40k Stargazer (Abgeschlossen 17.04.2015)

Salve, hier das nächste Kapitel. Viel Spaß beim Lesen.

14

Sie hatten die Hälfte des Platzes überquert, als sie die volle Wucht der schweren Regenfront traf.
Die Plötzlichkeit und Heftigkeit, mit der das Wetter auf sie niederging, ließ Ekko für einen Moment lang taumeln. Augenblicklich reduzierte sich die Sichtweite auf wenige Meter und wich einem verschwommenen Bild aus unterschiedlich stark präsenten Grautönen.
Das Rauschen des niedergehenden Wassers verdeckte sogar die Schritte der Männer und die Panzermotoren. Nur das metallene Klirren der Gleisketten war noch zu hören.
Ekko schüttelte sich. Die plötzliche, kalte Dusche, welche die zuvor noch erhitzte Luft schlagartig abkühlte und wusch, brachte seinen Körper für einen Moment lang aus dem Gleichgewicht.
Neben sich hört der Colonel jemanden wütend schnauben. »Scheißwetter«, fluchte ein Soldat.
»Nirim, halten Sie die Klappe«, ertönte Balgors gekeuchte Antwort. »Sie wollten es den ganzen Tag doch nass und kühl haben.«
Rechts von Ekko tauchte der gepanzerte Körper von Krood auf. Wie konnte der Kasrkin in seiner Rüstung so dermaßen schnell laufen?
Blaues Leuchten erhellte die Umgebung. Röhrender Donner ließ den Erdboden erzittern.
Mit großen Schritten näherte sich Ekko dem dunklen Schatten des Kirchentors, das sich vor ihm aufbaute.
In wenigen Sekunden …
Ein feuriger Energieblitz brach aus einem der hoch oben gelegenen Fenster der Kathedrale hervor und lenkte ihn ab.
Ein Angriff!
»Achtung!« Instinktiv warf sich Ekko auf den Boden und rutschte den letzten Meter gegen die Außenmauer.
Captain Balgor kam neben ihm zum Halten und ging in die Hocke. »Boss, was ist passiert?«, fragte er.
»Haben Sie denn den Blitz nicht gesehen?«
Helles Licht flammte über den Himmel. Schwerer, rollender Donner brach über sie herein.
»Ach so, ja, jetzt sehe ich den auch«, erwiderte Balgor.
Der Colonel knirschte mit den Zähnen. Mit einem Mal kam er sich ausgesprochen dämlich vor. Hatte nur er das Leuchten gesehen?
»Nein, ich meinte das Licht, das aus dem Turmfenster kam.«
»Alles okay, Boss?«, fragte Balgor und beugte sich über seinen Kommandeur. Er glaubte ihm kein Wort.
Ekko gab es auf. Vielleicht war es ja wirklich eine Spiegelung gewesen oder einfach nur Einbildung.
Er funkelte den Captain an. »Ja, natürlich geht es mir gut. Ich dachte nur, ich fange hier unten mit der Suche nach der Tür an. Was dachten Sie denn?«
»Nichts«, erwiderte der Basteter mit einem mühsam verkniffenen Lachen. »Sind Sie denn fündig geworden?«
»Nein, natürlich nicht«, brummte Ekko. »Ich suche noch.«
Aufmerksam nickte Balgor. Dann hob er hilfsbereit die Hand und deutete auf einen Punkt wenige Meter entfernt. »Vielleicht sollten Sie es da drüben versuchen, Sir. Da ist das Tor.«
Ekko stand auf und klopfte gegen seinen von Matsch bedeckten Drillich. »Ach ja, richtig«, antwortete er.
Basteter Infanteristen hatten bereits beiderseits der Torflügel Aufstellung genommen.
Ekko erntete befremdete Blicke, als er wie ein planloser Pantomime begann, die Tore abzutasten. Vermutlich hielten die Leute das, was sie in der regnerischen Dunkelheit von ihm erkennen konnten, für verrückt.
Aber das war ihm egal. Hier irgendwo musste doch ...
Das kalte, glitschige Metall eines nassen Türrings glitt in seine Hand.
»Licht!«, befahl er knapp.
Einer der Soldaten trat zu ihm und aktivierte die Gewehrlampe. Ein schmaler, heller Streifen Licht traf auf den von Ornamenten bedeckten Torflügel.
Ekko wies den Mann an, sein Licht über die Fläche gleichen zu lassen.
Der Türring selbst war ein aus einer Art von Messing gearbeitetes und blank poliertes, aber vom schmirgelnden Staub der Steppe bereits teilweise abgeriebenes Stück, das mit einem dicken Bolzen im ehernen Körper des Tores versenkt war.
Und da es zu klein war, um das Gesamtwerk zu öffnen, musste es einfach zu einer Tür gehören.
Ekko warf noch einen Blick auf die gewaltige, mit Totenschädeln verzierte Front, die im Flackern eines weiteren Blitzes vor ihm aufleuchtete.
Erst jetzt ging ihm auf, dass das Schwert der Heiligen, das so plastisch aus der Darstellung herausragte, direkt auf ihn wies.
Vielleicht war das ein Hinweis. Das würde sich nun zeigen.
Ekko drehte den Türring und zog daran. »Sesam, öffne dich!«
Doch der Eingang blockierte.
Er packte das Schloss und rüttelte daran.
»Sesam, geh auf!«
Keine Reaktion. Vielleicht gab es doch keine Tür und er hatte sich geirrt. In diesem Falle wäre das, nicht nur für ihn, eine sehr blamable Angelegenheit geworden. Ähnlich wie diese Sache damals auf Bastet, als eine Gruppe Aufständische einhundert Meter vor den Augen seiner PVS-Einheit die Brücke in die Luft sprengten, die sie gerade noch gesichert geglaubt hatten.
Auch, wenn dieser Vorfall mit einem sehr unangenehmen Nachspiel geendet hatte, hatte der damalige Sergeant eine wichtige Lektion für sein Leben gelernt: Meist waren es die kleinen, aber wichtigen Dinge, die man übersah.
Ekko packte den Gewehrlauf des Lasergewehrs, das noch immer auf den Türring zeigte und drückte die Waffe etwas nach unten.
Ein schmaler Schlitz, unter dem großen Ring von ihm zuerst übersehen, offenbarte, was sie brauchten, aber nicht besaßen. Einen Schlüssel.
Der Colonel stieß einen entnervten Seufzer aus. Nicht auch noch das.
»Ich bringe dir den Wetterbericht!«, fuhr er das Schloss an. »Es blitzt und donnert! Und du wirst sicherlich vom Blitz getroffen, wenn du nicht kooperierst!« Dann rüttelte er noch einmal am Türring.
Das Schloss verweigerte weiterhin die Zusammenarbeit.
Ekko knirschte mit den Zähnen.
Regenwasser lief von seinem Kopf über sein Gesicht, Hals und Nacken unter seinen Uniformdrillich, der bereits die Konsistenz frisch gewaschener Wäsche annahm.
Die Zeit rannte haltlos vorwärts – und mit jeder verstrichenen Sekunde wuchs seine Wut über das wenig kooperative Stück einfachster Technologie, das er nicht überwinden konnte.
Es waren vielleicht fünfzehn Sekunden vergangen, in denen Ekko und die Verriegelung ihre Blicke gemessen hatten, da traf er eine Entscheidung.
Ohne ein weiteres Wort zog er die Laserpistole aus seinem Tiefziehholster, aktivierte die Energiezelle und richtete sie auf das Schloss. »Achtung, Feuer!«, rief er und setzte einen Schuss direkt in den schmalen Schlitz.
Knirschend löste sich Metall auf, zerbarst ob der intensiven abgefeuerten Energie. Ekko drehte den Türring in seiner Halterung, rüttelte daran und spürte plötzlich, wie die schwere Holztür aus der Verrieglung rastete.
Noch eine interessante Tatsache: Man zog sie nicht auf. Man drückte. Gut, daran hätte er auch vorher denken können … Vielleicht war sie ja doch offen gewesen.
»Und los!«
Mit ihren Gewehren im Anschlag rückten die Kasrkin vor und stießen die schwere Holztür im großen Tor der Basilika auf.
Krood voran, gingen sie in den Raum vor, gefolgt von Lenhims Trupp, dessen Mitglieder bemüht waren, den cadianischen Elitesoldaten in nichts nachzustehen, und Leitis Sile.
Gireth wollte sich ebenfalls auf den Weg machen, um sie zu unterstützen, aber Ekkos Hand legte sich auf seine Schulter.
»Du bleibst bei mir«, forderte er den jungen Soldaten auf. Seine Stimme duldete keinen Widerspruch.
Dann folgte der Colonel den Männern durch die Holztür.
Beruhigende Dunkelheit empfing sie.
Urplötzlich fiel die Temperatur um fast fünf Grad. Eine angenehme Kühle wehte ihnen gleich dem Wind eines gemäßigten Tages entgegen.
Nach dem schweren Regenguss, der drückenden Hitze in den Fahrzeugen und dem gnadenlos Wind, der den Sand im Umland umher getrieben hatte, waren die Soldaten dem Imperator für diesen Moment der Ruhe dankbar.
»Sicher!«
»Hier auch!«
»Verstanden«, bestätigte Kroods Stimme von überall die Meldungen seiner beiden Grenadiere mit einem leisen, warnenden Unterton der Vorsicht. »Weiter vorrücken.«
Wortlos und fast lautlos trabten sie im leichten Laufschritt vorwärts.
Balgor trat zu Ekko, der sich irgendwo neben den Haupteingang gestellt hatte, um weitere Infanteristen durchzulassen. »Den Wetterbericht?«, fragte er verwundert.
Ekko zuckte die Schultern. »Die Mitleidstour. Hat nicht funktioniert.« Dann folgte er den Soldaten ins Innere des Hauptschiffs.
Schmale Strahlen starker Gewehrlampen tanzten in die undurchdringliche Dunkelheit hinaus und suchten den Boden im näheren Umfeld ab.
Was sie fanden, machte den Imperialen nicht gerade Mut.
Zerschlagene Bänke, gebrochen und zersplittert, säumten den Weg in Richtung Altar.
Egal, welche Grausamkeiten hier stattgefunden hatten, der Fantasie verliehen ihre Überbleibsel Flügel. Während die Kasrkin ihrem Wesen als perfekt gedrillte, furchtlose Kämpfer gerecht blieben und das zerrissene Umfeld wortlos ausblendeten, wurden die restlichen Soldaten immer langsamer.
Sie waren bereits ein gutes Stück in das Innere des geweihten Raumes vorgedrungen, als die kleine Gruppe aus Imprialen zum Stehen kam.
Im brutal hellen Licht eines folgenden Blitzes starrte ihnen das Grauen entgegen.
Menschen.
Mehrere Dutzend Menschen saßen auf den noch heilen Bänken an den Außenseiten des Hauptschiffs, so als seien sie von dem, der hier die Verwüstungen angerichtet hatte, vollkommen außer Acht gelassen worden.
Lasergewehre wurden knirschend entsichert und in dem Moment hochgerissen, da die Kathedrale wieder in tiefste Dunkelheit getaucht wurde.
Regen prasselte dröhnend auf das weit über ihnen gelegene Dach. Ansonsten war kein weiteres Geräusch zu hören.
Die imperialen Soldaten standen vollkommen unter Schock. Urplötzlich fiel die Temperatur in die Tiefe.
Weiter vorne knirschte es. Holz brach.
Einer der drei Kasrkin ging festen Schrittes durch die zerschlagenen Bankreihen auf den ihm wohl am nächsten sitzenden Mann zu, um ihn anzusprechen.
Atemlos warteten die Soldaten, was geschah.
»Gireth«, flüsterte Ekko nach hinten. Er erntete ein ersticktes »Ja?«
»Zweiter Trupp zu mir.«
»Verstanden«, antwortete die ängstliche Stimme. Das Funkgerät rauschte. »5120100 an 5120202 …«
»Die sind tot«, meldete der Kasrkin vor ihnen. Wie Ekko sehen konnte, hatte er den sitzenden Körper erreicht und betrachtet. »Sieht nach einer Form von rituellem Selbstmord aus.«
»Ja, verstanden. 5120202 unterwegs«, schrie das Funkgerät seine Antwort in die kalte, einsame Stille hinaus.
Irgendjemand grunzte vor Schreck.
Ein gleißender Blitz flammte auf.
Der gellende Donner ging in schwere Schritte über.

***

»Das ist echt unheimlich«, flüsterte Gireth an Rahael gewandt.
Der junge Cadianer, der seinen Kameraden nicht sehen konnte, nickte in das Dunkel und versuchte, sich an ein passendes Gebet für einen solchen Fall zu erinnern.
Er fand keines.
Im starken Schein seiner Gewehrlampe, das trotzdem nur wenige Meter weit reichte, konnte er das zerschlagene Holz einstmalig reich verzierter Sitzbänke sehen.
Der Grusel, der ihn bei dem Gedanken überkam, was genau hier geschehen war … vielleicht war es besser, sich nicht damit zu beschäftigen.
Gedämpfte Schritte näherten sich aus dem Dunkel, das vor Rahaels Augen immer wieder von einem sehr dunklen Blau in ein tiefes Schwarz überging. Im knisternden Schweigen der vom Gewitter aufgeladenen Luft ließ es seine Haare zu Berge stehen.
Die schemenhaften Schatten von Melbin und einem anderen Soldaten huschten vorbei.
Im Gegensatz zu den Neulingen bewegten sie sich auch in der Schwärze zielsicher und leise.
Lichter tanzten durch die bläulich angehauchte Nacht, streiften Eingangstore und Säulen.
Weitere Basteter fluteten, die Waffen im Anschlag, in den Raum.
Das schwere Trommeln ihrer Schritte, die gedämpft klirrende Ausrüstung und scharfe Knirschen ihrer Lasergewehre schallten durch die Kathedrale.
Irgendwo weiter vorne knackte es laut. Holz brach mit einem Geräusch, das durch die gewaltige Basilika peitschte. Der gefauchte Fluch eines imperialen Soldaten machte klar, was geschehen war.
Rahael trat einen Schritt zwischen die Bänke und zog Gireth mit sich, damit die erfahreneren Soldaten sie ungehindert passieren konnten.
Ein strahlender Blitz zuckte vor den Buntglasfenstern auf die Erde. Für einen Augenblick lang erstrahlte das Hauptschiff des Baus in unwirklichem Licht.
Da saßen sie: die Toten auf den Bänken, ihre Hände zum Gebet gefaltet und mitten in der Bewegung erfroren.
Die Panik, die Rahael bei diesem Anblick verspürte, hätte niemand beschreiben können. Eiswasser rann über seine Haut, das heiße Kribbeln schwerer innerer Unruhe erfasste seinen restlichen Körper.
Als diese beiden Gegensätze zusammenprallten, konnte er nicht anders als sich vor Aufregung zu schütteln.
Er wollte hier raus. So schnell wie möglich.
»Der Horror«, flüsterte ein Soldat aus Balgors Trupp in seiner Nähe.
Das dumpfe Klatschen von Haut auf Haar ertönte, als sein Kamerad ihm einen Schlag auf den Hinterkopf gab. »Halt’s Maul!«
»Konzentriert euch«, murmelte jemand anderes erregt.
Wieder knackte Holz. In der Stille klang es unnatürlich laut. Rahael versuchte, sich nicht vorzustellen, wie jemand sich in der Dunkelheit an ihn heranschlich.
»Alles in Ordnung, Jungs?«, erkundigte sich eine körperlose Stimme direkt hinter ihnen.
Gireth und Rahael fuhren erschrocken herum. Im Licht ihrer Gewehrlampen sah Colonel Ekko sie an. War er nicht eben noch vor ihnen gewesen?
Auch der Colonel wirkte angespannt, aber es gelang ihm, diese Belastung zu einem großen Teil zu verbergen. Einzig die tiefen Schatten in seinem Gesicht zeugten davon, wie sehr ihn die Situation mitnahm.
Vielleicht aber ließen auch nur die Lampen, die direkt in sein Gesicht strahlten, ihn so dermaßen gerädert aussehen.
»Kann man nicht behaupten«, flüsterte Gireth, bemüht, die in diesen Mauern beheimateten Geister nicht auf sich aufmerksam zu machen.
»Dann sind Sie genau die Richtigen«, antwortete der Colonel. »Wollen wir?«
Mit einem schwachen Nicken deutete er in die hallende Schwärze, in der versprengte Taschenlampen scheinbar zufällige Muster auf den Boden malten.
Rahael schluckte schwer. »Eigentlich ungern.«
»Oh«, murmelte Ekko in das ferne Grummeln eines weitreichenden Donners, der durch die offene Tür zu ihnen ins Gemäuer strömte und sich im hallenden Inneren der Basilika verlor. »Das kann ich sehr gut nachfühlen.«
Langsam nickte Rahael und warf einen Blick zu Gireth, dessen Gesicht er nur schemenhaft sehen konnte.
Der Funker stand geduckt neben ihm, vom Gewicht seines Funktornisters und der Düsternis niedergehalten. Er wirkte nicht besonders glücklich.
»Also, Jungs. Lasst uns den Schatten trotzen«, schlug der Colonel vor und betrachtete sie aufmerksam.
Rahael nickte. Die Furcht hatte noch immer die Kontrolle über seinen Körper, aber er war bereit, für Ekko gegen sie anzutreten.
Gireths Haltung verriet, dass es ihm nicht so erging. Er bewegte sich zögernd, widerstrebend und überließ Rahael und seinem Lasergewehr die Führung in das Hauptschiff.
Ein leuchtender Blitz ging wütend auf die Erde nieder.
Donner rollte durch die Wände des Gebäudes und verklang in der riesigen Halle.
Rahael wandte sich um und guckte, ob Colonel Ekko überhaupt noch hinter ihnen war. Bei den unheimlichen Schatten, die sie lauernd umstrichen, hätte es ihn nicht gewundert, wenn der Colonel urplötzlich verschwunden gewesen wäre.
Doch Ekko folgte ihnen langsam weiter in das Gemäuer. Jeder seiner Schritte hallte bis zur Unendlichkeit und kehrte einige Augenblicke später von dort zurück. Ein neuerlicher Schauer kroch über Rahaels Rücken.
Je tiefer sie in das Hauptschiff eindrangen, umso dunkler schien es um sie herum zu werden. Die Taschenlampen durchdrangen die kalte Finsternis wie verängstigte Laserstrahlen, die sich freiwillig nie getraut hätten, den schützenden Mantel ihrer Gewehre zu verlassen.
Rahael gelangte zu der Ansicht, dass nicht einmal die hellste Sonne eines glutheißen Tages durch die Hauptfenster fluten und das Innenleben dieses Baus mit Licht erfüllen konnte.
Ein gleißender Blitz erleuchtete die Himmels-Kathedrale.
Schwerer Donner ließ die Buntglasfenster klirren.
Wieder kam die Schützenreihe vor ihnen zum Stehen. Gewehrlampen wurden geschwenkt, sandten ihr Licht über die zerstörten Bänke und verloren sich schließlich in der Finsternis.
Wie konnte ein Raum nur so dermaßen dunkel sein?
»Das ist keine Durchschnittsfinsternis mehr«, keuchte Gireth aufgeregt. »Das ist fortgeschrittene Finsternis.«
»Im Endstadium«, wandte Colonel Ekkos Stimme von irgendwo her ein. »Wir brauchen Strom, Gireth. Sorgen Sie dafür.«
Rahael hört die Anspannung in der Stimme des jungen Funkers, der direkt neben ihm stand und trotzdem nur als undeutlicher Schemen zu erkennen war. Sie erinnerte ihn an seine eigene Furcht vor diesem Ort. »Wie soll ich das tun?«
»Treiben Sie die anderen mal etwas an«, erhielt er zur Antwort.
Ein gleißender Blitz warf einen langen, bedrohlichen Schatten über Rahaels Schulter.
Der junge Cadianer fuhr erschrocken herum, hob sein Gewehr und leuchtete … direkt in das Gesicht von Leitis Sile. Vor Schreck stieß er Luft aus.
Die Prioris erinnerte ihn jetzt mehr denn je an einen imperialen Todesengel, der durch die tiefen Verliese einer toten Gruft glitt, um unselige Grabräuber zu meucheln.
Wo war Colonel Ekko?
»Nun, Soldat?«, fragte sie mit feenweicher Stimme und bedachte ihn mit einem auffordernden Blick, der ihn entweder zum Weitergehen bewegen sollte oder …
Er wollte noch verhindern, dass er in dieser Situation genau diesen Gedanken dachte, aber das war beinahe unmöglich.
Er wandte sich ab, errötete und hob das Gewehr an die Schulter, um etwas gedankenlos in der Gegend umher zu leuchten.
Tiefreichender Donner ließ die Kathedrale erzittern. Er raste in die Haupthalle, durchmaß das Gemäuer in seiner gesamten Größe und verlor sich allmählich. In die folgende Stille sangen ferne, murmelnde Stimmen Lobhymnen auf den heiligen Imperator.
Wie groß die Himmels-Kathedrale war, ließ sich dadurch nur erahnen. Aber Rahael glaubte, dass sie einfach mehr als riesig sein musste.
Die blutrote Rüstung Leitis Siles schob sich an ihm vorbei. Ein Hauch kühler Erotik streifte ihn mit ihrem Duft.
Der junge Cadianer konnte nicht anders, als die langsam vorwärts gehende Sororita mit seiner Gewehrlampe anzustrahlen.
Die murmelnden Stimmen verklangen.
Langsam ließ er das an seiner Waffe montierte Licht über sie gleiten. Auch, wenn der massige Körperpanzer sie bedrohlich aussehen ließ, so konnte man dennoch erkennen, dass sich darunter eine schlanke, äußerst weibliche Figur befand.
Als Rahael daran dachte, wie sich dieser geschmeidige Körper im Lazarett gegen die vielen Soldaten gewehrt hatte, fühlte er wieder Hitze in sich aufwallen.
Er erinnerte sich daran, wie er sie gefunden hatte, wie sie versucht hatte ihn zu töten und an ihre kalte, berechnende Art. Und er spürte, dass da etwas war, das ihn zu ihr hinzog. Etwas, das in diesem Augenblick vollkommen unpassend war, aber das er irgendwo in seinem Innersten spürte und das ihm einen Strohhalm bot, an den er sich klammern konnte.
Am Himmel flackerte ein großer Blitz auf.
Sile blieb stehen. Einen Augenblick lang schwieg die Prioris, bevor sie sich entschied, doch das Wort an ihn zu richten.
»Rahael«, sagte sie mit ruhiger, konzentrierter Stimme, ohne sich umzudrehen. »Wenn sie es noch einmal wagen, mich in diesem Dunkel anzuleuchten, dann töte ich Sie.«
Krachender Donner unterstrich ihre Worte.

***

Ungefähr fünf Minuten später trat Gren Krood zu Colonel Ekko und Captain Balgor.
Die beiden Offiziere standen nebeneinander in der knisternden Stille voller flüsternder Stimmen, die in den Momenten zwischen den Donnerschlägen des Gewitters das Einzige waren, was man im Innern der gewaltigen Kathedrale wahrnehmen konnte.
Für sie grenzte es beinahe schon an ein Wunder, dass sie sich im Herzen der Finsternis gefunden hatten, doch dass auf einmal Krood mit der Selbstsicherheit vollkommenen Wissens zu ihnen trat, erstaunte sie umso mehr.
»Was gibt es?«, fragte die schemenhafte Gestalt Colonel Ekkos.
»Das Gebiet scheint sicher zu sein«, meldete der Kasrkin mit gedämpfter Stimme.
Balgor stöhnte. »Scheint?«
»Die derzeitige Ausleuchtung des Zielgebiets lässt eine genauere Lageaufklärung nicht zu«, antwortete der Cadianer ungerührt.
»Schön zu hören«, stellte Ekko fest. »Ich hatte schon gefürchtet, Sie könnten alles.«
Der Elite-Sergeant überging die Bemerkung einfach. Sie zu parieren wäre ihm zu viel Energieverschwendung gewesen. Galardin Ekko war diese Energie bei weitem nicht wert. »Sir, mit Ihrer Erlaubnis würde ich die oberen Ebenen der Himmels-Kathedrale durchsuchen.«
Ekko und Balgor sahen sich an. Krood konnte sich denken, dass sie einander nur schemenhaft sahen und daher keine stumme Konversation zu führen in der Lage waren.
»Die oberen Ebenen sind wichtig«, gab der Captain zu bedenken. »Wir sollten auf jeden Fall feststellen, ob sie sicher sind oder nicht.«
»Das stimmt«, überlegte Ekko. »Aber in diesem Moment möchte ich eigentlich keine Truppen freistellen. Wir wissen nicht, was uns hier noch erwartet.«
»Sir«, warf Krood ein. »Diese Leute sind tot. Sie haben keinen Einfluss auf unsere Präsenz hier. Ich halte die oberen Ebenen für sehr viel gefährlicher, solange sie nicht aufgeklärt sind.«
Balgors Schatten nickte zustimmend. »Er hat recht, Chef. Eine Einheit sollte auf jeden Fall aufklären, wie es da oben aussieht.« Er wies in Richtung des Kathedralendachs.
Der Colonel zögerte. Er schien sich nicht mehr sicher zu sein, was er mit der Idee des Sergeants anfangen sollte.
Krood konnte es ihm nicht verdenken. Ekko war ein Mistkerl, stets auf den eigenen Vorteil aus. Er tat Dinge nur, um sich selbst ins bessere Licht zu rücken und um sein Regiment zu schützen.
Ein junger Soldat trat aus dem Dunkel. Der schwere Funktornister auf seinem Rücken zwang ihn in eine gebückte Haltung.
Ekko wandte sich um, als der Mann näher kam. »Was gibt es, Gireth?«
Die Stimme des jungen Funkers zitterte vor Aufregung. »Major Carrick hat Ihren Befehl bestätigt. Soldaten schwärmen in die Stadt aus, um die restlichen Generatorgebäude zu erreichen.«
»Sehr gut. Vielleicht bringt das etwas Licht in die Sache«, bemerkte Ekko. »Danke Gireth, gut gemacht.« Dann wandte er sich wieder Krood und Balgor zu.
»Spätestens, wenn wir die Generatoren wieder in Betrieb nehmen, wissen sie, dass wir hier sind«, gab der Captain zu bedenken.
Ekko biss sich geistesabwesend auf die Lippe. Offensichtlich rang er mit den verschiedenen Aspekten von Kroods Vorschlag.
»Sie wollen das übernehmen?«, fragte er zweifelnd und glitt wieder in eine geistige Abwesenheit. In seiner Lage hätte Krood sicherlich auch länger überlegt, bevor er eine unsichere Operation genehmigt hätte.
Der Kasrkin-Sergeant nickte. »Natürlich, Sir.«
Ekko und Balgor sahen sich wieder an.
»Wie sieht Ihr Plan aus?«, erkundigte sich der Captain, der Krood immer mehr an Ekko erinnerte, abgesehen von der Beobachtung, dass er kompetent zu sein schien.
»Den Plänen nach zu urteilen und dem, was man von der Himmels-Kathedrale sehen konnte, scheint die oberste Plattform das Fundament eines Beinhauses zu sein, das man über die Außen am Fels entlanglaufende Wendeltreppe erreichen kann.
Da die Treppe nicht im Felsen endet, sondern bis aufs Topp führt, schließe ich daraus, dass das Beinhaus durch eine äußere Tür zu erreichen ist.
Da setzen wir an. Wir sichern das Beinhaus und den Bereich der Plattform, bevor wir über die Wendeltreppe in die Tiefe vorstoßen und uns hier wieder mit den Truppen vereinigen.«
»Klingt gut«, überlegte Balgor. »Aber es ist ein langer Weg nach oben.«
»Das stimmt.« Krood nickte bestätigend. »Darauf sind wir trainiert.«
Der Captain gab sich mit der Antwort nicht zufrieden. »Wie hoch ist die Chance einer Aufklärung durch den Feind?«
»Unbemerkt kommen wir auf keinen Fall nach oben«, stellte der Kasrkin klar. »Es wird uns jemand entdecken, ob wir wollen oder nicht. Spätestens, wenn wir auf der Plattform stehen, wissen die, dass wir da sind. Die Frage ist nun, wie wir damit umgehen.«
»Und wie gehen wir damit um?«, bohrte Balgor weiter.
Krood ließ die Waffe aus seiner Hand gleiten, um besser erklären zu können, was er vorhatte.
Das HE-Lasergewehr knirsche leise, als sein Trageriemen es davon abhielt, laut polternd auf den Boden zu schlagen und es stattdessen vor Kroods Brustpanzerung hängen blieb.
»Im Grunde ist es eine Frage der Geschwindigkeit. Wir können den Feind nur bedingt überraschen, aber wir können ihn vollends überrennen. Es muss uns lediglich gelingen, ihm keine Gelegenheit zum Zuschlagen mehr zu geben.«
»Sie spielen da mit recht heißen Kohlen«, bemerkte der Captain. »Ihr Plan hat Schwachstellen.«
»Es gibt keinen perfekten Plan«, antwortete Krood ruhig.
»Und wieso gehen Sie gerade davon aus, dass sich jemand – sollte überhaupt irgendwer hier sein – gerade im Beinhaus auf dem Topp der Kathedrale verschanzen sollte?«
»Wahrscheinlichste Stelle«, erwiderte Krood. »Dort hat man verlässliche Tarnung, eine schwer zu erreichende Deckung und außerdem einen weiten Blick über die umliegende Steppe. Ideal, um eine angreifende Streitmacht zu bekämpfen.«
»Bekämpfen?«, fragte der Basteter ungläubig. »Da oben ist doch nicht mal genug Platz für ein Kampfgeschütz.«
Der cadianische Elitesoldat zuckte unbeeindruckt die Schultern. »Man könnte die Kathedrale auch einfach … sprengen.«
Ein Blitz teilte den nächtlichen Himmel, gejagt von einem röhrenden Donner.
Krood fiel auf, dass Ekko sich vollkommen aus ihrem Gespräch ausgeklinkt hatte. Wo er sich gerade befand, konnte wahrscheinlich niemand sagen, aber Krood vermutete, dass er sich irgendwo sehr, sehr tief in seinen Gedanken verloren hatte. Auch, dass der basteter Captain die Gesprächsführung übernommen hatte war ein Indiz dafür, auch wenn Krood vermutete, dass das eigentlich gar nicht seiner Aufgabe oblag.
»Sprengen?«, fragte Balgor ungläubig. »Wie, im Namen des Throns sollte das jemand tun?«
»Das Gelände ist durch Abwasserleitungen und Versorgungsschächte gut untertunnelt. Mit einem oder zwei Nuklearsprengköpfen kann man die gesamte Makrostätte hochgehen lassen.«
»Na, das meine ich doch nicht«, erwiderte der Captain, von der lebhaften Vorstellung offensichtlich aus der Fassung gebracht, gereizt. »Ich meinte, wie sich jemand für so etwas selbst opfern kann?«
»Sie haben eine Sororita in Ihrem Regiment. Fragen Sie die doch einfach.«
Für einen Augenblick zögerte Balgor und Krood glaubte zu spüren, wie sich eine Aura der Wut um ihn herum aufbaute. Dann jedoch entschied sich der Captain, der gezielten Stichelei des Sergeants keinen Nährboden zu geben und sich nicht in die Falle locken zu lassen. Stattdessen kam er zum eigentlichen Thema zurück. »Also gut. Wenn die Treppe keine Option ist: was bleibt dann?«
»Der Luftweg.«
»Der Luftweg?« Balgors Stimme klang wenig überzeugt. Vermutlich war für ihn nicht vorstellbar, was Krood im Sinn hatte. Aber das war auch der große Unterschied zwischen den normalen Soldaten und den Grenadieren.
»Eine Walküre wird uns auf dem Dach absetzen«, führte der Kasrkin aus.
Das grelle Flackern eines mächtigen Blitzes zerriss den Himmel.
Donner rollte als Mischung aus tiefen Schlägen und bitterem Grummeln über sie hinweg.
»Mit einer Walküre?«, rief Balgor erstaunt aus. Er deutete auf die Buntglasfenster, gegen die der Regen noch immer unvermindert mit aller Macht trommelte. »Bei diesem Wetter? Das ist mutig.«
»Aber nötig«, merkte Ekko an, der endlich wieder aus seiner Parallelwelt der Gedanken zurückgekehrt war. »Wenn wir von hier unten versuchen, nach oben zu gelangen, wird das Ewigkeiten dauern. Dann wissen die, wer auch immer da oben ist, längst Bescheid. Und wir können noch nicht sagen, welche Überraschungen sie hier für uns deponiert haben. Tun Sie es, Krood.«
»Verstanden, Sir. Ich werde sofort meine Männer zusammenrufen.«
»Colonel«, brachte Balgor entgeistert hervor. »Das kann doch nicht wirklich Ihr Ernst sein!«
Ekko ignorierte ihn. »Krood, warten Sie.«
Der Cadianer blieb stehen und nahm Haltung an. »Sir?«
»Sie denken doch nicht, dass ich Sie da allein hoch schicke, oder? Flugtreibstoff ist teuer«, bemerkte Ekko und wandte sich um. »Rebis!«
Seine Stimme gellte durch das leere Hauptschiff der Kathedrale.
Krood verzog das Gesicht. Was für Idioten. Disziplin und straffe Ordnung waren der Grundstein einer effizienten Armee.
Dieses Regiment besaß, nachdem, was er bisher mitbekommen hatte, das erste nur in Maßen und das zweite überhaupt nicht.
Lautes Poltern schwerer Kampfstiefel ertönte.
Ein dunkelhaariger Corporal, dessen grüne Augen im scheinenden Taschenlampenlicht aufmerksam blitzten, tauchte neben ihnen auf und nahm Haltung an. »Colonel?«
Ekko nickte ihm zu und deutete dann auf Krood. »Rebis, Sie und Ihr Trupp mit den Kasrkin.«
Der Corporal nickte. »Verstanden, Colonel!«, erwiderte er, salutierte nachlässig und pfiff seinen Trupp mit einem lauten Ton herbei, der Krood einen kalten Schauer über den Rücken jagte.
Dieses Regiment war wirklich wie ein Chaosdämon in einer Schafsherde.
»Ach ja – und Rebis?«
»Sir?«
Ekko zog den Saum seines Drillichs glatt. »Rahael bleibt hier.«
Himmlische Wut ging flammend auf die Erde nieder und rollte als unmenschliches Grollen über sie hinweg.
»Colonel? In der Walküre wäre genügend Platz.«
»Das weiß ich«, erwiderte Ekko ruhig. »Rahael bleibt hier.«
»Verstanden, … Sir«, bestätigte der Corporal den Befehl und lief los, seinen Trupp zu sammeln.
Ekko wandte sich wieder an den Cadianer, der noch immer bei ihm stand.
»Also dann: weg mit Ihnen, Krood.«
Der Kasrkin schlug die Hacken zusammen. »Verstanden, Sir.«
Dann wandte er sich um und ging schnellen, sicheren Schrittes durch die Dunkelheit zurück zum Eingang der Kathedrale. Seine Männer folgten ihm.
»Hier Krood! Eine Walküre zum Haupteingang der Kathedrale.«
Hinter sich hörte er, wie Rebis seine Männer zusammenrief und Balgor begann, erhitzt auf Ekko einzureden.
»Colonel, das ist doch Irrsinn. Mit einer Walküre in einem Gewittersturm. Da können wir sie dem Chaos gleich zum Rösten anbieten.«
»Melbin, Lawn, Talic!«
»Ja, ich weiß. Meine Entscheidung steht.«
»Tesket, Lados, Itias! Rahael, Sie zum Colonel!«
»Ich hoffe, Sie wissen, was Sie tun.«
»Verstanden! 5120102 – Sammeln!!«
»Das hoffen vermutlich alle.«
Bereits einen Moment später vernahm Krood das laute Kreischen einer sich nähernden Walküre.
Das Donnern des Transporters, der sich auf den Vorhof zur Kathedrale senkte, wehte als brüllender Sturm aus Lärm in das Hauptschiff der Basilika. Ekko und seine Männer waren gezwungen, sich die Ohren zuzuhalten, bis der schnelle Senkrechtstarter die Soldaten aufgenommen und sich wieder in die Luft erhoben hatte.
Krood lächelte. Endlich hatte er einen Sieg gegen Colonel Ekko erlangt.

***

Der Sturmtransporter setzte den Trupp am Fuß des Beinhauses ab, das mit den vier es umgebenden Türmen eine Einheit bildete. Die heftigen Schlingerbewegungen, die der Transporter während der Landung machte, störten die drei Kasrkin überhaupt nicht, denn sie waren darauf trainiert, solche Extremsituationen psychisch zu kompensieren.
Bei den anderen imperialen Soldaten sah es da schon anders aus.
Der Trupp dieses Rebis war ausnahmslos grün angelaufen und die lautlosen Litaneien, die über die Lippen der Männer brachen, zeigte Krood auf, wie viel Furcht die Männer ergriffen hatte.
Er lächelte in sich hinein.
Normale. Es war schwer zu glauben, dass er selbst einmal einer von ihnen gewesen war, aber selbst Krood konnte sich der Tatsache nicht erwehren, dass er aus den Reihen der Normalen stammte.
Zwar lagen diese Zeiten weit in der Vergangenheit, aber immer, wenn er an der Seite ‚Normaler‘ kämpfte, wurde er an seine damaligen Unzulänglichkeiten erinnert.
Etwas heftiger als gewollt prallte der Senkrechtstarter auf das Dach und erzitterte bis ins Mark.
Der Frachtoffizier, selbst etwas weiß um die Nasenspitze, öffnete die Seitentür und entließ die Männer in das von Sturmwolken und heißen Blitzen dominierte Inferno des Kathedralendachs.
Eisige Kälte umfing sie, als sie den schützenden Körper des Sturmtransporters verließen.
Heftiger Wind trieb den Regen beinahe waagerecht über die Dachplattform des Kathedralenbaus und zerrte an Gesichtern und Kleidung der Männer, während eisiger Regen ihnen auf die ungeschützten Körperpartien von Kopf, Hals, Händen und Armen prasselte.
Kreischend erhob sich die Walküre zurück in die Luft und wehte mehr, als dass sie flog, die Flanke der Kathedrale herab.
Die heißen Abgasstrahlen des Sturmtransporters umstrichen die abgeknieten Soldaten und ließen sie in einer Fontäne aufgewirbelten Wasserdampfs zurück.
Krood verharrte einen Moment, bevor er sich nicht mehr im unmittelbaren Bereich der Triebwerksabgase befand, dann nickte er seinen beiden Grenadieren zu und wies sie an, sofort die äußere Tür des Beinhauses zu überprüfen, bevor er sich an die ihm zugeteilten Infanteristen wandte und sie mit einer kurzen Gestenkombination ebenfalls zum Eingang befahl.
Nah an den Boden geduckt schlichen Sie mit erstaunlicher Ruhe und im prasselnden Regen lautlos zum Eingang des Beinhauses, dessen an ein Tor erinnernde Tür wie auch der Haupteingang der Kathedrale mit fein gearbeiteten Totenköpfen besetzt war, die eine Heilige mit flammendem Schwert umringten.
»Die Tür ist offen«, meldete die Stimme von Cedd, einem seiner beiden überlebenden Kasrkin. Tall, der zweite Mann, stand neben ihm und deckte ihn für den Fall, dass plötzlich jemand die Tür öffnete und dem gepanzerten imperialen Grenadier gegenüberstand.
Rebis und seine Männer formierten sich beiderseits der Tür und warteten auf das Signal des Sergeants, der ihnen nun faktisch vorgesetzt war.
Krood nickte und ging mit schnellen Schritten zu ihnen.
»Klar machen zum Vorrücken«, befahl er. Bereits während des Flugs hatten und Rebis ihre Kurzfrequenzfunkgeräte auf dieselbe Frequenz eingestellt, um schnell und effizient miteinander kommunizieren zu können.
Jetzt hob der Corporal die Hand und signalisierte seinen Männern, sich vorzubereiten.
Krood konnte sehen, wie Gewehre angelegt und Energielevels ein letztes Mal überprüft wurden.
Dann war es soweit.
»Sturm«, befahl der Sergeant.
Die beiden Kasrkin brachen regelrecht mit der Tür ein, so heftig traten sie sie auf.
Laut knirschend schwangen die beiden hölzernen Türflügel auf und schepperten mit hallendem Lärm gegen die steinernen Innenwände des Gebäudes.
Gähnende, schwarze Leere begrüßte sie.
Wortlos und nahezu geräuschlos folgten die Soldaten aus Rebis Kommando seinen beiden Kasrkin. Wie Raubtiere an die Wände beiderseits des Ganges geschmiegt, rückten sie im Licht ihrer Gewehrlampen langsam immer tiefer in die dunkle Ewigkeit des alten Ganges vor.
Im leichten Laufschritt passierte Krood die Männer und setzte sich hinter den führenden Kasrkin. »Kann losgehen«, wisperte er in sein Mikrofon.
Der Cadianer – es war Cedd – nickte wortlos und beschleunigte seine Schritte.

***

Das Erste, was sie erreichten, war ein mächtiger, mit Säulen verzierter Raum, der so eine Art Eingangshalle darstellte.
Zwei riesige steinerne Tafeln, die beiderseits des Weges in die Wände eingelassen worden waren, wiesen den Besucher darauf hin, wo er sich befand und wie er sich hier zu verhalten hatte.
»Die heilige Janaïs«, sagte einer von Rebis Soldaten leise. Es war ein riesiger Kerl, fast so groß wie ein Ork und Krood erinnerte sich daran, ihn bereits vorher schon einmal gesehen haben. »Schon mal von der gehört?«
Der kleinere und offensichtlich jüngere Soldat neben ihm schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Haltet die Klappe«; zischte Rebis.
Krood schüttelte den Kopf. Worte waren in diesem Augenblick unnötig und höchst gefährlich. »Weiter«, befahl er fast wortlos in sein Mikrofon.
Sie formierten sich wieder und setzten ihren Weg fort.
Direkt hinter der Halle tauchte eine schmale, steile Wendeltreppe mit fast mannshohem Geländer ins Innere der Felsformation ab.
Vorsichtig folgten sie dem Gang, der sich in einer langgezogenen Biegung nach rechts in die Tiefe wand.
Offensichtlich war dieses Beinhaus nicht das, was Krood erwartet hatte.
Donner grummelte, durch die steinerne Decke auf ein Brummen reduziert und hallte als fernes, unwirkliches Geräusch innerhalb der Mauern wieder.
Das Gewitter schien in seiner Intensität nicht nachgelassen zu haben.
Bereits nach einer halben Drehung endete die Treppe. Vor ihnen entspann sich ein langer Gang.
»Wo sind wir?«, fragte Rebis leise, während er an Kroods Seite trat.
Krood versuchte, sich an den Plan der Himmels-Kathedrale zu erinnern, den er bei Ekko gesehen hatte. Wo, in Namen des Throns, waren sie?
Eine solche Ebene war nicht eingezeichnet … es sei denn.
»Die Plattform«, sagte er leise. »Wir müssen in der Plattform sein.«
»Sie meinen die Plattform, auf der das Beinhaus steht?«, erkundigte sich der Corporal.
»Ja«, antwortete Krood und warf seine Hand in einer schnellen Bewegung nach vorn.
Sie setzten sich wieder in Bewegung.
Je weiter sie in das Dunkel des kalten Gemäuers vordrangen, umso stärker beschlich Krood das Gefühl, dass er recht gehabt hatte. Sie mussten sich in der Plattform befinden.
Der Weg führte als kerzengerade Spur einen langen, aus quaderförmigen Natursteinen bestehenden Gang entlang.
Ihre Schritte dröhnten unnatürlich laut durch die Dunkelheit.
Krood musterte die sie einschließende Umgebung, die ab und an im Blitzen vorbeihuschender Lichtstrahlen sichtbar wurde.
Der Gang wirkte alt, archaisch und ein leicht modriger Geruch, der durch die Luft waberte, erinnerte Krood daran, dass diese Kathedrale alt war. Wie alt genau sie wirklich war, wusste er nicht, aber es blieb zu vermuten, dass es irgendwo zwischen eintausend und zehntausend Jahre waren.
Bei sakralen Bauten konnte man das nie exakt sagen.
In diesem Moment erreichten sie eine Tür, deren Rahmen unauffällig in die uralte Steinmauer der linken Gangwand eingelassen worden war.
Cedd, der die Formation anführte, hob die Hand. Im vollkommenen Dunkel war es nur schwer zu erkennen und einzig die Gewehrlampen, die auf die Rüstung des Cadianers wiesen, ermöglichten es den Soldaten, sofort auf die Anweisung zu reagieren.
Der Trupp verharrte auf der Stelle und wich wortlos an die Wand zurück. Gewehre wurden angelegt.
Nahezu lautlos versuchte Cedd, die Tür aufzumachen.
Knisternde Stille umfing die Wartenden und wurde nur von einem fernen, gedämpften Donner durchbrochen, der aber viel zu schwach war, um irgendwen zu beeindrucken.
»Die Tür ist verschlossen«, meldete der Kasrkin leise.
»Also gut, dann müssen wir sie eben öffnen. Cedd?«
Der Kasrkin stellte sich vor die Tür und begann, in der Seitentasche seiner Uniform herumzukramen.
Krood deckte ihn, indem er mit seiner HE-Laserpistole auf den Türeingang zeigte. Hätte nun ein Feind die Tür geöffnet, wäre er von dem Kasrkin-Sergeant durchlöchert worden.
Im Licht der Gewehrlampen konnten die restlichen Imperialen sehen, wie der cadianische Kasrkin eine Kugel aus Knetmasse aus der Tasche zog.
Mit sicheren, geübten Händen formte der Elitesoldat aus der Knetmasse einen längere, hügelige Masse, die er über das Schloss der Tür presste.
Wortlos nahm er ein streichholzgroßes Röhrchen aus einer anderen Tasche und drückte es genau in die Mitte der Masse.
Die imperialen Soldaten pressten sich an die Wand und warteten, bis der Kasrkin seine Aufgabe erledigt hatte.
»Alles klar«, flüsterte er und reihte sich hinter Krood ein.
»So, Leute! Mund auf, Ohren zu!«, befahl der Sergeant gedämpft. »Das kracht gleich ordentlich.«
Keiner der restlichen imperialen Soldaten hatte jemals eine derartige Masse gesehen, sodass sie sich nur denken konnten, was es war und darauf vertrauen mussten, dass das, was der Grenadier ihnen sagte, auch stimmte.
Krood ließ seinen Blick ein letztes Mal über die ihm unterstellten Soldaten gleiten, um ganz sicher zu gehen, dass alles bereit war. Rebis und seine Männer schienen bereit zu sein, Cedd und Tall waren es sowieso. Es konnte losgehen.
»Also gut«, schloss der Sergeant der Kasrkin so leise, dass es nicht über die Ohren der Anwesenden hinweg drang, »dann sollten wir sie öffnen und gucken, was sich dahinter befindet, oder?«
Die cadianischen Grenadiere nickten grimmig. Rebis‘ Männer blieben stumm.
Krood lächelte grimmig und aktivierte das Energieschwert, das bisher an seiner Rüstung gebaumelt hatte. Es war ein Geschenk eines hochrangingen imperialen Offiziers, dessen Leben Kroods Trupp vor langer Zeit gerettet hatte.
Heißes Summen drang an seine Ohren.
Sofort begann die Klinge der säbelartigen Waffe in fahlem Blau zu schimmern.
»Cedd?«, rief der Unteroffizier.
Der Kasrkin direkt hinter ihm wandte seinen Kopf. »Achtung, Zündung!«, bellte er und drückte den Auslöser.
Der satte Knall der Detonation fegte durch den Gang, zusammen mit den Überresten der zerrissenen Tür.
»Los! Los! Los!«, schrie Krood und stürmte in den Raum.

***

Vor ihnen entspann sich ein hallengroßer, halbrunder Raum, der scheinbar das wahre Beinhaus war.
Er war in demselben sakralen Gotisch gehalten, wie es auch die Formen abertausender anderer Gebäude im Imperium beherrschte. Die Vertikale war sehr betont, vermutlich im Verhältnis eins zu drei, was Krood für einen derartigen Raum bereits recht beeindruckend fand.
Schmale, hochgeschossene Strebepfeiler verschmolzen mit Kreuzgewölben, die wie die Rippen eines Menschen über dem Innenraum thronten.
Riesige Fensterfronten warteten darauf, endlich wieder Licht in den Raum lassen zu dürfen.
Das Prasseln des Regens war hier wieder viel deutlicher zu vernehmen und in dem Moment, da sie den Eingang sprengten, flackerte der Himmel hell auf.
Krachender Donner mischte sich mit dem Nachhall der Explosion.
Eine alte Ekklesiarchin schreckte auf, als die Tür splitternd in Fetzen flog und schwer gepanzerte Soldaten in den Raum stürmten.
Sie hatte auf einer der wenigen Bänke gesessen, welche man scheinbar wahllos im Raum platziert hatte, und die sie umgebenden Statuen von Space Marines betrachtet, die in Nischen an den Wänden standen und ihren Blick auf das Zentrum des Raumes richteten.
Im schummrigen Licht der sie umgebenden Kerzen konnte Krood erkennen, dass sie recht vornehm gekleidet war, in teure Roben geworfen und mit silbernem Haar.
Aufmerksam verfolgte sie, wie die imperialen Soldaten sich im schnell im Raum verteilten, von den knappen Gesten ihrer beiden Anführer zielsicher dirigiert.
Lange dauerte es nicht, da hatten sie den Raum gesichert und die alte Frau eingekreist.
»Der Imperator beschützt«, flüsterte sie, als sie erkannte wer sich ihr näherte.
»Was ist denn das für eine Schrumpelgosse?«, lachte einer der Soldaten.
»Halten Sie das Maul, Lawn!«, knurrte Rebis. »Und ihr auch!«, fuhr er zwei andere seiner Männer an, die versuchten, ihr Prusten so weit wie möglich zu verstecken.
Der große Soldat, der Krood bereits zuvor aufgefallen war, trat zum Corporal. Offensichtlich schien er der Stellvertreter von Rebis zu sein.
Er beugte sich zu seinem Truppführer herunter und flüsterte ihm etwas in Ohr.
Der Corporal nickte verstehend. »Gut gemacht, Melbin«, sagte er leise. Der Riese erhob sich wieder und verschwand zurück ins Dunkel.
Rebis gesellte sich zu Krood. »Der Raum ist sicher«, meldete er.
»Verstanden«, bestätigte der Kasrkin. »Ihr Trupp hat gute Arbeit geleistet.«
»Vielen Dank, Sir.«
Ein Blitz ließ erleuchtete den hallenförmigen Raum.
Dröhnender Donner durchdrang ihre Körper.
Rebis schüttelte sich. »Sind wir wirklich in der Plattform?«, fragte er gedämpft und wies auf den Raum. »Das ist doch viel zu groß.«
Der Kasrkin-Sergeant musterte die Umgebung. »Ich vermute, dass diese Halle hier sowohl die Plattform als auch das Beinhaus umfasst.«
Krood bedeutete Rebis, ihm zu folgen, dann setzte er sich in Richtung der alten Ekklesiarchin in Bewegung.
»Du, die Statuen sind wirklich brüchig«, hörte er einen der Basteter seinem Kameraden gegenüber feststellen.
Der Kasrkin schenkte den unbedachten Worten des Mannes keinerlei Beachtung.
Es mochte gut sein, dass diese Statuen wirklich brüchig waren. Da sie allerdings keinen Einfluss auf die Statik des Raumes oder gar des Gebäudes hatten, mussten die Soldaten nicht mehr als sich von ihnen fernhalten.
Er würde den Corporal beizeiten daran erinnern.
Als sie die Ekklesiarchin erreichten, konnte Krood einen genaueren Blick auf sie werfen.
Er stellte fest, dass sie aus der Nähe gar nicht so alt aussah. Es war wohl der fahle Schein der Kerzen gewesen, das sie so vergreist hatte aussehen lassen.
Vielleicht war sie fünfzig, vielleicht sechzig, aber keineswegs älter.
Sie hatte im Kerzenlicht funkelnde Augen, die Krood auf eine hellgraue Färbung schätzte und ein ernstes, von der Zeit gezeichnetes Gesicht.
Es war gut vorstellbar, dass sie vor langer Zeit der Schwesternschaft des Adeptus Sororitas angehört hatte.
»Der Hammer des Imperators grüßt Sie«, begann Krood. »Wir sind endlich da.«
»Nein«, murmelte sie. »Nein! Nein! Sie müssen gehen! Sie können nicht hier bleiben.«
»Keine Sorge«, versicherte Rebis ihr. »Wir sind hier, um Sie zu retten.«
»Gehen Sie!«, forderte die Frau die Soldaten auf. »Solange Sie noch können. Gehen Sie!«
In ihren Augen stand ehrliche Sorge, keine vom Chaos oder von Häresie genährte Lüge.
»Dieser Ort ist nicht zu retten! Fliehen Sie, solange Sie noch können!«
Dann sprang sie auf und lief mit überraschender Agilität davon. Bei ihrer Flucht warf sie einen Kerzenständer um. Flackernd erloschen die Kerzen. Ein kleineres, von Wachs genähertes Feuer brannte weiter auf dem kalten Stein.
»Hey!«, bellte Krood. »Warten Sie!«
Doch die Frau war bereits mit wehendem Umhang in den Gang verschwunden.
Zwei Soldaten aus Rebis Trupp rannten ebenfalls los und versuchten, sie wieder einzufangen.
»Stopp!«, bellte Krood. »Lasst sie laufen!«
»Sehr freundlich sind die aber nicht«, brummte Rebis und musterte die Umgebung aufmerksam. »Sind Sie sich sicher, dass die Dame sauber ist?«
»Ich sah keine Lüge in ihren Augen.«
Rebis brummte nachdenklich und Krood glaubte, daraus ein »Wenn Sie meinen« zu hören. Er überging es. Es war bezeichnend für die Normalen. Ein Kasrkin kannte diese anmaßende Arroganz nicht. Die erbarmungslose Ausbildung tötete alle in diese Richtung gehenden Bedürfnisse ab.
»Also gut«, befahl Krood den Männern. »Seht euch um und guckt, ob es hier irgendetwas Interessantes zu finden gibt.«
Sie schwärmten aus.
Viel gab es jedoch nicht zu entdecken.
Kroods und Rebis Männer schlichen um die Säulen und ließen die Lichtkegel ihrer Lampen über die Ornamente und Statuen gleiten, die den halbrunden Raum beherrschten.
Nach einer Weile mussten sie jedoch melden, dass der Raum, bis auf die Sitzbänke, leer war.
Krood wandte sich an Rebis. »Sehr merkwürdig«, stellte er fest.
»In der Tat«, antwortete dieser. »Was machen wir jetzt?«
Der Kasrkin warf einen Blick zu der Tür, durch die die alte Ekklesiarchin verschwunden war. »Der Raum hier scheint soweit sicher zu sein. Wir sollten unseren We…«
»Die Statue!«, rief irgendwer in Panik.
Krood fuhr herum und sah einen der steinernen Körper krachend zerplatzen.
Fassungslos musste er mit ansehen, wie ein riesiger Hüne aus dem granitfarbenen Abbild des Space Marine brach und seine gepanzerte Faust in die Richtung der ihm am Nächsten befindlichen Basteter schwenkte.
Eine gewaltige Macht traf den Brustpanzer des führenden Soldaten und ließ ihn zurückprallen wie einen Gummiball.
Gleich einem weggeworfenen Spielzeug wirbelte er nach hinten und flog stöhnend gegen einen der hinter ihm befindlichen Stützpfeiler.
»Vorsicht«, schrie sein Kamerad in die allgemeine Verwirrung.
Die Gewalt eines weiteren Schlags erwischte ihn und schickte ihn zu Boden, wo er noch einige Meter über die kühlen Steine rutschte und dann blutend liegen blieb.
Urplötzlich zerbarsten sämtliche Statuen um sie herum in tausende Teile.
Krood zog den Kopf ein und bedeckte seine ungeschützten Körperteile mit den Panzerschienen seiner Armpanzerung.
Splitter schossen als Schrapnelle durch den Raum, prallten an den Armaplastpanzern der Soldaten ab und sirrten wie Querschläger davon. Helles Klingeln umnebelte die imperialen Soldaten, als die Welt sich in Trümmer und Scherben auflöste.
Dröhnend brachen grauenhafte, eherne Riesen in blinder Wut aus den Staubwolken hervor.
Irgendwo schrie jemand, als ein in hoher Geschwindigkeit durch den Raum schießendes Trümmerstück ihn erwischte.
Planloses Lasergewitter flackerte panisch auf. Was, im Namen des Throns, sollten sie tun? Worauf schießen? Wer waren die Angreifer?
Ein weiterer Soldat segelte getroffen durch die Luft.
Krood fuhr herum. Seine Ausbildung übernahm die Kontrolle über sein Denken und Handeln. »Cedd, Tall, Feuer konzentrieren!«, schrie er, so laut er konnte und zog den Abzug seiner HE-Laserpistole durch. Die Waffe knisterte und hämmerte kohärente Energie gegen den eisernen Körper des ihm nächsten Hünen.
Helles, stroboskopartiges Licht flackerte auf, als seine beiden Kasrkin in den Beschuss einfielen.
Ultraheiße Laserkaskaden stanzten beeindruckende, rauchende Löcher in den Eisenkörper des Angreifers. Aufhalten konnten sie ihn nicht.
Krood wich zurück.
Von links raste eine riesige Pranke heran. Instinktiv duckte sich der Sergeant weg und spürte den kalten Luftzug des Treffers, dem er gerade noch entgangen war.
In einer fließenden Bewegung drehte er sich und setzte eine gut gezielte Salve seiner Pistole in die Achselhöhle des Hünen.
Er erzielte keinen Effekt.
Elegant, wenn auch etwas schwerfällig, kam der Angreifer herum und setzte zu einem neuen Schlag an.
Krood brüllte wütend und hieb dem Hünen mit seinem Energieschwert entgegen.
Vor den Buntglasfenstern blitzte es. Donner krachte.
Jetzt sah Krood, wer ihn attackierte.
Aber in diesem Stadium den Angriff abzubrechen oder erkennen zu geben, wer man wirklich war, war eindeutig zu spät.
Außerdem waren seine eingedrillten Verteidigungsroutinen aktiv. Die abzustellen war nicht gerade einfach. Dafür hatte seine Ausbildung gesorgt.
Ich bin ein rational denkender Kasrkin! Was ich gesehen habe, kann es gar nicht geben! Ich muss es mir einbilden!, stärkte er seinen Geist und setzte die begonnene Attacke fort.
Die gleißend blaue Energieklinge schnitt in die Rüstung des Feindes. Der riesige Angreifer heulte und taumelte rückwärts. Mit einem Getöse, das den gesamten Bau erschütterte, stürzte der Feind rückwärts auf den Boden und verschwand in einer neuerlich aufgewirbelten Staubwolke.
Krood atmete tief ein und schwenkte sein gleißendes Energieschwert. Laserfeuer flackerte heftig zu seiner Linken.
Auf jeden Fall waren seine Kasrkin noch da. Ein gutes Gefühl. Vielleicht war es die Gerechtigkeit des Imperators, Ekko für seinen Eigennutz zu strafen, indem er einen seiner Trupps vernichtete.
In dem Moment, indem der cadianische Elite-Sergeant sich umwandte, sprang der Schatten ihn an. Anders hätte er es nicht beschreiben können.
Er sah den anderen Gegner nur noch aus dem Staub auftauchen. Für eine Reaktion war es zu spät.
Ein urgewaltiger Schlag ging durch den Kasrkin, als ihn der Treffer des massigen, gepanzerten Körpers erwischte und ihn wie ein Blatt im Sturm vom Boden hob.
Zusammen mit dem Angreifer segelte er durch die Luft und schlug nach einer halben Ewigkeit hart auf den Boden, wo er fast drei Meter weiterrutschte, bevor er von der Wut der Reibung herumgerissen wurde und endlich zum Halten kam.
Die drohende Silhouette des neuen Angreifers tauchte über ihm auf wie der Zorn des Imperators und holte zum Schlag aus.
Instinktiv riss Krood sein Energieschwert in die Höhe und stellte erschrocken fest, dass es nicht funktionierte. Durch seinen Flug und die unsanfte Landung musste er wohl die Energieleitungen der Waffe zerstört haben.
In diesem Augenblick traf den Feind etwas, das ihn aus dem Gleichgewicht brachte. Synchrones Flackern heftiger Laserentladungen flammte auf seiner Brust auf.
Er taumelte einen Schritt rückwärts und brach seinen Angriff ab.
Das Feuer der HE-Lasergewehre stoppte unvermittelt, dann warf sich ein anderer Körper auf den Feind.
Krood spürte, wie mehrere Arme nach ihm griffen und ihn über den Boden schleiften.
Wütendes blaues Licht blitzte durch die Buntglasfenster des Raumes.
Im Schein des Himmelsfeuers konnte Krood sehen, wer dem unmenschlichen Riesen entgegengetreten war.
Es war der riesige imperiale Soldat, der ihm bereits zuvor aufgefallen war.
Der Mann schlug mit seiner Waffe zu und traf den gepanzerten Hünen direkt auf den Brustkorb. Ohne überhaupt irgendeinen Effekt erzielt zu haben prallte das Lasergewehr an der bunten Rüstung ab.
Unbeeindruckt packte der Riese die Waffe und riss sie aus den Händen des imperialen Soldaten, bevor er ihn mit einem Schlag seiner anderen Hand aus dem Weg wischte.
Der Basteter flog fluchend durch den Raum und krachte heftig an die gegenüberliegende Wand, wo er betäubt liegen blieb.
Krachender Donner ließ die Buntglasfenster klirren.
»Helft mir hoch«, befahl Krood den Händen und ließ sich von drei Männern und seinen eigenen Beinen in die Höhe hieven.
Ein kurzer Blick sagte ihm, dass es seine beiden Kasrkin und Rebis, der Corporal des anderen Trupps waren. Offensichtlich waren seine sämtlichen Soldaten gefallen. Wenn er gewusst hätte, was Krood wusste …
»Klar machen zum Gegenschlag«, befahl der Kasrkin-Sergeant. Seine Männer legten ihre Gewehre an.
»Nein«, ging Rebis entschieden dazwischen. »Wir brauchen mehr Unterstützung. Wir können sie so nicht aufhalten. Meine Männer haben sich nicht geopfert, damit Sie sich gleich darauf in einer sinnlosen Schlacht gegen diese Supersoldaten verheizen.«
Vor ihnen flammte Laserfeuer auf. Im Schein eines Blitzes huschte ein stummes Ungeheuer vorbei.
Ein Schrei. Hässliches Knacken ertönte.
Die Laserkaskaden endeten schlagartig.
Donner rollte über sie hinweg.
»Wir müssen Colonel Ekko informieren«, stellte Rebis fest und hustete.
»Colonel Ekko?«, schrie der Kasrkin. »Niemals!«
Rebis starrte ihn wütend an und packte ihn an der Armpanzerung. »Wir sterben hier! Seien Sie kein Idiot! Ziehen Sie sich zurück!«
»Wir geben nicht auf! Nicht der fünfte Trupp der dreiunddreißigsten Kasrkin! Wir halten die Stellung!«
»Sie sind nicht mehr der fünfte Trupp der dreiunddreißigsten Kasrkin! Sie sind im Augenblick Teil des 512. Sera!«
Krood schlug ihm ins Gesicht.
Ein gleißender Blitz ließ die Umgebung für den Bruchteil einer Sekunde in unwirklichem Schimmer erstrahlen.
Schatten zogen durch den Staub, stampften auf der Suche nach ihnen umher.
Rebis, auch wenn er vermessen war, hatte recht. Hier wartete kein ehrenvoller Kampf, kein gerechter Tod für den Imperator. Es war ein Gemetzel. Ein Kampf ohne Chancen.
Und so sehr es den Kasrkin auch schmerzte, das zuzugeben, sie mussten Colonel Ekko informieren und um Verstärkung bitten.
In ihm kam die Erinnerung an eine sehr ähnliche Situation vor wenigen Tagen auf, in der er den Großteil seines Trupps verloren hatte. Und nun war er wieder von dem selbstsüchtigen, unfähigen Offizier abhängig.
Krood nickte. »Geordneter Rückzug«, bellte der Kasrkin-Sergeant und glitt rückwärts zur Eingangstür zurück.
Ein Gewitter aus Laserstrahlen aus den Hochenergielasergewehren seiner Begleiter löste den Raum in seine Bestandteile auf. Knisternd fielen Kacheln aus den Wänden, von abprallenden Energiestrahlen gesprengt. Zersplitterte Fliesen wirbelten als Kleinsttrümmer in die Luft und Staub nahm den Männern die Luft zu atmen.
Krood zog eine Hochexplosivgranate von seinem Gürtel und schnippte den ringförmigen Splind des Sprengkörpers mit einem routinierten Zug seines Daumens weg.
Mit einem leisen Klirren flog der Sicherungsbügel ab.
»Granate!«, schrie Krood und warf den Ei-förmigen Sprengkörper in den Raum.
Dann flohen die Soldaten durch die Tür in den Gang.
Keine Sekunde zu früh.
Eine heftige Explosion ließ die Buntglasfenster des Raumes in tausend Scherben zerspringen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Salve,

kein Problem. Hier ist zum ersten Mal ein Umfeld, indem ich nicht wochenlang auf einen "gefällt mir"-Kommentar warten musste, sondern tatsächlich viel zu tun hatte, um mich und meine Geschichte zu präsentieren und zu "verteidigen". Das hat bisher Spaß gemacht und es macht auch weiterhin Spaß.
Also wenn man die Luft raus ist ... was solls? Irgendwer springt sicherlich ein - und spätestens die nächsten beiden Kapitel werden sicherlich wieder höchst kontrovers werden ...

Man darf also gespannt sein! Viel Spaß beim Lesen!




15

Irgendwo in den Innereien der Stadt hatten Infanteristen die restlichen Generatoren gefunden.
Mit dem Geräusch dumpfer Schläge sprang die Deckenbeleuchtung an und tauchte das Hauptschiff der Himmels-Kathedrale in unwirkliches Licht, das wie von einer fernen Sonne auf sie hernieder strahlte.
Ekko musste für einen Augenblick die Augen zusammenkneifen, um sich an die prächtige Helligkeit zu gewöhnen, die ihn und seine Männer blendete.
Nach der tiefen Düsternis, die sie seit ihrem Eintritt in die Kathedrale begleitet hatte, schmerzte das aufflammende Licht auf brutale Weise.
Der Basteter knirschte mit den Zähnen, weil er gezwungen war, einige Sekunden zu warten, bis sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten. Und als er sie dann aufschlug, waren die sitzenden Toten das Erste, was in sein Blickfeld geriet.
Wortlos betrachtete der Colonel die betenden Körper, welche, demütig geneigt, an den Außenseiten der Bänke saßen.
Es mussten hunderte sein, die meisten von ihnen in teure Roben geworfen. Ekko erinnerte sich an die Worte des Kasrkin, der die Toten zuerst überprüft hatte.
Ritueller Selbstmord.
Ihre Gesichter konnte man zumeist nicht richtig erkennen, denn sie waren zusammengesunken und verbeugten sich vor der Größe des Gottimperators, aber es war für Ekko nicht schwierig sich vorzustellen, dass sie mit freudig erwartenden Gesichtern in den Tod gegangen waren.
Das hier sah wirklich nach einer Art von rituellem Selbstmord aus. Es schien sogar, als wäre es mit aller gebotenen Disziplin durchgeführt worden.
Die gespenstische Szene zu betrachten war unheimlich und Ekko wünschte sich in diesem Moment, das Licht wäre niemals eingeschaltet worden.
Er wandte sich ab und versuchte, seinen Blick nicht mehr auf die Verschiedenen zu richten, geschweige denn an sie zu denken.
Erst jetzt entfaltete die Kathedrale ihren wahren Eindruck auf ihn.
Lautlos schlug der Anblick überragender Hingabe an das Imperium zu und lähmte den Colonel für eine Weile in stillem Erstaunen, auch wenn der Gedanke an die getöteten Körper noch immer irgendwo in seinem Gedächtnis umhergeisterte.
Die Basilika selbst war im imperial-gotischen Stil errichtet. Lange, schlanke Säulen stützten das Kreuzrippengewölbe, dessen elfenbeinweiße Färbung das hell strahlende Licht reflektierte.
Überwältigt blieb Ekko stehen und drehte sich um seine eigene Achse, um die gesamte Größe des Bauwerks zu bestaunen.
Fresken von Kampf und Ehre säumten Wände und das gut dreihundert Meter über ihnen aufgespannte Deckengewölbe, von dem aus ein breiter Gang weiter hinaufführte in die Spindel und die Türme.
Mächtige Buntglasfenster säumten die Flanken und das altarseitige Ende des Hauptschiffs.
Der Fußboden bestand aus Marmor, auf dem sich die riesigen Linien gewaltiger Malereien abzeichneten, von Mosaiken und gotischen Mandalas.
Ekko entdeckte Balgor, der bereits weitergegangen war und nun direkt vor einem goldenen Altar stand, in dessen Verlängerung eine gewaltige Statue einer Heiligen über den Innenraum der Kathedrale wachte, ein sakrales Buch in der einen Hand und ein mächtiges Schwert in den anderen.
Die riesenhafte Steinfigur wirkte, als wäre sie mitten in der Bewegung eines Ritterschlags eingefroren und der Basteter, der vor ihr stand, schien von ihr besonders beeindruckt. Es dauerte einen Moment, bis Ekko sich daran erinnerte, dass Balgors Vater einst Steinmetz gewesen war.
Der Captain konnte die Arbeit, die an diesen Mauern und Statuen geleistet worden war, also durchaus bewerten – und, seinen langsamen Bewegungen nach zu urteilen, schien er das auch zu tun.
Ein Sergeant tauchte aus dem Portal zu einem der Nebeneingänge auf, die sich parallel der beiden Querschiffe links und rechts entspannen. Schnellen Schrittes ging er auf Balgor zu, trat vor den Altar, verneigte sich in tiefster Ehrerbietung vor der Heiligen, und erstattete dann eine Meldung.
Balgor nahm sie mit ruhiger Stimme ab, die als fernes Flüstern durch den riesigen Raum säuselte, bevor er den Mann mit einem knappen Wink entließ.
Schritte brandeten auf und verhallten, als der Sergeant herumfuhr und wieder in den Gang verschwand, aus dem er gekommen war.
Ekko schloss zum Captain auf.
Jetzt, wo das Licht angeschaltet war, fiel ihm auf, dass ihm das Gewitter draußen gar nicht mehr so unheimlich vorkam.
Zwar grollte der Donner nach wie vor über sie hinweg, hallte durch das Innenschiff der Basilika und ließ Boden, Wände und Glas erzittern, aber die heftigen und gleißend hellen Blitze vermochten nicht mehr, das Licht der Basilika zu durchdringen.
Ein Glück. Wenigstens jetzt fanden die Männer einen Augenblick Ruhe, auch wenn die Toten, von denen sie flankiert wurden, ihnen sicherlich gruselige Schauer über den Rücken jagte.
Der Colonel notierte sich geistig, dass es dringend herauszufinden galt, was genau hier geschehen war und ob das ihren Auftrag in irgendeiner Weise bedrohte – und zwar, bevor sie sich entschieden, die Makrokathedrale und ihr Umland zu befestigen.
Er wollte keine böse Überraschung erleben.
Tiefes Grollen brach durch die offenen Türen und die Fenster, lärmte durch die Halle und verlor sich schließlich, und zwar in genau dem Moment, da Ekko in mühsam unterdrückter Wut an Iglianus und Del Mar dachte.
Ob sie gewusst hatten, was ihn hier erwartete? Eigentlich konnte das nicht sein. Aber andererseits war es auch gut vorstellbar, dass sie genau über die Lage im Bilde gewesen waren.
Ekko schob den Gedanken zur Seite, bevor er ihn in einen irreversiblen Status der Wut getrieben hatte und entschied, sich stattdessen wieder auf den Weg zu konzentrieren.
Sieben über die ganze Breite der Kathedrale verlaufende Steinstufen führten zu einer etwas erhöhten Ebene hinauf, auf der der Altar (und offensichtlich auch die Heilige) thronten.
Sie waren so spiegelglatt poliert, dass Ekko für einen Moment zögerte, sie zu betreten, aus Sorge, er könnte auf ihnen ausrutschen.
Balgor bemerkte den nahenden Colonel und wandte sich um. »Niemand hier«, meldete er.
Ekko nickte, erklomm die Stufen schließlich doch und trat seine Seite. »Die Dame scheint ausgeflogen zu sein. Irgendeine Spur ihres Engelskostüms?«
»Sir?«
Der Colonel winkte ab. »Wollte nur sicher sein, ob sie auch wirklich geflogen ist. Diese Welt zu Fuß zu überqueren, soll in letzter Zeit ja ziemlich gefährlich sein.«
»Kann mir gar nicht vorstellen, weshalb, Sir«, erwiderte der andere Basteter.
Ekko stellte sich neben Balgor, der die mächtige Statue bestaunte, die erhaben auf ihre toten Diener herabblickte.
Wortlos verharrten sie eine Weile und gaben dem Moment Gelegenheit, sich ihnen in seiner gesamten Gewalt zu präsentieren.
»Beim Barte des Propheten«, murmelte Balgor, »das ist fantastisch.«
»Also selbst, wenn ich sagen muss, dass die Architektur durchaus fasziniert, würde ich die Szenerie nicht als fantastisch bezeichnen«, merkte Ekko an und wies hinter sich.
Balgor rollte mit den Augen. »Das doch nicht. Sie ist ausgezeichnet. Man kann ihre Größe fast schon spüren«, stellte er im Bezug auf die Statue fest.
»Und bei dem Körperbau«, brummte Ekko und betrachtete die Figur der Heiligen nun selbst, »hätte ich mir auch ein so großes Häuschen angeschafft.«
Der Captain seufzte. »Sie können einem wirklich jeden Moment verderben.«
Ekko nickte entschuldigend. »Ja.«
Hallende Schritte drangen an ihre Ohren. Die beiden Offiziere drehten sich um.
Gireth kam aufgeregt angelaufen, das Sprechgerät seines Funktornisters in der Hand. »Captain Solmaar für Sie, Sir«, rief er.
Ekko trat die Mamorstufen herab, die den Altar über die Zuhörer- und Zuschauerschaft erhoben und ging dem atemlosen Funker entgegen.
Gireth reichte das Sprechgerät weiter, dann stützte er sich auf seine Knie und japste.
Der Colonel klopfte dem jüngeren Soldaten auf die Schulter und lenkte seine Aufmerksamkeit danach auf den Funkapparat. »Hier Ekko, ich höre?«
»Sir, wir ziehen uns jetzt aus den unteren Ebenen zurück. Hier sammelt sich das Wasser. Und offenbar sind sämtliche Abflüsse zugemauert worden.« Solmaars Worte wurden von einem Rauschen überdeckt, das der Colonel einen Moment später als Regenprasseln erkannte.
»Die Abflüsse sind zugemauert?«
»Ja, Sir!«, bestätigte die verzerrte Stimme. »Die hat man so gründlich zugemacht, dass nicht mal ein Tröpfchen durchdringen könnte.«
»Warum sollte man so etwas tun?«, fragte Ekko und schalt sich im selben Augenblick für diese Frage. Es war klar, weshalb jemand die Abflüsse versperrt hatte. Orks kamen im Untergrund sehr viel besser zurecht als Menschen. Es wäre beinahe eine Einladung für sie gewesen, die imperiale Stadt aus den Kanalisationsabflüssen heraus zu attackieren.
Er seufzte. »Vergessen Sie es. Räumen Sie die unteren Ebenen.«
»Verstanden, Sir. Solmaar, Ende!«
Ekko reichte das Mikrofon an Gireth zurück und musterte den jungen Funker eine Weile still.
Schließlich verschränkte er die Arme hinter dem Rücken und spitzte die Lippen. »Was gibt es, Gireth?«
Der junge Funker sah ihn überrascht an, wandte seinen Blick ab und trat nervös von einem Fuß auf den anderen.
Ekko seufzte. »Gireth, ich sehe Ihnen an, dass Sie irgendetwas bedrückt. Also würde ich gerne wissen, was es ist.«
Es dauerte jedoch noch eine weitere gefühlte Ewigkeit, bis der Soldat sich dazu durchringen konnte, seine Sorgen mit dem Kommandeur zu teilen. »Ist Ihnen aufgefallen, wie dunkel es plötzlich nach dem ersten Blitz geworden ist?«
»Mhm«, bestätigte der Colonel.
»Ich denke, dass es uns allen aufgefallen ist«, stellte Balgor fest und kam zu ihnen. »Aber keiner hat sich bisher getraut, irgendetwas zu sagen.«
»Sie haben sich darüber Gedanken gemacht?«, erkundigte sich Ekko, ohne auf den Einwurf des Captains zu achten.
»Ja, Sir.«
»Und?«
»War das der Erzfeind?«, fragte der Funker besorgt.
Balgor lachte leise und warf einen amüsierten Blick zu seinem Kommandeur.
Ekko erwiderte den Blick mit aller gebotenen Ruhe und ließ sich noch länger Zeit, bevor er sich entschied, dem jungen Soldaten eine Antwort zu geben. »Nein, sicherlich nicht.«
Gireths Augen huschten von seinem Colonel zu dem Captain neben ihm und wieder zurück. Er schien sich nicht sicher zu sein, ob sie gerade mit ihm spielten. »Und was war es denn?«
Der Colonel zuckte die Schultern. »Ein Stromausfall.«
Auf Gireths erschrockenen Blick hin lachte er leise. »Nein, sicherlich nicht. Ich weiß auch nicht, was es war, und ich muss zugeben, dass es auch mich gegruselt hat. Aber ich bin mir sicher, dass es keine vom Chaos eingefädelte Bösartigkeit war.«
Der junge Basteter schien nicht überzeugt. »Was war es denn?«
Ekko sah Balgor an und zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht.«
Der massige Funktornister auf Gireths Rücken erwachte plötzlich zum Leben und begann, heftig zu schnattern.
»Das Gebiet ist nicht – ich wiederhole: nicht – sicher! Ich …« Das Knistern hochenergetischer Laserwaffen verschluckte die Worte. »Thronverd…!« Ein lautes Krachen ertönte, dann war nur noch Rauschen zu hören.
»Das war Krood«, stellte Balgor überrascht fest.
»Oh, nein«, brummte Ekko. »Nicht schon wieder.«
Er wandte sich um und ging mit schnellen Schritten in Richtung Haupteingang. »Gireth, sofort eine Walküre auf den Platz vor der Kathedrale. «
»Verstanden, Colonel.« Der junge Funker aktivierte sein Sprechgerät und begann hineinzusprechen.
»Balgor!«
»Chef?«
»Holen Sie Truppen zur Unterstützung ran! Wir brauchen mehr Männer! Rahael, zu mir!«
»Verstanden, Chef! Jelard!«
Ekko und Gireth marschierten schnellen Schrittes auf den Ausgang der Kathedrale zu, während Balgor hinter ihnen seinen eigenen Funker zu sich rief. »Mobilisieren Sie alle Truppen, die Sie kriegen können. Holen Sie die beiden anderen Walküren ran. Wir müssen schnellstmöglich Truppen auf den Turm kriegen.«
»Verstanden, Sir.« Der Funker wandte sich ab und gab die Befehle weiter.
Vor dem Haupteingang der Basilika schwoll das unheilverkündende Heulen von Vector-Turbojets an. Eine Walküre befand sich im Landeanflug auf das Forum.
»Los!«, bellte Ekko und stürmte regelrecht davon, Balgor, Rahael und Gireth im Schlepptau.
Hinter ihnen löste sich Leitis Sile aus ihrer Starre und folgte den vier Soldaten.
Noch im Laufen zogen Ekko und Balgor ihre Laserpistolen, während Gireth viel zu aufgeregt an seinem Lasergewehr fummelte.

***

Rahael verspürte einen Stich der Furcht in seinem Herzen, als er an die letzten zwei Tage Krieg dachte, die seinen Geist und seinen Körper geschunden hatten, doch er umfasste sein eigenes Gewehr nur noch fester.
Er wollte bei Colonel Ekko bleiben! Er würde ihn nicht enttäuschen. Nicht noch einmal.
Heftiger Regen begrüßte sie in die kühle Dunkelheit der gewitterigen Nacht.
Bereits nach wenigen Schritten fühlte sich sein Gesicht taub an, geschunden von den hunderten eisigkalten Nadeln aus Wasser, die auf seine Haut niedergingen.
Rahael schüttelte das Gefühl aus seinem Geist, biss die Zähne zusammen und zwang sich, mit den Gedanken bei der Situation zu bleiben.
Vor ihnen öffnete sich die Seitentür der gelandeten Walküre.
Der Frachtoffizier, ein hochgewachsener Soldat mit dem obligatorischen Einsatzhelm der Flugbesatzungen sprang heraus und winkte die ankommenden Soldaten zu sich heran.
Als er den wartenden Sturmtransporter entdeckte, der seine heißen Abgase in die gewittrige Nacht hinaus blies und verstand, was genau das bedeutete, schossen dann doch die Schmerzen der Erinnerung in seinen Kopf zurück.
Der Rauch in der Kabine von 1208, das Kreischen der überlasteten Triebwerke, die Explosion, die zwei seiner Kameraden als schreiende, hilflos um sich schlagender Körper aus dem Rumpf des Sturmtransporters wirbelte – und dann … der Aufschlag.
Rahael, für einen Moment lang abgelenkt, geriet ins Straucheln und stolperte über seine eigenen Füße.
Fast im gleichen Moment spürte er eine Hand, die ihn an der Koppel packte und in den Truppenraum zog.
Die Bewegung war nicht elegant gewesen und Rahael schlug sich dabei das Knie an.
Aber es war immer noch besser, als mit dem Kopf gegen die Kante des Truppenraums zu fallen und sich dabei vielleicht noch mehr zu verletzen.
Rahael sah auf und entdeckte Captain Balgor, der neben ihm an der Tür lehnte. Hatte er ihn ins Innere der Walküre gezogen?
So schnell er konnte richtete er sich auf und suchte sich den nächstbesten Sitzplatz, um den nachfolgenden Soldaten nicht im Weg zu sein.
Sile rauschte mit einem mächtigen Schritt, der für ihre schlanke, gepanzerte Gestalt fast schon athletisch wirkte, durch die Seitentüre ins Innere der Walküre. Ein Hauch kühlen Duftes wehte mit ihr herein.
Sie wirkte konzentriert und abwesend, ein Todesengel, der sich auf seine kommende Aufgabe vorbereitete.
Ihre Schönheit hielt Rahael in ihrem Bann, so als würde ein heiliger Schein auf ihrem Kopf seinen Blick festhalten. Wieder kreisten die Gedanken, die er bereits im Innern der Kathedrale gehabt hatte, durch seinen Kopf.
Wie konnte er so etwas gerade jetzt denken?
Es war, als hätte Sile telepathische Fähigkeiten und zwang ihn, diese Gedanken zu denken.
Nervös warf er ihr einen Blick zu.
Weitere Soldaten aus Balgors Trupp folgten der Sororita ins Innere des Transporters
Bereits kurz darauf hob der Frachtoffizier, der an der offenen Seitenluke stand, die Hand und wehrte weitere Eindringlinge in sein Reich ab. »Wir sind voll! Nächster Transporter!«
Dann stieg er ein und ließ die restlichen Soldaten zurück, die sich sofort zu einem sicheren Ort außerhalb der Abgasstrahlen der Walküre begaben.
»Oh, Mann«, brummte Balgor und ließ den Kopf in die Hände sinken. »Ein Flug mit einer Walküre in einem Gewittersturm. Wir müssen verrückt sein.«
Ekko neben ihm lachte.
»Dann los!«, bellte der Frachtoffizier ins Mikrofon seiner Kopfhörer und zog die Seitentür zu.
Das gedämpfte Kreischen der Turbinen schwoll an und brachte den Innenraum des Sturmtransporters zum Vibrieren.
Mit widerstrebendem Kreischen entzog sich der schnelle Senkrechtstarter zitternd der Anziehung des Erdbodens.

***

»Bereit machen!«
Der Frachtoffizier packte den Griff der gepanzerten Seitentür und hielt ihn einen Augenblick lang einfach fest.
Das schwere Schlingern des Transporters, dessen unruhig heulende Turbinen mit einen machtvollen Gegner rangen, schien den Mann überhaupt nicht zu stören.
Ekkos Magen tanzte in wilden Kapriolen und ließ den Würgreiz im Kopf des Colonels Mal um Mal aufbegehren, doch stets schaffte er es gerade so, das Gefühl soweit zu unterdrücken, dass er zwar angespannt, aber nicht schlecht aussah.
Ganz anders Gireth und Rahael.
Gireth, der junge Funker, dessen Gesicht bereits bei einer schlingernden Fahrt in einem Kommandopanzerwagen eine gefährlich grüne Färbung annahm, erinnerte inzwischen mehr an einen toten Ork als einen gesunden Menschen.
Rahael neben ihm war kalkweiß geworden.
Kein Wunder. Immerhin war er erst vor wenigen Tagen mit einem Sturmtransporter abgestürzt. Jetzt mit einem anderen, ebenso instabil fliegenden Senkrechtstarter während eines Gewittersturms in die Luft zu steigen, war nicht gerade das, was Ekko an seiner Stelle hätte tun wollen.
Balgor und seine Männer, wenn auch selbst leicht blass, warteten dagegen stumm auf das Erreichen des Kathedralendachs.
Ein heftiger Blitz flackerte durch die Sichtschlitze der Seitentüren.
Schwerer Donner erschütterte die Maschine.
Der Frachtoffizier presste sich die Kopfhörer an die Ohren. Einen Moment später schrie er eine Bestätigung in sein Mikrofon. Die Seitentür ließ er noch immer nicht los.
Das Licht an der Tür, das normalerweise als Informationsgeber für Sprungtruppen bei Absprüngen mit Gravschirmen gedacht war, flackerte in kaltem Rot auf.
Der Frachtoffizier wandte sich ihnen zu. »Touchdown in zehn!«, schrie er.
»In zehn!«, schrien sich die Männer gegenseitig an und gestikulierten die Zahl mit ihren Händen.
Die Walküre machte einen heftigen Satz. Das Rütteln nahm zu.
Rahael wurde noch weißer.
Ekko verfolgte, wie der Frachtoffizier die gepanzerte Tür mit einem Ruck zurückzog.
Plötzlich floh sämtliche Wärme aus dem Truppenraum. Eisigkalte Luft stürmte herein.
Im Gleißen eines weiteren Blitzes konnten Ekko die Massen an Regen sehen, die aus dem Himmel auf die toten Ebenen von Agos Virgil stürzten.
Wie ein Geisterhaus ragte die Himmels-Kathedrale in den stürmischen Nachthimmel.
Heftiger Donner erschütterte die Umwelt.
Die Walküre machte einen wilden Sprung. Unruhig heulten die Turbojets.
Aus dem Dunkel tauchte das Beinhaus auf und kam rasend schnell näher.
»Achtung, Aufschlag!«, schrie der Mann an der Seitentür die Warnung vor einer harten Landung. Seine Stimme ging beinahe im Dröhnen der anderen Geräusche unter.
»Achtung, Aufschlag!«, brüllten die Soldaten sich gegenseitig an.
Ekko spürte nur, wie ein unglaublicher Treffer seinen Körper erschütterte und sein Kinn bis aufs Knie trieb. Der Schlag ließ ihm die Zähne im Mund vibrieren und betäubte seine Ohren.
Plötzlich sagen die Turbinen ein halbes Dutzend Oktaven höher.
»Und raus!«, rief der Frachtoffizier.
Ekko wuchtete sich hoch und sprang seinen Männern voran in die stürmische Nacht hinaus.
Seine Stiefel fanden auf dem nassen Naturstein nicht sofort Halt, sodass er erst einige Zentimeter rutschte, bevor das Profil der Sohlen endlich griff.
Schrilles Kreischen aktiver Turbojets begleitete ihn.
Als er sich umwandte, konnte der Colonel die anderen Soldaten sehen, die aus der Walküre gesprungen waren.
Heftiger Wind zerrte mit eisigen Klauen an ihnen und die Stiche tausender kalter, nasser Nadeln drangen durch ihre klamme Kleidung.
Einzig Siles schwere Servorüstung hielt dem Kampf mit den Naturgewalten aus und ermöglichte es der Sororita, aufrecht stehenzubleiben und dem übermächtigen Feind zu trotzen.
Sie wirkte so übermenschlich und unverwüstlich, so elementar wie eine Lebende Heilige, die sich herabgelassen hatte, ihnen auf ihrem Feldzug beizustehen. Und dafür hasste Ekko sie umso mehr.
Die Walküre heulte auf und floh kreischend vom Dach, um irgendwo tiefer Schutz zu suchen. Ihre Abgase umstrichen die Männer heiß.
Ein heftiger Knall ließ Ekko alarmiert herumfahren. Es war kein Donner gewesen.
Die schweren Holztüren des Gebäudes waren in der Gewalt des brutalen Sturms gegen die steinernen Wände des umtosten Hauses gedonnert. Einige Sekunden lang krachten sie gegen die Wände, bevor sie wieder mit aller Macht zurückflogen und erst wieder von den ehernen Stoppern abrupt gebremst wurden.
Ein weiterer, dröhnender Schlag wurde vom Wind fortgetragen.
»Sie müssen im Beinhaus sein«, merkte Sile an.
Ekko nickte zustimmend und ließ den Blick über seine Begleiter wandern.
Rahael und Gireth kauerten, so dicht sie konnten am Boden, während Balgors übrige Männer einen improvisierten Verteidigungsring errichtet hatten und versuchten, dem Wind eine möglichst kleine Angriffsfläche zu bieten.
Der Captain selbst schirmte seine Augen gegen die ihnen waagerecht entgegenkommende Regenwand ab und beugte sich vor, damit der heftig an seiner Kleidung reißende Wind ihn nicht in Richtung Abgrund stoßen konnte.
Einzig Sile hatte den Kopf hoch erhoben und blickte ihn erwartungsvoll an. Ihre Rüstung wehrte die Gewalt des Wetters ab und die Masse der Panzerung hielt sie am Boden.
Ihr Pferdeschwanz flatterte wild im Unwetter und Ekko fragte sich unwillkürlich, wann die Macht des Windes ihn wohl abreißen würde.
Eine neue Böe trieb eine dichte Wand aus Regen vor sich her auf das Dach.
In der Nähe ging ein heftiger Blitz nieder. Der dazugehörige Donnerschlag ließ die Plattform bis auf ihr Fundament erbeben.
»Wenn wir noch länger hier oben bleiben, dann werden wir gegrillt!«, stellte Balgor vollkommen richtig fest.
»Also dann«, schloss Ekko und zog seine Laserpistole aus dem Beinholster. »Wer möchte?« Mit einem kurzen Rucken des Kopfes deutete er auf die wild umher schlagenden Türen.
Die Basteter blickten ihn erwartungsvoll an. Sile hob ihre Augenbrauen.
»War ja klar, dass Sie mich wieder als Deckung nutzen«, brummte der Colonel und ging, die Laserpistole schussbereit erhoben, geduckt voran in das Gemäuer.

***

Als sie den im Gang kauernden Trupp – oder besser, den kümmerlichen Rest dieses Trupps – entdeckten, konnte sich der Colonel eine Bemerkung nicht verkneifen.
»Was?«, brachte Ekko ungläubig hervor. »Das sind alle?«
Balgor hinter ihm pfiff tonlos. Sicherlich hatte keiner erwartet, dass nur noch so wenige von ihnen übrig waren – oder, dass überhaupt noch einige imperiale Soldaten lebten.
»Rebis – wo ist der Rest Ihres Trupps?«, erkundigte sich der Offizier.
Der hustende Corporal deutete auf den verqualmten Raum. »Alle da drin.«
»Tot?«
Rebis nickte matt und wurde von einem neuerlichen Hustenanfall erfasst. »Vermutlich.«
»Wie geht es Ihnen, Krood?«, wandte sich Ekko an den Kasrkin.
»Gut«, erwiderte der Sergeant. Blut war in seinem Gesicht geronnen und ließ ihn etwas ramponiert erscheinen. Die Klinge des Energieschwertes knisterte in blauweißem Schein.
Ekko nickte verstehend. »Wer ist es und wie viele sind es?«
Krood zuckte die Schultern. Sein Gesicht war, wie der Rest seiner Uniform und Panzerung, von Staub bedeckt, durch das Schweiß tiefe Rinnen gezogen hatte. »Wissen wir nicht.«
»Sie können zu zweit gewesen sein, vielleicht aber auch zu zwanzigst«, fügte Rebis keuchend hinzu. »Und sie sind riesig.«
Balgor seufzte. »Beim Thron von Terra. Das hört man gerne.«
»Ich glaube nicht, dass das beabsichtigt war«, erwiderte Ekko.
Kreischendes Jaulen einer im Flug befindlichen Walküre hallte durch die zerschlagenen Fenster des Raums in den Gang.
Es knallte laut. Irgendjemand schoss auf den vor dem Fenster vorbeirauschenden Sturmtransporter.
»Was, beim Barte des Propheten, geht denn da drin vor?«, flüsterte Rahael furchtsam.
»Eindeutig Bolter«, stellte der cadianische Kasrkin neben ihm fest.
Ekko nickte. Das Krachen der schweren Sturmwaffen war so charakteristisch, dass man es schnell erkannte und niemals vergaß.
Laute Schritte trampelten durch den Gang. Weitere Infanteristen stürmten das Gebäude.
Balgor wandte sich um und signalisierte den Männern, sich abzuducken und leise zu nähern.
Noch während der Captain mit dem Bremsen seiner Trupps beschäftigt war, löste sich Sile aus der am Boden knienden Gruppe, schob sich an dem überraschten Ekko und Sergeant Krood vorbei und blieb an der von Treffern zerrissenen Gangwand stehen.
Keiner der imperialen Soldaten war in der Lage, etwas zu dem energischen Auftritt der Schwester zu sagen.
»Brüder!«, rief die Sororita in den Raum und wehte alle Geräusche mit der frischen Brise ihrer Stimme fort. »Ich bin Prioris Leitis Sile vom Orden des Gläubigen Geistes! Haltet ein mit dem Wahn. Für den Imperator!«
Stille antwortete ihr, die nicht einmal vom Stöhnen und Wimmern verletzter imperialer Soldaten durchbrochen wurde, das ihnen vielleicht noch bewiesen hätte, dass es Überlebende gab.
Ekko ließ die Hoffnung fallen, dass seine Männer überhaupt noch lebten.
Sile wartete noch einen Augenblick, dann erhob sie sich schweigend und trat langsam, fast gemächlich, in die offene Tür.
Erwartungsvoll lauschte Ekko in die entstehende Stille, die nur vom Schlagen ihrer Rüstungsstiefel durchbrochen wurde.
Komm schon. Komm schon. Nur einen Bolterschuss. Nur einen. Und dann ein ersticktes Gurgeln. Komm schon.
Aber das Universum hatte sich bereits entschieden, ihm selbst diesen kleinen Triumpf nicht zu gönnen.
Ekko lauschte noch einen Moment länger in die Stille, dann folgte er ihr in dem Wissen, dass bei seinem Glück vermutlich auf ihn geschossen werden würde. Er lächelte. Selbst wenn, dann wäre das auch nicht besonders tragisch gewesen. »Na, dann wollen wir doch einmal sehen, was wir hier finden.«
»Colonel«, flüsterte Rebis. »Seien Sie vorsichtig.«
Ekko ignorierte ihn.
Er hörte, wie Balgor ihm folgte und sich mit schussbereiter Laserpistole in der Hand aufrichtete, doch er beachtete es nicht.
Dafür nahm die Szenerie vor ihm seine Aufmerksamkeit zu sein ein.
Der Staub des heftigen Kampfes hatte sich gelegt und gab den Blick auf das Schlachtfeld frei.
Wo ein einstmals reich verzierter Raum den Sarg einer Heiligen und ihre stumme Wache beherbergt hatte, sah es nun aus, als hätte ein Chaosdämon gewütet.
Sämtliche Steinfiguren der Space Marines waren zerstört und in Trümmer aufgelöst. Es sah aus, als wären sie alle zugleich in einer mächtigen Explosion zerplatzt.
Von kohärentem Licht gestanzte, faustgroße Löcher säumten die einstmals üppig verzierten Wände. Scherben zerbrochener und abgeplatzter Kacheln lagen, zusammen mit den Trümmern der gesprengten Steinfiguren, auf dem von Einschlägen hochenergetischer Laserwaffen übersäten Boden wie Steine in einer Kraterlandschaft.
Blutspuren und abgesprengte Rüstungstücke zeugten davon, wer hier gegen wen gekämpft hatte, aber sie gaben keinen Aufschluss darüber, wer siegreich aus der Schlacht hervorgegangen war.
Die sechs auf dem Boden liegenden Soldaten der imperialen Armee jedoch zeigten dies überdeutlich.
Leise Schritte ertönten.
Kasrkin rückten nahezu geräuschlos in den Raum vor, gefolgt von den restlichen Soldaten. Sie schwärmten sicher und schnell aus und nahmen Positionen ein, von denen aus sie ihre Offiziere sofort unterstützen und mit Feuer decken konnten.
Doch das war gar nicht nötig.
Auch, wenn der Raum vollkommen zerstört war, unmittelbare Gefahr schien ihnen nicht zu drohen.
Ungläubig senkte der Colonel seine Laserpistole und halfterte sie. Dann trat er zu den bereits im Raum Anwesenden.
Es waren insgesamt sechs, die noch standen. Ein weiterer, riesenhafter Körper lag gefällt neben einem der imperialen Soldaten, den Ekko nicht sofort erkannte.
Sile stand inmitten des zerschlagenen Saals, gegenüber einem gewaltigen, in eine bunte Rüstung gehüllten Körper, der fast drei Meter neben der trotz ihrer eigenen Rüstung zierlich wirkenden Sororita aufragte.
»Ich werd verrückt«, brachte Ekko hervor und musterte die riesenhafte, gepanzerte Gestalt, die ihn ihrerseits aus den eckigen, stilisierten Augen ihres Helms ansah. »Space Marines.«
 
Salve!

Kommt, kommt! Hier also das nächste Kapitel.



16

Der Regen tropfte von Haestian Carricks Kampfuniform, als der Major durch die mächtigen Flügeltüren in das Innere der Himmels-Kathedrale trat.
Es regnete noch immer unvermindert, aber wenigstens hatte das Gewitter an Energie verloren. Es blitzte und donnerte nur noch sporadisch.
Ihm bot sich ein fantastischer Anblick, den keine Macht des Universums hätte beschreiben können.
Kommissar Ligrev an seiner Seite staunte mit offenem Mund und war genauso sprachlos wie er selbst.
Es war ungewohnt, den sonst so lautstarken und arrogant tönenden Kommissar in einem Moment zu erleben, wo er tatsächlich einmal keine Worte für das fand, was er gerade erlebte.
Vielleicht war das auch gut so.
Hunderte Reihen Betender begrüßten die neu Angekommenen in das Hauptschiff der Kathedrale, das in stummer Erhabenheit den säuselnden Stimmen lauschte, die es beherrschten.
Die gewaltige Statue einer Heiligen musterte sie von ihrem Platz einige hundert Meter entfernt mit einem übermenschlich strengen Blick, der unter dem Schein der Deckenlampen so wirkte, als würde er sich immer wieder mal von ihnen lösen und durch den Raum schweifen, nur um dann wieder ungeheuer schnell zu ihnen zurückzuspringen.
Fast hätte man glauben können, die beiden Eindringlinge waren der Hüterin dieses heiligen Hauses suspekt genug, um sie unter Beobachtung zu behalten.
Ein kräftiger Blitz beleuchtete die Buntglasfenster von außen und bahnte sich seinen Weg ins Innere der Kathedrale.
Beeindrucken konnte er niemanden mehr.
Dafür hatte dieser Ort bereits zu viel der Aufmerksamkeit seiner Besucher in Beschlag genommen.
Der große Basteter ließ seinen Blick umherwandern und betrachtete die farbenfrohen Fresken, welche die riesigen Innenflächen der Seitenwände bedeckten.
Viele zeigten den Gott-Imperator, der, mit einer gewaltigen Armee im Rücken, die Feinde des Imperiums zermalmte.
Andere begleiteten die Heilige auf ihren Feldzügen für das Wohl der Menschheit. Carrick verstand die meisten der Abbildungen nicht, aber eines war ganz deutlich zu erkennen: sie waren fast ausnahmslos sehr, sehr blutig.
Mit einem Mal fühlte sich Carrick winzig gegenüber des riesigen Bollwerks imperialer Reinheit, das sie in seinem Innersten lediglich duldete.
Als er an sich heruntersah und entdeckte, wie er in die heilige Stätte des Gott-Imperators getreten war, sie volltropfte mit Regenwasser und dem schmatzenden Schlamm an seinen Stiefeln, schämte er sich urplötzlich. Das Wispern, das sie Willkommen hieß, hörte sich in diesem Augenblick für ihn eher wie eine leise Anklage ihres Benehmens an.
Er richtete seinen Blick auf die Quelle der Geräusche und entdeckte etwas, das inmitten dieses fantastischen Anblicks fast unbedeutend und gleichzeitig noch packender erschien: die gewaltigen Körper imperialer Space Marines ragten inmitten des gewaltigen Hauptschiffs auf, Geister, die entsandt wurden, um den Überlebenden der schrecklichen Massaker wieder Hoffnung zu geben.
Imperiale Soldaten standen bei den mächtigen Behemonthen, wirkten gegen die bunten Körper aber so unbedeutend wie blass.
Einzig die knallige Panzerung von Prioris Leitis Sile schaffte es, sich mit den farbenfrohen Servorüstungen der Astartes zu messen.
»Unfassbar«, murmelte der Major und machte sich auf, Colonel Ekkos ‚Gäste‘ zu erreichen.
Das also hatte Gireth gemeint, als er am Funkgerät von einer unerwarteten Entwicklung gesprochen hatte.
Eine Untertreibung – und eine ziemliche krasse noch dazu. Colonel Ekko schien auf den jungen Soldaten abzufärben.
Das Lächeln, das seinen Geist erfasste, schaffte es jedoch nicht, durch seine überraschte Miene zu brechen, als er, Ligrev im Schlepptau, an die Versammelten herantrat und damit ohne Vorbereitung in einen laufenden Streit geworfen wurde.
»Ihre Männer sind nicht tot, Colonel«, beschwichtigte der gewaltige Hüne von einem Körperpanzer den offensichtlich seit einiger Zeit wetternden Offizier gerade, als die beiden Neunankömmlinge den Hörbereich der Gruppe erreichten.
»Für mich sahen die aber alle recht tot aus«, schoss Ekko zurück. »Und wenn Sie gewusst haben, dass wir die Imperiale Armee sind, warum, beim Hammer des Imperators, haben Sie dann überhaupt einen Kampf begonnen?«
»Wir mussten uns sicher sein, dass Sie sind, wer sie zu sein schienen.«
Der Colonel riss ungläubig die Augen auf, das war gut zu erkennen. Einen Augenblick lang fragte sich Carrick, ob sein Vorgesetzter jetzt gleich in Gelächter ausbrechen würde. Es wäre ihm zuzutrauen gewesen.
Doch stattdessen blies der imperiale Offizier nur wütend Luft aus. »Und dafür haben Sie sechs meiner Männer umgebracht?!«
»Sie sind nicht tot.« Die Worte des wesentlich kleineren Basteters schienen an der schieren Gewaltigkeit des unnahbaren Riesen abzuprallen, der mit seiner kräftigen, metallenen Stimme antwortete. »Wir haben sie nur … freundlich angestoßen.«
»Ja, ich weiß«, wetterte Ekko weiter. »Wenn Sie sie hätten töten wollen, dann hätten Sie es längst getan.«
»Genau«, konterte der Space Marine.
Ekko schüttelte den Kopf, kniff sich ungläubig in den Nasenrücken und hielt einen Moment lang inne, so als würde er seine Nerven beruhigen wollen. Erst jetzt bemerkte er Carrick aus den Augenwinkeln, nickte ihm zu und warf dann noch einen kurzen Blick zu Ligrev, den der Kommissar hasserfüllt erwiderte.
Es war soweit: ihrer beider Machtspielchen gingen in eine neue Runde.
Carrick grüßte seinerseits den Colonel stumm, entdeckte Captain Balgor und nickte ihm ebenfalls wortlos zu, was von dem rangniederen Basteter mit einem leichten Lächeln aufgenommen wurde.
Hinter ihm entdeckte der Major zwei Soldaten, von denen er einen als Gireth identifizierte und den anderen als einen, an dessen Namen er sich im Augenblick beim besten Willen nicht erinnern konnte.
Die beiden saßen mit apathischen Blicken auf der Rücklehne einer der Kirchenbänke und beschäftigten sich mit ihren eigenen Gedanken.
Gireth spielte mit dem Mikrofon seines Funktornisters, schlug sich das wie ein Telefonhörer geformte Sprechgerät gegen das Bein und ließ es an seiner Schnur pendeln.
Der andere Soldat ließ sein Lasergewehr auf der Spitze der Schulterstütze kreiseln und musterte dabei den verdreckten Steppentarn seiner Kampfhose.
Alles in allem sahen die beiden wirklich mitgenommen aus, gezeichnet von den Erlebnissen, die sie von den Steppen vor Golgarad bis in die Himmels-Kathedrale getrieben hatten.
»Also gut«, schloss Ekko das Thema ab. »Kommen wir zum Wesentlichen. Wenn Sie hier sind, wo ist dann die Bevölkerung?«
»Die Stadt ist geräumt worden«, informierte der Space Marine die imperialen Offiziere mit seiner gewaltigen, lautsprecherverzerrten Stimme. »Schon vor einer Ewigkeit.«
»Schon vor einer Ewigkeit?« Der imperiale Colonel runzelte die Stirn. Seine braunen Augen huschten zu der Prioris, die wortlos und mit ernstem, wissendem Gesicht neben den Astartes stand, dann sah er seinen Stellvertreter mit fragendem Blick an.
Carrick zuckte unmerklich die Schultern. Offensichtlich hatte Ekko, ähnlich wie er selbst, angenommen, dass die Makro-Kathedrale attackiert und geschändet worden war.
Auf jeden Fall hatte es General Iglianus so in seiner Einweisung an den Colonel kund getan.
»Und was haben Sie dann noch hier gemacht?«, fragte der dunkelhaarige Basteter das bunte Ungetüm vor sich.
»Die Schwestern vom Orden des Gläubigen Geistes und mein Orden sind hierher entsandt worden, um die letzten Heiligtümer und Reliquien zu evakuieren.«
Carrick warf einen Blick zu Sile. Deswegen also waren die Sororitas hier gewesen. Das klärte natürlich einige Fragen.
Aber seit wann verteidigten Space Marines Orte der Ekklesiarchie? Das war ungewöhnlich, zumal man zwischen der imperialen Kirche und den Orden der Marines mehr als oft genug verdeckte, teilweise sogar offene Feindseligkeiten beobachten konnte.
Während des Zeitalters der Apostasie, der Herrschaft des Blutes, die um circa 200.M36 stattgefunden hatte, hatten die Vorgängerinnen der heutigen Sororitas verbissen dem häretischen Ekklesiarchen Goge Vandire gedient und in seinem Namen die Space Marines bekämpft. Daher rührte auch der Name ‚Bräute des Imperators‘, den Ligrev so selbstvergessen verwendete.
Woher diese plötzliche und faktische Zusammenarbeit der Space Marines und des Adeptus Sororitas herrührte, verstand Carrick unter diesem Gesichtspunkt beileibe nicht.
Allerdings, das wiederrum wusste er, würden sie die Imperialen definitiv nicht in die Gründe für ihr Tun einweihen.
Mit dieser Tatsache im Genick würde sicherlich auch Ekko entscheiden, dass es nutzlos war, weiter zu bohren.
Provozieren konnte er sie nicht und selbst wenn, wäre mit seinem Tod dem Regiment nicht wirklich geholfen.
Offensichtlich schien das der Colonel auch so zu sehen, denn er ging nicht weiter auf die Tatsache ein.
Stattdessen kratzte er sich nachdenklich am Kinn. »Und was sollte dann mit der Stadt geschehen?«
Der Space Marine schwieg.
»Sagen Sie mir nicht, Sie wollten die gesamte Anlage sprengen.«
Der Marine sah ihn weiterhin lediglich stumm an. Plötzliches Begreifen schoss durch den Raum.
»Herr auf dem Thron«, flüsterte Carrick. Er konnte es nicht fassen. Sie hatten dieses gewaltige Bauwerk wirklich vernichten wollen. Weshalb, beim Thron von Terra?
Ligrev war käseweiß geworden.
»Sie wollten die gesamte Anlage sprengen«, stellte Ekko resigniert fest. Er schüttelte den Kopf und deutete ungläubig auf den Boden. »Wir stehen auf einem Fundament aus Bomben?«
Der gepanzerte Hüne antwortete noch immer nicht.
»Beim Barte des Propheten«, seufzte der Colonel. »Einen Flug zu den Sternen hatte ich mir anders vorgestellt.«
»Aus Erde wird Feuer, aus Feuer wird Asche«, dachte Balgor laut nach.
Sile atmete stolz ein. »So im Namen des Imperators.«
»Und in seinem Haus auch«, fügte Ekko an. Der Basteter begann, in dem Raum umherzuwandern. »Aber es ist nicht geplant, uns in nächster Zeit in einen anderen Aggregatzustand zu versetzen, richtig?«
»Ich denke, dass das, nun da die Imperiale Armee diesen Ort für das Wohl des Imperiums sichert, nicht mehr nötig sein wird«, warf die Prioris neben ihm ein. Ihre erfrischende Stimme hauchte durch die Halle wie zarter Wind. »Sicherlich werden die Brüder mir zustimmen, dass wir die Sprengladungen demontieren können.«
»In der Tat«, bestätigte der Space Marine.
»Sehr gut«, stimmte Ekko zu. Der Colonel ließ seine braunen Augen einige Sekunden lang über die Toten schweifen und machte sich seine eigenen Gedanken, dann wandte er sich an den in eine bunte Panzerung gehüllten Krieger. »Und was ist mit denen da passiert?«, fragte er mit einem Kopfrucken in die Richtung der Toten.
Erst jetzt erkannte Carrick, dass die Männer, die er zuvor für Betende gehalten hatte, tot waren. Ein gewaltiger Schreck durchfuhr ihn.
»Ekklesiarch Waloran der Meinung, dass der Tod im Angesicht der nahenden Orks das Beste sei, mit dem er dem Imperator dienen könnte. Viele andere waren seiner Meinung.« Die fast schon gespienen Worte des Marine schlugen wie ein Angriff auf die imperialen Soldaten ein, transportierten die Verachtung, die er den Männern entgegenbrachte, die sich selbst gerichtet hatten, um nicht kämpfend untergehen zu müssen.
»Und der Rest wurde auf der Flucht abgeschlachtet«, dachte Carrick laut nach, als er sich an die Opfer erinnerte, die sie vor den Außenmauern der Kathedrale gesehen hatten. »Die Schwestern müssen den Xenos einen ordentlichen Kampf geliefert haben.«
In dem Moment, da er diese Worte aussprach, erinnerte er sich daran, wer ihm gegenüberstand und sah auf.
Sile würdigte ihn keines Blickes, sondern betrachtete einzig und allein die weiten Mandalas auf dem Boden der Kathedrale.
»Na, der wird sich im Grab umdrehen, wenn er erfährt, dass die Imperiale Armee die Kirche vor den Grünen erreicht hat«, murmelte Balgor, bezogen auf den irren Ekklesiarchen.
Carrick stellte fest, dass sich ein breites Grinsen auf Ekkos Gesicht gestohlen hatte. »Oh, ja«, stimmte der Colonel zu. »Sehr sogar.«
Ligrev neben ihm konnte sich ein Grinsen gerade noch verkneifen, runzelte stattdessen die Stirn. »Also waren die Signale, die wir aufgefangen haben, von Ihnen?«
Ohne Frage hatte der Kommissar einen wahnsinnigen Respekt vor den gewaltigen Golems aus Ceramid. Hätte Carrick es beschwören sollen, hätte er sogar von regelrechter Angst gesprochen.
Interessant, bedachte man das Verhalten, das er den Schwestern des Adeptus Sororitas entgegenbrachte.
»In der Tat«, stellte der Marine fest und riss Carrick aus seinen Grübeleien. »Nachdem der Kontakt zu sämtlichen mit uns auf dieser Welt eingesetzten Einheiten abgebrochen war, haben wir uns hier eingegraben, um gemäß unseren Befehlen die restlichen hier befindlichen Relikte zu bewachen.
Allerdings empfingen wir vor wenigen Tagen die verstümmelten Funksprüche anderer Truppenverbände und haben daraufhin versucht, mit diesen Einheiten Kontakt aufzunehmen.«
»Scheint geklappt zu haben«, bemerkte Ekko und wandte sich um. » Nun gut. Damit dürfte feststehen, dass diese Kathedrale vorerst geeignet zu sein scheint, um uns als Basis zu dienen. Major«, wandte er sich an Carrick, »Sie organisieren die Errichtung unserer Stellungen außerhalb und innerhalb der Stadtmauern. Der dritte Ring wird durch das Munitorium und die nicht kampffähigen Fahrzeuge besetzt. Stellen Sie mit den Captains einen Defensivplan auf und organisieren Sie die weitere Durchsuchung der Basilika. Legen Sie mir die Ergebnisse so bald wie möglich vor.«
Carrick nickte. »Verstanden, Sir. Ich werde es sof...«
»5120100, hier 0072 Azrael. Eine Nachricht für Colonel Ekko«, bellte eine metallene Stimme, noch bevor es jemand hätte verhindern können, ihre Nachricht ins Innere der Halle.
Die konzentrierte Atmosphäre der Besprechung zerbrach, durch die unerwartete Störung vollkommen aus dem Gleichgewicht gebracht.
Alle Augen wandten sich Gireth zu, der nun plötzlich vollkommen allein auf der Kirchenbank saß und erschrocken zurückstarrte. Carrick registrierte, dass das Sprechgerät des Tornisters, mit dem der Soldat gerade noch gespielt hatte, nun an der Schnur baumelte, die es mit dem Funkgerät verband. Offensichtlich hatte Gireth es vor Schock fallen lassen.
Rahael war aufgesprungen und lehnte mit entgeistertem Gesicht an der direkt neben der Bank aufragenden Säule. Augenscheinlich hatte er durch den eingehenden Spruch einen Heidenschreck bekommen, der erst langsam wieder verklang.
»Ich … ich«, begann der junge Funker, schluckte hart und setzte neu an. »Es tut mir leid, Sir. Ich hatte die Lautsprecher vollkommen vergessen.«
»Das haben wir gehört«, erwiderte Ekko trocken und maß den Soldaten mit milden Blicken.
Carrick bewunderte die Ruhe, mit der Ekko solche Fehler abnahm. Es zeugte davon, dass der Colonel erkannte, welche Männer gute Arbeit leisteten und nur noch ein wenig Feinschliff benötigten.
Er war sich nicht sicher, ob er in derselben Situation ähnlich gehandelt hätte.
Immerhin klopfte ihm das Herz noch immer bis zum Hals. Vermutlich hätte er den Funker in einem plötzlichen Wutausbruch aus der Kathedrale geweht.
»Also, Gireth?«, fragte der Colonel erwartungsvoll. »Die Nachricht?«
Natürlich! Carrick hatte sie über den Schreck vollkommen vergessen. Gireth offensichtlich auch, denn er versuchte in großer Eile, das Sprechgerät an der Schnur zu greifen, was übermäßig albern aussah. Carrick konnte sich lebhaft vorstellen, wie die riesigen, ausdruckslosen Hünen, deren Panzerungen die Kathedrale dominierten, hinter ihrem Helmen über den törichten Menschen lachten, der es nicht schaffte, eine derart einfache Aufgabe gewissenhaft auszuführen.
Allein dafür hätte Carrick ihn vor versammelter Mannschaft in die Luft geschossen. Ekko jedoch wartete lediglich darauf, dass sich Gireth wieder sammelte.
Einen Moment später bekam der junge Funker das Sprechgerät zu fassen und drückte die Mikrofontaste. »0072 Azrael, hier 5120100, ich höre. Welche Nachricht haben Sie für den Colonel?«
Die Antwort ließ einige Herzschläge auf sich warten. Offensichtlich überlegte der Überbringer sich gerade genau, was er sagte.
Ein Anzeichen, das Carrick überhaupt nicht gefiel.
»General Iglianus fordert Sie auf, sich sofort bei ihm zu melden. Er scheint ziemlich wütend zu sein«, informierte sie die Stimme schließlich.
»Ach, verdammt und verwünscht!«, rief Ekko aus und schlug sich in plötzlicher Selbsterkenntnis an den Kopf. »Iglianus! Den hatte ich ganz vergessen.«
Die Blicke sämtlicher anwesender Imperialer schossen zum Colonel. Die Besorgnis der Offiziere war nicht zu übersehen. Wenn Iglianus sich meldete und ohne Frage äußerst ungehalten über den Fortgang ihrer Operation war, dann bedeutete das eine gewisse Gefahr für das 512.
Wenigstens konnte der Kommandeur des Regiments irgendwo noch einen gewissen Humor in der ganzen Angelegenheit finden. (Und dabei war er es gewesen, der am Schwersten von ihrer neuen Aufgabe getroffen worden war. Mochte der Gott-Imperator verstehen, was zurzeit in Ekko vorging.)
Carrick warf einen kurzen Blick zu Kolwa Ligrev, der sich ein fast ekstatisches Grinsen nicht verkneifen konnte. Den Kommissar amüsierte ihre Lage offensichtlich auch sehr. Ohne Frage, denn bisher war er mit seinen Versuchen, Ekko und den Kommandostab zu untergraben, kläglich gescheitert.
Höchstwahrscheinlich rechnete er sich nun bessere Chancen aus.
Als der blonde Basteter seinen Blick von Ligrev abwandte, trafen seine Augen die von Ekko. In ihnen konnte Carrick sehen, dass der Colonel ähnliches dachte und sich daraufhin entschieden hatte, dem General nicht noch mehr Angriffsfläche zu bieten.
Fast lautlos ging das Kommando über die Situation an den Major über, als sein Vorgesetzter den Space Marines zunickte, sich abwandte und, den jungen Funker Gireth vor sich, die Gruppe in Richtung Haupttore der Kathedrale verließ.
Die Männer und Sile folgten ihm mit ihren Blicken und machten sich ihre eigenen Gedanken zur Lage.
»Vielleicht will der General nur wissen, wo wir bleiben«, dachte Balgor laut nach. Er nahm es niemandem übel, als nicht über seinen Versuch eines Witzes gelacht wurde.

***

Die Nacht begann bereits, sich in die orange-roten Schlieren des nahenden Morgens aufzulösen, die bereits ab und an die pausenlos flackernden Entladungen heftiger Artillerieschläge verschlangen, als am südwestlichen Himmel die fahlen Lichter sich nähernder Flugzeuge auftauchten.
Eine ganze Front von ihnen hielt auf die Himmels-Kathedrale zu. Das heiße Kreischen, Fauchen und Jaulen ihrer Turbinen ließ die Luft beben.
Bodentruppen des 512. Regiments hatten noch in der Nacht damit begonnen, den matschigen Vorplatz der Himmelskathedrale zu räumen, auf dem mindestens zwei Dutzend der Ungetüme Platz fanden.
Bedachte man nun, dass das gesamte Umfeld der Kathedrale derartige Ausmaße besaß, war es unschwer sich vorzustellen, wie viel Platz ihnen zur Verfügung stand.
Die Einheiten, die in Formationen aus Dreier- und Fünfergruppen anflogen, bildeten kompliziert erscheinende Muster, während sie ihren Kurs um wenige Grad korrigierten, um die Kathedrale in ihrem Vektor direkt zu treffen.
Fast hätte man sie für eine lebende, sich windende Kreatur halten können, die sich ihnen unaufhaltsam näherte.
Prioris Leitis Sile stand wortlos am Rand des riesigen Platzes, auf dem sich bereits Truppen eingefunden hatten, welche die ankommenden Transporter schnellstmöglich entladen würden, und beobachte die imperialen Soldaten bei ihren Vorbereitungen.
Sie wirkten müde und abgekämpft, demotiviert und frustriert. Sile konnte es ihnen nicht verdenken, auch wenn sie dank ihrer Ausbildung und ihres Glaubens wenig Verständnis für derartige Empfindungen hatte.
Die Imperiale Armee wusste es nun einmal nicht besser.
Ferner Geschützdonner rollte über die Ebene. Kurze, heftige Schläge folgten. Zeitversetzt flackerte neuer Feuerschein in der Ferne auf.
Die Luftfahrzeuge waren inzwischen ein ganzes Stück herangerückt und ließen erkennen, dass sie Einheiten der imperialen Flotte waren, schnelle Senkrechtstarter, die alle vom Standard-Technologie-Konstrukt ‚Walküre‘ abstammten.
Die Standard-Technologie-Konstrukte, kurz STK, stammten allesamt aus dem dunklen Zeitalter der Technologie, waren also tausende von Jahren alt, und nur dank ihres Vorhandenseins konnte sich das Imperium überhaupt gegen die Flut der sie angreifenden Mächte verteidigen.
STKs waren meistens Baupläne, vielfach aber auch ganze Fabriken, in denen die Herstellung der mächtigen Maschinen sofort begonnen werden konnte, sobald die Anlagen mit Energie und Rohstoffen versorgt wurden.
Sie bildeten den einzigen noch existenten Bezug der Menschen zu den längst vergessenen Technologien der Vergangenheit, die in den gewaltigen Bränden früherer Konflikte untergegangen waren.
Ohne sie gab es keinen Fortschritt, keine Entwicklung und auch mit der Hilfe dieser Maschinenzaubereien konnten sich die Untertanen des Imperators nur so weit entwickeln, wie es die Konstrukte ermöglichten.
So kam es zum Beispiel, dass der Leman Russ, wie er in seinen unterschiedlichen Varianten als Hauptkampfpanzer der Imperialen Armee existierte, seit über tausend Jahren unverändert gefertigt und in den Dienst geworfen wurde, ohne jemals eine Form von Kampfwertsteigerung erhalten zu haben.
Die stahlgrauen Augen der Sororita verfolgten den Anflug der imperialen Luftfahrzeuge und maßen ihre Formen mit den Erinnerungen, die sie an imperiale Kampffahrzeuge hatte.
Den Kern und zugleich größten Teil der ankommenden Senkrechtstarter bildeten Einheiten vom Typ Walküre und Vendetta, schnelle Sturmtransporter, die sich sichtbar nur durch die Hauptbewaffnung unterschieden.
Während die Walküren mit Flugkörpern und Raketenpads ausgerüstet waren, hatten die Vendettas eine ganze Batterie an Laserkanonen, mit denen sie einen Feuersturm gegen feindliche Fahrzeuge entfesseln konnten.
Lastentransporter, genannt Sky Talons, mit der charakteristischen Form einer zerquetschten Walküre und beladen mit untergehängten schweren Containern, stationären Verteidigungskanonen und anderen Gütern, stachen vereinzelt aus der Masse der ankommenden Flugmaschinen hervor.
Begleitet wurden diese Einheiten von Vulture-Kanonenbooten, ebenfalls Abkömmlinge des STK Walküre. Durch ihr gewaltiges Triebwerk, das den Platz des Truppenraums der Sturmtransporter beanspruchte, mit den Vorteilen großer Leistungsfähigkeit ausgestattet, stellten die Kanonenboote die nahe Feuerunterstützung der vorrückenden Bodentruppen und konnte ebenfalls gegen feindliche Kanonenboote und Flugzeuge eingesetzt werden.
Das Vibrieren, das die Vielzahl von Triebwerken in der Luft verursachte, übertrug sich inzwischen auch auf den Boden. Sile spürte, wie ihre Füße sogar noch im Schutz der schweren Rüstung kribbelten, als die Armada von Senkrechtstartern über sie hinweg donnerte.
Direkt über der Kathedrale zerbrach die Formation und löste sich in mehrere weite Schleifen auf, in denen sich die Senkrechtstarter zu Anflugstaffeln gruppierten, um dann aus allen vier Himmelsrichtungen zum Kern der Makro-Kathedrale zurückzukehren.
Die ersten Transporter begannen bereits den Sinkflug auf die provisorisch eingerichteten Landefelde, wo sie erwartet wurden.
Infanteristen und Einweiser des Munitoriums wiesen die großen Flugungeheuer ein, deren mächtige Schubtriebwerke kreischend Steppensand fortbliesen.
Urplötzlich war das Umfeld der Kathedrale in eine Wolke aus feinem Staub gehüllt, der in der Luft zu vibrieren schien.
In dem Moment, da die erste Walküre auf den Boden sank und der Frachtoffizier die Seitentüren aufschob, wurde die Maschine schon durch Bodentruppen des imperialen Regiments belagert, die gleich einer marodierenden Bande anfingen, den Sturmtransporter auszuräumen.
Dann folgte die zweite Maschine. Je mehr Luftfahrzeuge landeten, umso mehr Infanteristen tauchten mit einem Mal aus allen Richtungen auf, um die Flieger zu entladen.
Sile verfolgte, wie eifrige Soldaten schwere Kisten aus den Senkrechtstartern holten und sie zu großen Stapeln abseits des Landefelds auftürmten.
Über ihnen heulten die Triebwerke der imperialen Kanonenboote, die in weiten Schleifen um die Kathedrale schlichen und versuchten, jede mögliche Bedrohung früh genug zu entdecken, damit sie diese mit ihrer geballten Macht vernichten konnten.
Kreischend erhob sich eine der Vendettas wieder in die Luft, drehte über ihre Backbordseite weg und tauchte dann in den zunehmend blauer werdenden Himmel. An ihre Stelle trat eine neue Einheit, ein Sky Talon-Lastenträger.
Das große Fluggerät balancierte auf seinen Schubtriebwerken wie ein Jongleur mit einer schweren Last auf einem Drahtseil, als der Pilot die Maschine in eine vom Einweiser des Munitoriums angezeigte Position brachte.
Ruckend lösten sich die großen Transportklammern. Mit einem dumpfen Poltern setzte der große Sky Talon seine Last auf den Boden, verharrte einen Augenblick über dem großen Container und erhob sich dann wie ein majestätischer Raubvogel zurück in seinen natürlichen Lebensraum.
Eine Walküre folgte ihr kreischend.
Sile genoss den Lärm, die professionelle Unruhe als Zeichen wahrer Hingabe an den Imperator. Diese Männer gingen ihren Aufgaben nach, als wären sie Gebete, mit denen sie Ihn priesen.
Beinahe beschämt dachte die Sororita daran, dass sie in den Tagen, seitdem sie wieder erwacht war, kaum Zeit zum Beten gefunden hatte. Sie entschied, dieses unverzeihbare Versäumnis sobald wie möglich nachzuholen.
Plötzlich geriet die Umgebung in Aufregung. Es war nicht die professionelle Unruhe des Arbeitens. Nein, vielmehr erschien es ihr, als wenn die Soldaten in ihrer Konzentration gestört worden waren und nun strauchelnd versuchten, sich wieder zu fangen.
Männer, die zuvor noch unermüdlich angepackt hatten, hielten auf einmal inne, sahen sie furchtsam an und begannen zu flüstern.
Sile runzelte die Stirn ob der Tatsache, dass sie plötzlich im allgemeinen Interesse der Umstehenden stand, bis ihr aufging, dass gar nicht sie gemeint war.
Vielmehr erfassten die Blicke der Imperialen den gewaltigen Körper, der wie aus dem Nichts plötzlich neben ihr aufgetaucht war.
Sile sah ihn an. Es war Sergeant Numitor, der Truppführer der Space Marines.
Numitor war ein gewaltiger Golem, bald so breit wie hoch und mit dem einschüchternden Panzer der Servorüstung geschützt.
Der Panzerkörper trug die Farben seines Ordens, den Revenge Angels: einen schwarzen Corpus mit dunkelblauen Beinen und dunkelblauem Helm, sowie weiße Schulterplatten, die von einer ebenfalls dunkelblauen Umrandung eingefasst wurden.
»Willkommen, Bruder«, begrüßte die Schwester den monströsen Space Marine, dessen linke Hand in einer gewaltigen Energiefaust steckte.
»Pioris Sile«, grüßte er zurück und betrachtete die Soldaten, die nun von Offizieren angeschrien und zurück zur Arbeit gestoßen wurden. »Wie ich sehe, plant die Imperiale Armee tatsächlich, diesen Ort zu ihrem Stützpunkt zu machen.«
»Ja«, bestätigte die blonde Ordensschwester seufzend. »Sie wissen gar nicht, was sie sich damit antun. Ihre Verluste werden schrecklicher sein als das, was wir bisher erlitten haben.«
Sie warf einen Blick zu dem Astartes und musterte das Ordenszeichen auf seiner rechten Schulter, einen Edelstein in Form einer Träne, unter dem sich ein stilisiertes Schriftband befand.
Eine Träne. Im Angesicht ihrer Verluste auf makabere Weise passend. Ungemein passend.
Der Orden der Revenge Angels war klein und gehörte zu einer inzwischen gemordeten Welt, deren Namen sie vergessen hatte, und deren Überreste irgendwo im All trieben, weit ab von den meisten der anderen Welten des Imperiums.
Dass sich ein Trupp des Ordens überhaupt hier befand, war nur der Tatsache zu schulden, dass die Revenge Angels eine ihnen wichtige Tradition besaßen: Sie unternahmen Pilgerreisen, deren einziges Ziel es war, eine Schreinwelt zu erreichen und während der Reise so viele Ketzer, Mutanten und Xenos zu töten, wie sie finden konnten.
Und alle Verluste, die sie dabei erlitten, wurden geehrt und gepriesen, indem die Marines noch mehr Feinde töteten.
Allerdings hatte wohl keiner von ihnen damit gerechnet, dass es jemals Imperiale sein würden, die einen der ihren vernichteten.
Sile konnte sich sehr gut vorstellen, wer den Space Marine erledigt hatte und insgeheim war sie sogar ein wenig beeindruckt, denn einen der gepanzerten Hünen erschoss man nicht einfach so zwischendurch.
Dass die Space Marines das nicht so sahen, verstand sie jedoch genauso gut und sie vermutete, dass auch sie eine unbändige Wut erfasst hätte, wäre eine ihrer Schwestern getötet worden.
Numitor regte sich um kein Stückchen, während er die Worte der Schwester beantwortete: „Wir werden Bruder Meridus ehren und um ihn trauern, wie es unsere Tradition ist.«
Ein finsteres Lächeln stahl sich in das Gesicht der Prioris, als sie die Worte des Space Marine vernahm. »Ihre Tradition, Bruder Numitor?«
»Wir werden seinen Mörder finden und ihn zerfetzen.«
»Ich bin beeindruckt«, bemerkte die Sororita und strich sich mit der gepanzerten Hand ihrer Servorüstung über den Pferdeschwanz ihres Haupthaars. »Welch Ehre für ihn.«
»Ihr Zynismus ist unangebracht«, bemerkte der Astartes ungerührt. »Jeder Bolterschuss wird durch die Aufzählung der Taten unseres Bruders begleitet und ihn somit ehren.«
»Das dürften eine Menge Schüsse sein«, stellte die Schwester an der Seite des Hünen fest. »Ich halte die Verschwendung von derart viel Munition für eine schwer verzeiliche Ehrlosigkeit gegenüber den hohen Zielen des Imperators.«
»Ich verstehe«, antwortete der Sergeant.
Damit schwiegen sie und ließen die Umgebung wieder zu Wort kommen, was diese eifrig wahrnahm.
Kreischen, Heulen und Brüllen landender und startender Maschinen umfing sie, ging einher mit dem dumpfen Poltern schwerer Kästen und Container, die den Boden berührten und dem Rufen und Schreien der imperialen Soldaten.
»Lasst mich einen Vorschlag machen, Bruder Sergeant«, erhob Sile ihre Stimme, nachdem sie einige Zeit schweigend neben dem Astartes gestanden hatte. »Ihr werdet den wahren Mörder Eures Bruders sicherlich niemals finden. Keiner weiß, wer es war und mich beschleicht das dumpfe Gefühl, dass sich auch niemand freiwillig melden wird.«
Auch, wenn die Schwester wusste, dass die schweren Helme der Space Marines aus Ceramid bestanden, ähnlich denen der Schwesternschaft, und damit vollkommen unbeweglich waren, erfasste sie dennoch das unheimliche Gefühl, die stilisierten Augen des Superkriegers hätten sich verengt, als er ihr finster antwortete: »Und was schlagt Ihr vor, Schwester Sile?«
»Bündelt Eure Kraft, Bruder! Lenkt Euren Zorn! Wir haben einen Feind, den zu bekämpfen oberste Priorität hat. Ihr ehrt Euren Bruder am Ehesten, wenn Eure Wut den Zorn des Imperators unterstützt, unsere Feinde zerschmettert und so die Taten Eures Bruders in Erinnerung bleiben.«
»Das wird meinen Brüdern nicht gefallen«, dachte der Space Marine nach. »Sie wollen Rache.«
»Und sie werden ihre Rache bekommen!«, schwor Sile. »Doch an wem wollt Ihr Euren Blutdurst stillen? Wer ist dafür verantwortlich? Das werdet Ihr nie erfahren.«
»Und wenn wir diese ganze Armee auslöschen!«, erwiderte der Marine. »Wir werden den Mörder zur Rechenschaft ziehen.«
Sile seufzte. Das Adeptus Sororitas lehrte den glühenden Zorn auf die Feinde des Imperators, die unbändige Wut, sie zu zerschmettern und das tödliche Wissen, ihre Leiden ins Unermessliche zu steigern.
Doch es lehrte auch, dass es manchmal reichte, die Wut, die man auf jemanden verspürte, in andere Bahnen zu lenken und sie sich zunutze zu machen. Denn jede Energie, die man auf eine persönliche Vendetta verschwendete (bei diesem Gedanken warf sie einen Blick auf die startenden Senkrechtstarter), war Energie, die dem Ziel des Imperators nicht zur Verfügung stand.
Daher wurden die Schwestern gelehrt, ihre Wut zu kontrollieren und sie zu richten. Offensichtlich besaßen die Space Marines diese Fähigkeit nicht. Genmanipulierte Schläger ohne Hirn und Verstand.
Der Imperator beschützte!
»Also gut«, setzte die Schwester neu an. Ihr lag nicht wirklich etwas an den imperialen Soldaten, aber sie wusste, dass die Männer ihre einzige Chance waren, diesen Kampf zu überleben und ohne die Rückzugsmöglichkeit der Kathedrale hatten die Truppen der imperialen Armee keine Chance, gegen die Masse der Orks anzukämpfen, die diesen Planeten längst überrannt hatten.
Es gab keine Hoffnung für Agos Virgil. Und wenn es nicht gelang, die Xeno-Streitmacht zu besiegen, dann gab es auch keine Hoffnung für mehr für jene, die noch lebten.
Deshalb war es wichtig, ihre ganze Wut und ihren Hass auf den Feind zu konzentrieren, nicht auf einzelne Fehden. »Dann sagt ihnen, dass ihre Rache wird warten müssen, bis der Feind an diesem Ort besiegt ist. Es ist unnütz, sich auf andere Dinge zu fokussieren, denn so sinken Konzentration und Kampfkraft. Wenn der Feind besiegt ist und Ihr noch immer den Wunsch verspürt, Euren Bruder zu rächen, dann tut es. Aber nicht vorher. Das dient weder dem Imperium, noch dem Imperator«, erklärte sie.
»Ich denke, meine Brüder werden diesen Standpunkt verstehen«, stellte der Astartes mit seiner tiefen metallenen Stimme fest, deren Klang auf Siles Haut den steten Schauer einer körperlosen Berührung zurückließ.
Es war ein angenehmes Gefühl, das in ihr die Lust auf körperliche Befriedigung wach rief und sie fragte sich unwillkürlich, ob der Imperator wohl etwas dagegen gesagt hätte, wenn sie sich mit dem Superkrieger vereinigte.
Es dauerte einen Augenblick, diesen durchaus erotischen Gedanken zu bekämpfen und das aufbegehrende Gefühl hemmungsloser Lust zurückzudrängen, das sie zu überfallen drohte.
Sie schwieg eine ganze Weile und beobachtete, wie die Transporter landeten, entladen wurden und dann wieder abhoben, während ihr Innerstes mit sich selbst ausfocht, welcher Macht sie nun nachgeben wollte: den Trieben der Natur oder ihrem Eid an den Imperator. Es fand zu keiner Einigung, sondern merkte viel eher an, dass das eine das andere nicht ausschloss.
»Sie werden keine Chance haben«, stellte der Marine fest und riss sie aus ihren Überlegungen. Für einen Moment lang war die Schwester verwirrt, dann jedoch fing sie sich. Natürlich meinte er die Imperiale Armee.
»Nein, natürlich nicht«, erwiderte Sile, als sei dem Superkrieger erst jetzt eine offensichtliche Tatsache aufgefallen, die sich alle anderen bereits vor Wochen ausgerechnet hatten. »Aber sie werden dennoch kämpfen, gerade weil es ihnen so befohlen wurde und ihr Glaube an den Imperator unendlich ist.«
»Normale können niemals wahre Diener des Imperators sein«, brummte Numitor verächtlich.
Sile lächelte finster. Wenn man es genau betrachtete, war auch sie, was der Space Marine als »Normale« bezeichnete. Tatsächlich sahen viele Space Marines die nicht manipulierten Menschen als niedere Lebewesen an, die sie lediglich duldeten, weil sie auf der gleichen Seite kämpften, aber die ihnen in jeder Hinsicht unterlegen waren.
Aber vermutlich war das eine Eigenart, die sich jeder, der den wahren Dienst für den Imperator zu verrichten glaubte, erlaubte.
Bisweilen ertappte sie sich sogar selbst dabei, in diesen Bahnen zu denken, was ihr immer wie ein gewisses Maß an Häresie vorkam und zumeist in Demut und Selbstgeißelung endete. Leitis Sile wollte sich nicht der Arroganz hingeben, zu glauben, sie sei allen anderen Dienenden überlegen. Und wenn das doch geschah, dann war sie ohne Umschweife bereit, sich selbst zu bestrafen.
»Habt Ihr es geschafft?«, fragte der gewaltige Hüne aus Ceramid unvermittelt.
Die Sororita sah überrascht auf, als er so unerwartet das Thema wechselte, dann jedoch verstand sie und nickte finster. »Ja, es ist uns gelungen. Aber ich habe dabei alle meine Schwestern verloren.«
»Ich verstehe.« Die stilisierten Augen des Astartes wandten sich der aufgehenden Sonne zu. »Der Imperator wird sich ihrer annehmen.«
»Dafür werde ich beten«, dachte die Sororita laut.
Dann schwiegen sie und beobachteten, wie ein imperialer Offizier mehrere Soldaten anschrie, die einen Berg Kisten so überladen hatten, dass dieser zusammengestürzt und Werkzeug aus zerbrochenen Kisten auf den matschigen Boden gefallen war.
Die Sororita und der Astartes ließen die Szene einfach geschehen und verfolgten, wie die imperialen Soldaten sich abmühten, den angerichteten Schaden zu beheben.
Es dauerte eine ganze Weile, bis der Marine sich dazu entschied, den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen. Seine dunkle, metallene Stimme klang so weich wie teilnahmslos. »Weiß er es?«
»Nein«, erwiderte Sile und verschränkte die Arme vor der Brust, als sie verstand, dass er von Colonel Ekko sprach. »Und ich denke auch nicht, dass er es jemals erfahren wird.«
Numitor nickte gewichtig. »Was geschieht nun?«
»Nun ist es unsere Pflicht, diesen Ort des Imperiums mit aller uns zur Verfügung stehenden Macht zu verteidigen, um der Bedrohung durch die Orkoiden ein für alle Mal ein Ende zu bereiten.«
»Die Revenge Angels werden mit Ihnen kämpfen, Schwester Sile«, bekräftigte der gepanzerte Riese.
Die Sororita lächelte finster. »Ich danke Ihnen, Sergeant. Ich weiß das zu würdigen.«
»Ist das nicht toll?«, rief ihr eine bereits vertraute Stimme zu. Sile wandte den Kopf und entdeckte Ekko, der mit großen Schritten am Platz entlangging und dabei scheinbar Selbstgespräche führte.
Es dauerte eine Weile, bis die Schwester erkannte, dass er mit seinem Funker redete, der beinahe Laufen musste, um mit ihm Schritt zu halten. »Das ist wie im Urlaub: Sonne! Sand! Lärm! Und das Wasser finden wir auch, nur ein paar Ebenen tiefer!«
Er wirkte freudig, fast ekstatisch, was wohl kein gutes Zeichen war. Soviel hatte Sile während ihrer paar Tage beim Regiment bereits herausgefunden. Das konnte sie nicht verstehen. Jemand, der mit derart viel Hingabe und Begeisterung seinen Dienst für den Imperator erfüllte, hätte eigentlich von allen Menschen respektiert und geehrt werden müssen.
Doch so war es leider nur in den wenigsten Fällen. Die meisten dieser wahren Diener gingen im Meer der Masse unter, wurden vergessen und vergingen wie ungehörte Stimmen im Sturm.
Und die, denen es vergönnt war zu überleben, wurden als Verrückte abgetan. Nur die wenigsten unter ihnen wurden zu gepriesenen Helden, wie es eigentlich jedem dieser Soldaten des Imperators hätte angedeihen sollen.
»Dieser Colonel ist ein interessanter Mensch«, bemerkte der Marine, während er dem Weg der beiden Imperialen mit seinen Augen folgte. Aus seiner Stimme konnte man Verwirrung heraushören, was Sile an ihre eigene erste Begegnung mit Ekko erinnerte. Dort hatte sie den Colonel ebenfalls für einen Irren gehalten. Aber inzwischen erkannte sie, dass das nicht stimmte.
Ekko war nicht verrückt … da war mehr. Es war eher wie das Aufblühen eines sterbenden Sterns. Ein heißes Flackern, das seine Umgebung erhellte und erleuchtete, bis sich seine Quelle unter dem Gewicht seiner eigenen Lasten selbst zerstörte.
Sie hatte bereits mehr als genügend tapfere Menschen – Männer wie auch Frauen – gesehen, denen es so ergangen war. Sie hatten sich mit ihren Pflichten selbst überladen und waren daran zerbrochen.
Und nun stand sie hier und erlebte den Zerfall eines solchen Menschen mit. Es konnte kein Zufall sein, dass sie mit Ekko zusammengetroffen war. Es musste eine Fügung sein, wie sie nur der Imperator initiierte, um seine wahren Diener zu schützen.
Und sie würde dem Imperator dienen. Sie würde Ekko beschützen – selbst, wenn es ihr Leben kostete.
»Das stimmt«, pflichtete die Sororita den Worten des Astartes bei. »Der Imperator muss ihn berührt haben.«
»Sind Sie sich sicher, dass der Imperator ihn berührt hat?«, fragte der Marine mit einem Kopfnicken in die Richtung, in der die beiden Imperialen aus ihrem Blickfeld verschwunden waren. Der Zweifel in seiner mächtigen Stimme ließ Siles Körper selbst noch in ihrer Servorüstung vibrieren.
»Ja«, antwortete die Prioris und verschränkte die Arme unter der Brust, während sie ihre Augen auf den Platz richtete. »Anders weiß ich mir nicht zu erklären, wie er so lange überleben konnte.«
Das kann ich mir wirklich nicht erklären. Aber jetzt, Galard Ekko, bin ich bei dir. Du musst dich nicht mehr fürchten.

***

Der Sky Talon wirkte wie ein urzeitliches Flugmonster, das wartend auf dem Boden saß, bereit sich sein nächstes Opfer zu krallen und in die Luft zu entführen.
Aber die Techpriester, die um das Luftgefährt standen und es begutachteten, ließen bereits erahnen, dass dieser Frachtflieger so schnell nicht mehr in den Himmel steigen würde.
»Die Reparatur kann eine ganze Weile dauern. Dafür werden wir mindestens sieben Tage brauchen«, stellte einer der Männer fest. Seine Stimme besaß dasselbe melodische Heulen der startenden Transporter und als er den Adressaten seiner Worte ansah, konnte der sich des Gedankens nicht erwehren, dass er selbst ein lebendig gewordenes Teil des Luftgefährts war.
»So ein Mist«, brummte der Angesprochene und schlug gegen die Seitenpanzerung seines Gefährts. »Gerade jetzt.«
Die flügellahme Maschine schwieg zu dem Vorwurf ihres Piloten und wartete mit gesenktem Kopf auf eine weit schärfere Strafe.
Demetrian Gantis, 1278. Transportgeschwader der imperialen Raumflotte, seufzte tief und strich das dunkle Haar, das wild unter seinem geöffneten Helm hervorstand, aus dem Gesicht. Dann tippte er der erschöpften Sky Talon auf die Panzerung. »Schon okay. Ich habs nicht böse gemeint, Lyka.«
Er wandte sich an die Maschinenseher. »Tun Sie, was Sie tun müssen. Hauptsache, ich komme so schnell wie möglich zu meinem Geschwader zurück.«
Die Männer nickten stumm und entfernten sich, um eine nahe Trojan-Zugmaschine heranzuholen, welche die Maschine aus dem Weg schleppen konnte, damit das Entladen der restlichen Einheiten so schnell wie möglich weiterging.
Gantis seufzte abermals und folgte einem Trupp Soldaten, die etliche schwere Kisten mit großkalibriger Munition aus dem Strahlbereich der Senkrechtstartertriebwerke brachten.
Erst einmal musste er einen der zuständigen Offiziere finden, den er über sein Problem und seinen längeren Aufenthalt bei diesem Regiment informieren konnte.
In dem Chaos sicherlich nicht einfach.
Er nahm seinen Helm ab und beobachtete die Landungen und Starts seiner Kameraden, welche mit ihren Maschinen schwere Lasten anlieferten.
Es tat weh, an den Boden gefesselt zu sein, während er beobachten musste, dass es seinen Kameraden nicht so erging.
Nur dreißig Meter entfernt heulten die Turbinen einer Vendetta auf, als die letzten Kisten mit Material aus dem Transporter entladen wurden.
Gantis lächelte, als er die charakteristische Malerei erkannte, welche die Nase des Sturmtransporters zierte. Ein Adler, wunderschön gezeichnet, aber mit einem Makel: die Augen des stilisierten Ungeheuers waren nach hinten verrutscht, was den Adler aussehen ließ, als habe er eine kräftige Verstopfung.
Dass sie ihn deswegen schielendes Vögelchen nannten, war eigentlich nur eine Freundlichkeit ihrerseits. Es hatten auch schon ganz andere Spitznamen kursiert, von denen nur die wenigsten wirklich freundlich gemeint waren.
Er konnte nicht verhindern, dass sein Lächeln zu einem Grinsen wurde, als er an die letzte Namensschöpfung dachte, die da »Kackadu« geheißen hatte. Ein kleines Wortspiel – aber sehr amüsant.
Doch wie auch immer man es sah, der eigentliche Grund für seine Freude war weniger der missratene Vogel als vielmehr der Pilot der im Cockpit der Vendetta saß.
Das war die Maschine von Sturges Rohin, dem wohl besten Trinkkumpanen im ganzen Geschwader. Mit ihm konnte man lustig Sachen erleben – wirklich lustige.
Gantis blieb stehen und verfolgte, wie einer der Einweiser vor den Flieger trat, die Aufmerksamkeit des Piloten auf sich lenkte und dann die Arme ausstreckte.
Der behelmte Kopf von Sturges Rohin wackelte unter der Cockpitscheibe, als der Pilot die Kenntnisnahme des Zeichens bestätigte.
Als hätte er seinen Einweiser dadurch zu einem Ballett ermutigt, hob dieser die Arme aus der Waagerechten und ließ die Handflächen über dem Kopf zusammenklatschen.
Ronin salutierte und hob seinen Vogel vom Boden. Gehorsam schwenkte der Sturmtransporter herum und folgte dann den anderen Maschinen mit brüllenden Triebwerken gen Südosten.
»Auf bald, Sturge«, murmelte der imperiale Pilot und verfolgte, wie die Vendetta in den blauen Himmel verschwand.
Zwei Kanonenboote zogen mit heulenden Turbinen in einem weiten Bogen an der Kathedrale vorbei und verschwanden wieder hinter dem Hauptgebäude des Komplexes, der sich in prunkvoller Erhabenheit über den imperialen Soldaten erhob.
Gantis nahm sich Zeit, das gewaltige Gemäuer zu betrachten. Es war ein mächtiger Vertreter der imperialen Baukunst, eine Ehrung der Göttlichkeit des Imperators.
Man konnte nur stolz sein, im Imperium der Menschheit leben zu dürfen, wo die Menschen noch rein waren in ihrem Glauben und …
»Sind Sie etwa total bescheuert?!«, schrie ihn jemand an. „Sorgen Sie dafür, dass das sofort behoben wird!“
Überrascht schreckte Gantis auf und sah sich um, durch den Ruf bereits alarmiert und angespannt.
Ein hochgewachsener Soldat hatte sich vor einer Gruppe anderer Männer aufgebaut und schrie sie – offensichtlich grundlos – an.
Unmerklich entspannte sich der imperiale Pilot. Wenigstens hatte der Mann mit seinem Geschrei nicht ihn gemeint. Ansonsten hätte es jetzt eine ziemlich böse Auseinandersetzung gegeben. Ein Infanterist, der versuchte, einem Piloten der Flotte Vorschriften zu machen. Das war etwas, das die Navy sich nicht gefallen ließ.
Außer Kommissaren waren keine Angehörigen der Armee befugt, sich der Flotte gegenüber zu Befehlshabenden zu erklären. So stand es in den Statuten des Imperiums geschrieben, im Handbuch der Kommissare und den Instruktionshandbüchern der imperialen Offiziere, sei es nun von der Flotte oder der Armee.
Wortlos verfolgte er, wie der Mann seine Untergebenen in Grund und Boden stampfte und sie dann fortscheuchte, um die nicht (oder nur mangelhaft) erledigten Aufgaben wahrzunehmen.
Die Armee durfte der Flotte keine Befehle erteilen, die Flotte der Armee aber auch nicht. Sie existierten nebeneinander her, brauchten einander sogar, aber damit endete ihre gemeinsame Existenz auch schon.
Das lag nun einmal in der Geschichte des Imperiums behaftet, in der kombinierte Streitkräfte aus Flotte und Armee gemeutert hatten. Um weitere dieser Auflehnungen zu verhindern, hatte der Hohe Senat zu Terra im Namen des Imperators verfügt, dass nie wieder eine Flotte unter dem Kommando eines Infanterieoffizier und nie wieder eine Armee unter dem Kommando eines Flottenoffiziers diente.
Es war übrigens auch der gleiche Grund, aus dem bei der Armee die einzelnen Waffengattungen und bei der Flotte die unterschiedlichen Fliegerstaffeln und Raumschiffverbände in ihren Kommandostrukturen strikt voneinander getrennt wurden.
Einzig die für Feldzüge ernannten Oberkommandierenden hatte das Kommando über alle ihre Verbände, um wenigstens eine gewisse Einigkeit zu erhalten, ohne die der Spalt zwischen den einzelnen Teilstreitkräften der Kriegsmaschine von Terra wohl noch größer gewesen wäre.
Allerdings, und das freute Gantis ungemein, löste die Anwesenheit dieses schreienden Offiziers sein nächstes größeres Problem zu einem gewissen Teil, denn endlich hatte er einen höherrangiger Truppenführer gefunden.
Er straffte seine Uniform, trat zu dem Mann und nahm Haltung an. »Sir?«
Der Infanterieoffizier, ein Captain, wandte sich um und musterte den Piloten mit einem strengen Blick, aus dem Uniformvorschriften sprangen und seine Uniform abmaßen. Einige Sekunden lang herrschte vollkommene Stille, dann sah der Mann auf. »Ja?«, fragte er kurz angebunden.
»Lieutenant Demetrian Gantis, 1278. Transportgeschwader. Ich suche den Verantwortlichen dieser Einheit.«
Die Miene des Offiziers entgleiste sichtlich. Er wandte sich um, suchte einen Moment und wies dann auf einen Mann, der am Rand des improvisierten Landefelds entlang ging.
»Der da«, sagte er mit deutlich aggressivem Tonfall in der Stimme.
Gantis nickte dankbar, salutierte dem Offizier und beeilte sich, die angezeigte Person zu erreichen.
Schon im Gehen nahm er die Gelegenheit war, den Offizier zu betrachten und sich auf ihn vorzubereiten.
Der Mann, den der Captain ihm gezeigt hatte, schien nicht nur ein Verantwortlicher zu sein, sondern sogar der Kommandeur des Regiments.
Er hatte dunkles, zerzaustes Haar und dunkel funkelnde Augen, was ihm ein etwas dümmliches, aber auch irrsinniges Aussehen gab.
Wenn er von Typ her so ein Mensch war, wie er aussah, dann würde Gantis die Maschinenseher sicherlich zu Höchstleistungen antreiben, um nicht noch länger als nötig hier zu verweilen.
Selbstsicher trat er auf den Offizier zu und gab dem Mann Gelegenheit, ihn als Neuankömmling zu erfassen, bevor er ihn ansprach.
»Sir, ich bin Lieutenant Demetrian Gantis, 1278. Transportgeschwader«, stellte er sich vor und salutierte.
Der Offizier musterte ihn kurz, dann nahm er ebenfalls Haltung an und erwiderte den Gruß. »Colonel Galard Ekko, 512. Sera.«
»Sera?«, fragte Gantis unvermittelt. Er hatte es einfach nicht verhindern können. Den Namen seiner alten Heimat hatte er schon lange nicht mehr gehört. »Sie meinen … Serareh auf Bastet III …, Sir?«
Der Colonel zog die Augenbrauen zusammen. »Ja, Serareh auf Bastet III. Wir sind fast alle Basteter.«
»Ich fasse es nicht«, brachte Gantis hervor und versuchte, das auf seine Lippen tretende Grinsen zu unterdrücken. Es gelang ihm nicht.
Auf den befremdeten Blick des Basteters hin zuckte er entschuldigend die Achseln. »Es tut mir leid, Sir. Hätte nicht gedacht, sobald ein paar Leute aus der Heimat wiederzusehen.«
»Sie stammen auch von Bastet«, stellte der andere fest und begann zu lachen, als Gantis nickte. »Tja, ich würde dann mal sagen: Willkommen.«
Der Pilot ließ ein grimassenhaftes Grinsen auf sein Gesicht gleiten. »Vielen Dank.« Auf jeden Fall schien der imperiale Offizier nett zu sein. Vielleicht hatte er ja Glück, dass er an einen Basteter geraten war – und dazu noch einen, den man wirklich mögen konnte.
»Und was genau hat Sie Flieger auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt?«, erkundigte sich der Colonel.
»Lyka hier …« Gantis wies auf die Maschine, die zwischen den landenden und startenden Senkrechtstartern wie ein gestrandeter Wal tot in der aufgehenden Sonne lag und gerade von Maschinensehern umschwärmt wurde, die dabei waren, das nutzlose Fluggerät mit der Trojan zu vertäuen, »… hat leider einige Probleme damit, wieder in die Luft zu kommen.«
Verstehend schürzte Ekko die Lippen. »Klingt, als würde das ein längerer Aufenthalt werden.«
»Ja, Sir«, bestätigte der Flieger wehleidig. »Ich wünschte, es wäre anders verlaufen.«
»Manchmal liebt das Universum es, uns im Namen des Gott-Imperators den einen oder anderen Streich zu spielen«, merkte Ekko an. »Das weiß ich aus eigener Erfahrung.«
»Ich hoffe nur, dass es mich nicht zu seinem neuen Lieblingsopfer erkoren hat.« Gantis seufzte leise. Er glaubte fest an den Imperator und dessen göttliche Sicht über die Lebensfäden aller seiner Untertanen. Und wenn Universum sich im Namen des Imperators ein neues Opfer zum Traktieren gesucht hatte, dann hätte er es als Fügung hingenommen. Und dennoch. Er hoffte noch immer, dass es nur vorübergehendes Pech war.
»Da habe ich keine Sorge«, versicherte der Colonel aufrichtig. »Das Universum hat sich sein Lieblingsopfer längst ausgesucht.«
Für einen Augenblick lang glaubte Gantis, im Blick des Offiziers eine Form von Freudlosigkeit zu sehen – oder Melancholie.
Dann jedoch klärte sich der Blick des Mannes so schnell wie er sich verdunkelt hatte. »Auf jeden Fall hoffe ich das Beste für Sie und Lyka«, wünschte er. »Fühlen Sie sich hier wie im Schoße der Heiligen – sind Sie ja im Grunde auch.«
»Es stört Sie gar nicht, dass ich meiner Maschine einen Namen gegeben habe?«, erkundigte sich Gantis stirnrunzelnd. Offensichtlich konnte er nicht glauben, dass ein so hochrangiger Offizier der Infanterie diese Eigenheit aller Fahrzeugführer so einfach hinnahm.
»Nein«, antwortete Ekko wie selbstverständlich. »Und wenn Sie das wundert, dann kennen Sie Horatius noch nicht.«
Er nickte dem Piloten zu, wandte sich ab und ging.
 
Der Pilot gefällt mir.^^

Anmerkung, die die letzten drei Teile umfasst: Ich wusste irgendwie sofort, dass es Space Marines sind und ich finde sie (oder ihren Sergeant) ziemlich irrational und nicht ritterlich genug. Würde ein Space Marine ein ganzes Regiment bekämpfen wollen, weil einer seiner Brüder bei einer Aktion starb, die die Space Marines selbst verschuldet haben?

Dagegen finde ich Siles Entwicklung interessant. Ist sie nur an Ekkos Glück interessiert, oder weiß sie mehr als wir? Hinzu kommt natürlich, dass der Oberst nicht zum ersten Mal mit Sororitas zu tun hat, kann man da eine Verbindung zu ableiten?

Da ich gespannt bin, wies weitergeht, werde ich auf einer gewissen anderen Internetseite weiterlesen^^.
 
Salve,

also - du sprichst bei dieser Geschichte von irrationalen Charakteren? Oha ... ;_D Ja, natürlich sind sie irrational. Aber ich glaube, das stammt auch von meiner Sicht auf die Marines. Denn ja - ich halte Space Marines für irrational und einfach, nicht für ritterlich und, wie Sile es bemerkt, hirnlose Schlächter.

Sie mögen zwar intelligent und dem Imperator treu ergeben sein, aber ich kann mir schon gut vorstellen, dass Space Marines ein ganzes Imperiales Regiment bekämpfen würden, denn ich glaube nicht, dass sie sich darüber klar sind oder klar werden wollen, dass sie die Situation verursacht haben.

Und - weil ich auf verschrobene und irre Charaktere stehe, war das wohl abzusehen ;-D

Alles Vale

SMN
 
Argh, peinlich - ich habe ja noch zwei Kapitel in Reserve ... tut mir leid ^^

Viel Spaß beim Lesen ;-D

17


Die langen Kolonnen marschierender imperialer Soldaten und stampfender und rollender Fahrzeuge wirbelten Unmengen an Staub auf, unter deren dunstigem Schleier Menschen und Material wie schemenhafte Geister vorwärts glitten.
Ungnädig brannte die Sonne vom Himmel und gerade die in die Luft geblasene Mischung aus feinem Sand und Erde, die sie alle lautstark verfluchten, bot ihnen ein gewisses Maß an Schutz vor dem glühenden Gestirn, unter dessen Hitze sie brieten.
Joarah Nurin und seine Panzerbesatzung saßen auf dem Dach ihres Destroyers und betrachteten die Männer, die in stummer Niedergeschlagenheit vorbeimarschierten.
Röhrende Lastwagen und stampfende Läufer passierten die erschöpften Soldaten mit der steifen Gleichgültigkeit von Technologie, missachteten deren Bedürfnis nach Erholung und Schlaf ebenso kategorisch, wie es ihre Oberbefehlshaber taten.
Nach beinahe fünf Tagen voller Kämpfe und Gewaltmärsche, mit nur wenigen Stunden Schlaf und lediglich kurzen Essenspausen versorgt, grenzte es beinahe an ein Wunder, dass die Männer noch immer in der Lage waren zu marschieren und zu kämpfen.
Und auch, wenn sie im Grunde lediglich von der Angst vor den eigenen Kommissaren getrieben wurden, so fand Nurin es höchst bewundernswert, dass sie in diesem Zustand überhaupt noch zu Furcht in der Lage waren.
»Es heißt, dass das hier die Entscheidungsschlacht wird«, bemerkte eine schnodderige Stimme neben ihm.
Der Captain löste seinen Blick von der endlos langen Kolonne aus Menschen und Material. »Bitte?«, fragte er an den Sprecher gewandt, einen breiten Mann mit zerknittertem Gesicht und wirrem Haar, dessen Augen etwas irrsinnig funkelten.
»Ich habe gehört, dass das die Entscheidungsschlacht werden soll«, bemerkte Terem Ves, seines Zeichens Fahrer von Enforcer eins, bevor er ausspie. »Stimmt das?«
»Dazu kann ich nichts sagen«, entgegnete Nurin achselzuckend. »Habe ich bisher nichts von gehört.« Das war natürlich nur zur Hälfte wahr.
Tatsächlich hatte er einiges gehört. Einige Informationen von der Aufklärung, gemischt mit allerlei Vermutungen, Kommentaren und Bewertungen – also Dingen, auf die nicht zu hören Jaorah Nurin gelernt hatte.
Es war einfach, einen Feind zu betrachten und zu verkünden, was man dachte, dass er es tun würde. Aber es war eine andere Sache, den Feind zu betrachten und seine Ziele wirklich zu erkennen.
Ein Jagdpanzer-Kommandant lernte, seine Feinde zu erfassen und sie einzuordnen, sie zu analysieren und ihre Absichten berechnen, ohne auf hochschweifende Kommentare zurückzugreifen oder sich durch überhebliche Bemerkungen zu blenden. Dafür hatten Männer wie er gar keine Zeit.
Hätte Nurin irgendetwas auf das gegeben, was er in den letzten Briefings erfahren hatte, dann wäre er allein mit einem geladenen Lasergewehr losmarschiert und hätte die Grünhäute bis auf den letzten Grot erledigt.
Doch wenn er seine eigenen Sichtungen und Entdeckungen auswertete und sie mit dem verglich, was die Aufklärung propagierte, dann bot sich ihm ein vollkommen anderes Bild.
Orks mochten brutale, aggressive Bestien sein, aber das schloss nicht aus, dass sie intelligent waren.
Die Spitzenmodelle unter ihnen waren sogar zu taktischen und strategischen Manövern in der Lage, dass bei einem aufmerksamen imperialen Offizier die Alarmglocken hätten klingeln müssen.
Alles, was er bisher beobachtet hatte, deutete darauf hin, dass die Xenos irgendetwas planten. Ihr Weg hatte sie, trotz aller Verluste und Schläge der imperialen Truppen, an diesen Ort geführt. Keine Schlenker, kein Ausweichen. Sie hatten sogar ganze Teile ihrer Armee zurückgelassen und nicht versucht, die Imperialen ihrerseits einzukesseln.
Das stimmte etwas nicht. Ganz und gar nicht.
Nachdenklich blickte er auf.
Enforcer zwo und drei standen der Flanke seines Jagdpanzers direkt gegenüber, ebenfalls mit auf Rumpf und Turm aufgesessener Besatzung.
Während sich die Männer von Enforcer drei angeregt unterhielten und ihre letzten Heldentaten für spätere Geschichten abglichen, döste die Mannschaft des zweiten Jagdpanzers in der heißen Sonne.
Doch nicht nur die Besatzungen erholten sich von den Strapazen der letzten Schlacht, auch ihre Panzer holten tief Luft und beruhigten sich allmählich.
Sämtliche Luken der drei Kampffahrzeuge waren weit aufgerissen, um wenigstens einen Teil der in ihnen gesammelten Hitze entweichen zu lassen. Keiner glaubte, dass es wirklich helfen würde, aber es war ein beinahe verzweifelter Versuch, vielleicht ein wenig Kühle in das Innere der Kampffahrzeuge zu scheuchen.
Nach den langen Stunden des vorhergehenden Einsatzes war das auch bitter nötig.
Immerhin hatten sie mehr als zwölf Stunden pausenlos in den brütend heißen Panzern gesessen und einen feindlichen Vorstoß leichter Pikk-Ups abgewehrt, bevor sie selbst zum Angriff übergegangen waren.
Sie hatten die Pikk-Ups über die Ebene gejagt, attackiert und vernichtet. Xenos waren ihren flammenden Maschinenwaffen zum Opfer gefallen und von ihren Ketten in den Staub gemahlen worden.
Und irgendwann während dieser Zeit war zu allem Überfluss auch noch die Kühlanlage, die als einzige in der Lage gewesen war, den kühlenden Hauch frischer Luft in das Innere des Destroyers zu blasen, in Sand und Staub erstickt.
Wenigstens hatte man ihnen nach ihrer erfolgreichen Jagd eine Pause zugesprochen und sie mit Essen versorgt, als die Panzerfahrzeuge für die nächste Schlacht vorbereitet wurden.
Jetzt waren ihre Kettenfahrzeuge neu aufgetankt und aufmunitioniert, die Besatzungen hatten einen kurze Mahlzeit zu sich genommen und waren bereit, den nächsten Feuersturm auf ihren Feind zu entfesseln.
Nurin horchte auf, als ein neues Geräusch ertönte. Ein Salamander-Kommandopanzer glitt mit rasselnden Ketten über die Ebene, parallel zur marschierenden Kolonne.
Das Fahrzeug kam aus der Richtung einer Gruppe von Leman Russ-Kampfpanzern, deren Silhouetten sich langsam voneinander zu lösen begannen, um kurz darauf im Gewirr der Soldaten und den Staubfahnen zu verschwinden.
An das Desposia wurden also gerade die neuen Befehle ausgeteilt. Sehr gut.
Eine Eigenart desposianischer Panzerregimenter war es, dass ihre Fahrzeuge innerhalb der Panzerzüge und deren Untergruppierungen als taktische Einheiten fungierten. Das bedeutete, dass jede Einheit ihre Aufgabe auf dem Schlachtfeld zugewiesen bekam und sich dieser Aufgabe widmete, anstatt wie wild drauflos zu walzen und zu ballern.
Das machte es aber auch notwendig, alle Gruppen genau zu instruieren und auf die Aufgabe, die ihnen bevorstand, einzuschwören.
Denn wenn die Männer nicht klar bei der Sache waren, dann brachte die beste Instruktion nichts.
Als sich das Klirren der Gleisketten endlich deutlich vom Hintergrund der marschierenden Truppen abhob, zerplatzte die Gesprächsblase, die sich um die Männer von Enforcer drei gebildet hatte. Aufmerksam verfolgten die Männer, wie der Kommandopanzer sich ihnen näherte.
Aus dem Augenwinkel bemerkte Nurin, dass auch die Besatzung von Enforcer zwo aus ihrem beinahe komatösen Zustand erwachte.
Der Salamander rumpelte heran und hielt schließlich, keine zehn Meter vom Heck von Enforcer drei entfernt.
Der Kommandant des Fahrzeugs, der im offenen Kommandoraum stand, war gut zu erkennen, außerdem der Richtschütze, der die schweren Flammenwerfer des Fahrzeugs bediente.
Außerdem konnte Nurin eine dritte Person im Turm sehen, die sich just in diesem Augenblick anschickte, das Fahrzeug über die Hecktür zu verlassen.
Es war nicht schwer zu erkennen, wer das war, auch wenn er die hochaufgerichtete Gestalt inzwischen schon nicht mehr auf den ersten Blick hätte identifizieren können.
Kijo Nitsch, den linken Arm und die linke Gesichtshälfte in dicke Verbände gelegt, kam auf sie zu.
Nurin registrierte, dass der Politoffizier humpelte. Für sich allein genommen war es schon ein Wunder, dass der Kommissar überhaupt aus dem brennenden Panzerwrack entkommen war. Doch dass er jetzt, bereits gut eine Woche nach der heftigen Panzerschlacht, wieder laufen konnte und bereit war, die Feinde des Imperators zu vernichten, sprach für sich.
Vielleicht war es seine Wut über die erlittenen Verletzung, vielleicht auch seine Schmerzen, aber Nitsch wirkte noch aggressiver als er jemals zuvor gewesen war.
»Zugehört, Panzerjäger!«, rief der Kommissar laut, als er in den Kreis trat, den die drei Fahrzeuge gebildet hatten. Es klang etwas gelispelt und auf eine gedämpfte Weise verzerrt, sicherlich eine Folge der schweren Verbrennungen, die der dicke Verband in seinem Gesicht verdeckte. »Die Orks beginnen wieder, sich zu sammeln. Die Schwere Aufklärung, die uns voraus vorrückt, hat entdeckt, dass sich ihre Einheiten in einem schmalen Tal zu zusammenrotten, um uns entgegenzutreten.«
In der Tat, dachte Nurin. Diese Entwicklung war abzusehen gewesen, doch leider befand er sich nicht in der Position, dies bei den zuständigen Stellen anzumerken.
»Da sich unsere Experten einig sind, dass dies die letzten Einheiten der Xenos sind, hat der General beschlossen, dass dies die Zeit ist, sie ein für alle Mal zu vernichten.«
Kurzer, abgehackter Donner hallte über sie hinweg.
Nurin wandte sich um. Die charakteristischen Rauchspuren schwerer, steil in den Luft gefeuerter imperialer Geschosse malten geisterhafte Erscheinungen in die blaue Unendlichkeit, als sie die wenigen Wolken durchstießen, die sich im Himmel über der Steppe gebildet hatten.
Lange, weißlich-graue Lanzen fauchten in gewaltiger Höhe den Konvoi entlang, flogen weiter, begannen dann ihren Abstieg und schlugen schließlich, etliche Kilometer entfernt, in die Reihen fliehender Grünhäute ein, deren Leiber sie in mächtigen Explosionen zerfetzten und verbrannten.
»Sie sind stark geschwächt und uns zahlenmäßig weit unterlegen, doch – und das sage ich euch als Kommissar – das bedeutet nicht, dass wir ein leichtes Spiel mit ihnen haben werden. Ganz im Gegenteil!«, rief der Politoffizier in seiner typisch feurigen Art. »Sie werden kämpfen! Sie werden, in all ihrer abartigen Brutalität gegenüber dem menschlichen Leben, versuchen, so viele von uns wie möglich mit sich in den Tod zu reißen!«
»Darauf ein Gebet«, brummte Ves und erntete einen bösen Blick von Nurin.
»Das müssen wir ihnen verwehren!«, setzte Nitsch, der nichts von dem Einwurf mitbekommen hatte, seine Ansprache fort. »und deshalb müssen wir sie so schnell und konsequent vernichten, wie möglich!«
»Ist denn schon ein Zeitplan aufgestellt worden, wann wir den Feind in einer nächsten Großoffensive attackieren werden?«, warf Lieutenant Nesil Rand ein, der Kommandant von Enforcer zwo.
»Der General vermutet, dass die große Schlacht innerhalb der nächsten fünf Tage stattfinden wird«, beantwortete der Kommissar die Frage.
Rand nickte verstehend.
»Aber er will den Feind bereits vorher zermürben, damit es unsere Männer nicht unnötig schwer haben, einen Sieg über die Bestien zu erringen! Daher -«, Nitsch wandte sich einmal um seine eigene Achse, um jeden der Männer angesehen zu haben, »meine Herren, wird Ihr nächster Auftrag Sie mitten in die feindlichen Linien führen!«
Damit hatte er die Aufmerksamkeit der Panzerjäger schlussendlich vollkommen gewonnen. Das war auch nicht anders zu erwarten gewesen. Normalerweise lagen Destroyer als Scharfschützen auf der Lauer und zerstörten feindliche Panzerfahrzeuge gezielt. Sich mitten in ein Gefecht zu begeben und dort die gegnerischen Einheiten im Nahkampf anzugehen, gehörte eigentlich nicht zu ihren Aufgaben. Doch irgendetwas tief in seinem Innersten sagte Nurin, dass ihr Kommandeur genau das mit ihnen vorhatte – und höchstwahrscheinlich hatte gerade Nitsch ihn auf diese Idee gebracht.
»Der Plan ist, dass Gruppe Enforcer die Aufklärung und unsere Sturmtrupps bei ihren Vorstößen auf den Feind unterstützt. Begleiten Sie die Schützenpanzer, sichern Sie sie und stiften Sie Panik und Verwirrung unter unseren Feinden«, führte der Kommissar weiter aus.
»Aber, Herr Kommissar!«, wandte Nurin ein. »Destroyer sind für die Panzerjagd auf lange Reichweiten ausgelegt, nicht auf Nahkämpfe inmitten feindlicher Horden. Wir haben keine Nahdistanzverteidigung, um feindliche Infanterie abzuwehren.«
Der Kommissar drehte sich um und bedachte den Captain mit einem kurzen, bemessenden Blick, als halte er die Frage allein für eine Verschwendung seiner Zeit. »Das ist uns natürlich bekannt«, tat er kund. »Deswegen werden Sie ja durch die Fahrzeuge der Aufklärung und die mitfahrende Sturminfanterie gedeckt. Allerdings sind diese gegenüber feindlichen Angriffen mit schnellen Fahrzeugen relativ wehrlos. Und da die schweren Kampfpanzer zu langsam sind, um mit den Aufklärerverbänden mithalten zu können, haben wir entschieden, Sie als Unterstützung einzuteilen.«
»Zu freundlich«, brummte Ves.
»Bleiben wir denn als Panzergruppe vereint oder werden wir als einzelne Einheiten agieren?«, rief Rand von seinem Sitzplatz auf dem Dach von Enforcer zwo.
Nitsch präsentierte ein nichtssagendes Lächeln, als er den Lieutenant adressierte. »Es steht mir nicht zu, Sie bereits jetzt über die Ihnen zugewiesenen Einsatzprofile zu informieren. Dies wird zu gegebener Zeit durch die Aufklärung gesehen, verstanden?«
»Was soll das denn heißen?«, murmelte Mirak Redek, Nurins Richtschütze, kaum hörbar in die grummelnde Bestätigung der Männer.
»Ganz einfach.« Ves ließ ein Zischen ertönten, das sich wie Ausspeien anhörte. »Er weiß es nicht.«
Nurin musste sich beherrschen, dass sein leises Knurren nicht in eine lautstarke Maßregelung überging. Ves war ein unmöglicher Mensch, der zu allem und jedem seine durchweg negative Lebenseinstellung kundtun musste. »Halten Sie endlich die Klappe, Ves.«
»Sind dazu noch Fragen? Keine? Gut, dann übernehmen Sie Nurin und setzen Sie Ihre Leute in Marsch. Die 82. Aufklärung des 34. Borodian erwartet Sie bereits. Alles klar, Gruppe Enforcer?«, rief der Kommissar, so laut er durch seinen Verband konnte.
Sie versteiften sich. »Alles klar, Herr Kommissar!«
Nitsch nickte und humpelte zurück zu seinem Salamander.
»In Ordnung, Gruppe Enforcer!«, rief Nurin, während er aufstand, an die Mannschaften seiner Panzergruppe gewandt. »Fahrzeuge besetzen!«
Ves und Redek stiegen bereits ins Fahrzeug ein und begannen, die Luken zu schließen, um den Gefechtszustand des Panzers herzustellen.
Nurin folgte ihnen und ließ sich auf seinen Sitz gleiten, der, etwas nach rechts versetzt über dem Fahrer lag und dem Kommandanten von Enforcer eins ermöglichte, das gesamte Umfeld des Panzerfahrzeugs durch Periskopschlitze und ein rotierendes Sichtperiskop zu betrachten.
Die Hitze, in die er sofort beim Betreten des Panzers abtauchte und die ihn zurück in quälend lange Stunden willkommen hieß, hätte ihn beinahe sofort wieder aus dem Fahrzeug getrieben.
Links neben ihm glitt Redek auf seinen Platz, der sich eine halbe Ebene unter dem Sitz des Kommandanten und direkt hinter dem Sichtgerät des Lasergeschützes befand. »Luken sind dicht«, meldete er.
Nurin nickte wortlos, griff die Kopfhörer, die über seinem Sitz in einer Halterung hingen und setzte sie auf.
Er legte das Kehlkopfmikrofon um, bevor er sowohl die Kopfhörer als auch das Mikrofon in die dafür vorgesehenen Buchsen einsteckte.
Dann stieg er zurück ins Luk, um einen guten und vor allem weiten Sichtbereich um das Fahrzeug zu haben. Die Hitze, die von unten zu ihm hinauf wallte, fühlte sich unangenehm und feindlich an.
Er knirschte leise mit den Zähnen, entschied dann aber, seinen Aufgaben nachzugehen und die Unannehmlichkeiten zu ignorieren, denen er ausgesetzt war. »Achtung, Enforcer eins: Test des inneren Funkkreises. Nurin – in Ordnung.«
»Ves – in Ordnung«, hörte er den Fahrer in seiner typisch schnoddrigen Art ins Mikrofon sprechen, dann brummte sein Richtschütze hinterher: »Redek hört ebenfalls.«
»Verstanden«, schloss Nurin den Funkkreis, bevor er den Mikrofonschalter kippte und so auf den äußeren Funkkreis umschaltete.
»Enforcer eins an Enforcer zwo und drei. Test des Funkkreises. Wie verstehen Sie mich? Melden.«
»Enforcer zwo hört laut und deutlich, melden.«
»Enforcer drei hört laut und deutlich, melden.«
»Verstanden. Enforcer eins hört ebenfalls laut und deutlich. Klar bei den Motoren, melden.«
Ves schnupfte ins Mikrofon, als er die Nase rümpfte. »Geht klar, Boss.«
»Enforcer zwo meldet: klar bei den Motoren, melden.«
»Enforcer drei: klar bei den Motoren, melden.«
Nurin nickte, auch wenn er wusste, dass seine Männer ihn nicht sehen konnten. »Also gut. Dann legen wir mal los. Motoren an, melden.«
Enforcer eins seufzte tief, atmete ein und fing dann an zu zittern. Tiefes Brummen grollte aus seinem Innersten hervor, als würde ein Magenkrampf das Panzerfahrzeug quälen.
Einen Moment später schreckte der Panzer auf, schüttelte sich heftig und fauchte hasserfüllt. Ves trat das Gaspedal voll durch. Der Destroyer brüllte auf. Mit dem Knallen von Fehlzündungen startete er.
In Nurins Kopfhörern knackte es.
»Enforcer zwo: läuft. Melden.«
»Enforcer drei: läuft. Melden.«
Der Panzerkommandant schürzte die Lippen, lehnte sich zurück und legte die Arme auf das eingefahrene Sichtgerät. Unter sich hörte er den Richtschützen, der gerade mit dem Hochfahren des Geschützes beschäftigt war.
Hoffentlich überprüfte er die Hauptzielanlage und dessen Redundanzsysteme so gewissenhaft wie immer, bevor er die Energieleitungen zwischen dem Energiegenerator und dem Hauptgeschütz freischaltete. In einem Höllenloch wie diesem konnte ein kleiner Fehler sie alle das Leben kosten. Entweder, das Geschütz fiel im entscheidenden Moment aus, oder es jagte sich in einer gewaltigen Explosion mitsamt dem Destroyer und seinen Insassen selbst hoch.
Beide Fälle wären als Ergebnis einer Panzerjagd für Nurin mehr als nur unbefriedigend gewesen.
Er biss sich auf die Lippen und verfolgte, wie mehrere Chimären seine Einheit passierten, dann wandte er sich suchend um. »Enforcer eins an zwo und drei. Panzer marsch! Ende!«
Als Enforcer eins ruckend anfuhr, erinnerte sich Nurin noch einmal an die Worte Nitschs. Mit finsterem Blick, der sich irgendwo unter den trampelnden Füßen der Infanteristen auf eine baldige Zukunft konzentrierte, dachte er: Ich hoffe nur, dass der Herr Kommissar mit dem, was er glaubt, recht hat. Ansonsten kann das ziemlich übel für uns ausgehen.

***

»Was kann ich für Sie tun, Doktor?«
Calgrows attraktiver Körper wiegte sich im seichten Schritt, als die Ärztin ihrem Colonel entgegen kam und ihn aus ihren grünen Augen betrachtete, bevor sie die rechte auf ihre Hüfte stützte und das Näherkommen des Offiziers mit aller gebotenen Ruhe erwartete.
»Sie können für mich gar nichts tun, Colonel. Ich dachte eher daran, dass ich etwas für Sie tun kann«, sagte sie schließlich
Ekko hob die Augenbrauen. Doktor Calgrow wollte etwas für ihn tun? Einmal abgesehen davon, dass Marith Calgrow Galardin Alberic Ekko niemals freiwillig einen Gefallen getan hätte, gab es in seinen Augen nichts, mit dem sie seiner Stimmung hätte ändern können.
Allerdings – und das war etwas, das ihm eine gewisse Befriedigung verschaffte – konnte er sich gut vorstellen, dass ihr Verhalten einen anderen, sehr viel banaleren Grund hatte. Immerhin hatte er ihr im Lazarett beim Kampf mit Leitis Sile das Leben gerettet. Jetzt versuchte sie, sich dafür zu revanchieren. Er hätte auch nichts anderes von ihr erwartet. Sie mochte ihn nicht und er mochte sie nicht. Ekko die Genugtuung zu gönnen, dass sie ihm etwas schuldete, war für die ehemalige Kommissarin eine nicht tragbare Last.
»Sie wollen mir einen Gefallen tun?«, fragte er mit einem ungläubig ironischen Unterton in der Stimme. »Wie komme ich denn zu dieser Ehre?«
»Verarschen Sie mich nicht, Ekko. Ich will Ihr Gewissen beruhigen«, schoss sie zurück.
Ekko nickte verstehend. Die Ärztin wollte also ihr eigenes Gewissen beruhigen. Nicht, dass er es ihr derart einfach gemacht hätte. »Vielen Dank, Doktor. Aber es gibt im Augenblick nichts, mit dem Sie mein Gewissen beruhigen müssten.«
Noch während er das sagte, ging er mit ausladenden Schritten an ihr vorbei. Irgendwie machte das Spaß.
Die Regimentsärztin hakte ihre Bewegung in seinen Schritt ein, nahm ihn auf und bemühte sich, mit dem Offizier mitzuhalten. »Ich denke aber, dass diese Information Sie interessieren dürfte.«
Er seufzte. »Da ich mir sicher bin, dass ich Sie sowieso nicht davon abhalten kann, mir Ihre Neuigkeiten zu berichten, bitte ich Sie, sie mir um alles im Universum nicht vorzuenthalten.«
Sie passierten einen Trupp Soldaten, der gerade dabei war, einen Schützengraben auszuheben. Die Männer hielten in ihrer Arbeit inne und verfolgten sichtlich interessiert, wie ihr Kommandeur offensichtlich vor seiner Regimentsärztin davonlief, bis ein Sergeant sie dabei erwischte und zurück an die Arbeit wehte.
Calgrow runzelte die Stirn, knirschte mit den Zähnen und stieß ein missbilligendes Zischen aus, bevor sie sich entschied, dass eine Information wie die ihre die Diskussion mit Ekko nicht wert war.
Entnervt gab die Ärztin auf.
Eine ihrer Walküren erhob sich in der Nähe und brüllte ihnen einen Abschiedsgruß zu, während sie um die eigene Achse schwenkte und in Richtung Nordwesten davonflog, um einem der vorgelagerten Trupps Munition und Werkzeug zu bringen.
Abgasstrahlen bliesen dreckige Erde zu den Seiten des Transporters weg.
»Die niedergestreckten Männer sind außer Gefahr«, berichtete Calgrow und lenkte Ekkos Aufmerksamkeit zurück auf die Tatsache, dass sie noch immer neben ihm ging. »Es gibt zwar etliche böse Abschürfungen, Gehirnerschütterungen und sogar zwei Knochenbrüche, aber nichtsdestotrotz sind die Männer weniger schwer verletzt als zuerst gedacht. Itias kann bereits wieder entlassen werden.«
Ekko spürte, wie eine gewaltige Last von seinem Herzen fiel. Schon vor einigen Tagen hatte Calgrow ihn informiert, dass die Männer nicht so schwer verletzt waren, wie sie zuerst gedacht hatten, aber dass es noch einige Zeit dauern würde, bis sich herausstellte, wie es nun wirklich um sie stand.
Diese paar Tage waren für Ekko eine Tortur gewesen, die nun endlich ein Ende fand. Es blieb nur zu hoffen, dass seine Soldaten so schnell wie möglich gesundeten. Sie hatten, so wusste der Imperator, in den paar Tagen mehr als genug erduldet.
Es war auf jeden Fall gut zu wissen, dass der junge Itias bereits wieder auf den Beinen war.
»Freut mich zu hören«, antwortete er unbeeindruckt. »Dann sind sie ja sicherlich bald wieder einsatzfähig. Sonst noch etwas?«
»Ja, Colonel.« Calgrows Stimme verriet etwas, das Ekko vermutlich am Ehesten mit sexueller Lust verglichen hätte. Überrascht hob er die Augenbrauen, vermied es aber, sich umzudrehen. Vor seinem geistigen Auge entblätterte sich eine bedürftige Marith Calgrow und fixierte ihn mit einem verlangenden Blick. Schnell scheuchte er die halbnackte Doktorin aus seinen Gedanken und schüttelte sich.
»Lenhim und Gorak sind aufgewacht«, informierte ihn die Ärztin. Ekko blieb unvermittelt stehen. Das nun war eine Information, die ihn doch etwas aus der Fassung brachte. Lenhim und Gorak, nun inzwischen seit mehr als einer Woche im Koma und an der Schwelle des Todes, waren endlich ins Leben zurückgekehrt.
Vermutlich würden sie noch einige Zeit länger ausgefallen sein, aber wenigstens hatte sie der Imperator nicht sterben lassen.
Und wenn alle anderen auch überlebt hatten, dann würde sein persönlicher Kampftrupp bald wieder zur Verfügung stehen. Eine wirklich gute Nachricht.
Aber davon brauchte Doktor Calgrow nichts zu wissen.
»Bitte, wer?«, fragte er und wandte sich um.
In der Hoffnung, dem Colonel nun doch noch eine Reaktion entlockt zu haben, schlich sich ein dünnes Lächeln auf das Gesicht der Regimentsärztin.
»Lenhim und Gorak.«
Ekko runzelte die Stirn und murmelte die Namen ein paar Mal vor sich hin, als würde er überlegen, dann plötzlich schnippte er mit den Fingern. »Ach ja, klar. Der Sergeant und der Soldat, nicht wahr? Ja-ahahahaha.« Er lachte gekünstelt und übertrieb die begleitenden Gesten maßlos, sodass Calgrows Lächeln entgleiste. »Der Sergeant und der Soldat haben überlebt! Natürlich! Wie konnte mir das entfallen?! Der Sergeant und der Soldat haben überlebt! Haha! Überlebt!«
Die Ärztin starrte den Offizier vor sich an, der fraglos einem Anfall von Wahnsinn erlitten hatte und schien irgendwo zwischen einem Lachen und einem Weinanfall zu schweben.
»Und darüber müssen Sie mich informieren? Sie meinen, das beruhigt mein Gewissen?« Ekko legte so viel Fassungslosigkeit wie möglich in seine weiteren Worte. »Wenn Sie mein Gewissen wirklich beruhigen wollen, dann erledigen Sie Ihre Arbeit und lassen Sie mich meine machen.«
Dann wandte er sich ab und ging wieder los. Ein tonloser Seufzer der Erleichterung entfuhr ihm.
»Wie Sie meinen.« Calgrow blieb zurück. Sie hatte sicherlich nicht damit gerechnet, dass Ekko dermaßen kalt bleiben würde – vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass die Männer, die er vor kurzem für tot erachtet hatte, doch noch lebten.
Er winkte zur Bestätigung über die Schulter und vermied es, sich umzudrehen. Er hatte keinen Bedarf, der Cadianerin ins Gesicht zu sehen. Ihr zu zeigen, wie sehr ihn die Nachricht erleichterte, wäre nach seinem Auftritt von vorhin einem ungemeinen Gesichtsverlust gleichgekommen.
Und Calgrow wusste das. Sie wusste es sogar besser als irgendwer anderes es jemals hätte erahnen können. Und aus diesem Grund ärgerte es die ehemalige Kommissarin ja auch dermaßen, dass er ihr seine Abneigung derart deutlich zu spüren gab. Wäre sie keine Kommissarin gewesen, sie hätten sich vermutlich blendend verstanden.
»Sie sind ein verdammter Mistkerl, Ekko!«, rief sie ihm hinterher.
Er nickte zustimmend – und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

***

»Balgor.«
»Colonel.«
Ekko räusperte sich, um das Grinsen, das sich auf sein Gesicht stehlen wollte, noch vor der Entstehung zu ersticken, als Balgor mit demselben verzweifelten Ton der Resignation antwortete, mit dem er angesprochen worden war.
»Punkt für Sie. Haben Sie Zeit?«
»Kommt aufs Konto. Worum geht’s denn?«
Der Captain hatte gerade bei mehreren Soldaten gestanden, die den Inhalt eines angelieferten Containers entluden und die ihm gemeldeten Versorgungsgüter protokolliert. Nun jedoch sah er auf und verstand, dass Ekkos Worte nicht für Jedermanns Ohren bestimmt waren.
»Sergeant Nedor«, rief er und wandte sich um.
Ein schlanker, muskulöser Sergeant mit dunklem Haar und bronzefarbener Haut trat an seine Seite. »Sir?«
»Übernehmen Sie«, ordnete Balgor an, bevor er das Klemmbrett an den Unteroffizier reichte, den er gerade zu sich gerufen hatte. Der Mann nickte und warf einen kurzen Blick auf die Liste, um sich auf den neuesten Stand zu bringen. »Jawohl, Sir. Weiter geht’s! Verbandpäckchen, klein?«
»Vierundvierzig Kisten mit je hundert Stück«, erhielt er von einem der Soldaten zur Antwort.
»In Ordnung«, lenkte Balgor Ekkos Aufmerksamkeit zurück auf sich. Er nahm den Colonel mit einer ungezwungenen Geste zur Seite und führte ihn etwas von den Containern weg, damit sie sich nicht unbedingt in Hörweite anderer Soldaten befanden.
Bei einem Kistenstapel einige Meter entfernt hielten sie schließlich.
Ekko ließ sich auf eine der Kisten sinken und fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht. Erschöpft sah er Balgor an und deutete dann auf das Chaos, das sich vor ihnen ausbreitete. »Ich glaube, ich werde noch wahnsinnig.«
Balgor lachte auf. Als er Ekkos Blick bemerkte, schüttelte er sich und versuchte, betroffen dreinzublicken. Es misslang ihm spektakulär. »Entschuldigung, Chef. Kommt nicht wieder vor.«
»Das höre ich mich auch oft sagen«, stellte Ekko resigniert fest. Dann winkte er ab und wechselte somit das Thema. »Unwichtig. Also, ich brauche Sie mal wieder als Rückversicherung.«
Der Captain merkte auf. »Oh, das höre ich gerne. Was schulden Sie mir eigentlich inzwischen alles?«
»Fragen Sie nicht – wenn ich daran denken muss, dann erleidet mein Ehrgefühl einen Tobsuchtsanfall.«
»Freut mich zu hören«, merkte Balgor an. »Also – was kann ich dieses Mal für Sie tun?«
Ekko unterdrückte den Drang zu lachen, als er daran dachte, dass er beinahe das Gleiche kurz zuvor zu Calgrow gesagt hatte und entschied, dass er gleich zur Sache kommen sollte. »Sie wissen sicherlich, wie professionell Lenhims Trupp zerlegt wurde, oder?«
»Also wenn Sie das als professionell bezeichnen wollen«, dachte der andere Basteter nach und zuckte die Achseln. »Ja.«
In der Nähe sprang ein schwerer Laster des Munitoriums an. Das tiefe Grollen des Motors unterbrach ihr Gespräch, sodass den beiden Männern nichts anderes übrig blieb als schweigend zu verfolgen, wie das große, mehrachsige Transportfahrzeug sich in Bewegung setzte, einen der von den Talons gelieferten Container aufnahm und damit die abschüssige Straße des dritten Verteidigungsringes hinab rollte.
Als das Dröhnen des Transporters endlich über der Ebene verhallte und ein Gespräch in gedämpfter Lautstärke wieder möglich war, setzte Ekko wieder da an, wo sie zuvor unterbrochen worden waren.
»Auf jeden Fall hat mich Calgrow gerade darüber informiert, dass Itias bereits wieder auf den Beinen ist.«
Balgor nickte verstehend. »So, wie ich Sie kenne, haben Sie ihr sicherlich klar gemacht, dass Sie das einen toten Ork interessiert, richtig?«
Ekko überging die Bemerkung. »Also im Grunde geht es mir um folgendes: etwa die Hälfte des Trupps ist tot, die andere Hälfte verwundet oder im Lazarett. Allerdings – und das ist die gute Nachricht, sind Rahael und Itias somit wieder verfügbar. Ich würde die beiden, so lange sie nicht in Lenhims Trupp eingesetzt werden können …«
»Da dieser ja faktisch im Moment nicht existent ist«, warf der Captain grinsend ein und sah sich gleich mit einem bösen Blick seines Colonels konfrontiert.
»… würde ich sie gerne bei Ihnen unterbringen«, beendete Ekko seinen Satz.
Balgor zuckte die Schultern. »Na ja, also ich denke nicht, dass das große Probleme geben dürfte. Im Augenblick sind sowieso nur die Ein- und Aufräumarbeiten zu erledigen, da können wir jede helfende Hand gebrauchen.«
»Ich danke Ihnen.« Ekko meinte es ehrlich.
»Aber was ist mit Gorak?«, erkundigte sich der Captain.
»Den halte ich erst einmal bei mir.« Der Colonel verschränkte die Arme vor der Brust und sah nachdenklich in den Himmel, in dessen hellem Blau kein Anzeichen mehr auf das Unwetter zu finden war, das noch vor kurzem über der Himmels-Kathedrale gewütet hatte. »Ich glaube nicht, dass es ihm im Augenblick wirklich gut geht.«
»Kann ich ihm nicht verdenken«, stellte Balgor ernst fest, dann sah er seinen Vorgesetzten direkt an. »Boss, wie geht es Ihnen
»Ganz ehrlich? Ich habe mir in den letzten beiden Tagen gut drei Viertel meines Regiments zu Feind gemacht und darüber hinaus weitere außerhalb geschaffen. Meine Müdigkeit bringt mich um. Außerdem darf ich einen beschissenen Auftrag ausführen, für den der Gott-Imperator nicht einmal ein einen Haufen Dreck abgestellt hätte und zu allem Überfluss muss ich pinkeln und finde keine Toilette. Wie soll es mir da gehen?«
»Zum letzten Punkt kann ich Abhilfe schaffen, Boss. Wollen Sie einen tollen Witz hören?«
Ekko seufzte. »Lassen Sie es lieber, Balgor. Wenn die geistige Staumauer in meinem Innern bröckelt und das Wasser sich seinen Weg durch die Risse bahnt, würden wir beide wohl ertrinken.«
Sie schwiegen eine Weile und betrachteten die Kisten um sich herum, deren dunkelgraue Beschichtung bereits recht abgewetzt aussah. Schwer zu entziffernde Lettern wiesen sie als Munitionsträger für Geschosse Kaliber 30 mm für Maschinenkanonen aus.
Beinahe beiläufig erkannte der Colonel, dass er auch auf solch einer Kiste saß. Und irgendwie störte er sich nicht daran, dass das metallartige Material des Transportbehälters in der glühend heißen Sonne regelrecht briet.
»Aber sonst läuft es doch gut, oder?«, erkundigte sich Balgor.
Ekko nickte abwesend. »Ja. Besser könnte es gar nicht sein.« Beißender Sarkasmus verwischte seine Worte.
Balgors elegante Gestalt lehnte sich vor, als der Captain die Stimme noch weiter dämpfte, um keine ungebetenen Zuhörer auf den Plan zu rufen. »Irgendetwas Neues von Sile?«
Bei dem Namen der verhassten Sororita sah Ekko zerknirscht auf. »Nein, glücklicherweise nicht«, zischte er. »Seitdem sie mit ihren neuen besten Freunden herumhängt, hat sie mich – glücklicherweise – nicht mehr belästigt.«
Er wandte sich dem anderen Basteter zu. »Und wie sieht es derzeit bei Ihnen aus?«
Balgor stieß sichtlich genervt Luft aus, als er von seinem Kommandeur direkt auf das Thema gestoßen wurde, das ihn wohl schon seit einiger Zeit beschäftigte. »Ich bin ziemlich unzufrieden, Boss«, bemerkte er. »Die Ladearbeiten gehen nur schleppend voran. Es ist eine ganze Menge Kram zu verstauen und ich habe dafür einfach zu wenig Männer.«
Ekko zuckte ratlos die Schultern. »Da kann ich Ihnen auch keine Abhilfe schaffen. Wir haben keine Männer mehr. Alles, was mi zur Verfügung steht, durchsucht derzeit die Stadt.«
Balgor seufzte verstehend. Auch ihm war klar, dass die Durchsuchung der Stadt und der daran angeschlossenen Katakomben eine höhere Priorität besaß als die Einordnung der gelieferten Materialen, aber Ekko vermutete trotzdem, dass er sich etwas mehr Rückhalt bei seiner Aufgabe gewünscht hätte.
»Haben sie denn wenigstens etwas gefunden?«, wollte der Captain wissen.
»Ja«, brummte Ekko. »Nichts.« Er betonte das Wort ungewollt so scharf, dass der andere Basteter stirnrunzelnd aufsah.
»Das klingt ja fast, so, als wenn Ihnen das Sorgen machen würde?«, erkundigte sich Balgor erstaunt.
»Nein, ganz und gar nicht.« Der Colonel schnaubte. »Ich denke, ich drücke es am besten aus, wenn ich Major Maryan zitiere: Also der Scheißladen ist so leer, wie 'ne tote Wüste leer sein sollte.«
»Also haben Sie das bereits erwartet?«
»Wohl eher befürchtet.« Ekko sah seinen Untergebenen an und atmete tief ein. »Ich hatte mir schon gedacht, dass Iglianus mir nicht die ganze Wahrheit über das gesagt hat, was uns hier erwartet. Aber ich hätte nie gedacht, dass sich diese kleine Mission zu so einer Sache auswächst.« Er ließ seinen Arm hilflos durch die Luft schwingen. »Ich meine – ich bin jetzt so was wie der ‚Festungskommandant‘. Und ich habe eine Armee unter mir, bestehend aus imperialen Soldaten, Space Marines und sogar einer Schwester.«
»Ihre Sorgen möchte ich haben«, brummte Balgor. »Wollen wir tauschen?«
»Scheiße, nein.« Ekko hob abwehrend die Hände. »Was weiß ich, was Sie der Nonne über mich erzählen.«
»Das stimmt auch wieder«, sinnierte der Captain. »Und nun?«
In den Außenbezirken der Stadt schwoll das heiße Fauchen schwerer Turbojet-Triebwerke an. Offensichtlich kehrten die Sturmtransporter, welche zuvor Material an die Außenposten geliefert hatten, nun geleert zurück, um neue Waffen und Vorräte aufzunehmen.
Balgor und Ekko verfolgten, wie der große Körper einer Walküre sich aus den Schatten löste, welche den von ihnen aus sichtbaren Teil der Kathedralenstadt um diese Uhrzeit beherrschte und in einer weiten Kurve zurück in Richtung des Forums schwenkte. Das scharfe Kreischen ihrer Turbinen wurde von den engen Gassen des äußeren Ringes umher geworfen, sodass es bald klang, als befände sich ein ganzes Geschwader von Sturmtransportern im Anflug.
Die beiden Basteter schwiegen, während sie die Walküre bei ihrem Anflug auf das Forum beobachteten und dabei zusahen, wie sich der Körper des Senkrechtstarters auf den steinernen Vorhof senkte.
Heiße Abgasstrahlen wehten in ihre Richtung, umstrichen die Kisten und Container und erreichten sie schließlich wie eine dumpfe Vorahnung eines besonders warmen Tages.
»Oh«, erinnerte sich der Captain. »Da fällt mir ein: ich habe einen interessanten Gast entdeckt. Dieses riesige Flugungeheuer-Dingens, das wohl einmal eine Walküre war, aber jetzt anscheinend eine Diät macht.«
Einen Moment lang war Ekko verwirrt, dann fiel es ihm wieder ein. »Ach so, Sie meinen die Sky Talon, die von den Maschinensehern zerlegt worden ist?« Es klang mehr wie eine Feststellung.
Balgor ruckte bestätigend mit dem Kopf.
»Das scheint ein ernsteres Problem zu sein«, erklärte Ekko. »Wohl irgendetwas mit den Turbinen. Die Reparatur wird noch eine halbe Ewigkeit dauern, habe ich mir sagen lassen. Oh – und übrigens: der Pilot ist auch Basteter«, fügte er hinzu.
Sein Untergebener hob überrascht die Augenbrauen. »Ach, wirklich?«
»Ja. Aber fragen Sie mich nicht weiter aus. So gut kenne ich ihn auch nicht.«
Sie schwiegen wieder. Um sie herum ging das Leben weiter, lösten Soldaten Abdeckungen von Kisten, verglichen Inhalte und stellten Listen auf, in denen sie das Inventar verzeichneten.
Zwischendurch hörte man Männer lachen oder brüllen, je nachdem, was gerade geschehen war und über allem lag dieses ewige Brummen schwerer Munitoriums-Zugmaschinen, das ihnen bereits seit ihrer Ankunft in dieser Makrokathedrale in die Ohren fuhr.
Lautes Dröhnen begleitete das Einladen des Sturmtransporters. Es klang zumindest, als würden die Männer beim Beladen des großen Frachtraums der Walküre keine besondere Vorsicht walten lassen und zumindest Ekko für seinen Teil wartete eigentlich bereits darauf, dass der große Senkrechtstarter mit einem mächtigen Knall in die Luft flog.
Es war Balgor, der die Stille zwischen ihnen als erster brach.
»Hier könnte man wirklich alt werden«, fand er mit einem Blick auf die weiten Gärten, die den inneren Ring des Makropolbaus beherrschten. Es war offensichtlich, dass ihn die Schönheit und gepflegte Eleganz der Gärten an die Natur erinnerte, die man in der Nähe der großen Flüsse auf Bastet fand.
Ekko wurde bei diesem Anblick an das Leid erinnert, das ihn auf seiner Heimatwelt heimgesucht hatte.
Neuerlicher Hass auf Leitis Sile und Ihresgleichen wallte in seinem Innersten auf und Trauer zerriss sein Herz. »Sprechen Sie da nur für sich«, knirschte er. »Ich habe nicht vor, besonders alt zu werden.«
Von dieser für Ekko ungewöhnlich nachdenklichen und ernsten Bemerkung sprachlos gemacht, sah Balgor seinen Captain scharf an.
Ekko erwiderte den Blick und entschloss sich, die peinliche Stille, die ihnen drohte, nicht erst entstehen zu lassen. »Also gut, ich werde sehen, ob ich ein paar Leute vom Munitorium dazu kriege, sich einmal von ihren äußerst essentiellen Aufgaben zu lösen und Ihnen beizustehen.«
»Das würde mir sehr helfen, Sir.« Balgor nickte und stieß sich von dem Kistenstapel ab, an dem er gerade gelehnt hatte. Er begriff, dass alles gesagt worden war und sah ein, dass es keinen Sinn hatte, das Gespräch gewaltsam fortzuführen. »Nun gut, dann will ich Sie nicht länger belästigen.«
»Na ja«, erwiderte Ekko und zuckte die Schultern, »bedenkt man, dass ich eigentlich zu Ihnen gekommen war, dann ist das eine ziemlich interessante Entwicklung der Ereignisse.«
Er stand auf und nickte Balgor zu. »Vielen Dank, Captain. Das hat mir bereits geholfen.«
»Gerne, Sir. Ich nehme den Gefallen in die Liste auf.«
Ekko verdrehte die Augen. »Lecken Sie mich, Balgor.«
Sinnend runzelte der Captain die Stirn. »Sind Sie mir dann noch einen Gefallen schuldig?«
Er salutierte nachlässig und wandte sich ab, um zu seinen Aufgaben zurückzukehren.
Der Colonel blieb zurück und sah Balgor noch einen Moment lang nach, dann erhob er sich und ging in die andere Richtung. Er konnte sich beim besten Willen nicht erklären, weshalb er in genau diesem Augenblick an Doktor Calgrow denken musste.
 
Na ja, du hast ja auch vorgelesen ... da ist ja klar, dass du das Kapitel schon kennst ...

Zum langweilig oder nicht langweilig kann ich jetzt nicht so viel sagen. Das liegt vermutlich im Auge des Betrachters - aber wenn man so einen Zyklus, selbst einen militärischen, darstellen will, gibt es zwangsweise solche Stellen. Ich kann ja nicht nur Gewalt, Mord und Totschlag vorherrschen lassen. (Also - na ja, kann ich schon, aber dann wirds sehr unrealistisch, finde ich)

Aber wenn du mir vielleicht sagen kannst, was genau du daran langweilig findest, dann kann ich das in meine weiteren Arbeiten auch einbeziehen.

Alles Vale
 
Ich habe nichts gegen das Fehlen von Action (der dritte Band meiner Masters of War ist sehr actionarm), aber ich fand die dargestellten Gespräche wenig interessant oder wichtig.

Die Nebenhandlung mit dem Panzerkommandanten ist prinzipiell nicht schlecht, aber in diesem Kapitel hat sie mich nicht angesprochen. Auch das Gespräch Oberst und Hauptmann schmeckte so, als habe man sowas schon gelesen in dieser Geschichte.

Du hast bis Kapitel 18 geschrieben, stimmt's? Was soll ich tun, wenn ich in den nächsten Tage mit lesen fertig bin? (Spaß beiseite, ich habe auch anderes zu lesen...). Daher die Frage, wie steht's denn so mit Weiterschreiben?


PS: Schon bei meinen Masters of War reingesehen?
 
Salve,

ja, ich habe bis Kapitel 18 weitergeschrieben - danach bisher allerdings nicht. Ich habe keine Zeit mehr dafür. Ich habe im Augenblick noch nicht mal Zeit, um die letzten vierzig Seiten von Das Schwinden durchzuackern. Ich sitze bereits seit drei Wochen am Review und bin bisher keinen Schritt weitergekommen.

Derzeit ist nun mal Job wichtiger. Und ich meine, selbst wenn ich weiterschreiben würde, im Augenblick würde das wohl länger dauern als wenn ichs später mit mehr Zeit wieder anfange.

Aber da du den Rest schon kennst, weißt du ja, wie die erste Hälfte der Story endet ;-D Verrats keinem.

Nein, Masters of War habe ich noch nicht gelesen. Da das genauso ausführlich behandelt werden wird wie Nakagos Story, kann auch das dauern.

Alles Vale

SMN
 
Salve,

so, hier kommt das 18 und vorerst letzte Kapitel mit einem Cliffhanger ;-D. Da ich, wie bereits zuvor geschrieben, durch meinen Beruf derzeit sehr eingenommen bin, habe ich keine Zeit, wirklich daran weiterzuschreiben. Ich kann noch nicht sagen, wann es weitergehen wird, von daher Geduld bitte.

Viel Spaß beim Lesen

18

Die Durchsuchung des Ekklesiarchie-Palasts hatte fast vier Tage in Anspruch genommen, obwohl Ekko mehr als die Hälfte seiner gut zweitausendeinhundert unterstellten Soldaten dafür eingesetzt hatte.
Hätte er die Integrität besessen, auch das Munitorium, vertreten durch seine Maschinenseher, Bonzen und Offiziere, zur Zusammenarbeit zu verpflichten, hätte es nicht mehr als die Hälfte der Zeit bedurft.
Doch der Colonel war viel zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt gewesen, um das zu bemerken. So verging die Zeit, die sie für die Einrichtung ihres Stützpunkts benötigten, wie im Flug.
Weder Major Carrick, noch Captain Balgor, die in gegenseitigem Einvernehmen Teile des Regiments als temporäre Führer übernommen hatten, konnten sich diese Entwicklung erklären, obwohl Balgor bereits einige Überlegungen anzustellen in der Lage gewesen war.
Sie drehten sich allesamt um die schöne Sororita Leitis Sile, aber nur die wenigsten merkten an, dass sie wirklich begehrenswerte Frau war.
Dafür hatte der Captain in seiner Jugend und seinen Jahren bei der PVS von Bastet III zu viele negative Erfahrungen mit den Schwestern des Adeptus Sororitas gemacht.
Ekko war es sehr viel schlimmer ergangen. Er hatte durch die Vollstreckerinnen des imperialen Willens alles verloren und im Grunde konnte Balgor ihm nicht verdenken, dass er im Beisein der Schwester an diese Dinge erinnert wurde und sich einfach nicht auf die wesentlichen Dinge konzentrieren konnte.
Wie Ekko allerdings mit der Situation umging, das verstand der Captain überhaupt nicht – und auch, wenn Ekkos selbstmörderisches Wesen weithin bekannt war, so störte es den Basteter doch ungemein, dass der Colonel sein Regiment vernachlässigte, um sich in zerstörerischer Weise selbst zu tilgen.
Und das hatte er ihm in einer ruhigen Minute auch unmissverständlich klar gemacht. Sämtliche Punkte ihrer kleinen Rededuelle gingen daraufhin an ihn.
Zur gleichen Zeit hatten die Soldaten unter Carricks und Solmaars Kommando begonnen, im Untergrund und nach den Plänen der Space Marines die installierten Sprengsätze zu suchen, zu deaktivieren und schließlich zu demontieren, um einer versehentlichen Detonation bei späteren Kampfhandlungen entgegenzuwirken.
Diese Arbeiten gingen nur schleppend voran, denn noch immer waren große Teile der Stadt nicht erforscht.
Bereits in der ersten Nacht ihres Aufenthalts in der Kathedrale hatten Soldaten des fünften Zugs bei der Durchsuchung der oberen Turmspindeln eine alte Ekklesiarchin gefunden, die offenkundig verstört auf das Eintreffen der imperialen Soldaten reagierte und erst nach einer dramatisierenden Erzählung der Ereignisse durch die Prioris sichtlich ruhiger wurde.
Ekko, wenn auch nach den im scharfen Ton gehaltenen Gesprächen mit Balgor sichtlich bemühter, seinen Wahnsinn nicht durch die Fassade aus zur Schau gestellter Gleichgültigkeit brechen zu lassen, erlitt einen neuerlichen Rückfall in seinen ewigwährenden Zynismus, als er die alte Frau entdeckte.
Ligrev dagegen war für seine Verhältnisse ungewöhnlich ruhig geworden. Die meisten Zeit umschlich er die Offiziere, ließ sich über die neuesten Nachrichten von der Front berichten und suchte Kontakt zu den Space Marines, die ihn aber durchweg ignorierten.
Leitis Sile indessen mied der Kommissar weiterhin.
Tatsächlich suchte die Sororita über einen längeren Zeitraum hinweg aktiv Ekkos Nähe, vor allem, nachdem der Colonel den Befehl gegeben hatte, die Toten einzusammeln (auch die gepfählten Schwestern) und nach einer Totenmesse, geführt durch die Ekklesiarchin, im Namen des Imperators verbrennen zu lassen.
Während dieser ganzen Zeit begleitete sie das dumpfe Wummern schwerer imperialer Artillerie, welche massenhaft Grünhäute in Fetzen schoss.
Am dritten Tag schließlich begannen Ekko und seine Offiziere damit, einen tief gestaffelten Verteidigungsplan für den Fall zu entwickeln, dass sie ihn brauchten.
Major Maryan beeindruckte die anderen Offiziere mit seinem militärischen Verständnis, das ihm die meisten zuvor eher abgesprochen hatten. Mit dem überraschenden Eifer, den er an den Tag legte und der seiner Unverfrorenheit als Sentinel-Pilot gerecht wurde, legte er nicht nur einen fast perfekten Plan für die Rundumverteidigung des Areals vor, sondern negierte zusätzlich die personelle Unterbesetzung der Truppen, indem er mit einem ausgeklügelten System von bemannten Verteidigungsanlagen, Minenfeldern und Sprengfallen sämtliche möglichen Vorstoßwege des Gegners abdeckte.
Imperiale Soldaten fingen an, Schützengräben und Verteidigungsanlagen auszuheben und Panzerfahrzeuge gingen an strategisch günstigen Wegpunkten innerhalb der drei Verteidigungsringe in Stellung. Einmal abgesehen davon, dass die leichten Schützenpanzer, die Chimären und Salamander, keinen Kampf mit einem feindlichen Fahrzeug lange überstanden hätten, konnte man bei dem Anblick dessen, was die Imperialen in nur zwei Tagen aufgezogen hatten, nicht anders als Anerkennung zu zollen.
Wirklich sicher fühlten sie sich in der Geisterstadt trotzdem nicht.
In der dritten Nacht schließlich flackerte nur noch der Horizont hell auf, wenn die gewaltigen Tremorgeschütze der Basilisken ihre tödlichen Projektile auf die Orks feuerten.
Die Imperiale Armee hat gesiegt, meldeten die Funker.
Dreiundzwanzig Stunden danach verloren sie den Kontakt zu General Iglianus' vorrückender Armee.
***

Gren Krood blendete das klare Hallen aus, das den schweren Schritten seiner Kampfstiefel antwortete. Es wäre lediglich eine Ablenkung gewesen. Eine Ablenkung, die ihn mit jedem Echo an die Schwere des Auftrags erinnerte hätte, den er auszuführen gedachte.
Modriger Geruch stieg aus den Ritzen zwischen den quaderförmigen Natursteinen des Gangs empor. Er war überall, beherrschte die Luft und setzte sich an der Kleidung fest. Krood musste daran denken, wie er zum ersten Mal diesen Ort betreten hatte. Es kam ihm vor, als wäre das vor langer Zeit gewesen.
Inzwischen hatten sich Menschen innerhalb dieser Wände niedergelassen. Ihre Stimmen füllten als fernes, unwirkliches Murmeln die Umgebung.
Allerdings waren das nur kleine Inseln humanoider Expansion in dem gewaltigen Körper der größtenteils entmenschten Kathedrale. Der Rest war in tiefste Dunkelheit getaucht.
Das einzige Licht, das einen verzweifelten Kampf gegen die vorwärtsdrängende Finsternis führte, ging von aufgestellten Batterielampen aus, welche den Gang spärlich erleuchteten und Krood den Weg in Richtung seines Ziels wiesen.
Der Kasrkin fasste an das Holster seiner Hochenergielaserpistole und prüfte den Sitz der Waffe. Lediglich eine Vorsichtsmaßnahme seinerseits. Er hatte nicht vor, sie einzusetzen – auf jeden Fall noch nicht.
Vor allem aber musste er vorsichtig sein. Wenn es ihm nicht gelang, die Eskalationsstufen in einem fließenden Maß zu regulieren, dann würde er seinem Ziel zu früh Gelegenheit geben, sein Vorhaben zu erkennen.
Ein schmaler Streifen Licht kämpfte sich zu beiden Seiten eines blickdicht gespannten Vorhangs aus einer Öffnung, die sich wie ein von Menschen geschlagenes Maul in der mit Natursteinen besetzten Wand des Gangs auftat.
Die zerrissenen Teile einer einstmals soliden Holztür lehnten an der Steinwand vor dem Portal, angestrahlt von dem blassen Licht, das aus dem dahinterliegenden Raum entstammte. Zwei basteter Infanteristen standen links und rechts des Eingangs, bewachten die dort befindlichen Menschen und Gerätschaften und verweigertem jedem Unbefugten den Zutritt.
Sein Ziel rückte näher. Krood wusste, dass er mit dem Durchschreiten der Tür den Punkt ohne Wiederkehr erreichte, den Moment, ab dem die Ausführung seines Auftrags nicht mehr verhindert werden konnte.
Unmerklich beschleunigte der Kasrkin seine Schritte, atmete tief durch und grüßte die beiden Wachsoldaten mit einem kurzen Nicken, bevor er zwischen ihnen hindurchging. Sie ließen ihn wortlos passieren.
»Scheint so, als hätte General Iglianus die Orks auf seiner Westflanke angegriffen«, bemerkte Major Carrick gerade, als Krood durch den Eingang trat, der ihre neue Kommandozentrale mit dem Gang verband, welcher hinauf auf das Topp der Kathedrale führte.
Colonel Ekko, der neben dem hochgewachsenen, blonden Offizier stand, hatte die Arme vor der Brust verschränkt. »Ja«, antwortete er. »Es scheint so.«
Krood warf kurze, prüfende Blicke durch den Raum, in dem sie sich befanden. Das Beinhaus, vom Kampf zwischen den Imperialen und den Space Marines gezeichnet, war inzwischen zu ihrer Kommandozentrale geworden und bereits so vollgestopft mit technischen Gerätschaften, Projektorflächen und Landkarten, dass man den Eindruck bekommen konnte, hier residiere ein Lord General.
Den Schutt, welchen das kurze, aber harte Gefecht von vor vier Tagen hinterlassen hatte, hatten Soldaten bereits zur Seite geräumt oder aus dem Raum getragen, sodass es möglich war, fast das gesamte Areal des Beinhauses für die Kommandozentrale zu nutzen, ohne dass die Befehlshaber Einschränkungen hinnehmen mussten.
Neben Ekko und Carrick standen noch ein halbes Dutzend Soldaten und Offiziere in dem Raum, arbeitete an Geräten oder musterte die hololithische Sphäre, welche die Mitte des Raumes bildete und eine eher ungenaue Darstellung der Schlacht zwischen den imperialen Truppen und den Orks wiedergab.
Doch weder die Space Marines, noch Ekkos offensichtlich persönliche Leibwächterin des ekklesiarchischen Militärs, befanden sich in der improvisierten Kommandozentrale.
Das war gut. Mit der Schwester an Ekkos Seite wäre es für Krood schwer bis nahezu unmöglich geworden, seine Mission ordnungsgemäß zu erfüllen.
Auch, wenn er die Adepta für eine wahre Dienerin des Imperators hielt, sorgte er sich dennoch, dass sie ihn bei der Erfüllung seiner Pflicht behindern, wenn nicht sogar aufhalten würde.
Durch ihre Abwesenheit steigerten sich seine Überlebenschancen schon einmal um einige Prozent, auch wenn er sich bereits dem Wissen ergeben hatte, dass ihm keine Chance blieb diesen Raum lebend zu verlassen, selbst mit den schützenden Panzer der Plattenrüstung und der überlegenen Geschwindigkeit seiner Erfahrung und Ausbildung.
Für einen Moment hielt er inne und dachte zurück an seine toten Kameraden, seine Brüder. An die Männer, die auf dem Feld der Ehre gefallen waren. Die ihr Leben gegeben hatten für eine Lüge.
Er straffte seine Haltung und trat zu den beiden Offizieren an die Holosphäre.
In unregelmäßigen Abständen flackerte der Plot, beruhigte sich wieder, machte dann scheinbar einen Satz und zeigte plötzlich einen vollkommen anderen Verlauf der kleinen Punkte, welche die imperialen und orkischen Einheiten darstellten.
Krood begriff, dass das Gerät Schwierigkeiten hatte, genauere Informationen von seinen Pendants zu erhalten, die auf deren anderen Seite des Schlachtfelds in dem gewaltigen Körper des Kommandoleviathans und anderen Kommandofahrzeugen montiert worden waren.
Das deutete auf eine gewaltige und brutale Schlacht hin, in der die Imperiale Armee vermutlich hohe Verluste erlitt.
Hohe Verluste. Krood ballte die Fäuste und entschied, seinen Blick zurück auf seine Aufgabe zu richten.
Wortlos trat er zu Ekko und Carrick an den Daten-Globus, auf dessen ihm abgewandter Seite er nun auch Kommissar Kolwa Ligrev entdeckte. Das traf sich vorzüglich.
»Sergeant Krood«, begrüßte Carrick den Kasrkin, als er aufsah.
Der Neuankömmling nahm Haltung an. »Colonel Ekko, ich melde: erste und zweite Ebene durchsucht und für sauber befunden worden.«
Ekko nickte abwesend, den Blick weiterhin auf den ruckelnden Körper des Hologramms gerichtet. »Sehr gut. Irgendwelche Anzeichen dafür, dass es den Orks gelungen ist, in die Stadt einzudringen?«
»Nein, Sir«, antwortete Krood wahrheitsgemäß. Sein Blick zuckte kurz zu Ligrev. Der Kommissar musterte ihn seinerseits verstohlen aus den Augenwinkeln.
»Verstehe. Haben Sie noch weitere Tote gefunden?«
»Nein, Sir«, wiederholte der Kasrkin.
Ekko nickte sinnend. Er überlegte einige Sekunden lang, biss sich gedankenverloren auf die Unterlippe und trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte des Projektionskörpers.
»Gireth«, rief der Colonel schließlich über die Schulter. Der junge Funker, der auf einem Stuhl vor einer riesigen, an der Wand aufgestellten Funkanlage saß, hob die Kopfhörer von seinen Ohren und wandte sich seinem Vorgesetzten zu. »Sir?«
»Ist es Ihnen bereits gelungen, eine Verbindung zum General aufzubauen?«
»Nein Sir, wir hören nur undeutliche Funksprüche auf den imperialen Frequenzen. Alle anderen Bänder sind tot.«
Ekko nickte und sah die Anwesenden über den Rand einer imaginären Brille hinweg an. In seinem Blick war unzweideutig zu lesen, für wie unvorteilhaft er diese Entwicklung befand.
»Versuchen Sie es weiter, Gireth.«
»Ja, Sir.«
Der Basteter ließ von dem flackernden elektronischen Feuer der hololithischen Anzeige ab und begann, mit auf dem Rücken verschränkten Armen auf und ab zu wandern. »Was soll ich davon halten?«, fragte er rhetorisch in den Raum. »Was denken Sie darüber, Carrick?«
»Schwer zu sagen«, erwiderte sein Untergebener vorsichtig. Er wollte sich, in Anbetracht der unklaren Situation, welche der Plot nur ungenügend wiedergab, nicht mit seinen Überlegungen verkalkulieren. »General Iglianus Truppen scheinen in heftige Kämpfe verwickelt zu sein. Ich kann in den Darstellungen keinen klaren Verlauf der Schlacht erkennen.«
»Ja«, bekräftige Ekko die Worte des blonden Majors. »Das geht mir ähnlich. Und genau das ist, was mir Sorgen macht.«
»Das klingt ja fast, als würde Sie das Schicksal von General Iglianus beschäftigen«, witzelte Carrick.
Ekko sah resigniert auf. »Ach, Iglianus ist mir doch vollkommen egal. Der kann in die Tiefen des Warp fahren und da auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Aber überlegen Sie mal, was passiert, wenn seine Armee vernichtet wurde.«
Er ließ die Worte im Raum stehen. Carricks Lächeln verkam zu einer Grimasse. Ligrev, während der letzten Worte des Colonel puterrot geworden, erbleichte.
»So habe ich das noch gar nicht gesehen«, gab der Major ernst von sich.
Mit einen Kopfnicken in Richtung Holosphäre stimmte der andere imperiale Offizier zu. »Nein, ich auch nicht. Das fiel mir erst später auf, als ich länger darüber nachdachte. Und wenn ich ganz ehrlich bin, dann gefällt mir diese Aussicht nicht wirklich.«
»Aber woher sollten die denn wissen, dass wir hier sind?«, wandte Ligrev mit besserwissendem Ton in der Stimme ein. »Wir haben keine Ork-Patrouillen entdeckt und es ist auch keine Grünhaut in der Kathedrale gewesen.«
In Ekkos Augen stand wieder dieses wahnsinnige Funkeln, als der Colonel aufsah und den Kommissar direkt anblickte. »Glauben Sie mir, Ligrev. Die Xenos sind zwar hirnlose Schlächter, das bedeutet aber nicht, dass sie dumm sind. Die wissen genau, dass die Armee von irgendwo aus operiert. Und sobald sie herausgefunden haben, von wo, werden sie da aufschlagen. Und zwar mit allem, was sie aufbieten können. Nehmen Sie endlich Ihr Hirn aus dem Arsch und setzen Sie es dahin, wo es mehr Sauerstoff bekommt, Sie Dilettant.«
Die letzten Worte waren so laut über die Lippen des Basteters gekommen, dass man sie durch den gesamten Raum hatte hören können.
Verhaltenes, mehrstimmiges Husten antwortete ihm. Krood konnte aus den Augenwinkeln mühsam verborgenes Grinsen auf den Gesichtern mehrerer Offiziere sehen, was für sich genommen bereits eine Insubordination und Unterminierung der kommissarischen Gewalt darstellte, die Ligrev über sie ausübte.
Viel schlimmer jedoch war, dass die Männer sowohl die Aufgabe als auch die Person des Kommissars auf beleidigende Weise ins Lächerliche zogen und sie hochtrabend missachteten.
Für einen demütigen, dem Imperium treu ergebenen Anhänger wie Gren Krood war das ein Frevel, der fast schon einer Häresie gleichkam. Wäre er an Ligrevs Stelle gewesen, er hätte die Verantwortlichen sofort und kommentarlos exekutiert.
Dass Ligrev das nicht tat, war offensichtlich eine Schwäche in der Integrität des Kommissars, die man aber mit etwas Training und festem Willen beheben konnte.
Exekutieren leicht gemacht: ein Kurs für inkonsequente Kommissare.
Der Kasrkin blickte in das vor Wut fast rote Gesicht des Kommissars und erkannte, dass dieser den Blick erwiderte.
Ligrev zögerte einen Moment, nickte ihm dann zu und sah die beiden Offiziere an. »Meine Herren – ich werde die Moral der Truppen prüfen gehen«, bemerkte er.
Krood begriff, was das bedeutete. Ligrev hatte ihm noch einmal deutlich bestätigt, dass er seinen Auftrag ausführen sollte.
Nicht, dass das nötig gewesen wäre. Der Cadianer wusste, was zu tun war.
Aus den Augenwinkeln verfolgte Krood, wie der Kommissar von der Holosphäre abließ, sich umwandte und den Raum verließ.
»Viel Glück – hoffentlich scheitern Sie«, murmelte Ekko in abwesender Gleichgültigkeit vage in Richtung des Ausgangs.
Was für ein arroganter und selbstsüchtiger Mistkerl. Wie hatte der allmächtige Imperator nur zulassen können, dass ein solcher Häretiker in denen Reihen seiner Armee diente?
Krood konnte es nicht verstehen, aber das war auch gar nicht nötig. In seiner Ausbildung hatte man ihm gesagt, dass es nicht nötig war zu verstehen, es war lediglich wichtig zu handeln.
Und handeln würde Gren Krood. Er war dazu ermächtigt und mit allen erforderlichen Rechten ausgestattet.
Außerdem galt es für ihn, eine persönliche Angelegenheit zu bereinigen.
Kaum hatte Ligrev den Raum verlassen, versanken Carrick und Ekko zurück in ihre gedankenverlorene Auseinandersetzung mit der strategischen Karte, die vor ihnen über der Projektorfläche schwebte.
»Ob sie diese Schlacht überleben?«, dachte der blonde Major nach, in dessen Verhalten Krood bereits eine gewisse Professionalität erkannt hatte. Er mochte zwar kein Cadianer sein, aber er kam dem ehrbaren Verhalten der Soldaten und Offiziere aus Kroods Heimatwelt recht nahe.
Lautlos trat der Kasrkin ein paar Schritte näher.
Ekko neben ihm zuckte lediglich die Schultern. »Kommt darauf an, ob sie diese Schlacht überleben wollen«, gab er so beiläufig von sich, als habe er gerade in Gedanken mit sich selbst gesprochen.
Diese Bemerkung, wenn auch leise mitgeteilt, traf den Raum mit der Kraft einer Artilleriegranate. Aus den Augenwinkeln sah Krood, wie sich mehrere Offiziere umdrehten, nur um dann bedeutungsschwere Blicke zu tauschen.
Carrick, der sich der Aufmerksamkeit ebenso bewusst war wie der Kasrkin, wandte sich in dem Versuch um, die Bemerkung seines Vorgesetzten zu dämpfen. »Colonel, ich denke nicht, dass General Iglianus so lebensmüde ist wie …« Er brach ab und warf einen Blick zu Krood. »Ja, Sergeant?«
Der Kasrkin, der in der gleichen Sekunde den Satz des Majors mit ‚Sie, Sir‘ in Gedanken beendet hatte, sah nun seinerseits auf. Das war das Startsignal. Es wurde Zeit, selbst in Aktion zu treten. »Sir, mit Ihrer Erlaubnis würde ich gerne einen Moment lang mit Colonel Ekko sprechen.«
Carrick nickte und trat zurück. Mit einer Handbewegung deutete er zu dem anderen Basteter.
»Was gibt es, Krood?«, erkundigte sich Ekko abwesend, als der uniformierte Grenadier sich zu seiner Linken aufbaute.
Krood straffte die Schultern unter dem schweren Panzer seiner Plattenrüstung.
»Wir haben noch etwas zu klären«, sagte er bedrohlich leise.
Die Worte ließen den dunkelhaarigen Basteter aufmerksam werden. »Haben wir?«, fragte er in geheuchelter Unwissenheit und kreuzte seinen Blick mit dem des Kasrkin. Sekundenlang starrten sich die beiden Männer nur an, dann begriff Ekko.
»Fangen Sie nicht auch noch an!«, brachte der Colonel resigniert hervor. »Soll mich das noch den Rest meines Lebens verfolgen?«
Carrick, der sich etwas von ihnen entfernt hatte, um ihnen Platz für eine ungestörte Unterhaltung einzuräumen, fuhr herum und verstand, dass er einen Fehler begonnen hatte.
Mit schnellen Schritten eilte er zurück zum Daten-Globus, um seinem Colonel gegen die offensichtliche Insubordination des cadianischen Elite-Grenadiers beizustehen.
Krood biss die Zähne zusammen. Thronverdammt, das ging zu schnell! Er hatte sich einen genauen Plan zurechtgelegt, wie er den Offizier niederringen und zermürben würde, nur um ihn dann im Namen Ligrevs und all der Toten als Häretiker zu richten.
Aber Ekko hatte seinen Plan begriffen und gezielt vernichtet! Wie hatte er das gemacht?
Aus den Augenwinkeln sah Krood, dass die anderen Anwesenden aufgehört hatten, ihren Tätigkeiten nachzugehen und ihre Aufmerksamkeit nun voll und ganz auf die beiden Männer konzentrierten, die bei der hololithischen Anzeige standen.
Carrick war inzwischen ein ganzes Stück nähergerückt und hatte die Hand bereits an das Holster seiner Laserpistole gelegt.
Vor Wut mit den Zähnen knirschend erkannte der Kasrkin, dass er einen unverzeihlichen Fehler begangen und Ekko sowie seine Leute tiefgreifend unterschätzt hatte. Aber nun war es zu spät für eine Korrektur dieses Fehlers. Er musste es direkt zu Ende bringen.
»Sie haben genau gewusst, dass wir da sterben! Das haben Sie billigend in Kauf genommen, nur um Ihre eigenen Leute zu retten«, brachte er schließlich hervor. Es klang eher ungläubig als, wie geplant, feststellend.
Bei Makel alles Chaos, das hier lief wirklich nicht gut.
»Krood«, fuhr Ekko den Kasrkin an. »Hören Sie mir endlich zu: Ich habe Sie nicht zurückgelassen, um meine Leute zu retten!«
Eine Lüge. Krood wusste das. Ekko hatte diese Worte niemals gesagt. Er hatte nie eingestanden, dass er einen unverzeihlichen Fehler gemacht hatte. Doch noch schwerer wog, dass er die Dreistigkeit besaß, jetzt nicht die einzig richtige Konsequenz aus dieser Tat zu ziehen.
»Warum sonst?«, schrie er zurück. »Kommissar Ligrev hat mir alles erzählt, Sie wahnsinniger Irrer!«
Ekko blieb die Sprache weg.
Carrick, der bisher wortlos gewartet hatte, reagierte sofort. »Sergeant! Zügeln Sie sich! Sie gehen zu weit! Zeigen Sie Respekt!«
»Wovor? Vor einem Selbstmörder?!«
Atemlose Stille breitete sich aus.
Krood griff an sein Holster und zog die HE-Laserpistole, nur um sie dann auf Ekko zu richten.
Alle Anwesenden hielten erschrocken die Luft an.
Ekko staunte nur. »Sie sind fast so schnell wie Sile.«
»Sergeant!«, donnerte Major wie zur Antwort. Seine Laserpistole ratschte aus dem Holster und richtete sich auf Krood. »Hören Sie auf! Sofort! Wache!«
Von draußen polterten die schweren Stiefel der beiden Wachsoldaten in den Raum, die sofort auf den Kasrkin anlegten.
Krood hatte sich eine Rede zurechtgelegt, sie mit Ligrev besprochen und verfeinert und sie dann immer und immer wieder rezitiert, damit er sie nicht vergaß.
Erst jetzt merkte er, dass ihm das überhaupt nichts gebracht hatte. Gerade jetzt, wo er beginnen wollte, den Verräter Ekko vor aller Augen im Namen des Imperators zu richten, wusste er nicht mehr, was er noch hätte sagen sollen.
»Carrick«, brummte der dunkelhaarige Basteter mit demselben Desinteresse, das einen zugleich verärgerte und verunsicherte. »Stecken Sie die Waffe weg. Sparen Sie Munition.«
»Aber...«
Ekko lächelte. Es lag etwas Wehmütiges und Trauriges darin. »Es mag sein, dass ich für dieses Regiment wichtig bin, aber das ist für Krood und mich nicht von Interesse. Also stecken Sie Ihre Kanone weg. Machen Sie schon.«
Zögerlich senkte der Major die Waffe und halfterte sie wieder, ließ aber die Hand am Griffstück, um die Waffe sofort wieder ziehen zu können, sollte Krood sich zu einer Dummheit entscheiden.
Natürlich wäre er niemals schnell genug gewesen, um den cadianischen Grenadier auszuschalten, bevor der Ekko erschoss, aber für ihn zählte wohl auch eher die Geste, die Bereitschaft, bei Gefahr für seinen Colonel einzutreten.
Den verblüfften Kasrkin völlig ignorierend wandte sich der Colonel nun auch an die verwirrten Wachsoldaten. »Runter mit den Waffen.«
Die Männer warfen sich unentschlossene Blicke zu und adressierten dann Major Carrick, der jedoch genauso verunsichert war wie sie.
Nachdem sie begriffen hatten, dass weder der hochgewachsene Basteter, noch irgendeiner der anderen anwesenden Offiziere ihnen in ihrer Situation beistehen konnte und würde, lenkten die Soldaten ihre Aufmerksamkeit zurück zu ihrem Kommandeur, auf dessen Kopf noch immer die Waffe des Elite-Grenadiers gerichtet war.
»Aber, Sir …«, begann einer der beiden zögerlich.
»Tot bin ich dann trotzdem«, fiel ihm Ekko ins Wort. »Und ich werde nicht zulassen, dass noch ein guter Soldat wegen eines Fehlers stirbt, geschweige denn, deswegen unnötige Munition verballert wird. Also nehmen Sie die Waffen runter!«
Die letzten Worte waren so energisch aus dem Mund des Offiziers gekommen, dass es niemand wagte, ihnen zu widersprechen. Die Soldaten senkten ihre Lasergewehre.
»Und wer sagt Ihnen, dass ich Sie nicht trotzdem töte?«, zischte der Kasrkin. Es überraschte ihn, dass Ekko tatsächlich einen Fehler eingestanden hatte, obwohl das auch nicht wirklich verwunderlich war. Jeder, dem ein entschlossener Mann eine geladene Waffe an den Kopf hielt, hätte sich in seiner Situation ähnlich verhalten.
Wenn er allerdings die Worte Ligrevs in seine Überlegung mit einbezog, dann konnte auch das nicht sein. Immerhin wollte der Basteter um jeden Preis sterben. Sich jetzt durch eine Bemerkung zu retten hätte gar nicht in das Schema gepasst, mit dem der imperiale Offizier anderen gegenüber auftrat.
Und das ließ den cadianischen Elitesoldaten zurück zu dem Schluss gelangen, den er bereits gezogen hatte: Ekko war verrückt, eindeutig verrückt. Verrückt und unberechenbar.
»Wer soll die Truppen führen, wenn ich tot bin?«, rissen ihn die Worte des Basteters aus seinen Gedanken.
Krood fiel zurück in die Wirklichkeit, als sei er mit einem Grav-Schirm aus einer Walküre gesprungen. »Kommissar Ligrev«, erwiderte er.
Ekkos Augen weiteten sich in ehrlicher Entrüstung. »Ligrev? Herr auf dem Thron! Sie naiver Idiot!«
Noch bevor irgendjemand auf die Bemerkung reagieren konnte, begann der dunkelhaarige Colonel zu lachen.
Vollkommen perplex verfolgten Krood und die anderen Anwesenden, wie der imperiale Offizier den ganzen Grundsatz des Problems verstand und ihn in einem plötzlichen Ausbruch von Erheiterung verarbeitete.
Doch so abrupt, wie Ekkos Gelächter begonnen hatte, endete es auch wieder.
Krood machte unwillkürlich einen Schritt zurück. Ekkos Augen funkelten im Wahnsinn. »Was denken Sie denn, weshalb Ligrev Ihnen dieses Ding ins Ohr geflüstert hat?«, fuhr der Colonel den Kasrkin-Sergeant an.
Krood fiel keine Erwiderung ein. Er starrte den Offizier lediglich an.
So verweilten sie für einige Augenblicke in eisiger Stille, die einzig vom Flackern und Knacken der hololithischen Anzeige durchbrochen wurde, welche sich in unregelmäßigen Abständen aktualisierte.
»Weil er nicht den Mumm hat, es selbst tun«, löste der Basteter das Rätsel schließlich auf.
Fassungslos sah der Kasrkin den Offizier an. Er konnte nicht glauben, was er gerade gehört hatte. Ligrev hatte ihn benutzt? Aber, das konnte doch gar nicht … Ekko war doch der …
Noch während er versuchte, die plötzliche Anomalie in seinem Plan zu verarbeiten und dabei seine Waffe langsam senkte, wandte sich Ekko ab und entfernte sich in Richtung Ausgang.
»Sie haben Recht, Krood. Wovor sollten Sie Respekt haben?«, murmelte er, passierte die beiden Wachsoldaten und verließ das Kommandozentrum.
Die anderen Offiziere, vollkommen überrumpelt von den gerade geschehen Ereignissen, konnten nicht anders als auf den Eingang zu blicken, durch den ihr Regimentskommandeur verschwunden war.
Es dauerte noch einige Sekunden, bis Carrick sich als erster aus seiner Starre löste.
»Nehmt ihn fest!«, befahl er mit einem Kopfnicken auf den überrumpelten Elite-Grenadier, dann folgte er seinem Colonel schnellen Schrittes aus dem Raum.
Der Kasrkin hingegen blieb zurück und ließ sich widerstandslos von den Wachsoldaten verhaften.
Es war wohl das erste Mal in seinem Leben, dass Gren Krood einen Auftrag nicht ausgeführt hatte.

***

Carrick erreicht Ekko am Ansatz der Treppe, die aus der Plattform hinauf in das Beinhaus und auf das Dachplateau der Kathedrale führte, über das die Türme mit der Felsnadel verbunden waren.
Aus der nur spärlich erleuchteten Dunkelheit hieß sie der moderige Geruch der Jahrtausende alten Natursteine willkommen.
»Sir!«, rief der Major und seine Stimme hallte durch den Gang. »Auf ein Wort.«
Ekko dachte gar nicht daran, seine Schritte zu verlangsamen. »Wir sind bereits allein, Carrick. Sprechen Sie.«
»Ich habe Ihre Art bisher toleriert!«, begann der Major, das recht ansehnliche Gesicht wütend verzogen. »Aber damit gehen Sie zu weit! Was der Sergeant getan hat, war nicht nur Insubordination oder Befehlsverweigerung! Das war bereits ein Angriff auf einen Vorgesetzten!«
»Ich weiß«, erwiderte Ekko und setzte seinen Weg fort.
Überrascht und entwaffnet von der lakonischen Antwort blieb Carrick zurück, als Ekko die Treppe in die nächste Ebene hinaufstieg, dann jedoch sammelte er sich und eilte seinem Vorgesetzten hinterher. »Sie kennen die Regeln für solch ein Verhalten, Sir!«, erinnerte er den anderen Basteter.
Ekko wandte sich nicht einmal mehr um. »Ich habe mich noch nie an Regeln gehalten. Das sollten Sie aber wissen.«
»Natürlich weiß ich das, aber das bringt uns in diesem Augenblick auch nicht weiter«, erwiderte der Major gereizt.
Mit dieser Bemerkung erreichte er endlich sein Ziel. Ekko wandte sich um. »Wenn alles, was ich tun würde mich weiterbringen würde, dann wäre ich bereits auf Terra.«
Überrascht von dieser abschweifenden Bemerkung zögerte Carrick einen Augenblick. »Und was wäre dann, Sir?«, fragte er verwundert.
Der Colonel zuckte die Schultern, bevor er seinen Weg fortsetzte. »Ich würde den großen Gott-Imperator persönlich bitten, mich zu töten.«
Entnervt stieß der hochgewachsene Basteter Luft aus und folgte dem anderen Mann. Er wollte sich noch nicht geschlagen geben. »Auch wenn ich weiß, dass das Ihr innigster Wunsch ist, sollten wir trotzdem vorher noch klären, was mit dem Sergeant zu tun ist. Sonst setzen Sie ein komplett falsches Zeichen.«
»Mann, Sie klingen ja fast schon wie Balgor«, murmelte Ekko. Dann antwortete er etwas lauter: »Und was für ein Zeichen würde ich damit setzen?«
»Dass Sie auf zu weiche Art mit Verbrechern oder Verrat umgehen.«
Sie hatten das Ende der Wendeltreppe erreicht und betraten nun das Beinhaus.
Auch hier hatten die Infanteristen des 512. Batterielampen aufgestellt, die das in sakralem gotisch gehaltene Gemäuer in scharfe Formen, bestehend aus Licht und Schatten, tauchten.
Die beiden riesigen steinernen Tafeln, die zu beiden Seiten des Weges in die Wände eingelassen waren und den Besucher darauf hinwiesen, wo er war und wie er sich zu verhalten hatte, bedachten die beiden Offiziere, denen diese Werte offensichtlich nichts sagten, mit finsteren Gedanken aus ihren eingemeißelten Schriftzeichen.
»Carrick, das Problem ist nicht Krood. Das Problem ist Ligrev. Sie wissen das, ich weiß das. Herr auf dem Thron, das ganze Regiment weiß es!« Ekko warf theatralisch seine Hände in die Höhe. »Sogar die Schwester, der Gott-Imperator möge sein wachendes Auge von ihr nehmen, hat es schon gemerkt«, stellte er fest.
Der Major seufzte abermals und schickte ein Stoßgebet an den göttlichen Imperator. »Herr auf dem Thron, behüte mich.«
Er ließ das Gebet einige Schritt lang im Raum wirken, bevor er sich entschied, den Faden der Diskussion wieder aufzunehmen. »Aber wenn Sie genau wissen, dass es Ligrev ist, dann müssen Sie ihn zum Erhalt der Moral in seine Schranken weisen.«
Sie erreichten die großen Flügeltüren, die das Beinhaus von der kalten und ungeschützten Steinfläche des Kathedralendachs abschlossen.
Eine der beiden Türen stand offen und war arretiert worden, damit sie im kalten Wind, der hier oben wehte, nicht noch weiter umher schlug.
Eine einzelne Walküre mit rotgrauer Farbkennung erwartete die beiden Offiziere. 0072 Azrael.
Ekko warf seine Hand in einer nachlässigen Geste in die Luft, welche vom dem Piloten in der Maschine beantwortet wurde, in dem er die Motoren anlaufen ließ.
Der Colonel blieb nahe der schützenden Sperre der Flügeltüren stehen und wandte sich um. Die Bewegung kam so abrupt und unerwartet, dass Carrick in dem Halbdunkel beinahe an ihm vorbeigelaufen wäre. »Hören Sie, Carrick. Ich bin nicht der Moraloffizier. Wenn es nach mir ginge, hätte dieses Regiment nicht einmal eine Moral.«
Das saß. Carrick sagte eine Weile lang erst einmal nichts mehr.
Als er sich wieder gefangen hatte, waren seine Worte bedachter. »Sir, ich weise Sie noch einmal darauf hin, dass Sie etwas wegen Krood unternehmen sollten. Er wollte Sie immerhin töten.«
»Es mag sein, dass Krood mich töten will, aber er braucht jemanden, der ihm den Rücken stärkt, weil er selbst dafür zu loyal und gebunden ist. Ligrev ist dieser jemand, weil er seine eigenen Ziele verfolgt und ich diesen Zielen im Weg bin.«
Die Triebwerke der Walküre heulten bestätigend auf, als ihre Turbinen endlich andrehten.
Mit dem typischen Knirschen von Metallschienen in einer Fassung öffnete der Frachtoffizier die Seitentüren des Sturmtransporters.
»Dann unternehmen Sie etwas wegen Ligrev«, bemerkte Carrick, während er und Ekko die Startvorbereitungen an dem imperialen Luftfahrzeug beobachteten.
»Und was sollte ich Ihrer Meinung nach unternehmen? Wenn ich Ligrev bestrafe, was ich zudem gar nicht dürfte, wem würde man eher Recht geben? Dem Kommissar, der die Moral der Truppe aufrecht erhält oder dem Offizier, der sowieso schon etwas neben der Spur agiert, hm?«
Darüber musste Carrick erst einmal einen Moment lang nachdenken. Natürlich hatte der Colonel Recht.
Gegenüber einem imperialen Offizier, der seinen Kommissar des Eigennutzes und der Häresie bezichtigte, hegte man immer gewisse Zweifel, denn es war nicht der Offizier, der die Moral und Imperiumstreue der Truppen zu überwachen hatte.
»Sie hätten das Offizierscorps hinter sich«, erinnerte er den Colonel.
»Bei allem Respekt vor der Integrität meiner Offiziere, Carrick. Nein, nicht vollständig. Und ich sehe keinen Sinn darin, das Offizierscorps in meine persönliche Fehde mit dem Kommissar hineinzuziehen. Das würde sowohl ihnen als auch mir schaden … obwohl … So lange es mir schadet, gerne!«
Ungläubig schüttelte Carrick den Kopf. Auch, wenn er um Ekkos selbstmörderische Wesensart wusste und sich zum größten Teil damit abgefunden hatte, das regulierende Element hinter dem Wirbelwind zu sein, der sich Galard Ekko nannte, so überraschte ihn die grundsätzliche Einstellung des Colonels, andere aus seinen Problemen herauszuhalten, immer wieder.
Vor allem aber, weil der hochgewachsene Basteter vollkommen hinter seinem Colonel stand und ihm in jeder Situation den Rücken gestärkt hätte, fühlte er sich dabei jedes Mal auch ein wenig, als habe der Colonel das Vertrauen in seine Untergebenen verloren.
»Mit Verlaub, Sir«, stieß er hervor. »Sie sind ein Mistkerl.«
»Danke. Calgrow sagt das auch immer!«, erwiderte Ekko trocken. »Aber, einmal abgesehen davon, Carrick, beantworten Sie mir die Frage ganz ehrlich: warum sollte ich Krood bestrafen?«
»Um Sie noch einmal daran zu erinnern, Sir. Er hat Sie vor einer Gruppe Offiziere und Mannschaften mit einer Waffe bedroht und versucht, Sie umzubringen!«, gab der Major zu bedenken.
Ekko nickte resigniert. »Ja, danke. Ich habe es nicht vergessen.«
Die Walküre schrie auf und begann zu zittern. Der Frachtoffizier bestätigte eine tonlose Nachricht in seinen Kopfhörern, dann winkte er seinem Vorgesetzten zu.
Ekko bedeutete Carrick, ihm zu folgen und machte auf den Weg zu dem Luftgefährt.
Heftiger Wind empfing sie auf das ungeschützte Dach der Kathedrale und sie mussten sich ducken, um nicht von den kräftigen Triebwerksstrahlen des Transporters vor ihnen erfasst und weggeweht zu werden.
»Ich habe ihn bereits festnehmen lassen. Wir warten jetzt nur noch darauf, welche Disziplinarmaßnahmen Sie anwenden möchten«, informierte der Major seinen Vorgesetzten, der die Information mit dem Blick aufnahm.
»Carrick.«
»Ja, Sir?
»Lassen Sie ihn frei.« Ekko klang so desinteressiert und gleichzeitig so bestimmt, dass der Major nicht anders konnte als mit den Zähnen zu knirschen.
»Aber, Sir«, erwiderte Carrick aufgeregt. »Er hat gerade …«
Ekko sah ihn ruhig an. Der Major verstummte umgehend, als sich ihre Blicke trafen. »Ich habe zwei Möglichkeiten, diesen ereignislosen Tag abzuschließen«, erzählte Ekko im Plauderton.
Dieser neuerliche, abrupte Themenwechsel brach Carricks Widerstand schließlich. »Und die wären?«, rief Carrick nach einem Moment des Zögerns in dem Wissen, dass er Ekko keine Entscheidung mehr würde abringen können.
»Entweder, ich betrinke mich sinnlos oder gehe schlafen.«
Carrick ließ erst noch die Walküre zu Wort kommen, welche diese Möglichkeit erfreut wahrnahm, bevor er die unausweichliche Frage stellte: »Und, für welche Möglichkeit haben Sie sich entschieden?«
»Schlafen. Wenn ich besoffen in die Unterwelt absteige, verpasse ich womöglich noch was. Und bis ich von da zurück bin, haben Sie das Kommando, Carrick.
Aber vorher lassen Sie Krood frei. Colonel Ekko, Ende.«
Er nickte dem Major zu und verschwand in das Innere des Transporters. Hinter ihm schloss der Frachtoffizier mit einem entschuldigenden Murmeln die Seitentür des Truppenraums.
Einen Augenblick später kreischten die Triebwerke auf und die Walküre erhob sich von der Dachplattform der Himmels-Kathedrale.
Carrick verfolgte, wie sie die Flanke des mächtigen Baus hinabtauchte und zischte eine unverständliche Verwünschung, bevor er ins Innere des Beinhauses zurückstapfte.

***

Das schrille Pfeifen von Gladius-Vögeln durchbrach die friedliche Ruhe des warmen Sommertags und ließ Sergeant Galardin Ekko von seinen Berichten aufblicken.
Er brummte eine leise Verwünschung in Richtung der knall-bunten und stets lauten, aber ungefährlichen Riesenvögel, welche die fruchtbaren Schlammgebiete auf der anderen Uferseite des Freon-Flusses bewohnten, der sich abertausende von Kilometern über die Oberfläche von Bastet III schlängelte.
Das Wasser sah friedlich aus, glitzerte auf einer Breite von fast vierhundert Metern am Haus seiner Frau vorbei.
Schon vor langem hatte er entschieden, dem Ort, an dem er aufgewachsen war, den Rücken zu kehren und die finsteren Erlebnisse dort hinter sich zu lassen.
Es hatte funktioniert.
An manchen Tagen, besonders wenn die Wasser hoch standen, suchten ihn die Mörder-Schwestern in seinen Träumen heim, doch das geschah nur noch selten.
Er hatte sich bemüht, sie aus seinem Leben zu drängen und die Suche nach seinem Bruder aufzugeben, die ihn viele Jahre seines Lebens Kraft, Nerven und Zeit gekostet hatte, ohne jemals voranzuschreiten.
Wenigstens hatte er nun sein Glück gefunden, abseits der schrecklichen Wahrheit, der Letzte seiner Linie zu sein.
Seine Frau war ein Engel, höchstwahrscheinlich vom Imperator als Entschädigung für die Leiden gesandt, die Ekko während seiner Jugend hatte ertragen müssen.
Ironischerweise hatte sie vor ihrer Reise nach Bastet seit frühestem Kindesalter der Ekklesiarchie gedient.
Sie sprach nie darüber und er hatte nie gefragt. Zu viele Fragen waren ungesund für sie, ihre Beziehung und ihrer beider Leben. Wichtig war nur, dass sie sich liebten – tief und innig. Ein strahlendes Leuchtfeuer einsam in der Dunkelheit des Alls.
Er lehnte sich zurück und lächelte wehleidig.
Es war bloß traurig, dass ein Sergeant der Planetaren Verteidigungsstreitkräfte einer so tollen Frau wie ihr niemals eine sichere Zukunft geben konnte.
Wann er sterben würde, wusste er nicht, und auch, wenn er sich stets bemüht hatte, ihretwillen nicht aus dem Dienst … auszuscheiden, seinen Tod würde er nicht beeinflussen können. Das konnte nur der Imperator.
Aber wenn er gnädig war, dann würde er ihnen noch eine lange Zeit der Liebe und Wärme schenken.
Er hörte sie schreien. Erst dachte er, sie streite sich mit einem Nachbarn, doch die tiefe, weibliche Stimme, die ihr in fast derselben Lautstärke antwortete, jedoch metallisch und hohl klang, ließ tief in seinem Innersten Alarmglocken schrillen.
Nein!
Ekko sprang auf, warf seine Uniformjacke über und griff seine Laserpistole samt einem Magazin aus dem Holster.
Mit langen Schritten stürmte er aus dem Zimmer, durchquerte den Hausflur und erreichte kurz darauf die Außentür.
Mit einem Krachen ließ er sie auffliegen und verließ entschlossen das Haus. Er schlug das Magazin in die Waffe und stellte den Sicherungsbügel auf maximale Feuerkraft. Die Waffe summte scharf auf, als sie die Energiereserven zur Verfügung stellte, die er für einen Schuss benötigte.
Der Sergeant prüfte seine Umgebung mit einem kurzen Rundblick, um zu ergründen, von woher die Schreie gekommen waren, dann entdeckte er sie: Es waren sieben Schwestern eines Ordens, den er nicht kannte, und seine Frau, die sich heftig im festen Griff der Prioris wand.
Die Szenerie hatte etwas irreales – und sie machte ihn irre wütend. In diesem Moment wünschte er sich, ein Hochenergielasergewehr in den Händen zu halten und einfach abdrücken zu können. Doch er besaß nur die Laser-Pistole, die für kurze Reichweiten gedacht war.
»Lasst sie in Ruhe!«, brüllte er so laut, dass sich mehrere Basteter, die bisher verfolgt hatten, wie die Schwestern die junge Frau aus ihrer Nachbarschaft mit sich nahmen, erschreckt umwandten und den wutschnaubenden Sergeant erkannten, der sich mit hoher Geschwindigkeit näherte, die gezückte Laserpistole auf die gepanzerten Eindringlinge gerichtet.
Ein halbes Dutzend Boltgewehre wurden hochgerissen und auf ihn geschwenkt.
Irgendwer schrie in Erwartung eines blutigen Feuergefechts.
Dann hörte er die Stimme seiner Frau. »Alb, nein!«, rief sie.
»Die Frau hat Recht, Soldat. Machen Sie es nicht noch schlimmer, als es sowieso schon ist«, pflichtete ihr die Prioris bei. Die verzerrte, metallene Stimme, die aus ihren Helmlautsprechern drang, machte es ihm leichter, sich vorzustellen, sie sei das Monster, für die er die Schwestern immer gehalten hatte.
In ihm kamen wieder die Erinnerungen an den Tag auf, als sein Bruder von den Sororitas mitgenommen und ermordet worden war. Ermordet – ein anderes Wort konnte es dafür nicht geben. Er hatte lange gebraucht, um es zu verstehen, und er würde, solange er das Grab nicht gefunden hatte, stets glauben, dass sein Bruder noch lebte, aber in Gegenwart dieser weiblichen Bestien wurde er stets an die Wahrheit erinnert, die er sonst verdrängte.
»Ich denke, ich werde einfach schießen. Schlimmer kann es ja nicht mehr kommen.« Seine Stimme war fest und kalt, kaschierte die Furcht und Wut, die er verspürte.
Er legte so viel Entschlossenheit wie möglich in seinen Blick.
»Gut«, gab sie schließlich nach. »Aber dann schießen Sie mir ins Gesicht, Soldat.«
Sie übergab seine Frau an eine der anderen Schwestern und halfterte dann ihre Pistole, bevor sie ihren Sabbat-Helm voller Ruhe vom Kopf nahm
Für einen kurzen Moment verschlug es Ekko den Atem.
Es war die Sororita, die ihn vor Jahren gerettet und zugleich getötet hatte. Auch wenn sich ihr Gesicht durch Narben und eine Tätowierung der Fleur de Lys verändert hatte, die Smaragde, die aus ihrem Gesicht strahlten, wiesen immer noch das gleiche Feuer auf, das sie damals besessen hatte. Eine neue Welle Hass wallte in ihm auf.
»Ich sehe, Sie haben es geschafft, sich einen Rang zu verdienen, Schwester Kortessa.« Ihre Augen blitzten bei der Erwähnung ihres Namens kurz auf. Natürlich, dachte er grimmig. Vermutlich wusste sie schon längst nicht mehr, wer er war. »Was haben Sie dafür getan? Endlich Ihre Seele an die Ketzer verkauft, die behaupten, dem Gott-Imperator zu dienen?«
»Häretiker!« Ein wütender Aufschrei sämtlicher Schwestern peitschte ihm entgegen. Die Bolter wurden laut klickend entsichert.
Er zwang sich, nicht mit den Augen zu zucken und zurückzuweichen. Er musste stehen bleiben, um den Sororitas gegenüber nicht als schwach zu erscheinen.
Um sie herum war es still geworden. Die Menschen waren in ihre Häuser geflohen und beobachteten die Szenerie aus relativ sicherer Entfernung.
Die Prioris verengte ihre funkelnden Augen. »Nicht schießen«, befahl sie mit bedrohlich tiefer Stimme. Dann wandte sie sich Ekko zu. »Wer sind Sie?«, verlangte sie zu wissen.
»Ein verdammt wütender Sergeant, dessen Frau Sie gerade entführen wollen.«
»Ihre Frau?« Die Prioris lachte. Es klang unmenschlich weich und sanft ohne ihren Helm. »Wollen Sie sich dem Zorn der Schwestern aussetzen, nur um einer Lüge willen?«
»Warum nicht? Der Imperator scheint mich ja bereits verlassen zu haben. Nun bringt er meiner Liebe das Verderben«, antwortete er mit fester Stimme, obwohl die Welt unter seinen Füßen zerbrach.
Sie lachte bloß. »Eine Schwester, die dem Orden den Rücken kehrt und vom Schlachtfeld flieht bringt Schande – nicht nur über sich, sondern über sämtliche Schwestern ihres Ordens, nicht wahr, Schwester Ayle?« Sie sah seine Frau an.
Sie erwiderte den Blick nicht.
Ekko ließ die Pistole um keinen Millimeter sinken, aber ihm schwindelte. Was hatte die Prioris gesagt? Hatte sie seine einzige Liebe als ›Schwester‹ bezeichnet? Bedeutete das etwa, dass …?
Nein!
»Sie lügen!«, schrie er.
»Nein, Alb. Das tut sie nicht.« Die liebliche Stimme seiner Frau versetzte ihm einen Schlag, der sich mit dem Feuerschwert einer Lebenden Heiligen hätte messen können.
»Was?«, brachte er hervor.
Prioris Kortessa zeigte ein triumphierendes Lächeln, während sie auf seine Frau wies. »Schwester Ayle hier hat sich entschieden, ihren Schwestern auf dem Schlachtfeld den Rücken zu kehren und dem Kampf für den Imperator, dem wir uns aufs Heiligste verschrieben haben, zu entsagen. Ich glaube, Sie wissen, was auf Desertation steht?«
»Der Tod«, antwortete er geschockt und starrte seine einzige Liebe entsetzt an.
»Es tut mir leid«, flüsterte sie. Es klang gebrochen.
Der Schock erfasste sein Denken und ließ die Welt für einige Sekunden in einen intensiven Augenblick der Zeitlupe versinken, vergleichbar mit der Kampfzeit eindringlicher Gefechtsmomente.
Er spürte, wie sein Herz im Rhythmus heftiger Schläge zu schmerzen begann. Der Schmerz setzte sich über seinen Brustkorb durch seinen ganzen Körper fort und ließ ihn taumeln. Seine Waffe senkte sich wie von Geisterhand, als seine Arme unerwartet kraftlos wurden.
Wie hatte sie ihm das antun können?
Seine Augen brannten. Er zwang sich, nicht zu weinen, sondern sich wieder zu konzentrieren.
Erst jetzt bemerkte er, dass er nicht der Einzige war, der sich auf die Straße getraut hatte.
Schwere Stiefel ließen den Sand hinter ihm knirschen, als jemand in seine Richtung rannte. Innerlich bereitete er sich darauf vor, dass ihm gleich ein besonders eifriger Einwohner einen Schlag auf den Hinterkopf versetzen würde. Doch das passierte nicht.
Stattdessen tauchte neben ihm die breite Gestalt eines anderen imperialen Soldaten auf. Der stämmige Mann hielt sein Lasergewehr in den Händen und trug sowohl die Steppentarn-Hose als auch das wüstenbraue Gefechtshemd der Basteter PVS-Regimenter, das die Soldaten normalerweise unter ihrer Armaplast-Rüstung trugen.
»Guten Morgen, Sergeant«, grüßte Soldat Balgor atemlos. »Brauchen Sie Hilfe?«
»Das hätten Sie nicht tun sollen«, murmelte Ekko. »Sie bringen sich selbst in Gefahr.«
»Ich habe es aber getan, Sergeant. Und schlimmer als gegen das Chaos kann es auch nicht werden.«
Ekko unterdrückte ein Lachen und zwang sich, seinen Blick wieder auf die Prioris zu richten.
Sie verengte die Augen und musterte den Neuankömmling abfällig. »Was ist so lustig, Soldat?«
»Mein Gewehr wird Ihnen das Kopf wegblasen, bevor Ihre Schwestern reagieren können«, erklärte Balgor, als wäre er es leid, einen Witz zu erklären, den bisher keiner verstanden hatte. »Das ist so lustig.«
Metallfassungen klickten und Rüstungen knirschten, als sämtliche Schwestern ihre Waffen hochrissen, um der offensichtlichen Drohung gegen ihre Führerin zu begegnen.
»Wow-wow-wow!«, fuhr Ekko auf, während er die Pistole ebenfalls wieder nach oben schnellen ließ. »Macht jetzt bloß keinen Scheiß.«
»Hört auf!«, pflichtete ihm Prioris Kortessa bei. »Es nützt keinem, ein Blutbad in diesem Dorf zu beginnen.«
»Aber, Prioris!«, rief eine der Schwestern entrüstet, als alle Sororitas überrascht ihre Köpfe wandten.
»Führt meinen Befehl aus!«
Neun Bolter senkten sich.
Die Prioris betrachtete den Sergeant von Kopf bis Fuß. »Entweder sind Sie ein dummer Idiot – oder ein tapferer Mensch.«
»Es gibt Dinge, für die zu kämpfen es sich lohnt«, wandte er ein.
Eine Ewigkeit nervenaufreibender Stille senkte sich über die Front, bevor wieder Leben in der Prioris erwachte. »Ich bin eine gnädige Frau, Sergeant«, sagte sie mit lauter Stimme. »Ich gebe Ihnen die Gelegenheit, sich von ihr zu verabschieden. Missbrauchen Sie meine Güte nicht.«
Balgor stemmte sich in sein Lasergewehr. »Gehen Sie, Sarge. Ich halte sie so lange in Schach.«
Um ein Haar hätte Galardin Ekko gelacht. Es war eine gute Sache, Balgor als Deckung in seinem Rücken zu wissen, aber gegen die mit Servorüstungen gepanzerten Schwestern und ihre großkalibrigen Bolter hätte auch er keine Chance gehabt.
Der Sergeant straffte seine Uniform, hob den Kopf und ging auf die Schwestern zu, die ihn mit verachtenden Blicken bedachten.
Seinen Atem, flach und gepresst, spürte er kaum, doch sein Herz sprang so heftig in seiner Brust umher, dass es sich anfühlte, als würde es gleich durch seinen Brustkorb platzen und panisch schreiend davonlaufen.
Noch immer weigerte sich sein Verstand, das ganze Ausmaß des Geschehens zu verstehen, und sich eine rationale Erklärung auszudenken, die ihn und seine Seele schützte vor der grausamen Realität, dass das, was er gerade gehört hatte, wirklich stimmte.
Er ging wie durch Nebel, fühlte sich leicht und zugleich schwer. Sein Körper brannte. Jeder Muskel, jede Sehne, sogar die Knochen fühlten sich an, als würden sie in der Hitze eines höllischen Feuers, das soeben in seinem Innersten entfacht worden war, zu Asche verbrennen.
In seinem Kopf drehte sich alles. Der Schwindel drohte, ihn zu übermannen. Er fühlte sich betrogen, verraten von Imperator, der die Geschicke der Menschheit steuerte.
Wie durch einen Tunnel wankte er auf die Frau zu, die ihm alles bedeutete.
Erst, als er nach einer ewig lang erscheinenden Zeit aus seinen finsteren Gedanken auftauchte und vor ihr stand, wurde ihm bewusst, dass sie sich noch immer im Griff der Prioris befand.
Einen Moment zögerte er, doch als die Prioris seine Liebe freigab, nahm er sie in den Arm und hielt sie fest, während sie sich hemmungslos den Tränen hingab.
Zwei gefühlte Ewigkeiten verbrachten sie auf diese Weise, dann jedoch löste sie sich von ihm. Ihre sonst so klaren, türkisfarbenen Augen waren verschleiert und das prächtige blonde Haar erschien ihm wirr und farblos.
»So hätte es nicht enden dürfen«, brachte sie erstickt hervor.
Verständnislos schüttelte Galardin den Kopf. Er konnte es noch immer nicht fassen. »Warum?«, fragte er.
»Ich weiß, wie sehr du uns hasst. Ich wollte nicht, dass du mich hasst.«
Der Schmerz zuckte wieder durch seine Brust.
»Es tut mir leid«, schluchzte sie.
Ihre Stimme. Diese knisternde Energie, die er an ihr so geliebt hatte, sie hatte sie verloren. Sie war nicht mehr die Frau, in die er sich vor vielen Jahren verliebt hatte. Der Schock über das Wissen, alles zu verlieren, was sie waren, was sie ausmachte, hatte sie gebrochen. Tief in seinem Innersten, wo er die Furcht über das, was nun geschehen würde, überwinden konnte, tat sie ihm leid. Unendlich leid.
Er schüttelte sanft den Kopf. »Es gibt nichts zu verzeihen.«
Sein Verstand befahl ihm, sie zu hassen. Und er wollte es. Er wollte sie hassen, die Frau, die ihn so schändlich betrogen hatte.
Doch sein Herz ließ es nicht zu … riet ihm sogar das Gegenteil.
Er war verwirrt, konnte nicht begreifen, was gerade über ihn hereinbrach. Die Tränen, die sich erneut in seinen Augen zu sammeln begannen, ließen seine Sicht verschwimmen. Er spürte, wie der Druck seiner Umarmung nachließ. Er hatte keine Kraft mehr.
»Bitte hasse mich nicht auch«, flüsterte sie erstickt.
»Wie könnte ich dich jemals hassen?«, antwortete sein Mund mit einer Stimme, die nicht seine war, während sein Kopf ihr Chaos und Verderben wünschte.
»Alb!«, rief seine Frau verzweifelt, dann verschwand sie hinter der Rüstung der Prioris, die sich vor sie stellte.
»Seien Sie froh, dass ich Sie so ziehen lasse, Sergeant. Eine andere hätte sie dafür getötet.«
»Das haben Sie auch«, flüsterte er. »Sie können sich dessen sicher sein. Schon zum zweiten Mal.«
Sie sah ihn noch einen Moment lang aus ihren grünen Smaragden an.
»War er Ihr Bruder?«, fragte sie plötzlich.
Ekko starrte sie an, der neuerliche Schock ließ seine Züge entgleisen. Sie wusste es. Ob sie sich erinnerte oder ihn von Anfang an erkannt hatte, konnte er nicht sagen, aber sie wusste es.
»Ja, er war mein Bruder«, antwortete er langsam und bedacht. Er erwartete, dass sie irgendwie darauf reagieren und etwas sagen würde, doch sie nickte nur und zog den Sabbat-Helm wieder über ihren Kopf.
Dann setzte sie ihren Weg fort und zog seine Liebe mit sich. Seine Frau wandte ihren Kopf noch einmal und flüsterte ein »Ich liebe dich«, dann wurde sie durch eine der Schwestern verdeckt und verschwand aus seinem Sichtfeld. Es war das letzte Mal, dass er sie gesehen hatte.
Balgor neben ihm schwieg, als Ekko sich von den ziehenden Sororitas abwandte und ihm auf die Schulter klopfte.
Galardin Alberic Ekko weinte nicht. Er begann zu hassen.
Ich werde Euch finden, schwor er sich. Ich werde Euch finden und alle töten.
Er wusste nicht genau, wen er mehr hasste. Die Sororitas, weil sie ihm seine Liebe und seine Träume genommen hatten?
Seine Frau, weil sie das gewesen war, was er seit jeher verachtet hatte und sie es ihm nicht gesagt hatte?
Oder hasste er sich, weil er sich von seinen Gefühlen und seiner Liebe betrogen fühlte?
Er konnte es nicht sagen. Er spürte nur unsägliche Wut auf die Galaxis und Ungerechtigkeit des Universums und schwor, sich zu rächen, egal wie lange es auch dauern mochte.
Plötzlich horchte er auf. Irgendjemand schrie nach ihm: »Sir! Sir! Colonel Ekko!«
Colonel? Aber ich bin doch nur Sergeant, dachte er, als es wieder schwarz um ihn wurde.

***

»Sir!«, riss eine Stimme Ekko aus den dunklen Träumen einer grausamen Nacht voller Schmerz und Einsamkeit zurück in die kalte, sternenlose Dunkelheit von Agos Virgil. »Colonel!«
Noch während sich Ekko aus der Erinnerung an ein traumatisches Erlebnis kämpfte, stürmte eine schwarze Gestalt durch die offene Tür in das kühle Quartier, das er bezogen hatte.
»Colonel, wir haben soeben eine Nachricht von der vorrückenden Streitmacht erhalten«, meldete der Soldat, den Ekko schließlich als Gireth identifizierte.
Er brummte eine unverständliche Antwort, die den Funker veranlasste seine Meldung weiter auszuführen.
»Sämtliche Truppen befinden sich auf dem Rückzug.«
Augenblicklich war Ekko hellwach und schnellte hoch. »Bitte, was?«
 
So! Nach einer ewig langen Zeit ist endlich das nächste Stargazer-Kapitel online! Ich wünsche viel Spaß beim Lesen!

19

Die Systeme der Kommandozentrale liefen auf Hochtouren, als Ekko und Gireth dort eintrafen. Bereits vom Fuß der Wendeltreppe aus waren das Summen und Knirschen der Ventilationssysteme und Luftzirkulatoren zu hören gewesen. Draußen heulten dumpf die Triebwerke eines Sturmtransporters.
0072 Azrael hatte die beiden Soldaten vom Forum der Kathedrale, das zu einem improvisierten Landeplatz umfunktioniert worden war, auf das Dach des riesigen Gebäudes gebracht, von wo aus sie sich direkt in das Innere des Beinhauses begeben hatten, und startete nun zum Rückflug.
Die beiden Wachsoldaten vor dem Eingang zum improvisierten Operationszentrum nahmen kurz Haltung an, als ihr Vorgesetzter sie erreichte und ließen den schnellen Schrittes marschierenden Mann dann ohne ein Wort passieren.
Den hinter ihm her keuchenden Regimentsfunker bedachten sie nicht einmal mit einem Blick.
Hinter der Tür flutete künstliches Licht über Menschen und Gerät, eingeworfen von starken Strahlern, die man an den Wänden des hallengroßen Raums und an den Säulen in seinem Inneren aufgestellt hatte.
Die natürlich wärmende Helligkeit, welche zuvor durch die großen Fenster in das Gemäuer eingelassen worden war, hatte man bereits vor einiger Zeit mit Hilfe schwerer Stahlplatten ausgesperrt. Nicht, dass die Soldaten sich gegen die brütende Sonne Agos Virgils wirklich hatten isolieren wollen, aber der Kampf zwischen den Imperialen und den Space Marines hatte die Fensterfronten weiträumig zerstört und es nötig gemacht, sie soweit wie möglich zu verbarrikadieren.
Ohne Frage konnte das künstliche Licht die natürliche Einstrahlung nicht ersetzen und Ekko wusste, dass die scharfen Kontraste, welche von den Lampen in den Raum geworfen wurden, nach einiger Weile in den Augen schmerzen würden. Leider blieb ihm keine andere Wahl, als diese Unannehmlichkeiten zu ertragen, denn sonst war das Beinhaus für seine improvisierte Aufgabe mehr als prädestiniert.
Von der Plattform aus besaß man einen weiten Blick über das Land, war gegen feindliches Feuer gut geschützt und vor feindlichen Sturmangriffen mehr als sicher, was für alle anderen in Frage kommenden Plätze an diesem Ort nicht zutraf.
Und zog man diese Tatsache in Betracht, dann gerieten sämtliche Unannehmlichkeiten zur Nebensache.
Das Nächste, was Ekko beim Eintreten in den von Stimmengewirr erfüllten Raum sah, war Carrick, der zusammen mit Maryan vor der hololithischen Anzeige des Daten-Globus stand und mit ihm über die taktische Situation sinnierte.
Die beiden Majore hatten während der letzten vier Tage tatsächlich gelernt, zusammenzuarbeiten und widerwilligen Respekt vor einander zu empfinden, und obwohl sie sich noch immer nicht mochten, war ihre offensichtliche Feindschaft dennoch auf ein erträgliches Maß abgeklungen.
Ekko, wenngleich von der Notwendigkeit ihrer Kooperation überzeugt, erstaunte diese Tatsache, seitdem er sich ihrer bewusst geworden war.
Tatsächlich hatten der Sentinel-Führer und der stellvertretende Kommandeur zu einer ungewöhnlichen, wenn auch effektiven Art der Zusammenarbeit gefunden, indem sie sich ständig widersprachen und die Pläne des anderen so lange umherwälzten, bis sie darin keinerlei Schwachstellen mehr fanden.
Ekko konnte nicht behaupten, dass er an ihrer Stelle zu solch einem Kompromiss bereit gewesen wäre, aber er war dazu ja auch nicht gezwungen. Und solange es der Führung des Regiments zu Gute kam, sollte es ihm auch egal sein.
Es gab wichtigere Dinge, mit denen er sich zu beschäftigen hatte. Für einen Augenblick gestattete er sich, zurück an den schrecklichen Traum zu denken, dessen schwache, neblige Erinnerung in seinem Kopf umhergeisterte wie der üble, an Blei erinnernde Nachgeschmack von Blut.
Nur einen Moment später schwenkte sein Unterbewusstsein seine Überlegungen auf die Informationen, die Gireth ihm gegeben hatte.
Offensichtlich hatte die Imperiale Armee bei ihrem Vorstoß gegen die Orks herbe Verluste erlitten und befand sich nun im ungeordneten Rückzug.
Auch, wenn Ekko Iglianus und Del Mar diese Schmach gönnte, so empfand er die Nachricht dennoch als beunruhigend, denn sie stieß damit einen Gedanken an, den er am liebsten in eine der hintersten, verstaubtesten Windungen seines Gehirns gedrängt und dort vergessen hätte.
Allerdings war die Gefahr, der sie gegenüberstanden, zu real, um sie zu verdrängen, und auch wenn sich Ekko am liebsten hingesetzt und auf den Tod gewartet hätte, so wusste er doch, dass er damit seine Männer ebenfalls der Vernichtung preisgab.
Und das Letzte, was Galard Ekko seinen Feinden gegönnt hätte, wäre ein triumphaler Sieg über seine Seele gewesen, wenn er in dem Wissen endete, nicht alles getan zu haben, um alle seine Männer wieder vom Schlachtfeld zu bringen.
Das wäre ein viel zu hoher Preis gewesen für die Erlösung, den Schrecken dieser Galaxie endlich verlassen zu dürfen.
»Guten Morgen, Sir.« Major Carrick, sichtlich erleichtert seinen Kommandeur endlich zu sehen, umrundete die hololithische Anzeige des Schlachtfelds, die nun noch stärker flimmerte und ruckelte als zuvor, mit schnellen Schritten. »Tut mir leid, Sie aus dem Bett geholt zu haben, aber es hat sich in der letzten Stunde eine ziemlich üble Situation ergeben.«
»Übel?«, erkundigte sich Ekko und zog die Augenbrauen hoch, als er an den Plot trat. »Übel klingt gut. Hallo, Maryan.«
»Willkommen, Boss. Und nein, nicht in diesem Fall«, bemerkte Maryans Stimme, der mit verschränkten Armen bei der Holographie stehen geblieben war, aus einem für ihn ungewöhnlich ernsten Gesicht.
Ekko bedachte ihn mit einem prüfenden Seitenblick, bevor er sich direkt an den flimmernden Lichtkörper in der Mitte des Raumes wandte. »Also, lassen Sie mich kurz sehen …«
Für einige Sekunden tauchte der Colonel in die ferne Welt aus Gedanken, die das schwer zu erkennende Bild des Daten-Globus ihm übermittelte. Dabei murmelte er unverständliche Worte, die ein gewillter Geist höchstwahrscheinlich als Häresie aufgefasst hätte, aber die von Carrick und den anderen Offizieren als das verstanden wurden, was sie in Wirklichkeit waren: taktische Kalkulationen und Selbstgespräche, die Ekko dabei halfen, seine Gedanken zu ordnen und sich einen Überblick über die Gesamtlage seines Kommandos zu verschaffen.
Allerdings war aus dem Plot auch nicht viel herauszulesen. Die meisten der stilisierten Einheiten waren lediglich als leere Quadrate und Punkte auf einer nur spärlich aktualisierten Karte der Zielregion positioniert, welche zu allem Überfluss auch noch in regelmäßigen Abständen flackerten.
Ekko musste nicht lange überlegen, was der Plot ihm damit sagen wollte: Ihre letzte bekannte Position war hier – wonach sie dann hingegangen sind, weiß nur der göttliche Imperator. Frag ihn, nicht mich.
Aber selbst, wenn er nicht genau erkennen konnte, was vor sich ging, war es dennoch nicht schwer, die Niederlage abzulesen.
Die dargestellten Verbände maßen während der letzten Kontaktmeldungen nur noch einen Bruchteil ihrer ehemaligen Größe und waren, wenn überhaupt mit Positionsangaben versehen, unfassbar weit verstreut.
Irgendetwas hatte sie so endgültig in die Flucht getrieben, dass selbst die gedankenlos loyalen und im endlosen Krieg ihrer Heimatwelt gestählten Cadianer nicht einmal in Betracht gezogen hatten, kämpfend auszuweichen, sondern offensichtlich um ihr Leben rannten.
Diese Tatsache, die vollkommen im Gegensatz zu den Erfahrungen stand, die Ekko mit den Cadianern gemacht hatte, die als letzte ihrer vormaligen Einheit im 512. Dienst taten, ließ ihn nun doch nachdenklich die Stirn runzeln und aufblicken.
In den Gesichtern der Anwesenden, wenn sie ihm denn zugewandt waren, sah er Unsicherheit und Unglauben, in den Mienen der jüngeren Offiziere und Soldaten entdeckte er sogar entstehende Furcht.
Das war nicht gut. In seiner Zeit bei der PVS hatte er …
Heißes Knacken unterbrach seinen Gedankengang. Ekko fuhr herum und sah, dass der Plot heftig flackerte und schließlich für einige Sekunden ganz ausging, bevor er summend wieder anfuhr.
Der Schrecken des Begreifens, der die imperialen Offiziere bereits seit einiger Zeit durchfuhr, ergriff nun auch die hololithische Anzeige. Die Energiegeneratoren, die den Strom für den Betrieb der Anlage bereitstellten, knisterten heftig und das dreidimensionale Bild wackelte, als würde es sich vor Panik schütteln.
»Was soll das denn?«, rief Ekko aus und funkelte den Daten-Globus an, als hätte er ihn gerade auf böseste Weise verhöhnt. »Wage es ja nicht, jetzt einfach auszugehen!«
Das Hologramm seufzte entschuldigend, dann erlosch es.
Für einen Moment lang verharrte Ekko in ungläubigem Schweigen, während um ihn herum die sorgenvolle Stille mit dem Gestank von Panik getränkt wurde.
Mit dumpfen Donnerschlägen sprang die Erkenntnis im Raum umher, verhöhnte jene, die noch immer verzweifelt versuchten, nicht zu begreifen und ließ die verzagen, die bereits begriffen hatten und nun über die nächsten Tage nachdachten.
»Gireth, was ist da los?«, verlangte Carrick zu wissen. Seine Stimme brach in die Stille wie heiserer Donner der Entrüstung und hätte in diesem Augenblick vermutlich jeden aufgeschreckt, doch der junge Funker wandte sich lediglich um und schüttelte fassungslos den Kopf. »Sir, wir haben keinen Kontakt mehr. Sämtliche Aktiv-Sensoren und Langstreckenfunkgeräte sind außer Betrieb.«
Carrick hob verstehend die Augenbrauen. Auf seinem Gesicht zeichnete sich eine Miene aus Nervosität ab. Wie viel Sorge er eigentlich verspürte, hätte in dem Moment vermutlich niemand genau lesen können, aber ohne Frage musste eine ganze Schmetterlingsfarm im Magen des Majors zum Leben erwacht sein. Nicht ganz im Klaren über die nächsten Schritte wandte sich der hochgewachsene Basteter seinem Vorgesetzten zu. »Colonel, was sollen … Co… Colonel, was machen Sie da?«
Ekko ignorierte die Szenerie um sich herum vollkommen, konzentrierte sich vollkommen auf das widerspenstige Hologramm, das so vehement den Dienst verweigerte.
Das Gerät hatte sich nicht einmal ordnungsgemäß abgemeldet. Es war einfach ausgefallen. Verdammte Technologie.
Dass Männer im Kampf verzagten, von Furcht und Grauen übermannt wurden und an ihrem Glauben zweifelten, das konnte er verstehen. Er hatte so etwas bereits mehr als oft genug gesehen und miterlebt.
Aber dass die Maschinengeister im Angesicht des Schreckens mutlos in Agonie versanken, das wollte ihm nicht in den Kopf.
Seine Frau, als Anhängerin der Ekklesiarchie und als … Adepta (er entschied, diesen Namen nicht zu Ende zu denken) … hatte ein reges Interesse am Kult Mechanicus gehabt und ihn in der Zeit, die sie in Frieden und Eintracht verbracht hatten, tief in die Grundlagen, Konzepte und die Geheimnisse des Kults, soweit ihr bekannt, einführt.
Maschinengeister waren, wenn man es so sehen wollte, Teile der Seele, die dem großen Maschinengott auf dem Mars innewohnte, und die jeder neuen im Imperium konstruierten Maschine Leben einhauchte.
Sie waren der Wille, welcher das jeweilige Objekt, mochte es nun ein Lasergewehr oder ein gewaltiger Kampftitan sein, zum Funktionieren brachte.
Natürlich wusste Ekko, dass es dabei Unterschiede gab und dass die Seele, die mancher Soldat seinem Gewehr nachsagte, im Vergleich zu der überragenden Intelligenz eines mächtigen Titanen nicht mehr als ein Fitzelchen verbrannten Papiers war, doch das änderte nichts an der Tatsache, dass es diese Geister gab und dass sie lebten.
Aber genauso, wie sie in unterschiedlichsten Varianten, in Gedanken und Verhaltensweisen existierten, unterschied sich auch ihr Maß an Widerstand gegen die Dinge, zu denen sie gezwungen wurden.
Ein Titan beispielsweise war in der Lage, sich gegen seine Besatzung zur Wehr zu setzen, wenn er dies für nötig hielt, ein Lasergewehr hingegen konnte das nicht. Es war lediglich in der Lage zu versagen, aber auch nur wenn, der Maschinengeist des Magazins damit einverstanden war … oder so ähnlich. Eigentlich, wenn er genau darüber nachdachte, fiel ihm auf, wie wenig er eigentlich von dem Wissen seiner Frau behalten hatte. Vielleicht war das, was er sich gerade aus seinen Gedankenschnipseln zusammengereimt hatte, auch nicht vollends korrekt, dennoch löste das sein Problem nicht.
Das Hologramm war aus. Und irgendeine kleine Stimme in seinem Kopf kam zu der Erkenntnis, dass sich daran vermutlich auch nicht so schnell etwas ändern würde.
»Wir beide sprechen uns noch«, drohte er dem stummen Generator mit erhobenem Finger, wandte sich um und betrachtete Carrick mit seinen braunen Augen. »In Ordnung. Da diese Maschine sich beharrlich weigert, mir die Informationen zu geben, die ich habe möchte … geben Sie mir jetzt bitte eine kurze Lageeinweisung, Carrick.«
»Natürlich, Sir«, antwortete der Major sofort. Wenn er noch immer von dem Verhalten des Colonels irritiert war, so ließ er es sich nicht anmerken. Die Sorge jedoch konnte der blonde Mann nicht aus seinem Tonfall streichen.
»Vor zwölf Stunden verloren wir den Kontakt zu General Iglianus‘ Armee«, frischte er die Erinnerung der anwesenden Offiziere auf. »Zu dieser Zeit hatte der General gerade die orkischen Einheiten auf seiner Westflanke angegriffen und zurückgedrängt.«
»Ja, ich weiß«, unterbrach Ekko ungeduldig. »Ich war dabei. Zeitsprung.«
Carrick nickte verstehend. »Jawohl, Sir. Etwa eine Stunde später meldeten die Spitzen des 35. Desposia an Ostflanke schweren Widerstand und sich organisierende orkische Verbände.«
»Danach ging alles ganz schnell«; fügte Maryan an. Der Sentinel-Pilot strich mit seiner Hand über die Oberfläche des Projektors. »Etwa anderthalb Stunden später verlor die Armee den Kontakt zu ihrem Tross. Das wissen wir aufgrund von Notrufen und Kontaktanfragen, die vom Kommandoleviathan gestellt wurden.«
»Hm«; brummte der Colonel. »Klingt nicht gut. Weiter.«
»Wir vermuten, dass ungefähr eine halbe Stunde später die Reihen des 41. Borodian angegriffen und nach nur zehn Minuten durchstoßen wurden.«
Sichtlich überrascht runzelte Ekko die Stirn. Seine braunen Augen suchten Carricks Blick. »Wie das denn?«
»Offensichtlich tauchten orkoide Truppen im Rücken der Truppenverbände auf.«
Die Luft, zuvor von großen Zirkulatoren auf einer angenehm niedrigen Temperatur gehalten, gefror in nur einem Herzschlag zu Eis, das den Männer auf der Brust lag und ihnen die Luft zum Atmen nahm.
»Im Rücken?!«, brachte Ekko hervor, aus dessen Stimme jegliche Ironie gewichen war. Er war einfach nur fassungslos. »Aber, das würde ja bedeuten, dass …«
Ungläubig legte er den Kopf in den Nacken, verengte die Augen und stieß einen Seufzer aus.
Keiner der Anwesenden konnte sich an eine Situation erinnern, die bei ihrem Colonel jemals eine ähnliche Reaktion hervorgerufen hatte.
»Das 78. Artillerie-Regiment wurde praktisch sofort vernichtet«, fuhr Maryan fort, eindeutig darauf bedacht, dem Colonel keine Zeit zum Sammeln seiner Gefühle zu geben. »Das Borodian folgte kurze Zeit später.«
»Vor etwa einer Stunde verloren wir den Kontakt zum Leviathan des Generals und den restlichen Einheiten der Cadianer und des Desposia«, beendete Carrick den knappen, aber erschreckenden Bericht.
Ekko nahm die Worte auf, doch es dauerte eine ganze Weile, bis er schließlich langsam nickte. »Herr auf dem Thron, was für ein Desaster. Ihre Einschätzung, meine Herren?«, wandte er sich an die Majore.
Carrick zuckte hilflos die Schultern. Sein Blick sagte bereits, was er kurz darauf selbst aussprach. »Eine völlige Niederlage, Sir.«
Maryan drückte es weniger freundlich aus: »Das hat scheißviele Tote gegeben, Colonel. Die sind total am Arsch – und wir sind es vermutlich auch.«
Noch während Carrick seinem Kameraden einen kritischen Blick zuwarf und in seinem Kopf bereits ein verbales Artilleriebombardement vorbereitete, wandte Ekko sich ab.
Der Colonel machte einige Schritte von der stummen Projektorfläche weg und betrachtete die Wände des Beinhauses.
Scharfe Einschusslöcher und von Splittern gerissene Wunden säumten die einstmals gleichmäßig verzierten Mauern des Raumes, erinnerten an die brutale Schlacht, die hier getobt hatte und zeigten dem Colonel einmal mehr, dass das Universum sich mit dem Gott-Imperator gegen ihn verschworen hatte.
»Ob ich wach oder tot bin, spielt keine Rolle.« Der Basteter seufzte. »Die Katastrophen nehmen kein Ende.«
Er spürte die Blicke der anderen Offiziere im Rücken, doch er entschied, sie nicht zu beachten.
»Also gut«, beschloss er. »Wir brauchen einen oder zwei Maschinenseher. Die sollen sich das Ding mal ansehen und es wieder zum Laufen kriegen. Wir müssen die Schlacht weiter beobachten.«
»Aber wie, Sir?«, erkundigte sich Carrick, um seinen Kommandeur darauf hinzuweisen, dass es nichts mehr gab, das sie hätten beobachten können.
Ekkos Stirn legte sich in Falten, als er, einer Erklärung überdrüssig, herumfuhr und dem Major mit nichtssagendem Schulterzucken und einem kritischen Blick aus seinen braunen Augen die Meinung zu dessen Frage mitteilte. »Das ist mir total gleichgültig: Meinetwegen sollen die das Ding mit etwas Massageöl einreiben, ein bisschen murmeln und ihm die Frau fürs Leben finden.«
Carrick konnte nicht anders, als den Colonel für einen Moment lang mit offenem Mund anzustarren, vollkommen überrumpelt von dessen Antwort. Als er sich schließlich zusammenriss, stand in seiner Stimme eine nur noch schwer kaschierte Mischung aus Wut, Verwirrung, Sorge und Resignation. »Das, Sir, habe ich so nicht gemeint. Ich meinte: wie sollen wir die Schlacht noch beobachten, wenn es nichts mehr zum Beobachten gibt? Es ist alles zerstört. Die Armee des Generals wurde vollkommen vernichtet.«
»Tja«, seufzte Ekko mit einem gespielt zuversichtlichen Lächeln in die entstehende Stille. »Mich verlangt es gerade nach einem Stakkato wütender und häretischer Flüche, die ich zornestobend über den Fussboden verteile. Aber nein, ich werde mich jetzt nicht aufregen.«
Mit schnellen Schritten marschierte er zurück zum Holoprojektor in die Mitte des Raumes, bevor er die Platte mit seinen Fingern anfasste und darüber wischte, als suche er eine nicht vorhandene Schicht Staub.
Natürlich war sich Ekko in diesem Moment bewusst, dass ihn die restlichen Anwesenden stirnrunzelnd beobachteten, aber was hätte er ihnen anderes sagen sollen? Eine Ermunterung? Es gab nichts, das weitere Worte wert gewesen wäre. Die Lage war nun einmal, wie sie war: vom Imperator verflucht.
»Ich rege mich nicht auf. Ich bin ganz ruhig«, entschied er, bevor er sich an zwei Soldaten wandte, die tiefer im Raum bei einigen nicht zu identifizierenden Geräten mit flammenden Bildschirmen standen; dem Kontrollgerät der Holosphäre. »Haben Sie gespeicherte Aufzeichnungen der Schlacht?«
Beide Männer wandten sich ihm zu und nahmen Haltung an, bevor sich der Rechte noch ein Stückchen mehr versteifte. »Jawohl, Colonel. Wir haben die letzten zwölf Stunden der Schlacht gesichert. Und die letzten Tage sind ebenfalls in dem Gerät vorhanden.«
Ekko nickte, mehr oder weniger, zufrieden. »In Ordnung. Das sollte reichen. Stellen Sie daraus einen Zusammenschnitt der Ereignisse zusammen, der eine Einweisung visuell unterstützen kann. Wenn Sie dabei Probleme haben, wenden Sie sich an die Techpriester.«
Die beiden Männer zögerten kurz. Normalerweise bat man keinen Techpriester einfach um Hilfe, denn diese Maschinenseher waren anders, fremdartig. Wenn man nicht unbedingt mit ihnen zu tun hatte, dann mied man sie.
»Ist das ein Problem?«, erkundigte sich der Colonel freundlich.
Der Rechte der beiden atmete scharf ein. »Nun, ja, Sir …«, begann er.
»Wie ich sagte: wenn Sie ein Problem haben, wenden Sie sich an die Techpriester«, erinnerte Ekko den Mann. Der drohende Widerstand zerbrach.
»Verstanden, Sir.«
Ekko nickte den Soldaten ernst zu, dann wandte er sich an Maryan. »Sagen Sie den Suchtrupps, dass sie schneller suchen und demontieren sollen. Auch wenn ich der Heiligen die Hand schütteln möchte, wäre es doch recht peinlich, wenn wir durch eine versehentlich ausgelöste Detonation zu dieser Ehre kämen, oder?«
»Definitiv«, bestätigte der Sentinel-Führer. Er meldete sich mit knappen Worten ab, verließ den Colonel und trat zu den Funkern, um die Befehle weiterzugeben.
Ohne einen weiteren Blick in die Richtung seines Untergeben zu verschwenden, wandte sich Ekko dem letzten Mann zu, der eine Aufgabe für ihn erledigen sollte.
»Informieren Sie die Captains und die Marines. Ich denke –«, Der Colonel wies mit einem Kopfnicken auf den flackernden Plot, »das dürfte eine Informationsstunde wert sein.«
Major Carrick nahm kurz Haltung an. »Wie Sie wünschen, Sir.«
Dann salutierte er und wandte sich ab.
Er befand sich bereits in der Drehung von seinem Vorgesetzten weg, als Ekko ihn mit noch einer Frage zurückhielt. »Da fällt mir ein: Befinden sich augenblicklich irgendwelche wichtigen Personen an ungewöhnlichen Orten? Zum Beispiel im Gefängnis?« Die letzten Worte waren so deutlich aus dem Mund des Basteters gekommen, dass selbst die, denen das angesprochene Ereignis nur vom Hörensagen bekannt war, nervös lachten.
Ekko ließ sie gnädig gewähren. Er ahnte, dass ihnen das Lachen bald vergehen würde.
Carrick hingegen, der sich als Zentrum des plötzlichen Heiterkeitsausbruchs sah, hatte bereits jetzt seinen ohnehin winzigen Prozentsatz an Humor verloren. »Nein, Sir«, erwiderte er gereizt. »Gemäß Ihren Anweisungen habe ich von einer Inhaftierung abgesehen.«
Verstehend und zufrieden neigte sein Vorgesetzter den Kopf. »Vielen Dank, Carrick, das erleichtert mir einige Dinge.«
Er klatschte kräftig in die Hände. »In Ordnung, Leute. Gelächter aus – es gibt einiges zu tun.«

***

Es war, als wären sie von einer Kathedrale in die nächste gelangt.
Captain Retexer hatte den gewaltigen Körper des ekklesiarchischen Baus bereits von Innen bestaunen dürfen und auch einige der Herrenhäuser betreten, die sich zu seinen Füßen an den Flanken des künstlichen Bergs der Kathedralenstadt niedergelassen hatten. Er war also durchaus in der Lage, sich die Ausmaße dessen vorzustellen, was die imperialen Baumeister an diesem Ort geschaffen hatten.
Doch dass selbst die Kanalisation einen solchen Raum einnahm, das wäre ihm nicht einmal in einem seiner kühnsten Träume eingefallen.
Während der Trupp in lockerer Gefechtsformation durch das Halbdunkel marschierte, das hier unten herrschte, bedachte der Captain die Umgebung mit wachen, aber zutiefst ehrfürchtigen Blicken.
Bereits beim Einsickern in die Katakomben hatten er und seine Männer festgestellt, dass allein die Zugänge die Breite und vielfache Höhe eines Superschweren Panzers maßen.
Sie kamen sich wie Zwerge vor, die vor der hinter den gewaltigen Mäulern herrschenden Dunkelheit zurückschreckten und bei jedem Schritt, den sie taten, daran erinnert wurden, dass die Unterstadt sie in ihrem Innersten lediglich duldete.
Doch das eigentlich Erstaunliche waren die Hallen. Das gesamte unterirdische Gewölbe bestand aus riesigen, durch haushohe Gänge verbundenen Hallen, von denen sich nicht einmal die kleinste vor dem Hauptschiff der Himmelskathedrale zu verstecken brauchte.
Sie bildeten den über etliche Kilometer reichenden Körper dieser wundersamen Welt, durch die Retexers Soldaten vorrückten, auch wenn die Männer im Angesicht der unvollständigen Karten und unheimlichen Umgebung von Zeit zu Zeit langsamer wurden.
Mächtige Statuen, vermutlich schon tausend von Jahren alt, hatten sich in von Menschenhand geschlagene Nischen gezwängt, warteten in einem ewigen Schlaf auf die Rückkehr von Leben in die Gemäuer.
Wortlos betrachtete Retexer die aus einer fernen Vergangenheit stammenden Riesen, von denen vermutlich alle einst dem Imperator gedient hatten.
Eine frostige Kälte ging von ihnen aus, ein Hauch des Todes, der den Atem der Soldaten vor ihren Mündern gefrieren ließ.
Wie von der Last ihrer Ehrfurcht gebeugt waren die Imperialen tiefer in das archaische Gewölbe vorgestoßen, begleitet von einer hallenden Stille, die jedes ihrer Geräusche nahm und in die Unendlichkeit fortwarf.
Wie die Kathedrale und die großen Herrenhäuser der Stadt, wurde auch die Kanalisation von großen, aber schlanken Säulen getragen, deren Kapitelle direkt in ein ausladendes Stichkappengewölbe übergingen.
Verblasste und teilweise bereits abgeblätterte Deckenmalereien, durch die bereits brüchig gewordene Kalkstein-Quader zu erkennen waren, ließen nur noch schwer erahnen, welchem Zweck diese hallengroße Kanalisationsführung ursprünglich gedient hatte.
Offensichtlich war dies vor langer Zeit eine eigene imperiale Stadt gewesen, die man dann irgendwann aufgegeben und überbaut hatte. Dass er den Grund nicht kannte, beunruhigte ihn zusätzlich.
Ärmliche Bauten, oft nur aus einfachsten Materialen errichtet, schichteten sich in mehreren Ebenen beiderseits der langen Gewölbe auf Geröll- und Felsbergen in die Höhe, wiesen auf ihre eigene Weise an die schreckliche Schönheit dieser Necropole hin.
Auch, wenn es Retexer schwer fiel, sich von dem Anblick loszureißen, flüsterte in seinem Hinterkopf eine beständige Stimme und erinnerte ihn daran, dass sie nicht wegen der Aussicht hergekommen waren.
Er wollte sich gerade umwenden und von Wejoun die Karte mit all ihren Zielen fordern, als ein gutes Stück vor ihm einer der Aufklärer die Hand hob.
Die Gruppe der Soldaten geriet ins Stocken, dann löste sie sich auf, als sei ihre unsichtbare Verbindung getrennt worden. Retexer verfolgte, wie seine Soldaten schweigend ausschwärmten und sich zwischen herabgestürzten Säulenfragmenten, dreckigen Schutthaufen und ausgetrockneten Abwassergräben in Stellung begaben.
Er selbst winkte seinen Funker heran und trabte an die Spitze des Zuges.
»Was ist?«, verlangte er zu wissen.
Der Mann, ein vierschrötiger Soldat, dessen Namen ihm entfallen war, deutete an eine der massiven Säulen vor ihnen. »Sprengsatz gefunden«, meldete er.
Retexers nächste Worte blieben ihm im Hals stecken. ‚Sprengsatz‘ bezeichnete in diesem Fall keine kleine Brandbombe oder nicht-explodierte Ladung. Nein, in diesem Fall bezeichnete das unscheinbare Wort eine Nuklearwaffe mit einer Sprengkraft von zwanzig Kilotonnen.
Gut ein Dutzend davon hatten die Marines in der Unterwelt verlegt, um auch wirklich sicherzustellen, dass bei einer Explosion nicht das kleinste Stückchen Makrokathedrale übrigblieb.
Dass sie derart gründlich vorgegangen waren, zeugte von ihrer Effizienz. Aber in diesem ganz bestimmten Fall musste Retexer sich eingestehen, dass ihn die Sorgfalt der gepanzerten Hünen nicht nur ein kleines bisschen nervös machte.
Um es vor dem Angesicht des Imperators zuzugeben – er hatte eine Scheißangst davor, dass seine Männer sich mit einem Teil der Stadt in die Luft jagten und damit nicht nur die imperiale Armee auf diesem Planeten, sondern auch die Verteidigungsfähigkeit dieser Stadt schwächten.
Nicht, dass das für die mächtige imperiale Armee einen Unterschied gemacht hätte, ob sich eines seines Regimenter selbst in die Gefilde des göttlichen Imperators sprengte.
Was aber weder die Armee, noch das Munitorium, noch das Adeptus Administratum akzeptierten, war der Verlust wichtigen Materials, das den Kern der imperialen Verteidigungsfähigkeit stellte. Wer wertvolle Munition, Panzer und Versorgungsfahrzeuge verschwendete, überlebte diesen Verlust meist nicht länger.
Und sicherlich wollte Captain Retexer nicht als der Mann in die Geschichte der Schlacht um Agos Virgil eingehen, der sinnlos Material und Kampfkraft verschwendet hatte. Diese Rolle fiel einem anderen Mann zu. Einem Mann, der so unfähig war, dass der Imperator ihn eigentlich aus seinen Reihen hätte verstoßen müssen: Colonel Galard Ekko.
Wäre es nach Retexer gegangen, er hätte den anderen Basteter längst für dessen Inkompetenz bestraft. Aber leider ging es nun einmal nach Colonel Ekko. Und Ekko schien die Sache mit Itias noch immer nicht vergessen zu haben. Dabei hatte sich Retexer streng an die von Ekko selbst aufgestellte Regel der Material- und Personalschonung gehalten.
Auch, wenn er das nur ungern zugab, der Colonel hatte Recht. Vor allem insoweit, als das die Furcht als Machtfaktor viel effektiver war als die Ausübung der Macht als solche. Das Konzept gefiel Retexer und er wandte es von Zeit zu Zeit selbst an, wenn es ihm sinnvoll erschien.
Und während eines Gefechtes Leute im Schützengraben zu richten, konnte er immer noch, wenn Ekko nicht hinsah.
Vielleicht würde er dieses Taktik auch bei Itias anwenden.
Nun gut, der Versager sollte ihm vorerst egal sein. Er war nun nicht mehr in seiner Einheit und damit war das Problem weitestgehend gelöst.
Doch es gab eine Sache, die Retexer nicht hinnehmen konnte. Und das war die Tatsache, dass Ekko ihn der Ehrbeschmutzung bezichtigt hatte.
Der Colonel war der letzte Mann, dem Retexer ein Gefühl für Ehre zugestanden hätte. Dafür, dass er eine solche wichtige Aufgabe wie das Kommando eines Regiments ausführte, stellte sich der Offizier bisweilen recht unprofessionell und dumm an.
Ein Beispiel dafür fand Retexer direkt vor seinen Füßen.
Ehre? Das hier sollte etwas mit Ehre zu tun haben? Retexer biss die Zähne zusammen, um nicht bitter aufzulachen.
Ekko schickte seine Männer in die Tiefen der Katakomben, wo sie in der Dunkelheit nach professionell angebrachten Nuklearbomben suchen mussten und diese zu entschärfen hatten. Wie stellte er sich das vor? Blöder Trottel. Vor allem, dass der Colonel ganze Trupps schickte, um einzelne Sprengsätze zu demontieren.
Dass es dabei nicht gerade diszipliniert zuging, war keiner weiteren Erwähnung wert. Ekko hatte sechs Trupps aus Retexers Zug zum Räumen der Explosivkörper geschickt. Es hätten aber auch fünfhundert sein können. So genau ließ sich das in dem Lärm nicht ausmachen.
Die Kanalisation hallte wie bei einer Lobpreisung des Imperators. Die Männer lachten, witzelten und brüllten, dass man zu der Ansicht kommen könnte, sämtlich Penner der Unterstadt hätten sich zu einer Kolonne der Besoffenen zusammengeschlossen und torkelten nun durch die Dunkelheit.
Die mangelnde Disziplin erboste Retexer. Er hätte seine Männer hier und sofort entsprechend maßregeln können, entschied sich aber aufgrund der unklaren Feindlage dagegen. Es hätte lediglich ihn als vorgesetzten Offizier identifiziert und exponiert. Das wollte er auf jeden Fall vermeiden.
Allerdings notierte er sich geistig, für den gesamten Zug eine entsprechende Disziplinarstrafe nach Abschluss ihrer Aufgabe hier unten zu verhängen.
Zwar mochte es sein, dass Colonel Ekko seinen Männern ihre Eskapaden durchgehen ließ, doch Retexer tat es nicht! Beim Imperator, das war sicher!
»Captain, Sir?«, riss ihn die Stimme des Aufklärers aus seinen Gedanken. Der Mann wirkte irritiert, offensichtlich hatte er seinen Vorgesetzten bereits einige Male angesprochen.
»Was ist?«, herrschte Retexer ihn an.
Der Vierschrötige zuckte ein Stück zurück, dann deutete er kopfnickend auf den tankförmigen Behälter, der an der gewaltigen Säule lehnte. »Captain, die Bombe.«
Erschrocken stellte Retexer fest, dass der Sprengkörper keine Beine bekommen hatte und weggelaufen war. »Was ist damit?«
»Was sollen wir damit tun?«, fragte der zweite Aufklärer, ein Mann namens Rikken.
Der Captain starrte seinen Untergebenen einen Moment lang sprachlos an. Zum einen wusste er nicht, was er jetzt sagen sollte, zum anderen fühlte er sich so aus seinen Gedanken gerissen und gestört, dass er im ersten Moment nichts sagen konnte. »Was Sie jetzt machen soll?«, knurrte er. »Entschärfen! Sie sollen die Bombe entschärfen!«
Wejoun wandte sich so urplötzlich ab, als sei er von etwas gestochen worden.
Die unerwartete Bewegung ließ die neben ihm befindlichen Soldaten vor Überraschung zurückzucken.
Retexer fuhr herum, um eine weitere tödliche Ladung Wut abzuladen, dieses Mal auf den jungen Funker, doch etwas hielt ihn zurück.
Undeutliches Gewirr von wispernden Stimmen knisterte aus den Kopfhörern, die der Funker über seinen Ohren trug.
Retexer musterte das Gesicht seines Adjutanten aufmerksam, erkannte dessen Verwirrung und begriff, dass etwas Wichtiges geschehen sein musste – etwas, das sie oder ihr Kommando betraf.
Mit einem leisen Pfiff machte er die um sie in Deckung befindlichen Soldaten auf sich aufmerksam. Im Halbdunkel der Kanalisation waren sie nur undeutlich auszumachen, aber immer noch gut genug, dass er sich sicher war, sie würden Handzeichen erkennen, wenn er sie gab.
Ruhig streckte er die Linke vor und öffnete sie mit der Handfläche nach außen, bevor er sie zur Faust ballte.
Die Männer ruckten bestätigend mit den Köpfen, gaben das Handzeichen untereinander weiter und zogen sich noch weiter ihre Deckungen zurück.
Innerhalb von nur wenigen Sekunden erlahmte der Trupp und verschmolz mit dem Halbdunkel.
In dem Moment, da die Aktion endete, sah Wejoun auf. »Sir, Colonel Ekko fordert alle Offiziere auf, sich sofort in die Kommandozentrale zu begeben«, informierte er seinen Vorgesetzten ungläubig.
Retexer ließ seinen Blick nachdenklich zur Decke schweifen, als könnte er durch das tiefe Dunkel, das dort oben herrschte, direkt in die Kommandozentrale und in den Kopf seines Kommandeurs sehen.
»Was, beim Thron von Terra, planen die da oben?«, knurrte er, bevor er an seinen Stellvertreter übergab und befehlsgemäß an die Oberfläche zurückeilte.

***

Die letzten Nachzügler erreichten die improvisierte Kommandozentrale erst, als die Einführung zu der Besprechung bereits begonnen hatte.
Insgesamt zwängten sich nun mehr als zwanzig Offiziere, die Space Marines und einige Vertreter des Munitoriums in dem Raum, von dem Ekko zuvor noch geglaubt hatte, sie würden ihn niemals mit Menschen füllen können.
Er revidierte seine damaligen Überlegungen. Tatsächlich war das Beinhaus im Grunde viel zu klein für eine derart große Besprechung, zumal der Raum mit den Gerätschaften der Kommandozentrale, einigen von seinen Leuten und Personal des Munitoriums belegt war und stetig ausgebaut wurde.
So kam es, dass sich die Captains im Bereich um den Eingang hatten platzieren müssen. Zusammen mit den fünf Space Marines und der Sororita, vor denen jeder der imperialen Offiziere einen gebührenden Abstand nahm, wurde es dann doch bisweilen recht eng.
Unwillkürlich erhob sich in Ekkos Kopf ein Bild, in dem die Imperialen ihre Kameraden auf die Schultern nahmen, welche sich dann Auge in Auge mit wutschnaubenden Space Marines wiederfanden.
Dieser Gedanke ließ ihn nicht mehr los, zwang ein gefährlich süffisantes Grinsen in sein Gesicht und sorgte dafür, dass er sich kurz abwenden musste, um nicht mit einem Lachen in Ligrevs Erbauungsrede des wahren Soldatentums zu brechen.
Das hätte man Häresie auffassen können – und mit fünf Space Marines und einer Adepta Sororita im Raum wollte Ekko nicht, dass diese Idee überhaupt aufkam.
»Vielen Dank«, löste er Ligrev ab, nachdem dieser den Imperator gepriesen und das Imperium gelobt hatte.
»Meine Herren, ich habe zwei Nachrichten für Sie. Eine davon ärgert mich sehr, die andere eher weniger«, begann er seine Einweisung und blickte in die Runde. Die meisten der Offiziere lauschten aufmerksam, wirkten aber noch immer befremdet ob der Tatsache, dass ihr Kommandeur sämtliche seiner Offiziere zu einer Einweisung befohlen hatte.
Bald würde sich ihre Verwunderung in Überraschung und Entsetzen auflösen.
Ekko atmete durch, schloss den Prolog ab und stieg dann direkt in die Handlung ein. »Aber dazu später. Zu allererst möchte ich Sie darüber informieren, dass die imperialen Streitkräfte unter General Iglianus die Orkstreitkräfte mehrfach angegriffen und weit in die leblosen Steppen von Agos Virgil zurückgetrieben haben.
Er nickte einem der Soldaten zu, die neben ihm an der Holosphäre standen und bedeutete ihm, die vorbereiteten Aufnahmen laufen zu lassen.
Knisternd erwachte das Photonenbild zum Leben, sprang weit über seinem Projektor in die Luft und fing an, die letzten Tage von Iglianus vorrückender Armee im Schnelldurchlauf zu präsentieren.
Während die Orks, dargestellt durch eine rote Fläche wogender Energie, pausenlos zurückzogen, stießen die in hellem Blau präsentierten imperialen Truppen gnadenlos nach. Von Zeit zu Zeit prallten die Fronten der beiden Flächen in schillernden Regenbogenfarben aufeinander.
»Wie Sie sehen, meine Herren, gab es immer wieder kurze Gefechte zwischen den Truppen des Generals und den Grünhäuten. Am dritten Tag verloren die Xenos sogar eine ganze Armeegruppe, die von uns eingekreist und vernichtet wurde.«
In dem Hologramm teilte die stilisierte imperiale Armee ein ganzes Stück vom fast kreisrunden Kuchen der fliehenden Orkarmee und kreiste es ein, bevor die helle Flut das drohende Rot verschlang. Allgemeines, zufriedenes Brummen setzte ein.
»Kommen wir nun zum Tag drei der Schlacht und zu den beiden Nachrichten.«
Ekko ließ die folgende Szenerie unkommentiert, gab seinen Offizieren Zeit, die Konfrontation der plötzlich nicht mehr zurückweichenden Orks mit der imperialen Streitmacht zu verfolgen.
In breiter Front donnerte die Armee des Imperators in die Linien des Gegners, attackierte ihn mit heftigsten Vorstößen.
Fehlfarben und hell flackernde Punkte markierten die heftigsten Gefechte. Vereinzelte Kommentare oder Stöhnen, wenn die Ausbuchtung eines imperialen Vorstoßes sich wieder begradigte oder die imperiale Frontlinie eindellte. Eine Weile rangen die Fronten der beiden Flächen miteinander, dann plötzlich ging alles ganz schnell.
Das Symbol des Trosses verschwand, wurde durch eine große leere Fläche in einem Quadrat ersetzt. Ein Raunen ging durch die Menge.
Nur einen Moment später flackerte die rechte Flanke der Front auf, verlagerte sich immer weiter und rutschte schließlich in die Seite der aufgelaufenen Front.
Einheit für Einheit verschwand, wurde durch leere Quadrate und Punkte ersetzt.
Dann flackerte die Rückseite der Front auf. Die etwas zurückliegende Artillerie löste sich auf, dann brandete die plötzlich auftauchende rote Flut auf die Nachhut der Armee. Innerhalb von Sekunden zerbrach die Frontlinie, teilte sich in kleine Widerstandsnester und wurde schließlich von der gewaltigen Übermacht der Grünhäute zerdrückt.
Das Hologramm erlosch.
Als die Aufnahme endete, war es in der Kommandozentrale totenstill. Lediglich das leise Summen der Funk- und Sensorgeräte, das traurige Seufzen des Holoprojektors und statische Knistern des Datenglobus erfüllte noch die rapide erkaltende Luft.
Ekko wandte sich um.
Die Geräusche der Menschen waren verstummt. Sämtliche Offiziere starrten fassungslos auf die Stelle wo die Aufzeichnung von der Vernichtung ihrer Armee erloschen war. Andere warfen hilfesuchende Blicke zu ihrem Colonel.
Der Basteter räusperte sich. »Die erste Nachricht ist, dass General Iglianus Truppen sich offensichtlich im ungeordneten Rückzug befinden. Das ärgert mich nicht wirklich. Soweit wir das in unseren Holografien erkennen konnten, sind taktische und strategische Fehler begangen worden, die zu einer tiefbeeindruckenden Niederlage unserer Streitkräfte geführt haben.«
»Was bedeutet ‚tiefbeeindruckende Niederlage?«, erkundigte sich Captain Prish, ein hochgewachsener dunkelhäutiger Basteter, unter dessen Kommando der elfte Zug des 512. stand.
»Wir sind noch dabei, die Fetzen unserer Informationen zusammenzutragen, aber es dürften insgesamt nicht mehr als zwei, drei Kompanien sein, die das Gefecht überlebt haben«, ging Ekko mit einer Gleichgültigkeit auf die Frage ein, als passiere derlei tagtäglich. Die Offiziere atmeten erschrocken ein.
»Und das ist Punkt, der mich ärgert«, schloss er an. »Die spärlichen Überreste dessen, was mal vier Regimenter der imperialen Armee waren, kommen hier her, zur … Wie heißt das Ding noch mal? – Carrick?«
»Himmels-Kathedrale, Sir«, erinnerte der hochgewachsene Major seinen Kommandeur freundlicherweise.
»Ach ja, richtig. Himmels-Kathedrale. Das Problem nur ist, dass die Orks den Überlebenden folgen werden, was sie dann unweigerlich hierher führen wird und unsere Verteidigungsaufgabe geringfügig erschwert.«
Keiner der Anwesenden sagte etwas. Dafür standen sie noch zu sehr unter dem Eindruck der Geschehnisse.
Ekko verschränkte die Arme hinter dem Rücken. »Unsere erste Reaktion ähnelte der Ihren jetzt, meine Herren. Allerdings ist uns recht schnell klar geworden, dass wir es uns in dieser Situation nicht erlauben können, in Schockstarre zu verfallen.« Er sah zu Carrick und Maryan hinüber.
»Major Carrick und Major Maryan haben gemeinsam einen ersten Schlachtplan ausgearbeitet, den es nun zu diskutieren gilt. Ich will Vorschläge, meine Herren, Vorschläge! Carrick? Maryan?«
Carrick trat vor. Hinter ihm flackerte der Plot auf. Die Szenerie hatte sich geändert. Nun war es nicht mehr die vorrückende Armee, die dargestellt wurde, sondern die Makrostätte der Himmels-Kathedrale.
»In Ordnung«, rief der Major und lenkte alle Aufmerksamkeit auf sein. »Die Himmels-Kathedrale. Wie wir an dieser Darstellung sehen, stellt die Himmels-Kathedrale einen leicht gezogenen Kreis dar, der in drei, mit der Kathedrale selbst in vier, Verteidigungszonen eingeteilt werden kann. Jede dieser Zonen wird durch eine massive Mauer geschützt, die mit lediglich einem oder wenigen Eingängen durchbrochen worden ist.
Das erleichtert uns die Verteidigung ungemein, als dass wir die Mauern recht gut besetzen und von dort auf die niederen Ebenen schießen können.
Das Problem sind die Bewegungsräume zwischen diesen Verteidigungsanlagen. Wir haben für einen Fußsoldaten recht weite Wege zu überbrücken, was bei einer sich schnell evolvierenden Schlacht dazu führen kann, dass die Räumungen der Zonen zu langsam von Statten gehen kann, sodass wir möglicherweise Soldaten und Material zurücklassen müssen, um die Verteidigungsfähigkeit der nächsten Zone zu erhalten.
Solmaar, der aufmerksam zugehört hatte, nickte verstehend. »Wie viele Männer stehen uns denn zur Verfügung?«
»Derzeit haben wir gut zweitausendeinhundert Soldaten und zweitausendneunhundert Munitoriumsangestellte, dazu kommt ein Tross von gut eintausendneunhundert Zivilisten«, informierte Carrick die Anwesenden.
Macht also gut siebentausend Menschen, die derzeit diese Stadt bevölkern«, rechnete Captain Blake aus, der direkt neben Solmaar stand. »Wie viele können wir denn in die Verteidigung der Stadt einbeziehen?«
»Alle«, antwortete der Major und zog die Stirn kraus, als verstehe er die Frage nicht.
»Natürlich«, wehrte der Captain ab und lachte resigniert. »So meinte ich das nicht. Ich wollte wissen, wie viele davon auf eine so weit reichende militärische Ausbildung zurückblicken können, dass sie bei der Verteidigung der äußeren Ringe eine Hilfe sind?«
Carrick sah zu Ekko, dann zu den im Publikum befindlichen Munitoriumsangehörigen. »Ich vermute, knapp über die Hälfte«, stellte er schließlich fest. »Aber soweit würde ich gar nicht rechnen.«
»Stimmt«, bemerkte Ekko. »Wenn wir uns nur auf die direkten militärischen Ressourcen verlassen haben wir die eine oder andere Reserve für den Fall, dass es nicht so läuft, wie es sollte.«
Die Männer nickten verstehend.
»Ist dennoch eine recht kleine Anzahl an Soldaten, um ein so großes Gebiet zu verteidigen«, gab Captain Fendel zu bedenken.
»Definitiv«, stimmte Carrick zu.
Maryan trat an seine Seite. »Zudem können wir kaum mit schwerer Unterstützung aufwarten. Wir haben zwar eine ganze Menge Fahrzeuge und Munition, jedoch kaum Einheiten mit offensiven Fähigkeiten. Uns stehen da drei Walküren, neun Sentinels, dreiundfünfzig Chimären und vierundzwanzig Salamander zur Verfügung. Aber ansonsten haben wir keine kampffähigen Fahrzeuge. Das erschwert uns die Verteidigung zusätzlich.«
»Wie sieht es mit Schildanlagen aus?«, warf ein anderer Captain ein.
Carrick wandte sich um und wies auf das Hologramm. »Jede der Verteidigungszonen verfügt über ein eigenes Schildsystem, das aber nur aktiviert werden kann, wenn das der jeweils größeren Zone zerstört worden ist. Das bedeutet, wenn wir die erste Defensivzone räumen, jedoch die Schilde nicht zuvor deaktiviert worden sind, wird uns der Schutzschild der zweiten Zone nicht vor Mörserbeschuss oder innerhalb der äußersten Zone abgefeuerten Waffen schützen.«
»Eh, Scheiße«, brummte ein anderer Basteter. »Wer hat das Ding eigentlich geplant?«
Der blonde Major überging die Bemerkung einfach. »Also, meine Herren. Sie sehen also, wir haben einiges zu tun, was noch nicht erledigt worden ist.«
»Was ist denn mit dem Plan, den Major Maryan entworfen hat?«, erkundigte sich Balgor. »Soweit ich das verstanden hatte, ist dieser Plan wirklich gut und ermöglicht uns eine effektive Rundumverteidigung.« Fragend sah er den Sentinel-Führer an.
Maryan nickte, als er direkt angesprochen wurde. »Das stimmt. Allerdings habe ich den Plan nicht für den Fall entworfen, dass die gesamte imperiale Streitmacht vernichtet wird. Das heißt, er muss überarbeitet, notfalls geändert oder ersetzt werden.«
»Wie viel Tage würden uns dafür bleiben?« Die erfrischende Brise Leitis Siles zog durch das Beinhaus, dieses Mal jedoch als scharfer Wind, der zur Eile aufrief. Ferne Wolken belegten die helle, weiche Stimme der Schwester, sodass sich die Offiziere zu ihr umdrehten.
»Vier Tage oder fünf.«
»Dann würde ich gern Ihren Vorschlag noch einmal hören«, wandte sich die Adepta an Maryan. »Wenn es der bis dahin effektivste Verteidigungsplan war, dann würde ich sagen, dass sich am ehesten darauf aufbauen lässt.«
Maryan sah kurz zu Carrick, dann zu Ekko.
Der Colonel nickte nur und machte eine einladende Geste, die den Offizier zum Weiterreden bewegen sollte. »Ihr Plan, Ihre Runde, Maryan.«
Der Sentinel-Führer lächelte dünn, straffte sich, und begann dann, die Grundlagen seines Planes für die Offiziere zu erläutern. »In Ordnung. Also – wir müssen von mehreren Faktoren ausgehen. Wichtig ist vor allem, dass wir das Gelände in unsere Überlegung mit einbeziehen. Tatsache ist, dass die Makrokathedrale durch eine massive Außenmauer mit lediglich einem Tor geschützt wird. Die Verteidigung dieses Areals sollte uns für die erste Zeit recht leicht fallen. Wird die Mauer an einer oder gar mehreren Stellen durchbrochen, dann …«
Balgor löste sich aus der Gruppe der Offiziere und trat zu Ekko, der etwas abseits stand und lauschte, wie Maryan das Vorrücken der gegnerischen Truppen skizzierte und auf dieser Grundlage seinen Plan erläuterte.
»Chef«, sprach er seinen Vorgesetzten leise an.
Ekkos Antwort bestand aus einem einzigen Brummen. »Hm?«
»Ist es wirklich so schlimm, wie es sich anhört?« Es war wohl der Ernst in Balgors Stimme, der Ekko aufblicken ließ. Es geschah nicht oft, dass Captain Balgors Stimme eine Finsternis transportierte, die schon fast an Verzweiflung grenzte und als der Colonel seinen Untergebenen ansah, konnte er ein dunkles Blitzen in den Augen seines Freundes sehen.
»Oh ja«, sagte er – und dieses Mal färbten weder Sarkasmus, noch Ironie seine Stimme. »Vielleicht sogar noch schlimmer.«
Der Captain nickte müde. »Und nun, Colonel?«
Ekko verengte die Augen und verbrachte einen nachdenklichen Moment in völliger geistiger Abgeschiedenheit vom Rest des Universums. Das war eine gute Frage. Was nun?
Colonel Ekko hatte bereits entschlossen, den Kampf gegen den übermächtigen Feind aufzunehmen. Galardin Alberic Ekko hingegen überlegte noch, was zu tun war. Im Grunde wollte er nicht mehr kämpfen, wollte nicht an der Seite der Space Marines und der Mörderschwester stehen. Er wünschte sich ins Elysium des Imperators, wo er sich mit einer Liebe vereinen konnte. Es war kein Zufall, dass er in dieser Nacht von ihr geträumt hatte. Doch was hatte sie ihm mit der schrecklichen Erinnerung sagen wollen? Er würde darüber nachdenken müssen – dringend. Allerdings gab es im Augenblick eine Sache, die sehr viel ernster war und der Vorrang eingeräumt werden musste.
Der Basteter sah auf und zuckte ahnungsvoll die Schultern. »Wie wäre es, wenn wir in Panik geraten und schreiend im Kreis umherlaufen?«