor.«
»Ja, Melbin?«
»Sie sind die beste Frau im Universum.«
Calgrow lachte leise. »Vielen Dank, Melbin.«
»Jetzt, wo Sie ihn zurecht gewiesen haben, wird er es nicht noch einmal wagen, sich gegen einen von uns zu stellen«, stellte er grinsend fest.
»Oh, Melbin«, sagte sie und bedachte den massigen Cadianer mit einem eiskalten Lächeln, »Das beweist doch nur, wie unfähig er im Grunde ist. In meinen besten Zeiten hätte ich an seiner Stelle das ganze Regiment exekutieren lassen – und wo wir schon beim Sterben sind: Könnten Sie mir kurz bei Sergeant Lenhim helfen? Er wird es sonst nicht mehr lange mitmachen.«
Die Fröhlichkeit aus Melbins Gesicht verschwand.

***

Das wütende Toben von General Iglianus prallte wie eine Flutwelle an die Wände seines Büros, während der vor Wut beinahe glühende General unruhig auf und ab tigerte, als wäre er hinter den Gitterstäben der Verantwortung gefangen.
Ekko fragte sich, ob er vielleicht gleich von Innen heraus platzen würde.
»Verdammt, Colonel!«, rief der etwas breitere Offizier aus und bedachte seinen stumm neben ihm in einem ledernen Sessel residierenden Kommissar. »Wie konnten Sie das tun?«
»Ich habe eine Entscheidung getroffen, Sir«, erwiderte Ekko ruhig – bereits zum fünften Mal seit seiner Ankunft im Kommando-Leviathan des Armeekommandos, der gemächlich über die Ebenen Agos Virgils kroch.
Der General schnaubte vor Unglauben, dass der Colonel es wagte, ihn zu unterbrechen. Es klang wie ein verstimmtes Vulture-Kanonenboot. »Halten sie die Klappe, Ekko! Sie haben sich mit ihrer kleinen Eskapade ziemlich viel geleistet und wenn es nach Kommissar-General Del Mar ginge, hätten Sie bereits vor Stunden Ihre Ende gefunden!«
Natürlich. Ekko hat bereits viel von der Härte des Kommissar-Generals gehört. Der Mann war eiskalt und tödlich und schreckte vor nichts zurück.
»Tatsächlich würde auch ich Sie am liebsten an die Wand stellen!«, versetzte Iglianus.
»War eine verdammte Schweinerei, die Sie da angerichtet haben, Ekko«, fügte Del Mar an.
Ekko musterte ihn genauer. Er war ein hochgeschossener Mann mit einer gebrochenen Nase, mehreren Narben im Gesicht und Augen, bei denen sich sein Rücken am liebsten unter einer Gänsehaut versteckt hätte. Er klang kalt und desinteressiert, so als ginge ihn das alles nichts an. »Können Sie all die Toten verkraften, Colonel?«
Ekko zuckte die Schultern. »Kommt drauf an, wie viele aus meinem Regiment sind, Sir.«
Unangenehmes Schweigen erfüllte den Raum.
Del Mar schoss einen stummen Blick zu Iglianus. Obwohl er kein Wort verlor, konnte Ekko die eiskalte Stimme hören, die im Plauderton fragte: »Sind Sie sich sicher, dass er es wert ist?«
Der General seufzte unbehaglich. »Die Verluste gingen überraschend glimpflich für uns aus, Ekko. Deswegen haben Sie verdammtes Glück gehabt.
Insgesamt gingen uns nur dreihundertfünfundvierzig Soldaten verloren, davon zweihundertneununddreißig Totalverlust, was weit unter den Einschätzungen des Tacticae lag. Damit haben Sie uns im Grunde sogar noch einen Dienst erwiesen.«
»Ich bin froh, dass ich helfen konnte, Sir.«
»Gibt es eigentlich einmal irgendeine Situation, die Sie nicht kommentieren?«
»Ich habe noch keine erlebt, Sir.«
Del Mar löste sich von der Wand.
»An ihrer Stelle, Colonel«, sagte er gefährlich ruhig, »würde ich mein vorlautes Mundwerk halten und zuhören. Sie bekommen gerade die Chance, meiner Gerechtigkeit zu entgehen. Nutzen Sie sie besser.«
Ekko ließ seine Augen unmerklich von dem Kommissar zurück zu Iglianus schweifen. Obwohl er sich bemühte, seine Furcht nicht überhand nehmen zu lassen, ging ihm auf, dass er mit Del Mar einen weitaus gefährlicheren Gegner vor sich hatte als mit Ligrev.
Eher jemanden wie Marith Calgrow oder diese Leitis Sile: Entschieden, zurückhaltend und dennoch aufmerksam. Ein gefährliches Raubtier, das ihn beschlich und bereit war, ihn bei der nächsten Gelegenheit zu vernichten.
Und jetzt diese eigenartige Sache mit der Chance, Del Mars Gerechtigkeit zu entgehen. Wovon, beim Barte des Propheten der Heiligen Bastet, redeten die Männer da?
»Wovon, im Namen des Throns, reden Sie, Sir?«

»Colonel, in Anbetracht der Situation habe ich entschieden, dass Sie scheinbar der Richtige sind für eine kleine Operation, die abseits unseres Hauptvorstoßes stattfinden wird.«
»Wie meinen Sie das?«, hakte Ekko ungläubig nach.
»Ich habe mich für Sie eingesetzt, Ekko.«
Del Mar schürzte die Lippen. »Ich heiße das nach wie vor nicht gut, General. Ich denke, das könnte den Truppen das falsche Bild ...«
»Es war meine Entscheidung«, unterbrach Iglianus. »Um die Bestrafung können wir uns danach immer noch Gedanken machen.«
Ekko seufzte. Schon wieder hatte ihn das Universum beschissen. »Das hier ist Bestrafung genug, Sir.«
Del Mar fixierte ihn. »Sie sind ein Mistkerl, Ekko.«
»Vielen Dank. Man wollte mich auch schon zum Kommissar machen.«
Die Augenlider des Kommissars begannen, wütend zu flackern. Er wollte eine harsche Erwiderung in Richtung des Colonels schleudern und ihm mitteilen, was am Besten in sein Gesicht passen würde.
Iglianus hielt ihn mit einer knappen Geste zurück.
»Ekko«, brummte er mit erstaunlicher Selbstbeherrschung trotz des unglaublich vermessenen Verhaltens seines Offiziers, »man sollte die Hand, die einen füttert, besser nicht beißen.«
Dann wandte er sich um, einem hololithischen Daten-Globus zu, der sich nach einer kurzen Berührung des Bedienelements aktivierte.
Sofort wurden die Regimenter als stilisierte Truppen dargestellt, die sich durch die riesige, durchsichtige Ebene von Agos Virgil zwängten, während die Orks bereits einen weiten Vorsprung gewonnen hatten – auf jeden Fall das, was noch von ihnen übrig war.
Iglianus räusperte sich. »Also, Ekko, zurück zu meiner Entscheidung. Wir haben hier, nördlich von uns, eine Basilika der Ekklesiarchie, die Himmels-Kathedrale. Sie wurde von den Orks überrannt und geschändet.«
Das hololithische Bild flackerte und verschob sich. Ein massives Bauwerk schimmerte in matten Blau über die aus Licht nachgebildete Landschaft. Es wirkte mächtig und elementar, dass man glauben konnte, es stünde bereits seit Anbeginn der Zeit da.
Iglianus wies auf die Darstellung. »Da die Priesterschaft und das örtliche Pilgertum niedergemetzelt worden sind, bietet sich diese Makro-Kathedrale als neue Basis unserer Operationen geradezu an. Ich denke, es wäre sogar nur rechtens, wen von diesem geheiligten Ort aus die restlichen Truppen des Imperiums aus zu uns stoßen, wenn sie eingetroffen sind.
Dabei gibt es nur eine Schwierigkeit: Wir haben seltsame Kom-Signale von dort erhalten, die nicht orkisch sind, wir aber auch nicht entschlüsseln können.«
Eigentlich würde ich dem Ganzen etwas mehr Interesse entgegenbringen. Allerdings war Ihr eigenmächtiges Verhalten für unsere Truppen so inspirierend und für den Feind derart niederschmetternd, dass ich eigentlich keines der Regimenter entbehren kann, um die Basilika zu säubern und eine neue Operationsbasis zu schaffen.
Allerdings haben die Basteter unter Ihrem Kommando bewiesen, dass Sie und Ihre Männer dafür mehr als prädestiniert sind.
Das wird Ihre neue Aufgabe sein: Gehen sie dorthin und reinigen sie diesen Ort für uns.«
Es klang so dermaßen beiläufig, dass es einfach wichtig sein musste.
»Sie lassen mich eine verdammte Kirche einnehmen?«, fragte Ekko ungläubig. »Ich will weiter an der Front kämpfen, Sir!«
»Halten sie das Maul, Ekko!«, schnauzte Del Mar. »Sie sind ein imperator-verfluchtes Arschloch, das es versaut hat, also sorgen Sie dafür, dass Sie es wieder hinbiegen, sonst mache ich es selber und dann können Sie Ihr schwarz verbranntes Gehirn von der Wand wischen!«
Der Kommissar-General trat nah an ihn heran. »Was sollen wir dann mit Ihren Männern machen? Wenn Sie tot sind, wird sich niemand um sie kümmern und es wird mir eine Ehre sein, das Kommando zu übernehmen, Sie kleiner unbedeutender Wicht! Also benehmen Sie sich!«, zischte er.
Noch bevor Ekko reagieren konnte, mischte sich Iglianus ein. »Sie haben genügend Schaden angerichtet, Ekko. Ich will Sie bei was wissen, das Sie nicht versauen können, haben Sie das verstanden?!«, fragte er. »Außerdem ist es hilfreich, wenn wir den Siegestaumel Ihrer Männer ein bisschen bremsen. Nicht, dass jemand auf häretische Gedanken kommt.
Und verdammt noch mal - nehmen Sie Haltung an, wenn ich mit Ihnen rede!«
Ekko straffte sich, auf wenn sich in seinem Kopf alles drehte. Konnte das sein? War das wirklich wahr? Hatte Iglianus ihm gerade offenbart, dass er und Del Mar beabsichtigten, seine Männer gegen ihn aufzubringen?
»Ach, ja«, fügte Iglianus an. Wieder so verdammt beiläufig. »Wir werden sämtliches schweres Gerät, Ihre Transporter und Läufer mitnehmen.«
Jetzt konnte Ekko nicht anders, als erschrocken zusammenzusinken. »Was?«
»Das Regiment wird sich an keiner Vorwärtsbewegung unserer Truppen auf diesem Planeten mehr beteiligen. Sie werden das Gebiet halten und befestigen. Daher werden Sie den Großteil ihres Fuhrparks nicht benötigen.«
»Aber, Sir«, brachte Ekko ungläubig hervor.
»Ruhe!«, bellte Del Mar.
Iglianus fuhr ungerührt fort. »Sie behalten ein paar Chimären, neun Läufer und eine Schwadron Walküren zurück. Suchen Sie sich die Truppen aus, die Sie mitnehmen wollen und dann machen Sie sich auf den Weg. Bis 1400 sind Sie auf dem Weg. Sie haben immerhin gut vierzig Kilometer Strecke vor sich.«
»Sir, ich ...«
»Sie haben Ihre Befehle, Colonel!«, fauchte Del Mar. »Führen Sie sie aus – oder sterben Sie.«
Ekko biss die Zähne wütend zusammen. Del Mar und Iglianus hatten ihn ausgetrickst und ihn in eine Zwickmühle manövriert, das wurde ihm klar. Er wollte nicht sterben, das war sicher, nicht durch Del Mars Hand. Aber wenn er sich entschied, den Auftrag auszuführen, dann würde das einen Gesichtsverlust gegenüber seinen Männern bedeuten.
So oder so, er würde einen herben Verlust erleiden.
»Gibt es weitere Anweisungen?«, knirschte er.
»Zu diesem Zeitpunkt nicht. Setzen Sie sich mit dem Munitorium in Verbindung. Dort wird man Ihnen die neuen Einheiten zuteilen und Ihre Truppen abziehen.«
»Verstanden, Sir.« Der Colonel straffte sich abermals, salutierte und machte kehrt. Dieser Schlag hatte ihn eher getroffen als alles, was er bis dahin in seiner Laufbahn erlebt hatte (abgesehen von einigen persönlichen Rückschlägen).
»Und, Ekko«, endete der General. »Sie sehen beschissen aus.«
»So fühle ich mich auch, General.«
Iglianus ignorierte die versteckte Beleidigung. »Seien Sie froh, dass es für Sie derart glimpflich ausgeht, Ekko. Wenn ich nicht Männer wie Sie brauchen würde, dann hätte ich Sie längst exekutieren lassen.«
Ekko nickte verstehend. »Ja, General«, pflichtete er bei. »Wenn es danach ginge, dann hätte ich mich sicherlich bereits selbst exekutiert.«
»Verschwinden Sie, Ekko«, grummelte der massige Mann bedrohlich. Der Colonel deutete einen kurzen Salut an und machte abermals auf dem Absatz kehrt, bevor er den Raum durch die zur Seite gleitende Tür verließ.
Ob das vorsichtige Lächeln in seinem Gesicht jetzt von Wut oder Triumph geprägt wurde, konnte er selbst nicht genau sagen.

***

Der Tag brach an und Ekko fühlte, wie der emporstrebende Schlaf ihn umwölkte.
Der Rückflug verlief ereignislos.
Ekko spürte den stechenden Blick des Frachtoffiziers der Walküre, mit der er flog, auf sich ruhen. Es fühlte sich an, als würde er mit tausend Messerstichen durchbohrt.
Die Maschine zog unruhig über den hell werdenden Himmel und die Müdigkeit kletterte ihm in die Poren.
Diese Walküre war kein speziell hergerichtetes Modell für den Transport von wichtigen Personen, sondern ein einfacher Fracht- und Truppentransporter. Dementsprechend einsam und unbequem war der Transport.
Am Schlimmsten jedoch war, alle paar Sekunden aus dem Dämmerschlaf gerissen zu werden, wenn die Maschine ruckte und ihm der Kopf gegen die Seitenwand schlug oder nach vorne kippte. Jedes Mal wachte er erschrocken und desorientiert auf, nur um sich dann noch müder zu fühlen.
Er fand einfach keine Ruhe, dafür dröhnte ihm aber der Kopf. Keine gute Kombination.
Wann er das nächste Mal Schlaf finden würde, wusste er nicht. Vielleicht war es die Resignation, die er aufgrund dessen verspürte, die ihn wach hielt, aber wenn er sowieso nicht richtig zur Ruhe kam, dann musste er sich die Zeit eben anders vertreiben.
Er atmete tief ein. »Geben Sie durch, dass sich sämtliche Führungsoffiziere bei Azrael versammeln sollen. Meine Leute wissen, was damit gemeint ist.«
Der Frachtoffizier nickte zweifelnd und sprach dann in sein Funkmikro.
Einige Sekunden später nickte er einer körperlosen Stimme zu, bevor er sich an Ekko wandte. »Der Pilot wird es gleich senden, Sir. Er meldet mir, sobald er eine Bestätigung erhält.«
Ekko neigte kurz den Kopf und wandte sich dann dem schmalen Sichtschlitz zu. Vor nicht all zu langer Zeit hatte er ebenfalls auf diese Weise aus dem Innenraum eines Sturmtransporters auf die Rauchschwaden geblickt, die von einer brennenden Ebene aufstiegen, auf der sich die Imperiale Armee der grünen Flut des Feindes entgegen gestemmt hatte.
Bei dem Gedanken daran fasste er kurz an das Tiefziehholster seiner Laserpistole.
War das wirklich erst kaum dreizehn Stunden her?
Die Nächte auf Agos Virgil waren sehr kurz, das wusste er, doch wenn er sich jetzt daran erinnerte, hatte er nicht mehr als einen schmalen Streifen Dunkelheit gesehen, bemalt vom fernen Flackern des Grauens.
Die Landschaft zog unter ihnen entlang, staubige, unwirtliche Ebene, wie sie nur die Steppen eines außerirdischen Planeten haben konnte.
Gräulich-beiger Sand und dürre, verbrannte Vegetation wechselten sich ab mit einigen Flecken grüner Erde, wo die Natur dem unerbittlichen Wirken des Universums und selbst der Zerstörung durch Menschen und Grünhäute getrotzt hatte.
Aber das war es auch. In der Ferne konnte man die rauchenden Überreste von etwas erkennen, das vor langer Zeit die aufstrebende Makropole Golgarad gewesen war, jetzt ein Synonym für die vollständige Auslöschung jeglichen menschlichen Lebens auf dieser Welt.
Sie waren zu spät gekommen.
Was, im Namen des Throns, taten sie noch hier?
Diese Welt war tot, übersät mit dem Makel der Grünhäute und verseucht von ihrem Wirken. Es gab hier nichts, für das es sich zu kämpfen lohnte.
Also genau die richtige Welt für ihn. Genau die richtige Welt, um hier den Tod zu finden.
Was aber das Armeekommando veranlasste, weiter an diesem Ort festzuhalten, war ihm schleierhaft. So sollte es wohl auch bleiben.
»Befehl wurde bestätigt«, bemerkte der Frachtoffizier.
Ekko nickte abwesend.
Der Krieg ermüdete ihn. Er hätte bereits vor langer Zeit seinen Tod finden sollen, aber immer wieder wurde er darum betrogen, so als hätte der Gott-Imperator gerade ihn sich herausgesucht, um sich an seinem Unglück zu belustigen und ihn zu quälen.
Die Walküre machte einen Satz und sank tiefer. Leuchtspurgarben zischten vor der Sichtluke vorbei.
Ekko rieb sich die Augen. Waren das gerade wirklich …?
Nein, es war nur Einbildung gewesen, ein Streich, den ihm die aufgehende Sonne gespielt hatte.
Er ließ den Streich Streich sein und lehnte sich zurück. Eine Erschütterung donnerte seinen Kopf gegen die Wand.
Er biss die Zähne zusammen und stützte sich auf seine Ellenbögen. Nur einen Moment Ruhe, auch wenn es ihm nicht vergönnt sein würde zu schlafen.
Irgendetwas schüttelte ihn. Er schlug die Augen auf.
Der Frachtoffizier stand direkt vor ihm und hielt sich mit einer Hand an der in die Decke eingelassenen Haltestange fest, während er den Colonel an der Schulter schüttelte. »Noch zwanzig Sekunden«, meldete er.
Noch zwanzig Sekunden? Der Flug vom Armeekommando bis zur Front dauerte gut fünfundvierzig Minuten.
Erstaunt erkannte Ekko, dass die Kopfschmerzen zwar nicht verschwunden waren, sich aber in die hintersten Windungen seines Gehirns zurückgezogen hatten, wo sie als beharrliches Flüstern weiter existierten. Pass auf dich auf, Soldat!
Das Heulen der Triebwerke veränderte sich, als der Pilot den Schub auf die an den Flügeln liegenden vertikalen Schubdüsen umleitete. Sie sanken schnell.
Die Walküre war ursprünglich als Sturmtransporter gebaut worden, sollte also weder für Komfort bieten, noch das Wohlbefinden der Passagiere befriedigen.
Aber eine Landung in einer Walküre spottet dieser Beschreibung. Jeder, der noch nie mit einem Sturmtransporter geflogen war oder ein festes Nervenkostüm besaß, hätte sich vermutlich ob dieses kontrollierten Absturzes in die Hose gemacht, wobei Ekko insgeheim vermutete, dass die Piloten Offizieren wie ihm damit nur eins auswischen wollten. Ihm sollte es recht sein – so lange aus dem kontrollierten Absturz kein unkontrollierter wurde.
Ein spürbarer Ruck ließ seinen Magen hüpfen. Sie waren gelandet.
Der Frachtoffizier nickte Ekko zu, erhob sich und öffnete die Seitentür, während der Colonel ungeschickt versuchte, sich aus den Gurten zu befreien.
Plötzlich wandelte sich das gedämpfte Jaulen der Triebwerke zu einem kreischenden Heulen, das schmerzhaft in die Ohren drang und ihn zu betäuben versuchte.
Ekko erhob sich und verließ die Walküre, wobei er seine Schirmmütze mit einer fließenden Bewegung auf seinen Kopf setzte und den Salut des Frachtoffiziers gleichgültig abnahm. Als er den Sturmtransporter verlassen hatte, knallte die Seitentür hinter ihm zu und die Turbinen liefen wieder an.
Das Kreischen brannte sich durch sein Trommelfell.
Der Boden fühlte sich seltsam weich und irreal an, während er über den improvisierten Landeplatz zum Kommandozelt ging, an dessen Eingang Carrick und die Captains warteten.
Ligrev stand ebenfalls bei ihnen. Der Kommissar stellte ein hässliches, grausames Grinsen zur Schau, als wollte er den Sieg über seinen Feind Galard Ekko feiern.
Aber soweit war es nicht – noch lange nicht.
Die Walküre schrie auf und erhob sich wieder in die Luft. Ekko betete, dass der entstehende Luftzug ihm seine Mütze nicht vom Kopf wehen würde, als er die Hitze der Triebwerke in seinem Nacken spürte.
»Wie sieht es aus?«, fragte Carrick, der wie die anderen wohl überrascht war, dass Ekko lebend zurückgekommen war.
»Sie müssen den Armasec wohl wieder kalt stellen, Herr Kommissar. Ich bin noch nicht tot.«
»Zu schade«, brummte Ligrev.
»Und jetzt, Sir?«
»Wir haben einen neuen Auftrag«, eröffnete Ekko ihnen, als er an den Versammelten vorbei schritt und sich anschickte, das Innere von Azrael zu betreten.
Carrick runzelte die Stirn. »Das klingt … interessant.«
»Es wird Ihnen nicht gefallen, Carrick. Ihnen übrigens auch nicht, meine Herren. Es scheint, als habe ich Sie dieses Mal wirklich tief mit rein geritten.«
»Wen wundert's?«, fragte Balgor. »Sie sind Basteter.«
Alle lachten – außer Ligrev.
»Nun gut. Egal, wie viel Mist ich dieses Mal gebaut habe, es gibt etwas zu erledigen. Ich denke, wir sollten es angehen.« Ekko betrat die Kommandozentrale. »Oder haben Sie etwas anderes zu tun?«
Grimmiges Lächeln antwortete, als die Männer ihm folgten.
 
Zuletzt bearbeitet:
@ SMN

Hm, ich interpretiere Puritanismus eher so wie er ihm englischen Sprachraum als Synonym für:„kalt, blutleer, kleingeistig, selbstverleugnend, heuchlerisch und nachtragend“ wahrgenommen wird. Ich glaube nicht, das Gavin Thorpe (erst jetzt wird mir klar, warum die 2. Edition Soros so Scheiße waren) so tiefgründige Gedanken wie du im Hinterkopf hatte, als er das Kapitel über die Lebenswelt der Sororitas schrieb.

Ein guter Kumpel hat es mal so formuliert gehabt: Puritaner sind Menschen, die Angst haben, jemand könnte mehr Spaß als sie im Leben haben.

Ich sehe immer noch keinen offiziellen Hinweis, dass Sororitas eine sexuelle Beziehung eingehen können. Wie du das in deiner Fanfiktion interpretierst, ist ja deine Sache. Ich für meinen Teil halte Sororitas nach wie vor für jungfräuliche psychopathische Wahnsinnige mit einem deutlichen Hang zum Masochismus und Pyromanie.
 
@Nakago:
Ich bin allerdings auch der Meinung, dass Space Marines ebenfalls nicht dem Zölibat unterliegen, sondern einfach keine Zeit dafür haben, sich mit etwas anderem als Krieg und Dienst zu beschäftigen. Wenn ein Space Marine alleine auf einer primitiven Welt landet, wird er schließlich nicht auf der Stelle sitzen und bis zum Umfallen beten.

Bei Sororitas ist es mMn ähnlich. So lange sie im Dienst sind und in der Gemeinschaft ihres Ordens, haben sie weder Zeit noch Gedanken für andere Dinge, aber auf sich allein gestellt gelten andere Regeln.
 
Salve,
Ich habe ja nie behauptet, dass ich einen offiziellen Beweis gelesen hätte. Tatsächlich habe ich ja darauf hingewiesen, dass ich eben NIE einen gelesen habe und es daher für möglich halte. Und ich muss ganz ehrlich sagen, dass mich dieses Isolationszeug nie wirklich überzeugt hat, denn so, wie die Schwestern im Zweiten Buch der Inquisition Haereticus dargestellt werden (Hexenjägercodex), ist es unabdingbar, dass sie mit der Welt außerhalb ihrer Orden kommunizieren und sich aus der Isolation begeben, die sie im Sororitas-Codex noch umgeben hat.

Das ist nun einmal das Problem mit Codizies, die sich von Edition zu Edition ändern. Was soll man da glauben? Also ich habe mir für meine Recherchen für Stargazer immer die neueste Literatur zur 5. Edition gegriffen, aber ältere Editionen im Hinterkopf behalten, solange sie meiner Meinung nach dem Hintergrund der neuen Codizies nicht widersprachen.

(Mein Lieblingssatz ist dabei Übrigens: „Eine Schwester kann viele Stunden dem Altar ihres Klosters widmen, fastend und über die Bedeutung einer einzelnen Passage in den Litaneien des Glaubens meditierend, bevor sie profunde Erkenntnisse durch das Ende ihre Wache erhält.“)

Natürlich mache ich mir viele Gedanken, nicht nur über Sororitas, sondern über alles, was ich schreibe. Ich habe eine sehr lebhafte Fantasie – und die will nun einmal befriedigt werden. (Siehe zum Beispiel das Interior eines Destroyer-Jagdpanzers)

Und Dinge, die ich auch nach ausgiebigem Gesuche nicht finde, die erschließe ich mir aus den Fakten und dem, was sich für mich daraus ableiten lässt (bzw., dem, was ich kenne)
Aber es stimmt natürlich auch, dass Fakt Fakt ist und Idee Idee.

Doch auch wenn ich nicht immer genau den Fluff treffe, glaube ich, dass wenn ich haargenau an das halten würde, was im Hintergrund steht, meine Geschichte und meine Gedankenwelt ein farbloses Muster sich aneinanderreihender Fakten sein würden, die nicht einmal immer miteinander konform sein würden – und dann hätte man auch nichts mehr, über das sich nicht nur der Autor, sondern auch der Leser Gedanken machen würde. Es wäre schlicht langweilig und schei***, weil es dann immer nur heißt: Ja, aber auf Seite drei steht, dass bla sülz … ist aber aus der und der Edition (Da fällt mir zum Beispiel die Frage ein, nach welcher Edition ich meine Orks aufgebaut habe – was als Hinweis ziemlich nützlich sein kann, wird bei ständiger Wiederholung allmählich zur Qual)

Und dass du die Bemerkung zum Anlass genommen hast, das mit mir zu diskutieren, zeigt ja, dass du dir Gedanken gemacht hast (bzw. ein tief im Hintergrund verankerter Leser bist).
Allerdings (und um auf das Thema Sororitas zurückzukommen) vermute ich, dass wir beide da nur schwer zu einer gemeinsamen Sichtweise finden werden, allein schon wegen unserer unterschiedlichen Interpretation des Gedankenguts von Fluff-Schreibern. (Wobei ich das englische Synonym „kalt, blutleer, kleingeistig, selbstverleugnend, heuchlerisch und nachtragend“ schon aus dem Grund nicht nehmen würde, da es dem Grundkonzept des Wesens der Schwesternschaft vollkommen widerspricht. – wobei man da natürlich auch wieder zwischen militärischen und zivilen Orden unterscheiden könnte)

Ich vermute mal, in der neuen Edition wird sich das sowieso wieder ändern. Man darf also gespannt sein.

Im Übrigen: Schwestern sind Psychopathen, habe ich ja (so ungefähr auf jeden Fall) auch gesagt … allerdings würde ich das nie so sagen, bzw. schreiben – denn man weiß nie, wann man einer über den Weg läuft ;-D

Alles Vale

SMN
 
@ Sarash:
Wenn ich nicht völlig daneben liege, haben Space Marines einfach keinen Sexualtrieb, was durch die diversen Veränderungen bedingt ist. Irgendwas blockiert oder schwächt das sexuelle Verlangen soweit hinab, dass sie den Drang dazu gar nicht verspüren.
Es gibt ja bestimmt genug einsame Stunden in den Ordensfesten, Angriffs- oder Schlachtkreuzern und der Taschentuchbedarf wäre glaube ich nicht zu decken;-) kleiner Spaß am Rande...
Und nun zu den Soros... mhm ich sehe die Sache etwas zwiespältig, einerseits wird nie konkret genannt ob es sowas wie Zölibat gibt aber ich denke, dass es bei den meisten Soros es genau so ist, wie Nakago es gesagt hat:
Sie sind einfach fanatische Wahnsinnige, die so stark in ihrem Glauben an dem Imperator sind, dass sie sich der fleischlichen Lust einfach nicht hingeben.
Aber dabei muss man glaub ich auch zwischen den einzelnen Orden unterscheiden.
Meiner Meinung nach könnte sowas eher bei den zivilen Orden der Sororitas vorkommen, dass sie solche körperliche Nähe suchen als bei den überaus fanatischen und sehr pyromanischen Schwestern der Kampforden.
Und ich denke auch, dass sich diese Schwestern sich nicht einfach einem Mann hingeben, da ihre Körper und sonst alles dem Imperator geweiht sind.
Aber ausschließen möchte ich dies in keinem Fall. Es ist einfach nur schwer vorstellbar und auch eine Interpretationssache.
 
Ich habe ja nie behauptet, dass ich einen offiziellen Beweis gelesen hätte. Tatsächlich habe ich ja darauf hingewiesen, dass ich eben NIE einen gelesen habe und es daher für möglich halte. Und ich muss ganz ehrlich sagen, dass mich dieses Isolationszeug nie wirklich überzeugt hat, denn so, wie die Schwestern im Zweiten Buch der Inquisition Haereticus dargestellt werden (Hexenjägercodex), ist es unabdingbar, dass sie mit der Welt außerhalb ihrer Orden kommunizieren und sich aus der Isolation begeben, die sie im Sororitas-Codex noch umgeben hat.

Auch in der zweiten Edition ziehen sie hinaus in die Welt, um ihre Pflichten zu erfüllen. Aber eben nur Pflichten.

Du füllst einfach eine Grauzone. Das kannst du ja gerne machen, ist deine Fanfiction und du kannst da machen was du willst. Aber es ging halt ursprünglich darum, sind Liebhaber suchende Soros offiziell oder nicht, und ich glaube wir können uns darauf einigen, dass sie nicht offiziell sind. Du hast eine sehr sehr enge Lücke genommen und sie mit deiner Interpretation gefüllt. (Hört sich das gerade doppeldeutig an? :lol: Keine Absicht. 😛 )

Das ist nun einmal das Problem mit Codizies, die sich von Edition zu Edition ändern. Was soll man da glauben? Also ich habe mir für meine Recherchen für Stargazer immer die neueste Literatur zur 5. Edition gegriffen, aber ältere Editionen im Hinterkopf behalten, solange sie meiner Meinung nach dem Hintergrund der neuen Codizies nicht widersprachen.

Wobei sich jetzt 2 und der noch aktuelle 3 Edition Hintergrund der Soros nicht so widersprechen. Ich zitiere mal 3. Edition: Für das Adeptus Sororitas sind Bußfertigkeit und Selbstkasteiung ein vitaler Bestandteil ihres Lebens als fromme Dienerinnen des Imperators, denn nur durch Selbstverweigerung kann man wahrlich eine Ahnung der Opfer erlangen, das der Meister der Menschheit für seine treuen Untertanen erbracht hat.

Ich vermute mal, in der neuen Edition wird sich das sowieso wieder ändern. Man darf also gespannt sein.

Im Herbst wird ja im White Dwarf ein neuer Codex veröffentlicht. Aber ich schätze mal nicht, dass sich grundlegend am Hintergrund was ändern wird.

Im Übrigen: Schwestern sind Psychopathen, habe ich ja (so ungefähr auf jeden Fall) auch gesagt … allerdings würde ich das nie so sagen, bzw. schreiben – denn man weiß nie, wann man einer über den Weg läuft ;-D

frühestens M36. :lol:
 
@ Azer0n

Eine sehr treffende Bemerkung ... :-D Taschentücher und Marines - gefällt mir.

Ich sehe schon, das ist definitiv ein kontroverses Thema, wobei ich allerdings darauf hinweisen möchte, dass es hier lediglich um die Aussage von Kommissar Ligrev ging, die Schwestern würden keinerlei Zölibat unterliegen ... wir sind inzwischen schon sehr weit über die eigentliche Grundfrage hinaus.

@Sarash

"Bei Sororitas ist es mMn ähnlich. So lange sie im Dienst sind und in der Gemeinschaft ihres Ordens, haben sie weder Zeit noch Gedanken für andere Dinge, aber auf sich allein gestellt gelten andere Regeln."

Und gerade das ist ja die Sache. Die meisten Schwestern fasten und beten während der Zeit, in der sie ihren Pflichten nicht unterliegen, um ihre Selbstdisziplin zu fördern und zu erhalten. Nur durch eben diese Selbstverweigerung, die Bußfertigkeit und die Selbstverweigerung fühlen sie sich ihrem Ziel, den Imperator und sein Reich zu schützen, wirklich ergeben.
Es ist also nicht unrichtig, was Nakago und Azer0n eingeworfen haben.

Es ist nun einmal Interpretationssache

@Nakago:

Ja, das stimmt schon (ich habe ihn ja auch gelesen). So meinte ich das ja auch nicht. Mir geht’s eben darum, dass sich meiner Meinung nach im Hexenjägercodex die Orden noch „weiter geöffnet“ haben … Öhm, ein Chelm, wer jetzt an meinen guten alten Freund in Rom denkt …

Mir ist schon klar, dass das eine Lücke ist, die allerdings – das möchte ich noch einwerfen – Kommissar Ligrev lediglich insoweit bediente, als dass er behauptete, Schwestern unterlägen keinem Zölibat. Es ging mir ja gar nicht um die Frage, ob sie es tun, sondern eher darum, ob sie es könnten (und dass sich Ligrev daher Chancen ausrechnet – wenn wir schon so weit sind, dann muss ich darauf hinweisen). Der ganze Rest ist jetzt unsere Interpretationssache gewesen ;-D
Übrigens schön, dass du die Stelle zitierst – das zeigt mir, dass wir den gleichen Codex gelesen haben … Und trotzdem unterschiedlicher Meinung sein :-D (Nur habe ich gerade nicht die Zeit, noch mal wieder tiefer in die Materie der Selbstverweigerung einzusteigen…)

Ja, ich finde es einfach interessant und spannend, solche Engpässe zu erweitern und zu dehnen, bis es so passt, wie ich es mir vorstelle. Gerade das macht den Reiz für mich aus.

Okay. Freut mich, dass wir uns darauf einigen konnten. Damit ist meine Sorge einer möglichen Codex-Häresie meinerseits gebannt.

Alles Vale

SMN
 
Zuletzt bearbeitet:
Was ich ganz vergessen hatte vorhin...bin jetzt auch soweit fertig mit lesen (heute sehr viel geschafft in der uni, tjaa es gibt halt langweilige Vorlesungen^^) und muss sagen, dass es eine gute Geschichte ist bisher und auch sehr erfreut darüber bin, dass du schon eine ganze Menge mehr geschrieben hast und man somit nicht allzulange auf Nachschub warten muss
 
Salve,

und vielen Dank! Es freut mich, dass die Arbeit doch einigermaßen zu gefallen scheint.



11

Im Laufe der Besprechung kristallisierte sich mehr und mehr heraus, dass die Sache wirklich keinem gefiel. Um ehrlich zu sein, diese Besprechung war die größte Katastrophe, die Ekko jemals erlebt hatte. Abgesehen von Balgor (der gewaltsam versuchte, einen Witz zu machen) war die Stimmung unter den Nullpunkt gesunken.
Als dann auch noch ein Funker die vom Oberkommando angeforderten Einheiten vorlas, sank die restliche Zuversicht der Offiziere ins Bodenlose und wich schließlich unverhohlener Resignation.
Nur Ligrev war bester Dinge.
»Dann werde ich die Männer auf die Ihnen bevorstehende Aufgabe einschwören«, sagte er und empfahl sich.
Sie waren froh, ihn los zu sein.
»Und jetzt?«, fragte Captain Solmaar in die Runde. Der Captain war noch immer um Kopf und den von Sile aufgeschlitzten Arm verbunden, aber wie die meisten Offiziere, die Ekko kannte, hatte er die nächste sich ihm bietende Gelegenheit genutzt, um zurück zur kämpfenden Truppe zu gelangen.
Jetzt stand er mit verschränkten Armen etwas abseits der anderen und betrachtete die niedergeschlagene Runde mit aufmerksamen Blicken.
»Ich denke, es ist am Einfachsten, wenn wir unsere Befehle ausführen, oder?«, warf Carrick in den Raum.
»Befehle ausführen?«, herrschte Major Maryan ihn an.
Maryan war der Kommandant der regimentseigenen Sentinels und wie alle Sentinel-Piloten ein Einzelgänger und Störenfried. Da er im Grunde den gleichen Rang bekleidete wie Carrick, gab es zwischen den beiden eine versteckte Feindschaft, weil jeder sich als eigentliche legitime Nummer Zwei des Regiments sah, direkt nach Ekko.
Da aber Maryan nun einmal ein Sentinel-Pilot war, und Sentinel-Piloten weitestgehend autonom operierten – und weil Ekko Carrick mehr vertraute als Maryan – hatte der hochgewachsene, blonde Basteter das Rennen gegen den stämmigen, dunkelhäutigen Mann gewonnen.
Seitdem kritisierte letzterer ersteren bei jeder sich ihm bietenden Gelegenheit. Heute war Ekko sogar gewillt, ihm zuzustimmen.
»Wir reden hier davon, ein Drittel des ganzen Regiments abzuziehen – und zwar das Drittel, in dem sich all unsere schweren Waffen befinden. Und das wollen Sie einfach so zulassen?«, fragte Maryan giftig.
»Uns bleibt keine Wahl«, erinnerte Balgor ihn. Er schüttelte den Kopf. »Wenn wir uns weigern, bekommt Ligrev von Del Mar und Iglianus freie Hand. Also das möchte ich wirklich nicht erleben.«
Maryan fluchte. Einige der dreiunddreißig Anwesenden taten es ihm nach. Wie sie alle ins Kommandozelt bekommen hatten, war immer noch ein Mysterium, das nur der göttliche Imperator zu lösen vermochte.
»Himmel, Dreck und Chaosmakel. Dass gerade jetzt so eine Scheiße passieren muss. Dann werde ich mal meine Männer für den Abmarsch vorbereiten.«
»Nicht so schnell«, stoppte Ekko den Major, bevor er den Raum verlassen konnte. »Sie werden nicht gehen.«
»Bitte, was?«
»Sie bleiben bei mir. Ich will Sie bei mir haben, wenn etwas schief geht.« Ekko nickte einem sehr niedrig gebauten Offizier mit haselnussbraunen Haaren zu, der ihn überrascht ansah. »Major Derend wird die Truppen übernehmen. Unterstellen Sie Ihre Sentinels seinem Kommando und suchen Sie sich acht Piloten aus, die bei uns bleiben.«
»Ich muss protestieren, Sir!«, rief Maryan aus.
Ekko schlug auf den Tisch. Urplötzlich wurde es leise. Alle anderen Geräusche schrie der Colonel nieder. »Noch bin ich der verdammte, beschissene Kommandeur dieses verfluchten Regiments und wenn ich eine Anweisung gebe, dann erwarte ich – thronverflucht noch mal – dass diese ausgeführt wird, Scheiße verdammt. Unsere verfluchten Truppen werden diese Waffenteams und Sentinels bekommen, damit wir unsere Ruhe haben und die Kathedrale einnehmen können, damit die beschissenen Verstärkungstruppen diese Welt anfliegen und verdammt noch mal befreien können. Haben Sie das verstanden, Maryan?«
Der Major schluckte. »Vollkommen, Sir.«
Ekko funkelte ihn wie ein Wahnsinniger an. »Gut.«
Solmaar räusperte sich. In der Stille klang es fast gekünstelt. »Eine Frage, wenn Sie gestatten.«
»Was?«, knurrte Ekko.
»Was ist, wenn unsere Truppen scheitern, bevor die Verstärkung eintrifft?«
Ekko zuckte die Schultern. »Dann sind wir sowieso am Arsch und brauchen auch keine schweren Waffen mehr.«
Die Männer verstanden schweigend.
»Also gut«, schloss Ekko. »An die Captains: Bereiten Sie Ihre Männer vor. Lassen Sie sie sämtliche Aufrüstung aufnehmen, noch etwas essen und ihre Magazine auffüllen. Um dreizehnhundert sind sie vollständig abmarschbereit, verstanden?«
»Ja, Sir«, lautete die einstimmige Antwort.
»Carrick, Maryan, Derend«, wandte sich Ekko an die drei Majors, »organisieren Sie die Trennung der Truppenverbände und die Neuzusammenstellung der Trupps, die Verluste erlitten haben. Sprechen Sie sich mit den jeweiligen Captains ab und bereiten Sie alles vor.«
Dass Derend unglücklich aussah und beinahe wie ein Fisch auf dem Trockenen zappeln wollte, ignorierte er.
»Ich selbst werde mich mit dem Munitorium auseinandersetzen. Alle Aufgaben verteilt? Also dann, meine Herren: Tod und Verderben.«
»Tod und Verderben«, wiederholten sie.
Als die Männer Ekko verließen, um die Befehle auszugeben, fühlte er sich allein, so als hätte er sie alle verscheucht.
Balgor blieb zurück und wartete, bis die anderen gegangen waren. »Haben Sie kurz Zeit?«
Schon vor Jahren hatte Ekko Balgor das Du angeboten, was vom Captain aber nie genutzt worden war.
Er hatte das immer mit dem Gedanken begründet, sich diese persönliche Anrede für einen angemessenen Moment aufheben zu wollen.
In Augenblick wie diesem konnte der Colonel es seinem Untergeben und Freund auch nicht verdenken.
Eine Beleidigung war im ›Du‹ sehr viel schneller gesagt als im ›Sie‹.
»Raus mit der Sprache, ich kann Sie Ihnen ja doch nicht verbieten.
Balgor trat näher. Als er sprach, hatte er die Stimme soweit gesenkt, dass es klang, als würde er wie eine Schlange zischen. »Sie hätten wirklich nicht so angeben brauchen, Colonel. Die Männer vertrauen Ihnen auch, ohne dass Sie das gesamte Regiment beleidigen.«
Ekko zuckte die Schultern. »Es war nötig, ein Machtwort zu sprechen.«
»Und woher kommen diese neuen, fanatischen Töne von Ihnen?«
Ekko funkelte den Captain an. »Was meinen Sie?«
»Tod und Verderben?«, grunzte Balgor. »Wo haben Sie denn den aufgeschnappt?«
»Ich fand ihn passend«, erwiderte Ekko.
Sein Gegenüber schüttelte den Kopf. »Mag sein, aber er passt so wenig zu Ihnen wie eine vollbusige Schwester in eine Plattenrüstung.«
Ekko runzelte die Stirn. »Ich verstehe, was Sie meinen. Alles quillt so lange heraus, bis der Rahmen gesprengt wird.«
Jetzt war es Balgor, der die Stirn runzelte. »Ich nehme an, dass Sie meine Metapher gerade falsch verstanden haben, Sir.«
»Irgendwie mache ich mich heute vollends zum Deppen. Und der Tag fing so gut an«, brummte Ekko.
Balgor zuckte die Schultern. »Machen Sie sich nicht fertig, Chef. Sie konnten nicht ahnen, dass der Gott-Imperator diesen Weg für uns wählte. Und selbst wenn, Sie hätten nichts dran ändern können.«
»Dieses Mal habe ich wirklich verdammten Mist gebaut.«
»Da haben Sie Recht, Sir. Trotzdem sind Sie für die meisten Leute aus unserem Regiment ein echter Held.«
»Helden sind verdammte Idioten, die einfach nur Glück hatten.«
»Das mag stimmen, Chef, aber was sind Sie dann?«, dachte Balgor laut nach.
»Ein verdammter Idiot, der einfach nur Glück hatte, Captain.«
Sie schwiegen eine Weile.
Schließlich seufzte Ekko. »Wenn Ihnen nicht noch etwas auf dem Gemüt brennen würde, hätten Sie sich schon längst auf den Weg nach draußen gemacht. Also, was ist noch?«
Balgor zögerte. »Halten Sie es für gut, Derend das Kommando zu übergeben? Er ist ein Neuling. Vielleicht ist er mit der Truppenführung überfordert.«
»Lassen Sie das meine Sorge sein, Captain. Wenn er sich das nicht zutrauen würde, hätte er das gesagt.«
»Sie haben gar nicht gemerkt, wie unglücklich er war, Chef. Sie haben alle zusammengeschrien. Ist doch klar, dass der Junge da nichts sagt.« Balgor seufzte. »Muss ich Ihnen ins Gewissen reden, Sir? Sie wissen, dass Sie die guten Leute nicht immer bei sich behalten können. Das macht Sie in aller Augen unglaubwürdig.«
Ekko nickte. »Ich weiß.«
Balgor wollte noch etwas sagen, merkte aber, dass es an Ekko abprallen würde. Also entschied er sich dagegen, salutierte knapp und ging zum Ausgang.
»Ich habe von ihr geträumt«, informierte Ekko ihn.
Balgor drehte sich um. »Von wem?«
»Kortessa.«
Der Captain runzelte die Stirn. »Wie lange ist das jetzt her, Chef? Fünf Jahre? Sechs? Es ist klar, dass Sie das noch immer verfolgt. Das ist ganz natürlich.«
»Sie haben mich falsch verstanden, Balgor«, berichtigte Ekko. »Ich meinte, meine erste Begegnung mit ihr.«
Balgor hob überrascht eine Augenbraue.
Ekko lehnte sich gegen den Holotisch. »Ich weiß nicht mehr genau, wie alt ich war, aber der Tag, an dem ich sie zum ersten Mal sah, wird ewig in meinem Gedächtnis bleiben.«
»Tut mir leid, das zu hören, Chef.«
»Seien Sie froh, dass Sie nicht dabei waren, Balgor.«
»Bin ich, Colonel. Sehr froh sogar.«
»Ich frage mich nur, ob das etwas zu bedeuten hat. Erst die Begegnung mit Sile, dann der Traum von Kortessa – und die Sache im Lazarett. Irgendetwas sagt mir, dass da mehr dahinter steckt.«
»Ich verstehe nicht viel von mystischen Dingen, Colonel«, gestand Balgor. »Sie kennen mich ja. Aber ich denke, dass alles im Universum einen Grund hat. Alles hängt miteinander zusammen, weil der Gott-Imperator es so bestimmt hat. Man muss es nur richtig einordnen – apropos ›einordnen‹«, fügte der Captain an und kramte in seiner Drillichtasche.
»Hier«, rief er und warf Ekko ein verrostetes Eisenpäckchen zu. Der Colonel fing es überrascht und erkannte, dass es ein Rationspack war, wie man sie für Notrationen verwendete.
»Wir haben es Horatius genannt.«
Ekko besah sich das Päckchen näher. »Die Form stimmt«, stellte er fest.
»Es ließ sich widerstandslos abführen. Das Katalogisieren übernehmen Sie ja.«
Dann verließ auch Balgor den Kommandostand und Ekko blieb mit der Notration allein zurück.
Der Colonel seufzte leise und betrachtete das Päckchen. »1101965.M41. Vor zwei Jahren abgelaufen.« Na, herzlichen Glückwunsch. »Du wirst mir sicherlich nicht helfen, meine ganzen Probleme zu lösen, oder?«
Die Notration schwieg vornehm.
Ekko nickte. »Dachte ich mir.«

***

Das Munitorium, beziehungsweise seine Vertreter auf Agos Virgil, waren überraschend kooperativ, als sich Ekko mit ihnen in Verbindung setzte. Innerhalb von nur einer halben Stunde waren sämtliche angeforderten Fahrzeuge, Materialien und Versorgungsgüter zum 512. transferiert, was für sich genommen schon eine Leistung war, die im von der Bürokratie beherrschten Munitorium Ihresgleichen suchte.
Noch beeindruckender jedoch war, dass bereits eine halbe Stunde später der Konvoi für die Bodentruppen des Regiments bereit stand.
Der Colonel verfolgte mit unverhohlener Überraschung, wie die von sicherer Hand geführten Fahrzeuge sich etwas abseits der Hauptkolonne formierten, die zur selben Zeit wie Ekkos Truppen in Marsch gesetzt und auf die Jagd nach den Orks gesandt werden würde.
Die verantwortlichen Munitoriums-Angestellten waren höchst freundlich, zuvorkommend und hilfsbereit, was Ekko bereits nach dieser Stunde Zusammenarbeit mehr auf die Nerven ging als das Trödeln ihrer Kollegen auf Bastet. Es hatte mehr von Heuchelei.
Sie schienen verdammt froh zu sein, dass Ekko und sein Regiment vorhatten, die Armeegruppe zu verlassen.
Vielleicht fürchteten sie sich aber auch nur vor dem Irren, der die gesamte imperiale Streitmacht in Marsch gesetzt und so die Orks zur Flucht veranlasst hatte.
Egal, was es war und wie sehr es ihm auf die Nerven ging, Ekko konnte nicht sagen, dass ihn ihre schnelle und vorzügliche Arbeit unglücklich gestimmt hätte. Ganz im Gegenteil. Er fühlte im Grunde das Gleiche wie sie: Er war froh, wenn er die Armeegruppe verlassen hatte und weitestgehend autonom operieren konnte.
Es waren Momente wie dieser, in denen er sich fragte, weshalb er eigentlich nicht zu den Läufern gegangen war.
Während er zurück zum ehernen Rumpf von Azrael ging, die noch immer einsam über dem ehemaligen Schlachtfeld wachte, blieb er ab und zu kurz stehen, betrachtete die Überbleibsel des Gemetzel oder sprach mit Soldaten aus seinem Regiment.
Er wollte wissen, welche Stimmung seine Leute erfasst hatte. Man konnte die nachlassende Hochstimmung noch immer fühlen, aber es war spürbar, dass die Männer zunehmend unzufriedener mit ihrer Lage wurden.
Es war ihnen nicht zu verübeln.
Als Ekko die Truppen verließ und sich auf den Weg in Richtung Azrael machte, tauchte plötzlich Balgor neben ihm auf.
»Balgor?«
»Chef, wir haben da ein Problem.«
Ekko runzelte die Stirn und trat mit seinem Stiefel staubige Erde in die Luft. »Irgendwie dachte ich mir, dass man mich heute nicht in Ruhe lassen würde. Was gibt es?«
»Ligrev hat erfahren, dass die Sororita behauptet hatte, Rahael sei vom Makel erfüllt. Nun sucht er einen Weg, um Rahael zu töten.«
Ekko schürzte genervt die Lippen. »Natürlich sucht er einen Weg. Er will Lenhim und mir damit eins auswischen. Ist der Junge in akuter Gefahr?«
Der Captain schüttelte den Kopf. »Nein, derzeit nicht. Zwei meiner Jungs passen auf ihn auf.«
»Sehr gut«, pflichtete Ekko Balgor bei. »Egal, was Ligrev versucht. Es darf ihm nicht gelingen. Den Gefallen werden wir ihm nicht tun.«
»Bin ich Ihrer Meinung, Chef. Ich kümmere mich darum.«
»Danke, Balgor.«
»Für Sie doch immer.« Der Captain nickte. »Achso, eine Sache noch. Es geht um Retexer.«
Überrascht hob Ekko die Augenbrauen. »Ich gebe zu, dass mich das überrascht, obwohl es das eigentlich nicht tut.«
»Der Captain ist so versessen darauf, Ruhm und Ehre zu erlangen, dass er seine Leute unnötig in Gefahr bringt«, fuhr Balgor fort, ohne auf den Einwurf seines Gegenübers einzugehen.
Aufmerksam nickte Ekko. »Aha?«
»Er wollte die Schützengräben entgegen Ihres Befehls weiter stürmen, obwohl ich ihm gesagt habe, dass ich seine Leute dann mit abfackle«, teilte der Captain kurz mit.
»Verstehe«, brummte der Colonel und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. »Gut, ich werde ihn in der nächsten Zeit zur Seite nehmen und gucken, ob ich ihm ein schlechtes Gewissen einreden kann.«
»Ihm das Glied abzuhacken wäre, glaube ich, angebrachter«, bemerkte Balgor, hob aber auf Ekkos Blick hin entschuldigend die Hände. »Schon gut, schon gut. Ich weiß ja, wie sie zu fairen Strafen stehen.«
Ekko öffnete den Mund für eine entsprechend harsche Antwort, schloss ihn dann aber unverrichteter Dinge wieder. Ihm fiel einfach keine passende Entgegnung ein. Er schüttelte den Kopf und entließ Balgor mit einem Wink.
Der Captain grinste über seinen Sieg in diesem Duell und entfernte sich, um wieder seinen Aufgaben nachzugehen.
Ekko blieb zurück und sah in den Himmel, dessen Färbung nach wie vor von aufgewirbeltem Staub und Rauch bestimmt wurde. Der sandige Dunst beeinträchtigte nicht nur die Sicht, er legte sich auch als Millimeter dicke Schicht auf Menschen und Material und die verbrannte Erde der gemordeten Welt wie ein Leichentuch, das sich über sie alle zu senken gedachte. Irgendwann. Ganz willkürlich.
Es war der Moment, auf den er sehnsüchtig wartete. Der Augenblick, in dem er wusste, dass all das, wofür er gelebt, wofür er gekämpft hatte, schlussendlich vergebens gewesen war und er die Chance erhielt, mit seinem beschissenen Leben abzuschließen.
Doch der Mist, den er sich hier eingebrockt hatte, war etwas vollkommen anderes – auch wenn er praktisch gesehen genau das war, was sich Ekko gewünscht hatte: vom Universum langsam, aber allmählich zerstört und schließlich gleich einem kaputten Spielzeug weggeworfen zu werden.
Aber das hier war nicht seine Art, den Weg ins Grab zu suchen. Immerhin zog er unter Umständen sein ganzes Regiment mit sich in den Untergang.
Was für ein katastrophaler Tag. Konnte es überhaupt noch schlimmer kommen?
»Sir, haben Sie einen Augenblick Zeit für mich?«
Ekko fuhr herum. Major Derend stand hinter ihm. Er hatte den rangjüngeren Mann gar nicht kommen hören.
Der Colonel seufzte leise. Warum beschrie er es eigentlich immer wieder? »Was gibt es, Derend?«
Unbehaglich fuhr sich der Major mit der Hand durch die haselnussbraunen Haare. »Ich wollte mit Ihnen über meine Designation zum Truppenkommandanten sprechen.«
Ekko stieß genervt Luft aus. »Muss das sein? Ich dachte, das wäre geklärt.«
»Nein, Sir … es tut mir leid. Ich fühle mich dazu nicht in der Lage.«
Wieder ein Seufzen von Ekko. »Und das wollten Sie mir nicht vorher sagen, weil …?«
Unsicher zögerte der Major. »Ganz ehrlich? Ich hatte Angst, Sie noch mehr zu enttäuschen als wir es sowieso schon getan haben.«
Balgor hatte also recht mit seiner Vermutung gehabt. Ekko presste die Lippen fest zusammen und versuchte, sich seinen aufkeimenden Ärger über die eigene Dummheit nicht anzumerken zu lassen. Er hatte sich hier in eine Sackgasse manövriert, aus der es kein Entkommen gab. Ihm fiel nichts ein, mit dem er seinen Wutausbruch während des Briefings vor dem Major hätte rechtfertigen können. So sehr er es versuchte, so sehr er sich wand, er verknotete sich nur noch fester in dem Netz aus Überlegungen.
Es blieb ihm wohl nur die Standardantwort. »Ich habe vollstes Vertrauen in Ihre Fähigkeiten.«
Major Derend schien nicht überzeugt. Wieder rauschte seine Hand nervös durchs haselnussbraune Haar.
»Sir, ich bin mir wirklich nicht sicher, ob nicht doch Major Carrick oder Major Maryan viel besser ...«
Ekko unterbrach den Major, während er sich über die Augen rieb. »Sehen Sie, Derend: Ich brauche die altgedienten Führungsoffiziere bei mir, weil ich Sorge habe, dass ich die Leute – und vor allem Ligrev – nicht bei Laune halten kann, wenn wir uns um dieses dämliche Ziel kümmern.
Sie dagegen werden einzig und allein das Problem haben, die Männer kaum zurückhalten zu können.«
Verzweifelt versuchte der junge Major, eine Lösung für sein Problem zu finden und rang mit sich.
Ekko konnte die Mitleid erregende Unsicherheit des Mannes nicht mit ansehen. Was im Namen des Imperators hatte er in der Schola gelernt? »Major, was wollen Sie? Ewig im Schatten von Carrick und Maryan stehen? Dann schlage ich vor, ich mache Sie wieder zum einfachen Soldaten ohne Verantwortung.«
Sofort versteifte sich der Offizier. »Auf keinen Fall, Sir.«
»Dachte ich mir. Ist ein dreckiges Leben im Staub, Derend«, stellte Ekko fest, bevor er fortfuhr: »Ich vertraue Ihnen. Ich möchte, dass Sie mehr Erfahrung sammeln und zu einem für mich verlässlichen und brauchbaren Mann werden, damit ich weiß, dass ich auf Sie zählen kann, wenn die Männer gute Führer benötigen.«
»Ich verstehe, Sir«, sagte Derend. Er klang nicht überzeugt.
Der ältere Basteter legte dem jüngeren Mann die Hand auf die Schulter. »Sie können das. Sie haben gute Leute. Zeigen Sie den Grünhäuten, wo der Hammer des Gott-Imperators hängt.«
Derend lächelte dünn. »Das werde ich. Vielen Dank, Sir.« Er wirkte trotzdem noch immer nicht wirklich glücklich.
Der Colonel nickte stumm.
Problem gelöst. Möge das nächste an die Tür klopfen.
Derend schwieg einen Augenblick, dann setzte er wieder an. »Es gäbe da noch eine Sache, um die Sie sich kümmern sollten, Sir.«
»Woher wusste ich das?«, brummte Ekko.

***

Der Major war bemüht, ihm alle Sachverhalte korrekt und in der richtigen Reihenfolge zu präsentieren, damit der Colonel sich ein genaues Bild von der Situation machen konnte. In seiner Aufregung setzte er mehrmals neu an, verhaspelte sich und stockte, bis Ekko ihn schließlich stoppte. »Einen Moment, Major. Fangen Sie noch einmal von Vorne an. Langsam.«
Derend schwieg einen Moment lang, bis er seine Gedanken geordnet hatte und neu ansetzte. »Eigentlich begann es während unseres Angriffs auf die Ork-Stellungen. Unsere Züge steckten im Angriff der Orks fest und hatten sich in die von der Artillerie gerissenen Krater geworfen, um den tödlichen Waffen der Xenos zu entgehen.«
»Ja, das weiß ich. Ich konnte sie sehen«, merkte Ekko an, ungehalten darüber, dass er immer wieder an seine Entscheidung erinnert wurde, die ihm die ganze jetzige Lage eingebrockt hatte.
Der Major verzog unglücklich das Gesicht, riss sich dann aber zusammen. »Während dieses Feuergefechts sprang Soldat Itias plötzlich auf und stürmte den feindlichen Truppen entgegen, was einige Zugführer zum Anlass nahmen, ihre Männer vorwärts stürmen zu lassen. Dadurch wurde der Schwung unseres Angriffs auf sämtliche Einheiten übertragen.«
»Ja, ja«, winkte Ekko ab. »Ich war dabei. Und wo liegt das Problem?«
»Nun stellte sich allerdings heraus, dass Soldat Itias nur in die falschen Richtung gelaufen ist.«
Ekko runzelte die Stirn. »Ach … so. Wo wollte er denn eigentlich hin?«
»Zurück, Sir.«
»Hatte er etwas vergessen?«
»Sir? … Nein, Sir. Er wollte fliehen.«
»Oh.« Ekko nickte verstehend.
»Ja, ›oh‹, Sir. In der Tat.«
»Und wo liegt das Problem?«
Derend hob Hilfe suchend die Hände. »Sein Zugführer ist Captain Retexer, Sir.«
Ekko ließ ein angewidertes Geräusch ertönen, eine Mischung aus Stöhnen und Ekel erregtem Seufzen.
»Retexer ist außer sich vor Wut. Er will Soldat Itias hinrichten lassen, weil dieser die Ehre des Regiments beschmutzt hat«, führte der Major weiter aus.
»Was für ein Idiot«, stellte Ekko kopfschüttelnd fest. »Also gut, darum kümmere ich mich auch noch. Sorgen Sie nur dafür, dass Ihre Truppen einsatzbereit sind, wenn es losgeht.«
Derend nickte. »Verstanden, Sir.« Dann entfernte er sich.
Ekko eilte zurück. Er wusste, dass seine schnellen Schritte ihn vermutlich aussehen ließen, als suche er dringend eine Toilette, aber im Augenblick war ihm das egal.
Als er die ersten seiner Männer erreichte, verfiel er in einen leichten Trab.
»Wo ist Retexer?!«, verlangte er zu wissen. »Wo finde ich Captain Retexer?«
Keiner von ihnen konnte ihm helfen.
»Wo ist der Vierte Zug?«, sprach er eine Gruppe von Soldaten an, die, Lho-Stäbchen rauchend, am Wrack eines zerschossenen Ork-Transporters standen und dieses begutachteten.
»Vorne, circa sechshundert Meter in diese Richtung«, informierte ihn einer der Soldaten. »Da, wo die Chimären stehen.«
»Danke«, erwiderte der Colonel kurz angebunden und lief wieder los. Von der Sorge getrieben, vielleicht zu spät zu kommen und dem jungen Soldaten nicht mehr helfen zu können, beschleunigte er seinen Trab und rannte beinahe postwendend einen anderen Soldaten über den Haufen, der zufällig hinter einen Radfahrzeug hervor kam.
Während der Mann fluchend seine fallengelassene Ausrüstung zusammensammelte und dabei den hirnlosen Idioten beschimpfte, der ihn umgeworfen hatte, lief Ekko weiter. Er hatte keine Zeit, um sich bei dem Mann mit einem sarkastischen Kommentar in Erinnerung zu rufen.
Als er bei den Chimären ankam, traf er auch gleich auf Soldat Merling aus Sergeant Kleits Trupp. Endlich eine Einheit aus dem Vierten Zug.
»Wo ist Retexer?«
Merling erhob sich und versuchte, trotz seiner schweren Ausrüstung eine schneidige Meldung zu machen.
Ekko winkte ab. »Ich habe keine Zeit dafür. Wo ist Retexer?«
Überrascht und verwirrt wies der Soldat auf eines der Fahrzeuge. »Er und ein paar seiner Männer sind nach hinten gegangen, hinter eine der Chimären.«
»Oh, nein«, murmelte Ekko und beschleunigte seine Schritte.
Als er zwischen die Transportpanzer trat, konnte er die Männer bereits sehen. Sie hatten sich nicht einmal die Mühe gemacht, Abstand zur Truppe zu bekommen, sondern sich gleich hinter das ihnen am geeignetsten scheinende Fahrzeug gestellt.
Die Männer standen im Halbkreis um das gepanzerte Transportvehikel und starrten auf etwas in ihrer Mitte. Sie ignorierten Ekko vollkommen, als er zu ihnen trat. Ob sie das absichtlich taten oder ihn einfach nur nicht kommen hörten, wusste er nicht, aber das war für ihn in diesem Augenblick auch unerheblich.
Sie gaben ihm damit unwissentlich die Chance, ihnen vollkommen den Spaß zu verderben.
Gerade murmelte Retexer eine Litanei, die der Colonel im Rausch des Adrenalins nicht mitbekam, doch er erkannte, dass jetzt jeder Herzschlag zählte. Zielsicher hob er die Waffe und drückte den Lauf in Retexers Nacken.
Augenblicklich brach der Captain ab und schwieg. Die Männer bei ihm bemerkten erst jetzt den Colonel, der eine gezogene Laserpistole auf ihren Kommandanten gerichtet hatte und ihr Kreis brach auf. Endlich bekam Ekko die Gelegenheit zu sehen, was hier vorgegangen war.
Itias stand in der Mitte, Tränen in den Augen und vollkommen verzweifelt. Sie hatten ihn an den Transporter gestellt und ihn zwischen sich eingeschlossen, so dass er nicht entkommen konnte. Sie waren also wirklich dazu bereit gewesen.
Ekko konnte es beinahe nicht glauben. Männer aus seinem Regiment bemühten sich um Selbstjustiz. Thronverdammte Schweine. Er hätte sie am Liebsten alle hingerichtet.
Retexer hatte aber noch nicht mit seiner Aufgabe abgeschlossen. »Amen«, sagte er leise und zog langsam, ganz allmählich, den Abzug seiner Laserpistole nach hinten.
»Probieren Sie es gar nicht erst, Captain«, warnte der Colonel ihn. »Wenn sie noch weiter Durchziehen, wird es ihre letzte Handbewegung gewesen sein.«
Langsam senkte Retexer seine eigene Waffe. »Lassen Sie mich das erledigen, Sir!«, zischte er. »Dann brauchen Sie sich nicht die Hände schmutzig zu machen und die Sache ist bereinigt. Und es hat nie eine Ehr-Beschmutzung in diesem Regiment gegeben.«
»Retexer, ich verstehe das nicht: Dieser junge Soldat hat, so wie ich das verstanden habe, den gesamten Angriff ausgelöst, indem er vorwärts stürmte. Dafür wollen Sie ihn jetzt erschießen?«
»Er wollte fliehen!«, warf Retexer ein.
»Ja, und?«, schleuderte Ekko dem Captain entgegen. »Jeden von uns ergreift irgendwann die Panik. Hatten Sie etwa keine Panik, als die Massen an Orks auf Sie zustürmten?«
»Nein, Sir!«, erwiderte Retexer vollkommen ehrlich.
»Natürlich nicht«, stimmte Ekko zu. »Aber Sie haben Ihre Männer willentlich in Gefahr gebracht, um sich selbst Ruhm zu sichern, der Ihnen überhaupt nicht zusteht! War das keine Panik? Also maßen Sie sich nicht an, über Ehr-Beschmutzung sprechen zu wollen. Dann müssten Sie sich als ersten hinrichten.«
Retexer riss, bebend vor Wut, die Augen auf.
»Wenn Sie darauf bestehen, Soldat Itias zu erschießen, dann werde ich Sie ebenfalls töten – einfach nur, um das Universum auf diese Weise auszugleichen, verstehen Sie?«, fragte Ekko voller Gleichgültigkeit. »Der Gott-Imperator wird Ihre Ansicht von Ehre sicherlich höchst interessant finden.«
Er verstärkte den Druck auf seinen Waffenarm. Vom sich in seinen Hals bohrenden Lauf der Laserpistole überzeugt, sicherte Retexer seine eigene Pistole und reichte sie über die Schulter an Ekko weiter.
Der Colonel nahm sie in Empfang und betrachtete sie kurz. »Wieso funktioniert Ihre Energieanzeige nicht?«, wollte er wissen.
»Die Waffe war gar nicht geladen, Sir!«, erklärte Retexer. »Ich habe eine leere Batterie eingesetzt, um dem Jungen Angst zu machen.«
Ekko starrte ihn überrascht an. So etwas hätte er von Retexer tatsächlich nicht erwartet. Trotzdem. Seine Worte zurückzunehmen kam ihm gar nicht in den Sinn. Stattdessen lächelte er kalt. »Ich nicht«, sagte er mit fester Stimme. »Und ich war entschlossen, Sie zu erschießen.«
Die Gesichtszüge des Captains entgleisten. Vor seinen Untergebenen von seinem Kommandeur bloß gestellt zu werden, schmeckte Retexer überhaupt nicht.
»Verschwinden Sie«, forderte Ekko die Männer auf und gab die Waffe an Retexer zurück. »Bevor ich es mir anders überlege und Sie alle erschießen lasse.«
Sie wussten, dass er es ernst meinte und waren sichtlich froh, wenn auch verstimmt, ihre Strafe nicht durchführen zu können, als er sie gehen ließ.
»Wir sprechen uns noch«, drohte Ekko Retexer. Der Captain nickte matt, noch immer sichtlich überrascht von der Härte seines Kommandanten. Die Männer gruppierten sich um ihn.
Dann waren sie fort.
Itias sank zu Boden und blieb schluchzend sitzen. »Es tut mir leid, Sir. Ich bin einfach durchgedreht.«
»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, Itias. So etwas kann jedem irgendwann passieren.«
»Ist es Ihnen schon passiert?«, fragte Itias nach.
Ekko nickte, wagte aber nicht zu sagen, wann. »Ja, mir ist so etwas schon öfter geschehen.«
»Wird man diese Panik vor dem Versagen irgendwann einmal los?«
»Nein, nicht, wenn man sich nur darauf konzentriert. Jeder versagt in seinem Leben. Es kommt darauf an, wie man damit umgeht.«
Diese Antwort machte den jungen Soldaten auch nicht glücklicher.
»Normalerweise würde ich Sie zum Doktor schicken, damit sie Ihnen ein Beruhigungsmittel gibt, aber ich kenne ja Doktor Calgrow. Ich denke kaum, dass sie Ihnen dieses Verhalten verzeihen würde. Und im Gegensatz zu Retexer dürfte ihre Regelung der Lage recht endgültig sein.«
Das war ein Grund für Itias, noch geschockter auszusehen.
Ekko zuckte die Schultern. »Ich weiß, dass das alles hier ein großer Schock für sie ist und weiß, wie Sie sich fühlen. Da ist es ganz natürlich, dass Sie versuchen, dem Ganzen zu entfliehen.«
Noch während er diese Worte aussprach, fragte er sich gleichzeitig, was, beim Thron er hier eigentlich redete. Wie konnte es angehen, dass er diesen jungen Mann nur noch weiter ängstigte? Er brauchte dringend Schlaf, sehr dringend.
»So wie Sie?«, fragte Itias durch seine Tränen unverblühmt, bevor ihm klar wurde, was er gesagt hatte.
Verwundert und von derartiger Respektlosigkeit gegenüber einem Vorgesetzten aus dem Konzept gebracht, fiel dem Colonel nicht besseres ein, als die Augenbrauen zu heben und ein »Bitte?« hervorzubringen.
Es reichte, damit Itias erbleichte und zögernd erklärte, was er gemeint hatte. »Kommissar Ligrev hat gesagt, dass Sie versuchen, sich gewaltsam umzubringen, um Ihrer Pflicht dem Imperium gegenüber zu entfliehen.«
Ekko schaffte es im letzten Moment, seine Miene zu retten, um vor dem Soldaten nicht vollkommen das Gesicht zu verlieren, einen wenig kaschierten Ausruf der Überraschung vermochte er aber nicht mehr zu verhindern. »Tut er das?«
Der junge Soldat nickte. Er sah verängstigt aus, verwirrt und verschreckt. Fast noch ein Kind. Es war kein Wunder, dass er den Glauben an sich und das Imperium verloren hatte.
Nur damit war er Freiwild und nicht lebensfähig. Vor allem aber wurde er so zu einem idealen Ziel für Ligrev, denn seine eigene Angst vor dem Versagen machte ihn anfällig für die Suggestionen des Kommissars, auch wenn er nie gedacht hätte, dass Ligrev ...
Und wie er eben selbst bewiesen hatte, begann Itias, den Worten Ligrevs Glauben zu schenken, zumindest aber an den Motiven seines Kommandeurs zu zweifeln. Leider wusste Ekko nicht, wie er das aufhalten konnte. Es zu verleugnen gäbe dem Soldaten nur noch mehr Grund, sich vor dem Colonel in acht zu nehmen.
»Hm«, brummte Ekko. »Man sagt ja, dass diejenigen, die ihren ersten Schock vermasseln, länger leben. Also denken Sie daran. Eine zweite Chance werden Sie vielleicht nicht erhalten. Aber für alle Fälle versetze ich Sie zu Sergeant Lenhims Trupp. Die können da neue Leute gebrauchen. Und Lenhim kümmert sich um seine Soldaten. Außerdem haben die da einen anderen Jungspund.
Allerdings, aufgrund der Schweres Ihres Vergehens, da hat Captain Retexer nicht ganz unrecht, sehe ich mich gezwungen, Sie mit einer zweimonatigen Kürzung des Solds zu bestrafen. Ist das für Sie annehmbar?«
Itias sprang beinahe auf, so schnell erhob er sich. »Ja, Sir!«, sagte er eilig und wischte sich die Tränen weg. »Vielen Dank, Sir!«
»Gut«, bestätigte Ekko. »Dann packen Sie Ihren Kram zusammen und melden Sie sich bei Corporal Rebis.«
Itias salutierte und eilte von dannen.
Ekko starrte ins Leere. Er hätte es eigentlich ahnen müssen, thronverdammt! Vielleicht hatte Ligrev das geplant, vielleicht auch nur den Moment genutzt.
Egal, wie man es drehte, er hatte sich den perfekten Moment für eine Hetzkampagne gegen den Colonel ausgesucht.
Er war beim Oberkommando in Ungnade gefallen und bekam deswegen eine Strafaufgabe, die seine Leute unwillig stimmte.
Rahaels Ausraster im Lazarett und die dabei gefallenen Worte waren der Situation auch nicht besonders zuträglich gewesen.
Und Ligrev suchte sich die richtigen Leute für seine Kampagne aus. Leute wie den armen Itias, der schon genug verschreckt war, um Ligrevs Worten Glauben zu schenken und an seinem Kommandanten zu zweifeln.
Kurzum: Wieder einmal hatte sich das Universum unter dem Banner des Gott-Imperators versammelt, um sich göttlich über in zu amüsieren. Das war genug Ärger für einen Tag.
Noch mehr Schwierigkeiten konnte er jetzt nicht gebrauchen.
»Sir?«, sprach Carrick ihn von der Seite an.
Der Colonel machte beinahe einen Luftsprung, so sehr erschrak er sich. »Im Namen des …! Thron! Carrick! Schleichen Sie sich nicht noch einmal so leise an mich heran!«
»Es tut mir leid«, brachte der Major überrascht hervor, aber das schadenfrohe Lachen, das sich gewaltsam durch seine Miene zu brechen bemüht war, entwertete seine Aufrichtigkeit vollkommen.
»Schön, dass Sie das lustig finden!«, brummte Ekko, konnte sich ein Grinsen aber auch nicht verkneifen. »Was gibt es?«
»Colonel, Leitis Sile hat darum gebeten, mit Ihnen sprechen zu dürfen.«
Ekko sah Carrick an und rümpfte die Nase. »Vielleicht will ich nicht mit ihr sprechen.«
»Das mag sein, Sir. Aber was sollen wir dann mit ihr machen? Was passiert, wenn Del Mar und Iglianus herauskriegen, dass Sie sie vor ihnen verborgen haben? Ich meine, wir wissen seit mehr als siebzehn Stunden von ihrer Existenz. Und Sie haben Sie gute sieben Stunden ignoriert, Sir. Ich mache mir vor allem Sorgen, dass Ligrev es erfährt.«
»Ist ja gut«, unterbrach Ekko ihn. »Ich kümmere mich um die Schwester.« Er schüttelte den Kopf. »Ligrev erfährt dies, Ligrev erfährt das. Woher kriegt der Mann eigentlich seine Informationen?«
»Keine Ahnung, Sir. Soll ich das herausfinden?«
»Tun Sie das, aber bleiben Sie diskret.«
Carrick nickte, salutierte und wandte sich ab. Ekko verfolgte den Major mit seinen Blicken, als er wieder zwischen den Chimären verschwand.
Nebenbei fragte er sich, ob er einen Sender an seiner Uniform trug. Wie hatte Carrick ihn zwischen den Transportern finden können?
Er schnaubte noch einmal, zog seinen Uniformdrillich glatt und marschierte dann in Richtung Azrael.
***

Sile stand mit verschränkten Armen an den Rumpf der Kommandowalküre gelehnt und verfolgte mit harten, stahlblauen Augen, wie Ekko sich ihr näherte.
Schon von weitem war für den Colonel zu erkennen gewesen, dass die beiden Wachen einen äußerst großen Sicherheitsabstand zu der Schwester eingenommen hatten, was auf einen zufälligen Betrachter höchstwahrscheinlich lächerlich gewirkt hätte.
Ekko jedoch konnte sich noch gut an die Schläge und Tritte erinnern, die sie im Lazarett verteilt hatte und fand es recht vernünftig, dass die beiden Männer so vorsichtig waren. Außerdem machte es das Gespräch mit Sile sehr viel leichter.
Mit einem kurzen Wink befahl er ihnen, sich noch weiter zu entfernen und blieb gut zwei Meter vor der Schwester stehen.
»Was wollen Sie, Sile?«
Sie funkelte ihn an. »Zeigen Sie mehr Respekt, Colonel«, forderte sie ihn auf. »So können Sie mich nicht behandeln.«
»Respekt?«, fragte er überrascht. »Nach Ihrem Auftritt?«
»Wie ich bereits sagte, Colonel, es gibt Dinge, die von großer Bedeutung sind.«
»Dann scheinen sich die wichtigen Aufgaben der Celestias ja gewandelt zu haben. Ich wusste gar nicht, dass Sie in Lazarett hilflose Kinder verprügeln müssen. Oder sind Sie bloß so tief gesunken?«
Sile sprang vor – schneller als Ekko reagieren konnte. Als sie direkt vor ihm stand, hallte bereits der Schall der kräftigen Ohrfeige, die sie ihm verpasst hatte, über die Ebene. »Wie können Sie es wagen?«
Er schüttelte den Kopf und nahm den lieblichen Duft ihres Körpers auf. »Herr auf dem Thron, bei der Klaue wackeln einem ja die Zähne im Mund.«
Ihre stahlblauen Augen versuchten, ihm niederzuzwingen, doch er begegnete ihr mit aller gebotenen Gewalt. Er wollte ihr widerstehen, ihr beweisen, dass sie ihre Macht nicht über ihn ausüben konnte.
»Wie ich sehe, haben Sie sich recht gut und schnell erholt. Kann man von Rahael nicht sagen«, zischte er.
Sile lächelte. »Gut. Sein Leben ist sowieso nichts mehr wert.«
»Leben wird überbewertet«, antwortete Ekko. Verdammt, warum blinzelte sie nicht? »Aber Sie verstehen einen Dreck vom Leben, Sile.«
»Meinen Sie?«
Gut, dachte Ekko. Wenn es dir solchen Spaß macht, dann werden wir dir das Ganze etwas bitterer machen. »Rahael ist nicht besessen, wie Sie meinen.«
»Das sehe ich anders.« Siles Haare wehten sanft in der Brise, die seine Haut frösteln ließ. Unwillkürlich musste er an eine Eisprinzessin denken, die versuchte, ihn mit ihren kalten Finger zu lähmen, um ihn dann einzufrieren und zu besitzen. Aber das würde ihr nicht gelingen. Nicht bei ihm.
»Er hat für Sie gekämpft – selbst im Angesicht des Todes. Das Einzige, von dem er besessen ist, ist sein Fanatismus für den Imperator. So, wie ihm das gedankt wird, kann ich das gar nicht verstehen. Die Einzige, die etwas Respekt zeigen sollte, sind Sie. Sie sollten die Hingabe respektieren, mit der er Sie und Ihr Ziel verteidigt hat. Aber so verblendete Individuen wie Sie sind dazu gar nicht in der Lage.«
»Ich konnte darin keine Hingabe erkennen«, gab sie zu. Es klang nicht wirklich ehrlich.
Ekko schnaubte. »Ich sollte Sie für Ihre Verblendung erschießen.«
Die Prioris lachte auf. »Dann sind wir jetzt wohl quitt, richtig?«
Beide verstanden es als Signal, ein Patt erreicht zu haben, das sich im Augenblick von keiner Seite überwinden ließ. Also lösten sie sich voneinander.
Sile verschränkte wieder die Arme unter der Brust. »Ich gebe zu, diesen neuen Aspekt nicht bedacht zu haben, als ich mich zu meiner Aktion entschied. Unter diesem neuen Gesichtspunkt bin ich natürlich bereit, die Angelegenheit neu zu bewerten.«
»Das freut mich«, schleuderte er ihr sarkastisch entgegen.
Die Sororita sah auf das vor ihnen liegende Schlachtfeld, auf dem sich nun die Trosse der imperialen Bodentruppen zu sammeln begannen, um den vorrückenden Bodentruppen folgen zu können, die sich weiter vorne formierten.
Es war Zeit für den Abmarsch.
»Ihnen liegen Ihre Leute sehr am Herzen, nicht wahr?«
Er hustete rau auf, als ihm das vorbereitete Lachen im Hals stecken blieb. Sie hatte einen wunden Punkt getroffen. Einen sehr wunden.
»Ja. Mehr als mein eigenes Leben es tut.«
Sile nickte nachdenklich. »Das zeichnet einen wahren Anführer aus. Ein Colonel, der sein Leben für seine Leute opfern würde, ist ein guter Offizier.«
Ekko schwieg über das offensichtliche Missverständnis zwischen ihnen, denn so lange Sile nicht auf die Idee kam, sich daraus eine Legende zu basteln, war alles in Ordnung.
»Ich möchte Sie begleiten, Colonel. Sie und Ihr Regiment.«
Das saß. »Wie kommen Sie darauf, dass ich Sie mitnehme?«
»Ich denke, wir haben das gleiche Ziel«, erklärte sie.
Endlich gelang Ekko sein Lachen, wenn auch reichlich verspätet. »Das denke ich nicht.«
Die Prioris richtete ihre stahlblauen Augen zurück auf den Colonel und bedachte ihn mit einem Blick, der ehrliche Überraschung verriet. Sie war wirklich davon ausgegangen, dass er sie mitnehmen würde, wenn sie fragte, ging ihm auf.
»Wie kommen Sie auf die Idee?«, setzte er nach.
»Sie haben dem General meine Anwesenheit nicht gemeldet, obwohl Sie dazu verpflichtet gewesen wären. Warum nicht, wenn Sie mich so offensichtlich hassen?«
Ekko zuckte die Schultern. »Das Beste hebt man sich zum Schluss auf, oder?«
Sile verzog das Gesicht, offensichtlich beleidigt.
»Ich denke, damit ist das Thema erledigt, richtig?«, setzte er nach.
Die Prioris schwieg und senkte den Kopf. Ekko verschränkte zufrieden die Arme. Das Thema war erledigt. Jetzt hatte er sie überwunden. Er wandte sich zum Gehen.
»Ligrev wettert ordentlich gegen Sie, Colonel.«
Ekko wirbelte herum. »Bitte?«
Sile lächelte. Sie hatte ihn bewusst provoziert, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Das Thema war doch nicht erledigt. Sie war noch längst nicht überwunden.
»Kommissar Ligrev diskreditiert Sie öffentlich vor den Männern Ihres Regiments.«
Der Colonel versuchte, möglichst ruhig und desinteressiert die Schultern zu zucken, verkrampfte dabei aber unwillkürlich. »Das tut er, seitdem ich ihn kenne.«
»Das mag sein«, bestätigte Sile. »Aber so, wie ich die Situation in den letzten Stunden erlebt habe, war er dabei noch nie so erfolgreich wie heute.«
Ekko sagte nichts. Er knirschte nur mit den Zähnen.
»Ich denke, es ist von Vorteil, wenn Sie mich mitnehmen«, stellte die Prioris fest. »Sie benötigen jemanden, dem Sie vertrauen können.«
»Ach, ich kann Ihnen vertrauen?«
Sile überging die offensive Beleidigung elegant. »Wie Sie diene auch ich dem Imperator mit meinem Leben. Mein Herz und meinem Seele gehören ihm. Und genau das ist es, was Sie brauchen.«
Ekko hob überrascht und ungläubig die Augenbrauen. Was, beim Thron, dachte sich die Frau dabei, ihn über die Führung seines Regiments belehren zu wollen? »Das meinen Sie nicht ehrlich, oder?«
Sile nahm seine Antwort zum Anlass, ihren Gedanken weiter auszuführen. »Colonel, Sie benötigen jemanden, der das Feuer Ihrer Leute wach hält und ihnen Vertrauen einflößt. Kommissar Ligrev ist dazu nicht in der Lage. Sie haben es bereits gesagt: Er ist sich dafür selbst viel zu wichtig.
Lassen Sie mich diese Aufgabe übernehmen. Für den Imperator.«
Für den Imperator? Ekko runzelte die Stirn. Er hatte genügend Fanatiker erlebt, um zu wissen, dass Sile es ehrlich meinte. Vermutlich war das der Grund, weshalb er sich in ihrer Nähe so unbehaglich fühlte – abgesehen davon, dass sie eine Sororita war. »Auch wenn ich mir in meinen tiefsten Träumereien wünsche, dass Sie sich mir anbieten, klingt das Ganze zu gut, um wahr zu sein. Was springt für Sie dabei raus?«
»Ich kann meinem Dienst für den Imperator nachkommen, so gut es mir in der derzeitigen Situation möglich ist«, entgegnete sie mit erschreckender Ehrlichkeit. Er hatte sich also nicht geirrt. Sile war eine Fanatikerin, eine wahre Kämpferin der Ekklesiarchie. Unberührbar, unkorrumpierbar. Sie konnte eine mächtige Verbündete sein – oder ein schrecklicher Feind. Je nachdem, auf welcher Seite man stand.
»In Ordnung«, sagte Ekko. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, wenn er Sile an seiner Seite hielt. Zum Einen hatte er dann ein Auge auf sie, zum anderen stimmte natürlich, was ihm alle predigten. Sollten Iglianus oder Del Mar herausfinden, dass er ihnen eine Schwester des Adeptus Sororitas vorenthielt, dann würden die Konsequenzen für ihn äußerst unangenehm ausfallen. Er ahnte bereits, dass seine Entscheidung so oder so Konsequenzen haben für ihn haben würde. Welcher Art, das wusste er noch nicht. Warum sollte er ihnen nicht in die Augen sehen? »Sprechen Sie mit Major Carrick. Er wird Ihnen sicherlich weiterhelfen können.«
Sile nickte und wandte sich zum Gehen. »Ich werde mich beeilen, Colonel.«
»Ach ja«, schloss Ekko. Sile hielt inne, sah ihn aber nicht an. »Wenn ich höre, dass Sie Rahael irgendetwas getan haben, dann werden Sie die restlichen paar Minuten Ihres Lebens nicht mehr froh werden, verstanden?«
Die Prioris neigte den Kopf. »Vollkommen, Colonel.«
Dann entfernte sie sich. Ihre Wachen folgten in gebührendem Abstand.
Balgor kam ihnen entgegen und sah sie irritiert an. Sile nickte ihm respektvoll zu und setzte ihren Weg fort.
»Was war denn das eben, Chef?«, erkundigte sich der Captain, als er Ekko erreichte.
Der Colonel hob ahnungsvoll die Schultern. »Ihre neue Mama, Balgor – auf jeden Fall für den Rest unserer Operation hier.«
Balgors Stirn legte sich in Falten, er unterließ jede weitere Frage aber. »Major Carrick richtet seine Grüße aus. Er lässt melden, dass die Truppen jetzt zum Abmarsch bereit sind.«
Ekko warf einen Blick auf sein Chrono. »Sogar im Zeitplan. Ich bin begeistert.« Er seufzte. »Also gut, wenn wir noch länger warten, pinkle ich mir in die Hose. Abmarsch in – sagen wir – dreißig?«
Balgor konsultierte sein eigenes Chrono. »Also um dreizehnhundertfünfzehn?«
»Richtig.«
»Sehr gut. Ich werde das so weiter geben.«
»Na dann: Tod und Verderben.«
»Der gefällt Ihnen wirklich, oder?«
»Ja, kommt ja auch von mir.«
Balgor lachte kurz, dann wurde er wieder ernst. »Erlaubnis, offen zu sprechen?«
Ekko rollte die Augen. »Ich kann Sie ja doch nicht davon abhalten.«
Der Captain deutete mit einem knappen Nicken hinter sich. »Was mich interessiert: Die Sororita – Leitis Sile – was hat sie hier gemacht?«
»Gute Frage.« Ekko schürzte die Lippen. »Sollte auf jeden Fall noch geklärt werden. Mich interessiert im Augenblick allerdings mehr, was sie jetzt von uns will.«
»Da haben Sie recht, Sir«, bestätigte Balgor. »Ich melde mich dann ab.«
Ekko entließ ihn mit einer nachlässigen Geste, bevor er sich wieder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigte.

***

Die Panzer und Truppentransporter der imperialen Streitmacht rollten über die leblosen Ebenen von Agos Virgil und ließen die lange Kolonne aus Menschen und Material in einer dunstigen Wolke aus aufgewirbeltem Staub verschwinden.
Ekko stand aufrecht im offenen Turm des Salamander-Kommandopanzers, den man ihm zur Verfügung gestellt hatte und grunzte in das steppentarnfarbene Halstuch, das er sich als Schutz vor dem Dunst aus Dreckmassen ums Gesicht gebunden hatte. Nicht, dass es was geholfen hätte.
Der Sand war hartnäckig. Unaufhaltsam bahnte er sich seinen Weg durch Vertiefungen und kleine Risse in der Uniform, durchdrang die Jacken und Hosen und rieselte überall, wo es ihm möglich war, unter die Kleidung.
Ekko brummte unwillig und schüttelte sich. Der Sand kratzte und scheuerte – es fühlte sich an, als führe er eine komplette Wüste in seinem Kampfanzug mit sich.
»Carime eins, Carime eins, hier Azrael. Funktest, Funktest, kommen«, blökte die Stimme eines Piloten in seinen Kopfhörern.
Ekko brummte unwillig und zog das Staubtuch vom Gesicht. Sofort setzte sich der Staub in seinem Gesicht fest und drang ihm in Nase und Mund.
»Azrael, hier Carime eins. Ich höre Sie, kommen.«
»Carime eins, hier Azrael. Wir hören Sie ebenfalls gut. Ende.«
Nachdem der kurze Funktest abgeschlossen war, legte Ekko die Kopfhörer zur Seite, setzte das Halstuch wieder auf und wandte sich nach rechts, wo endlos lange Kolonnen aus Panzern, Läufern und Fahrzeugen die marschierenden Soldaten passierten.
Neben seinem langsam vorwärts rollenden Kommandofahrzeug ging Major Derend, gefolgt von seinem Funker und einer Abteilung Basteter, die im eintönigen Braun der aufsteigenden Schwaden verschwanden. Ekko wusste, dass es nur die erste von etlichen war, denn er hatte über fünfhundert Männer abgeben müssen, um den während seiner Abwesenheit fortlaufenden Angriff zu unterstützen. Und das war nur Infanterie. Mit allen Läufern, schweren Waffen und Soldaten, die zur Unterstützung bei der Hauptarmee blieben, standen von seinen knapp dreitausend Soldaten zu Anfang des Agos Virgil-Feldzugs noch ganze zweitausendeinhundert unter seinem Kommando. Außerdem hatte er die Hälfte seiner Flammenwerfertrupps, so gut wie alle schweren Waffen und einen Großteil seiner offensiven Schlagkraft – sprich Läufer und Transporter – verloren.
Dafür hatte man ihm gut die Hälfte der sechstausend bei der Armee befindlichen Angehörigen des Munitoriums unterstellt, damit diese die Basilika zum Armeelager umfunktionierten und Vorbereitungen für die triumphale Landung der bald eintreffenden Armeegruppe zu treffen.
Beim Thron, wie er sich ärgerte. Er hätte wirklich an der Front bleiben und sich töten lassen sollen, anstatt diese irre Schwester zu retten, die bereits jetzt mehr Chaos angerichtet hatte als … das Chaos selbst.
»Sir, ich wollte mich noch einmal bei Ihnen dafür bedanken, dass ich diese Chance erhalte. Ich werde Sie sicherlich nicht enttäuschen.« Derends Stimme klang dünn und brüchig durch den Mundschutz, den er trug und ging beinahe im Lärm der vorbei rasselnden Kettenfahrzeuge unter.
»Dessen bin ich mir sicher«, versicherte der Colonel. »Wenn doch, dann wissen Sie ja, wer Ihnen in den Arsch tritt.«
Man konnte das Gesicht des Majors unter dem dicken Halstuch nicht sehen, aber Ekko konnte sich sehr gut vorstellen, wie die Gesichtszüge des Mannes entgleisten. Zeit, den diskreten Abgang zu beginnen. Er lächelte grimmig. Sein Abgang – was für ein passender Gedanke
»Also, dann«, murmelte der Colonel und setzte sich die Kopfhörer auf.
Er nickte Derend zu und lehnte sich dann auf die Panzerung des Kommandostands. »Links aus der Formation schwenken. Wir machen uns auf den Weg.«
»Verstanden«, antwortete der Fahrer und ließ den Kommandopanzer anziehen.
Hinter ihnen reihte sich eine Formation aus gut dreihundert Fahrzeugen, zumeist schwerfällige Lastwagen und Raupenschlepper, ein. Walküren und weitere Fahrzeuge mit zusätzlichem Material würden folgen, sobald die Basilika in imperialer Hand war.
Ekko murmelte eine Verwünschung und zog sein Staubtuch tiefer ins Gesicht.

***

Jaorah Nurin saß auf dem Rand des Kommandantenluks seines vorwärts kriechenden Jagdpanzers und verfolgte, wie sich das einsame Regiment mit dem merkwürdig unauffälligen Steppentarn und den olivfarbenen Armaplastrüstungen vom Rest der vorrückenden Armee trennte.
Das also war jenes Regiment, dessen Kommandant ein wahnsinniger Irrer war und ihrer aller Leben aufs Spiel gesetzt hatte.
Nurin konnte nicht behaupten, dass er die Strafe als angemessen empfand. Wieso wurde das Regiment nur abgezogen? Damit verringerte man nicht nur die Schlagkraft der vorrückenden Truppen, sondern vermittelte den übrigen Männer obendrein noch ein vollkommen weiches Bild der Truppenführung.
Natürlich dürften die Offiziere da oben ihre Gründe für die Entscheidung gehabt haben, aber Nurin an ihrer Stelle hätte eine standrechtliche Erschießung für den Kommandanten des Regiments vor aller Öffentlichkeit inszeniert, um ein klares Bild von sich zu präsentieren.
Er schüttelte den Kopf. War denn die ganze Armeegruppe verrückt geworden?
Es knackte in seinen Kopfhörern. »Enforcer zwo an Enforcer eins, melden.«
»Enforcer eins hier, melden.«
»Jetzt werden wir keine bösen Überraschungen mehr erleben, Boss, oder? Melden.«
»Da haben Sie wohl Recht, Enforcer zwo, melden.«
»Wollt's nur wissen. Enforcer zwo, Ende.«
 
Zuletzt bearbeitet:
Das war ein langes Kapitel.

Die Handlung entwickelt sich und ich bin nun wirklich gespannt, was sie in der Basilika vorfinden werden. Ich kann immer noch nicht den Sinn des Charakters "Sile" erkennen, daher hoffe ich, dass bald auf ihre Funktion in der globalen Handlung eingegangen wird. Ihre Funktion in der unmittelbaren Handlung ist ja klar.

Und dauert es noch lange bis zum zweiten Rückblick des Obersten?
 
Uhh ... hm ... hehe. Ja, 400 Seiten... Im Taschenbuchformat auf Schriftgröße 10 (TNR) hat die Story bereits 250erreicht oder so ... auf DinA4 sind auch schon 100/120.

Dafür habe ich mich auch nicht entschuldigt. Es tut mir nur leid, dass es noch so viele Seiten sind, bis die nächste Remembrance kommt. (Nein, das auch nicht wirklich ^^)

Nächstes Kapitel kommt heute abend, denke ich.

Alles Vale

SMN
 
Salve,

und da kommt auch schon das nächste Kapitel - auch wieder ewig lang.



12

Als sie sich von der Armee trennten, konnte man die Spannung regelrecht spüren, die Ekkos Männer ergriffen hatte und ihre Stimmung drückte.
Das Leichentuch des ewigen Staubs, den die Läufer, Transportfahrzeuge und Laster aufwirbelten, legte sich auf die Niederlage zuvor noch von Siegestaumel erfüllten Soldaten.
Die leblose Steppe, gefüllt mit abertausenden Kilometern von zerstampfter Erde und einigen wenigen Oasen vertrockneten Grases, in denen es vor Jahren sicherlich blühendes Leben gegeben hatte, machten die Männer zusätzlich nervös.
Es gab wohl keinen, dem im Angesicht der über die einst blühende Welt gekommen Zerstörung nicht der Sieg wie ein bitterer Kloß im Hals stecken geblieben wäre.
Dafür war das Gesehene einfach zu trostlos.
Wofür kämpften sie eigentlich noch? Es gab hier nichts mehr, für das es sich zu kämpfen gelohnt hätte.
Aus dem Kommandostand seines Salamander-Kommandopanzers sah Ekko nach hinten auf die viele Kilometer lange Kolonne, die sich durch das unbefestigte Gelände quälte.
Die dichte Staubwolke, von die Fahrzeuge aufwirbelt, musste für die Orks beeindruckend aussehen – als würde sich eine zweite imperiale Streitmacht an ihrer Flanke entlang bewegen und versuchen, sie in einer schnellen Zangenbewegung zu umgehen. Nicht, dass das bei der derzeitigen Geschwindigkeit möglich gewesen wäre.
Ekko wettete trotzdem mit sich selbst, dass die Orks in diesem Augenblick sämtliche von der Imperialen Armee aufgestellten Geschwindigkeitsrekorde für Fußtruppen brachen, während sie in wilder Panik vor der mahlenden Maschinerie mehrerer Regimenter flohen.
Nicht, dass es seine eigene Stimmung gehoben hätte.
Kurz vor drei Uhr erreichten sie die Ausläufer einer Wüste, die sich am Rand ihres Wegs erstreckte.
Es war, als hätten sie eine fremde Welt betreten, jenseits jeder Zivilisation.
Die unaufhaltsam vorrückende Wüste schickte sich an, das Land unter einer tiefen sandigen Schicht aus perfekter Reinheit zu vergraben, um sich mit stoischer Ruhe weiter gen Osten zu wälzen. Unaufhörlich. Unaufhaltsam.
Kleine Wirbelwinde aus Sand überquerten eine unbefestigte, von Schlaglöchern und Pflanzen überwucherte Straße, die nur spärlich unter der Fläche aus trockener Erde und verwelktem Gras zu erkennen war. Offensichtlich hatte sie vor langem als Verkehrsader gedient, war aber dann vergessen und von der Natur verschlungen worden.
Direkt vor ihnen, nur wenige Kilometer entfernt, erhoben sich die Silhouetten niedriger Bauten aus der drückend warmen Luft wie klobige Riesen mit spitzen Hüten, die sich an den Boden pressten.
Unzweifelhaft eine Siedlung.
Je näher sie dem kleinen Ort kamen, umso stärker kämpften die Fahrzeuge mit der vorrückenden Flut aus Sand.
Sogar die Sentinels hatte immense Probleme, auf dem körnigen Grund voran zu kommen. Vier der Kampfläufer hatten sich als Aufklärer gut zwei Kilometer vor ihnen postiert und suchten die Umgebung nach Bedrohungen ab, die anderen vier polterten als Flankenschutz die Kolonne entlang.
Die tiefen Spuren ihrer Füße zeugten von den Schwierigkeiten ihrer Piloten, das Gleichgewicht der bipedalen Läufer zu halten.
Wir hätten Sprung-Sentinels gebrauchen können, sinnierte Ekko. Die sind wenigstens so kompakt, dass man die im Notfall hätte rollen können.
Er warf einen Blick auf sein Chronometer.
Unaufhaltsam zählte es weiter, Sekunde für Sekunde, Minute für Minute.
Die Sonne brannte heiß vom Himmel auf ihn hinab und ließ ihn schwitzen. Dichte, stickige Luft stand so erdrückend schwer über dem flimmernden Boden, dass es vermutlich Panzer mit Räumschaufeln gebraucht hätte, um sie so schnell wie möglich zur Seite zu räumen.
Das Dorf rückte immer näher.
Es schälte sich wie eine Reihe von dunklen Phantomen aus der erhitzten Luft.
Der Turmschütze lud den Zwillingsbolter der Hauptbewaffnung durch, während das Fahrzeug weiter vorwärts rollte und richtete die Waffe auf das unbekannte Terrain aus.
Ekko schob sich das Halstuch tiefer ins Gesicht. Seine Miene verfinsterte sich.
»Carime eins an Gruppe Stalker, kommen.«
»Hier Stalker eins, ich höre Sie, kommen«, antwortete Maryan. Seine Stimme klang so verzerrt, als würde sie von der Hitze verwaschen.
Ekko wollte sich nicht ausmalen, wie sehr die Sentinelpiloten in ihren abgeschlossenen Cockpits unter der Hitze brieten. Es sprach für sie, dass sie sich davon nicht beeindrucken ließen.
»Maryan, ich möchte, dass Sie das Dorf da rechts vor uns unter die Lupe nehmen. Ich schicke Ihnen eine Chimäre mit einem Aufklärungstrupp zur Unterstützung. Ende.«
Der Salamander rumpelte über unebenes Gelände. Der Motor heulte auf.
Ekko wurde von einem Stoß in den Rücken gegen die Wand des Kommandostands gedrückt und fuhr herum.
Hinter ihm torkelte Gireth im heftigen Rütteln des Kommandopanzers.
»Tu-tut mir leid, Sir«, stammelte er mit aschfahlem Gesicht. Ekko erkannte sofort, was das bedeutete. Mit sicherer Hand griff er den jungen Funker und drückte ihn über den Rand der hinteren Türen. Seine Vorahnung hatte ihn nicht getäuscht. Einen Augenblick später erbrach sich Gireth jämmerlich auf die von den Panzerketten aufgewühlte Erde.
Die ersten Würgkrämpfe des Funkers waren noch ziemlich heftig, dann beruhigte er sich langsam.
Ekko sah den Schützen an, der ihm ein wissendes Lächeln schenkte. Mitgliedern der Fahrzeugbesatzung waren die Unannehmlichkeiten der Infanteristen in den schaukelnden Gefährten gut bekannt. Doch für mehr als über die ‚sandfressenden Weicheier’ zu lächeln waren sich die Panzercrews meist zu schade.
Der Colonel warf ihm noch einen scharfen Blick zu und aktivierte das Kehlkopfmikrofon, das um seinen Hals lag.
»5120102, hier Carime eins. Kommen.«
»Hier Rebis, Sir. Ich höre, kommen?«
»Rebis. Folgen Sie den Stalker-Einheiten bis zu dem Dorf einige Kilometer vor uns. Klären Sie die Situation und räumen Sie das Gebiet. Kommen«
»Verstanden, Sir. Kommen.«
»Carime eins. Ende.«
Ekko wandte sich um und warf noch einen Blick auf Gireth, der würgend über der Heckpanzerung hing, dann richtete er seine Augen nach hinten, wo sich aus dem Staub, den sein Fahrzeug erzeugte, die Silhouetten der anderen Transportpanzer und LKWs schälten.
Die vierte Chimäre der Kolonne schob ihre achtunddreißig Tonnen Gewicht mit einem Mal nach rechts aus der Reihe der marschierenden Fahrzeuge. Der Motor des gepanzerten Truppentransporters keuchte im staubigen Vorhang, den die drei Transportpanzer vor ihr aufwirbelten, dann setzte die Chimäre zum Überholen an. Auch wenn das Fahrzeug mit seinen beinahe sechzig Kilometern pro Stunde recht langsam war, zog es zügig an der kriechenden Kolonne vorbei.
Ekko sah Corporal Rebis auf dem Rücken des Kettenfahrzeugs sitzen, ein Bein angewinkelt und das andere durch die obere Rumpfluke im Inneren des Rumpfs verborgen.
Der Corporal warf ihm einen kurzen Blick zu, machte eine halb verborgene Geste, die so viel wie ‚Bis später‘ bedeutete und starrte dann weiter auf den Weg, als sich die Chimäre vor den Kommandopanzer setzte.
Einen Moment später tauchte der Salamander in die Staubfahne ein, die die Chimäre hinter sich zurück ließ.
Ekko duckte sich hinter die Panzerung, wandte sich ab und wischte sich über die Augen. Dieser verdammte Sand! Er musste sich dringend eine Schutzbrille zulegen.
Als er aufsah konnte er erkennen, dass Gireth ihm gegenüber saß. Im engen Kommandoraum des Salamanders berührten sich ihre Füße beinahe.
Er sah noch immer nicht gesund aus.
»Alles in Ordnung mit Ihnen?«, erkundigte sich Ekko.
Der Funker nickte schwach. »Muss das Essen gewesen sein«, murmelte er.

***

Stalker eins und vier wirbelten Wölkchen aus Sand auf, während sie der Chimäre mit dem Rufzeichen Sival drei vorauseilten.
Die schnellen Läufer legten den Weg zu ihrem Ziel innerhalb kürzester Zeit zurück und schwenkten dann nach links und rechts weg, um dem Truppentransporter den Weg frei zu machen. In dem Augenblick, in dem der Panzermotor aufheulte und sich das Gefährt über einen Trümmerhaufen schob, der einmal ein Gebäude gewesen war, rutschte Rebis zurück in den Transportraum. Die offene Tür der Dachluke schlug er wie beiläufig über sich zu.
»In Ordnung«, sagte er mit ruhiger, kräftiger Stimme. »Nur noch ein paar Sekunden. Ihr wisst, was das bedeutet. Melbin, Sie übernehmen die zweite Gruppe.«
Der massige Cadianer nickte.
»Rahael, Lawn und Talic folgen mir, Tesket, Lados und Itias gehen mit dem Corporal«, wies er die Soldaten an.
Das war Lenhims neuer Trupp – derzeit noch unter Sollstärke. Gorak und Lenhim lagen noch immer im Lazarett und sollten nach Sicherung der Basilika mit einer Walküre, zusammen mit den anderen Schwerverletzten, zu dem ruhigen Ort transferiert werden, da sich die vorrückende Armee nicht mit ihnen belasten konnte.
Deswegen führte derzeit auch Rebis den Trupp. Und das machte er gar nicht schlecht, sah man einmal davon ab, dass die Soldaten unter seinem Kommando aus unterschiedlichen Trupps zusammengewürfelt worden waren.
Rebis und Melbin bemühten sich, die Männer bei Laune zu halten, aber sie hatten es noch sichtlich schwer, die Soldaten zu einer Einheit zu verschweißen.
Natürlich waren sie erst seit wenigen Stunden miteinander bekannt, aber trotzdem hatte sich Rahael bereits seine Meinung über die ‚Neuzugänge‘ gebildet.
Besonders schwer schien es Itias zu haben. Weshalb das so war, wusste er nicht, aber das war vermutlich im Augenblick auch nicht wichtig.
»Fertigmachen!«, dröhnte die Stimme des Panzerkommandanten über den Motorenlärm.
»Fertigmachen!«, gab Rebis weiter.
Rahael atmete tief durch. Noch immer stand er unter dem Einfluss der letzten Stunden und fühlte sich aufgedreht.
Er wusste, dass er mehr als vierundzwanzig Stunden nicht geschlafen hatte, aber auch wenn er es beim besten Willen gewollt hätte, wäre es ihm nicht gelungen, jetzt zur Ruhe zu kommen.
Außerdem hatten sie einen recht hohen Gast. Prioris Leitis Sile hatte darum gebeten, mit ihnen fahren zu dürfen und saß nun in der blutroten Rüstung ihres Ordens gegenüber von Melbin.
Allein ihre Anwesenheit hätte verhindert, dass Rahael jetzt die Augen zu schließen in der Lage gewesen wäre.
Die Erlebnisse aus dem Lazarett verfolgten ihn noch immer und auch wenn er nach wie vor stolz darauf war, ihr Leben gerettet und so für sie gekämpft zu haben, wünschte er sich, er hätte danach nie wieder einen Gedanken an sie verschwendet.
Unauffällig warf er ihr einen verstohlenen Blick zu. Ihre hellblonden Haare waren zu einem Zopf gebunden und ihre stahlblauen Augen fixierten einen Punkt auf der Innenwand des Truppentransporters, den er nicht sah.
Auf ihren Knien ruhte ein Lasergewehr der Imperialen Armee, über das sie überhaupt nicht glücklich zu sein schien.
»Prioris Sile«, eröffnete Rebis ihr, »schließen Sie sich einfach einer Gruppe an.«
»Das werde ich tun«, antwortete sie mit ihrer weichen Stimme.
Die Chimäre ruckte, ihr Motor brüllte auf, dann stoppte sie unvermittelt.
Servomotoren heulten, klickend lösten sich Klammern. Die Heckrampe fiel krachend herunter. Helles Sonnenlicht flutete den Raum.
Rahael kniff die Augen zusammen.
»Los, los, los!«, bellte Rebis.
Rahael sah, wie vor ihm Tesket und Lawn über die Rampe ans Licht stürmten, dann plötzlich war er frei und stand geduckt im Gang. Er spürte, wie sich hinter ihm ebenfalls jemand erhob und lief vorwärts.
Mit einem Mal war die Enge des Transporters verschwunden und er sprang nach rechts von der Rampe in den Sand, in den er sofort einsank. In einer fließenden Bewegung ließ er sich nach Vorne auf ein Knie fallen und richtete sein Lasergewehr auf die Häuserruinen. Hinter ihm kamen die anderen Soldaten aus dem Fahrzeug.
Aus den Augenwinkeln sah er Melbin, der seine Gruppe zu sich winkte.
Wortlos erhob sich der junge Soldat und kontrollierte beim Aufschließen zu ihrem Gruppenführer, wo die beiden anderen Gruppenmitglieder sich befanden.
Er brauchte nur einen Augenblick, bevor er sie entdeckte.
Lawn und Talic, beide Basteter und ihm weitestgehend unbekannt, zogen ähnlich grimmige Gesichter wie Sergeant Lenhim und schienen auch nicht minder kampferfahren zu sein.
Die Art, wie sie sich bewegten, die Weise, auf die sie ihre Umgebung wahrnahmen und sondierten, das alles zeugte von dem Wissen alteingesessener Veteranen.
Rahael merkte sich vor, sie niemals vollkommen aus den Augen zu lassen.
Leise jaulend wurde die Heckklappe der Chimäre wieder hochgefahren, dann legte der Fahrer den Rückwärtsgang ein und setzte zurück.
Als Rahael sich kurz umwandte, stockte ihm für einen Moment das Herz. Hinter ihm stand Leitis Sile, das Lasergewehr in Pirschhaltung.
Sie bewegte ihren Kopf nicht und ihre stahlblauen Augen waren in eine weite Ferne gerichtet. Trotzdem beschlich ihn das Gefühl, dass sie jedes Detail der Umgebung aufnahm.
Eine Sekunde später sah sie ihn direkt an. »Nicht stehen bleiben«, erinnerte sie ihn.
Dann war sie an ihm vorbei.
Erst jetzt nahm Rahael bewusst wahr, wie es in ihrem Umfeld aussah.
Es war tatsächlich einmal ein Dorf gewesen, höchstwahrscheinlich im Stadium frühzeitlicher Industrialisierung. Erkennbar war das nur noch an den schweren Schornsteinen und Backsteinen, von denen einige aus den schwarz verbrannten Trümmern der einstigen Siedlung herausragten. Verkohlte Holzpfosten, welche die einstigen Grenzen der Gebäude markierten, waren auch noch zu erkennen. Aber aus viel mehr bestand das Dorf auch nicht mehr. Sein Name, die Gebäude und Einwohner waren aus der Geschichte getilgt.
Es roch nach … Sand. Dieser Geruch nach heißem, leblosem Sand, gepaart mit dem Gestank der Asche, die vom stoßweise auffrischenden Wind über den bröckligen Boden getragen wurde, gleich einem rastlosen Heulen der Toten, deren Überreste über die verlorene Ebene wanderten.
Es roch nach Niederlage. Nach Tod. Andere Gerüche fehlten ganz.
In der staubigen, trockenen Ödnis schluckte Rahael schwer. Er warf einen Blick zu Leitis Sile, die sich etwas von der Gruppe entfernt hatte und auf eigene Faust durch die Ruinen streifte. Ihre rote Rüstung verschwamm im Flimmern der erhitzten Luft.
»Rahael, wo bleibst du?!«, rief Melbins Stimme ihn nachsichtig.
Der junge Cadianer schreckte aus seinen Gedanken auf und bemerkte, dass die anderen Soldaten ihren Weg bereits fortgesetzt hatten.
Er beeilte sich, zu ihnen aufzuschließen.
»Oh, Thron. Was für eine verdammte Scheiße«, brummte Lawn und schwenkte seine Waffe wachsam.
»Ob man die Leute hier rechtzeitig evakuiert hat?«
»Nein«, erinnerte Talic ihn. »Haste bei der Einweisung nicht zugehört? Auf dieser Welt lebt nichts mehr.«
»Warum, beim Barte des Propheten, sind wir dann hier?«, maulte der andere Basteter.
Eine Frage, die er sich auch schon gestellt hatte.
Rahael löste sich aus seiner Zuhörerrolle. Etwas in der Nähe war ihm aufgefallen. Etwas, das in den Boden gebrannt worden war.
Interessiert besah er sich den dunklen Fleck genauer. Hier, inmitten der Zerstörung auf dem sandigen Platz wirkten Aussehen und Form des Flecks eigenartig absonderlich.
Die Form erinnerte fast an einen … Rahael machte einen Satz rückwärts – und zwar so schnell, dass Lawn in der Nähe herumfuhr und sein Gewehr hochriss.
»Was, beim Barte des Propheten, ist denn mit dir los?«, rief er.
Rahael würgte. »Das ist … das war ein ...«
»Mensch«, beendete Melbin den Satz. Erschreckt fuhr Rahael herum. Wie hatte der massige Mann es geschafft, sich unbemerkt anzunähern?
»Du hast echt ein Talent dafür, gleich die interessantesten Dinge zu finden, oder?«, erkundigte sich der andere Cadianer freundlich, aber nicht ohne eine Spur von Ironie.
»Was’n das?«, rief Rebis an Melbin gewandt zu ihnen herüber.
»Tote«, informierte der massige Cadianer ihn.
»Verstehe!«, antwortete Rebis und deutete auf ein Feld inmitten der Trümmer. »Hier drüben liegen noch welche.«
Rufe der anderen Soldaten, die sich in der hallenden Stille verloren, bestätigten die Sichtung weiterer Toten.
Was beim goldenen Thron von Terra, war hier bloß geschehen?
»Orks«, stellte Sile fest, die in diesem Augenblick wieder zu ihnen stieß. Wo sie her kam und wo sie die ganze Zeit über gewesen war, konnte sich Rahael zu seinem eigenen Erstaunen nicht beantworten.
Das schleichende Gift ihrer Stimme wehte als frische Brise durch seinen Kopf. Ihm schwindelte in der drückenden Hitze..
»Eindeutig«, pflichtete Lawn der Prioris bei.
Melbin nickte schweigend.
Rahael schluckte abermals und ging weiter rückwärts von dem Toten weg.
Unabsichtlich stieß er an einen verkohlten Pfeiler. Es knackte, als das schwarze Stück Holz abbrach und auf die Erde fiel. Vor den Augen des erschrockenen Soldaten zersplitterte es beim Aufschlag wie Glas.
Das regelmäßige Poltern marschierender Läuferfüße bahnte sich seinen Weg in ihre Richtung.
Einer der beiden Sentinels kam nahe bei ihnen zum Stehen und senkte sich knirschend auf seine Füße, damit er nicht das Gleichgewicht verlor. Die Seitentür öffnete sich und das Gesicht von Maryan erschien. Er trug seinen Helm nicht mehr.
»Wie sieht's aus?«, rief er ihnen zu.
»Wie vom Warp verwüstet«, antwortete Melbin. »Die Orks haben hier alles verbrannt – bis auf die Knochen.«
Der Sentinelkommandant und -schwadronsführer schüttelte den Kopf. »Verdammte Grünhäute.« Er pausierte einen Augenblick, in dem er die Umgebung musterte, bevor er sich wieder an Melbin wandte. »Stalker vier und ich machen uns dann mal wieder auf den Weg. Wir wollen das Gebiet klären, denn so wie es aussieht, will der Colonel doch nicht anhalten und das Aroma dieses Orts und die wunderbare Aussicht genießen.«
»Wen wunderts?«, rief Melbin ihm zu. »Viel Erfolg«
»Danke«, antwortete er. »Euch auch.« Rahael glaubte noch zu hören, wie er leiser hinterher sagte: »und bleibt am Leben.«
Der junge Cadianer konnte nicht sagen, dass ihn das sonderlich beruhigt hätte.
Röhrend erhob sich der Sentinel wieder und setzte seinen Weg fort. Einige Momente später folgte der Zweite.
Das metallene Poltern der Läuferfüße nahm ab, als die beiden Sentinels sich wieder auf den Weg machten, um ihre Aufklärung fortzusetzen.
Rahael wandte sich um, als dafür das Dröhnen der Motoren hinter ihnen überhandnahm.
Es war ein fantastischer Anblick. Die Staubwolke, die die schier endlose Kolonne von Fahrzeugen in die Luft wirbelte, musste mindestens vier Kilometer in den Himmel reichen.
Ein Großteil der Transportpanzer, Zugmaschinen und Lastwagen war nur zu erahnen. Immer wieder schälten sich die Umrisse eines Fahrzeugs aus dem Dunst, als es an dem Überresten der Siedlung vorbei zog.
Ekkos Kommando-Salamander hatte den Ort bereits passiert. Man konnte den Colonel aufrecht im Kommandoturm stehen sehen.
Es folgten mehrere Chimären, die mit rasselnden Ketten und vollkommen unbeeindruckt von dem Grauen, das hier stattgefunden hatte, dem Kommandopanzer folgten.
Dann passierte sie ein Lastwagen. Die Soldaten standen teilweise auf der Ladefläche und sahen auf die Überreste des einstigen Dorfes. Rahael konnte sich gut vorstellen, dass sie sich ihre eigenen Gedanken über die langsam nach Achtern wandernde Ansammlung von Ruinen machten und die nicht minder verstörenden, überall verstreuten und verkohlten Leichen mit aufsteigendem Grauen betrachteten, an denen die Kolonne langsam vorbei rollte.
Was auch immer hier geschehen war, es stand in krassem Gegensatz zu den Erlebnissen, die sie mit den Orks gehabt hatten.
Ob die Xenos ihre Wut bereits an diesen Menschen ausgelassen hatten und deswegen die Imperiale Armee nicht hatten überwinden können? Oder war das hier nur ein Vorgeschmack auf das, was sie noch erwartete?
»... Tote gefunden, die ziemlich übel zugerichtet wurden. Egal, was hier geschehen ist. Es hat die Leute vollständig zu Asche verbrannt«, sprach Rebis, auf dem Rücken der Chimäre kniend, ins Funkgerät. Höchstwahrscheinlich sprach er mit Ekko.
Er lauschte einige Zeit, dann nickte er. »Verstanden.«
Nachdem er die Kopfhörer an den Panzerkommandanten zurückgegeben hatte, sprang er von der Chimäre.
»Also dann«, rief Rebis. »Alles aufsitzen. Wir fahren weiter.«
Als Rahael sich umdrehte, um zurück zur Chimäre zu gehen, wäre er beinahe mit Leitis Sile zusammengestoßen, die aufmerksam die Umgebung in musterte.
»Dem Tod auf dem Schlachtfeld zu begegnen, ist eine Sache. Ihm hilflos gegenüberzustehen, eine andere, nicht wahr?«, sinnierte sie gedankenverloren.
Eine Ewigkeit standen sie sich gegenüber. Eine Ewigkeit, in der alle Geräusche, Gerüche und Ereignisse um sie herum zu Unkenntlichkeit verschwammen.
Rahael bemerkte erst jetzt, wie schön Leitis Sile wirklich war. Ihr Gesicht besaß eine unglaubliche Reinheit, die durch die helle, weiche Haut nur verstärkt wurde. Ihre stahlblauen Augen verstrahlten eine unglaubliche Klarheit, die einen in ihrem Bann hielt und ihr eine himmlische Ausstrahlung verlieh. Die Ausstrahlung eines Engels. Eines Todesengels.
In ihrer Rüstung erschien sie wie eine Lebende Heilige, die gekommen war, um den Feinden des Imperators den Tod zu bringen.
Rahael spürte, wie seine Beine zu zittern anfingen.
»Ich denke, wir sollten jetzt zu Corporal Rebis zurückkehren«, merkte Sile an und lächelte. Wie ein schneebedecktes Feld im Winter.
Trotz der drückenden Hitze fröstelte der junge Cadianer.

***

Kaum hatten sie die Überreste der einstigen Siedlung passiert, begannen die Probleme.
Um sechzehn Uhr dreißig versagte spontan der Motor eines der riesigen LKWs und sprang nicht wieder an, um sechzehn Uhr dreiundfünfzig verreckte ein zweiter.
Gegen siebzehn Uhr zwei, noch während die Bergungstrupps Material der beiden toten Riesen auf andere Fahrzeuge verluden, damit nichts vergeudet wurde, explodierte in einer mitten in der Kolonne fahrenden Chimäre Munition.
Schreie und wütend gebrüllte Befehle beherrschten die vom Motorenlärm erfüllte Luft, als gut zweitausend Basteter von ihren Transportern absprangen und in Deckung hechteten.
Der satte Knall der Explosion drückte den aufgewirbelten Staub in einem Umkreis von einhundert Metern um das detonierte Fahrzeug weg und ließ die Staubwolke aussehen, als hätte in ihrem Inneren gerade ein Chaosdämon gerülpst.
Ekko fuhr herum und starrte entgeistert auf die eigenartige, pilzförmige Wolke aus Sand, Rauch und Flammen, die sich weit über den Konvoi erhob.
Was, beim Thron, war geschehen?
Noch während er vollkommen fassungslos auf das verschwommene Bild sah und sich fragte, von was er gerade Ohrenzeuge gewesen war, schossen zwei Sentinels vorbei.
Die metallenen Schritte der Läufer hallten weit über die Ebene, während sich in seinen Kopfhörern wildes Geschnatter in Panik geratener Munitoriumseinheiten überlagerte.
Irgendwer brüllte etwas von einem Angriff, jemand anderes befahl dem Konvoi, sich aufzulösen – heilloses Chaos.
»Ruhe!«, schrie Ekko ins Funkmkro. »Sofortige Stille im Kom. Befehlspanzer ruft alle 512 zur Meldung an Kommandeur! Was ist da los?«
Noch zwei Sentinels stürmten vorbei.
»5120101! Hier Carrick!«, meldete sich der Major. »Explosion in der Mitte der Kolonne. Es gibt Tote und Verletzte Wir können nicht erkennen, ob wir beschossen wurden oder es sich um einen Unfall handelte.«
»Verstanden.« Ekko wechselte die Frequenz. »Stalker eins, hier Carime eins. Maryan, sofort Flankenpatrouille. Ich will wissen, ob wir angegriffen wurden.«
»Verstanden.«
Ekko wandte sich an den Schützen. »Sagen Sie dem Fahrer, er soll wenden.«
Hinter ihnen rollte die erste Chimäre heran. Balgor sah aus dem Turm. »Was war das denn?«, schrie er seinem Colonel entgegen.
»Das weiß ich nicht!«, antwortete der. »Aber ich werde es mir ansehen! Fahren Sie weiter, Balgor. Wir müssen in Bewegung bleiben!«
»War ja klar!«, maulte der Captain lauthals. »Jetzt wo es spannend wird, lassen Sie mich weiterfahren.«
»Das Recht des Kommandeurs!«, bellte Ekko zurück, salutierte nachlässig und winkte den Transportpanzer vorbei, als der Salamander herumruckte.
Mit Sand und Erde aufwirbelnden Ketten rasselten sie zurück in die Staubwolke.

***

»Hier ist Stalker Eins!«, war Maryans Stimme zu vernehmen. »Also der Scheißladen ist so leer wie 'ne tote Wüste leer sein sollte.«
Major Carrick stand bei dem ausgebrannten Wrack der Chimäre, während Transportpanzer und LKWs sich langsam wieder in Bewegung setzten.
Als die Explosion zu hören gewesen und die Kolonne ins Stocken geraten war, hatte Carrick den Soldaten befohlen, sofort abzusitzen und die Umgebung abzusichern. Jetzt mussten die Soldaten erst wieder Trupp für Trupp einsteigen, sodass sie nur schleppend voran kamen. Der Major vermutete, dass es noch bis zum Dunkeln dauerte, bis das letzte Fahrzeug der Kolonne wieder in Marsch gesetzt werden konnte.
Was für ein thronverfluchter Dreck.
»Verstanden, Stalker eins!«, ertönte Ekkos Stimme aus dem Funkgerät. »Flankensicherung fortsetzen.«
Carrick drehte sich um und sah einen hoch aufragenden Lastwagen an sich vorbei rollen. Das schwere Gefährt kämpfte sichtlich mit dem fließenden Übergang zwischen Steppe und Wüste und der Major fürchtete, hier den nächsten baldigen Totalverlust vor sich zu haben.
Einige Meter entfernt schnauzte ein Corporal einige seiner Soldaten an, sofort wieder in ihre Chimäre einzusteigen.
Carrick runzelte die Stirn. Die Männer waren bereits nervös und gereizt und die Explosion des Munitionstransporters konnte man nicht gerade als hilfreiche Entwicklung bezeichnen. Es war ein Wunder, dass noch keiner durchgedreht und ausgerastet war.
Nahe dem Vorfall mit dem Corporal bahnte sich neuer Ärger an.
Soldat Terric versuchte, die angespannte Stimmung etwas aufzulockern, indem er einen Witz erzählte, den er irgendwo einmal gehört hatte. »Zwei Hostpitalinnen auf dem Rückweg zu ihrem Konvent. Plötzlich bemerken sie, dass ihnen ein Soldat der PVS folgt.
Sie beschleunigen ihre Schritte und versuchen, ihn abzuschütteln, aber er folgt ihnen weiter.
Als sie an eine Weggabelung kommen, entscheiden sie sich, dass sie sich trennen, damit wenigstens eine Schwester entkommen und Hilfe holen kann.
Der Plan geht auf. Der Mann folgt der ersten Schwester. Die Zweite geht, bis sie außer Sichtweise ist, dann beginnt sie zu laufen.
Sie will Hilfe holen, doch als sie, vor Erschöpfung japsend, am Konvent ankommt, erkennt sie, dass die andere Schwester ebenfalls gerade dort eingetroffen ist. Überrascht wendet sie sich an die Frau: ›Schwester! Was bin ich froh, Euch zu sehen! Wie konntet Ihr dem Lüstling entkommen?‹
Darauf antwortet die andere: ›Nachdem wir uns getrennt hatten, holte er mich ein und stellte mich. Das Unvermeidbare geschah: Ich hob meine Kutte, er ließ seine Hose runter.‹
Erregt und wütend über die offensichtliche Schändung fragt die zweite Schwester: ›Und dann?‹
›Einfachste Logik‹, antwortet die Erste: ›Eine Schwester mit erhobener Kutte kann schneller laufen als ein Soldat mit herunter gelassener Hose.‹«
Schallendes Lachen der ihn umgebenden Männer ertönte und endete dann abrupt.
Für einen Moment war der Soldat verwirrt und versuchte, den Grund für das Schweigen der Männer ausfindig zu machen, dann ging ihm auf, dass die anderen nicht ihn ansehen. Sie sahen über ihn hinweg.
»Sie steht hinter mir, oder?«, presste er hervor. Unmerkliches Nicken bestätigte seine Annahme. Er grunzte. »Warum, beim Warp, passiert eigentlich immer mir so eine Scheiße?«
Dann wandte er sich um und sah genau in die stahlblauen Augen von Leitis Sile. Die Prioris musterte ihn kalt. »Der war nicht schlecht. Aber wollen Sie einmal wirklich was zu lachen haben?«
Die Soldaten schwiegen. Sie alle wussten von den Geschehnissen im Lazarett.
»Ja?«, fragte Sile mit ihrer weichen, erfrischenden Stimme, dann beugte sie sich vor und zog das Bajonett von ihrem Gewehr.
»Ich habe schon weit tapferere Männer als Sie getötet«, flüsterte sie bedrohlich und ließ die Stichwaffe niedergehen. Sie rutschte aus ihrer Hand und bohrte sich in den staubigen Untergrund.
Terric folgte mit seinem Blick dem Weg ihres Wurfs und sah, dass sie mit dem Bajonett einen etwa mausgroßen Skorpion gespalten hatte, der sich, halb unter Sand und Erde verborgen, direkt zwischen seinen Füßen befunden hatte.
Er atmete tief und erschrocken ein.
»Schön, dass Sie Ihren Humor noch nicht verloren haben«, sagte Sile leise und ging.
Carrick wandte sich ab und atmete seinerseits tief durch. Ein Glück, dass die Prioris nicht weiter auf den dummen Witz eingegangen war.
Bei der Vorstellung, die sie Ekko, Solmaar und den Wachen im Lazarett geliefert hatte, hätte sie höchstwahrscheinlich den ganzen Trupp auseinander genommen, wenn die Lage eskaliert wäre.
Offensichtlich hatte das Gespräch mit dem Colonel tatsächlich was gebracht.
Trotzdem konnte es nicht schaden, wenn sie noch länger unter Beobachtung blieb.
Durch das Brummen der Fahrzeugmotoren näherte sich das eilige Rasseln schnell laufender Ketten.
Der Major kniff die Augen zusammen. Ein Salamander glitt durch den staubigen Nebel auf ihn zu.
Ekkos Kommandopanzer war noch nicht vollkommen ausgerollt, da flogen bereits die Hecktüren auf und der Colonel sprang aus dem Fahrzeug, den aschfahlen Gireth mit seinem schweren Funkgerät im Schlepptau.
»Major!«, rief der Colonel den ihn entgegenkommenden Carrick. »Was ist passiert?«
»Sir, gegen siebzehn Uhr ist eine Munitionschimäre des Munitoriums explodiert. Der Grund dafür ist unbekannt«, meldete der Major schnell. »Ein feindlicher Angriff scheint es aber nicht gewesen zu sein.«
»Dann würde es hier auch sicherlich anders aussehen«, dachte Ekko laut nach. »Was vermuten Sie?«
Der blonde Basteter zuckte unglücklich die Schultern. »Sie wissen ja, wie die vom Munitorium sind. Die finden überall noch Platz für Munition. Scheint so, als hätten sie es dieses Mal übertrieben.«
Ekko kniff sich mit den Fingern in den Nasenrücken. Er sah sehr müde aus. »Verluste?«
»Die Besatzung hat's vollständig zerrissen«, sagte der Major. »Die Explosion hat zwei begleitende Kradfahrer zum Imperator geweht. Außerdem ist uns ein LKW schwer beschädigt worden und nicht mehr fahrtüchtig. Und meine Nerven sind hin.«
Zwei braune Augen musterten ihn. »Ist der LKW noch zu gebrauchen? Können wir das Ding mit einem Bergepanzer hochheben und abschleppen?«
»Das würde gehen, aber das Oberkommando hat sämtliche Atlasse mitgenommen.« Der Atlas-Bergepanzer war das Zugpferd alle imperialer Panzerkompanien.
»Dann hängt den LKW an eine Trojan und zieht ihn einfach«, wies Ekko seinen Stellvertreter an. »Wir brauchen die Fahrzeuge. Noch mehr umladen können wir nicht.«
»Verstanden, Sir«, bestätigte Carrick.
»Gut.« Ekko sah sich um. »Wo ist Ligrev?«
»Als ich anhalten ließ, hat der Kommissar eine Chimäre requiriert und ist damit weitergefahren. Ich habe keine Ahnung, wo er sich im Augenblick befindet.«
»Fantastisch«, wetterte der Colonel. »Schwierigkeiten über Schwierigkeiten. Tote, Verletzte, Explosionen – und Ligrev? Der requiriert eine Chimäre und macht sich aus dem Staub.« Seine Hand winkte in eine weite Ferne. »Wirklich schade, dass er sich dafür nicht selbst exekutieren muss. Ich hätte ihm gerne dabei zugesehen.«
Carrick runzelte die Stirn. Selbst Ekko wirkte aggressiv und gereizt. Sein sonst so zynisches und überlegenes Wesen war noch bösartiger und gleichzeitig einem einfachen, von raschen Erwägungen getriebenen Geist gewichen, der auf eine nicht näher definierbare Weise mehr Unruhe verbreitete als dass er sie tilgte.
So hatte er Ekko noch nie erlebt – und wenn er ehrlich sein sollte: Das machte ihm Sorgen.
Sie standen einige Minuten beieinander, dann plötzlich setzte sich der Colonel in Bewegung. Irgendetwas schien seine Aufmerksamkeit erregt zu haben.
Bemüht, an seinem Kommandeur zu bleiben, beschleunigte Carrick seine Schritte und folgte dem dunkelhaarigen Basteter.
Nur wenige Schritte später blieb Ekko wieder stehen und betrachtete ein merkwürdiges Objekt, das halb im Sand vergraben, vor ihnen lag.
Carrick benötigte einen Moment um festzustellen, was es war. Es handelte sich um eine klobige Staubschutzbrille, die vermutlich einer der Kradfahrer während der Explosion verloren hatte.
»Was für ein thronverfluchter Mist«, brummte Ekko und hob die Schutzbrille auf.
»Die gehörte wohl einem der Kradfahrer«, teilte Carrick seine Vermutung mit.
Der Colonel nickte matt. »Heute läuft wirklich alles schief«, murmelte er und schwenkte die Schutzbrille in seine Hand umher. Sie schien nicht beschädigt zu sein.
Carrick verfolgte verblüfft, wie Ekko sie über seine Mütze zog und ihren Sitz kontrollierte. Sie war etwas zu groß und saß auch nicht ganz richtig, doch der Colonel schien damit vollends zufrieden zu sein. »Passt«, freute er sich.
Als er Carricks überraschten Blick bemerkte, zuckte er die Schultern. »Ein Gutes hat die Sache. Er hat mir seine Schutzbrille da gelassen.«
Carrick nickte. Als der Colonel sich umdrehte, um zu seinem Kommandopanzer zurückzugehen, war er froh, über den Zynismus in Ekkos Worten lächeln zu müssen.

***

Am frühen Abend zogen bedrohlich bleigraue Gewitterwolken am Horizont auf. Früher Abend, das war nach der Uhrzeit eigentlich später Abend, denn sie überschritt die zwanzig Uhr. Aber Abend, das war auf Agos Virgil auch ein relatives Wort, denn die Nächte auf der Welt waren kurz. Sie dauerten nicht einmal neun Stunden.
Ekko lehnte auf der Seitenpanzerung und betrachtete die dunkle Front, auf die sie direkt zuhielten.
Neben ihm hatten sich Gireth, der Schütze, sowie Leitis Sile und sogar der riesige Melbin in den Kommandoturm des Salamanders gezwängt.
Letztere waren beim letzten Halt des Panzers bei einer Lagepeilung zugestiegen, wobei Leitis Sile darum gebeten hatte und Melbin von Rebis für alle Fälle mitgeschickt worden war.
Jetzt wirkte der sowieso schon so enge Raum des Kommandoturms dermaßen überladen, dass sie eigentlich nach oben hätten herausquellen müssen. Wie sie es schafften, sich trotzdem mit ihrem Platz zu arrangieren, wusste nur der Imperator.
Das Gelände war hügelig geworden, wenn auch nicht weniger trostlos. Die sandige Wüste hatten sie inzwischen hinter sich gelassen, auch wenn Ekko vermutete, dass die am Ende der Kolonne fahrenden Fahrzeuge noch immer am Rand des Sandmeers fuhren.
»Da!«, rief Melbin und wies auf eine Stelle, etwa dreißig bis fünfunddreißig Grad nach rechts.
Alles folgte seinem Blick.
Ekko hob den Feldstecher an die Augen. Er brauchte einen Moment, bis er sah, was Melbin entdeckt hatte.
Die Basilika hob sich sichtbar gegen den dunklen Himmel ab. Sie sah aus wie ein gewaltiger, aufwärts abgefeuerter Strahl, der im Stadium höchster Intensität auf die Wolken getroffen und eingefroren war.
Das Gebäude reichte mindestens tausendfünfhundert Meter in den Himmel.
Näheres war noch nicht zu erkennen, aber bereits jetzt ergriff eine undefinierbare Furcht Galard Ekko. Zum ersten Mal in seinem Leben würde er eine Stätte der Ekklesiarchie betreten.
Er malte sich bereits unterschiedliche Weisen aus, auf die er sie schänden und entweihen konnte, nur um es den bösartigen Angreifern, die sein Leben zerstört hatten, heimzuzahlen. Er war sich sicher, was die Orks gemacht hatten, wäre dagegen nur ein lächerlicher Witz gewesen.
Allerdings gab es eine Sache, die ihn im Augenblick noch mehr beschäftigte.
»Das ist doch … Die ist doch an einem ganz anderen … Gireth, die Karte!« Er gab Melbin den Feldstecher. »Herzlichen Glückwunsch, Melbin. Sie haben unser Ziel entdeckt.«
Der Funker hinter ihnen knisterte mit der Karte, in der ihr Ziel eingezeichnet war.
Er versuchte ungeschickt, die Karte im Fahrtwind auszubreiten, bis Ekko sie ihm ungeduldig aus der Hand nahm. »Geben Sie her, Soldat.«
Der Colonel breitete sie innerhalb des Kommandostands aus und wies Gireth und den Schützen an, sie gegen die Seitenwand des Innenraums zu drücken. Dann beugte er sich etwas vor und begann, die feinen Linien nachzuzeichnen. Dabei murmelte er leise Litaneien, gepaart mit Verwünschungen.
»Wo befinden wir uns?«, fragte Sile, die in ihrer roten Servorüstung den meisten Platz im Kommandoturm einnahm, und warf einen Blick über Ekkos Schulter.
»Hier«, erwiderte er gedankenverloren und tippte auf die Karte. »Aber diese Karten stimmen nicht. Wenn die Basilika – wir sehen sie ja – hier ist, dann … müssten wir eigentlich da sein und nicht hier … wo wir ja hier sehen, dass wir da sind.«
Die Sororita sah ihn mit einem scharfen Blick an. »Was bedeutet das?«
»Gar nichts«, brummte er. »Nur, dass die vom Munitorium unverschämte Idioten sind.«
»Das kann keine Basilika sein«, murmelte Melbin neben ihm ergriffen. »Das ist eine Makropole!«
Ekko hörte die Worte des Soldaten, ignorierte sie aber.
»Fahrer, drehen Sie nach rechts auf zwei Uhr!«, befahl er über Funk.
Die Antwort kam prompt. »Auf zwei Uhr drehen. Verstanden, Colonel!«
Der Kommandopanzer ruckte herum und zog wieder an.
Mit einem Blick nach hinten vergewisserte Ekko sich, dass die anderen Transportpanzer ihnen folgten.
Hinter ihnen kam die erste Chimäre herum. Im Funkgerät erklang eine Warnung, dass die Kolonne vorne nach rechts schwenkte.
Bestätigungen folgten.
Ekko richtete sich auf und wies Gireth an, die Karte wieder wegzupacken. Dann wandte er sich um und richtete seine Augen abermals auf die Masse rollenden Materials, die seinem Kommandopanzer gehorsam folgte.
Wieder einmal überwältigte ihn der Anblick.
Jetzt, wo sie sich von der marschierenden Kolonne entfernten, konnte man die mehrere Meilen hohe Staubwolke sehen, welche die Fahrzeuge einhüllte.
Ein beinahe unbeschreibliches Bild.
Während seiner Zeit bei den Planetaren Verteidigungsstreitkräften Bastets hatte er bereits unglaubliche Dinge gesehen, meistens in den südlichen Bergen des Jareth-Bezirks, aber das hier sprengte die Dimensionen seiner Erinnerungen bei weitem.
Es war größer als eine wütende Herde Karikas. Es war beeindruckender als ein Artillerieangriff aus einhundert Geschützen und es war faszinierender als eine Parade zu Ehren der Heiligen Bastet, deren Prozession sich quer durch die Schluchten des Dah-Tals zog.
Aber so beeindruckend sie auch aussah, diese Kolonne war äußerst verwundbar.
Bei einem Angriff oder einem Hinterhalt würde das totale Chaos ausbrechen und die Soldaten somit vollkommen desorientiert und hilflos werden. Die Explosion der Chimäre hatte es bewiesen.
Wenn ihnen so etwas direkt vor der Kathedrale passierte, dann wäre das die endgültige Katastrophe. Doch so sehr er sie sich auch herbeisehnte, zwei wichtige Faktoren hielten ihn davon ab, einfach weiter zu fahren.
Zum einen wollte er weder Ligrev, noch Del Mar oder Iglianus den Triumph gönnen, ihn endlich und vollständig besiegt zu haben, indem er sich selbst mit dem Großteil seines Regiments vernichtete und somit nicht nur im Kampf, sondern auch in Ungnade fiel.
Zum anderen wollte er seine Männer nicht verlieren. Weder im sinnlosen Tod noch an einen anderen Kommandeur. Das wollte und würde er niemals zulassen.
Entschlossen wandte er sich seinem Funker zu. »Die nächste Chimäre soll uns folgen. Wir werden dem Konvoi voraus fahren und uns die Sache mal ansehen. Ich mag es nicht, wenn wir so ganz ohne Kenntnis der Lage ins Unbekannte fahren.«
»Aber, Sir!«, protestierte Gireth. »Der Kommandeur …«
»Sparen Sie sich Ihre Belehrungen. Die haben Sie sowieso nur von Carrick geklaut. Führen Sie meinen Befehl aus, Gireth!«
Kleinlaut gab der Funker nach. »Ja, Colonel.« Sich mit seinem Kommandeur anlegen, das wollte er dann doch nicht.
Ekko beachtete ihn auch nicht weiter, sondern adressierte sofort danach den Fahrer. »Geben Sie Gas – direkt auf die Basilika zu, verstanden?«
»Verstanden«, antwortete ihm die körperlose Stimme.
Hinter ihnen heulte der Motor der ersten Chimäre in der Kolonne auf, als das Fahrzeug los preschte, um ihnen auf der gefährlichen Aufklärungsmission zu folgen.
Sie waren auf dem Weg, die Entscheidungen waren getroffen und selbst, wenn Ekko sie jetzt gerne rückgängig gemacht hätte, so wäre es doch recht schwierig geworden, die Befehle zu stornieren und die Kolonne umzulenken.
Außerdem konnte es verdammt unangenehm werden, die Aktion im Nachhinein vor Iglianus und Del Mar zu erklären.
Die beiden Fahrzeuge rasselten schaukelnd vorwärts.
Je weiter sie sich dem monströsen Bauwerk näherten, umso mehr Details waren für Ekko zu erkennen. Und je größer der Ort wurde, desto stärker zog er den Colonel in seinen Bann.
Es war eine Basilika – aber was für eine!
Ekko erinnerte sich an die Worte Melbins. Die Basilika erinnerte mit ihrer Form tatsächlich an eine Makropole.
Eine riesige Mauer schützte die unteren Ebenen gleich einer Festung, aus denen nur die in blassem Gold gedeckten Spitzdächer von Gebäuden herausragten, offensichtlich die Arbeits- und Wohngebäude der Bediensteten.
Dahinter erhob sich eine riesige, fast dreihundert Meter hohe Kathedrale, die schließlich in einem Turm endete, der den gesamten Berg umfasste und in weitere Ebenen überging.
Wie ein Termitenhügel schmiegte sich die Himmels-Kathedrale den Berg hinauf gleich einer Spindel, die in gleichmäßigen Abständen von unterschiedlich großen Türmen durchsetzt war und sich nach oben hin immer weiter verjüngte, bis sie schließlich wenige Meter unter der Spitzes des Berges in einer gewaltigen, kreuzförmigen Anlage endete, aus der vier Türme die Spitze des Berges flankierten.
Das ganze Gebilde erinnerte eine mächtige, von Menschenhand gebaute und dann in den Fels gewachsene Kletterpflanze im Baustil einer längst vergessenen Kultur der Menschen.
Er konnte sich irren und vielleicht von den Sonnenstrahlen täuschen lassen, aber die Fassade der Basilika schien weißer zu werden, je höher sie in den Himmel reichte.
Es war ein faszinierendes Farbspiel, das nicht weniger als die Erhabenheit dieses Orts unterstrich.
Der Colonel war so fasziniert, dass er ergriffen schwieg, bis sie die Außenmauer der Kathedrale erreicht hatten.
Erst jetzt machte ihn einer der Soldaten auf ein offensichtliches Problem aufmerksam, das ihm entgangen war.
»Wo ist denn das Tor?«, erkundigte sich Melbin.
Ekko fiel auf, dass der Cadianer recht hatte. Es schien wirklich kein Tor zu geben. Er schürzte die Lippen. »Fahrer, nach rechts. Folgen Sie der Mauer.«
Der Kommandopanzer knirschte, als der Fahrer das Fahrzeug herumschwenkte.
Sie rollten die Außenmauer entlang.
»Nimmt diese Mauer denn gar kein Ende?«, fragte Melbin, während Gireth sprachlos auf die riesige, schier unzerstörbare Wand aus betonartigem Material starrte, die sich zu ihrer Linken erhob.
Verheerte, verkratzte Embleme der Ekklesiarchie lagen zersplittert auf dem Erdboden oder hingen, in teilweise abgerissen, in ihren Halterungen an der Mauer.
Tiefe Einschläge, verkrustetes Blut und auf die Insignien gespießte Tote in abscheulichen Posen begleiteten sie ihren Weg als mahnende Zeugen der Grausamkeiten, die hier stattgefunden hatten.
Noch mehr böse Vorzeichen, dachte Ekko bei sich. Als hätte es den Tag lang noch nicht genug davon gegeben.
Die Staubwolke der Kolonne war bereits nicht mehr zu sehen, wurde von der hoch aufragenden Außenmauer der Kathedrale verdeckt, als sie endlich einen Eingang fanden. Er war verschlossen.
Ein ehernes Tor, fast so groß wie ein imperialer Warhound-Titan, versperrte den Zugang zur Kirche.
»Hier halten«, befahl Ekko ins Funkgerät.
Der Kommandopanzer rollte aus und blieb schließlich stehen.
Ekko wies den Schützen an, wachsam zu bleiben, dann öffnete er die Heckluke und stieg aus. Die Staubschutzbrille auf seiner Mütze verrutschte. Er rückte sie zurecht, zog den Saum seines Uniformdrillichs glatt und marschierte dann zielstrebig auf das große Tor zu.
Hinter ihm ließ sich Sile trotz ihrer Servorüstung vollkommen weich und beinahe geräuschlos auf die Erde gleiten.
Gireth neben ihr fiel wie ein nasser Sack auf den Boden. Das schwere Funkgerät auf seinem Rücken ließ ihn beinahe vorne überkippen. Um die Balance zu halten rammte er den Lauf seines Lasergewehrs in die Erde, nur um im nächsten Moment zu begreifen, dass das ein schlimmer Fehler gewesen war.
Während Ekko mit der Sororita im Schlepptau in Richtung des Tors ging, folgte der junge Funker ihnen in einigem Abstand und versuchte, den Lauf seines Gewehrs wieder freizuräumen.
Einige Meter neben ihnen hielt die Chimäre. Die Heckluke fiel herunter, heraus stürmte ein Infanterietrupp mit Balgor an der Spitze. Die Männer schwärmten aus, während der Captain sofort zu seinem Kommandeur stieß
»Mann, Chef, Sie finden aber auch überall Dinge, die anzugucken es sich lohnt.«
»Ziemlich riesig.« Ergriffen lehnte sich Gireth zurück, versuchte die massive Konstruktion in ihrer Gesamtheit zu betrachten.
Balgor hielt ihn fest. »Vorsicht, Gireth, sonst fallen Sie noch hinten über. Und bei dem Gewicht würde Sie nicht einmal ein Atlas-Bergepanzer wieder hochkriegen.«
Der Funker wurde leicht rot. Zum einen lag das an der Tatsache, dass Balgor ihn auf etwas aufmerksam gemacht hatte, was er selbst hätte wissen müssen, zum anderen, weil der Captain ihn mit seinem Namen angesprochen hatte. Für einen jungen, einfachen Soldaten gab es wohl nichts, was der Tatsache gleich kam, von den Offizieren namentlich genannt zu werden.
Vor ihnen verschränkte Sile die Arme und warf Ekko einen Seitenblick zu. »Also, was haben Sie jetzt vor?«
Ekko griff an sein Tiefziehholster und öffnete es. Danach zog er die Laserpistole und richtete sie auf das Tor. »Was wohl passiert, wenn ich darauf schieße?«
»Besser nicht«, riet Balgor. »Bei Ihrem Glück heute erwischen Sie noch einen von uns.«
Die Sororita neben ihm verzog das Gesicht und erwiderte gereizt: »Meines Wissens gibt es so etwas wie Glück nicht.«
Gireth gaffte sie schockiert an. »Sie wollen sagen, dass er das plant?«
»Natürlich«, warf Ekko ein. »Von langer Hand. Ich habe Sie nur hierher geführt, um sie möglichst originell aus dem Weg zu räumen, Gireth.«
Sile warf ihm einen bösen Blick zu, enthielt sich jedoch eines weiteren Kommentars. Dass er ihre Bemerkung absichtlich auf sich und nicht auf den Imperator bezog, der ja bekanntlich alles Geschick der Menschheit steuerte, war im Grunde keinerlei Erwähnung wert. Es hätte ja auch sein können, dass sie sich auf ihn bezog – so genau hatte sie sich auch nicht ausgedrückt.
Das Stampfen von Läuferfüßen drang an ihre Ohren.
Stalker eins und vier polterten heran.
Die beiden Sentinels kamen bis zu ihnen und stoppten dann. Die Cockpits senkten sich auf die Beine ab, dann öffnete sich die Cockpittür von Stalker eins. Maryans Gesicht erschien in der Luke.
»Tut mir leid«, rief der Sentinelführer. »Wir hatten uns total verlaufen.«
»Wenn das ein Witz sein sollte – oder ein Wortspiel –, dann war das ziemlich schlecht, Maryan«, hielt Ekko fest.
Der Sentinelführer verzog das Gesicht und überlegte angestrengt eine entsprechende Antwort. Er kam jedoch nicht mehr dazu, den Gedanken zu Ende zu führen.
»Herr auf dem Thron, ist das ruhig hier«, bemerkte Balgor.
Eine plumpe Ablenkung, welche aber ihren Zweck erfüllte. Die Anwesenden schwiegen und horchten auf.
Der Captain hatte recht gehabt. Vollkommene Stille umgab sie. In der hereinbrechenden Dunkelheit dröhnten die im Leerlauf befindlichen Motoren der Truppentransporter und Sentinels unnatürlich laut.
»Abschalten«, befahl Ekko. »Motoren aus!«
Balgor wandte sich zu der Chimäre um und deutete mit seiner Hand das Durchtrennen der Kehle an.
Einige Augenblicke später erstarb der Panzermotor.
Zur gleichen Zeit schalteten Stalker eins und Stalker vier ebenfalls ihre Motoren ab. Seufzend sanken die Sentinels in den Ruhezustand und verharrten wie in der Bewegung erstarrte, leblose Bestien.
Augenblicklich hielt die Welt den Atem an.
Sie lauschten angestrengt. Es war nichts zu vernehmen. Kein Geräusch. Kein Wind. Keine Tiere oder Natur. Nichts. Nur in der Ferne grollten die Motoren der anderen Fahrzeuge.
»Also ich hör nichts«, brummte Maryan nach einer Weile.
»Er hat recht«, stimmte Sile zu. »Es ist totenstill.«
Ekko nickte nachdenklich. »Klingt bestimmt abgedroschen, wenn ich sage: Das gefällt mir nicht – aber: Das gefällt mir nicht. Gireth!«
Der junge Funker richtete sich ertappt auf. Er hatte es noch immer nicht geschafft, den Lauf seiner Waffe freizuräumen. »Sir?«
»Die ersten drei Züge nach vorn. Ich will hier eine Sicherung haben, wenn das Tor aufgeht.«
»Verstanden, Colonel!«, rief Gireth und entfernte sich, um Carrick über die Befehle zu informieren.
Zeit, sich wieder der eigentlich Frage zuzuwenden: Wie bekamen Sie das Tor auf?
»Also«, wandte sich Ekko an die anderen. »Vorschläge?«
»Vielleicht gibt es eine Sprachsteuerung? Ein Passwort oder so etwas?«, schlug Balgor vor.
»Gute Idee«, pflichtete Ekko bei. Er wandte sich an die Stahlkonstruktion und hob gebieterisch die Hände. »Sesam, öffne dich!«, rief er. Das Tor blieb reglos. Genauso gut hätte es sich auch totlachen können.
»Thronverdammt«, brummte der Colonel.
»Was ist?«, fragte Sile.
Ekko kratzte sich am Kopf und warf einen Blick in die Runde der Anwesenden. »Haben Sie einen Schlüssel für das Teil?«
 
Salve,

nach ja, wenn man über den IA-Fuhrpark verfügt, warum sollte man ihn dann nicht nutzen ;-D Die haben so viele coole Fahrzeuge, dass man aus dem Schwärmen im Grunde gar nicht mehr herauskommen dürfte. Was da an Technologien vorhanden sind ... so viele vielfältigen Baumuster: das ist einfach nur Klasse!

Über deine Bemerkung zu Ekko musste ich jetzt wirklich lachen (im Grunde lache ich eigentlich immer noch). Das kam jetzt unerwartet treffend.

Nächstes Kapitel kommt vermutlich morgen Abend!

Bis dahin


Alles Vale

SMN
 
13

Es dauerte knapp eine Stunde, dann war das singende Jaulen von Vector-Turbojet-Triebwerken zu vernehmen. Am südwestlichen Himmel zeichnete sich eine Formation von drei Flugmaschinen ab, die rasch größer wurden.
Während Ekko verfolgte, wie sie sich ihnen näherten, hoffte er inständig, dass es die von Gireth in seinem Namen angeforderte Unterstützung war und nicht eine feindliche Aufklärungseinheit.
Er nahm den Feldstecher von den Augen und ließ seinen Blick über die Umgebung schweifen.
Seit ihrer Ankunft hatte sich eine beeindruckende Traube an Fahrzeugen um das mächtige Tor gebildet, das noch immer den Zugang zu der Basilika verschloss. Sie standen kreuz und quer, ohne einen wirklichen Plan dort abgestellt, wo sie zum Halten gekommen waren.
Zu Anfang war das noch niemandem aufgefallen, denn es war nicht wichtig. Die Chimären und Aufklärungsfahrzeuge stoppten und spien Truppen aus, die sofort in die Gegend ausschwärmten und das Umfeld sondierten, um einen hinterhältigen Angriff der Orks frühzeitig zu entdecken und Abwehrmaßnahmen ergreifen zu können.
Doch je mehr Fahrzeuge auf die stehenden auffuhren und ebenfalls stoppten, umso deutlicher wurde, dass die Imperialen einen bedeutenden Fehler begangen hatten.
Das Knäuel aus Transportpanzern, Lastern, Zugmaschinen, Aufklärungs- und Kommandofahrzeugen zog sich enger und weitete sich gleichzeitig aus. Es jetzt schnell zu entwirren und die Fahrt fortzusetzen war so gut wie unmöglich.
Ekko verfluchte sich im Stillen. Hätte er doch nur eher darauf geachtet.
Nun gut, er hätte sich denken können, dass man sie nicht mit offenen Armen empfing. Aber genau da lag das Problem. Er hatte es nicht getan.
Carrick neben ihm hob seinen eigenen Feldstecher an die Augen. »Sieht aus, als wären das welche von unseren – oder, Sir?«
»Das will ich hoffen«, antwortete Ekko und verfolgte, wie sich langsam Formen aus den Silhouetten der Flugzeuge schälten.
Es waren in der Tat Walküren. Die klobigen Sturmtransporter heulten tief über dem Erdboden heran und passierten das wartende Knäuel aus Fahrzeugen und Menschen kreischend mit Überschallgeschwindigkeit, bevor sie die Flanke der Kathedrale entlang steil in den Himmel stiegen.
»Was für Angeber«, brummte Ekko, während die Männer um ihn sich abduckten, um nicht von den heißen Strahlen der Triebwerke umgeblasen oder mit Massen von aufgewirbeltem Staub eingedeckt zu werden. »Irgendwann müssen sie runterkommen. Und dann sind sie fällig.«
Aufgewirbelter Staub bedeckte sein Gesicht, verklebte Augen und füllt seine Nase, dass er angewidert niesen musste.
»So, das war’s!«, brummte er missmutig. »Jetzt sind sie fällig!«
Er hörte, wie Carrick neben ihm leise mit den Zähnen knirschte, wandte ihm seinen Blick jedoch nicht zu – auch wenn es ihn interessiert hätte zu sehen, ob der Major auch wirklich wütend auf die waghalsigen Piloten war oder einfach nur krampfhaft versuchte, ein Lachen zu unterdrücken.
Die Sturmtransporter donnerten in einer weiten Schleife erneut über die wartenden Truppen, bevor sie auf die Kathedrale einschwenkten. Man konnte die Führungsmaschine gut erkennen, deren in rot nachgezogene Linien einen stilisierten Vogel darstellten.
In Gireths Funkgerät begann es zu knistern.
»5120100, hier 0072 Azrael. Hören Sie mich? Kommen.«
Der junge Funker trat aufgeregt zu seinem Kommandeur und reichte ihm das Sprechgerät.
»Hier 5120100. Ich höre«, meldete sich der Colonel.
»0072 Azrael meldet sich und zwei Maschinen mit drei Trupps zur Stelle.«
»Sehr schön«, antwortete Ekko, dann wies er Carrick mit einem kurzen Wink an, ihm die Karte zu bringen.
Der Major nickte und winkte seinerseits einen Adjutanten heran, damit er ihm die Karte brachte.
Ekko schürzte die Lippen und stellte sich vor, wie eine ganze Legion von Adjutanten nun wild zu winken begannen, damit von dem gut zwanzig bis dreißig Meter entfernten Kommandopanzer eine spezielle Karte aufgelesen und zu ihrem Colonel gebracht wurde.
Nicht, dass es ihn belustigt hätte.
Einen Moment später tauchte der Soldat mit der zerschlissenen Karte auf und brachte sie Carrick, welcher sie an Ekko weiterreichte.
»Zu freundlich«, kommentierte der Colonel die Aktion. Er kniete sich auf den trockenen Sandboden und breitete die Karte aus.
Es war eine Ansicht der Himmels-Kathedrale.
Ekko fuhr die feinen Linien auf dem Papier nach und orientierte sich.
Genau genommen bestand die Makro-Kathedrale aus sieben Ebenen. Das Zentrum der Anlage wandte sich um einen dünnen, fast felsnadelspitzen Berg, dessen Ursprünge in der langen und wilden Geschichte von Agos Virgil lagen.
Eine ausladende Plattform thronte auf dem Berg, auf der ein reich verziertes Beinhaus stand. Die gesamte Plattform war nur durch vier Haupttürme mit dem vierhundert Meter tiefer liegenden Ende des Kirchengebäudes verbunden. Eine schmale, von der Außenwelt abgeschottete Wendeltreppe schlängelte sich, gleich einer Kletterpflanze, um die Felsnadel und durch die Türme bis zur obersten Ebene der Kathedrale.
Die Kathedrale selbst war ein gewaltiges, in alle vier Himmelsrichtungen reichendes Gebäude, dessen Zentrum ein mächtiger Turm war, der den dürren Berg einschloss und das Fundament der vier Stütztürme bildete. Darum lang ein ausladender Platz, der noch einmal die doppelte Größe des Kirchenbaus maß.
Bereits allein dieses im Vergleich winzige System bildete die ersten zwei Ebenen der Himmels-Kathedrale.
Ging man nach der Karte, konnte man das Gebäude und alle seine Türme, Zitadellen und Kuppeln als innersten Verteidigungsring des makropolgleichen Komplexes sehen, der sich um den prächtigen Bau gebildet hatte.
Den nächsten Ring (und die nächsten zwei Ebenen) bildeten die beiden inneren Mauern, welche die einflussreichen und wohlhabenden Kleriker und Bewohner der Stätte von den unteren drei Ebenen abschotteten, wo die weniger wohlhabenden Kleriker, dann die Handwerker, Diener und deren Familien und schlussendlich die restlichen Menschen, also das, was man in der Imperialen Armee als ‚Tross‘ bezeichnet hätte, an der Außenmauer gelebt hatten.
So konnte man die Makrokathedrale in drei, mit der Kathedrale selbst, in vier Verteidigungszonen einteilen, die jede für sich autark überleben konnte. Das bedeutete, dass jeder dieser Verteidigungsringe über eigene Strom- und Wasserversorgung verfügte.
Die entsprechenden Generatoren und unterirdischen Reservoirs waren eingezeichnet.
»In Ordnung. Hört mir zu. Die Himmels-Kathedrale besitzt drei Hauptgeneratorräume, welche die gesamte Stadt mit Energie versorgen. Wir müssen eine dieser Anlagen wieder in Betrieb nehmen und die zur Verfügung gestellte Energie in die Außentore umleiten.«
»Verstanden, Wo sollen wir suchen?«
Ekko musterte die Quadranten, in welche die Karte eingeteilt war. »Quadrant Elysia Acht sieht am Vielversprechendsten aus. Probiert es dort.«
»Verstanden, Azrael Ende.« Das Heulen der Turbojet-Triebwerke schwoll wieder an, als die schnellen Sturmtransporter über die Makro-Kathedrale hinweg zogen.
Gireth, der den Funkverkehr mitgehört hatte, runzelte die Stirn. »Sir, was machen Sie da?«
Ekko schürzte die Lippen und faltete die Karte zusammen. »Ich folge einer alten Weisheit: Wenn keiner aufmacht, lass dich selbst herein.«

***

Die Stille lachte sie aus.
»Sir, das gefällt mir nicht!«, gab Carrick zu bedenken.
Ekko nickte wortlos. Ihm gefiel es genauso wenig.
Noch immer rollten die Fahrzeuge der Kolonne auf die bereits stehenden und vergrößerten das Knäuel, das sich um das Tor der Basilika gebildet hatte. Beinahe im Minutentakt meldeten Trupps, dass sie den Verteidigungsring vergrößerten, um die neu hinzugekommenen LKWs, Schlepper und Transporter abzudecken.
Wie löcherig der zu Beginn recht solide Ring aus improvisierten Stellungen inzwischen war, wollte er im Grunde gar nicht wissen.
»5120604 – wir verlegen weiter vor.«
»Verstanden, 5120604.«
Ekko warf einen Blick zu Gireth, der inzwischen sehr viel ruhiger geworden war. Seitdem sie den schaukelnden und wippenden Innenraum des Salamanders verlassen hatten, bekam der junge Funker endlich seine Farbe zurück.
Zwischendurch hatte es wieder schlecht um ihn gestanden, als er begriff, dass sein Kommandeur vorhatte, die Himmels-Kathedrale zu betreten, in deren Außenmauer man hilflose Menschen gepfählt hatte.
Ekko hatte schon vermutet, dass er ihn zu Doktor Calgrow würde schicken müssen, doch glücklicherweise beruhigte sich der Funker recht schnell wieder. Ob die Erwähnung der Doktorin damit in Verbindung stand, war jedoch im Nachhinein nicht mehr festzustellen.
Das Funkgerät knackte wieder. »5120100, hier 5120801, kommen.«
Die beiden Offiziere sahen sich an. Endlich!
Es hatte eine Ewigkeit gedauert, bis sich der kleine Stoßtrupp, den sie ins Innere der mächtigen Mauern entsandt hatten, sich endlich das erste Mal meldete – und eine weitere Ewigkeit verging, bevor die Truppe von ihrer Landestelle zum Generatorgebäude und hineingelangt war.
Jetzt schien sich ein erster Durchbruch anzubahnen. Endlich!
Ekko winkte Gireth heran und nahm das Sprechgerät seines Funktornisters entgegen.
»Hier Ekko. Was gibt es?«
Die Stimme, die ihm antwortete, klang triumphierend. »Sir, wir haben den Generatorraum geöffnet. Setzen die Anlagen jetzt in Gang.«
Ekko nickte, selbst wenn der andere ihn nicht sehen konnte. »Ja, verstanden. Fahren Sie fort.«
»Verstanden. Stoßtrupp – Ende!«
Der Colonel lächelte seinem Major triumphierend zu, wandte sich um und pfiff durch die Zähne. Die Captains, die bei den vordersten Schützenpanzern zusammenstanden, sahen auf.
Er ließ seinen Arm in einer Sammelbewegung kreisen und wies dann erst nach links, danach nach rechts, als würde er einen winkenden Roboter imitieren.
Die Zugkommandeure verstanden den Befehl sofort und beeilten sich, wenn auch ohne Hast, ihre Männer um sich zu scharen und sie für den gedeckten Einmarsch in die Basilika aufzustellen.
Balgor legte die Hände als improvisierten Lautverstärker um den Mund. »Alles in Bereitschaft!«, bellte er gegen den Lärm der Fahrzeuge an.
»Alles in Bereitschaft!«, echoten die anderen Captains.
Basteter Soldaten tauchten urplötzlich aus sämtlichen Richtungen auf, formierten sich zu Trupps und postierten sich nahe dem mächtigen Tor. Aus ihren entschlossenen, vom Dreck verkrustet wirkenden Gesichtern starrte Anspannung auf die Frage, was genau sie hinter den noch verschlossenen Flügeln des gewaltigen Portals erwartete und, im Hinblick auf das Blutbad vor den mächtigen Mauern, was beim goldenen Thron hier geschehen war.
Es dauerte weitere fünf Minuten, in denen sie in der nur vom leicht wehenden Wind erfüllten Stille ausharrten, dann plötzlich kam Bewegung in die starre Konstruktion, die ihnen den Weg ins Innere der Himmels-Kathedrale versperrte.
Sie knirschte und ächzte markerschütternd. Festgesetzter Sand platzte aus Scharnieren und Rillen, dann erschauderten die mächtigen, schmiedeeisernen Haupttore und öffneten sich langsam wie von Geisterhand mit einem mahlenden Geräusch, das sich nach den Ketten einer ganzen Kompanie Superschwerer Panzer anhörte.
Ekko trat unwillkürlich einige Schritte zurück und verfolgte, wie sich der Spalt zwischen den mächtigen Toren allmählich verbreiterte und so den Blick auf eine breite Hauptstraße freigab, die zu beiden Seiten von Gebäuden im gotischen Stil der Ekklesiarchie flankiert wurde.
Direkt voraus erhob sich die gewaltige Basilika wie ein von Menschen errichtetes Hochland, das die Bergnadel in ihrer Mitte einschloss und sich an ihr gleich einer Schlingpflanze aufwärts wand.
Agos Virgils Sonne ließ die Buntglasfenster entlang des spindelförmigen Aufgangs an der Bergflanke in malerischen Farben funkeln.
Von da, wo sie standen, wirkte die Kathedrale zugleich erhaben mächtig, zum anderen jedoch auch zerbrechlich, so als würde sie alle Menschen verzaubern, allerdings niemals einem Sturm trotzen können.
Dem Colonel verschlug es die Sprache, als er sich der Magie dieses Orts bewusst wurde. Seine Gedanken über häretische Schändungen und Zerstörungen, die er zuvor gehegt hatte und die sein aufgewühltes Gemüt befriedigt hatten, flohen in die hintersten Windungen seines Kopfes und verbargen sich wimmernd vor der Gewalt, die das Bauwerk auf ihn ausübte.
Ohrenbetäubend krachend schlugen die Tore gegen die ehernen Schutzmauern. Eine Lawine aus Sand löste sich aus den Ritzen zwischen den Steinen und bröckelte wie abgelöster Putz von der leicht angeschrägten Oberfläche des Bollwerks.
Im selben Augenblick zerbrach die Reglosigkeit der Männer.
»Vorwärts!«, trieb Retexer seine Männer an. Balgor und Solmaar fielen ein.
Basteter Infanteristen rückten im Laufschritt vor und schwärmten aus, sobald sie die beiden Torflügel passiert hatten.
Ekko nickte den Captains zu, als sie an ihm vorbei nach vorn liefen und machte dann kehrt, um zu seinem Kommandofahrzeug zurückzugelangen.
Die Schlange aus Infanteristen begegnete ihm mit respektvoller Gleichgültigkeit. Er konnte es ihnen nicht verdenken, so konzentriert wie sie ab jetzt zu sein hatten. Tatsächlich war er sogar stolz auf die Männer, die ihren Blick voll und ganz auf die Pflicht richteten, die mit ihrer Aufgabe einhergingen.
Gute Männer, die weder das Gewicht ihrer Mission, noch das ihrer Gefechtsausrüstung verzagen ließ.
Auch wenn er das Universum hasste – auf die Männer seines Regiments war er unendlich stolz.
Er ließ seine Augen abermals über die langen Reihen aus Soldaten schweifen. Ihm blieb das Herz stehen.
Krood und seine beiden überlebenden Grenadiere rückten mit den anderen Bastetern vor. Erst dachte Ekko, er bilde sich einen Wahnwitz ein, doch ihm ging schnell auf, dass er sich den schwer gepanzerten Soldaten vor seinen Augen nicht erträumt hatte. In der Sekunde, in der Ekko ihn entdeckte, warf der Cadianer einen Blick zur Seite. Sie erkannten sich.
In Kroods Augen glühte Hass. Abgrundtiefer Hass auf den Basteter, der seine Männer so bereitwillig in den Tod geschickt hatte, um seine eigenen Männer zu retten.
Ekko atmete durch und zwang sich, dem Kasrkin-Sergeant zuzunicken. Mehr tun konnte er nicht, so gerne er es auch gewollt hätte.
Ein harter Kloß bildete sich in seinem Hals, verhöhnte ihn und zwang ihn, wieder an die grausame Schlacht und seinen folgenschweren Befehl zu denken.
Dann war der Kasrkin vorbei, verschwand aus dem Blickfeld des Basteters und ließ ihn mit dem unerträglichen Gefühl der Angst zurück. Angst, versagt zu haben. Angst vor den kommenden Tagen.
Angst, der beruhigenden Erlösung durch den sinnlosen Tod wieder einmal entrissen worden zu sein.
Der Kommando-Salamander kam in Sicht. Dort standen mehrere Offiziere, unter anderem auch Carrick und Ligrev, der zwischenzeitlich wieder aufgetaucht war, und studierten Kartenmaterial, das ihnen vom Munitorium übergeben worden war.
»Major Carrick«, rief Ekko seinen Stellvertreter zu sich. Der Major und Ligrev sahen auf.
Der hochgewachsene, blonde Basteter löste sich von dem Kartenmaterial, das er gerade mit Gireth an der Seitenwand des Kommandosalamanders betrachtete, und ging mit raschen Schritten zu seinem Kommandeur. »Sir?«
Ekko wandte seinen Kopf in Richtung der Sturmkolonnen, die sich bereits aufteilten und in verschiedene Bereiche der Kathedralenstadt ausschwärmten. »Was machen denn Krood und seine Leute hier?«
»Oh!« Carrick tippte sich in einer stilisierten Geste an den Kopf und nickte. »Richtig. Ich hatte es neben dem ganzen Chaos vollkommen vergessen, aber Sergeant Krood und seine Überlebenden-« Ekko verzog bei dem Wort ›Überlebende‹ das Gesicht, »-wurden uns vom Oberkommando zugeteilt, weil sie, wie sich Krood ausdrückte, bei einer Offensive dieses Ausmaßes auch keinen Unterschied mehr machen würden und daher zurückgezogen bei der Sicherung der Basilika unterstützen sollen.«
»Sie machen mir mit dieser Information keine Freude, Carrick«, merkte Ekko an und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. »Die Heilige Bastet hat wirklich einen grausamen Humor, wenn sie die Befehle des Gott-Imperators ausführt.«
»Die schönen Frauen sind meist die kältesten«, gab der Major mit einem Nicken auf Leitis Sile zurück, die vor dem in die Mauer gepfählten Körper einer anderen gepanzerten Schwester kniete und eine stille Litanei zu sprechen schien.
Ekko kniff die Augen zusammen. Diese Frau, schön und zugleich tödlich, wurde immer mehr zu einem Mysterium für ihn, abseits des Hasses, den er den Schwestern des Adeptus Sororitas entgegenbrachte.
Einen Moment noch konnte er ihr im Sonnenlicht funkelndes blondes Haar betrachten, das als Pferdeschwanz über den Kragenschutz ihrer Servorüstung floss, dann versperrte eine vorbeitrabende Infanterieeinheit den Blick auf die Sororita.
»Und jetzt?«, erkundigte sich der Major bei seinem Vorgesetzten.
Ekko löste sich von dem Bild der schönen Frau, das noch immer durch seinen Kopf geisterte und sah seinen Stellvertreter an. »Wollen Sie denen den ganzen Spaß überlassen?«
Er wies auf die Infanteristen, die im Laufschritt durch das mächtige Haupttor in die Kathedralenstadt vorstießen.
Carrick schürzte seine trockenen und rissigen Lippen. »Ich glaube kaum«, stellte er mit ruhiger Stimme fest.
»Sehen Sie?« Ekko klopfte ihm auf die Schulter, bevor er die paar Schritte zum Salamander zurücklegte und sich über das Heck in den offenen Kommandostand schwang, wo Gireth bereits an der dünnen Panzerwand lehnte.
Ligrev war wieder verschwunden.
Der Colonel setzte sich die Kopfhörer auf, gab dem Bordschützen ein Zeichen und sprach dann leise ins Mikrofon.
Das Panzerfahrzeug rasselte auf klirrenden Ketten los und wirbelte Sand auf, als es den vorrückenden Infanteristen ins Innere der Kathedralenstadt folgte.

***

Die Luft hatte sich verändert, der Lichteinfall der inzwischen sinkenden Sonne reduzierte sich beinahe auf null und urplötzlich wurde es wunderbar kühl.
Der warme Schweiß, der gerade noch seinen Rücken herabgelaufen war, sandte Schauer über seine Haut und ließ ihn frösteln.
Er schwieg bedächtig und lauschte den Schritten der anderen, versucht eine Unregelmäßigkeit in der sie umgebenden Stille zu entdecken.
Er fand keine. Nur abweisende, undurchdringlich vollkommene Stille.
Es wehte nicht einmal Wind. Fast konnte man dem Gedanken anheimfallen, er fürchte sich vor der Erhabenheit des Bauwerks.
Sein Blick wanderte prüfend nach links, sondierte die hoch aufragenden Gebäude.
Dreistöckig, durch fein verzierte Säulen gestützt, reihten sie sich entlang der schneckenhausförmig gewundenen Straße wie die Wände eines Canyons.
Er wies seine Männer an, sich noch etwas dichter an die Häuserfassaden zu schmiegen.
Hier waren sie gutes Ziel für jeden Angreifer – und gleichzeitig so exponiert, dass jeder Versuch, auf einen Überraschungsangriff mit tödlicher Gewalt zu reagieren, in einem schrecklichen Massaker geendet hätte.
Nicht, dass das für ihn von Belang gewesen wäre. Er war nur ein Diener des Imperators und sein Tod würde dem Imperium ein weiteres Stück seiner Größe geben.
Kriege wurden mit Blut gewonnen. Wessen Blut, das war unerheblich.
Von hinten rollte ein Salamander-Kommandopanzer die enge Wegschlucht hinauf, flankiert von weiteren Soldaten – von ‚Normalen‘.
Obwohl stets auf die vor ihm liegenden Bedrohungen gerichtet, erlaubte sich der einsame imperiale Kämpfer, stets aus einem Augenwinkel zu beobachten, wie das kleine Kommandovehikel und sein zerbrechlicher Begleitschutz zu ihm aufschlossen.
Je näher das Fahrzeug den lautlos vorrückenden Cadianern kam, umso langsamer wurde es.
Jetzt erkannte Krood auch, dass der Kommandopanzerwagen nicht allein mit Infanterieunterstützung unterwegs war.
Ein halbes Dutzend gepanzerte Chimäre-Truppentransporter begleitete ihn, die mit aufmerksam von links nach rechts und zurück schwenkenden Türmen die Umgebung sondierten.
Ihre klirrenden Gleisketten mahlten sich tief in den von Steppensand und Staub bedeckten Boden.
Wortlos folgte er mit seinem Blick, wie der gepanzerte Befehlswagen an ihm und seinen Männern vorbeidröhnte und knirschend zum Halten kam.
Über dem Rand des breiten Kommandoturms erschien die Büste von Galard Ekko.
Der imperiale Grenadier knirschte mit den Zähnen. Colonel Ekko.
Die Wahrheit über Ekko hatte er erst vom Kommissar erfahren. Ekko war ein Mistkerl, ein verdammtes, unfassbar selbstgerechtes Schwein. Er hatte die Effizienz und Opferbereitschaft der Kasrkin – seiner Kasrkin – ausgenutzt, um das Leben seiner eigenen Männer zu retten.
Verdammter Mistkerl. Stellte das Leben eines normalen Soldaten über das eines cadianischen Grenadiers, der gut zehn Männer wert war.
Er hoffte, dass sich diese Schande eines imperialen Offiziers nicht dazu herabließ, hier zu halten und die weitere Vorgehensweise mit seinen Männern zu besprechen.
Doch genau das tat der dunkelhaarige Basteter.
Nur einen Moment, nachdem der Salamander zum Stehen gekommen war, öffnete sich die Heckluke und Ekko sprang vom Kommandostand in den aufgewirbelten Staub.
Ein junger Funker folgte ihm und eine ...
Dem Grenadier verschlug es die Sprache. Eine Schwester des Adeptus Sororitas. Eine fanatische Elitesoldatin in der blutroten Rüstung des Ordens des Gläubigen Geistes.
Was – im Namen des Throns – tat sie hier? Hatte sie einen Auftrag, der Ekko betraf? Und vor allem, wer hatte sie hierher entsandt?
Die Sororita streifte seinen Blick mit kalten, stahlblauen Augen, die eine ungewöhnliche Reinheit ausstrahlten.
Ihr Gesicht war weich, mit zarten Zügen gesegnet und ihre blonden Haare zitterten bei jeder ihrer Bewegungen.
Sie ist wunderschön, stellte er beeindruckt fest.
Wortlos verfolgte er, wie Ekko und seine beiden Begleiter an die Seite des Kommandopanzers traten und der junge Funker eine Karte aus einer Beintasche zog. Ein Captain sprang vom ersten der folgenden Chimäre-Transportpanzer und ging schnellen Schrittes zu den anderen. Wie Ekko war auch er dunkelhaarig, aber etwas größer und sah nicht nur älter, sondern auch sehr viel eleganter wie der Colonel aus.
Links (und vermutlich auch rechts) der Transportpanzer gingen die Infanteristen in Stellung und begannen, die Umgebung aufmerksam zu sondieren. Man konnte ihnen ansehen, dass sie nervös und ängstlich waren.
Idioten. Ihnen fehlten nun einmal Disziplin und Effizienz der Kasrkin. Wie konnte irgendjemand, der bei klarem Verstand war, das Leben dieser Menschen nur gegen einen Trupp cadianischer Elitesoldaten aufwiegen?
Aber inzwischen wusste der Grenadier, dass Galardin Ekko nicht bei klarem Verstand war.
Er signalisierte seinen Kameraden ein kurzes ‚Halt’, dann schob er sich etwas näher an die Nicht-Cadianer heran, um ihnen bei ihrer Lagebesprechung besser zuhören zu können.
»Also, wie sieht es aus?«, erkundigte sich Ekko gerade und betrachtete die Karte, die durch ihn und den jungen Funker an der Panzerung des Salamanders gehalten wurde. Leise Funksprüche knisterten aus dem Tornister auf dem Rücken des Funkers.
Der Captain trat vor die Karte, orientierte sich kurz und deutete dann auf einen unsichtbaren Punkt im organisierten Chaos des Netzwerkes aus Wegen und Gebäuden. »Wir sind hier, nordöstliche Richtung, und nähern uns dem ersten inneren Ring.«
Der Grenadier sah bei diesen Worten auf und musterte die steile Mauer, die hoch hinter den mehrstöckigen Gebäuden in die Luft ragte.
Dahinter konnte man die gewaltige Kathedrale erkennen, deren zerbrechlich wirkende Türme beinahe bis hinauf in die Wolken reichten. Die Manifestation des Göttlichen. Der Schrein, der dem Wesen des Imperiums geweiht war.
»Major Carrick und Kommissar Ligrev sind bei der Hauptkolonne und organisieren das Einrücken und Verteilen der Bodentruppen«, fuhr der Captain fort und tippte auf einen anderen Punkt der Karte, der das Haupttor und das dahinter liegende Viertel der Stadt darstellte. Die Tatsache, dass Ligrev als Kommissar und Führungspersönlichkeit eigentlich irgendwo an der Front hätte sein müssen, blieb unangetastet.
Er fuhr mit den Fingern nacheinander zwei Hauptstraßen entlang, die parallel zur ersten Innenmauer durch die nördlichen und südlichen Bezirke verliefen.
»Erste Sturmkommandos durchkämmen die Randgebiete hier, hier und hier, haben aber bisher noch nichts finden können. Diese Stadt scheint tot zu sein.«
Ekko nickte nachdenklich und fuhr die Linien nach. »Eine Necropole«, stellte er abwesend fest. »Was sagt Maryan?«
»Kein Kontakt«, erwiderte der Captain. Seine Hand zuckte zu einer Stelle innerhalb der Mauern, die sehr weit östlich lag. »Seine Sentinels klären jetzt die restlichen Außenareale in dieser Gegend auf und melden sich, wenn sie etwas gefunden haben. Aber seiner Einschätzung nach sind wir vollkommen allein.«
»Freut mich natürlich, dass Maryan das auch so sieht«, brummte Ekko. »Aber es haben sich schon andere geirrt, was solche Einschätzungen angeht. Also warnen Sie die Männer, nicht zu unvorsichtig zu sein.«
»Verstanden«, nickte der Captain. »Soll ich einen Trupp Stalker zu unserer Unterstützung abstellen?«
»Nein. Die Transportfahrzeuge dürften reichen«, schloss der Colonel das Thema ab und sah sich um.
Der Grenadier folgte seinem Blick. Die dunkle Wolkenfront, welche die inzwischen sinkende Sonne verschluckt hatte und sich unaufhaltsam näherte, erinnerte ihn daran, dass den Offizieren vermutlich die Zeit davonlief.
In der Ferne grummelte es. Donner? Artillerie? Beides kam in Frage. Immerhin kämpfte irgendwo im Südwesten die imperiale Armee gegen den Orkmob. Da, wo er eigentlich auch hätte sein müssen, wenn nicht Ekko ...
Er verbannte diese Gedanken aus seinem Kopf und entschied sich, wieder den Worten der Offiziere zuzuhören.
»Ich will auf jeden Fall den innersten Ring so schnell wie möglich gesichert haben. Balgor, dafür sind Sie und Ihre Truppen verantwortlich. Der Platz und das Umland der Kathedrale sind einzunehmen, zu säubern und zu sichern.«
»Habe verstanden«, antwortete Balgor. »Wir sind direkt hinter Ihnen.«
Ekko nickte und drehte sich um, als habe er nur auf diese Gelegenheit gewartet. Hatte er wahrscheinlich auch. Ekko, Sie Mistkerl.
»Krood«, wandte sich der Offizier an den ihm unterstellten Sergeant. »Sie und Ihre Männer werden mich jetzt begleiten. Wir rücken auf die Kathedrale vor und stürmen das Gebäude – nur für den Fall, dass sich hier noch Feinde befinden.«
»Ich protestiere«, erwiderte der Kasrkin – zum ersten Mal in seinem Leben. »Die Sicherung dieses Gebiets hat Vorrang, um die Sicherheit der einrückenden Truppen gewährleisten zu können.«
Ekko bedachte ihm mit dem Bick. »Sie protestieren? Gegen einen meiner Befehle?«
In gespieltem Erstaunen hob er die Augenbrauen und sah die anderen Offiziere an. »Ich dachte, Befehle auszuführen sei für die Kasrkin die größte Ehre, die ihnen zuteilwerden könne?«, stichelte der imperiale Colonel.
Krood knirschte abermals mit den Zähnen. Wenn es eines gab, das man Ekko nicht vorwerfen konnte, dann war es die Tatsache, dass er über die Traditionen und Gebräuche der cadianischen Elitegrenadiere außerordentlich informiert war – und dass er wusste, wie er diese Tatsache gegen ihren Sinn und Zweck für seine eigenen Belange einsetzen konnte.
Doch das war eine verdammte Häresie, die ihn eigentlich das Leben kosten musste. Doch hier wollte der Grenadier nicht die Waffe heben und schießen. Das wäre sicherlich ein schwerer Fehler gewesen.
Ekko sprach von Ehre. Ehre? Wie konnte der Bastard es wagen, das Wort ‚Ehre‘ bei seiner gespaltenen Zunge in den Mund zu nehmen. Was wusste dieser Mann schon über Ehre?
Aber – beim Eid der Kasrkin – er hatte Recht. Die Befehle eines Offiziers zu ignorieren, auch wenn man ihn für ein inkompetentes Mistschwein hielt, das sich auf den Leibern seiner Gefallenen zu profilieren und gleichzeitig zu retten versuchte, wäre einem Verrat gleich gekommen. Etwas, das einem Kasrkin von seinesgleichen niemals vergeben worden wäre.
»Haben Sie nun Ehre oder nicht?«, erkundigte sich Ekko so ruhig, dass sogar einem gestandenen Kommissar für einen Augenblick die Luft weggeblieben wäre.
Der Cadianer starrte Ekko wie ein niederes Insekt an, dann jedoch nahm seine Ausbildung überhand. Er entschied sich, ihr weiter zu folgen und winkte seine Männer herbei.
»Zu Ihrer Verfügung, Colonel«, meldete sich der imperiale Grenadier.
Ekko lächelte dünn, als er, gefolgt von dem Funker und der schönen Sororita, wieder in den Kommandopanzer einstieg. »Also dann: vorwärts.«

***

Sie rollten die verlassenen Gassen entlang.
Das Gewitter hatte sich inzwischen entschieden, sie dabei zu begleiten und war rasend schnell näher gekommen.
Heftiger Wind trieb aufgewirbelten Staub mit kalten, gleichgültigen Zügen über die Straßen zwischen den riesig aufragenden Bauten und ein ozonhaltiger Geruch schwängerte die Luft als Vorbote der nahenden Himmelswut.
»Warum liegen hier keine Toten?«, fragte Gireth unvermittelt. Die Spannung, die von seinem Körper ausging, war fast so greifbar wie die knisternde Atmosphäre um sie herum.
Ekko folgte seinem Blick und verstand, was der junge Soldat meinte. Als sie die Makrokathedrale erreicht hatten, hatte vermutlich jeder von ihnen vermutet, dass sie innerhalb der Mauern des Komplexes ein Schlachthaus vorfinden würden. Nach dem bestialischen und blutreichen Massaker, das an den Menschen außerhalb des Festungsgürtels angerichtet worden war, hätte Ekko vermutet, dass sie knietief durch Blut waten mussten. Doch dem war nicht so.
Seit sie die massige Außenmauer durch das geöffnete Tor passierten hatten, rollten sie menschenleere, unberührte Straßenzüge entlang, bei denen man dem Gedanken anheimfallen konnte, dass die Bewohner dieser Kirchenstadt von dem Massaker vor den Mauern ihrer Makropole überhaupt nichts wussten. Es hätte so friedlich und beruhigend an diesem Ort sein können, wäre da nicht eine Sache gewesen, die Ekko Schauer über den Rücken trieb.
Die Straßen waren leer. So leer wie die Wege eine Necropole, tot seit tausenden von Jahren und von jeglichem Leben verlassen, das stimmte.
Aber – und genau das machte ihn nervös – es gab auch keine Hinweise darauf, dass hier jemals Leben existiert hätte.
Es war anders, das wussten sie, denn Maryans Sentinels hatten in den östlichen Ausläufern der Stadt Beweise dafür gefunden, dass an diesem Ort Menschen gelebt hatten, doch hier waren keine Anzeichen davon zu finden.
Das schleifende Klirren der Panzerketten prallte unnatürlich laut von den Gebäudefassaden ab und umtoste die vorrückenden Truppen wie das Gellen unseliger Geister.
Ekko lehnte auf den Rand des Kommandostands und musterte die langsam vorbeiziehenden Häuserfassaden.
Dieser Ort strahlte bereits nicht mehr den faszinierenden Hauch des Mysteriösen aus. Er war einfach nur noch unheimlich.
Seit sie dem spiralförmig angelegten Weg folgten, betrachtete der Colonel die um sie aufragenden Gebäude. Er hatte bisher weder Abnutzungsspuren, noch sonstige Anzeichen für ein alltägliches Leben entdecken können. Die Türen der Gebäude waren geschlossen, ebenso ihre Fenster und von Innen mit farblosen Gardinen verhängt, so als warteten sie auf ihre baldigen Benutzer.
Die um sie herum liegenden Straßen waren leer und perfekt rein, so rein wie … ein schneebedecktes Feld im Winter.
Verdammt sei der Thron. Weshalb musste er gerade jetzt an Leitis Sile denken?
Er wandte sich um und sah sich der blutroten Rüstung der Schwester gegenüber. Sie stand neben dem Bordschützen des Kommandopanzers und sondierte die Umgebung mit aufmerksamen Blicken. Ihn ignorierte sie vollkommen.
Der Pferdeschwanz ihres blonden Haars wehte im starken Wind, der unter Ekkos Uniformjacke fasste und ihn frösteln ließ. Was, im Namen des Throns, machte sie hier?
Der seichte Anstieg der Straße wurde allmählich steiler. Als sie die erste Innenmauer passierten, erreichte er die fünfunddreißig Grad.
Die Gebäude, zuvor noch dicht gedrängte, mehrstöckige Wohn- und Arbeitshäuser, wurden immer größer und prunkvoller.
Ausladende Alleen flankierten die zunehmend breiter werdende Hauptstraße auf dem Weg die Hügelflanke hinauf.
Ekko stellte fest, dass dieser Teil der Makropole im Gesamten sehr viel größer war als die Behausungen des vorherigen Ringes.
Wer auch immer hier gelebt hatte, man hatte sich den steigenden Luxus von Platz und fruchtbaren Boden auf diesem offensichtlich eher lebensfeindlichen Planeten einiges kosten lassen.
Ekko betrachtete die grünen Parkanlagen, die zu ihrer Linken auf stufenförmig absteigenden Terrassenanlagen zwischen langen Säulenformationen angelegt worden waren.
Wie lange war es her, dass er selbst Bäume, Hecken und grüne Wiesen in einer friedlichen Umgebung genossen hatte?
Eine Ewigkeit. Eine Ewigkeit, die sich bereits fast vollständig aus seinem Gedächtnis zurückgezogen hatte.
Er drehte sich um. Hinter ihnen rasselten die Chimären auf klirrenden Gleisketten die lange, mit Pflastersteinen bedeckte Straße hinauf.
»Das wird sicherlich keinen guten Eindruck hinterlassen«, bemerkte der Bordschütze und wies auf die Steine, deren Kanten bereits unter dem Gewicht des Kommandopanzers gesplittert waren. Mit einem halben Dutzend Chimären, die dem Salamander folgten, würde die Straße in wenigen Minuten sehr abgenutzt aussehen.
Der Colonel lachte. Hier kamen sie – zur Befreiung einer Kathedralenstadt, die sie im Zuge dieser Befreiung selbst zerstörten. Ein wirklich klassischer Gedanke.
»Ich kam, ich sah und demolierte«, murmelte er und wandte seinen Blick nach rechts, wo sich vier, nein fünf, Terrassen mit großen Anwesen erstreckten.
Es waren schmutzig weiße Gebäude mit breiten, säulengestützten Fronten und gewaltigen Spitzdächern, die selbst an kleine Kirchen erinnerten.
Ekko konsultierte die Karte, die Gireth ihm nach einem kurzen Wink reichte, und erkannte, dass in jede der vier Haupthimmelsrichtung fünf dieser Terrassen mit insgesamt vierzig Anwesen wiesen. Flankiert wurden sie von den mächtigen Parkanlagen, durch die zwei spiralförmig in Gegenrichtung verlaufende Straßen von den Außenanlagen der Stadt bis ins ihr Zentrum verliefen.
Ekko gab dem Funker die Karte zurück und genoss für eine Weile einfach den Ausblick, der sich ihm aus dem rumpelnden Panzerfahrzeug bot.
Von hier oben hatte man eine ungefähre Vorstellung von der eigentlichen Größe dieses Orts.
Einige Kilometer entfernt konnte Ekko eine der Walküren sehen, die auf einem der scheinbar zufällig über die äußeren Ringe verteilten Plätze gelandet war und dort nun auf weitere Befehle wartete. Trupps zweibeiniger Ameisen in Kampfuniformen der imperialen Armee verteilten sich im Laufschritt in der gewaltigen Stadt, während vor den Mauern der Makrokathedrale eine beeindruckende Staubwolke davon zeugte, dass sich das Knäuel der Fahrzeuge allmählich zu entwirren begann.
Gut so. Allerdings musste jetzt erst einmal genügend Platz gefunden werden, um alle ihm anvertrauten Fahrzeuge innerhalb der Mauern der Himmels-Kathedrale unterzubringen.
Ekko lehnte sich auf die Panzerung des Kommandostands, schloss die Augen und gestattet sich einen Moment der Ruhe. Sile und sein Regiment, Iglianus und Del Mar, das alles rückte weit in den Hintergrund.
Wo waren die Zeiten hin, als er noch einfacher Sergeant der PVS von Bastet III gewesen war? Ein Mann mit Perspektive, unerschütterlichem Glauben und lebensfroher Ironie?
Er war alt geworden, wenn auch nicht körperlich. Aber er fühlte sich alt. Gebrochen. Verroht.
Selbst, wenn er mehr als oft genug mit seinem Auftreten darüber hinweg zu täuschen versuchte, konnte er dennoch nicht verhindern, dass ihm eine Sache stets ganz deutlich im Hinterkopf blieb: Er hatte sich verändert.
Nicht zum Guten, denn dafür war sein Leben zu rigoros in negativen Bahnen verlaufen. Er war vielmehr vereinsamt und unglücklich geworden und hatte jeden Lebenswillen verloren.
Aber leider gaben nun einmal weder der Gott-Imperator, noch das gewaltsame Universum einen Deut darum, was ihm im Kopf umherging.
Und so blieb ihm, der er für eine Selbstverletzung viel zu feige war, nur der Versuch, sich möglichst unspektakulär aus der ewigen Gleichung von Gut und Böse zu streichen.
Der Kommandopanzer rumpelte heftig und Ekko schreckte auf.
Ein mächtiger Torbogen zog ruhig über sie hinweg. Erstaunt erkannte der Colonel, dass es das Tor der zweiten Innenmauer war, die den spiralförmig gewundenen Weg auf seiner Reise zum zentralen Komplex des Makropolbaus abermals unterbrach.
Er sah sich um. Die Umgebung war abermals von einem plötzlichen, signifikanten Wandel gezeichnet.
Riesige Gartenanlagen und beindruckend große, grüne Hecken umgaben gewaltige Herrenhäuser, deren durch Alleen flankierte Auffahrten von mächtigen, schmiedeeisernen Toren geschützt wurden.
Im Grunde waren sie nichts anderes als die Gebäude der vorherigen Ebene – nur noch größer und noch einschüchternder.
Die übersprudelnde Geldverschwendung erinnerte Ekko an vieles, aber sicherlich nicht an die Peripherie einer Kathedrale.
Der Reichtum, der ihm hier präsentiert wurde, sprengte jede ihm vorher bekannte Dimension.
Auf Bastet war Reichtum ein Nebenerwerb, den sich ein treuer Diener des Imperators leisten konnte, indem er seine Aufgaben gewissenhaft und stets ehrlich ausführte.
Er war weder Sinn, noch Zweck der Arbeit.
Hier allerdings … sah das anders aus. Prunk, Protz und Glanz schienen der Lebensinhalt der hier ansässigen Bewohner gewesen zu sein.
Wie konnte ein im Dienste – im heiligen Dienste – der imperialen Doktrin und dessen Urvater, dem göttlichen Imperator, stehender Komplex zur Zentrale ketzerischer Wertsammlungen werden?
Nicht, dass Ekko etwas dagegen gehabt hätte. Ihm war es egal. Sollte das verdammt Universum doch die Habgier der Ekklesiarchen nähren.
Aber ihn und seine Männer zu schicken, um ebendiesen Reichtum zu sichern, das war einfach nicht gerecht. Ihm gegenüber nicht und seinen Leuten gegenüber noch weniger.
Er wandte sich um.
Der stete Anstieg des Weges machte den Soldaten zu schaffen. Einige keuchten unter der schweren Ausrüstung bereits asthmatisch.
Aber vielleicht, dachte Ekko, ist es wirklich meine Schuld. Vielleicht habe ich den Gott-Imperator und das Universum einfach zu weit gereizt. Sie haben es tatsächlich auf mich abgesehen.
Urplötzlich flachte die steile Flanke des Hügels ab. Sie würden als bald die Spitze erreichen.
Schlau vom Gott-Imperator, mich gerade jetzt aus meinen Gedanken zu reißen.
Ekko warf einen Blick auf die Kathedrale, die stetig aus dem Boden wuchs und vor seinen Augen stetig anschwoll.
Bereits jetzt ragte sie in einer Gewaltigkeit in den dunklen Himmel, die Ihresgleichen suchte. Ein Gebäude, gebaut als ewiges Monument der menschlichen Rasse gegenüber dem Universum. Unzerstörbar und zerbrechlich zugleich. Unendlich lange Schatten waren die Fassade hinaufgeklettert und lauerten dort auf die winzigen Menschen, die in seltsam anmutenden Gefährten auf den Plan traten, sie in ihrer unendlichen Ruhe zu stören.
Ekko klopfte dem Bordschützen auf die Schulter, dann aktivierte er das interne Funknetz des Panzers. »Halten Sie hier. Wir gehen zu Fuß weiter. Stellen Sie nur den Feuerschutz sicher.«
»Verstanden«, antworteten Fahrer und Bordschütze gleichzeitig. Knirschend kam das Kommandofahrzeug zum Stehen.
Ekko nickte Gireth zu, dann öffnete er die Heckklappe und sprang vom Fahrzeug. Der junge Funker folgte ihm und schaffte es sogar, nicht wieder wie ein nasser Sack auf die Erde zu klatschen und dabei sein Gewehr im Boden zu versenken.
Sile folgte ihnen mit der unfassbaren Leichtfüßigkeit, die sie trotz ihrer schweren Servorüstung perfekt beherrschte.
Keuchende Basteter passierten sie in schweigender Konzentration im Laufschritt. Das gedämpfte Klirren ihrer Ausrüstung begleitete die asynchronen Schritte der Männer und ein schwerer Geruch aus Schweiß, Unruhe und Aufregung waberte träge und flüchtig hinter ihnen her.
Ekko wartete, bis sich eine Lücke im Strom der Männer auftat, dann lief er hinter ihnen her, Gireth und Sile im Schlepptau.
Ein gleißender Blitz flackerte über den Himmel. Die rollende Peitsche des harten Donners folgte ihm.
Direkt vor den Fahrzeugen gingen die Infanteristen in Stellung, eine Mauer aus Leibern und Waffen, die jedem Angriff sofort mit tödlicher Macht entgegenstehen würde.
Ekko passierte die Männer, wies Gireth und Sile an, zurückzubleiben und lief weiter vor. Er zog die Pistole aus dem Tiefziehholster und prüfte den Ladestatus der Waffe.
Mit leisen Schritten schlich er vorwärts und wartete darauf, dass jede Sekunde aus einem Versteck das Feuer auf ihn eröffnet wurde.
Doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen endeten die Gärten schlagartig, so als hätte man sie mit beim Erreichen der Hügelspitze abgeschnitten.
Ekko kniete sich hin, dann drückte er sich gegen den Boden und robbte die restlichen Meter nach oben.
Ein vorsichtiger Blick über den Rand der Straße zeigte ihm, dass die eigentliche Spitze des Bergs abgeschnitten worden und nun ein künstliches Plateau war, das die Kathedrale und das umgebende Areal trug.
Der Colonel lehnte sich noch ein Stückchen weiter vor und riskierte einen genaueren Blick darauf, auch wenn er wusste, dass er sich so exponierte und ein gutes Ziel für einen Scharfschützen bot. Aber das war ihm egal. Hier war ein guter Ort zum Sterben. Und sein Regiment wäre dann auch in Sicherheit, auf jeden Fall im Moment und relativ gesehen.
Einen Augenblick lang wartete er schweigend und hoffte, dass es ihn erwischte.
Als ihm aufging, dass ihn das Universum um ein weiteres Mal um seine Hoffnung und seinen Wunsch betrog, gab er es auf. Vielleicht würde es ihm später den Gefallen tun.
»Lasset alle Hoffnung fahren, die die Ihr hier eindringt. Euer Leiden wird unendlich sein – und Euer Geist vor Schmerzen schreien«, brummte er eine alte Litanei, die ihm urplötzlich ins Gedächtnis kam und nahm den Feldstecher, der vor seiner Brust baumelte, vor die Augen.
Ein heftiger Blitz erhellte das Umland. Donner ließ die Erde erzittern.
Ekko betrachtete das Bild, das sich ihm bot. Recht schnell ging ihm auf, dass die Karte, die er zuvor am Schützenpanzer studiert hatte, in keiner Weise den wahren Ausmaßen des Platzes gerecht wurde.
Das Forum war in Form eines mehrschenkligen Rechtecks angelegt, dessen Zentrum die Himmels-Kathedrale bildete.
Die Größe ließ sich bei diesem Wetter nicht wirklich ermessen, aber Ekko vermutete, dass auf dem Forum ein bis zwei Landungsschiffe der Imperialen Armee Platz gefunden hätten.
Thron von Terra, das würde Zeit kosten.
Der Colonel wandte sich um und wies die Soldaten mit einem knappen Wink an, sich abzuknien.
Dann fuhr er fort, das Gebiet zu beobachten und sich geistig einen Plan zu skizzieren, wie er gleichzeitig den Platz sichern und die Himmels-Kathedrale stürmen konnte.
Erneut flammte es in den Wolken auf. Donner krachte.
Ekko beobachtete die Front der Kathedrale, die sich vor ihm als künstlicher Berg auftürmte.
Beim Barte des Propheten, dachte er.
Die Makrokathedrale war ein uraltes Baumuster. Ein mächtiger, aufragender Bau, der so verziert und mit zusätzlichen Verschnörkelungen versehen war, dass sein Körper an eine Schnitzerei aus altem, morschem Holz erinnerte.
Ein gewaltiges, ehernes Tor mit einer Front aus fein gearbeiteten Totenschädeln, die sich auf jedem Torflügel um eine riesenhafte Darstellung einer Heiligen drängten, deren flammendes Schwert der Gerechtigkeit plastisch aus dem unzerstörbar wirkenden Material herausragte, bildete den Eingang zu dem Bau.
Ekko hob den Feldstecher wieder an die Augen.
Das Tor war groß. Es war sogar um ein weites größer als es zuerst den Eindruck gemacht hatte.
Je länger er den Eingang betrachtete, umso mehr gewann Ekko den Eindruck, dass mindestens zwei superschwere Baneblade-Panzer übereinander in das Innere der Kathedrale hätten einfahren können, ohne eine der Mauern oder das Portaldach zu rammen. Und genau da lag der Punkt. Sie hätten vermutlich einen Baneblade gebraucht, um den verschlossenen Eingang aufzubrechen.
Außer natürlich ...
Neben ihm tauchte Balgor auf. »Und, Chef?«
»Es ist zu«, stellte Ekko leise fest.
Krachender Donner unterbrach ihn. Der Platz flackerte in unwirklichem, fehlfarbenem Licht auf.
»Die Tür ist zu«, setzte der Colonel neu an und warf einen Blick zu seinem Untergeben. »Hier stimmt etwas ganz und gar nicht.«
»Ich bin der gleichen Meinung«, sagte Balgor und hob sein Lasergewehr, um einen Blick durch das Zielerfassungsgerät zu werfen. »Wenn ich vor einer verschlossenen Tür stehe, dann frage ich mich auch immer, warum man mich nicht einlassen will.«
Ekko lachte leise. »Dass man Sie aussperrt, kann ich verstehen … aber mich?«
»Da wiederrum kann ich mir schon ein paar Gründe vorstellen«, erwiderte der Captain neben ihm grinsend.
Ekko wandte sich ihm zu, um ihm diesen Sieg nicht zu gönnen. Doch er kam gar nicht mehr zum Antworten. Feuchtigkeit benetzte sein Gesicht.
Der Colonel streckte die Hand aus. Regen. Das war Regen. Kühle Wassertropfen fielen spärlich aus dem pechschwarzen Himmel.
Welche Heilige auch immer diese Welt beschützt hatte, sie hatte gerade begonnen, ihre Toten bitterlich zu beweinen.
»Verdammt. Jetzt fängt es auch noch an zu regnen«, brummte Balgor wenig taktvoll.
»Oh, Herr auf dem Thron«, erwiderte Ekko abwesend, während er mit seinem Feldstecher zum dritten Mal den Körper der Kathedrale abrasterte. »Es regnet! Während eines Gewitters! Oh, nein! Das muss eine Teufelei des Erzfeinds sein!«
»Punkt für Sie, Chef«, brummte der Captain.
Ekko nickte. »Notiert.« Dann nahm er den Feldstecher von den Augen und rollte sich zu Balgor herum.
»Ich vermute, dass innerhalb dieses riesigen Kirchentors noch eine kleinere Tür existiert. Die zu finden wird nicht ganz einfach.« Er dachte einen Augenblick nach. »Also gut. Folgender Plan: Schneller Vorstoß über den Hauptplatz, dann Sicherung des Gebiets. Kasrkin und einen Trupp mit mir, wir werden uns die Kathedrale ansehen, zweiter Trupp zu meiner Verfügung. Sie übernehmen das Kommando hier draußen. Bereiten Sie die Errichtung eines Kommandopostens vor und sorgen Sie dafür, dass der Platz vor der Kathedrale für den Anflug unserer Transporter frei bleibt. Alles andere liegt bei Ihnen.«
»Oh, vielen Dank«, murmelte Balgor sarkastisch. »Endlich etwas Verantwortung.« Er nickte Ekko zu und zog sich geduckt zurück, um die Befehle an die Unteroffiziere weiterzugeben.
Der Colonel blieb liegen und hob den Feldstecher abermals an die Augen.
Verdammt, was für ein riesiges Gebäude. Es würde nicht einfach werden, den gewaltigen Bau einzunehmen und abzuriegeln.
Das größte Problem dabei war, dass ihm nur Balgors Zug zur Verfügung stand, um die Kathedrale und dessen Umfeld zu sichern, was natürlich seine Möglichkeiten zur Truppenverteilung in gewisser Weise einschränkte.
Aber als Sergeant der Planetenverteidigung und Offizier der Imperialen Armee lernte man, mit Material- und Personalknappheit auszukommen.
Und genauso wie er hatte auch Balgor diese Erfahrung gemacht und den Umgang mit ihr verinnerlicht.
Er wusste also, worauf es ankam.
Gleißendes blaues Licht tauchte die Welt in ein bizarres Muster aus Licht und Schatten.
Himmlische Wut entlud sich in dröhnenden Wellen.
Die schweren, bleiernen Gewitterwolken bedeckten nun den Himmel in seiner gesamten Ausdehnung.
Gleich geht’s richtig los, dachte Ekko und ließ seinen Blick zu Balgor schweifen.
Der Captain befand sich bereits auf dem Rückweg vom improvisierten Briefing. Seine Sergeants gaben die Befehle ihres Kommandanten weiter. Basteter Infanteristen formierten sich zu zwei langen Kolonnen, die links und rechts an den Straßenrändern vorrücken würden, sobald sie den entsprechenden Wink erhielten.
Die Motoren der Panzerfahrzeuge, die sie flankierten, tuckerten im Leerlauf.
Balgor hechtete zu Ekko, duckte sich weg und warf sich auf den staubigen Weg. »So, Chef. Wir haben es. Die Jungs sind bereit und warten auf Ihr Zeichen.«
Ekko nickte abwesend. Das also war die Stunde der Wahrheit. Die Frage, was genau sie im Zentrum dieser Anlage finden würden, würde sich in den nächsten paar Minuten beantworten.
Den Tod?
Den Schrecken?
Er lächelte nachdenklich, als er an einen Menschen zurückdachte, dem das hier alles sehr viel bedeutet hätte. Vielleicht würde er sie bald wiedersehen.
Er hoffte es. Er wünschte sich, bald dem Horror diesem, seinem Leben entfliehen und in sich in die endlose Liste namenloser Verluste einreihen zu können, um dann, vom göttlichen Imperator begnadigt und seinen Leiden erlöst, die Ewigkeit mit ihr verbringen zu können.
Und um ganz ehrlich zu sein: Wer wollte schon ewig leben?
»Also dann los!«, befahl der Colonel und trat auf den riesigen Platz.
Balgor neben ihm wandte sich um, hob die Hände und gab das Startsignal. Dann folgte er seinem Colonel in die schutzlose, regnerische Kälte des von schwarzen Wolken verhangenen Abends.
Als hätten sie damit die Welt veranlasst, wieder einzuatmen, setzte das Klirren schwerer Panzerketten ein, als die Kolonne aus Truppentransportern und Schützenpanzern sich wieder in Bewegung setzte.
Mit ihnen schwärmten Basteter Infanteristen auf den Kirchenvorhof aus.